SCHRIFTEN DES VORARLBERGER LANDESMUSEUMS
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Eine Hauptbetätigung dieser italienisierten Ar -<br />
menier scheint auch hier das Bauwesen gewesen zu<br />
sein, besonders die traditionelle Kunst des Gewölbebaus.<br />
Bekanntlich haben zahlreiche Bauformen<br />
und Bauglieder romanischer Bauten in Apulien,<br />
zu denen auch die gekreuzten Tonnengewölbe<br />
des Castel del Monte gehören, wie in anderen<br />
Regionen ihre teilweise identische Entsprechung<br />
in den bis zu 600 Jahren älteren Bauten Armeniens<br />
(s. o. I, 2.3 b, Abs. 3). 184<br />
Zwei von drei Meisternamen im Kastell von Bari,<br />
von denen der eine bereits beschrieben wurde, sind<br />
ein weiterer Beleg. Sie finden sich, wie erwähnt,<br />
auf den Adlerkapitellen in der inneren Eingangshalle<br />
des Kastells, die als ein reines Werk staufischer<br />
Kunst in Apulien gilt. Die Inschriften sind<br />
seit langem bekannt. Alle drei enthalten Steinmetznamen.<br />
185 Von diesen konnte der Verfasser in -<br />
zwischen zwei als armenisch identifizieren, den ers -<br />
ten, MELIS (de Stelliano), wie bereits erwähnt, als<br />
Mleh (Taf. 51) und den zweiten als ISMAHEL. 186<br />
Der dritte Name, MINERVUS (Minervius?) (de<br />
Canusia) konnte noch nicht identifiziert werden.<br />
3. Eine dritte, wahrscheinlich viel größere, hauptsächlich<br />
aus der armenischen Landbevölkerung<br />
bestehende Gruppe mit Männern, Frauen, Kindern<br />
und dem heimischen, bäuerlichen Gewerbe<br />
stellte in einigen Ländern, vor allem auf dem Balkan,<br />
diejenige der zwangsweise in entvölkerten<br />
Randgebieten des byzantinischen Reiches angesiedelten,<br />
armenischen Stammesteile und ganzer Dörfer<br />
und Tallandschaften dar. Solche Zwangsansiedlungen<br />
sind z. B. für Thrazien und Bulgarien<br />
unter den Kaisern Maurikios Ende des 6. Jhs.,<br />
Phokas Anfang des 7. Jhs., Leon III. und Konstantin<br />
V. im 8. Jh., Johannes I. Tzimiskes im 10. und<br />
Basileios II. Anfang des 11. Jhs. bezeugt. 187<br />
Ähnliche Zwangsumsiedlungen aus dem östlichen<br />
Armenien nach dem Iran sind auch unter den<br />
s - as - anidischen Herrschern bekannt.<br />
4. Eine vierte Gruppe bildeten die Flüchtlinge, die<br />
zu allen Zeiten einer fremden Okkupation Armenien<br />
verließen, zunächst infolge der s - as - anidischen<br />
Herrschaft, dann infolge der arabischen Inbesitznahme<br />
des Landes nach 640, später infolge der<br />
Unterwanderung durch türkische Gruppen und<br />
schließlich nach der Eroberung des Landes durch<br />
die salˇg - u.kischen Türken um 1030. Zu den Flüchtlingen<br />
gehörten im 9. Jh. auch die bereits erwähn-<br />
99<br />
ten Angehörigen der Bruderschaften und die Paulikianer.<br />
Die Quellen dieser Flüchtlingszüge finden<br />
sich nur an verstreuten Stellen. Sie sind leider<br />
ebenfalls noch nicht im Zusammenhang ausgewertet<br />
worden.<br />
5. Eine fünfte Gruppe dürften die Pilger gebildet<br />
haben, die die heiligen Stätten in Europa aufsuchen<br />
wollten oder aufgesucht haben. Die große<br />
Masse von ihnen blieb anonym. Nur in Einzelfällen,<br />
wenn es sich um hochstehende Personen, Adlige,<br />
Bischöfe, in einem Fall sogar um einen Katholikos<br />
188 gehandelt hat, sind ihre Namen und teilweise<br />
ihre Viten bekannt, meist aber auch nur, wenn<br />
sie im Westen zu besonderer Heiligkeit gelangt<br />
waren oder, wenn sie sogar von der Römischen<br />
Kirche kanonisiert worden waren. 189 Zu dieser<br />
Gruppe können auch wieder die Steinmetz-Bruderschaften<br />
gehört haben.<br />
6. Eine sechste Gruppe bildeten sicher schließlich<br />
zahlreiche Nachzügler, die aus dem armen und<br />
183 z.B. Sanctus Georgius de Armenis in Bari; Santa Maria de<br />
Armenis in Matera; San Gregorio Armeno in Neapel; Santa<br />
Maria de Armenis in Forenza; Sanctus Andreas de Armenis in<br />
Tarent (FONSECA, S. 184 f.).<br />
184 Die Aufstellung eines Katalogs derartiger Bauformen und die<br />
Gegenüberstellung mit entsprechenden Formen in Armenien<br />
und Georgien ist ein Desiderat von größter Bedeutung.<br />
185 HASELOFF, S. 422.<br />
186 Die Schreibweise ISMAHEL in dieser lateinischen Inschrift<br />
gibt sogar die armenische Schreibweise wieder, bei der zwischen<br />
zwei Vokale, die zu zwei benachbarten Silben gehören,<br />
ein h, g oder j eingeschoben wurde, um die Silbentrennung<br />
durch einen eigenen Laut zu verdeutlichen.<br />
187 Die Umsiedlungen unter Konstantin V. im Jahr 760 betrafen<br />
Paulikianer, die er für besonders zuverlässig hielt, wahrscheinlich<br />
weil er ihnen in religiöser Hinsicht nahe stand, so dass man<br />
ihn später ebenfalls der Haeresie bezichtigte. Auch die Umsiedlungsmaßnahme<br />
Johannes I. Tzimiskes 970 nach Philippopolis<br />
in Bulgarien betraf Paulikianer, aber aus Syrien, wohin<br />
sie sich wegen der vorausgegangenen Verfolgungen geflüchtet<br />
hatten.<br />
Die zahlreichen Quellen über die Umsiedlungen können hier<br />
nicht zitiert werden.<br />
188 Grikor II. Martyrophilos, 1065-1105; die Pilgerreise von<br />
1075 führte ihn u.a. nach Rom.<br />
189 s. dazu auch KOLMER, S. 66 ff.