SCHRIFTEN DES VORARLBERGER LANDESMUSEUMS
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<strong>SCHRIFTEN</strong> <strong>DES</strong> <strong>VORARLBERGER</strong><br />
LAN<strong>DES</strong>MUSEUMS<br />
Reihe A<br />
Landschaftsgeschichte und<br />
Archäologie<br />
Bd. 9<br />
HANSPETER HANISCH<br />
Über das Wirken armenischer Bauhandwerker<br />
im frühen Mittelalter<br />
In memoriam Josef Strzygowski<br />
IM EIGENVERLAG <strong>DES</strong> <strong>VORARLBERGER</strong> LAN<strong>DES</strong>MUSEUMS<br />
BREGENZ 2009
HANSPETER HANISCH<br />
Über das Wirken armenischer Bauhandwerker im frühen Mittelalter<br />
In memoriam Josef Strzygowski
<strong>SCHRIFTEN</strong> <strong>DES</strong> <strong>VORARLBERGER</strong> LAN<strong>DES</strong>MUSEUMS<br />
Reihe A<br />
Landschaftsgeschichte und<br />
Archäologie<br />
Bd. 9<br />
HANSPETER HANISCH<br />
Über das Wirken armenischer Bauhandwerker<br />
im frühen Mittelalter<br />
In memoriam Josef Strzygowski<br />
Bregenz 2009
HERAUSGEBER, MEDIENINHABER,<br />
SCHRIFTLEITUNG UND REDAKTION<br />
Vorarlberger Landesmuseum<br />
Kornmarkt 1, 6900 Bregenz<br />
Dr. Tobias G. Natter, Dir. VLM (Herausgeber)<br />
Mag. Gerhard Grabher (Redaktion)<br />
DRUCK<br />
Hecht Druck, 6971 Hard<br />
Alle Rechte vorbehalten. DIE <strong>SCHRIFTEN</strong> <strong>DES</strong> <strong>VORARLBERGER</strong><br />
LAN<strong>DES</strong>MUSEUMS sind eine wissenschaftliche Publikationsreihe zur<br />
Landeskunde Vorarlbergs, speziell zur Archäologie, Kunst und Volkskunde.<br />
© Vorarlberger Landesmuseum, Kornmarkt 1, 6900 Bregenz<br />
ISBN 3-901802-21-5<br />
Bregenz 2009
INHALTSVERZEICHNIS<br />
I. EINLEITUNG 7<br />
1. Josef Strzygowski 7<br />
2. Untersuchungsmethode 10<br />
2.1. Maßarten 10<br />
2.2. Steinmetzzeichen 11<br />
2.3. Bauweise 17<br />
a) Mauerwerk der Wände 17<br />
b) Gewölbekonstruktionen 17<br />
c) Vierungsturm 19<br />
d) Ausgeschiedene Vierung 25<br />
e) Strebenischen 25<br />
f) Stufenförmig eingezogene Gewölbeschalen in Bögen und Seitengewölben 25<br />
g) Eingeschnittene Nischengewölbe innen 25<br />
h) Wandgliederung außen durch rundbogige Blendnischen 27<br />
i) Wandgliederung außen durch Rundbogenfriese 27<br />
j) Stufenportale 27<br />
k) Rundbogige Fenster und Türen 27<br />
l) Rundfenster 29<br />
m) Kapitelle 29<br />
n) Säulenbasen 29<br />
o) Bandornamente 29<br />
p) An den Außenseiten eingefügte Skulpturen 34<br />
II. BEISPIELE 34<br />
1. Barba’ron, Schlosskirche und Osthalle des Palastes 34<br />
2. Anawarz, Sperrturm 36<br />
3. Castel Saone, Oberburg, Ostturm 39<br />
4. .Harr - an, Zitadelle, Ostturm, Südturm und Nordwestgalerie 44<br />
a) Ostturm 46<br />
b) Südturm 46<br />
c) Nordwestkurtine 52<br />
5. Damaskus, Zitadelle, Östlicher Torturm und anschließende Bauten 52<br />
a) Östlicher Torturm 54<br />
b) Säulensaal 56<br />
c) Lange Halle (Lagerstraße) 56<br />
6. Castel del Monte 60<br />
7. Ehemalige Zisterzienserabtei-Kirche St. Maria, St. Johannes Ev. und<br />
St. Nikolaus in Ebrach bei Bamberg 65<br />
8. Ehemalige Stiftskirche St. Georg zu Köln 74<br />
9. Ehemalige Benediktinerabtei-Kirche St. Peter und Paul in der Mehrerau in Bregenz 78
10. Ehemalige Pfalzkapelle Karls des Großen in Aachen 83<br />
10.1 Allgemeines 83<br />
10.2. Metrologische Untersuchung 84<br />
a) Methode 84<br />
b) Auswertung 86<br />
c) Wandabstände Oktogon 86<br />
d) Rekonstruktion 89<br />
d) Bauweise der Gewölbe 90<br />
f) Besondere Bauweisen 92<br />
10.3. Folgerungen 93<br />
III. DIE TRÄGER DER ENTWICKLUNG 93<br />
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis 103
1. Josef Strzygowski<br />
I.<br />
EINLEITUNG 1<br />
In seinem epochemachenden Werk »Die Baukunst<br />
der Armenier und Europa«, 1918 in Wien erschienen,<br />
hatte Josef Strzygowski 2 als erster Forscher den<br />
Westen mit der teils fremd, teils vertraut wirkenden<br />
Welt und dem Reichtum der kirchlichen Baukunst<br />
Armeniens bekannt gemacht. 3 Dabei bezeichnete<br />
er das in ihrer Baugestaltung ausgedrückte<br />
Kunstwollen als eigenständiges Wesensmerkmal der<br />
Träger dieser Baukunst, des armenischen Volkes. 4<br />
Das armenische Volk ordnete er der von ihm nicht<br />
als Sprachen-Familie, sondern als Stammesfamilie<br />
aufgefassten Gruppe der arisch-iranischen Völker<br />
zu. 5 Für das armenische Volk verwendete er dabei<br />
den Begriff Rasse, um es von anderen Völkern zu<br />
unterscheiden. 6<br />
In diesem Sinne stellte er die kirchliche, armenische<br />
Baukunst den bisher allein als kulturbildend angesehenen<br />
Ursprüngen der europäischen Baukunst, nämlich<br />
der mittelmeerisch-antiken und der nordischgermanischen<br />
Kunst als die dritte Kraft ge genüber, 7<br />
aus der in besonderem Maße die europäische, romanische<br />
Kunst erwachsen sei. 8 Damit führte er der<br />
europäischen Fachwelt die vielfältigen Beziehungen<br />
zwischen der armenischen und der romanischen<br />
Baukunst vor Augen, die heutzutage für jeden<br />
unvoreingenommenen Betrachter offenkundig sind.<br />
Bei seinen Untersuchungen stützte er sich zu -<br />
nächst auf bereits bekannte oder erst neu bekannt<br />
gewordene Inschriften, die er in vorsichtiger Weise<br />
teilweise neu interpretierte, besonders hinsichtlich<br />
der jeweils angesprochenen Daten. 9 Allerdings<br />
standen ihm zahlreiche, andere Inschriften und<br />
andere Deutungen einzelner In schriften nicht zur<br />
Verfügung, so dass dadurch Fehldeutungen oder<br />
vermutete Fehldeutungen entstanden. 10 Andererseits<br />
konnte er einen reichen Bestand von wahrscheinlich<br />
genauen und zuverlässigen Bauaufnahmen<br />
des armenischen Architekten Thoros Thoramanian<br />
verwenden, die ihm dieser 1913 zur Auswertung<br />
und zur Veröffentlichung überlassen<br />
hatte. 11 Mehrere Aufmaße davon hat Strzygowski,<br />
wie aus seinem Bericht über seine Untersuchungsreise<br />
hervorgeht, überprüft und als zutreffend befunden.<br />
12 Aber auch hier war er auf die Beispiele<br />
7<br />
1 Der folgende Aufsatz ist die stark erweiterte Fassung eines<br />
Vor trags des Verfassers am 14. Mai 2002 im Vorarlberger<br />
Landesmuseum, Bregenz. Der Verfasser dankt an dieser<br />
Stelle dem Direktor des VLM, Herrn Dr. Helmut Swozilek,<br />
zum einen dafür, dass er diesen Vortrag halten konnte, und<br />
zum anderen und vor allem, dass dieser Aufsatz in den<br />
»Schriften des Vorarlberger Landesmuseums« erscheinen<br />
kann.<br />
2 Josef Strzygowski, geb. am 7. März 1862 in Biala-Bielitz<br />
(Österreichisch Schlesien), 1892 Professor in Graz und seit<br />
1909 Professor für Kunstgeschichte und Direktor des Kunsthistorischen<br />
Instituts an der Universität Wien, gest. am 2.<br />
Januar 1946 in Wien; dazu J.-S.-Festschrift 1932; weitere<br />
Hauptschriften Strzygowskis: Orient oder Rom ? (1902), Kleinasien,<br />
ein Neuland der Kunstgeschichte (1903), Amida (1910)<br />
zusammen mit Max van Berchem (in: Beiträge zur Kunstgeschichte<br />
des Mittelalters von Nordmesopotamien, Hellas und<br />
dem Abendlande), Altai-Iran und Völkerwanderung (1917),<br />
Ursprung der christlichen Kirchenkunst (1920), ferner zahlreiche<br />
weitere Aufsätze, u.a.: Der Dom zu Aachen und seine Entstellung,<br />
s. dazu u.: Beispiel Nr. 10.: Die Pfalzkapelle Karls des Großen zu<br />
Aachen.<br />
3 Die folgende, sehr kurze Zusammenfassung folgt nicht der<br />
Gedankenführung Strzygowskis, die in einer schwer wiederzugebenden<br />
Struktur gegliedert ist.<br />
4 STRZYGOWSKI I, S. 572 f.<br />
5 STRZYGOWSKI I, S. 575; S. 614 ff.<br />
6 Die Hauptgruppen dieser Völker waren für Strzygowski die<br />
griechisch-semitische und die nordisch-germanische Gruppe,<br />
während er die Araber, die ja eine semitische Sprache sprechen,<br />
zu den Ariern rechnete. Der Begriff Rasse ist insofern falsch aufgefasst,<br />
aber auch keineswegs so verwendet worden, wie das<br />
später geschah.<br />
7 STRZYGOWSKI I, S. 575.<br />
8 STRZYGOWSKI I, S. 797 ff.<br />
9 STRZYGOWSKI I, S. 29 ff.<br />
10 Die Beispiele können und brauchen hier nicht behandelt werden,<br />
weil sie für das Thema dieses Aufsatzes nicht von Bedeutung<br />
sind.<br />
11 STRZYGOWSKI I, S. 6 ff; die Untersuchungen Thoramanians<br />
wurden leider erst 1942, nach seinem Tode, in armenischer<br />
Sprache veröffentlicht.<br />
12 STRZYGOWSKI I, S. 16; bereits 1908 waren zahlreiche Bauaufnahmen<br />
Thoramanians von der Kaiserlich-Russischen Archäologischen<br />
Kommision geprüft und ihre große Bedeutung hervorgehoben<br />
worden (STRZYGOWSKI I, S. 8 f.).
angewiesen, die Thoramanian auf dieser Reise<br />
ausgewählt hatte. 13 Schließlich erlaubte die Kürze<br />
der Zeit damals wahrscheinlich auch keine längeren<br />
Untersuchungen an Ort und Stelle. Vielmehr<br />
hat er später demgegenüber mehrfach erklärt, dass<br />
er es auch nicht als seine Aufgabe angesehen habe,<br />
derartige Untersuchungen anzustellen, sondern dass<br />
diese anderen Bauforschern überlassen werden<br />
sollten. Das materielle Hauptergebnis der Reise<br />
bestand aus einer Fülle fotografischer Aufnahmen,<br />
die er in Wien, vor allem anstelle von bautechnischen<br />
Untersuchungen an den Bauwerken selbst,<br />
auswertete. Die später gegen Strzygowskis Interpretationen<br />
vorgebrachten Vorwürfe seiner Kritiker<br />
rechnen ihm dies als Mangel an, übergehen<br />
dann aber seine vorsichtige Vorgehensweise bei den<br />
Bauten, die er selbst untersucht hat. Trotz aller<br />
Kritik bekunden sie aber manchmal, dass seine<br />
Thesen und Annahmen anders ausgefallen wären,<br />
wenn er derartige Grundlagenforschungen betrieben<br />
hätte, vernachlässigen dabei aber wieder, dass<br />
es ihm auf etwas anderes angekommen war.<br />
Sein groß angelegtes Werk hat demzufolge auch<br />
nicht die monografische Untersuchung und Be -<br />
schrei bung der ausgewählten Bauwerke zum Inhalt,<br />
sondern die Typologie, die sie verkörpern, und<br />
deren Entwicklung. Sein Ziel war es, ȟber Zeitstellung<br />
und Grundformen klaren Aufschluß zu<br />
geben.« Dieser Leitgedanke zieht sich durch sein<br />
ganzes Werk, auch vom Anfang an, wo man ihn<br />
eher als Postulat auffassen müsste.<br />
Ein Schwergewicht legte er auf die konstruktiven<br />
Aspekte der untersuchten Bauten. Infolge seiner<br />
Methode, Leitlinien aufzuzeigen, ihre Ursprünge<br />
aber nicht zu den Ursachen zu verfolgen, unterschied<br />
er aber nicht zwischen anzunehmenden oder<br />
sogar erkennbaren Bauphasen mancher Bauten,<br />
sondern betrachtete diese als einheitlich und<br />
unverändert. Für die Definition der aufgeführten<br />
zahlreichen Bautypen und für die Darstellung<br />
ihrer Entwicklung hielt er die Untersuchung derartiger<br />
Detailfragen auch für unwesentlich.<br />
So sind es – neben der allgemeinen Präsentation<br />
der armenischen Baukunst – die Leitlinien der<br />
Entwicklung ihrer Bautypen und Bauformen, ihre<br />
Abgrenzung gegenüber anderen Typen und Entwicklungen<br />
und schließlich ihre Auswirkung auf<br />
die europäische Baukunst des frühen Mittelalters,<br />
die den bleibenden Wert seines Werkes ausmachen.<br />
8<br />
13 Auch die Überprüfung von 32 mit Maßangaben versehenen<br />
Grundrissplänen Thoramanians durch den Verfasser mit dem<br />
Ziel, die verwendeten Maßarten zu rekonstruieren, hat in den<br />
meisten Fällen die Zuverlässigkeit dieser Aufmaße bestätigt.<br />
Die folgenden Ergebnisse treffen mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
zu (in Klammern die Seitenzahlen bei STRZYGOWSKI<br />
I; die Fußmaße werden noch erläutert): Verwendung des<br />
0,3054 m lange Fußes (p 3 ): Mzchet große (86) und kleine<br />
Nebenkirche (86), Bagaran, Kathedrale (106), Ereruk, Basilika<br />
(153), Mren, Kathedrale (184), Thalin, Marienkirche (161);<br />
Verwendung des 0,3206 m langen Fußes (p 5 ): Mzchet, Kreuzkirche<br />
(86), Awan, Kirche (89), Sarindsch, Kirche (101),<br />
Chtskonk, Sargiskirche (105), Alaman, Ananiaskirche (160),<br />
Thalisch, Kathedrale (191). Die Ergebnisse der Prüfung der<br />
anderen, untersuchten Kirchen sind weniger deutlich.<br />
Bei der Überprüfung der Maßangaben Thoramanians wurde<br />
jedoch erkennbar, dass bei gleichgroß intendierten Abmessungen<br />
verhältnismäßig große Tolerenzen in der Größe von 2-5<br />
cm üblich waren, was für armenische Bauten allgemein gelten<br />
dürfte. Wenn man diese »Standard«-Ungenauigkeiten akzeptiert,<br />
erweisen sich viele Abmessungen als die vermutlich tatsächlich<br />
intendierten Abmessungen.<br />
In mehreren Fällen scheint auch ein Nebeneinander zweier<br />
Maßarten vorzuliegen, was auf spätere Ergänzungen oder die<br />
Erneuerung baufällig gewordener Bauteile schließen lässt.<br />
Inwieweit Thoramanian in seinem eigenen Werk auf derartige<br />
Veränderungen eingegangen ist, ist für den Verfasser nicht<br />
nachzuvollziehen.<br />
Zusammenstellung der Maßarten der von Thoramanian untersuchten<br />
Kirchen.
Eher spekulativ waren seine Vorstellungen vom<br />
Transfer dieser Formen nach Europa. Er nahm<br />
zwar als Träger dieses Transfers armenische Handwerker<br />
an, die Pfade beschrieb er aber nur allgemein<br />
und undeutlich als über Südrussland und das<br />
Schwarze Meer verlaufend. 14 Die offenkundige<br />
Kontinuität und Intensität des Zustroms hat er<br />
nicht erklärt.<br />
Mit seinen Darstellungen erregte er damals,<br />
besonders in Wien, großes Aufsehen. Gleichzeitig<br />
erfuhr er aber auch schroffe Ablehnung, wobei<br />
diese häufig auf gleichsam ideologischen Einstellungen,<br />
meistens aber auf Unkenntnis beruhte,<br />
und mehr noch auf der Weigerung, die neuen Be -<br />
funde zur Kenntnis zu nehmen. 15 Besonders seine<br />
Definition des armenischen Kunstwollens und seine<br />
Abgrenzung der armenischen gegenüber der<br />
mittelmeerisch-antiken Baukunst und damit die<br />
ethnische Zuordnung zur arisch-iranischen Völkergruppe<br />
wurde ihm von den zeitgenössischen<br />
Kunstwissenschaftlern zum Vorwurf gemacht. 16<br />
Die auffälligen Beziehungen der armenischen zu<br />
den romanischen Bauformen traten dabei merkwürdigerweise<br />
in den Hintergrund. Ihren bedauerlichen<br />
Höhepunkt fand diese Kritik damals in<br />
der weitgehend polemischen Besprechung seines<br />
Werkes durch Ernst Herzfeld. 17 Auch später noch<br />
hat Ulrich Bock diese Vorwürfe wiederholt, ohne<br />
jedoch eigene Lösungen für die von ihm aufgeworfenen<br />
Fragen zu finden. 18 Dagegen erkannte Georg<br />
Tschubinaschwili 19 die Hauptthesen Strzygowskis<br />
an. Im Resumée seiner Besprechung des Werks<br />
nannte er als »die Hauptbedeutung dieser bedeutenden<br />
Arbeit« die »allgemeinen Gesichtspunkte,<br />
die unserem Verständnis … der christlichen Welt<br />
im Oriente ein ganz neues Fundament (geben).«<br />
Da bei hatte er zu Recht beanstandet, dass Strzygowski<br />
nicht oder höchstens beiläufig auf die nach<br />
seiner Meinung sogar älteren Bauten und Bautypen<br />
Georgiens eingegangen sei. Aus dieser Unterlassung<br />
wies er dann auch die Rückführung der<br />
armenischen Baukunst allein auf das armenische<br />
Volk und die Abgrenzung dieses Volks als Rasse<br />
zurück, zumal die Georgier in der Tat zu einer<br />
anderen Völkergruppe gehören. Andererseits folgte<br />
Tschubinaschwili weitgehend Strzygowskis Darstellung<br />
der konstruktiven Elemente der armenischen<br />
Bauwerke und ihrer weiteren Entwicklung<br />
und kam auf dieser Grundlage zu der oben zitierten,<br />
aufrichtigen Schlussbeurteilung.<br />
9<br />
Heute ist Josef Strzygowski fast vergessen, obwohl<br />
in den letzten Jahrzehnten viele Europäer Gelegenheit<br />
hatten, die Zeugen der armenischen Baukunst<br />
in der damaligen Sowjetrepublik, d. h. in<br />
der heutigen Republik Armenien, sowie im Nordosten<br />
der Türkei zu besuchen. Mit der nachfolgenden<br />
Untersuchung soll deshalb das Andenken an<br />
Josef Strzygowski wieder in Erinnerung gerufen<br />
werden. Dies bedeutet jedoch trotz der vorgenannten<br />
Hinweise keine neue Auseinandersetzung mit<br />
seinem Werk und schon gar nicht eine Aufarbeitung<br />
und Ergänzung seiner Belege und Quellen.<br />
Der Leitgedanke des vorliegenden Aufsatzes<br />
betrifft vielmehr seine These über die Verbreitung<br />
des armenischen Formenguts in der romanischen<br />
Baukunst in Europa, d. h. eine Kardinalfrage der<br />
europäischen Bau- und Kunstgeschichte. Sie soll<br />
mit zwei Aspekten gestützt werden, die ihm seinerzeit<br />
nicht geläufig waren und die er, wären sie<br />
ihm geläufig gewesen, vermutlich ebenso unbeachtet<br />
gelassen hätte, wie die Notwendigkeit einer<br />
genauen Kenntnis des Befundes der von ihm<br />
untersuchten Bauten.<br />
Diese Aspekte sind die Berücksichtigung der folgenden<br />
Kriterien:<br />
die verwendeten armenischen Maßarten und<br />
die verwendeten Steinmetzzeichen,<br />
jeweils in Verbindung mit baulichen Merkmalen,<br />
die für das armenische Bauwesen charakteristisch<br />
sind und das dritte Kriterium bilden.<br />
14 STRZYGOWSKI I, S. 726 f.; S. 729 ff.<br />
15 STRZYGOWSKI I, S. 877.<br />
16 s. folgende Anm.<br />
17 HERZFELD, S. 2, schon Abs. 1 als Beispiel für diese negative<br />
Tendenz.<br />
18 BOCK, S. 50, schließt sich Herzfelds Kritik unter dem vorgenannten<br />
Zitat an, um sie dann mit einem noch polemischeren<br />
Zitat zu übertreffen. Er schließt (S. 205) seine Dissertation<br />
unter Verwendung eines weiteren Zitats mit der Bemerkung,<br />
dass die Aufgabe seiner Dissertation nur gewesen sei, zukünftige<br />
Forschungen anzuregen (!).<br />
19 Tschubinaschwili war Georgier; 1922, zum Zeitpunkt seines<br />
Artikels, war er Professor des von ihm gegründeten Kunstgeschichtlichen<br />
Instituts der Universität Tiflis.
Zum Abschluss des Aufsatzes sollen auf der<br />
Grundlage der folgenden Untersuchungsergebnisse<br />
bezüglich der eingangs geäußerten Kritik an<br />
seinen Vorstellungen einige Betrachtungen über<br />
die Träger der Entwicklung und die Pfade des<br />
möglichen Transfers der armenischen Bauformen<br />
in andere Länder und über ihre dortige Verbreitung,<br />
d. h. über ihre Übernahme in die romanische<br />
Baukunst Europas angestellt werden.<br />
2. Untersuchungsmethode<br />
An Hand der oben genannten Kriterien soll im<br />
Folgenden zunächst dargestellt werden, wie das<br />
Wirken armenischer Bauhandwerker nachgewiesen<br />
werden kann. Die Beispiele dafür sind dabei<br />
zwangsläufig zufällig und fragmentarisch, weisen<br />
aber auf eine unerwartet weite Verbreitung der<br />
Tätigkeiten der armenischen Bauhandwerker hin.<br />
Dabei wird man unterscheiden müssen zwischen<br />
Bauten, die wahrscheinlich von armenischen Baumeistern<br />
geplant und von armenischen Handwerkern<br />
errichtet wurden und damit direkt in armenischer<br />
Bautradition stehen, und solchen, bei<br />
denen die Bauformen nur noch in der Nachfolge<br />
dieser ursprünglichen Tradition verwendet worden<br />
sind. Armenische Maßarten und armenische Steinmetzzeichen<br />
dürften jedoch immer ein Erkennungszeichen<br />
armenischer Handwerker sein.<br />
2.1. Maßarten<br />
Die Abmessungen, die der Ermittlung der Maßarten<br />
zu Grunde liegen, wurden bei den nachfolgenden<br />
Beispielen vom Verfasser auf der Raumsohle<br />
oder in Meterhöhe zwischen und entlang von Wänden<br />
und Pfeilern bzw. ihren Sockeln gemessen.<br />
Diese Vorgehensweise geht von der begründeten<br />
Annahme aus, dass bei der Absteckung eines Bauwerks<br />
die Abmessungen der ersten Steinschicht<br />
über den Fundamenten für den ganzen Bau und<br />
seine Durchgliederung maßgebend waren. Beispiele,<br />
bei denen es anders gewesen wäre, wurden<br />
bisher nicht festgestellt.<br />
Die Maßarten, die das erste Kriterium der folgenden<br />
Untersuchung sind, sind zwei armenische<br />
Fußmaße (arm. otn). Das erste ist ein im Besprechungszeitraum<br />
weit verbreitetes Fußmaß in der<br />
Länge von 0,3206 m, das zweite ein wahrscheinlich<br />
in früherer Zeit stärker verbreitetes in der<br />
Länge von 0,3054 m. Sie wurden zunächst bei<br />
10<br />
Bauten, die eindeutig armenischer Herkunft sind,<br />
festgestellt. 20 Beide Fußmaße wurden in 12 Unzen<br />
unterteilt (arm. unki, 0,02672 m bzw. 0,02545<br />
m). Wie die Beispiele zeigen, gab es für die<br />
Abmessungen von Bauteilen gewisse Präferenzen<br />
von 3, 4, 6, vor allem aber von 8, 20 und 25 Fuß.<br />
Standardabmessungen in 5 und 15 Fuß scheinen<br />
dagegen selten. Bemerkenswert ist seit dem 10.<br />
und 11. Jh. daneben die Verwendung der Unzen<br />
entgegen der 12er-Teilung des Fußes in 10er-Einheiten<br />
mit Präferenzen von 40, 80, 100 und 200<br />
Unzen. 21<br />
Die erste Maßart ist vermutlich identisch mit dem<br />
0,32048 m langen, griechischen Fuß, mit dem das<br />
spätklassische Stadion III in Olympia errichtet<br />
worden ist. 22 Auch die zweite Maßart dürfte, möglicherweise<br />
auf dem Umweg über das s - as - anidische<br />
Bauwesen, ebenfalls auf einen griechischen Ursprung<br />
zurückgehen. 23 Eine Traditionskette bis in<br />
das 7. Jh. n. Chr., in dem beide Maßarten in Armenien<br />
wieder verwendet worden sind, ist jedoch<br />
bisher nicht nachzuweisen, weil entsprechende<br />
Einzeluntersuchungen fehlen. Ein deutliches Indiz<br />
für diese lange Überlieferung besteht jedoch darin,<br />
dass die Teilung des armenischen Fußes in Unzen<br />
anstatt in Fingerbreiten (daktyloi), in die die griechischen<br />
Fußmaße geteilt waren, auf eine<br />
Umwandlung der Maßstruktur in römischer Zeit<br />
hinweist, in der die Fußmaße, analog zu den<br />
Gewichten und Münzwerten, in Unzen geteilt<br />
wurden.<br />
Neben diesem Fußmaß scheint in Armenien in der<br />
Frühzeit noch ein weiteres, 0,3100 m langes Fußmaß<br />
in Gebrauch gewesen sein, das ursprünglich<br />
20 s. o. Anm. 13.<br />
21 Die Maßarten sind nicht bei SCHILBACH, S. 13 ff. aufgeführt.<br />
Ein ca. 0,32 m langes Beispiel klammert SCHILBACH,<br />
S. 15, ausdrücklich als »etwas aus der Reihe fallend« aus.<br />
22 MALLWITZ, S. 183. ROTTLÄNDER nennt diesen Fuß<br />
»Byzantinischer Fuß 16 «, eingeteilt in 16 digiti.<br />
23 HENNING, S. 235 - 237; ROTTLÄNDER nennt diesen Fuß<br />
irrtümlich »Fuß 18 des Vitasti«; zu vitasti s. die folgende<br />
Anmerkung.
im parthischen und dann ebenfalls im s - as - anidischen<br />
Iran und dort vorwiegend mit einem Teilmaß,<br />
der 9 Fingerbreiten (0,2325 m) langen<br />
»Großen Spanne« (vitasti) verwendet wurde. 24<br />
Schließlich könnte im Einzelfall sogar der 0,2962<br />
m lange, römisch-kapitolinische Fuß und der im<br />
Osten des römischen Reiches übliche, 0,2930 m<br />
lange römische Fuß angewendet worden sein. 25<br />
Die umfang reichen Nachrechnungen können hier<br />
nicht wiedergegeben werden.<br />
Der Vollständigkeit wegen müssen aber noch die<br />
zeitgenössischen, arabischen Maßarten erwähnt<br />
werden, da sie in den isl - amischen Gebieten natürlich<br />
vorherrschend waren. Die wichtigsten waren<br />
im Besprechungszeitraum die 0,5404 m lange<br />
»Schwarze Elle« (a - d- - dir - a‘ a.s-.saud - a) und die<br />
0,5819 m lange ägyptische Bauelle (Handelselle,<br />
a - d- - dir - a‘ al-balad - ıya), die nach dem Regierungsantritt<br />
.Sal - a .h ad-D - ıns 1173 in den aiy - ubidischen<br />
Gebieten die »Schwarze Elle« bei Staatsbauten<br />
abgelöst zu haben scheint. Die Elle war in 6 Handbreiten<br />
(al-.kab.da, Plur. al-.kaba.d - at) und diese in je<br />
4 Fingerbreiten (al-a.sba‘, auch al-i.sba‘, Dual ala.sba’an,<br />
Plur. al-a.s - abi‘), eingeteilt. 26<br />
2.2. Steinmetzzeichen<br />
Steinmetzzeichen können in Armenien zuerst im<br />
6. Jh. nachgewiesen werden, sind aber vermutlich<br />
schon seit Beginn der organisierten Bautätigkeit der<br />
armenischen Kirche verwendet worden (Abb. 1). 27<br />
Eine Gruppe von Zeichen stellt christliche Symbole<br />
wie Kreuze, Katschkare (Kreuzsteine), Stelen<br />
und Lebensbäume dar, dazu häufig auch verschiedene<br />
Formen des Hakenkreuzes. Zwei andere Gruppen<br />
sind aus Buchstaben des griechischen und des<br />
armenischen Alphabets gebildet. Einige Zeichen<br />
sind auch aus der Antike übernommen. Die meisten<br />
sind aber eigenständige Schöpfungen der armenischen<br />
Handwerker. Diese Gruppe, die auch<br />
die größte ist, stellt geometrische Figuren dar.<br />
Neben einigen allgemeinen Zeichen und solchen,<br />
die das pythagoräische Dreieck und die Halbierung<br />
des Quadrats in zwei Quadrate darstellen,<br />
beziehen sich die meisten Zeichen in bildlicher<br />
Form auf das 1. Buch der Elemente von Euklid. Ein<br />
Teil bildet die Definitionen dieses Buches ab, obwohl<br />
diese im Original vermutlich nicht illustriert<br />
waren, der andere besteht in abgekürzter Form aus<br />
den tatsächlichen Figuren, mit denen die Lehrsätze<br />
(Propositionen) illustriert waren (Abb. 3).<br />
11<br />
Griechische Buchstabenzeichen und die älteren<br />
geometrischen Zeichen scheinen nach dem 9. Jh.<br />
nicht mehr nachweisbar zu sein. Dagegen wurden<br />
die euklidischen Zeichen mindestens bis in das 13.<br />
Jh., d. h. über einen Zeitraum von 700 Jahren, un -<br />
verändert weiter verwendet (Abb. 3, 2-15). In späterer<br />
Zeit wurden sie um weitere, geometrische<br />
Zeichen ergänzt, deren Quellen möglicherweise<br />
der Kommentar des Proclus Diadochus zu den<br />
ersten vier Büchern der Elemente 28 oder arabische<br />
Kommentare waren (Abb. 3, 1; 4, 17-19 29 ).<br />
Diese Kontinuität ist ein äußeres Zeichen für die<br />
Kontinuität der Baugruppen, die sie verwendeten.<br />
Dies waren die Steinmetz-Bruderschaften (karpasch<br />
– jeghbajrout’iún). Sie waren vermutlich aus<br />
den Klosterwerkstätten hervorgegangen und<br />
streng religiös ausgerichtet, nahmen Priester und<br />
Laien auf und wurden von Vorstehern (pet), Meistern<br />
(warpet) und Sprechern (chasnak) geleitet.<br />
Nach außen schlossen sie sich jedoch ab, was dazu<br />
führte, dass ihr technisches und künstlerisches<br />
Wissen auch keinen Niederschlag in den allgemei-<br />
24 HUFF, S. 168 ff. HUFF bezeichnet die Große Spanne (vitasti,<br />
lat. dodrans, gr. σπιθαµη / spithamè) irrtümlich als Fuß und<br />
die richtig angegebene Elle irrtümlich als Doppelfuß; ein Fußmaß<br />
genau dieser Länge hat der Verfasser an weit auseinander<br />
liegenden, mittelalterlichen Bauten festgestellt: Einmal als Maßstab<br />
auf einem einzeln stehenden, spätmittelalterlichen Quader<br />
im Zisterzienserkloster Eberbach (Rheingau) in der Form<br />
eines Abtstabes, und einem zweiten, ebenfalls aus Eberbach<br />
stammenden Stein, der als Spolie in der mittelalterlichen Burg<br />
von Hattenheim (Rheingau) vermauert ist, und dann in verschiedenen<br />
Abmessungen in den vom Anfang des 13. Jhs.<br />
stammenden, festungsartigen Burgen von Bressuire und Coudray-Salbart<br />
und dem Doppeldonjon von Niort, alle in den<br />
ehemals englischen Gebieten Frankreiches gelegen.<br />
25 HELLENKEMPER III, S. 181 f.; HANISCH I, S. 499, Anm.<br />
40 und 41.<br />
26 HANISCH V, S. 12 ff.<br />
27 Die Listen armenischer Steinmetzzeichen sind folgenden Werken<br />
entnommen: 1.) THORAMANIAN, S. 269, 28 Zeichen;<br />
2.) MNAZAKANIAN, S. 85, 42 Zeichen; 3.) HASRATHIAN<br />
– HAROUTHIOUMIAN – TUTUNDJAN, Innentitel, 82<br />
Zeichen; 4.) HARUTJUNIAN, S. 50, 30 Zeichen. Vergl.<br />
auch: HANISCH X, S. 197 ff.<br />
28 STECK.<br />
29 Diese Zeichen sind entnommen aus: ROBINSON – HUGHES,<br />
S. 183 ff. und analysiert in: Hanisch X.
Abb. 1: 4 Listen mit armenischen Steinmetzzeichen des 6.-9. Jhs.<br />
12
Abb. 2: Zusammenstellung der Steinmetzzeichen aus Abb. 1.<br />
13
Abb. 3: Zusammenstellung armenischer Steinmetzzeichen aus Lamprun.<br />
14
Abb. 4: Armenische Steinmetzzeichen aus Krak des Chevaliers.<br />
15
nen Werken der Literatur gefunden zu haben<br />
scheint. Für ihre eigenen Schriften dürften sie die<br />
kryptographen Schriftarten (Geheimschriften) verwendet<br />
haben, die ebenfalls in den Klöstern zur<br />
Abfassung besonderer Dokumente entwickelt worden<br />
waren. 30 Derartigen kryptographen Alphabeten<br />
entnahmen sie später ebenfalls Zeichen und verwendeten<br />
sie als Steinmetzzeichen. Diese stehen in den<br />
Kreuzfahrerstaaten und in Europa dann neben den<br />
klassischen, geometrischen Zeichen (Abb. 4, 21-26).<br />
Schließlich muss es auch eine dritte, organisierte<br />
Gruppe gegeben haben, die vermutlich keine<br />
Steinmetzzeichen verwendete. Dies dürften die<br />
Anhänger der paulikianischen Bewegung gewesen<br />
sein, die ihre religiöse Einstellung und damit die<br />
Zugehörigkeit zu dieser als haeretisch bezeichneten<br />
Bewegung meist verborgen hielten. 31<br />
Spätestens in der Zeit der Kreuzzüge müssen auch<br />
europäische Steinmetzen, die mit den Pilgern und<br />
Kreuzfahrern nach Palästina und Syrien gekommen<br />
waren, die Organisationsform der armenischen<br />
Bruderschaften kennengelernt haben und<br />
damit deren Gewohnheit, ihre Werkstücke mit<br />
besonderen Zeichen zu versehen. Es scheint, dass<br />
es ihnen verwehrt war, deren Zeichen zu übernehmen<br />
oder nachzuahmen. Dies wird daran deutlich,<br />
dass sie eigene Zeichen erfanden. Sie entnahmen<br />
die Motive dafür ihrer täglichen Umgebung, der<br />
Welt der Kreuzritter, ihres Handwerks und der<br />
Natur (Abb. 4, 1-16). 32 Die Vielfalt der Zeichen<br />
30 ABRAHAMJAN.<br />
31 Diese Bewegung scheint die ursprüngliche Form des armenischen<br />
Christentums im 3. Jh. gewesen zu sein. Im 4. und 5.<br />
Jh. wurde sie infolge hellenistisch orientierter Bestrebungen des<br />
Klerus in Konstantinopel, die zur Konsolidierung der Staatskirche<br />
führten, in die Haeresie abgedrängt (GARSOIAN, S.<br />
220 ff.). Ungeachtet dessen breitete sie sich, vor allem im 7.<br />
und 8. Jh., in Armenien und in großen Teilen des byzantinischen<br />
Reichs aus. Im 9. Jh. besaßen ihre Anhänger im Herzen<br />
Kleinasiens am oberen Euphrat ein zusammenhängendes Territorium<br />
mit einer eigenen Hauptstadt Tephrik - e, einem religiösen<br />
Führer, der in der den Paulikianern feindlichen Literatur<br />
»Häresiarchos« genannt wurde, gleichsam als Diffamierung<br />
seiner Funktion als Oberhaupt der religiösen Gemeinschaft,<br />
und einem militärischen Führer (»Archon«). Dort bauten sie<br />
auch Kirchen für sich selbst, was die Tätigkeit eigener Steinmetzen<br />
voraussetzt. Die Bewegung erfasste alle Schichten der<br />
Bevölkerung, zeitweilig bis in die obersten Kreise des Klerus<br />
und sogar des Kaiserhauses. Von der armenischen und der<br />
16<br />
griechischen Kirche wurden ihre Mitglieder meistens in abfälliger<br />
Weise als Paulikianer, später als Tondrakianer bezeichnet<br />
und vor allem immer wieder mit der Sekte der Manichäer<br />
gleichgesetzt, deren Anhänger mit dem Tode bestraft wurden.<br />
Die Paulikianer beriefen sich von Anfang an auf die Lehren<br />
und Grundsätze des frühen Christentums, wenn nicht sogar<br />
des Urchristentums. Alleinige Grundlage ihres Christentums<br />
war die Taufe, die aber auch nur an Gläubigen vollzogen werden<br />
durfte, die über 30 Jahre alt waren und deren Glaubenstreue<br />
erwiesen war. Erst durch die Taufe wurden diese zu Christen.<br />
Sie beriefen sich dabei auf den Wortlaut der Evangelien,<br />
wonach Jesus auch erst im Alter von 30 Jahren getauft und<br />
dadurch als Sohn Gottes angenommen worden war (Adoptianismus).<br />
In ihrer alleinigen Bezogenheit auf das Neue und<br />
teilweise auch auf das Alte Testament lehnten sie konsequenterweise<br />
die Marienverehrung, die Bilderverehrung und vor<br />
allem die Kirche selbst ab. Damit standen sie in schroffem und<br />
unüberwindlichen Gegensatz zu ihr, und zwar gleichermaßen<br />
zur Armenisch-Apostolischen, zur Griechisch-Orthodoxen<br />
und zur Römisch-Katholischen Kirche, sowie, außer in der<br />
Zeit des Bilderverbots, auch zu der jeweiligen Staatsmacht.<br />
Von dieser wurden sie daher in immer wieder neuen Wellen<br />
z.T. blutig verfolgt. Sie traten deshalb im 9. Jh. auch in einen<br />
offenen Widerstand gegen den byzantinischen Staat, wurden<br />
aber 872 in einem regelrechten Krieg, bei dem ihre Hauptstadt<br />
Tephrik - e zerstört wurde, besiegt und in andere Gebiete<br />
abgedrängt. Bereits 760 waren sie unter Konstantin V., dem<br />
Hauptvertreter des Bilderverbots, der sich ihrer auf Grund<br />
gleicher religiöser Einstellung in besonderem Maße bediente,<br />
in Konstantinopel und in den entvölkerten Gebieten Thraziens<br />
und Bulgariens zur Grenzsicherung angesiedelt worden.<br />
970 unter Johannes I. Tzimiskes wurden Paulikianer noch einmal<br />
dorthin verpflanzt. Hier wurden sie seit etwa dieser Zeit<br />
nach ihrem Führer Bogomilen genannt. Ihr Gedankengut war<br />
nunmehr tatsächlich durch dualistische, manichäische Vorstellungen,<br />
insbesondere von der Rolle des Satans als des Schöpfers<br />
der Welt, verändert worden. Aus Bulgarien gelangte dieses<br />
im 11. Jh. in den Westen, vor allem nach Italien und Südfrankreich,<br />
wo die neu entstandene Sekte bekanntlich von jetzt<br />
ab Katharer genannt wurde, weil sie sich selbst als »die Reinen«<br />
(griech. katharoi) bezeichneten.<br />
Die Literatur über diese Bewegungen ist meistens im Sinne<br />
von Ketzertheorien voreingenommen. Grundlegend zu Religion<br />
und Geschichte der Paulikianer und Tondrakianer und<br />
gleichzeitig rühmliche Ausnahmen von dieser Tendenz sind,<br />
wie bereits erwähnt, GARSOIAN, die auch die Quellen für die<br />
vorgenannte kurze Darstellung zitiert, und NERSESSIAN.<br />
Westliche Historiker gehen in ihren Arbeiten über die Katharer-Bewegung<br />
i.d. R. auf die Ursprünge und Entwicklung dieser<br />
langen und in sich auch teilweise differenzierten Bewegung<br />
nicht oder nur wenig ein, wahrscheinlich weil ihnen die griechischen<br />
und armenischen Quellen, die die beiden armenischen<br />
Forscher benutzt haben, nicht zugänglich waren, oder<br />
weil für sie der nationale Aspekt, vor allem für Frankreich, im<br />
Vordergrund stand. Diese Literatur kann hier nicht weiter<br />
besprochen werden.<br />
Nachzutragen ist, dass ein Merkmal der paulikianischen<br />
Bewegung, die Geheimhaltung der eigenen Identität, das Vorbild<br />
für die entsprechende Gewohnheit der Bau-Bruderschaften<br />
gewesen sein dürfte.<br />
32 Entnommen aus <strong>DES</strong>CHAMPS II, S. 240 ff., und analysiert<br />
in: HANISCH X, S. 204 ff. Art und Mischung dieser Zeichen<br />
finden sich an zahlreichen, anderen Burgen in den Kreuzfahrerstaaten.<br />
Sie sind für Zeit und Region typisch.
deutet außerdem darauf hin, dass die Auswahl<br />
eines Zeichens nicht einer strengen Ordnung<br />
unterstand wie bei den Bruderschaften. Dies lässt<br />
den weiteren Schluss zu, dass die europäischen<br />
Steinmetzen auch nicht in der Weise organisiert<br />
waren wie diese Bruderschaften. Derartige und<br />
vermutlich sehr ähnliche Organisationen sind in<br />
Europa bekanntlich erst seit der Mitte des 13. Jhs.<br />
greifbar, wo sie sich Bauhütten nannten.<br />
2.3. Bauweise<br />
Die Bauweise ist immer als drittes Kriterium zur<br />
Beurteilung der armenischen Urheberschaft oder<br />
Beteiligung an einem Bauwerk heranzuziehen. Sie<br />
ist in sich vielfältig, kann aber durch zahlreiche<br />
Merkmale definiert werden. Bis in das 11. Jh. ist<br />
ein Vergleich jedoch nur an kirchlichen Bauten,<br />
danach vorwiegend an Wehrbauten möglich. In<br />
der folgenden Zusammenstellung wird zwangsläufig<br />
Bekanntes teilweise wiederholt. Die wichtigsten<br />
Merkmale sind:<br />
a) Mauerwerk der Wände.<br />
In Altarmenien bestand das konstruktiv wirkende<br />
Quadermauerwerk der Wände aus Vorsatzschalen<br />
dünner oder dicker Steinplatten im Quaderformat<br />
mit glatten Oberflächen und einem Kern aus<br />
Gussmauerwerk verschiedener Art. Diese Bauweise<br />
erlaubte bei Reparaturen den einfachen Austausch<br />
der Platten, ohne dass das zu reparierende<br />
Bauteil insgesamt ersetzt werden musste. Daraus<br />
erklärt sich teilweise die Kontinuität des Aussehens,<br />
aber auch die Schwierigkeit, die Bauphasen<br />
zu datieren. 33 In einigen Gebieten Georgiens wurden<br />
Wände und Gewölbe auch aus Ziegelmauerwerk<br />
errichtet. Die Herkunft dieser Bauweise<br />
kann hier nicht verfolgt werden.<br />
Spätestens in kleinarmenischer Zeit wurde die<br />
zuerst genannte Mauerwerksart durch eine andere<br />
ersetzt. Bei dieser wurden die beiden Sichtseiten<br />
in massivem Quadermauerwerk (Werksteinmauerwerk)<br />
und das Kernmauerwerk aus einheitlich großen<br />
Quadern in einem Arbeitsgang lageweise<br />
gemauert. An den Außenseiten, vor allem bei Profanbauten,<br />
traten an die Stelle der Werksteinquader<br />
häufig auch Rustikaquader, eine größere Gruppe<br />
ohne besonderen Randschlag, die andere mit sauberem<br />
Randschlag. 34 Eine Sonderform der Rustikaquader<br />
bildeten solche mit glatten Randstreifen<br />
und aufgesetzt wirkenden, glatt gearbeiteten Mit-<br />
17<br />
telflächen. Sie werden später machmal, aber nicht<br />
einheitlich, als Spiegelquader bezeichnet.<br />
b) Gewölbekonstruktionen.<br />
Die Regelform eines Gewölbes war das rundbogige<br />
Tonnengewölbe, später auch das spitzbogige. Bei<br />
Tonnengewölben werden alle Lasten, auch die<br />
schrägen und horizontalen Schubkräfte, allein auf<br />
die Seitenwände geleitet, weswegen diese sehr<br />
stark ausgebildet werden mussten. Die Bauweise<br />
der Gewölbeschale war meistens die gleiche wie<br />
die der Wände, in Altarmenien demnach aus Gussmauerwerk<br />
mit einer Vorsatzschale aus dünnen oder<br />
dickeren Steinplatten, später aus massivem, selbsttragenden<br />
Werksteinmauerwerk. Bei diesem waren<br />
die Quaderschichten einheitlich hoch und fast fu -<br />
genlos in regelmäßigem Verband versetzt (Taf. 1).<br />
In kleinarmenischer Zeit wurde das Werksteinmauerwerk<br />
immer häufiger durch Hausteinmauerwerk<br />
ersetzt, in den armenischen Gebieten Nordmesopotamiens<br />
auch durch das dort traditionelle<br />
Ziegelmauerwerk. Dieses wurde sowohl in Ringschichten<br />
als auch in Radialschichten gemauert. 35<br />
33 Eine häufig kontrovers diskutierte Frage betrifft dabei Inschrifttafeln<br />
und Inschriftbänder, die nicht in das umgebende<br />
Mauerwerk zu passen scheinen. Während einige Forscher das<br />
in der Inschrift genannte Datum als Erbauungsdatum der Kirche<br />
akzeptieren, werden derartige Inschriften von anderen<br />
häufig als spätere Kopien oder sogar als Fälschungen betrachtet.<br />
Dieser vielfältigen Diskussion soll an dieser Stelle keine<br />
neue Stellungnahme angefügt werden.<br />
34 Diese wurde im ausgehenden 12. und im 13. Jh. die Standard-<br />
Bauweise im isl - amischen und im christlichen Bauwesen<br />
Syriens und Ägyptens.<br />
35 Bei Gewölben in Ziegelbauweise – und seltener, in Hausteinbauweise<br />
– wurden die meist quadratischen Ziegel der Gewölbeschalen<br />
mit reichlich Mörtel hochstehend in vertikalen,<br />
halbkreisförmigen Schichten (Ringen, richtiger halben Ringen)<br />
gemauert, die parallel zu der Stirnwand eines Raumes<br />
und vertikal zu der Krümmung des Gewölbes standen (Ringschichten).<br />
Das Ansetzen der Steine begann gleichzeitig an<br />
beiden Seiten und wurde von dort aus gleichzeitig bis zum<br />
Scheitel hochgeführt. Da der Mörtel in Nordmesopotamien<br />
häufig Gips enthielt, hafteten die angesetzten Steine schnell an<br />
der zuletzt gemauerten Schicht. Ringschichten-Mauerwerk<br />
konnte daher ohne ein durchgehendes Schalungsgerüst gemauert<br />
werden. Wenn die Steine dagegen in horizontal liegenden<br />
Schichten gemauert wurden, die parallel zu den Seitenwänden<br />
verliefen, lagen sie damit in der jeweiligen Ebene des<br />
Krümmungsradius des Gewölbes (radiale Schichten).
Taf. 1: Tonnengewölbe, einteilig (Edschmiadsin, Gajani-Kirche, 630). –<br />
aus: BRENTJES, Taf. 61.<br />
Taf. 2: Tonnengewölbe, zweiteilig (Hromklay, Nordkirche, Untergeschoß, 12./13. Jh.). – Foto:<br />
Hanisch.<br />
18
Eine weitere Entwicklung stellte die Erfindung<br />
der zweiteiligen Gewölbeschale dar. Bei dieser<br />
wurde der untere Teil, etwa ein Drittel der gesamten<br />
Schale, in horizontalen Schichten im gleichen<br />
Mauerwerk und Verband wie die Wände erstellt<br />
und der darüber liegende Teil in der beschriebenen<br />
Bauweise aus Haustein- oder Ziegelmauerwerk<br />
(Taf. 2).<br />
Spätestens in kleinarmenischer Zeit wurde auch<br />
das Kreuzgewölbe, das in der Spätantike entwickelt<br />
worden war, wieder eingeführt. Kreuzgewölbe<br />
wurden erforderlich, wenn ein Raum mehrere,<br />
sich kreuzende Verkehrsachsen aufnehmen oder,<br />
wenn er durch hochliegende Fenster belichtet werden<br />
sollte. Ihre Bauweise war aufwendig, weil sie<br />
ein volles Schalungsgerüst von großer Maßgenauigkeit<br />
erforderte. Andererseits waren Kreuzgewölbe<br />
wirtschaftlich, weil die Lasten nur noch auf die<br />
Eckpunkte des Raumes abgeleitet wurden und, wenn<br />
mehrere Joche aneinandergereiht waren, ein Teil<br />
der horizontalen Kräfte sich gegenseitig aufhob.<br />
Da durch konnten die Seitenwände eines Raumes<br />
nur noch so stark ausgebildet werden, wie es die<br />
jeweilige Schutzfunktion erforderte, oder sie<br />
konnten sogar ganz weggelassen werden.<br />
Bei Werksteingewölben waren die Steine in den<br />
Graten winkelförmig geformt und griffen im<br />
Wechselverband über die Gratlinine hinweg. Der<br />
Schlussstein bestand meistens aus einem einzigen<br />
Stein in Form eines Griechischen Kreuzes (Taf. 3).<br />
Manchmal wurden die Enden seiner Kreuzarme<br />
winkelförmig ausgeschnitten und der Stein um<br />
45° gedreht. Dadurch wurde er noch besser als<br />
zuvor mit den angrenzenden Schichten verklammert<br />
(Taf. 4). Die Form erinnerte dabei an die<br />
Form des Armenischen Kreuzes, dessen Kreuzarme<br />
in zwei Spitzen auslaufen, die leicht nach<br />
außen gebogen sind und häufig in einem floralen<br />
Ornament enden.<br />
c) Vierungsturm.<br />
Das wichtigste Merkmal der armenischen und<br />
georgischen Kirchen war der Vierungsturm (Taf. 5<br />
und 6). Sein Typus ist vermutlich als die ur -<br />
sprüngliche Form des oberen Abschlusses eines<br />
Bauwerks über einem quadratischen, achteckigen<br />
oder runden Grundriss entwickelt worden, der die<br />
notwendigen Fenster enthielt, bei Grabbauten möglicherweise<br />
auch aus eher semantischen Gründen.<br />
Innen war sein Grundriss meistens achteckig oder<br />
19<br />
rund. 36 Seine senkrechten Lasten wurden zur Hälfte<br />
unmittelbar auf die vier Wände des betreffenden<br />
Bauwerks abgeleitet, zur anderen Hälfte über<br />
Verbindungsglieder, die die Raumecken überbrü ckten.<br />
In der Regel bildete diese Zone ein regelmäßiges<br />
Achteck. Die Verbindungsglieder waren ur -<br />
sprünglich stets Trompen (Taf. 7 ). Erst im späten<br />
Mittelalter traten an ihre Stelle Kugelteilflächen<br />
(Teile einer Hängekuppel, Taf. 8) oder dreiecksförmige<br />
Abstützungen oder Sonderformen davon.<br />
Die nachfolgend angesprochenen Konstruktionen<br />
(Strebenischen, Seitenräume, eingezogene Gewölbebögen)<br />
dienten alle der Ableitung der Lasten aus<br />
den Wänden und der Haube des Turms (Wind -<br />
las ten, Seitenschübe) auf die Wände und Fundamente.<br />
Die Bedachung eines Turmes über polygonalem<br />
oder rundem Grundriss war zwangsläufig polygonal-pyramidenförmig<br />
oder kegelförmig (Taf. 5 und<br />
6). Im iranischen und salˇg - u.kischen Bauwesen<br />
waren diese Turmhauben oft mit einem reichen<br />
Dekor versehen.<br />
Kuppelgewölbe waren in der Regel mehrteilige<br />
Klostergewölbe, die in der oberen Hälfte in eine<br />
Kugelkalotte übergehen (Taf. 7), oder sie bildeten<br />
von vornherein eine Kugelschale (Taf. 8). Sie saßen<br />
entweder unmittelbar auf den Wänden und den<br />
Zwickeln der Vierung auf oder bildeten eine Hängekuppel,<br />
bei der die Fenster dann in die Kuppel<br />
eingeschnitten waren. In den meisten Fällen saßen<br />
sie aber auf einem über der Vierung angeordneten<br />
Tambour, der die notwendigen Fenster enthielt,<br />
wodurch die vorgenannte Turmform entstand. Bei<br />
einem Vierungsturm mussten die Lasten, auch die<br />
schrägen und horizontalen Schubkräfte, allein von<br />
den Wänden des Tambours aufgenommen werden,<br />
weswegen diese sehr stark ausgebildet wurden.<br />
Nur wenn in das Mauerwerk des Tambours Ring-<br />
36 STRZYGOWSKI I, S. 72; S. 460 ff., bezeichnet den eingeschossigen,<br />
über einem quadratischen Grundriss errichteten,<br />
seitlich ausgesteiften (»strahlenförmigen«) und mit einem<br />
Vierungsturm bekrönten Bautyp als die Keimzelle des armenischen<br />
Kirchenbaus. Er leitet ihn aus dem ostiranischen Bauwesen<br />
ab, wo dieser Typus als Wohnhaustyp entstanden sei.<br />
Die für Strzygowskis Werk grundlegende Frage kann hier<br />
nicht weiter erörtert werden.
Taf. 3: Kreuzgewölbe, Schlussstein Griechisches Kreuz (Gazıantep, Zitadelle,<br />
12./13. Jh.). – Foto: Hanisch.<br />
Taf. 4: Kreuzgewölbe, Schlussstein Armenisches Kreuz (Hromklay, Torhalle Tor 6, 12. Jh.). –<br />
Foto: Hanisch.<br />
20
Taf. 5: Vierungsturm mit achtseitiger Turmhaube (Lmbat bei Arthik, 7.<br />
Jh.). – aus: BRENTJES, Taf. 5.<br />
Taf. 6: Vierungsturm mit kegelförmiger Turmhaube (Kars, Apostelkirche,<br />
10. Jh.). – aus: NOVELLO, Taf. 59 oben.<br />
21
22<br />
Taf. 7: Vierungsturm, achtseitiges<br />
Kuppelgewölbe (Odzun, Basilika,<br />
6.-7. Jh. [?]). – aus: NOVELLO,<br />
Taf. 57.<br />
Taf. 8: Vierungsturm, halbkugelförmiges Kuppelgewölbe<br />
(Edschmiadsin, Hripsimekirche, 618). – aus:<br />
BRENTJES, Taf. 41.
Taf. 9: Ausgeschiedene Vierung<br />
(Haghartzin, Hauptkirche des<br />
Klosters, 12./13. Jh.). – aus:<br />
DOCUMENTI I, Abb. 34.<br />
Taf. 10: Strebenischen, Achtpass (Ani, Kirche Gregors<br />
des Erleuchters der Familie Abughamnrenz, ca.<br />
970). – aus: THIERRY, Abb. 89.<br />
23
Taf. 11: Strebenischen an Querhausarmen (Thalin, Kathedrale, 7.-9. Jh.). – aus: BRENTJES,<br />
Taf. 64.<br />
Taf. 12: Gerade Außenfronten mit Dreiecknischen außen (Edschmiadsin, Hripsimekirche,<br />
618). – aus: BRENTJES, Taf. 40.<br />
24
anker (aus Holz) eingelegt waren, konnte ihre<br />
Mauerstärke vermindert werden.<br />
d) Ausgeschiedene Vierung.<br />
Wenn der Raum unter einem Vierungsturm nach<br />
den Seiten fortgesetzt werden sollte, wurden die<br />
seitlichen Umfassungswände in Bogenöffnungen<br />
über Pfeiler- oder Säulenvorlagen umgewandelt.<br />
Die ursprünglichen, lastabtragenden Wände wurden<br />
auf eine schmale Zone über dem Bogen und<br />
auf die seitlichen Wandvorlagen reduziert (Taf. 9).<br />
Manchmal bestand dieser Bogen aus zwei oder drei<br />
übereinander liegenden Bögen. Da die seitlichen<br />
Wandvorlagen dabei als Bestandteile des Vierungspfeilers<br />
empfunden werden, entsteht der<br />
Eindruck, als ob zwischen der Vierung und den<br />
Vierungsarmen in der oberen Zone Bogenwände<br />
eingezogen worden wären, wodurch die Vierung<br />
aus dem Gesamtbauwerk »ausgeschieden« wirkt.<br />
Eine ausgeschiedene Vierung deutet immer auf die<br />
Absicht hin, diese mit einem Turm oder einer<br />
Kuppel zu überdecken.<br />
Die in Europa häufige Form der Überdeckung einer<br />
Vierung mit einem Kreuzgewölbe scheint in<br />
Armenien nicht nachweisbar zu sein.<br />
e) Strebenischen.<br />
Das zweite charakteristische Merkmal vieler armenischer<br />
und georgischer Kirchen waren die Strebenischen.<br />
Die Strebenische ist wie eine Apsis ausgebildet,<br />
die an die Seite eines tonnengewölbten<br />
Bauteils angefügt ist (Taf. 10). Sie war statisch<br />
erforderlich, um dieses Bauteil horizontal auszusteifen<br />
und die horizontalen Kräfte abzuleiten.<br />
Strebenischen wurden daher in der Regel bei Zentralbauten<br />
mit Vierungsturm verwendet, aber<br />
auch in vielfältiger Weise an Bauten mit anderen<br />
Grundrissformen. Dabei entstanden im Grundriss<br />
Vierpässe, Sechspässe und Achtpässe. Eine besondere<br />
Form stellten Strebenischen an den Kopfseiten<br />
von Querschiffen dar (Taf. 11). Außen treten<br />
Strebenischen entweder als eigene Baukörper in<br />
Erscheinung, die im Grundriss halbrund oder<br />
polygonal sind, oder sind in den umschließenden<br />
Kubus einbezogen. In diesem Fall wurden in die<br />
Wandflächen der Außenwände zwischen ihnen<br />
und den angrenzenden Bauteilen (Nebenapsiden<br />
oder anderen Räumen) gewölbte Wandnischen über<br />
einem dreieckigen Grundriss eingefügt (Taf. 12).<br />
25<br />
f) Stufenförmig eingezogene Gewölbeschalen in Bögen<br />
und Seitengewölben.<br />
Häufig wurden beim Anschluss eines Seitenraums<br />
oder eines Jochs an einen Zentralraum, dessen Vierung<br />
nicht ausgeschieden war, seine Seitenwände<br />
und sein Gewölbe gegenüber der Flucht der Pfeiler<br />
und das Bogens geringfügig zurückgesetzt und<br />
nach innen gezogen (Taf. 7 und 8). Statisch wurde<br />
damit die aussteifende Wirkung des als horizontales<br />
Stützelement wirkenden Seitenraums erhöht.<br />
Auch wenn sich auf beiden Seiten einer Bogenöffnung<br />
gleich breite und gleich hohe Räume oder<br />
Joche befanden, wurde der mittlere Teil eines<br />
Bogens entsprechend eingezogen, wodurch an den<br />
Pfeilervorlagen und unter dem Bogen ein engerer<br />
Bogen zustande kam. Bei beiden Konstruktionen<br />
waren demnach nicht ästhetische, sondern konstruktive<br />
Gründe ausschlaggebend. Durch die Anordnung<br />
eines zweiten Bogens unter dem eigentlichen<br />
Bogen wurde dessen Spannweite verkürzt.<br />
Vor allem erhielt der Bogen eine für die Ausbildung<br />
der »Stützlinie« günstigere Form. 37<br />
g) Eingeschnittene Nischengewölbe innen.<br />
Da bei niedrigen Tonnengewölben rundbogig<br />
gewölbte Nischen für Türen, Fenster und Schießscharten<br />
häufig in die Gewölbe einschnitten, bildete<br />
die Schnittlinie zwischen diesen beiden ge -<br />
krümmten Flächen eine gekrümmte Ellipse.<br />
Wenn Seitenwände und Wölbung der Nischen in<br />
Werksteinmauerwerk, die Gewölbeschale aber aus<br />
Haustein ausgeführt waren, reichte der aus Werksteinen<br />
gebildete Gewölbebogen der Nische in die<br />
aus Haustein gebildete Fläche der Gewölbeschale<br />
hinein (Taf. 13). Obwohl diese Konstruktion ebenso<br />
aufwendig ist wie bei einem reinen Werksteingewölbe,<br />
wurde sie regelmäßig angewendet, wahr-<br />
37 In der modernen Festigkeitslehre ist die »Stützlinie« in einem<br />
bogenförmig gekrümmten Tragelement eine parabelförmige<br />
Linie, die den tatsächlichen Spannungsverlauf ausdrückt. Sie<br />
muss immer innerhalb des Bauteils liegen. Falls sie an einer<br />
Stelle außerhalb von diesem zu liegen käme, würde dies<br />
bedeuteten, dass dort die Spannungen nicht mehr aufgenommen<br />
werden können. In diesem Fall käme es an dieser Stelle zu<br />
einer Ausbeulung, einer Absprengung der Kanten oder zum<br />
Bruch (Riss).
Taf. 13: Eingeschnittene Nischengewölbe innen ( .Harr - an, Zitadelle, südöstliche Kurtinengalerie,<br />
12. Jh.). – Foto: Hanisch.<br />
Taf. 14: Rundbogenfriese außen (Gesimse), (Mastara, Johannes -<br />
kirche, 6. Jh. [?]). – aus: THIERRY, Abb. 36.<br />
26
scheinlich, weil Türen und Schießscharten eine<br />
Mindesthöhe haben mussten, die höher war als der<br />
Gewölbeansatz, und weil der noch größere Aufwand<br />
für ein höher ansetzendes Gewölbe vermieden<br />
werden sollte. Dies ist eines der prägnantesten<br />
Merkmale der Bauten aus kleinarmenischer Zeit.<br />
h) Wandgliederung außen durch rundbogige Blend -<br />
nischen.<br />
Eine Blendnische in einer Wand war ursprünglich,<br />
statisch gesehen, nicht eine Aussparung in der<br />
Wand, d. h. eine Verminderung der Wandstärke<br />
oder gar eine optische Gliederung. Vielmehr war<br />
in diesem Fall der Querschnitt der Wand, der für<br />
Aufnahme der vertikalen Lasten ausreichend be -<br />
messen gewesen wäre, in den Zonen, in denen außerdem<br />
auch horizontale Lasten (Windkräfte, Schubkräfte)<br />
aufgenommen werden mussten, verstärkt.<br />
Dies waren die Zone, in der innen das Gewölbe<br />
ansetzt, und die seitlichen Zonen, in denen die<br />
Quersteifigkeit hergestellt werden sollte, be son -<br />
ders wenn sie zu Gebäudeecken gehörten. 38 In den<br />
überwiegenden Fällen haben die erhaltenen Blendnischen<br />
und Blendnischenreihen armenischer und<br />
georgischer Kirchen jedoch nur noch dekorativen<br />
Charakter, besonders, wenn sie an Außenwänden<br />
angeordnet sind, die keine oder nur geringe, horizontalen<br />
Kräfte aufnehmen müssen. Der dekorative<br />
Charakter wird häufig dadurch betont, dass in<br />
die Seiten einer Nische Säulen oder Halbsäulen<br />
mit dem dazugehörigen Bogen eingestellt sind,<br />
die manchmal auch reich ornamentiert wurden.<br />
i) Wandgliederung außen durch Rundbogenfriese.<br />
Die Verstärkung einer Wand im oberen Viertel<br />
diente vermutlich ebenfalls der Vergrößerung des<br />
horizontalen Querschnitts der Wand, um die schrägen<br />
und horizontalen Lasten aus einem Ge wölbe<br />
besser verteilen zu können (Taf. 6; 10; 11). Wenn<br />
nicht schon der Wandabschnitt über einer Blendnische<br />
diese Verstärkung bewirkte, wurde sie in<br />
den meisten Fällen durch eine Verbreiterung des<br />
Dachgesimses hergestellt. Dieses bestand meistens<br />
aus einer oder aus mehreren, schichtweise auskragenden<br />
Mauerwerksschichten. In besonderen Fällen<br />
war es aber auch mit Reliefs von floralen oder<br />
abstrakten Ornamenten bedeckt. 39 In antiker Tradition<br />
stehen jedoch die im Zahnschnitt ausgebildeten<br />
Kranzgesimse, deren vorspringende, vier -<br />
eckige Zacken vielleicht ursprünglich als Balken -<br />
enden verstanden wurden. 40 Von diesen dürften<br />
27<br />
sich die Rundbogenfriese ableiten, möglicherweise<br />
in Verbindung mit einer Blendbogenreihe, die<br />
ursprünglich ja die gleiche, technische Funktion<br />
hatte (Taf. 14). Rundbogenfriese der in Europa<br />
geläufigen Form, die vor allem Wandflächen gliedern,<br />
scheinen in Armenien nicht angebracht worden<br />
zu sein.<br />
j) Stufenportale.<br />
Der Typus des Stufenportals in einfacher, einstufiger<br />
oder auch mehrstufiger Form scheint eine<br />
Übertragung einer Blendnische auf eine Türöffnung<br />
gewesen zu sein (Taf. 15). Für die Ausbildung<br />
seiner Gewände und Archivolten scheint es<br />
keine konstruktiven Gründe gegeben zu haben.<br />
Die häufige Ausgestaltung der meisten Stufenportale<br />
mit kunstvoll verzierten Säulen und Archivolten<br />
und die Ausstattung der Wandfläche über dem<br />
Türsturz mit einem figürlichen Tympanon hatte<br />
über den dekorativen Charakter hinaus vermutlich<br />
eine ausgeprägte semantische Funktion. In isl - amischen<br />
Bauten etwa nach 1200 werden aufwendig<br />
gestaltete Gebetsnischen (mi.hr - ab) häufig wie Stufenportale<br />
ausgebildet.<br />
k) Rundbogige Fenster und Türen.<br />
Der Typus der rundbogigen Wandöffnung wurde<br />
bekanntlich bereits in der Spätantike entwickelt.<br />
Der steinerne Rundbogen war die Regel-Form für<br />
die Lastabtragung in den Fällen, in denen eine<br />
Überdeckung mit einem geraden Sturz nicht möglich<br />
oder nicht ausreichend war. Auch wo bei<br />
Türen horizontale Stürze verwendet wurden, wurde<br />
38 Die souveräne Anwendung dieses Verstärkungsprinzips kann<br />
man auch in den Wandgliederungen der almohadischen Bauten<br />
in Andalusien beobachten, hier sogar auch bei ihrer Übertragung<br />
auf die Gewölbefelder. Den Höhepunkt dieser Baukunst<br />
bildet die Torre del Oro in Sevilla. Die Konstruktionsweise<br />
der Gewölbe hat i. Ü. in den in Spanien zuerst auftretenden<br />
Vorformen des gotischen Netz- und Sterngewölbes<br />
seine Fortsetzung gefunden. Dagegen wurde die Verstärkung<br />
der Seitenzonen einer Außenwand bekanntlich in der Gotik<br />
durch die rigorose Form des Strebepfeilers ersetzt.<br />
39 An der Heilig-Kreuz-Kirche in Achtamar, 915-921, sogar mit<br />
einem um eine Kuppel umlaufenden Zug von Rindern.<br />
40 STRZYGOWSKI I, S. 435; s. dazu u.: Beispiel Nr. 10: Ehemalige<br />
Pfalzkapelle Karls des Großen in Aachen.
Taf. 15: Stufenportal (Ketcharis, Gregorskirche, 11. Jh.). – aus: DOCUMENTI II, Abb. 10.<br />
Taf. 16: Rundfenster (Ani, Kathedrale, Südfassade, 989-1001). – aus: THIERRY, Abb. 84.<br />
28
über einem derartigen Sturz häufig ein rundbogiger<br />
Entlastungsbogen angeordnet. Dies zeigt, dass<br />
der Rundbogen die einzige technische Form war,<br />
mit der man größere, vertikale Lasten über Öffnungen<br />
unbedenklich auf die Auflager und die<br />
Fundamente umleiten konnte.<br />
l) Rundfenster.<br />
In Armenien und Georgien wurden Rundfenster,<br />
vor allem in der Frühzeit, als Lichtquellen ge -<br />
wählt, wenn der Lichtbedarf klein war oder wenn<br />
er durch die Aneinanderreihung mehrerer Rundfenster<br />
gedeckt werden konnte. In der Regel wurde<br />
die in sich schon dekorative Rundform durch<br />
trichterförmige und meistens auch stufenförmige<br />
Ausbildung der Gewände und durch eine Umrahmung<br />
mit Schmuckbändern gesteigert (Taf. 16).<br />
m) Kapitelle.<br />
Die Formen armenischer Kapitelle waren zahlreich<br />
und meistens auch ungewöhnlich. Häufig<br />
wurden freie Einzelformen zu komplizierten Kompositkapitellen<br />
zusammengesetzt, deren tektonische<br />
Funktion nicht immer deutlich wird. Antikisierende<br />
Blatt- oder Volutenkapitelle waren selten.<br />
Eine ältere, dekorative, wahrscheinlich semantische<br />
Form stellen die Adlerkapitelle dar (Taf. 17).<br />
Eine eindeutig funktionelle Form hat jedoch das<br />
Würfelkapitell, das meistens in Verbindung mit<br />
in Blendnischen eingestellten Säulen verwendet<br />
wurde. Es stellt auf geometrisch einfache Weise<br />
den Übergang zwischen dem kreisrunden Säulenquerschnitt<br />
und dem rechteckigen Kämpfer oder<br />
einem ähnlichen Bauglied dar (Taf. 18). Dies wird<br />
auch daran deutlich, dass es nicht nur als Einzelkapitell<br />
verwendet wurde, sondern auf einem einzigen<br />
Stein auch paarweise oder zu dritt nebeneinander.<br />
Die geometrische Form des Würfelkapitells scheint<br />
einem allgemeinen Wesensmerkmal armenischer<br />
Bauweise zu entsprechen, die immer auf klare,<br />
geradezu prismatisch einfache Körper ausgerichtet<br />
war und ihre deutlichste Ausprägung in der prismatischen<br />
Gestalt der Bauten selbst gefunden hat.<br />
n) Säulenbasen.<br />
Säulenbasen wurden häufig ebenso fantasiereich<br />
wie heterogen gestaltet wie viele Kapitelle. Neben<br />
Basen, die wie entsprechende Kapitelle Kompositbasen<br />
waren, deren tektonische Funktion wie dort<br />
29<br />
nicht immer erkennbar ist (Taf. 19), wurden funktionell<br />
verständliche Basen in Form mehrerer,<br />
übereinander angeordneter Schichten und Rundwulste<br />
verwendet. Die klassische, attische Basis<br />
scheint jedoch selten gewesen zu sein. Häufig<br />
waren Basen, deren hauptsächlicher oder einziger,<br />
unterer Rundwulst etwas nach unten gedrückt ist<br />
(Taf. 20). Eine Besonderheit bildeten bei wulstund<br />
polsterförmigen Basen zungenförmige Eck -<br />
zieren, die in den Diagonalen eine Verbindung zu<br />
den Ecken der quadratischen Plinthe herstellten<br />
(Taf. 19).<br />
Bei Säulen mit Würfelkapitellen entspricht dem<br />
Würfelkapitell häufig auch die umgekehrte Form<br />
einer würfelförmigen Basis (Taf. 21).<br />
o) Bandornamente.<br />
Zahlreich und abwechslungsreich waren Bandornamente.<br />
Mit ihnen wurden Tür- und Fensterrahmen,<br />
Friese, Katschkare 41 und manchmal auch<br />
Wandflächen überzogen (Taf. 22). Neben rein geometrischen<br />
Mustern, die aus der Aneinanderreihung<br />
polygoner Gebilde bestehen, sind Blattornamente<br />
mit meist antikisierenden, floralen Motiven,<br />
Kissenornamente und Flechtbandornamente<br />
hervorzuheben. Blattornamente bestanden häufig<br />
aus Weinblattranken mit Weintrauben, häufig in<br />
gegenständiger Anordnung. Kissenornamente be -<br />
standen aus einer Aneinanderreihung kleiner,<br />
zusammengedrückter Polster. 42 In Flechtbandornamenten<br />
waren häufig mehr als zwei oder drei<br />
41 Katschkare waren hochrechteckige, meist freistehende, aber<br />
auch in Felswände eingearbeitete Steinplatten, die in der Mitte<br />
ein großes, erhaben gearbeitetes, »Armenisches Kreuz« enthalten.<br />
Bei diesem waren die Kreuzarme meistens in zwei<br />
Spitzen aufgespalten, die häufig floral endeten. Rahmen und<br />
Grundflächen der Kreuzsteine waren fast immer mit reichem<br />
Dekor verschiedenster Muster versehen. Katschkare waren<br />
religiöse Stiftungen aus persönlichen Anlässen der Stifter,<br />
manchmal auch Grabsteine. Sie haben im religiösen Leben der<br />
Armenier eine große Rolle gespielt.<br />
42 Das bekannteste Beispiel für dieses Ornament befindet sich an<br />
der Grabeskirche in Jerusalem auf dem Bogen des Doppelportals<br />
von ca. 1145. Dass dieses in armenischer Bautradition stehen<br />
dürfte, zumal die Armenische Kirche ein Besitzrecht an<br />
der Kirche hatte, zeigt auch ein etwas späteres, aber bescheideneres<br />
Beispiel in der Zitadelle von .Harr - an; s. dazu u.: Beispiel<br />
4: .Harr - an, c) Nordwestgalerie.
30<br />
Taf. 17: Adlerkapitel (Kutaisi, Gottesmutterkirche,<br />
Wende vom 10. zum 11. Jh.). – aus: BERIDSE –<br />
NEUBAUER, Abb. 83.<br />
Taf. 18: Würfelkapitel (Jeghward, Sora -<br />
warkirche, 7. Jh.). – aus: BRENTJES,<br />
Taf. 6.
Taf. 19: Kompositkapitel/Polsterkapitel<br />
und Kompositbasis/Polsterbasis<br />
(Sanahin, ca. 966). – aus: BRENT-<br />
JES, Taf. 113.<br />
Taf. 20: Polsterförmige Basis (Zwarthnoz, Kathedrale, 7. Jh.). – aus: BRENTJES, Taf. 47.<br />
31
Taf. 21: Würfelförmige Basis (Zwarthnoz, Kathedrale, 7. Jh.). – aus: BRENTJES, Taf. 49.<br />
Taf. 22: Bandornament (Ani, Kathedrale, Außenfassade, 989-1001). – aus: THIERRY, Abb. 83.<br />
32
Taf. 23: Figürliche Bauskulptur<br />
außen, armenische Ausbildung<br />
(Hachpank, Heilig-Kreuz-Kirche,<br />
977-991). – aus: BRENTJES, Taf.<br />
117.<br />
Taf. 24: Figürliche Bauskulptur außen, byzantinische<br />
Ausbildung (Achtamar, Heilig-Kreuz-Kirche, 915-<br />
921). – aus: BRENTJES, Taf. 93.<br />
33
Bänder miteinander verflochten. Daneben gab es<br />
auch solche, bei denen die Bandstreifen gerade und<br />
dann kantig verflochten waren, so dass diese Bänder<br />
wie geschmiedete Ketten aussahen (Taf. 19).<br />
p) An den Außenwänden eingefügte Skulpturen.<br />
Zahlreiche Kirchen waren außen mit erhaben gearbeiteten<br />
Skulpturen geschmückt. Dargestellt wurden<br />
Christus und Maria, Engel, Stifter sowie Kreuze,<br />
aber auch Tiere aller Art. Meistens sind sie<br />
symmetrisch angeordnet und stehen damit in Beziehung<br />
zueinander. Besonders auffällig sind sie, wenn<br />
sie als Einzelfiguren angebracht sind, wodurch sie<br />
isoliert, aber zugleich besonders hervorgehoben<br />
wirken. Die Einzelformen sind im Umriss meistens<br />
archaisch einfach und durch Linien wenig<br />
durchgezeichnet, treten aber kräftig vor die Wand -<br />
fläche vor und wirken trotz ihrer geringen Größe<br />
monumental (Taf. 23). Beispiele ausgesprochen<br />
byzan tinischer Prägung bilden eine Ausnahme<br />
(Taf. 24).<br />
*<br />
Armenische Grundrissformen werden hier nicht<br />
besprochen, weil sie in den lateinischen Westen<br />
nur selten transferiert wurden und weil der römischkatholische<br />
Ritus meistens die längsorientierte<br />
Grundrissform erforderte. Wo in Europa in Einzelfällen<br />
kreuzförmige oder mit seitlichen Strebenischen<br />
ausgestattete Zentralbauten errichtet wurden,<br />
kann man als Raumfunktion jedoch meistens den<br />
Ritus einer Ostkirche, entweder den griechischorthodoxen<br />
oder auch den armenischen Ritus an -<br />
nehmen. Dies zu klären, bleibt anderen Untersuchungen<br />
vorbehalten.<br />
Die für die romanische Baukunst in Europa typische<br />
Ausstattung vieler Kirchen mit einem Westwerk<br />
oder einem Westturm oder mit einem oder<br />
mehreren Turmpaaren ist im armenischen Kirchenbau<br />
nicht vorgezeichnet. Glockentürme wurden<br />
hier, anders als in Syrien, offenbar erst seit<br />
dem 12. Jh. und dann auch meist in Verbindung<br />
mit einer westlichen Vorhalle und in niedriger<br />
Höhe errichtet. 43<br />
34<br />
II.<br />
BEISPIELE<br />
Es folgen nun Beispiele in Form kurzer Beschreibungen<br />
einzelner Bauten. Sie wurden ausgewählt,<br />
weil sie ein oder mehrere Merkmale der im ersten<br />
Kapitel beschriebenen Bauweisen aufweisen, und<br />
somit für das armenische Bauwesen charakteris tisch<br />
sind, und weil sie außerdem mit einer armenischen<br />
Maßart geplant und ausgeführt wurden. Die baulichen<br />
Merkmale werden jeweils mit den vorgenannten<br />
Bauweisen verglichen. In Einzelfällen werden<br />
auch Steinmetzzeichen zur Ergänzung dieses<br />
Nachweises analysiert. Der Weg der Analyse und die<br />
dabei gewonnenen Erkenntnisse sollen zunächst an<br />
zwei Bauten erläutert werden, die durch Inschriften<br />
als Werke armenischer Auftraggeber gesichert sind.<br />
1. Barba’ron, 44 Schlosskirche und Osthalle des<br />
Palastes<br />
Der Burgplatz von Barba’ron war wahrscheinlich seit<br />
Mitte des 12. Jhs. im Besitz der Hethumiden. 45 Die<br />
schlossartige Burg liegt auf dem Plateau eines isoliert<br />
stehenden, tafelbergförmigen, an allen Seiten senkrecht<br />
abfallenden Berges in den östlichen Vorbergen<br />
des Taurus (Taf. 25). Sie nimmt dort die Nordwest-<br />
Ecke mit freier Aussicht auf die umliegenden Täler<br />
ein. Weitgehend erhalten sind der zweigeschossige<br />
Palast mit reichem Baudekor im Inneren und in<br />
Resten eine zweigeschossige Halle an seiner Ostseite<br />
sowie die Ostseite der Schlosskirche (Taf. 26).<br />
Die ehemals dreischiffige Schlosskirche (Abb. 5)<br />
wurde nach einer heute verlorenen Bauinschrift 46<br />
43 Eine Ausnahme bildet der freistehende, achteckige Glockenturm<br />
der ehemaligen armenischen Kathedrale von Edessa,<br />
türk. ¸Sanlıurfa, an deren Stelle heute die Große Moschee steht.<br />
44 Türk. Çandır Kalesı, Prov. Mersin; Beschreibung bei HELLEN-<br />
KEMPER I, S. 238; EDWARDS II, S. 102 ff.<br />
45 Armenisches Fürstengeschlecht in Kleinarmenien, das bis zur<br />
Er hebung Hethums I. 1226 zum König des Königreichs S - ı sian<br />
(Kleinarmenien) in Konkurrenz zu dem regierenden Geschlecht<br />
der Rubeniden (s.u.) gestanden hatte.<br />
46 GOTTWALD, S. 95 f.
Taf. 25: Barba’ron, Schloss des Connétable Smpat, Ansicht von Westen. – Foto: Hanisch.<br />
Taf. 26: Barba’ron, Schlosskirche des Connétable Smpat, Ostseite von Westen. – Foto:<br />
Hanisch.<br />
35
Abb. 5: Barba’ron, Schlosskirche, Grundriss, M 1:200.<br />
im Jahr 1251 durch den Connétable Smpat errichtet.<br />
47 Gewölbe sind nicht erhalten. Auch andere<br />
besondere Merkmale der Bauweise können auf<br />
Grund des ruinenhaften Zustands der Kirche nicht<br />
erläutert werden. Der Baudekor, von dem sich an<br />
der Südseite der Kirche Reste erhalten haben,<br />
muss sehr reich gewesen sein. Er weist aber durchwegs<br />
Formen auf, die eher aus der gleichzeitigen,<br />
salˇg - u.kischen Baukunst bekannt sind. Dies wirft<br />
die Frage auf, ob diese nicht auf armenische<br />
Ursprünge zurückgehen.<br />
Von der Osthalle des Palastes war bis 1997 die<br />
südliche Pfeilerreihe mit den Gewölbebögen er -<br />
halten. Das Gewölbemauerwerk bestand unten aus<br />
dem gleichen Werksteinmauerwerk wie die Pfeiler<br />
und darüber aus Hausteinmauerwerk und entsprach<br />
der erwähnten, in dieser Zeit verbreiteten Bauweise<br />
(s. o., I, 2.3. b, Abs. 2). 48<br />
In beiden Bauten war die verwendete Maßart der<br />
0,3206 m lange Fuß mit seiner Unterteilung in 12<br />
Unzen. Diese Feststellung erscheint selbstverständlich,<br />
ist aber gerade deshalb ein sicherer Beleg für ihre<br />
Verwendung. Daraus kann im Hinblick auf die Bauherrschaft<br />
des armenischen Fürsten gefolgert werden,<br />
dass beide Bauten ebenso selbstverständlich auch von<br />
armenischen Bauhandwerkern errichtet wurden.<br />
Die Ostseite der Kirche ist 22 Fuß (7,03 m) lang. Die innere Breite<br />
beträgt 20 Fuß (ca. 6,40 m), die Breite der Apsis und der nördlichen<br />
Kapelle je 8 Fuß (2,55 m), die der südlichen Apsis 6 Fuß<br />
(1,92 m) und die der Chorpfeiler je 3 Fuß (0,96 m). 20 Fuß und 8<br />
36<br />
Fuß sind in armenischen Bauwerken häufig wiederkehrende<br />
Abmessungen, vor allem von gewölbten Räumen. Sie waren wahrscheinlich<br />
auf Grund einer erprobten Statik Standardabmessungen.<br />
Neben der Bemessung in ungeteilten Fuß wurden die inneren<br />
Bauteile an vielen Stellen auch in Unzen bemessen.<br />
Die Abmessungen der Osthalle werden hier nicht wiedergegeben.<br />
Steinmetzzeichen wurden an der Kirche nicht beobachtet.<br />
An der Osthalle finden sich jedoch zahlreiche<br />
Zeichen. Sie erinnern an frühe Formen der »arabischen«,<br />
d. h. indischen, Ziffern 4 und 6 und können<br />
Zeichen einer kryptographen Schriftart sein.<br />
2. Anawarz, 49 Sperrturm<br />
Die ausgedehnte Burg von Anawarz liegt auf einem<br />
isolierten, nach allen Seiten, außer nach Süden,<br />
schroff abfallenden Bergmassiv inmitten der kilikischen<br />
Ebene (Taf. 27). Sie war bis 1187 der Sitz<br />
der Fürsten von Kleinarmenien aus dem Haus der<br />
Rubeniden, 50 die damals ihren Regierungssitz nach<br />
47 Smpat »der Konstabler«, d. h. der oberste, königliche Beamte<br />
(1208-1277), Bruder Hethums I., bekannt durch seine Gesandtschaftsreise<br />
an den Hof des mongolischen Großkhans<br />
Göyük 1248-1250 und durch seine Chronik. Am Hof des<br />
Großkhans wurde ihm vermutlich als Ehrengabe eine Frau<br />
geschenkt, die er heiraten musste. Die o. a. Inschrift scheint zu<br />
besagen, dass er die Kirche als Sühne für diese nach christlichem<br />
Recht unzulässige Zweitheirat errichtet habe.<br />
Mit seiner Gesandtschaft hatte Smpat den Vertrag zur Anerkennung<br />
der Weltherrschaft des Großkhans durch Armenien<br />
vorbereitet, den Hethum I. dann anlässlich seiner eigenen<br />
Reise 1253-1254 mit dem Großkhan Mönké abschloss. Dieser<br />
Staatsvertrag leitete den großen Feldzug der Mongolen 1256-<br />
1260 ein, durch den die isl - amischen Reiche zerstört und die<br />
christliche Herrschaft im Heiligen Land wieder aufgerichtet<br />
werden sollte (DÉDÉYAN, S. 98 f.).<br />
48 1998 stürzte diese Pfeilerreihe bei einem Erdbeben um.<br />
49 Auch Anazarp, türk. Anavarza Kale, Prov. Adana; Beschreibung<br />
bei HELLENKEMPER I, S. 199 f., S. 291; HELLEN-<br />
KEMPER II, Teil I, S. 184; EDWARDS II, S. 65 ff.<br />
50 Das erste Fürstengeschlecht in Kleinarmenien. Lewon (Leon)<br />
II. wurde nach verschiedenen, diplomatischen Vorstößen 1199<br />
durch Konrad, Bischof von Hildesheim, dem Kanzler Kaiser<br />
Heinrichs VI. und im Beisein des päpstlichen Legaten Konrad<br />
von Wittelsbach, Erzbischof von Mainz, mit einer Krone, die<br />
ihm von Heinrich VI. übersandt worden war, zum König von<br />
Armenien (S - ısian) gekrönt, das er damit vom Kaiser als Lehen<br />
empfing. Das kilikische Armenien wurde damit – vorübergehend<br />
– römisch-deutsches Reichsgebiet.
Taf. 27: Anawarz, Gesamtansicht von Süden. – Foto: Hanisch.<br />
Taf. 28: Anawarz, Sperrturm, Ansicht von Süden. – Foto: Hanisch.<br />
37
Sis 51 verlegten. Sie blieb auch weiterhin in armenischem<br />
Besitz. Sie bestand aus einer ebenen, fast<br />
rechteckigen Unterburg im Süden und einer schma -<br />
len, dem Felsausläufer folgenden Oberburg im<br />
Norden. An der engsten, nur ca. 17 m breiten<br />
Stelle zwischen Unterburg und Oberburg, an der<br />
an beiden Seiten die Felsen 200 m tief, an der<br />
Westseite sogar absolut senkrecht abfallen, steht<br />
zwischen zwei künstlichen Felsgräben der be -<br />
rühmte Sperrturm, der gewöhnlich, aber irrigerweise<br />
als Donjon bezeichnet wird. 52 Außerdem<br />
sind der Kurtinenkranz der gesamten Burg mit<br />
mehreren Türmen, ein Teil der Burgkapelle der<br />
Unterburg, der Torbau der Oberburg, die Kapelle<br />
der Oberburg und zahlreiche weitere Bauwerke<br />
weniger klarer Zweckbestimmung in der Oberburg<br />
erhalten.<br />
Der Sperrturm (Abb. 6, Taf. 28) wurde nach der<br />
erhaltenen Bauinschrift durch Lewon II., den späteren<br />
König Lewon I., im Jahr 1188 errichtet. 53<br />
Damals war er ein nach Norden und nach oben zu<br />
offener Zwinger. Er bestand an der Südseite aus<br />
einer hohen, eingeschossigen Schildmauer mit<br />
zwei großen Schießkammern und vermutlich<br />
einem darüber liegenden Wehrgang, an der Westseite<br />
aus dem erhaltenen Torbau und an der Ostseite<br />
aus einer Flügelmauer mit einer kleineren<br />
Schießkammer. In einem zweiten Bauabschnitt<br />
wurden die heutige, starke Mittelwand eingezogen<br />
und über den großen Schießkammern und<br />
einem Teil des bisherigen Innenhofs die heutigen<br />
beiden Obergeschosse mit ihrer Dachplattform<br />
errichtet. Im Inneren der Mittelwand lag die Treppe,<br />
die jedoch nur die Obergeschosse verband. Da<br />
der Zugang zu den Schießkammern des Erdgeschosses<br />
durch die neue Zwischenwand versperrt<br />
war und auch nicht durch eine Treppe von oben<br />
hergestellt werden konnte, wurden die Kammern<br />
mit überschüssigem Baumaterial zugeschüttet. 54<br />
Gleichzeitig wurden auf dem nördlichen Teil des<br />
bisherigen Innenhofs die beiden eingeschossigen<br />
Hallen angebaut, über deren Dachfläche der Zu -<br />
gang zu dem neuen 2. Obergeschoss erfolgte. 55<br />
Die Gewölbe der Torkammer des 1. Bauabschnitts<br />
und der angebauten, nördlichen Halle des 2. Bauabschnitts<br />
sind spitzbogige Tonnengewölbe aus<br />
Werksteinmauerwerk, das Gewölbe der angebauten<br />
inneren Halle ein halbes Tonnengewölbe, das<br />
an die eingezogene Mittelwand angelehnt ist. Alle<br />
drei Gewölbe werden in den Achsen durch gleichartige<br />
Tonnengewölbe gekreuzt. Die Vierungen<br />
38<br />
der Torkammer und der nördlichen Halle sind demnach<br />
ganze Kreuzgewölbe, 56 die halbe »Vierung«<br />
der inneren Halle ein halbes Kreuzgewölbe. Die<br />
Schlusssteine haben bei diesem die Form eines<br />
halbierten und bei dem äußeren Gewölbe die des<br />
vollständigen Griechischen Kreuzes. Diese Bauweise<br />
ist typisch für anspruchsvolle, armenische<br />
Gewölbe (s. o., I, 2.3. b, Abs. 3 und 4). Die Verwendung<br />
von ungeteilten Fußmaßen und dem<br />
zehnfachen Vielfachen von Unzen lässt sich am<br />
Sperrturm noch deutlicher zeigen als am vorigen<br />
Beispiel.<br />
Die Länge der Südfront scheint sich aus der Addition der Einzelmaße<br />
mit 36 Fuß (ca. 11,54 m) zu ergeben. Der westliche Torbau<br />
ist 18 Fuß (5,785 m) tief. Die Seiten der Vierung der Torkammer<br />
sind 8 Fuß (2,56 m) lang. Die Schießkammern sind ca. 8 Fuß<br />
(2,53 und 2,545 m) breit, ihre Zwischenwand ca. 4 Fuß (1,23 und<br />
1,27 m) stark. Die eingezogene Mittelwand der zweiten Bauphase<br />
51 Türk. Kozan, Prov. Adana.<br />
52 HELLENKEMPER I, S. 199 f.; EDWARDS I; EDWARDS II,<br />
S. 68 ff. Die Beschreibungen und Annahmen der beiden Forscher<br />
werden im Folgenden berichtigt.<br />
53 HELLENKEMPER I, S. 291, mit der Übersetzung.<br />
EDWARDS II, S. 68, hält diese erste Bauphase irrtümlich für<br />
ein Werk der Kreuzritter aus den ersten Jahren des 1. Kreuzzugs.<br />
54 HELLENKEMPER I, S. 199, und EDWARDS II, S. 69, interpretieren<br />
diesen Befund irrtümlich als Reparaturmaßnahme<br />
nach einem Erdbeben.<br />
55 Die nachträgliche Einwölbung ursprünglich offener Zwinger<br />
findet sich auch an mehreren Bauwerken der Klosterfestung<br />
Hromklay (türk. Rumkale, Prov. Gazıantep, s. HANISCH<br />
VIII, S. 18, S. 27 f. u. S. 30). Sie scheint eine allgemeine Tendenz<br />
widerzuspiegeln, nach der bisher oben offene Räume oder<br />
Straßen nachträglich eingewölbt wurden (HANISCH II, S. 93<br />
ff. [Exkurs]).<br />
56 Die Vierung des nördlichen Gewölbes ist an der Ostseite von<br />
dem weiterlaufenden Tonnengewölbe durch einen Gurtbogen<br />
aus drei nebeneinander liegenden Rundwülsten geschieden.<br />
EDWARDS II, S. 70, hält diesen irrtümlich ebenfalls für ein<br />
Werk der Kreuzritter. Gleiche Gurtbögen befinden sich aber<br />
auch in der langen Halle (Lagerstraße) der Zitadelle von<br />
Damaskus (HANISCH II, S. 65, Gebäude B 14; s. dazu u.:<br />
Beispiel 5: Damaskus, Zitadelle, östlicher Torturm und anschließende<br />
Bauten, 5c) und im Torbau der hier nicht zu besprechenden<br />
salˇg - ukischen Karawanserei El-Bagrurhan von 1229,<br />
für die eine Tätigkeit armenischer Bauhandwerker nachgewiesen<br />
werden kann.
Abb. 6: Anawarz, Sperrturm, Grundriss, M 1:250.<br />
ist im Erdgeschoss 8 Fuß (2,56 m) und in den Obergeschossen 6<br />
Fuß (1,92 m) stark. Neben unrunden Unzenwerten sind mehrere<br />
runde Unzenwerte festzustellen: Die Westwand der ersten Bauphase<br />
ist 100 Unzen stark (2,68 m), die großen Schießscharten<br />
und die östliche Schießkammer sind innen je 50 Unzen (1,355<br />
und 1,335 m) breit.<br />
Steinmetzzeichen wurden am Sperrturm nicht<br />
beobachtet. Die übrigen Wehrbauten wurden<br />
nicht näher untersucht. 57<br />
*<br />
Von größerem Interesse als diese armenischen<br />
dürften jedoch Bauten sein, die zwar durch armenische<br />
Bauhandwerker, aber von nicht-armenischen<br />
Auftraggebern errichtet worden sind. Zunächst<br />
wird ein Beispiel einer christlichen Festung<br />
in Syrien beschrieben, dann folgen zwei Beispiele<br />
isl - amischer Festungen im »Größeren Syrien« (Bil - ad<br />
asˇ-Sˇ - am).<br />
3. Castel Saone, 58 Oberburg, Ostturm<br />
Die Burg Saone liegt im Norden des syrischen<br />
Küstengebirges auf einem langgestreckten, nach<br />
Westen abfallenden und spitz auslaufenden Bergrücken<br />
zwischen zwei tief eingeschnittenen, steil-<br />
39<br />
wandigen Tälern, die sich an der Westspitze der<br />
Burg vereinigen (Taf. 29). Sie bestand aus einer<br />
ausgedehnten Unterburg im Westen und einer<br />
höher gelegenen Oberburg im Osten. Sie war seit<br />
den Feldzügen der Kaiser Nikephoros Phokas und<br />
Johannes Tsimiskes in der 2. Hälfte des 10. Jhs. in<br />
byzantinischem und später in arabischem Besitz.<br />
Vermutlich seit 1108 gehörte sie zum Fürstentum<br />
Antiochia und war einem sonst wenig bekannten,<br />
französischen Grafen Robert zu Lehen gegeben. 59<br />
Unter ihm oder seinem Sohn wurde die byzantinische<br />
Burg nach 1109 oder nach 1119 in dem heutigen<br />
Umfang ausgebaut. 1188 wurde sie von S.al - a .h<br />
ad-D - ın erobert und wieder instand gesetzt. 60<br />
Ein vorgelagerter Graben trennte die byzantinische<br />
Kernburg in Form eines Tetraburgiums im<br />
Westen von der Unterburg. Hier ist eine kleine,<br />
einschiffige Kirche erhalten. Tortürme führten an<br />
der Nordseite und an der Südseite in die Unterburg<br />
und an der Südseite und an der Ostseite in<br />
die Oberburg. Dort ist das Plateau des Burgplatzes<br />
von dem nach Osten weiterreichenden Berg-<br />
57 Ein weitere Großanlage, die durch eine armenische Inschrift<br />
und durch eine typische Bauweise als Werk armenischer Bauhandwerker<br />
gesichert ist, ist die Johanniter-Festung Cardamesium<br />
(türk. Silifke Kalesι) bei Silifke, Prov. Adana (HELLEN-<br />
KEMPER I, S. 249 ff.; EDWARDS II, S. 221 ff.). Sie wurde<br />
zwar vom Verfasser untersucht, jedoch nicht hinsichtlich der<br />
verwendeten Maßarten.<br />
Die bisher frühesten Großbauten im Nahen Osten, die sowohl<br />
durch ihre besondere Bauweise als auch durch die Verwendung<br />
des 0,3206 m langen, armenischen Fußes als Werke armenischer<br />
Bauhandwerker festgestellt werden konnten, sind die<br />
drei großen f - atimididischen Stadttore B - ab al-Fut - uh B - ab an-<br />
Nasr und B - ab Zuwayla in Kairo. Sie wurden durch den ägyptischen<br />
Wesir Badr al- ˇGam - al - ı errichtet, der von Geburt Armenier<br />
war. Die Baumeister kamen als Flüchtlinge aus dem<br />
damals noch weitgehend armenischen Edessa. Die Beschreibung<br />
der Tore ausführlich bei CRESWELL, Bd. 1, S. 161 ff.;<br />
zur armenischen Kolonie in Kairo s.u., III, Die Träger der Entwicklung.<br />
58 Ar. Kal‘at .Sa .hy - un, seit 1959 Kal‘at .Sal - a .h ad-D - ın, Prov. L - a - diq - ıya;<br />
Beschreibung bei <strong>DES</strong>CHAMPS I, S. 356 f., <strong>DES</strong>CHAMPS<br />
III, S. 239 f.; zum Ostturm HANISCH II, S. 289 – 292, mit<br />
der Einschränkung, dass die dort angenommene Frage der Herkunft<br />
der Bauform hier berichtigt wird.<br />
59 <strong>DES</strong>CHAMPS III, S. 76 ff.<br />
60 <strong>DES</strong>CHAMPS I, S. 358; <strong>DES</strong>CHAMPS III, S. 76 ff.
Taf. 29: Saone, Gesamtansicht von Südosten; der Felsgraben liegt im Einschnitt. –<br />
Foto: Hanisch.<br />
Taf. 30: Saone, Großer Ostturm, Ansicht von Osten. – Foto: Hanisch.<br />
40
Abb. 8: Saone, Liste armenischer Steinmetzzeichen (Auswahl).<br />
rücken durch den berühmten, 20 m breiten und<br />
30 m tiefen Felsgraben mit einem freistehenden<br />
Brückenpfeiler getrennt. 61 Die Ostfront der Burg<br />
ist unmittelbar auf die Kante des neuen Felsgrabens<br />
gesetzt. Ihre Mitte wird von dem großen,<br />
dreigeschossigen Ostturm 62 eingenommen (Taf.<br />
30).<br />
Die Außenwände der Kurtinen und Türme von<br />
Oberburg und Unterburg sind mit Ausnahme des<br />
großen Ostturms einheitlich in einem ausgeprägten<br />
Rustikamauerwerk errichtet, bei dem die roh<br />
belassenen Steinoberflächen von einem glatten<br />
Randstreifen eingefasst sind. Die Außenwände des<br />
großen Ostturms sind dagegen in einer anderen<br />
Art des Rustikamauerwerks errichtet, bei dem die<br />
Steinoberflächen der Mittelfläche der Quader glatt<br />
behauen sind und wie aufgesetzte Platten wirken<br />
(s. o. I, 2.3 a, Abs. 2) (Taf. 31).<br />
Die Gewölbe der kleinen Kirche, der Erdgeschosse<br />
des nördlichen Torturms der Unterburg und des<br />
süd lichen der Oberburg sind Tonnengewölbe aus<br />
Werk steinmauerwerk in der bereits beschriebenen<br />
Art (s. o. I, 2.3 b, Abs. 1), das des Obergeschosses<br />
des südlichen Torturms ist ein Kreuzgewölbe mit<br />
kreuz förmigem Schlußstein (s. o. I, 2.3 b, Abs. 3<br />
und 4). Die verwendete Maßart ist in der Kapelle<br />
und den beiden Tortürmen der 0,3206 m lange,<br />
armenische Fuß.<br />
Der nördliche Torturm ist an der westlichen Schmalseite 35 Fuß<br />
(11,25 m), der südliche an der nördlichen und der südlichen<br />
Schmalseite (der Feindseite) 47 Fuß (15,07 m) breit. Die anderen<br />
41<br />
Seiten konnten nicht gemessen werden. Die Torkammer des nördlichen<br />
Torturms ist 19 Fuß (6,10 m) breit und 21 1 /2 Fuß (6,93 m)<br />
lang. Die Torkammer des südlichen Torturms ist 30 Fuß (9,61 m)<br />
lang und 25 Fuß (8,04 m) tief. Die äußeren und inneren Toröffnungen<br />
beider Türme sind 70 Unzen (1,89 m) breit, aber entsprechend<br />
der unterschiedlichen Stärke der Wände63 verschieden tief.<br />
Die inneren Tornischen sind jeweils 7 Fuß (2,25-2,31 m) breit und<br />
ebenfalls verschieden tief.<br />
Der große Ostturm mit Außenlängen von ca. 25<br />
auf 25 m enthält zwei gewölbte Geschosse mit<br />
einem quadratischen Mittelpfeiler und die Dachplattform<br />
(Abb. 7). Die Gewölbe sind leicht spitzbogige<br />
Tonnengewölbe, die um die vier Seiten des<br />
Mittelpfeilers angeordnet sind und sich in den<br />
Endabschnitten in Kreuzgewölben durchdringen<br />
(Taf. 32). Ihre Schlusssteine haben dort wiederum<br />
die Form des Griechischen Kreuzes (s. o. I, 2.3 b,<br />
Abs. 3 und 4). Die verwendete Maßart ist im Erdgeschoß<br />
der 0,3054 m lange und im Obergeschoß<br />
der 0,3206 m lange, armenische Fuß.<br />
Im Erdgeschoss sind die Pfeilerseiten 100 Unzen des zuerst genannten<br />
Fußes (i. M. 2,57 m) lang; die Joche sind 250 Unzen<br />
(6,34 m) breit. Die Abstände gegenüberliegender Wände betragen<br />
damit 600 Unzen = 50 Fuß (i. M. 15,27 m). Im Obergeschoss sind<br />
die Pfeilerseiten jedoch nur 90 Unzen des zweiten Fußmaßes (i. M.<br />
2,40 m) lang, die Joche der Ostseite wieder 250 Unzen (i. M 6,67<br />
m) breit, die Joche der übrigen Seiten dagegen 10 Unzen breiter<br />
(i. M. 6,95 m). Die Abstände gegenüberliegender Wände betragen<br />
in Westost-Richtung demnach wiederum 600 Unzen (ca. 16,02<br />
m), in der anderen Richtung 610 Unzen (ca. 16,26 m). Diese<br />
Abmessungen zeigen erneut das Prinzip der Verwendung der<br />
Unzen in zehnfachen Vielfachen.<br />
Gewölbeausbildung und Maßarten belegen wiederum<br />
die Tätigkeit armenischer Bauhandwerker.<br />
61 An dieser Stelle muss sich bereits ein Felsgraben der byzantinischen<br />
Burg befunden haben, der aber nur etwa 5 m tief war.<br />
Bei der Anlegung des neuen Grabens musste deshalb der neue<br />
Brückenpfeiler, der in der fränkischen Grabensohle stehen blieb,<br />
durch Mauerwerk wieder um ca. 5 m erhöht werden.<br />
62 Zu der bisher verwendeten, aber unzutreffenden Bezeichnung<br />
»Donjon« s. HANISCH II, S. 291.<br />
63 In beiden Tortürmen befindet sich in der äußeren Tornische<br />
ein über beide Geschosse reichender, torbreiter Maschikulischacht<br />
und ein zweiter Schacht zur Aufnahme eines Falltores.
42<br />
Abb. 7: Saone Ostturm, Erdgeschoss<br />
und Obergeschoss,<br />
Grundrisse, M 1:200.
Taf. 31: Saone, Großer Ostturm, Westseite, Ausschnitt Mauerwerk. – Foto: Hanisch.<br />
Taf. 32: Saone, Großer Ostturm, Erdgeschoss, Deckenuntersicht. – Foto: Hanisch.<br />
43
Deswegen ist es möglich, auch die fremdartig<br />
erscheinende Art des Rustikamauerwerks der<br />
Turmaußenseiten der armenischen Bautradition<br />
zuzuordnen (s. o., I, 2.3 a, Abs. 2). 64 Das Mauerwerk<br />
gehört damit zu einer armenischen Mauerwerksart,<br />
die später auch am Sperrturm von Anawarz<br />
und an zwei Torbauten von Hromklay verwendet<br />
wurde, vielleicht auch an dem inneren<br />
Grabentor der Johanniterfestung Krak des Chevaliers.<br />
65<br />
Steinmetzzeichen wurden am großen Ostturm<br />
nicht beobachtet. Dagegen finden sich zahlreiche<br />
Zeichen an den anderen Bauten. Eine Auswahl<br />
wird hier wiedergegeben (Abb. 8). 66 Neben einigen<br />
Buchstaben des regulären, armenischen<br />
Alphabets wurden Zeichen aus kryptographen<br />
Schriftarten verwendet, darunter die »arabischen«<br />
Ziffern 2 und 4 und ein lanzenförmiges Zeichen<br />
mit seitlichen Schrägstrichen. Zahlreich scheinen<br />
auch lateinische Buchstaben und Abbilder von<br />
Waffen und Steinmetzwerkzeugen zu sein. Diese<br />
Mischung armenischer und europäischer Zeichen<br />
ist charakteristisch für Bauten in den Kreuzfahrerstaaten,<br />
und, wie noch gezeigt wird, in Europa. Sie<br />
dokumentiert das gleichzeitige Wirken armenischer<br />
und europäischer Steinmetzen. Das offensichtliche<br />
Fehlen der für armenische Bruderschaften<br />
typischen, geometrischen Zeichen und die<br />
Verwendung einiger kryptographer Zeichen könnte<br />
bedeuten, dass die armenischen Steinmetzen<br />
nicht einer organisierten Bruderschaft angehörten.<br />
Für die europäischen Steinmetzen trifft dies aus<br />
historischen Gründen ohnehin zu.<br />
4. H. arr - an, Zitadelle, Ostturm, Südturm und<br />
Nordwestgalerie<br />
Die sehr alte Stadt H. arr - an liegt 50 km südöstlich<br />
von S¸anlıurfa. Sie bietet sich heute als ein leicht<br />
gewelltes Ruinengelände dar, aus dem sich nur der<br />
zentrale Tell, die freigelegte Große Moschee, die<br />
Stadtmauer und an ihrem Südostrand die Zitadelle<br />
herausheben (Taf. 33). 67<br />
Die Zitadelle steht vermutlich an der Stelle eines<br />
antiken Mondtempels der alten H. arr - anier. 68 Ihre<br />
Grundfläche hat etwa die Form eines gedrungenen<br />
Rechtecks. Sie enthält im Kern einen palastartigen<br />
Gebäudekomplex aus der Mitte des 12. Jhs. Von<br />
1193 an wurden unter al-Malik al-‘A - dil 69 die älteren<br />
Kurtinen durch ungewöhnlich starke, dreigeschossige<br />
Kurtinen mit innenliegenden Galerien<br />
44<br />
und angrenzenden, gewölbten Räumen ersetzt. An<br />
die Stelle der alten Ecktürme traten gewaltige,<br />
drei- bis viergeschossige, elfseitige Türme mit<br />
Durchmessern von 27-29 m. 70 Ihre Außenseiten<br />
bestehen aus Rustikamauerwerk in der bereits<br />
beschriebenen, ausgeprägten Form (s. o., I, 2.3 a,<br />
Abs. 2).<br />
64 Der Wechsel der Maßart deutet auf einen Wechsel der Bauhandwerker<br />
oder auf die Einschaltung zusätzlicher Bauhandwerker<br />
hin. Möglicherweise reichte die Anzahl der für den Ostturm<br />
verpflichteten Handwerker nicht aus, um auch die anderen<br />
Bauten – Türme und Kurtinen – zu errichten, so dass weitere<br />
Handwerker beschafft wurden, die dann aber nicht nur<br />
eine andere Maßart mitbrachten, sondern auch die beschriebene,<br />
andere Technik der Bearbeitung der Rustikaquader.<br />
65 Hromklay (türk. Rumkale, Prov. Gazıantep), West- und Südfront<br />
des vierten Tors der Toranlage und Ost- und Südfront des<br />
Euphrattors der Burg (dazu HANISCH VIII); Anawarz,<br />
Außenseiten des Südflügels des Sperrturms der Burg, s.o.;<br />
Krak des Chevaliers, ar. Kal’at al-Hosn, Hisn al-Akr - ad (<strong>DES</strong>-<br />
CHAMPS II, Bd. I, S. 193 f., Bd. II, Taf. 99, 100), Außenfronten<br />
des inneren Grabentors. Weitere Beispiele sind: vermutlich<br />
die Sockel der Türme des Brückentors Friedrichs II. in<br />
Capua (WILLEMSEN, S. 16 ff., Taf. 1 – 10) und die Türme<br />
und Kurtinen vieler staufischer Kastelle dieser Zeit in Apulien;<br />
zu diesem Thema s.u., III, Die Träger der Entwicklung.<br />
66 <strong>DES</strong>CHAMPS II, S. 246. Da diese Auswahl keine Aussage<br />
über die Häufigkeit und die Verteilung enthält, ist die hier<br />
angestellte Beurteilung nur vorläufig.<br />
67 Die erstmalige Beschreibung der Stadt und der Zitadelle<br />
erfolgte durch LLOYD – BRICE, Ergänzungen zur Geschichte<br />
und zum Südosttor dazu durch RICE. Eine neue Beschreibung<br />
s. HANISCH X; außerdem: HANISCH VII, S. 61 ff.; s.<br />
ferner HANISCH IX.<br />
68 Zur Geschichte .Harr - ans s. MEZ und CHWOLSOHN.<br />
69 Al-Malik al-‘ - Adil Saif ad-D - ın Ab - u Bakr Mu .hammad b. Aiy - ub,<br />
1145-1218, jüngerer Bruder .Sal - a .h ad-D - ıns, seit 1192 Statthalter<br />
Sal - a .h ad-D - ıns in der ˇGaz - ıra, seit 1200 Sultan von Ägypten,<br />
Syrien, der ˇGaz - ıra und Armenien (!). Mitteilung seiner<br />
Bauherrschaft der Zitadelle von .Harr - an durch Ibn ˇSadd - ad bei<br />
RICE, S. 37.<br />
LLOYD – BRICE, S. 104, geben nur vage Erbauungszeiten an,<br />
außer irrtümlich S. 102 für die verzierte Seitennische der südlichen<br />
Nordwestgalerie, die sie für ein Werk der Kreuzritter<br />
hielten; dazu G. Fehérvári in EI, Bd. III, S. 229, der darlegt,<br />
dass die Kreuzritter nicht in .Harr - an gewesen sind.<br />
70 Die Besonderheiten der Türme auf der Grundlage eines regelmäßigen<br />
Elfecks können hier nicht erörtert werden. Es sei nur<br />
erwähnt, dass in einem regelmäßigen Elfeck – mit dem im<br />
Altertum und im Mittelalter verwendeten, endlichen Bruch
Taf. 33: .Harr - an, Zitadelle, mittlerer Abschnitt, Ansicht von Südosten. – Foto: Hanisch.<br />
Taf. 34: .Harr - an, Zitadelle, Reste des Ostturms mit Ansatz der Nordost-Kurtine, Ansicht von<br />
Nordosten. – Foto: Hanisch.<br />
45
a) Ostturm<br />
Der elfseitige Ostturm wurde offenbar unter Verwendung<br />
eines älteren, rechteckigen Turmes errichtet,<br />
der damit seinen Kern bildete. Erhalten<br />
sind das verschüttete Erdgeschoss und vom 1.<br />
Obergeschoss ein kurzes Stück der Außenmauer<br />
sowie im Turmkern ein Zwischentor, das aus dem<br />
Inneren der Zitadelle in die Verteidigungszone des<br />
Turms und der anschließenden Nordostkurtine<br />
führte (Abb. 9, Taf. 34). An den Turm schließen<br />
sich im Nordosten und Südwesten in der zweiten<br />
Linie mehrere, hintereinander angeordnete Räume<br />
an, die vermutlich Mannschaftsräume waren. 71<br />
Die erkennbaren Gewölbe des Turms und der<br />
anstoßenden Kurtinengalerien und Räume in der<br />
zweiten Linie vertreten den armenischen Typ der<br />
zweiteiligen Tonnengewölbe, deren unterer Teil<br />
aus dem gleichen Werksteinmauerwerk wie die<br />
Wände und der obere aus Hausteinmauerwerk<br />
oder in Ringschichten gemauertem Ziegelmauerwerk<br />
bestanden (s. o., I, 2.3 b, Abs.2). Die Ritzzeichnung<br />
eines armenischen Kreuzes und des<br />
armenischen Buchstabens k. ’ - e (= Christus) auf<br />
einem Torgewände weist ebenfalls auf eine armeni -<br />
sche Tätigkeit hin. Steinmetzzeichen sind nicht<br />
vor handen. Das Erdgeschoss ist mit der aiy - ubidischen<br />
Bauelle angelegt worden, das Innere des<br />
1. Obergeschosses dagegen mit dem 0,3206 m<br />
langen, armenischen Fuß.<br />
Die Außenseiten des Turms sind, entsprechend dem Verhältnis von<br />
Seite zu Radius im regelmäßigen Elfeck von 40 zu 71, 80 Handbreiten<br />
(i. M. ca. 7,68 m) lang. Der Tordurchgang im 1. Obergeschoss<br />
ist 60 Unzen (= 5 Fuß; 1,61 m), seine äußere Tornische 76<br />
Unzen (2,04 m) und seine innere 100 Unzen (2,67 m) breit.<br />
b) Südturm<br />
Der an der Stelle des elfseitigen Südturms anzunehmende,<br />
ältere Eckturm ist offenbar vor der<br />
Errichtung des heutigen Turms abgebrochen worden.<br />
Von diesem sind der elfseitige Kernbau mit<br />
zwei Geschossen und vom Umgang und den<br />
Außenwänden die Fundamentplatte erhalten,<br />
außerdem die Erdgeschosse der im Nordosten und<br />
Südwesten anstoßenden Kurtinengalerien und<br />
Räume in der zweiten und dritten Linie (Abb. 10,<br />
Taf. 35). Die beiden Geschosse des Kernbaus sind<br />
mit elfteiligen Klostergewölben aus Hausteinmauerwerk<br />
eingewölbt, die oben in eine Rundkuppel<br />
übergehen (s. o., I, 2.3 b, Abs. 1).<br />
46<br />
Die Gewölbe der Umgänge sind nicht erhalten.<br />
Nach den Ansätzen am Turmkern zu schließen,<br />
waren sie zweiteilig. Die Gewölbe der Kurtinengalerien<br />
vertreten die armenischen Typen des einteiligen<br />
Tonnengewölbes aus Werksteinmauerwerk<br />
oder Hausteinmauerwerk, jeweils mit elliptisch<br />
einschneidenden Seitennischen für die<br />
Schießscharten und Durchgänge in der beschriebenen<br />
Form (s. o., I, 2.3 g, Taf. 13). Ein besonderes<br />
Merkmal der Hausteingewölbe sind dabei in<br />
der Gewölbefläche bündig angeordnete, seitlich<br />
verzahnte Gurtbögen (Taf. 36). Der Turm scheint<br />
ganz in armenischen Fuß angelegt worden zu sein.<br />
Die Innenseiten des Kernbaus sind – bis auf eine überlange Seite<br />
– jeweils 100 Unzen (ca. 2,67 m) lang, die Abstände der konzent -<br />
risch angeordneten Elfecke der Innen- und Außenfluchten der<br />
Mauern betragen von innen nach außen 15 Fuß minus 10 Unzen<br />
(4,54 m), 5 Fuß plus 5 Unzen (1,73-1,74 m), 10 Fuß plus 5 Unzen<br />
(ca. 3,34 m) und 15 Fuß (ca. 4,80 m). Die Summe der Abstände<br />
beträgt 45 Fuß.<br />
Das beim Ostturm zu beobachtende Prinzip des<br />
Verhältnisses von Seite zu Radius von 40 : 71 ist<br />
beim Südturm nicht angewendet worden, vielleicht<br />
weil es nicht der armenischen Bautradition<br />
entsprach.<br />
Steinmetzzeichen wurden nicht gefunden.<br />
22 : 7 als Verhältnis von Kreisumfang zum Durchmesser – sich<br />
eine Seite zum Radius des umbeschriebenen Kreises verhält wie<br />
9 : 16 oder genauer wie 40 : 71. Vorbilder für diese Türme, vor<br />
allem in der vorliegenden, monumentalen Form, gibt es weder<br />
im isl - amischen noch in einem anderen Kulturbereich. Dies<br />
gilt mit der Einschränkung, dass im Inneren der Zitadelle<br />
von .Harr - an von der Höhe der Untergeschossebene des Palastes<br />
an ein Teil der Außenwände eines kleinen, elfseitigen, mindestens<br />
dreigeschossigen Turms, vermutlich aus früh isl - amischer<br />
Zeit, erhalten ist, der durch eine Verstärkungsmauer in den<br />
Palast-Komplex einbezogen worden ist. Dieser Turm könnte<br />
Bestandteil des antiken Mondtempels gewesen sein, der erst<br />
1033 geschlossen und zerstört wurde. Die Form dieses Turmes<br />
dürfte die Form der großen aiy - ubidischen Ecktürme bestimmt<br />
haben; s. HANISCH VII, S. 67, S. 76 ff., HANISCH IX und<br />
HANISCH X.<br />
71 HANISCH VII, S. 72 f., S. 74 ff., HANISCH IX und<br />
HANISCH X.
Abb. 9: H. arr - an, Zitadelle, Ostturm, 1. Obergeschoss, Grundriss, M 1:200.<br />
47
Abb. 10: H. arr - an, Zitadelle, Südturm, Erdgeschoss, Grundriss, M 1:200.<br />
48
Taf. 35: .Harr - an, Zitadelle, Reste des Südturms, Ansicht von Nordosten. – Foto: Hanisch.<br />
Taf. 36: .Harr - an, Zitadelle, Raum hinter der Südost-Kurtine. – Foto: Hanisch.<br />
49
c) Nordwestkurtine<br />
Die stadtseitige Nordwestfront der Zitadelle bestand<br />
aus einer dreigeschossigen Kurtinengalerie<br />
und einem drei- oder viergeschossigen Torturm in<br />
der Mitte (Abb. 11, Taf. 37). Erhalten haben sich<br />
hauptsächlich die beiden unteren Geschosse des<br />
Torturms und der südlichen Kurtinengalerie. Der<br />
Torturm bestand aus drei nebeneinander liegenden<br />
Schiffen mit zweiteiligen Tonnengewölben aus<br />
Werksteinmauerwerk und radial gemauertem Ziegelmauerwerk<br />
(s. o., I, 2.3 a, Abs. 1). Im rückwärtigen<br />
Teil sind die Schiffe durch einen tonnengewölbten<br />
Raum in der Querrichtung miteinander<br />
verbunden. Die hier entstandenen Kreuzgewölbe<br />
bestehen aus Werksteinmauerwerk und weisen die<br />
charakteristischen Schlusssteine in Form des Griechischen<br />
Kreuzes auf. Die Gewölbe der an den<br />
Querraum anschließenden beiden Abschnitte der<br />
südlichen Kurtinengalerie sind ebenfalls in Werksteinmauerwerk<br />
erstellt. Ihr südlicher Abschnitt<br />
ist kreuzgewölbt und enthält einen Schlussstein in<br />
Form des Lateinischen Kreuzes (s. o., I, 2.3 b, Abs.<br />
3 und 4). 72 An der Innenseite der Kurtinengalerie<br />
liegen ein tonnengewölbter, isl - amischer Gebetsraum<br />
und eine große Wandnische, die mit einem<br />
Klostergewölbe aus Werksteinmauerwerk überdeckt<br />
ist. Die Stirnseite des Gebetsraums ist mit<br />
einem Bandornament von aneinander gereihten,<br />
kissenförmigen Rundwuls ten belegt. 73 Die Außenfront<br />
der Wandnische ist wie ein Stufenportal ausgebildet.<br />
In die Rücksprünge waren beiderseits je<br />
zwei kurze Rundsäulen eingesetzt. Die Archivolten<br />
sind mit zwei übereinander liegenden Ornamentbändern<br />
belegt, die aus verschieden ausgebildeten<br />
Zick-Zack-Bändern bestehen (Taf. 38).<br />
Der südliche Abschnitt der Nordwestkurtine ist<br />
außen, der Nordwestturm ist außen und innen mit<br />
der isl - amischer Bauelle angelegt worden. Die beiden<br />
Abschnitte der südlichen Kurtinengalerie und<br />
die große Wandnische sind dagegen mit dem<br />
armenischen Fuß errichtet worden.<br />
Die Breite der Galerie hat die erwähnte Standardabmessung von<br />
20 Fuß (i. M. 6,41 m), das Kreuzgewölbe des südlichen Abschnitts<br />
ist einschließlich des nördlichen Abschlussbogens i. M. 21 Fuß<br />
(6,73 m) lang und i. M. 19 Fuß (6,08 m) breit. Die Wandnische<br />
ist 14 Fuß (4,57 m) breit und 9 Fuß (2,85 m) tief, die Wandflächen<br />
der Aussparungen für die Ecksäulen jeweils 15 Unzen (0,41<br />
m und 0,42 m) breit. 74<br />
Steinmetzzeichen wurden nicht gefunden.<br />
50<br />
Die übrigen Bauten der Zitadelle von H. arr - an spielen<br />
für die gegenwärtige Untersuchung keine Rolle, weil<br />
an ihnen die armenischen Maßart nicht nachgewiesen<br />
werden kann. Insgesamt kann man jedoch feststellen,<br />
dass mindestens die aufgeführten Bauwerke<br />
der Zitadelle von H. arr - an offensichtlich von armenischen<br />
Bauhandwerkern errichtet wurden, auch wenn<br />
diese teilweise die vom Auftraggeber vorgegebene,<br />
aiy - ubidischen Maßart anwenden mussten.<br />
5. Damaskus, Zitadelle, Östlicher Torturm<br />
und anschließende Bauten<br />
Die Zitadelle von Damaskus besteht wie die von<br />
H. arr - an aus einer älteren Anlage im Inneren und<br />
einer monumentalen Erweiterung durch die heutigen,<br />
äußeren Wehrbauten. Die inneren Bauten<br />
ein schließlich der z. T. noch erhaltenen Kurtinen<br />
wurden zwischen 1076 und 1095 errichtet, 75 die<br />
Neubauten zwischen 1202 und 1218 – und wie in<br />
H. arr - an – unter al-‘A - dil, nunmehr nach seiner Er -<br />
hebung zum Sultan. 76 Der etwa rechteckige Kurtinenkranz<br />
war mit 14 gewaltigen, rechteckigen,<br />
drei- und viergeschossigen Türmen bestückt. Die<br />
Nordwestecke der Zitadelle wurde 1260 nach der<br />
Eroberung durch die Mongolen und der anschließend<br />
begonnenen, dann aber zum Stillstand gekommenen<br />
Entfestigung zwischen dem nördlichen<br />
Torturm und dem heutigen Nordwestturm<br />
auf die heutige Linie zurückverlegt. 77 Auch große<br />
72 Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt wurde in die Räume des<br />
Nordwestturms und der Kurtinengalerie eine Stützkonstruktion<br />
aus vorgesetzten Stützwänden und einem zweischaligen<br />
Gewölbe aus Ziegelmauerwerk eingezogen. Dieses ist jedoch<br />
inzwischen teilweise selbst wieder eingestürzt, so dass die<br />
ursprünglichen Gewölbe dort wieder zu sehen sind. Vielleicht<br />
bezieht sich eine nur fragmentarisch erhaltene, ehemals 37 m<br />
lange Inschrift des Sultans Al-Malik al-‘ - Alam a.n-N. - asir ad-D - ın<br />
Mu .hammad b. K. al - a’ - un (1285-1342, seit 1293 mit Unterbrechungen<br />
7. maml - ukischer Sultan) auf dem hier nicht beschriebenen<br />
Westturm der Zitadelle auf diese Baumaßnahme.<br />
73 s.o. Anm. 41.<br />
74 LLOYD – BRICE, S. 102, S. 104, hielten die Wandnische, wie<br />
erwähnt, irrtümlich für ein Werk der Kreuzritter.<br />
75 HANISCH I, S. 480.<br />
76 HANISCH VII, S. 62, Anm. 6, mit weiteren Angaben.<br />
77 HANISCH II, S. 225 ff.
Abb. 11: H. arr - an, Zitadelle, Nordwest-Kurtine, 1. Obergeschoss, Grundriss, M 1:200.<br />
51
Taf. 37: .Harr - an, Zitadelle, Nordwest-Kurtine mit Rest des Nordwest-Tors, Ansicht von Westen. – Foto: Hanisch.<br />
Taf. 38: .Harr - an, Zitadelle, Nordwest-Kurtine, 1. Obergeschoss,<br />
große Seitennische, Ausschnitt. – Foto: Hanisch.<br />
52
Abschnitte der Kurtinen und Turmfronten wurden<br />
zu diesem Zeitpunkt und bei späteren An lässen<br />
erneuert und verändert. Ursprünglich be standen<br />
die Außenseiten wahrscheinlich einheitlich aus<br />
dem Rustikamauerwerk in der beschriebenen, ausgeprägten<br />
Form (s. o., I, 2.3 a, Abs. 2). 78<br />
a) Östlicher Torturm<br />
Der gut erhaltene, nördliche der beiden mittleren<br />
Türme der Ostfront (Abb. 12, Taf. 39) enthält in<br />
jedem Geschoss einen einzigen Saal und im Erdgeschoss<br />
einen gleich breiten Seitenflügel am Südabschnitt<br />
der Westseite. An der Südseite befindet<br />
sich das stadtseitige Tor der Zitadelle. Seine äußere<br />
Tornische ist mit einer muschelförmigen Halbkuppel<br />
über vier Reihen mu.karnas ausgestattet, die<br />
noch immer mit Vasen und Tulpen bemalt sind<br />
(Taf. 40). Die Gewölbe der Säle sind leicht spitzbogige<br />
Tonnengewölbe, die durch zwei gleich große<br />
Quertonnen gekreuzt werden. Im Erdgeschoss<br />
setzt sich die südliche Quertonne in den westlichen<br />
Anbau fort. Da sich die Gewölbe unmittelbar<br />
aus den Wänden entwickeln, haben die entstehenden<br />
Kreuzgewölbe die Breite der Säle. Die<br />
Gewölbeschalen sind zweiteilig, wobei der obere<br />
Teil aus plattig gehauenem Bruchsteinmauerk besteht<br />
(s. o., I, 2.3 b, Abs. 2). Die Trennungslinien<br />
der Joche sind durch Gurtbögen markiert, die<br />
bündig in den Gewölbeflächen liegen und dort<br />
seitlich verzahnt sind. 79<br />
In einer früheren Veröffentlichung hatte der Verfasser<br />
angenommen, dass der Turm wie andere<br />
Bauten der Zitadelle mit der aiy - ubidischen Bauelle<br />
bemessen worden sei. 80 Allerdings konnte er nur<br />
für wenige Strecken entsprechende Übereinstimmungen<br />
mit dieser Maßart feststellen. Weil der<br />
Grundriss des Turms schiefwinklig und geringfügig<br />
überlang ist, erklärte er deshalb zahlreiche<br />
Maßabweichungen als notwendige Anpassungen<br />
an die Sollmaße, wenn auch in der Größenordnung<br />
von 5-14 cm. Überlegungen zur Herkunft<br />
der beiden ornamentierten Rundfenster (Taf. 41)<br />
im Erdgeschoss führten jedoch zu einer neuen Interpretation.<br />
Die ursprüngliche Annahme süditalienischer<br />
Vorbilder des 12. Jhs. für diese Rundfenster<br />
erwies sich als nicht stichhaltig, weil der<br />
Turm sonst keine an italienische Vorbilder erinnernden<br />
Merkmale aufweist. 81 Andererseits gehört<br />
das ornamentierte Rundfenster, wie erwähnt, zu<br />
den besonderen Merkmalen des georgisch-armenischen<br />
Kirchenbaus (s. o., I, 2.3 n, Taf. 16). 82 Es lag<br />
53<br />
daher nahe, den Turm nunmehr auf die Verwendung<br />
einer armenischen Maßart zu untersuchen.<br />
Diese Untersuchung führte zu dem Ergebnis, dass<br />
sich fast alle relevanten Abmessungen überzeugend<br />
durch den 0,3206 m langen, armenischen<br />
Fuß und seine Unzen ausdrücken lassen.<br />
Im Erdgeschoss sind die Seiten der Kreuzgewölbe ca. 22 Fuß (7,05<br />
m) breit und 22 1 /3 (7,16 m) bis 22 1 /6 Fuß (7,10 m) lang. Wahrscheinlich<br />
waren die Abmessungen vom Auftraggeber mit 12 auf<br />
12 aiy- ubidischen Bauellen (6,98 m) vorgegeben worden, die den<br />
ausgeführten Maßen am ehesten entsprechen. Die Seitennischen<br />
der Nord- und der Oststeite sind weitgehend genau 100 Unzen<br />
(2,67 m) tief und wegen der Überlänge des Gesamtraums im<br />
Mittel 105 Unzen breit. Die zum Ausgleich der Schiefwinkligkeit<br />
notwendigen Anpassungen betragen meistens nur noch 1-2 cm.<br />
Vor allem weist das Südtor eindeutig die armenische Maßart auf.<br />
Der Durchgang ist 100 Unzen (2,67 m) breit und 80 Unzen (2,13<br />
m) tief, die mittlere Außennische ist 13 Fuß (4,17 m) breit und 7<br />
Fuß (2,24 m) tief und die äußere insgesamt 10 Fuß breiter (7,38<br />
m).<br />
Im Obergeschoss sind die Seiten des nördlichen Kreuzgewölbes 22<br />
1 1<br />
/3 Fuß (7,16 m) breit und lang, die des südlichen 22 /3 Fuß breit<br />
und 22 Fuß lang. Die Seitennischen sind im Wesentlichen ebenso<br />
breit wie im Erdgeschoss, aber nur noch 8 Fuß (2,56 m) tief.<br />
Auch die Gewölbeausbildung weist im Lichte dieser<br />
neuen Erkenntnisse nun eine deutliche Verwandtschaft<br />
mit armenischen Gewölben auf.<br />
Nicht nur die Verwendung von Gurtbögen, die in<br />
78 Dies gilt nicht für die überkommenen Maschikulis; s.<br />
HANISCH IV.<br />
79 Die gleiche Bauweise ist an den Gewölben des Untergeschosses<br />
der ehemaligen nördlichen Kirche in Hromklay zu beobachten.<br />
80 HANISCH III, S. 120 f.; S. 130 ff.<br />
81 Zu den Schmuckformen apulischer und palästinensischer Kirchen<br />
s. BUSCHHAUSEN. Die Diskussion darüber, ob bestimmte<br />
Schmuckformen nicht zuerst – zusammen mit Bauformen<br />
und Maßarten – aus dem Orient nach Apulien gelangt<br />
sind, kann hier nicht geführt werden; s. aber dazu, III, Die<br />
Träger der Entwicklung.<br />
82 In Ergänzung zu Taf. 16 weitere Beispiele: in Armenien:<br />
STRZYGOWSKI I, S. 72 (Ani, Modell der Georgskirche), S.<br />
112 (Zwathnotz, Palastkirche, Profile der Rundfenster); in<br />
Georgien: DJOBADZE, Taf. 225 (Ot‘.ht‘a Eklesia Kloster),<br />
Taf. 245/6 (Parhali-Kloster).
Taf. 39: Damaskus, Zitadelle, Torturm der Ostseite, Ansicht von Nordosten. – Foto: Hanisch.<br />
Taf. 40: Damaskus, Zitadelle, Torturm der Ostseite, Tor,<br />
Ansicht. – Foto: Hanisch.<br />
54
Abb. 12: Damaskus, Zitadelle, östlicher Torturm, Grundriss, M 1:200.<br />
55
der Gewölbefläche bündig liegen und seitlich mit<br />
der Gewölbeschale verzahnt sind, sondern vor<br />
allem die Jochbildung und die Zweiteiligkeit der<br />
Gewölbe haben, wie gezeigt wurde, ihre unmittelbaren<br />
Vorbilder im armenischen Gewölbebau.<br />
Inwieweit der Baudekor des Südportals auch auf<br />
armenischer Handwerker hinweist, kann hier<br />
nicht untersucht werden. 83<br />
Schließlich findet sich an der Nordwand und der<br />
Ostwand auf mindestens 30 Quadern ein Steinmetzzeichen,<br />
das aus einem etwa 10 cm großen<br />
Kreis mit einem Punkt in der Mitte besteht. Dieses<br />
Zeichen dürfte einem kryptographen Alphabet<br />
entnommen sein, das in einer Fassung des 17. Jhs.<br />
mit allen 36 Zeichen überliefert ist. Dies ist nicht<br />
nur ein Beleg für die Tätigkeit armenischer Handwerker,<br />
sondern außerdem auch dafür, dass hier<br />
eine geschlossene Gruppe, möglicherweise eine<br />
Bruderschaft, gearbeitet hat, die das Zeichen als<br />
Gruppenzeichen hatte.<br />
b) Säulensaal<br />
An den erdgeschossigen Seitenflügel des Torturms<br />
schließt sich ein eingeschossiger, etwas höherer,<br />
etwa quadratischer Saal an, der in 9 quadratische<br />
Joche aufgeteilt ist (Abb. 13). Das mittlere Joch<br />
war von einer Kuppel über einem zwölfseitigen<br />
Tambour überdeckt. Die inneren Auflager werden<br />
von vier gekürzten, antiken Säulen mit teilweise<br />
stark be schädigten, antiken Kapitellen gebildet<br />
(Taf. 42). 84 In der früheren Publikation hatte der<br />
Verfasser auch hier die Verwendung der aiy - ubidischen<br />
Elle angenommen, zumal sich die Abmessungen<br />
im Mittelbereich gut mit dieser Maßart<br />
ausdrücken ließen. 85 Die Nachrechnung ergab aber<br />
genauere Werte bei Zugrundelegung des 0,3206<br />
m langen, armenischen Fußes.<br />
Danach sind die Lichtmaße der Bögen unter der Vierung (4,81 m)<br />
genau 15 Fuß lang. Die Wandvorlagen an der Süd-und Nordseite<br />
sind 5 Fuß (ca. 1,58/9 m) breit und 3 Fuß (0,96 m) tief. Die<br />
Abstände des mittleren Joches zu den Außenwänden sind unterschiedlich<br />
lang, da die Außenwände leicht schiefwinklig zu einander<br />
stehen. 86<br />
c) Lange Halle (Lagerstraße)<br />
An das Nordwestjoch des Säulensaals schließt sich<br />
eine lange, schmale Halle an, die die Bauten des<br />
östlichen Tores mit denen des nördlichen verbindet.<br />
Sie ist mit einem durchgehenden Tonnenge-<br />
56<br />
wölbe eingewölbt, das neunmal durch gleichhohe<br />
Quertonnen gekreuzt wird (Abb. 14). Das Mitteljoch<br />
87 enthält je einen Durchgang nach Norden<br />
und nach Süden, einzelne Joche an der Nordseite<br />
noch weitere Türen, die sich nach außen öffnen<br />
und ehemals die Eingänge der dahinterliegenden<br />
Gebäude bildeten. Die Halle war demnach eine<br />
überwölbte Lagerstraße. Die Gewölbe sind in der<br />
mehrfach beschriebenen, zweiteiligen Bauweise<br />
ausgeführt (s. o., I, 2.3 a, Abs. 2).<br />
Die Quertonnen setzen sich seitlich noch ca. 0,70-0,80 m in die<br />
Außenwände fort. Dadurch entstehen zwischen den 2,02-2,03 m<br />
breiten Wandpfeilern zuerst sieben, je 200 Unzen (5,02-5,03 m)<br />
breite, kreuzgewölbte Joche. Im achten Joch ist die Breite auf 15<br />
Fuß (4,80 m) verringert. Im neunten Joch, das den Anschlussraum<br />
zu dem nördlichen Torkomplex bildet und deswegen einen unregelmäßigen<br />
Grundriss aufweist, beträgt die Grundfläche des<br />
Kreuzgewölbes 15 auf 16 Fuß (4,80 m auf 5,11 m). Die Länge<br />
eines Joches und eines Wandpfeilers zusammen beträgt in den sieben<br />
östlichen Jochen je 22 Fuß (7,04/5 m). 88<br />
Baufugen zwischen dem östlichen Torturm, dem<br />
Säulensaal und der Lagerstraße sind nicht zu<br />
83 SAUVAGET, S. 83 f.<br />
84 Zwischen 2000 und 2003 wurden im Säulensaal und einem<br />
anderen Gebäude der Zitadelle durch die syrische Generaldirektion<br />
der Museen und Altertümer und durch das Institut<br />
Française des Études Arabes Damas Grabungen vorgenommen,<br />
deren Ergebnisse aber noch nicht publiziert sind; nach dem<br />
mündlichen Vortrag scheinen sie die hier beschriebenen<br />
Ergebnisse aber nicht zu berühren.<br />
85 Irrtümlich angenommene Teilungsmaße im Raster 50 und 10<br />
Handbreiten und der Lichtmaße der Bögen unter der Vierung<br />
(4,81 m) 50 Handbreiten. Der Irrtum ist erklärlich, weil 50<br />
aiy - ubidische Handbreiten (4,85 m) nur 4 cm länger sind als<br />
15 armenische Fuß (4,81 m) und 10 aiy - ubidische Handbreiten<br />
(0,97 m) fast gleich lang sind wie 3 armenische Fuß (0,96 m).<br />
86 Dies ist die Folge davon, dass beim Bau der Halle die jetzt<br />
nicht mehr vorhandenen Gebäude an der Nordseite und der<br />
Zugang zu der im Westen anschließenden Lagerstraße (s.u.,<br />
folgender Abschnitt) berücksichtigt werden mussten.<br />
87 Die Trennungslinien des Mitteljoches sind durch ein Bündel<br />
aus drei gleich dicken Rundwulsten über Mukarnas-Konsolen<br />
betont, von denen der mittlere Wulst auf den beiden anderen<br />
aufliegt (s. dazu Anm. 56).<br />
88 Vgl. die Hauptabmessungen im Inneren des Torturms T 07.
Taf. 41: Damaskus, Zitadelle, Torturm der Ostseite, Rundfenster, Ansicht von Osten. – Foto:<br />
Hanisch.<br />
Taf. 42: Damaskus, Zitadelle, Säulensaal hinter dem östlichen Torturm, Ansicht von Osten.<br />
– Foto: Hanisch.<br />
57
Abb. 13: Damaskus, Zitadelle, Säulensaal, Grundriss, M 1:200.<br />
58
Abb. 14: Damaskus, Zitadelle, Lange Halle, Grundriss, M 1:200.<br />
59
erkennen. Diese Bauten bildeten demnach einen<br />
zusammenhängenden Bauabschnitt. Im Tambour<br />
des Säulensaals wurde vom Verfasser eine kurze<br />
Bauinschrift gefunden, die den Namen eines Baumeisters,<br />
vielleicht des Baumeisters des gesamten<br />
Bauabschnitts, enthält. Leider wird dieser nur mit<br />
seiner kunya benannt. 89<br />
Steinmetzzeichen wurden weder im Säulensaal<br />
noch in der Lagerstraße gefunden. Trotzdem kann<br />
auf Grund der anderen Merkmale kein Zweifel<br />
daran bestehen, dass, wie schon bei Torturm festgestellt,<br />
auch diese Bauwerke von armenischen<br />
Handwerkern errichtet wurden. Der Umstand,<br />
dass der Bauherr der gleiche war wie 10 Jahre früher<br />
in H. arr - an, unterstützt diese Erklärung noch.<br />
6. Castel del Monte<br />
Das erste europäische Beispiel ist Castel del<br />
Monte. Es wurde bekanntlich spätestens seit 1240<br />
durch Kaiser Friedrich II. errichtet (Taf. 43). Auf<br />
eine Beschreibung dieses berühmten Bauwerks<br />
wird hier verzichtet. 90<br />
Die Gewölbe der zweimal acht Säle sind über<br />
einem trapezförmigen Grundriss spitzbogige Tonnengewölbe<br />
aus Werksteinmauerwerk, die in der<br />
Raummitte jeweils durch ein gleichartiges und<br />
gleichbreites Tonnengewölbe gekreuzt werden<br />
(Abb. 15). Den Graten der so entstandenen Kreuzgewölbe<br />
sind Rippen mit quadratischem Querschnitt<br />
unterlegt, die den Gewölben ein gotisches<br />
Aussehen zu geben scheinen. Außerdem sind die<br />
so gebildeten Vierungen durch seitliche Gurtbögen<br />
von den sich fortsetzenden Tonnengewölben<br />
optisch ausgeschieden. 91 Da diese Rippen und<br />
Gurtbögen in einigen Räumen abgestürzt sind<br />
(Taf. 44), sieht man, dass die Gewölbe keine gotischen<br />
Gewölbe sind, sondern altertümliche, sich<br />
durchdringende Tonnengewölbe aus gleichmäßigem<br />
Werk steinmauerwerk, wie sie aus armenischen<br />
Bauten bekannt sind (s. o., I, 2.3 a, Abs. 3).<br />
Auf den von diesen Bauten bekannten, kreuzförmigen<br />
Schluss stein hat man hier jedoch verzichtet,<br />
vermutlich, weil er ohnehin durch den großen, rosettenförmigen<br />
Schlussstein der künstlichen Rippenkonstruktion<br />
verdeckt worden wäre. Weitere<br />
Betrachtungen können hier nicht angestellt werden.<br />
92<br />
Die armenische Urheberschaft kann durch die<br />
Wiederauffindung der verwendeten Maßart belegt<br />
60<br />
werden. Bei einer von einer Arbeitsgruppe unter<br />
Wulf Schirmer in den Jahren 1990-1996 mit<br />
modernen Messmethoden durchgeführten Bauaufnahme<br />
wurden die genauen Abmessungen des<br />
Baus festgestellt und dokumentiert. 93<br />
Auf Grund dieser Abmessungen ist der Verfasser<br />
im Gegensatz zu W. Schirmer und allen anderen<br />
Forschern zu der Erkenntnis gekommen,<br />
dass dem Entwurf der vier konzentrisch angeordneten,<br />
regelmäßigen Achtecke des Grundrisses<br />
die arabische, 0,5404 m lange Schwarze<br />
Elle mit ihrer Unterteilung in Handbreiten<br />
und Fingerbreiten zu Grunde gelegen hat, und<br />
dass die Bauausführung mit dem 0,3206 m langen,<br />
armenischen Fuß erfolgt ist.<br />
Wegen der Bedeutung des berühmten Bauwerks<br />
soll dies näher erläutert werden. 94 Um den auch<br />
hier vorliegenden Umstand, dass zwei Maßarten<br />
verwendet wurden, zu erklären, muss zunächst auf<br />
die Maßverhältnisse im regelmäßigen Achteck<br />
eingegangen werden.<br />
89 Die kunya (Beiname eines Eigennamens, manchmal auch allein<br />
stehend) lautet hier in der zweiten Zeile: Ab - u‘l-Wa ˇgd (»Vater<br />
des Reichtums« oder »Vater des Könnens«); die erste Zeile<br />
lautet: ‘amal (»Werk des …«) oder: ‘amala (»hat gebaut«); s.<br />
HANISCH III, S. 124 f. und Taf. 30. So bleibt der Eigenname,<br />
aus dem man vielleicht auf die Herkunft des Meisters<br />
hätte schließen können, unbekannt.<br />
90 Neuere Beschreibungen bei GÖTZE und SCHIRMER.<br />
91 Zum »Ausscheiden« der Vierung s.o. I, 2.3 d; im vorliegenden<br />
Fall liegen natürlich die Voraussetzungen für die Errichtung<br />
eines Vierungsturms nicht vor, was zeigt, dass diese Bauform<br />
in eklektizistischer Weise nur als optisches Gliederungselement<br />
verwendet wurde.<br />
92 Der Verzicht auf einen kreuzförmigen Schlussstein könnte bedeuten,<br />
dass das Kreuz des Steinverbandes als das Kreuz Christi<br />
verstanden wurde, das zu verdecken, unzulässig gewesen wäre.<br />
93 Schirmer, Wulf: Castel del Monte, in: architectura 24, München<br />
1994, S. 185 ff.; Schirmer, Wulf – Zick, Wolfgang: Castel del<br />
Monte, in: architectura 28 (1/1998), München 1998, S. 1 ff.;<br />
SCHIRMER.<br />
94 SCHIRMER, S. 88 ff., nimmt als verwendete Maßart den napolitanischen<br />
palmo in der Länge von 0,263 m an, der damit um<br />
1 mm kürzer wäre als der sonst angenommene. Außerdem muss<br />
er gemessene Werte häufig mehr oder weniger stark auf- oder<br />
abrunden, um die postulierten palmo-Werte zu erreichen. Diese<br />
sind dabei aber eher beiläufig (z.B. 4 3 /4, 7 1 /2, 8 3 /4, 9, 9 3 /4,<br />
23, 33, 34, 77 palmi) und entsprechen keineswegs einem, wie
Taf. 43: Castel del Monte, Gesamtansicht von Osten. – Foto: Hanisch.<br />
Taf. 44: Castel del Monte, Saal im Obergeschoss, Deckenuntersicht. – Foto: Hanisch.<br />
61
Abb. 15: Castel del Monte, Erdgeschoss, Grundriss, M 1:300.<br />
62
In diesem verhält sich eine Seite zu ihrem Abstand<br />
vom Mittelpunkt des Achtecks aufgerundet wie 10<br />
zu 12 (genau: wie 9,9396 zu 12). Der Radius des<br />
zugehörigen, dem Achteck umbeschriebenen Kreises<br />
beträgt dabei aufgerundet 13 (genau: 12,9884)<br />
Einheiten der verwendeten Maßart. 95 Diese Strecken<br />
bilden ein gleichschenkliges Drei eck mit einem<br />
eingeschlossenen Winkel von 45°. Acht dieser<br />
Dreiecke bilden das regelmäßige Achteck. Das aus<br />
der halben Seite (= 5), dem Seitenabstand und dem<br />
Radius gebildete Dreieck ist in größter Annäherung<br />
ein pythagoräisches Dreieck. In Castel del<br />
Monte wurden diese Werte mit dem Faktor 4 multipliziert<br />
Alle Strecken konnten mit den herkömmlichen<br />
Messvorrichtungen vermutlich mühelos konstruiert<br />
und abgesteckt werden.<br />
Ausgangspunkt der Maßanalyse der Achtecke sind die Seiten des<br />
Achtecks, das die Turmaußenseiten umfasst. Ihre Länge entspricht<br />
mit einem Minus von 20 mm der Soll-Länge von 40 Schwarzen<br />
Ellen minus 6 Fingerbreiten (21,48 m), d. h. der genauen Länge,<br />
die sich aus dem beschriebenen Zahlenverhältnis ergibt. Der Abstand<br />
dieser Seiten vom Mittelpunkt des Hofes beträgt 48 Ellen<br />
und der entsprechende Radius 52 Ellen minus 4 x 1 /2 (= 2) Fingerbreiten.<br />
Die Soll-Abstände zwischen den vier konzentrischen<br />
Achtecken betragen zwischen dem Mittelpunkt des Hofs und der<br />
Oktogoninnenmauer 6 Ellen plus 1,5 x 7 Ellen = 16 1 /2 Ellen (8,92<br />
m, Ist: 8,92 m plus 1,9 cm), zwischen Innenflucht und Außenflucht<br />
des Oktogons 3 x 7 Ellen = 21 Ellen (11,35 m, Ist: 11,35<br />
minus 1,9 cm ), zwischen der Außenflucht des Oktogons und dem<br />
Achteck, das die Turmaußenseiten umfasst, 1,5 x 7 Ellen = 10 1 /2<br />
Ellen (5,67 m; Ist: 5,67 minus 2,5 cm) und zwischen diesem Achteck<br />
und dem Achteck, das die Turmsockel umfasst, 4 Handbreiten<br />
= 0,36 m (Ist: 0,36 m plus 2,5 cm). Die Größe von 7 Ellen scheint<br />
dabei eine wesentliche Grundeinheit zu sein.<br />
Diese Prinzipien der Planung wurden bei der Ausführung<br />
jedoch nicht mehr berücksichtigt. Nur<br />
die Außenfluchten der Turmsockel (Taf. 45) und<br />
des Oktogons wurden auf den entsprechenden<br />
Linien der Achtecke errichtet. Die Außenfluchten<br />
der Turmschäfte sind um 2,5 cm gegenüber den<br />
Seiten des theoretischen Achtecks der Turmschäfte<br />
nach innen, die Hoffluchten um 1,9 cm gegenüber<br />
den Soll-Fluchten nach außen versetzt.<br />
Die Ursache dafür liegt darin, dass der Bau von der<br />
Ebene der Turmsockel an mit dem 0,3206 m langen,<br />
armenischen Fuß bemessen und weitergebaut<br />
worden ist.<br />
Dabei ging die Absteckung von den Außenfluchten des Oktogons<br />
aus. Im Erdgeschoss betragen die Abmessungen von Außenmauer,<br />
63<br />
Raumtiefe und Innenmauer: 8 Fuß (2,56-2,57 m), 20 Fuß (240<br />
Unzen, 6,39-6,42 m) und 8 Fuß minus 8 Unzen (2,36-2,37 m).<br />
Die Summe dieser drei Strecken ist um 1,9 cm kleiner als die<br />
Länge von 21 Schwarzen Ellen. Um das gleiche Maß ist im Innenhof<br />
der Abstand gegenüberliegender Wände – außer in der Eingangsachse<br />
– größer als 16 1 /2 Ellen.<br />
Im Obergeschoss betragen die Strecken von Außenmauer, Raumtiefe<br />
und Innenmauer 8 Fuß minus 9 Unzen (2,32 m), 20 Fuß plus<br />
20 Unzen (260 Unzen, 6,96 m) und 8 Fuß minus 8 Unzen (außen),<br />
minus 11 Unzen (innen) und minus 5 Unzen (Rücksprung außen)<br />
= 72 Unzen = 6 Fuß (1,92 m).<br />
Die Radien der Gurtbögen unter den Gewölben im Erdgeschoss<br />
sind 150 Unzen (4,02 m) lang, die Grundlinien der Gurtbögen<br />
sind 200 Unzen (5,36 m) lang, ihre Diagonalen sind 300 Unzen<br />
(8,04 m) lang.<br />
Die Wände der Ecktürme sind 8 Fuß (2,56 m) stark, die Innenkammern<br />
sind 100 Unzen (2,67 m) weit. Die Summe dieser<br />
Abmessungen beträgt 292 Unzen (7,802 m). Dieses Maß ist an<br />
allen Seiten um 2,5 cm kleiner als das mit 6 Schwarzen Ellen angenommene,<br />
arabische Entwurfsmaß. Um diese Differenz springen<br />
demnach, wie oben erwähnt, auch die Turmseiten gegenüber dem<br />
eingangs genannten, 40 Ellen minus 6 Handbreiten langen Seiten<br />
des theoretischen, äußeren Achtecks zurück. Der Sockel ist um<br />
dieses Maß entsprechend breiter als 4 Handbreiten der Schwarzen<br />
Elle.<br />
Offensichtlich wechselte der Bauherr, nachdem<br />
der Bau über dem abgesteckten »arabischen«<br />
auch immer gearteten, strengeren Ordnungsystem. Sie können<br />
bereits deshalb nicht die tatsächlichen Werte sein.<br />
Auch die Annahmen von HEINZ I, S. 48 ff., und HEINZ II,<br />
S. 105 ff., wonach der Grundriss von Castel del Monte mit der<br />
0,5236 m langen, ägyptischen Königselle und der 0,5183 m<br />
langen Nippurelle – und zwar nebeneinander – konstruiert<br />
worden wäre, können nicht zutreffen, nicht nur, weil sich zahlreiche<br />
Abmessungen mit diesen Maßarten nicht ausdrücken<br />
lassen, sondern vor allem wegen des unhistorischen Charakters<br />
der Betrachtungsweise.<br />
95 Diese geringfügig auf die vollen Maßeinheiten 10, 12 und 13<br />
aufgerundeten Werte sind im 13. Jh. auch die Merkmale der<br />
Triangulatur, die auf ein Quadrat mit der Seitenlänge von 7<br />
Maßeinheiten angewendet wird. Die Kenntnis dieser Streckenverhältnisse<br />
reicht, wie im letzten Abschnitt 10 gezeigt wird,<br />
mindestens bis in das 8. Jh. zurück. Wem oder welchem Kulturkreis<br />
ihre Entdeckung zugesprochen werden kann, ist nicht<br />
bekannt.
Taf. 45: Castel del Monte, Turmsockel. – Foto: Hanisch.<br />
Taf. 46: Ebrach, ehem. Zisterzienserabtei-Kirche, Ansicht von Osten mit Michaelskapelle. –<br />
Foto: Hanisch.<br />
64
Grundriss bis zur Höhe des Sockels gediehen war,<br />
die Bauhandwerker. 96 Der Grund könnte darin<br />
bestanden haben, dass ihm für die Einwölbung der<br />
Säle keine anderen Fachleute zur Verfügung standen<br />
als die bereits an anderen Orten bewährten,<br />
armenischen Gewölbebauer. Es ist sogar denkbar,<br />
dass diese den vorgegebenen, arabischen Grundriss<br />
der Säle auch verändert haben, und zwar so, dass er<br />
mit einer bewährten Gewölbekonstruktion zuverlässig<br />
eingewölbt werden konnte. 97 Diese und<br />
etwaige andere Vermutungen über eine andere<br />
Aufteilung der Säle im arabischen Entwurf müssen<br />
jedoch Spekulation bleiben.<br />
Steinmetzzeichen hat W. Schirmer offenbar nicht<br />
gefunden. Entweder waren solche nie vorhanden,<br />
vielleicht, weil dies an einem so persönlichen Bauwerk<br />
des Kaisers nicht zugelassen worden war,<br />
oder sie sind im Laufe der Zeit bei den häufigen<br />
Reparaturen der Außenseiten verloren gegangen.<br />
Für die Interpretation der am Bau Beteiligten<br />
müssen daher andere Argumente herbeigezogen<br />
werden.<br />
Über diese Beteiligten liegen bekanntlich keine<br />
Quellen vor. Dies gilt zunächst für den entwerfenden<br />
Baumeister. Nimmt man als Entwurfsverfasser<br />
einen Araber an, ist die Frage nach seiner Herkunft<br />
erlaubt. Die Anwendung der Schwarzen Elle<br />
schließt dabei einen der z. T. namentlich bekannten,<br />
ägyptischen und syrischen Berater (Hofphilosophen)<br />
Kaiser Friedrichs aus, da in ihren Herkunftsländern<br />
seit .Sal - ah ad-D - ın bei Staatsbauten<br />
die Schwarze Elle durch die ägyptische Bauelle<br />
ersetzt worden war. 98 Nordafrika, insbesondere das<br />
Emirat von Tunis, zu dem der Kaiser engere Beziehungen<br />
unterhielt, und wo die Schwarze Elle<br />
weiterhin in Gebrauch war, kommt als Herkunft<br />
des Baumeisters vermutlich ebenfalls nicht in Frage,<br />
weil es dort nach heutigem Wissen keine achteckigen<br />
Bauten gab, deren Kenntnis eine Voraussetzung<br />
für die souveräne Anwendung dieser Bauform<br />
im Castel del Monte gewesen sein dürfte.<br />
Dagegen treffen beide Voraussetzungen für die<br />
Qualifikation des Baumeisters zusammen, wenn<br />
man annimmt, dass er aus Andalusien stammte.<br />
Hier war die Schwarze Elle unter der Bezeichnung<br />
a - d- - dir - a’ ar-raˇsˇs - aˇs - ıa ebenfalls noch in Gebrauch,<br />
und hier gab es zahlreiche, achteckige Türme<br />
gleicher Größe und Funktion an vorspringenden<br />
Ecken von Stadtmauern und Festungsmauern.<br />
Vielfach waren diese auch vor die Mauer vorgeschoben<br />
und mit dieser durch eine Zungenmauer<br />
65<br />
verbunden (torres albaranas). Der bekannteste dieser<br />
Türme ist, wenn auch zwölfseitig, wiederum<br />
die Torre del Oro in Sevilla. Es ist denkbar, dass der<br />
arabische Entwurfsverfasser infolge der Vertreibung<br />
der arabischen Oberschicht im Zuge der<br />
reconquista Ferdinands III., des Heiligen, seit 1235<br />
das Land verlassen hatte und nach Süditalien<br />
gekommen war. 99<br />
Die Tätigkeit armenischer Bauhandwerker kann<br />
für Castel del Monte zwar namentlich ebenfalls<br />
nicht belegt werden, ist aber in Süditalien im Allgemeinen<br />
seit längerem bezeugt. Die damit zusammenhängenden<br />
Fragen sollen in dem Schlusskapitel<br />
zusammenfassend angesprochen werden.<br />
7. Ehemalige Zisterzienserabtei-Kirche St.<br />
Maria, St. Johannes Ev. und St. Nikolaus in<br />
Ebrach bei Bamberg<br />
Die jetzige Kirche der ehemaligen Zisterzienserabtei<br />
Ebrach 100 wurde 1200 begonnen und 1285<br />
geweiht. Sie ist eine kreuzförmige, kreuzgewölbte<br />
96 Es ist denkbar, dass sich ein – der einzige bisher bekannte –<br />
Erlass Kaiser Friedrichs II. auf diesen Neuanfang bezieht (LEI-<br />
STIKOW, aber ohne diese Interpretation): Die schriftliche Anweisung<br />
vom 29. Januar 1240 an den Justitiar der Capitanata,<br />
also eines an sich nicht zuständigen Beamten aus dem Nachbardistrikt,<br />
die »Beschaffung« (actractus), von Kalk und Steinen<br />
(»in« (?) calce … et lapidibus) zum Bau des geplanten (d.h. vielleicht<br />
schon abgesteckten) castrums zu veranlassen.<br />
97 Im Gegensatz zu der eher altertümlichen Gewölbekonstruktion<br />
bestand in den bereits angesprochenen, arabischen Bauten<br />
Andalusiens die technisch und statisch hochentwickelte Ausgestaltung<br />
derartiger umlaufender Gewölbe aus einer Abfolge<br />
von abwechselnd quadratischen und dreieckigen Kreuzgewölben.<br />
Die technischen Gründe dafür können hier nicht besprochen<br />
werden.<br />
98 s.o., I, 2.1, Abs. 5, und Anm. 26.<br />
99 Es ist nach Auffassung des Verfassers nicht anzunehmen, dass<br />
die Vorbilder des Entwurfs im isl - amischen Nordafrika oder im<br />
Orient zu suchen seien (D. Sack in SCHIRMER, S. 74 ff.). Das<br />
unmittelbare Vorbild für die Zentralanlage mit engem Innenhof<br />
des Castel del Monte dürfte das nur wenig ältere Kastell<br />
Lucera nördlich von Foggia gebildet haben, dessen Hof in den<br />
beiden unteren Geschossen zwar quadratisch war, im obersten<br />
aber in ein Achteck überführt worden war (Abbildung der bekannten<br />
Skizzen von Jean L. Desprez, 1778, in: HAHN, S. 38).<br />
100 Beschreibung in WIEMER I und DEHIO I, S. 236 ff.
Pfeilerbasilika mit gerade geschlossenem Chor,<br />
Chorumgang und einem Kapellenkranz, der um<br />
den Chor herumgeführt ist und auch die Ostseiten<br />
der Querschiffe umfasst. Die Kirche erhielt Ende<br />
des 18. Jhs. eine frühklassizistische Ausgestaltung,<br />
die den Raumeindruck zwar farblich, sonst<br />
aber nicht wesentlich veränderte. Dabei wurden<br />
die Dienste der Kreuzgewölbe, auch wo sie erst<br />
über den Arkaden beginnen, in Form von raumhohen<br />
Halbsäulen umkleidet. Zur Zeit dieses Aufsatzes<br />
war das Langhaus wegen Restaurierungsarbeiten<br />
eingerüstet und nicht zugänglich.<br />
66<br />
p 1 = 0,3206 m<br />
p 2 = 0,3054 m<br />
Abb. 16: Ebrach, ehem. Zisterzienserabtei-Kirche, Michaelskapelle und Teil der Hauptkirche, Grundriss, M 1:200.<br />
An die Nordseite des nördlichen Querschiffs<br />
schließt sich mit gemeinsamer Mittelwand die einschiffige<br />
Michaelskapelle an (Abb. 16, Taf. 46). Sie<br />
wurde ebenfalls 1200 begonnen, aber schon 1207<br />
geweiht. Das Schiff enthält zwei schmale und ein<br />
fast quadratisches Joch (Taf. 47). An dessen Ostseite<br />
schließt sich mit einer großen, spitzbogigen<br />
Öffnung ein zweigeschossiger, kreuzförmiger Ostteil<br />
aus vier quadratischen Jochen an, zu dessen<br />
Obergeschoss eine breite Freitreppe hinaufführt<br />
(Taf. 48). Das südliche Querschiffquadrat schneidet<br />
in auffälliger Weise in die nördlichste Kapelle
Taf. 47: Ebrach, ehem. Zisterzienserabtei-Kirche,<br />
Innenansicht der Michaelskapelle von Osten. – Foto:<br />
Hanisch.<br />
Taf. 48: Ebrach, ehem. Zisterzienserabtei-Kirche, Innenansicht der Michaelskapelle<br />
von Westen. – Foto: Hanisch.<br />
67
des Querschiffs der Hauptkirche ein. Außerdem<br />
ist die Achse des Ostteils um etwa einen halben<br />
Meter gegenüber dem Schiff nach Norden verschoben.<br />
Schiff und Ostteil sind innen durch flache<br />
Wandnischen, teilweise in Dreipassform und<br />
mit eingestellten, kleinen Säulen reich gegliedert.<br />
101<br />
Kirche und Michaelskapelle wurden in den letzten<br />
Jahren durch Wolfgang Wiemer neu vermessen. 102<br />
Sein Aufmaß sollte dazu dienen, mit Hilfe eines<br />
von ihm entwickelten Computer-Programms<br />
durch die Analyse der Proportionen das verwendete<br />
Maßsystem zu gewinnen. 103 In seinen bisherigen<br />
Berichten hat W. Wiemer jedoch erklärt, dass das<br />
tatsächlich verwendete Konstruktionsmaß nicht<br />
gefunden werden konnte, aber in der Nähe von<br />
0,3200 m liegen müsse. 104<br />
Der Verfasser hat inzwischen die Michaelskapelle<br />
und im Querschiff der Hauptkirche charakteristische<br />
Strecken vermessen. Die dienstartigen, klassizistischen<br />
Wandvorlagen konnten dabei auf einfache<br />
Weise übermessen werden. Zuvor konnte er<br />
im erzbischöflichen Bauamt Bamberg eine Aufmaßzeichnung<br />
einer Achse des Langhauses einsehen.<br />
Später wurde ihm dort auch ein älterer Planausschnitt<br />
mit Maßangaben überlassen (Abb.<br />
16). 105 Bei der Auswertung der Messwerte und der<br />
Aufmaßzeichnungen zeigte sich, dass der Ostteil<br />
der Kirche mit dem 0,3054 m langen, armenischen<br />
Fuß geplant und ausgeführt worden ist.<br />
Die Kapellen sind jeweils 14 Fuß (4,30 m) breit, die Abstände<br />
zwischen den Wandpfeilern der zweiten Kapelle von Norden und<br />
zwischen den beiden süd lichen sind 160 Unzen breit (4,05-4,06<br />
m). Die Wandpfeiler selbst sind 6 1 /2 Fuß breit (1,99-2,00 m). Die<br />
seitlichen Kapellenumgänge sind je 8 Fuß weit (2,445 m).<br />
Beim Aufmaß der Michaelskapelle stellte der Verfasser<br />
zunächst die gleiche Maßart fest, wobei<br />
jeweils die Abstände zwischen den Sockeln maßgebend<br />
waren.<br />
So sind die beiden schmalen Joche des Langhauses 12 Fuß (3,67 m<br />
und 3,655 m) lang und 17 Fuß (5,185-5,195 m) breit. 106 Die<br />
Basen der Säulen des Zwischenbogens und der Wanddienste sind<br />
jeweils 15 Unzen (0,37-0,39 m) breit und springen 1 Fuß weit<br />
(0,30-0,31 m) vor. Der Abstand der Sockel des Bogens zwischen<br />
dem zweiten, schmalen und dem quadratischen Joch beträgt 12<br />
Fuß (3,67 m). Das quadratische Joch ist 200 Unzen (5,09-5,10 m)<br />
breit (d. h. 4 Unzen weniger als 17 Fuß) und 18 Fuß (5,52 m)<br />
lang.<br />
68<br />
Der zweigeschossige Querschiffs- und Chorabschnitt<br />
der Michaelskapelle ist jedoch mit dem<br />
0,3206 m langen, armenischen Fuß konstruiert<br />
worden.<br />
Die große Öffnung in Form eines Triumphbogens ist zwischen den<br />
Laibungen 10 Fuß (3,21 m) und zwischen den Sockeln der eingestellten<br />
Säulen 8 Fuß (2,58 m) weit. Die Gesamtbreite des Querschiffs<br />
beträgt 34 Fuß (10,935 m), wovon auf die Seitenarme je 12<br />
Fuß (3,85 m) entfallen. Das Chorquadrat ist 150 Unzen (12 1 /2<br />
Fuß, 3,99 m) breit und 14 Fuß (4,49 m) lang.<br />
Bauliche Details, wie Rundfenster, Fensterumrahmungen,<br />
Rundbogenfriese weisen wie bei allen<br />
romanischen Bauten ganz allgemein auf armenische<br />
Vorbilder hin. Andere Besonderheiten der<br />
Bauweise, die unmittelbare Vorbilder im armenischen<br />
Kirchenbau haben können, konnten wegen<br />
der klassizistischen Auskleidung der Kirche, und<br />
im Langhaus auch wegen der Einrüstung, nicht<br />
festgestellt werden. Dies bliebe einer gesonderten<br />
101 Gleichartige Wandgliederungen befinden sich bekanntlich<br />
auch in den beiden Chören des Bamberger Doms, dessen heutiger<br />
Bau ebenfalls um 1200 begonnen wurde (DEHIO I, S. 70<br />
ff., ferner v. WINTERFELD). Die Beziehungen zwischen den<br />
beiden, gleichzeitig begonnenen Bauten können hier nicht<br />
erörtert werden; dazu Hinweise weiter unten.<br />
102 WIEMER II, S. 26 ff., und die folgenden Anmerkungen.<br />
103 WIEMER III, S. 263: »Die Grundzüge des Analyseverfahrens<br />
bestehen darin, daß das (Computer-)Programm aus den Maßen deren<br />
Verhältnisse errechnet und diese ... mit den Referenzwerten einer Proportionsdatei<br />
vergleicht«.<br />
104 WIEMER III, S. 268, und Wiederholungen an anderen Stellen.<br />
105 Vermutlich von Jäger (1902), den WIEMER I, S. 3, Anm. 2,<br />
ebenfalls benutzt hat.<br />
Der Verfasser dankt an dieser Stelle Herrn Diözesanarchitekt<br />
Herbert van Beek für die Überlassung dieser Unterlagen und<br />
für seine weitere Unterstützung.<br />
106 Die Strecken verhalten sich wie 1 : √2, d.h. wie die Seite eines<br />
Quadrats zu seiner Diagonale. Dieses Verhältnis ist das Ergebnis<br />
des ersten Schrittes der quadratura, wie sie das Mittelalter<br />
verstand, d.h. eines bereits in der Antike geläufigen Verfahrens,<br />
bei dem ein Quadrat so halbiert wird, dass die Hälfte des Quadrats<br />
wieder ein Quadrat ist. Die auf diese Weise gewonnenen<br />
Strecken verhalten sich in fortlaufender Reihe bekanntlich<br />
immer wie 1 : 1 /2 x √2. Das wahrscheinlich im 13. Jh. entstandene<br />
Verfahren, die quadratura mit Hilfe der Triangulatur im<br />
sog. Achtort zu bilden, kann hier nicht vorgeführt werden. Dieses<br />
Verfahren ist für den Entwurf der Kirche auch unerheblich.
Untersuchung vorbehalten, die jedoch in den klassizistischen<br />
Bestand eingreifen würde.<br />
Im Inneren der Kapelle dürfte die dreipassförmige<br />
Ausgestaltung der Wandnischen mit den eingestellten<br />
Säulen (Taf. 49) auf ähnliche, zeitgleiche,<br />
armenische Vorbilder hinweisen (Taf. 50). 107 Die<br />
etwas unbeholfen wirkende Stellung der in die<br />
Raumdiagonale gerichteten Sockel der Diagonalrippen<br />
könnte dagegen damit erklärt werden, dass<br />
die Handwerker nicht mit der üblichen, orthogonalen<br />
Stellung der Sockel in einem Kreuzrippengewölbe<br />
vertraut waren, was man bei einheimischen<br />
Handwerkern voraussetzen müsste. 108<br />
Bauliche Merkmale werden deshalb zur Interpretation<br />
des Befundes nicht herangezogen.<br />
Im Zusammenhang mit den im Folgenden zu<br />
besprechenden Steinmetzzeichen belegt der Um -<br />
stand, dass die armenischen Maßarten nicht nur an<br />
einzelnen und isolierten Bauteilen, sondern durchgängig<br />
festzustellen sind, dass Abteikirche und<br />
Michaelskapelle von vornherein mit ihnen geplant<br />
wurden. Dies wiederum lässt den Schluss zu, dass<br />
der planende Architekt entweder selbst einer armenischen<br />
Steinmetz-Bruderschaft angehörte und<br />
vielleicht sogar einer ihrer Vorsteher war, oder dass<br />
er mindestens der Tradition einer Bruderschaft<br />
entstammte. In jedem Fall dürfte er dem durch die<br />
Bruderschaften geprägten Bauwesen so nahe gestanden<br />
haben, dass er deren Maßarten selbstverständlich<br />
anwendete, obwohl mehrere europäische<br />
Maßarten zur Verfügung standen. 109 Er tat dies<br />
vermutlich auch in der Erwartung, dass an dem<br />
Neubau, wie schon an vielen anderen Neubauten<br />
dieser Zeit in Deutschland, armenische Bauhandwerker,<br />
sei es als Gruppen einer Bruderschaft, sei<br />
es als nicht organisierte Handwerker, arbeiten<br />
würden, für die die armenische Maßart eine selbstverständliche<br />
Grundlage ihrer Arbeit gewesen sein<br />
dürfte. Diese Erwartung hat sich, wie die armenischen<br />
Steinmetzzeichen zeigen, auch bestätigt.<br />
Wolfgang Wiemer hatte 1957 auch etwa 3.600<br />
erhaltene Steinmetzzeichen aufgenommen, teilweise<br />
kartiert und für einige von ihnen die Häufigkeit<br />
angegeben. 110 Die nach Bauteilen zu sam -<br />
men ge stellten Steinmetzzeichen vermitteln zunächst<br />
erneut den Eindruck der großen Vielfalt<br />
unterschiedlichster Zeichen und sodann häufig das<br />
fast beliebige Nebeneinander dieser unterschiedlichen<br />
Zeichen (Abb. 17). 111<br />
69<br />
107 Hovannawank, Klosterkirche, 13. Jh.; Dreipässe wurden häufig<br />
auch in isl - amischen Bauten gebildet, die in armenischer<br />
Bautradition stehen (HANISCH I, Abb. 11, Taf. 63, Inschrifttafel<br />
Al-Malik al-‘ - Adils; HANISCH II, Taf. 147, Torbogen mit<br />
Inschrift Al-Malik al-‘ - Adils).<br />
108 Auch im Bamberger Dom sind die im Grundriss etwa quadratischen<br />
Sockel der Eckdienste im (westlichen) Querschiff unter<br />
45° schräg in die Raumecken gestellt. Zum Bamberger Dom<br />
s. folgende Anmerkung.<br />
Wie schon von anderen Kunsthistorikern angenommen<br />
(DEHIO I, S. 238), deutet die Anordnung des Ostteils der<br />
Michaelskapelle auf eine erhebliche Planänderung hin, bei der<br />
vielleicht sogar die Außenecke der im Bau befindlichen Nordostkapelle<br />
der Hauptkirche wieder abgebrochen wurde. Die<br />
Maßanalyse belegt darüber hinaus, dass auch andere Bauhandwerker<br />
eingesetzt wurden. Der Anlass dafür muss von großer<br />
Wichtigkeit gewesen sein. Leider können hier nur Vermutungen<br />
angestellt werden. Da eine Verbindungstreppe zwischen<br />
dem Schiff und dem Untergeschoss des Ostteils ursprünglich<br />
nicht vorhanden war, kann man einen besonderen kultischen<br />
Zweck, etwa die Verehrung einer neuen Reliquie, vermutlich<br />
ausschließen. Die wahrscheinlichste Annahme ist, wie auch<br />
von W. Wiemer vermutet, dass das Untergeschoss als Bestattungsort<br />
vorgesehen worden war, zumal dort ein undatierbares,<br />
verschüttetes Grab gefunden wurde. Vielleicht sollten die<br />
sterblichen Reste der Königin Gertrud, der Gemahlin Konrads<br />
III. (gest. 1147 in Hersfeld) und ihres Sohnes Friedrich<br />
von Rothenburg (gest. 1167 bei Pavia), die noch im Vorgängerbau<br />
der heutigen Kirche beigesetzt worden waren, während<br />
des Neubaus der heutigen Kirche hierhin umgebettet werden,<br />
vielleicht sogar als endgültige Ruhestätte. Sie wurden jedoch<br />
1269 von einer unbekannten Stelle in die Hauptkirche überführt<br />
(WIEMER, S. 9 f.; DEHIO I, S. 240). Klarheit über den<br />
Charakter des Untergeschosses des Ostteils kann jedoch vermutlich<br />
nur eine nochmalige Grabung bringen. 1965 wurde bei einer<br />
Grabung zwar das erwähnte, verschüttete Grab gefunden,<br />
sonst offenbar aber keine weiterführenden Befunde festgestellt<br />
(WIEMER I, S. 10 f.).<br />
109 Fußmaße nach den Feststellungen des Verfassers: 0,2715 m<br />
(Kloster Eberbach, Dom zu Bamberg), 0,2880 m (Dom zu<br />
Bamberg), 0,2962 m (Römischer Fuß, Pfalzkapelle Aachen,<br />
s.u., Beispiel 10), 0,3248 m (Französischer Königsfuß, Kloster<br />
Eberbach), 0,3332 m (drusianischer Fuß, Dom zu Bamberg,<br />
St. Georg, Köln, s.u. Abschnitt 8). Der Neubau des Bamberger<br />
Doms von ca. 1185/1200 scheint nach stichprobenhaften<br />
Messungen des Verfassers zunächst mit einem 0,2880 m langen<br />
Fuß (»Baumaß«) begonnen, dann aber einheitlich mit dem<br />
0,3206 m langen Fuß umgeplant und ausgeführt worden zu<br />
sein; einige Sonderbauteile sind auch mit dem 0,3332 m langen,<br />
drusianischen Fuß ausgeführt worden.<br />
110 WIEMER I, Taf. I – III.<br />
111 Die verbreitete Annahme, dass es sich bei Steinmetzzeichen<br />
um persönliche Zeichen der einzelnen Handwerker handele, ist<br />
strittig; somit müssen auch gleich aussehende Zeichen nicht<br />
zwangsläufig von ein und demselben Handwerker stammen,<br />
wie WIEMER I an anderer Stelle (S. 18 f.) ebenfalls bemerkt.
Taf. 49: Ebrach, ehem. Zisterzienserabtei-Kirche, Dreipassblendnischen. – Foto: Hanisch.<br />
Taf. 50: Hovannawank, Klosterkirche, Dreipassblendnischen (13. Jh.). – aus:<br />
NOVELLO, Taf. 73.<br />
70
Abb. 17: Ebrach, ehemalige Abteikirche, Tabelle der Steinmetzzeichen.<br />
Die Analyse der Zeichen ergab ein fast gleiches<br />
Bild wie die Analyse der Steinmetzzeichen in den<br />
Burgen der Kreuzfahrerstaaten (Abb. 4). Es lassen<br />
sich zwölf Gruppen unterscheiden:<br />
1. Abbilder religiöser Symbole (31 Zeichen),<br />
darstellend Kreuze, darunter armenische<br />
Kreuze, Halbkreuze, Stelen, Katschkare,<br />
Lebensbäume, und vermutlich ein europäisches<br />
Zeichen, die Heilige Lanze. Ein Zeichen<br />
stellt Christus dar, der die Arme ausbreitet,<br />
aber ohne Kreuz dargestellt ist. 112 Zwei Kreuze<br />
haben ihre identische Entsprechung in einem<br />
Kreuz in der armenischen Burg Lamprun<br />
(Abb. 4). Katschkare oder Kreuz steine, hier in<br />
vereinfachter Darstellung, sind in Armenien<br />
in unzähligen Exemplaren erhalten und häufig<br />
mit größter Kunstfertigkeit ausgeführt. Der<br />
Lebensbaum, hier ebenfalls in vereinfachter<br />
Darstellung, hat in Armenien seit dem Mittelalter<br />
eine herausragende, religiöse Bedeutung.<br />
71<br />
2. Abbilder heraldischer Gegenstände (14 Zeichen),<br />
darstellend Zepter, Dreieckschilde oder<br />
Wappen, Standarten oder Fahnen, heraldische<br />
Lilien, Bogen (Waffen),<br />
3. Abbilder von Messgeräten und Werkzeugen<br />
(5 Zeichen),<br />
darstellend Holzwinkel, einen Hammer und<br />
eine Schaufel,<br />
112 Eine ikonographische Interpretation dafür ist dem Verfasser in<br />
der europäischen Kunst nicht bekannt. Es sei aber darauf hingewiesen,<br />
dass nach byzantinischen Quellen des 8. und 10. Jhs.<br />
die Paulikianer die Verehrung des Kreuzes als eines hölzernen<br />
Gegenstandes ablehnten und erklärten, dass das »Wahre Kreuz«<br />
Christus selber sei, der seine Arme ausstreckt (GARSOIAN,<br />
S. 171 und Anm. 114). Die Verhüllung des Körpers Christi<br />
könnte ebenfalls eine Parallele in den Vorstellungen der Paulikianer<br />
haben, die die geweihten Bestandteile des gemeinsamen<br />
Gedächtnismahles (d.h. ohne die orthodoxe Transsubstantiation),<br />
Brot und Wein, verhüllt aufbewahrten.
4. Abbilder von Bauzeichnungen von Bauteilen<br />
(2 Zeichen),<br />
darstellend einen Steinverband und eine<br />
Säulen basis,<br />
5. Abbilder von Pflanzen und Tieren (5 Zeichen),<br />
darstellend einen Falken, einen Reiher (?) 113<br />
und Blätter,<br />
6. Abbilder von Bauteilen (1 Zeichen),<br />
darstellend die Radien eines spitzbogigen<br />
Ge wölbes über dessen Grundlinie,<br />
7. Armenische Buchstaben (12 Zeichen),<br />
8. Lateinische Buchstaben (49).<br />
9. Geometrische Zeichen (108 Zeichen),<br />
darstellend die Figuren der Definitionen und<br />
Propositionen aus dem 1. Buch der Elemente<br />
des Euklid (vergl. Abb. 2 und 3),<br />
10. Zeichen kryptographer Schriftarten (19 Zeichen),<br />
11. Gotische Zeichen (8 Zeichen),<br />
12. Unbekannte Zeichen (16 Zeichen).<br />
Die meisten Zeichen der 1. Gruppe, sowie die Zeichen<br />
der 7., 9. und 10. Gruppe können mit Sicherheit<br />
armenischen Steinmetzen zugeordnet werden.<br />
Das kryptographe Zeichen, das wie ein Doppelbogen<br />
mit nach unten verlängerter Mittellinie aussieht<br />
(Nr. 59 und 67), ist ein noch deutlicherer<br />
Beleg dafür. Es hat eine Parallele in einem Steinmetzzeichen<br />
auf einem Kapitell im staufischen<br />
Kastel von Bari (um 1240), wo es in einer Steinmetzinschrift<br />
im Namen des armenischen Steinmetzen<br />
MELIS an Stelle des lateinischen Buchstabens<br />
M verwendet ist (Taf. 51). 114 Ein weiteres<br />
kryptographes Zeichen, das wie ein um 90°<br />
gedrehter, kursiv geschriebener lateinischer Buchstabe<br />
M aussieht, wird noch einmal erwähnt.<br />
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die zahlreichen<br />
Zeichen, die armenische Symbole und<br />
Buchstaben darstellen, dann vor allem die Fülle<br />
von geometrischen Zeichen, die nach wie vor den<br />
Elementen des Euklid, und die Fülle der Zeichen,<br />
die kryptographen Schriftarten entnommen sind,<br />
erneut belegen, dass im Laufe der langen Bauzeit<br />
immer wieder zahlreiche armenische Steinmetzen<br />
arbeiteten, von denen die meisten den klassischen,<br />
armenischen Bruderschaften entstammten. 115<br />
Diese Hauptgruppe hebt sich deutlich von den<br />
gegenständlichen Zeichen ab, die als die Zeichen<br />
einheimischer Steinmetzen angesehen werden<br />
72<br />
müssen. Ungeachtet der geringeren Zahl dieser<br />
Zeichen dürfte die tatsächliche Zahl der Steinmetzen<br />
größer gewesen sein. Die Vielfalt der Zeichen<br />
spiegelt dabei in ähnlicher Weise wie in den<br />
Kreuzfahrerstaaten das gleichzeitige Wirken ein-<br />
113 In 70 Exemplaren!<br />
114 MILIS ist die latinisierte Form des armenischen Namens Mleh;<br />
s. dazu III, Die Träger der Entwicklung.<br />
115 An dieser Stelle muss einem Einwand vorgebeugt werden, der<br />
vermutlich bei allen europäischen Beispielen, in denen die<br />
»euklidischen« Zeichen systematisch verwendet wurden, vorgebracht<br />
werden könnte: Der Einwand, dass diese Zeichen zusammen<br />
mit dem Lehrbuch des Euklid über die Elemente entweder<br />
aus griechisch geschriebenen Werken oder aus lateinischen<br />
Übersetzungen, vor allem des Boethius, auch in Europa<br />
bestens bekannt gewesen wären, und dass die Zeichen deshalb<br />
auch von europäischen Steinmetzen stammen müssten. Der<br />
Nachweis dafür ist aber nicht zu führen. Für die Kenntnis der<br />
griechischen Urfassung der Elemente im Mittelalter in Europa<br />
scheint es bis jetzt überhaupt keine Belege zu geben. Aber<br />
auch die Kenntnis der lateinischen Übersetzung der Elemente<br />
durch Boethius dürfte gering gewesen sein, im Gegensatz zu<br />
der seiner anderen Werke. Während sein bekanntestes Werk de<br />
consolatione philosophiae in den Bibliotheks-Verzeichnissen mittelalterlicher<br />
Klöster etwa 400 mal aufgeführt wird, sind heute<br />
nur 18 Klöster bekannt, die den Text von Boethius’ Geometria<br />
II, die seinen vollständigsten Text enthielt, oder Teile davon<br />
besaßen. Abgesehen davon, dass Boethius nur die Bücher 1-4<br />
der Elemente übersetzt hat, hat er von diesen auch nur die Definitionen,<br />
Axiome und Propositionen übersetzt, dagegen nicht<br />
die Beweise. Dadurch war dieses Buch von vornherein als mathematisches<br />
Lehrbuch nicht geeignet. Außerdem sind diese<br />
Texte teilweise fragmentarisch und stellenweise korrupt überliefert.<br />
Für die geringe Akzeptanz kommt hinzu, dass die Kopisten<br />
von der jeweiligen Vorlage immer auch deren Fehler<br />
übernahmen, was zeigt, dass sie den mathematischen Text<br />
offenbar nicht verstanden. In den überlieferten Texten finden<br />
sich auch keine Marginalien von fremder Hand, die auf einen<br />
mathematisch kundigen Bearbeiter hinweisen. Ein Musterbeispiel<br />
für einen derartigen, unkritisch weitergegebenen Text bildet<br />
die in Erlangen aufbewahrte, vollständige Fassung der Geometria<br />
II aus dem 12. Jh. Erst nach dem Vorliegen der Übersetzung<br />
der Elemente aus dem Arabischen in das Lateinische<br />
durch Adelard von Bath um 1120 und etwas später durch Hermann<br />
von Kärnten und Gerard von Cremona war es möglich,<br />
auch den überlieferten lateinischen Text des Boethius zu rekonstruieren.<br />
Ein Beispiel dafür bildet die um 1200 entstandene,<br />
sich in Lüneburg befindliche Fassung (s. Anm. 28). (Zu<br />
den vorstehenden Bemerkungen FOLKERTS, dem sie in aller<br />
Kürze entnommen sind.) Unter diesen Umständen ist es auszuschließen,<br />
dass deutsche oder andere europäische Steinmetzen<br />
bis zur Mitte des 13. Jhs. und noch darüber hinaus in<br />
einem derartigen Umfang Kenntnis von den Figuren der Elemente<br />
besaßen, dass sie im Stande waren, sie als einheitliches<br />
Kennzeichen ihrer beruflichen Zusammengehörigkeit zu verwenden.
Taf. 51: Castel Bari, Innere Eingangshalle, Adlerkapitell mit Inschrift „MILIS“. – Foto:<br />
Hanisch.<br />
Taf. 52: ehem. Stiftskirche St. Georg, Krypta, Bauinschrift auf einem Kapitell. – Foto:<br />
Hanisch, Ruth.<br />
73
zelner Steinmetzen oder kleiner Gruppen, aber<br />
auch das Fehlen einer auf eine Einheitlichkeit ausgerichteten<br />
Organisationsform wider. Ein Zusammenschluss<br />
dieser Steinmetzen zu einer Steinmetz-Bruderschaft<br />
und damit zu einer festen Bauhütte<br />
ist noch nicht zu erkennen.<br />
8. Ehemalige Stiftskirche St. Georg zu Köln 116<br />
Das folgende Beispiel ist zwar von geringerer<br />
künstlerischer Bedeutung als die vorher beschriebenen,<br />
andererseits aber für die vorliegende Untersuchung<br />
wichtig, da zum ersten Mal in dieser<br />
Untersuchung ein Bauwerk beschrieben werden<br />
kann, dessen »romanische« Merkmale auch in<br />
ihren Beziehungen zueinander als armenisch nachgewiesen<br />
werden können.<br />
Die ehemalige Chorherren-Kirche wurde um<br />
1060 von dem später heilig gesprochenen Erzbischof<br />
Anno II. von Köln begonnen. Der Gründungsbau<br />
war eine dreischiffige, flachgedeckte<br />
Basilika mit Querschiff und ausgeschiedener Vierung,<br />
einer Ostapsis und einer Westapsis (Abb.<br />
18, unten). Das Chorquadrat war von den beiderseitigen<br />
Abschnitten der Seitenschiffe durch Wände<br />
getrennt. Unter dem Chor und diesen Abschnitten<br />
der Seitenschiffe befindet sich eine insgesamt<br />
fünfschiffige Unterkirche. Der Grundriss<br />
der Ostapsis bildete ursprünglich ein halbes Zehneck.<br />
Die kurzen Querschiffe waren – und sind<br />
auch heute wieder – tonnengewölbt. Vermutlich<br />
war auch das Chorquadrat ursprünglich tonnengewölbt,<br />
wie man aus den chorseitigen Bogenfriesen<br />
im oberen Teil der Trennwände schließen kann.<br />
Die Querschiffe waren außerdem in einer für Europa<br />
neuartigen Weise durch außen vorstehende<br />
Strebenischen abgeschlossen, deren Wände zuerst<br />
ein kurzes Stück rechtwinklig zur Giebelwand<br />
standen, dann aber drei Seiten eines halben Sechsecks<br />
bildeten (s. o., I, 2.3 e). Ihre Außen- und<br />
Innenseiten waren, wohl schon ursprünglich, jeweils<br />
durch flache Blendnischen gegliedert, die<br />
Innenseiten außerdem noch durch flache Rundnischen,<br />
so dass innen der Eindruck einer runden<br />
Apsis entstand. Die Stützen der Langschiffwände<br />
bestehen aus antiken Säulen, deren angearbeitete,<br />
wahrscheinlich ursprünglich attischen Basen in<br />
un geschickter Weise flach abgearbeitet worden<br />
sind. Die Kapitelle sind Würfelkapitelle (s. o., I,<br />
2.3 n).<br />
74<br />
Um 1150 wurden Mittelschiff, Seitenschiffe, Vierung<br />
sowie das Chorquadrat mit Kreuzgewölben<br />
eingewölbt, das Chorquadrat offenbar nach Abbruch<br />
des bisherigen Tonnengewölbes. Für die<br />
Einwölbung des Mittelschiffs wurden in der Mitte<br />
der Längsschiffwände neue, kreuzförmige Pfeiler<br />
eingebaut und für die Einwölbung des Chorquadrats<br />
die östlichen Chorpfeiler nach Osten zu verstärkt.<br />
Außerdem scheint die heutige Ostapsis<br />
damals erneuert worden zu sein, wie die Maßanalyse<br />
ergibt. Um 1180 wurde nach dem Abbruch<br />
der alten Westapsis an gleicher Stelle in der Breite<br />
des Mittelschiffs ein monumentaler Westabschluss<br />
mit quadratischem Grundriss errichtet,<br />
der innen einen zweigeschossigen Westchor bildete.<br />
Seine Innenwände sind im Erdgeschoss durch<br />
je drei Blendnischen mit flachen Apsiden und eingestellten<br />
Säulen und im Obergeschoss jeweils<br />
durch eine gleichartige Nische und zwei kleine<br />
Doppelarkaden mit Mittelsäule gegliedert. Es<br />
scheint, dass der eingeschossige Bau ursprünglich<br />
noch ein oder mehrere Obergeschosse erhalten<br />
sollte.<br />
Wahrscheinlich im Zuge der Barockisierung der<br />
Kirche am Ende des 18 Jhs. wurden die Querschnittsarme<br />
mit den polygonalen Strebenischen<br />
abgebrochen. 117 Seit 1877 wurde die Kirche durchgreifend<br />
restauriert, 1927-1930 noch ein zweites<br />
Mal, diesmal unter Wiederherstellung der Strebenischen.<br />
Im 2. Weltkrieg wurde der Ostteil des<br />
Langhauses, die Vierung und der Chor fast völlig<br />
zerstört. Nach 1949 wurden die zerstörten Bauteile<br />
in der angenommenen Fassung von 1060/1150<br />
wieder aufgebaut (Taf. 53).<br />
116 Der folgende Abschnitt ist die erweiterte und umgestaltete<br />
schriftliche Fassung eines auf dem Kongress ORDO ET MEN-<br />
SURA VII, München 2001, vorgetragenen Kommentars des<br />
Verfassers zu ROTTLÄNDER II (nicht veröffentlicht).<br />
Beschreibungen der Kirche in: KUNSTDENKMÄLER, S.<br />
330 ff.; DEHIO II, S. 334 ff., v.a. SCHORN.<br />
117 In der o.a. Literatur wird für den Abbruch ein Zeitpunkt am<br />
Anfang des 19. Jhs. angenommen. Andererseits ist in einer in<br />
der Kirche aufgestellten, spätbarocken Büste der hl. Anno, der<br />
Stifter der Kirche, mit einem Kirchenmodell dargestellt, bei<br />
dem der charakteristische Westturm korrekt wiedergegeben<br />
ist, die Querschiffe aber bereits fehlen.
Taf. 53: Köln, ehem. Stiftskirche St. Georg, Blick aus<br />
dem Westbau nach Osten. – aus: KUNSTDENK -<br />
MÄLER, Taf. XXVII.<br />
Taf. 54: Köln, ehem.<br />
Stiftskirche St. Georg,<br />
Krypta. – aus: KUNST-<br />
DENKMÄLER, Fig. 197.<br />
75
Abb. 18: Dwin, Kathedrale (oben), Thalin, Kathedrale (Mitte), Köln, St. Georg (unten), Grundrisse, ohne Maßstab.<br />
76
Die Kirche wurde kürzlich von Rolf Rottländer<br />
im Rahmen einer Untersuchung romanischer Kirchen<br />
in Köln untersucht. 118 Er wollte mit Hilfe der<br />
verwendeten Maßart klären, ob und gegebenenfalls<br />
inwieweit die Kirche aus einem römischen<br />
Bauwerk hervorgegangen sei, und ob von diesem<br />
und vor allem von der angenommenen römischen<br />
Maßart wesentliche Dispositionen für den Grundriss<br />
ausgegangen wären. Er stellte zunächst fest,<br />
dass dies nicht der Fall war, entwickelte dann aber<br />
weitergehende Vorstellungen, die in der Anmerkung<br />
119 kurz erörtert werden.<br />
Zur Überprüfung seiner Angaben hat der Verfasser<br />
ein neues, nahezu vollständiges Aufmaß erstellt.<br />
Dies hat zunächst die von R. Rottländer festgestellten,<br />
auffälligen Abweichungen von vermutlich<br />
gleichlang intendierten Sollmaßen bestätigt, dann<br />
aber gezeigt, dass Rottländers postulierte Maßarten<br />
und schließlich seine umfangreichen Schlüsse<br />
daraus nicht zutreffen. 119 Da einige Meßergebnisse<br />
des Verfassers aber Grenzwerte bestimmter Mittelwerte<br />
zu sein schienen und im Einzelnen auch als<br />
konk re te Maße vorkommen, ergab die Analyse,<br />
dass der Gründungsbau des 11. Jhs. mit dem<br />
0,3054 m langen, armenischen Fuß und die Einwölbung<br />
des 12. Jhs. mit dem 0,3206 m langen,<br />
armenischen Fuß ausgeführt worden sind. Im<br />
Westbau wurde als weitere Maßart der 0,3332 m<br />
lange, drusianische Fuß festgestellt, der häufig auch<br />
als der »karolingische« Fuß bezeichnet wird. Der<br />
Westchor wird hier nicht weiter behandelt.<br />
Das Mittelschiff des annonischen Baus ist demnach zwischen den<br />
Sockelplatten der Säulen 25 Fuß breit (i. M. 7,635 m), die Sockelplatten<br />
sind im Quadrat 2 1 /2 Fuß groß (i. M. und mehrfach genau<br />
0,765 m), die Seitenschiffe sind ohne die zu der späteren Einwölbung<br />
gehörenden Wandsockel 12 Fuß breit (i. M. und mehrfach<br />
genau 3,665 m). Der Soll- und Mittelwert der inneren Breite<br />
beträgt demnach 54 Fuß (16,493 m). 120 Die Interkolumnien zwischen<br />
den Sockelplatten sind etwas mehr als 8 Fuß weit (i. M. 8,10<br />
Fuß, 2,473 m). Die Länge des Mittelschiffs beträgt zwischen Triumphbogen<br />
und Westwand 53 Fuß (16,16 m). Die Vierung ist<br />
geringfügig weniger als 25 Fuß (gemessen 24,38 Fuß) breit und<br />
etwas mehr als 25 Fuß (gemessen 25,28 Fuß) lang. Das Chorquadrat<br />
ist zwischen den Rundbogenfriesen im oberen Teil der Seitenwände<br />
23 Fuß (7,03 m) breit und 25 Fuß (7,63 m) lang. Die<br />
Querschnitts arme wurden nicht gemessen, da sie 1877 rekonstruiert<br />
worden sind. Auch die Mauerstärke der Außenwände des<br />
Langhauses wurde nicht gemessen, da diese nach der Kriegszerstörung<br />
weitgehend neu erstellt worden sind. Sie soll nach Rottländer<br />
i. M. 0,991 m = 40 Unzen (1,018 m) betragen. Intendiert war<br />
möglicherweise 0,915 m = 3 Fuß.<br />
77<br />
Die Abfolge der intendierten Quermaße des Langhauses dürfte<br />
demnach: 3 Fuß bzw. 40 Unzen > 12 Fuß > 2 1 /2 Fuß = 30 Unzen<br />
> 25 Fuß = 300 Unzen > 2 1 /2 Fuß = 30 Unzen > 12 Fuß > 3 Fuß<br />
bzw. 40 Unzen = 60 Fuß (18,32 m) bzw. 60 Fuß plus 8 Unzen<br />
(18,52 m) betragen haben, gegenüber Rottländers Ermittlung von<br />
18,41 m.<br />
Die frühstaufischen Zwischenpfeiler fügen sich in die beschriebene<br />
Maßstruktur ein. Ihre Seiten sind der älteren Maßart angepasst<br />
und sind 2 1 /2 Fuß (0,75 m) und 3 Fuß (0,92 m) lang. Alle anderen<br />
Abmessungen sind aber eindeutig mit dem 0,3206 m langen<br />
Fuß zu messen. Die Seiten der Sockelplatten der neuen Zwischenpfeiler<br />
sind 5 Fuß (1,61 m), ca. 52 Unzen (4 3 /4 Fuß, i. M. 1,43 m),<br />
45 Unzen (3 3 /4 Fuß, 1,20 m) und 40 Unzen (1,08 m) lang. Die<br />
Innenseiten der verstärkten, östlichen Vierungspfeiler sind 50<br />
Unzen (1,35 m) lang. Die halbrunde Apsis ist 250 Unzen (6,68 m)<br />
breit, ihre zum Chorquadrat hin verlängerten Seiten sind 70 Unzen<br />
(1,86 m) lang. Die letzten Beobachtungen belegen demnach,<br />
dass die Einwölbung des Chorquadrats und die Anfügung der<br />
halbrunden Apsis Bestandteile des frühstaufischen Umbaus sein<br />
müssen.<br />
Bereits die offenkundige Verwendung der beiden<br />
Fußmaße lässt auf die Tätigkeit armenischer Bauhandwerker<br />
beim Bau der Kirche schließen. Überraschend<br />
ist, dass dies für einen Zeitraum von<br />
mindestens 90 Jahren zutrifft, was auf eine inzwischen<br />
in Köln etablierte Bautradition oder sogar<br />
auf eine inzwischen ansässig gewordene Steinmetz-Bruderschaft<br />
schließen lässt. Ein Schlaglicht<br />
auf diese Präsenz armenischer Gruppen in Köln<br />
wirft ein Ereignis von 1143 oder 1146, auf das im<br />
Schlusskapitel noch eingegangen wird.<br />
118 s. Anm. 116.<br />
119 Da ROTTLÄNDER II nicht zuvor den baulichen Befund analysiert,<br />
unterscheidet er nicht zwischen der 1. und der 2. Bauphase,<br />
sondern fasst die gemessenen oder aus der Literatur<br />
übernommenen oder aus Plänen abgegriffenen (!) Einzelmaße<br />
zusammen und errechnet mit Hilfe seines bekannten Rechnerprogramms<br />
aus diesem Mischwert 2 verschiedene Fußmaße:<br />
Für die Nordsüd-Strecken einen 0,288 m langen Fuß (»Baumaß«,<br />
Code A3) und für die Ostwest-Strecken und das Chorquadrat<br />
eine von ihm postulierte, 0,4147 m lange kleine Elle<br />
der »Nippur-Elle« (Code A1). Diese Annahme ist bereits aus<br />
der Praxis der Ausführung unrealistisch, dann aber vor allem<br />
auf Grund der Analyse der Bauphasen. Auf seine Folgerungen<br />
braucht nicht eingegangen werden.<br />
120 In KUNSTDENKMÄLER, S. 339, mit 16,47 m angegeben.
Auch die besondere Art des Grundrisses dürfte das<br />
Werk eines armenischen Baumeisters sein. Der<br />
Vergleich mit den Grundrissen von zwei sehr alten<br />
Kirchen in Armenien (Abb. 18 oben und Mitte),<br />
der Kathedrale von Dwin (erbaut 607, zerstört<br />
686), und der Kathedrale von Thalin (erbaut in<br />
der 2. Hälfte des 7. Jhs., als Ruine einschließlich<br />
der Würfelkapitelle noch erhalten; Taf. 11), zeigt<br />
zum einen eine Eigentümlichkeit armenischer<br />
Querschiffe bei Langbauten, nämlich ihre Anordnung<br />
in der Mitte der Kirche. Vor allem aber zeigt<br />
er die Anordnung der polygonalen Strebenischen<br />
am Chor und an den Stirnseiten der Querschiffe (s.<br />
o. I, 2.3 e). Insofern ist der Grundriss der Kirche<br />
St. Georg eine fast genaue Kopie des Grundrisses<br />
der Kathedrale von Dwin. Im 13. Jh. wurde die<br />
An ordnung polygonaler und später halbrunder<br />
Strebenischen ein typisches Merkmal Kölner Kirchen.<br />
Steinmetzzeichen befinden sich in geringer Zahl<br />
nur an dem Westbau, der hier nicht beschrieben<br />
wird. Sie entsprechen weitgehend den europäischen<br />
Zeichen, die am Beispiel der Abteikirche<br />
Ebrach beschrieben worden sind. Geometrische<br />
Zeichen fehlen fast ganz.<br />
Ein einzelnes Steinmetzzeichen findet sich jedoch<br />
in der bekannten, aber stets unverstandenen<br />
Inschrift auf einem Kapitell in der Unterkirche<br />
direkt neben dem Altar. Die Inschrift lautet<br />
»HEREBRAT ME FECIT« (Taf. 52). Der Eigenname<br />
ist nicht latinisiert und demnach ein originaler<br />
Name. Die Inschrift muss wie folgt gelesen<br />
werden: »Her Ebrat me fecit«. Danach ist der<br />
Eigenname armenisch und so zu übersetzen: her<br />
(auch heir, volkstümlich für armenisch haisch):<br />
»Vater«, als Titel eines Geistlichen wie lateinisch<br />
pater, und ebrat (volkstümlich für armenisch eprat<br />
oder efrat): »Euphrat«. Der Träger dieses Names<br />
wurde demnach als armenischer Geistlicher aus<br />
der Region des Euphrat angesehen. Er wurde entweder<br />
so genannt, weil man seinen wirklichen<br />
Namen nicht aussprechen konnte und ihn deshalb<br />
nach seinem Herkunftsland benannte, und er<br />
nannte sich dann auch selbst so, oder er hieß wirklich<br />
so, obwohl dieser Name sonst nicht als Eigenname<br />
belegt ist. Er kann diesen Namen aber bei<br />
der Priesterweihe angenommen haben, weil der<br />
Euphrat als einer der heiligen Ströme des Paradieses<br />
verehrt wurde.<br />
78<br />
In der Inschrift, deren lateinische Buchstaben im<br />
Übrigen ungelenk wirken und auch Schreibfehler<br />
enthalten, ist der Buchstabe M im Wort ME durch<br />
ein Steinmetzzeichen ersetzt, das, wie oben bereits<br />
erwähnt, wie ein kursiv geschriebenes M aussieht<br />
(Taf. 52). Dieses Zeichen dürfte einer armenischen,<br />
kryptographen Schriftart entnommen sein. Beide<br />
Merkmale belegen, dass der Baumeister Armenier<br />
war.<br />
Zusammenfassend kann man feststellen: Die Verwendung<br />
der armenischen Maßarten, die Übernahme<br />
eines im armenischen Kirchenbau hochwichtigen<br />
Grundrisses und die Dokumentation<br />
des armenischen Namens eines der Baumeister<br />
oder überhaupt des Baumeisters belegt erstmalig<br />
in Deutschland die Identifizierung einer bisher<br />
normalerweise als »romanisch« angesehenen Kirche<br />
als ein Bauwerk, das unmittelbar in der armenischen<br />
Bautradition steht und wahrscheinlich<br />
von einem armenischen Baumeister geplant und<br />
erbaut wurde.<br />
9. Ehemalige Benediktinerabtei-Kirche St.<br />
Peter und Paul in der Mehrerau in Bregenz 121<br />
Anlässlich des Umbaus der von 1855-59<br />
stammen den Kirche der heutigen Zisterzienserabtei<br />
Mehrerau in Bregenz wurden 1962 die Fundamente<br />
der Vorgängerbauten freigelegt und wissenschaftlich<br />
untersucht. Besonderes Interesse galt<br />
dabei den Res ten der Kirche der damaligen Benediktinerabtei.<br />
122 Diese war eine kreuzförmige,<br />
wahrscheinlich flach gedeckte Säulen-Basilika mit<br />
geradem Chorabschluss in der schlichten Ordnung<br />
der Hirsauer Schule. Sie war 1097 begonnen worden<br />
und wurde 1740 ab ge brochen, um einer Kirche<br />
von Johann Michael I. Beer (von Bildstein,<br />
1696-1780) nach dem Entwurf von Franz Anton<br />
121 In dem eingangs zitierten Vortrag des Verfassers in Bregenz<br />
bildete dieses Kapitel den Schluss seiner Ausführungen. Aus<br />
redaktionellen Gründen, d.h. im Hinblick auf das letzte Beispiel,<br />
wird es hier vorgezogen.<br />
122 MÜNSTER I; MÜNSTER II.
Abb. 19: Bregenz/Mehrerau, ehem. Benediktinerabtei-Kirche St. Peter und Paul, Grundriss, Bereich der östlichen Vie -<br />
r ungspfeiler.<br />
Beer (1688-1749) Platz zu machen, die ihrerseits<br />
1808 abgebrochen wurde (Taf. 55). 123<br />
Der Chorraum der romanischen Kirche wurde<br />
wäh rend der Bauausführung um ca. 0,50 m er -<br />
höht. Während das Mauerwerk der Fundamente<br />
der Kirche aus regelmäßigen Lagen großer Kiesel<br />
in äußerst festem und harten Verband bestand,<br />
war das Mauerwerk der erhöhten Abschnitte im<br />
Chorraum aus Hausteinen gemauert. Die Seitenwände<br />
des Chorquadrats waren in zwei Arkaden<br />
mit einer Säule dazwischen aufgeteilt, die des<br />
Langhauses nach den bisherigen Annahmen in je<br />
sechs Arkaden mit fünf Säulen.<br />
Die Vierungspfeiler bestanden, wie auch sonst üblich,<br />
aus einem quadratischen Kern und Pfeilervorlagen<br />
an den vier Seiten, die die Auflager der<br />
hier anzunehmenden Arkadenbögen bildeten.<br />
Durch diese Bögen wurde die Vierung ausgeschieden,<br />
was die notwendige Voraussetzung für den<br />
nachgewiesenen Vierungsturm war. Der Grundriss<br />
der Pfeiler bildete demnach ein gedrungenes Grie-<br />
79<br />
chisches Kreuz und bestand aus einer unteren und<br />
einer oberen Sockelplatte. Erhalten haben sich die<br />
Sockel der beiden östlichen Vierungspfeiler (Taf.<br />
56) und die quadratischen Sockelplatten der beiden<br />
Säulen in den Seitenwänden des Chorquadrats.<br />
Auf der Sockelplatte der südlichen Säule im Chorraum<br />
hat sich die runde Säulenbasis mit dem<br />
Abdruck des Säulenschafts, auf der nördlichen nur<br />
der Abdruck der Säulenbasis erhalten. Außerdem<br />
haben sich auf den beiden Wandvorlagen an der<br />
Ostwand die Abdrücke der Pfeilervorlagen, wenn<br />
auch sehr schwach, erhalten. In der Mitte der<br />
123 Zur Baugeschichte der Mehrerauer Kirchen s. u.a. Sandner,<br />
Oscar: Die ehemalige barocke Klosterkirche Mehrerau, in: Jahrbuch<br />
Vorarlberger Landesmuseumsverein 1949, S. 39 ff.; Amann,<br />
Eva Maria: Bruchstellen der Geschichte. Kirchbau in der Mehrerau,<br />
in: Meier-Dallach, Hans-Peter (Hrsg.): Augenblicke der Ewigkeit<br />
– Zeitschwellen am Bodensee, Lindenberg 1999, S. 191 ff.
Taf. 55: Bregenz/Mehrerau, ehem. Benediktinerabtei-Kirche St. Peter und Paul, Ansicht von Norden –<br />
aus: MÜNSTER I, Abb. 1.<br />
Taf. 56: Bregenz/Mehrerau, ehem. Benediktinerabtei-Kirche St. Peter und Paul, Fundamentzone, Teilansicht<br />
von Norden. – Foto: Purrucker, Wolfgang.<br />
80
Westwand der Kirche ist die Schwelle des Haupteingangs<br />
erhalten.<br />
In der Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse<br />
von 1962 war auch eine Seitenansicht der<br />
romanischen Kirche im Zustand von 1663 abgebildet,<br />
in der der Vierungsturm und die Fenster<br />
des Obergadens des Langhauses dargestellt waren.<br />
Diese waren Rundfenster (s. o. I, 2.3 n) 124 . Diese<br />
ungewöhnliche Feststellung führte, wie schon am<br />
Beispiel des Ostturms der Zitadelle von Damas kus,<br />
dazu, die Reste der romanischen Kirche hinsichtlich<br />
der verwendeten Maßart zu untersuchen. 125<br />
Zu messen waren die Sockel und Grundplatten der<br />
östlichen Vierungspfeiler, die Ecken der seitlichen<br />
Eckpfeiler, die Basen und die Durchmesser der<br />
eingestellten Säulen der Chorwände, die Ostwand<br />
der Kirche und der Mittelteil der Westwand der<br />
Kirche mit der Türschwelle.<br />
Die Auswertung ergab, dass die Kirche ebenfalls<br />
mit dem 0,3206 m langen, armenischen Fuß, vor<br />
allem in Unzen, und dann im häufigen Wechsel<br />
beider Maßeinheiten konstruiert worden war.<br />
Nach dem alle erreichbaren Einzelmaße vorlagen,<br />
ergab sich folgendes Bild: 126<br />
Bei den östlichen Vierungspfeilern sind die Kreuzarme (Abb. 19)<br />
der unteren Platten der östlichen Vierungspfeiler 4 Fuß (1,27-1,29<br />
m) breit und 11 Unzen (0,295 m) lang, ihre ganze Länge beträgt<br />
demnach 70 Unzen (1,87 m). Die Kreuzarme der oberen Platten<br />
sind 3 Fuß (0,96-0,97 m) breit und ebenfalls 11 Unzen lang, die<br />
ganze Länge beträgt 58 Unzen (1,55 m). Die Abschrägungen der<br />
oberen Platten sind 2 Unzen (ca. 5 cm) breit und vermitteln so zu<br />
den jeweils 32 Unzen (0,86 m) breiten Seiten der Pfeilervorlagen.<br />
Auch die Seiten der Sockelplatten und der Durchmesser der beiden<br />
Säulen sind 32 Unzen lang. Der Durchmesser der Säulen<br />
betrug 20 Unzen (0,53 m).<br />
Der Abstand der gegenüberliegenden Seiten der unteren Sockelplatten<br />
der östlichen Vierungspfeiler beträgt 16 Fuß plus 2 Unzen<br />
(5,19 m). Wichtiger ist jedoch derjenige der westlichen Kreuzarme<br />
mit 18 Fuß (5,77 m ). Der Abstand der östlichen Kreuzarme<br />
ist nicht zu messen, weil diese dort durch die Erhöhung der Fundamentwände<br />
überbaut sind. Der Abstand der oberen Sockelplatten<br />
der westlichen Kreuzarme beträgt 19 Fuß (6,09 m). Der<br />
Abstand der gegenüberliegenden Pfeilerseiten betrug 2 Unzen<br />
mehr (ca. 6,20 m). Der Abstand der unteren Sockelplatte zu derjenigen<br />
in der Außenwand errechnet sich mit 9 1 /2 Fuß (3,05 m),<br />
derjenige zwischen der Pfeilerseite und der Seite der Wandvorlage,<br />
die gerade noch zu erkennen ist, mit 9 Fuß (2,88 m).<br />
81<br />
Nimmt man an, dass die Kämpferplatten über den Säulenkapitellen<br />
so groß waren wie die Sockelplatten, und dass die Ausladung<br />
gegenüber den Wänden des Obergadens – etwa analog zu anderen,<br />
romanischen Beispielen – jeweils 4 Unzen (ca. 6,7 cm) betrug, so<br />
errechnet sich die Stärke der Obergadenwände mit 2 Fuß (0,64 m),<br />
ihr Abstand voneinander mit 20 Fuß (6,41 m) und der Abstand<br />
zwischen einer Obergadenwand und einer Außenwand mit 11 Fuß<br />
(3,53 m). Die Weite der Arkaden im Chorraum beträgt jeweils 8<br />
Fuß – 4 Unzen (2,45 m), ihre Gesamtbreite zwischen Vierungspfeiler<br />
und Ostwand 19 Fuß (6,09 m).<br />
Die Vierung kann mit den vorgenannten Abmessungen<br />
ohne Schwierigkeit rekonstruiert werden,<br />
ebenso das Langhaus.<br />
Nimmt man in diesem gleich große Sockel (Länge 32 Unzen),<br />
Säulenbasen (Durchmesser 2 Fuß) und Säulendurchmesser (20<br />
Unzen) an wie im Chorraum, so betragen die Abstände der Sokkelplatten<br />
der ersten und der letzten Arkade je 8 Fuß, die der vier<br />
inneren Arkaden je 100 Unzen (2,672 m) und die Grundlinien der<br />
Arkaden je 9 Fuß (2,88 m). Die Gesamtlänge von Vierung und<br />
Langhaus zwischen der Verbindungslinie der Seiten der sich gegenüberliegenden<br />
Kreuzarme der östlichen Vierungspfeiler und<br />
der Kante der westlichen Türschwelle wurde mit 21,15 m und<br />
21,16 m, d. h. mit genau 66 Fuß gemessen (Abb. 20). 127<br />
124 In MÜNSTER I, S. 8, weist P. Kolumban Spahr darauf hin,<br />
dass derartige Rundfenster auch in anderen Kirchen des Bodenseeraums<br />
überliefert seien.<br />
125 Für die bereitwillig erteilte Genehmigung dazu und für sich<br />
anschließende, intensive Gespräche dankt der Verfasser herzlich<br />
Herrn Abt Dr. Kassian Lauterer. Er dankt sodann Herrn<br />
Architekt DI Wolfgang Purrucker, der an zwei Arbeitstagen<br />
seine Zeit für das gemeinsam durchgeführte Aufmaß opferte.<br />
126 Die Interpretation der Abmessungen durch W. Metzler und E.<br />
Vonbank, die davon ausgegangen waren, dass die verwendete<br />
Maßart ein 0,33 m langer Fuß gewesen sei, und dass dieser aus<br />
den Diagonalen des Vierungsquadrats ermittelt werden kann,<br />
(MÜNSTER II, S. 16) wird hier berichtigt. Allein die Zugrundelegung<br />
der Diagonale einer rechteckigen Fläche als Maßgrundlage<br />
muss schon deshalb ausscheiden, weil sie in Bezug<br />
auf das orthogonale System von Wand- und Pfeilerfluchten<br />
eine irrationale Zahl enthält (√2), die nicht in glatten Werten<br />
irgendeiner Maßart ausgedrückt und in der Praxis nicht dargestellt<br />
werden kann. Wenn sie dagegen ganze, natürliche Zahlen<br />
enthalten würde, müssten die Seiten der Rechtecke, die ja<br />
tatsächlich abgesteckt wurden, die irrationale Zahl √2 enthalten,<br />
was sich in der Praxis ebenfalls nicht darstellen lässt.<br />
127 Die von E. Vonbank, MÜNSTER II, S. 13, angegebenen<br />
Abmessungen konnten nicht verglichen werden, da in seinem<br />
Bericht die entsprechenden Messpunkte nicht angegeben worden<br />
sind.
Abb. 20: Bregenz/Mehrerau, ehem. Benediktinerabteikirche St. Peter und Paul, Grundriss rekonstruiert.<br />
82
Zusammenfassend ist erneut festzustellen, dass<br />
die angewendete Maßart armenisch ist. Sie<br />
ermöglicht sogar eine plausible Rekonstruktion<br />
fast des ganzen Grundrisses der Kirche. Auch die<br />
ungewöhnliche Verwendung von Rundfenstern<br />
an Stelle von Lang fenstern als einer typischen,<br />
armenischen Bauweise, weist darauf hin, dass die<br />
Mehrerauer Kirche in armenischer Bautradition<br />
errichtet wurde. Weitere Beweise für eine direkte<br />
Beteiligung armenischer Bauhandwerker<br />
beim Bau selbst können auf Grund der geringen<br />
Baubestandes aber nicht vorgelegt werden. Es ist<br />
jedoch darauf hinzuweisen, dass das Münster in<br />
Konstanz, wo von dem dortigen Peterskloster<br />
die Gründung der Abtei ausging, zum großen<br />
Teil ebenfalls mit der genannten armenischen<br />
Maßart geplant und ausgeführt wurde. Es<br />
scheint, dass in Konstanz der Mittelpunkt der<br />
armenischen Bautradition im Bodenseeraum zu<br />
suchen ist, analog zu dem angenommenen Zentrum<br />
in Köln. Die Darstellung der dortigen<br />
Maßarten bleibt einer besonderen Untersuchung<br />
vorbehalten. 128<br />
10. Ehemalige Pfalzkapelle Karls des Großen<br />
in Aachen<br />
10.1 Allgemeines 129<br />
Die zwischen ca. 785 und 810 errichtete Pfalzkapelle<br />
Karls des Großen in Aachen (Taf. 57<br />
und 58) ist bekanntlich seit 160 Jahren Gegenstand<br />
kunstgeschichtlicher und baugeschichlicher<br />
Untersuchungen und Betrachtungen,<br />
darunter auch solcher über die dem Bau zu<br />
Grunde liegende Maßart. 130 Dabei nimmt eine<br />
Gruppe von Forschern an, dass diese der 0,2962<br />
m lange, römisch-kapitolinische Fuß gewesen<br />
sei, weil Karl bei der Errichtung der Nova Roma<br />
in vielem auf römische Vorbilder zurückgegriffen<br />
habe, um damit zu dokumentieren, dass sein<br />
Imperiu m unmittelbar an das der römischen<br />
Kaiser anknüpfe, und dass er deswegen auch<br />
angeordnet habe, seine Kirche mit dem römischen<br />
Fuß zu bauen. 131 Die andere Hauptgruppe<br />
vertritt die Auffassung, dass die zu Grunde liegende<br />
Maßart der von Karl – angeblich – in seinem<br />
Reich eingeführte, 0,3328 m lange, karolingische<br />
Fuß gewesen sei, der ge wöhnlich mit<br />
dem vermutlich germanischen, in römischer<br />
Zeit an das römische Maßsystem angeglichenen,<br />
0,3332 m langen, drusianischen Fuß<br />
83<br />
gleichgesetzt wird. 132 Beide Gruppen können<br />
indessen nur jeweils eine einzige Kategorie von<br />
128 Auch die Daten weiterer Beispiele hat der Verfasser noch nicht<br />
aufgearbeitet. Diese sind in Niederösterreich die heutige Domkirche<br />
St. Mariä Himmelfahrt der ehemaligen Benediktinerabtei<br />
St. Pölten von ca. 1150, ferner wahrscheinlich die heutige<br />
Pfarrkirche St. Stephan von ca. 1168 und der Karner (Dreikönigskapelle)<br />
aus dem 13. (?) Jh. in Tulln sowie die heutige<br />
Pfarrkirche Mariä Geburt von ca. 1210 in Schöngarben; sodann<br />
im Rheingau die heutige Pfarrkirche St. Ägidius des ehemaligen<br />
Augustinerinnenklosters in Mittelheim aus dem 2.<br />
Viertel des 12. Jhs. sowie die heutige Pfarrkirche St. Johannes<br />
des Täufers des ehemaligen Benediktinerklosters Johannisberg<br />
vom Anfang des 12. Jhs., und in Mainz, von wo die Gründung<br />
beider Klöster ausging, der Dom.<br />
129 Der folgende Abschnitt ist die etwas erweiterte und umgestaltete<br />
schriftliche Fassung eines Referats des Verfassers auf dem<br />
Kongress ORDO ET MENSURA VII, München 2001 (nicht<br />
veröffentlicht).<br />
130 Bibliographie in: JANSEN, S. 394 ff.; kritische Stellungnahmen<br />
zu früheren Darstellungen: FLECKENSTEIN, S. 7 ff. und<br />
SIEBIGS, S. 95 ff.<br />
STRZYGOWSKI II stellte in seiner Kritik an der neubyzantinischen<br />
Ausgestaltung der Pfalzkapelle, wie nach seiner Grundeinstellung<br />
zu erwarten war, die Frage nach den verwendeten<br />
Maßarten nicht.<br />
131 So auch ROTTLÄNDER III, S. 152 f. Er begründet seine<br />
These mit einer einzigen Abmessung, dem Abstand der verkleideten<br />
(!) Außenseiten der Oktogonwände zu einander mit<br />
56 römischen Fuß, die gleich lang sind wie 32 Nippur-Ellen<br />
(16,56 m), und legt über den Grundriss ein quadratisches<br />
Raster aus 16 Quadraten mit der Seitenlänge von 16 Nippur-<br />
Ellen. Aus dieser Identifizierung mit der »Heiligen Elle« einerseits<br />
und der »vollkommensten Zahl« andererseits leitet er die<br />
besondere Heiligkeit des Bauwerks ab. Wie noch gezeigt wird,<br />
trifft aber bereits die metrologische Grundlage seiner Maßanalyse<br />
nicht zu.<br />
132 Diese Auffassung geht auf Cornelius Peter Bock zurück, der in<br />
einem, im Archiv des Aachener Domkapitels aufbewahrten Manuskript<br />
von 1843 (?) die These aufgestellt hatte, der innere<br />
Umfang des Oktogons wäre 144 Fuß lang und entspräche der<br />
in Apok. 21.17, angegebenen Länge der Mauer des »Himmlischen<br />
Jerusalems«. Dieser These folgten die meisten Forscher,<br />
ohne zu berücksichtigen, dass diese 144 Ellen die Dicke der<br />
Mauer bezeichnen und nicht die Länge, die in Apok. 21.16<br />
mit 12.000 Stadien angegeben wird. KREUSCH, S. 61 ff.<br />
setzte den so »ermittelten« Fuß mit dem von Karl d. Gr.<br />
angeblich eingeführten »karolingischen« Fuß gleich, und versuchte<br />
die 144 Fuß lange Strecke bei mehreren, achteckigen<br />
Zentralbauten nachzuweisen. Abgesehen davon, dass eine Einführung<br />
eines neuen Längenmaßes als Normgröße durch Karl
84<br />
Taf. 57: Aachen, ehem. Pfalzkapelle (Dom) St. Maria,<br />
Ansicht von Süden. – Foto: Kampf, August (1900).<br />
Taf. 58: Aachen, ehem. Pfalzkapelle (Dom) St. Maria,<br />
Erdgeschoss, Umgang, Untersicht der Gewölbe. – Foto:<br />
Kampf, August (1900).
Abmessungen in der Pfalzkapelle als Beleg für<br />
ihre These in Anspruch nehmen:<br />
die Vertreter der »römischen« These die Innenabstände<br />
der gegenüberliegenden Außenwände<br />
des Sechzehnecks mit den Einzelabmessungen<br />
von 29,34 m bis 29,95 m, was im Mittel von<br />
29,595 m annähernd 100 römisch-kapitolinischen<br />
Fuß (29,62 m) entspricht,<br />
die Vertreter der »karolingischen« These die<br />
Längen der Innenseiten des Oktogons mit den<br />
Einzelabmessungen von 5,97 m bis 6,015 m,<br />
was im Mittel von 5,987 m annähernd 18 drusianischen<br />
Fuß (5,9976 m) entspricht. 133<br />
Die zu Grunde liegenden, metrischen Abmessungen<br />
des Grundrisses sind – vermutlich oder tatsächlich<br />
– dem Plan mit dem Aufmaß durch den<br />
Karls-Verein von 1892 und den Plänen mit dem<br />
Aufmaß Josef Buchkremers von 1900 (Abb. 21)<br />
entnommen, die vor Beginn der Anbringung der<br />
Marmor- und Mosaikverkleidungen erstellt worden<br />
sind. 134 Der Plan des Karls-Vereins enthält u. a.<br />
die Abstände der Oktogonwände im Erdgeschoss,<br />
sonst aber nur wenige, verwendbare Abmessungen.<br />
Die Pläne J. Buchkremers enthalten dagegen<br />
fast vollständig die Abmessungen der Wandabschnitte<br />
und Öffnungsweiten, dagegen nicht die<br />
Wandabstände der Oktogonseiten. J. Buchkremers<br />
Aufmaß wurde später von einigen Forschern<br />
als unzuverlässig bezeichnet, u. a., weil nicht alle<br />
Punkte trianguliert worden wären. 135 Aber bereits<br />
die geradezu peinlich genaue Differenzierung der<br />
Maßangaben von in der Planung sicherlich gleichlang<br />
intendierten Strecken mit Unterschieden von<br />
5 Millimetern, gelegentlich von 2, 6 oder 8 Millimetern<br />
gegenüber einer Angabe in vollen Zentimetern,<br />
ist in Wirklichkeit der Ausdruck einer<br />
äußerst genauen Messung. Ebenso belegt die gelegentliche,<br />
nachträgliche Korrektur zunächst<br />
gemessener Abmessungen durch J. Buchkremer<br />
selbst seine sorgfältige Vorgehensweise. Schließlich<br />
hat eine stichprobenhafte Nachrechnung durch<br />
den Verfasser d ie Genauigkeit der Maßangaben<br />
bestätigt. 136<br />
10.2 Metrologische Untersuchung.<br />
a) Methode<br />
Die Abmessungen des Rohbaus der Kirche, deren<br />
Pfeiler aus Werksteinmauerwerk und deren Wände<br />
und Gewölbe aus verputztem Hausteinmauerwerk<br />
bestehen, lassen sich nach der seit 1900 in<br />
85<br />
mehreren Abschnitten erfolgten Verkleidung der<br />
Pfeiler und Wände mit Marmorplatten und der<br />
Gewölbe mit Mosaik nicht mehr neu ermitteln. 137<br />
Der Verfasser hat deshalb auf die Aufmaßpläne J.<br />
d. Gr. bekanntlich nicht nachzuweisen ist (im Gegensatz zu<br />
der einheitlichen Regelung der Hohlmaße, Gewichte und<br />
des Münzfußes), wurde die von KREUSCH, S. 71 f., als<br />
wichtigstes Referenzbeispiel angeführte »frühchristliche« (!)<br />
Kapelle Sto. Aquilino bei S. Lorenzo in Mailand, deren<br />
Grundriss eine vereinfachte Kopie der Grundrisse mehrerer<br />
armenischer Kirchen ist, nicht mit dem römischen Fuß, sondern<br />
mit dem 0,3206 m langen, armenischen Fuß konstruiert<br />
und erweist sich damit als ein Bauwerk der langobardischen<br />
Zeit (Seitenlängen innen 200 Unzen (534 cm statt 535<br />
cm,) Halbmesser 240 Unzen oder 12 Fuß (641,5 cm statt<br />
646,5 cm). Die Abmessungen entsprechen damit dem oben<br />
genannten Seitenverhältnis des regelmäßigen Achtecks in<br />
glatten Maßeinheiten.<br />
133 Der Verfasser hatte auf Grund einer früheren Messung ebenfalls<br />
angenommen, dass der Bau von einer bestimmten Baufuge<br />
an mit dem »karolingischen« Fuß errichtet worden sei<br />
(HANISCH V, Anm. 53, Abs. 2). Dies wird hier berichtigt.<br />
134 Plan des Erdgeschosses, M. 1 : 100, vom 16. 2. 1892, vermutlich<br />
als Anlage zu einem Bauantrag des »Karls-Vereins zur<br />
Restauration des Aachener Münsters« (Plan Nr. BB 3 des<br />
Domkapitels Aachen); Pläne des Erdgeschosses und des Obergeschosses,<br />
M. 1 : 100, vom August 1900, von Josef Buchkremer<br />
(Pläne Nr. BB 76 und BB 109 des Domkapitels Aachen).<br />
Der Verfasser dankt an dieser Stelle herzlich dem heutigen<br />
Dombaumeister Dipl.-Ing. Helmut Maintz für die Überlassung<br />
dieser Pläne sowie weiterer, historischer Unterlagen über<br />
das Münster und für die Genehmigung für die Veröffentlichung.<br />
135 JANSEN, S. 371.<br />
136 Im Plan des Erdgeschosses sind die fast quadratischen Grundflächen<br />
der Hauptjoche des Umgangs, d.h. der Verschneidungen<br />
des umlaufenden Tonnengewölbes mit den quer dazu liegenden<br />
Tonnen in den Arkadenachsen des Oktogons durch<br />
die Diagonalen der Gratlinien jeweils in zwei Dreiecke<br />
geteilt. Berechnet man in einem Joch an Hand der Seitenlängen<br />
und der Diagonalen die Flächeninhalte dieser Dreiecke,<br />
so muss die Summe der Flächeninhalte der beiden Dreiecke<br />
über der einen Diagonale gleich der Summe der Flächeninhalte<br />
der beiden Dreiecke über der anderen Diagonale sein.<br />
Wäre auch nur eine der insgesamt sechs Strecken falsch angegeben<br />
worden, würde diese Gleichung nicht aufgehen. Die<br />
Nachrechnung ergab auch nur in Einzelfällen Abweichungen,<br />
die eine rechnerische Längenungenauigkeit von Bruchteilen<br />
eines Millimeters anzeigen.<br />
137 Neuere Vermessungen müssen von den heutigen Oberflächen<br />
ausgehen. Sie lassen zwangsläufig keine Rückschlüsse auf die<br />
tatsächlichen Abmessungen des Rohbaus zu.
Abb. 21: Aachen, ehemalige Pfalzkapelle, Erdgeschoss, Grundriss aufgenommen 1900.<br />
86
Buchkremers zurückgegriffen. 138 Er hat die von<br />
ihm erfassten Ab messungen in der beigefügten<br />
Tabelle zusammengestellt und dabei ihre Häufigkeit<br />
angegeben (Abb. 22). Sodann hat er für diese<br />
Abmessungen die Äquivalente in digiti und unciae<br />
des römischen und in unciae des drusianischen<br />
Fußes sowie in einer vierten Abteilung in unciae<br />
(unki) des 0,3206 m langen, armenischen Fußes<br />
angegeben.<br />
b) Auswertung<br />
Es zeigt sich nun, dass die Häufigkeits-Maxima<br />
einer Abmessung und der dicht daneben liegenden<br />
Werte – mit Ausnahme der beiden oben erwähnten<br />
Kategorien von Strecken – nur mit diesem<br />
armenischen Fuß eindeutige Werte ergeben, nicht<br />
aber mit den anderen Maßarten.<br />
Danach sind im Erdgeschoss die Arkaden des Umgangs 160 Unzen<br />
(i. M. 427,5 cm) breit und 40 Unzen (107 cm) tief. Diese Tiefe<br />
ist gleichzeitig die Stärke der aufgehenden Oktogonwände. Das umlaufende<br />
Tonnengewölbe des Umgangs ist 176 Unzen (470 cm),<br />
die Quertonnen 192 Unzen (i. M. 513 cm), d. h. 16 Fuß weit. Die<br />
Weite des Umgangs mit 176 Unzen, d. h. mit 14 2 /3 Fuß, scheint<br />
zunächst unbefriedigend zu sein. Sie verhält sich aber zu der Weite<br />
der Quertonnen wie 11 zu 12 (11 x 16 Unzen zu 12 x 16 Unzen)<br />
und spiegelt offensichtlich das Bemühen der Gewölbebauer wider,<br />
unter den gegebenen Umständen, auf die noch eingegangen wird,<br />
ein wenn nicht glattes, so doch wenigstens harmonisches Seitenverhältnis<br />
zu finden. Im Obergeschoss sind die aufgehenden Wände<br />
nur 38 Unzen (101,5 cm) stark. Der Umgang des Obergeschosses<br />
weist kein umlaufendes Tonnengewölbe, sondern nur breite<br />
Durchgänge durch die Strebemauern auf. Diese sind 180 Unzen,<br />
d. h. 15 Fuß weit. Die Quertonnen sind unverändert 16 Fuß weit.<br />
Die Innenmaße der Arkaden sind bei dem Wiedereinbau der Säulen<br />
1843-1847 leicht verändert worden. 139 Die seitlichen Abstände<br />
der Plinthen betragen unverändert 30 Unzen (80,2 cm). Unter<br />
Berücksichtigung der Abmessungen der erhaltenen Originalplinthen<br />
(Breite 69,5 cm oder 26 Unzen) kann der Abstand zwischen<br />
ihnen mit 48 Unzen (128,2 cm) rekonstruiert werden. Die Gesamtstrecke<br />
beträgt wie im Untergeschoss 160 Unzen (427,5 cm).<br />
Inzwischen konnte der Verfasser auch das neue<br />
Höhenaufmaß des Oktogons durch das Domkapitel<br />
auswerten, das jedoch noch nicht veröffentlicht<br />
ist. 140 Danach sind auch die einzelnen Höhen der<br />
Bauglieder des Oktogons – mit der folgenden<br />
Aus nahme – mit dem 0,3206 m langen, armenischen<br />
Fuß bemessen, was hier vorläufig nicht nachgewiesen<br />
wird. Die Ausnahme besteht darin, dass<br />
die lichte Gesamthöhe zwischen dem ursprünglichen<br />
Fußboden und dem Scheitel der noch nicht<br />
87<br />
mit dem Mosaik verkleideten Kuppel nicht mit<br />
dieser Maßart, sondern mit dem kürzeren, armenischen,<br />
0,3054 m langen Fuß bemessen ist. Sie<br />
beträgt genau 3054 cm, d. h. 100 armenische Fuß<br />
zu 0,3054 m.<br />
Auch die hauptsächlichen Teilabschnitte der Ge -<br />
samthöhe sind mit diesem Fußmaß bemessen: Die<br />
Höhe des Erdgeschosses ohne die neuzeitliche Er -<br />
höhung des Fußbodens von i. M. 3,5 cm beträgt<br />
bis zur Oberkante des Kranzgesimses 24,99 Fuß<br />
(763,2 cm), d. h. 25 Fuß. Die Höhe des Obergeschosses<br />
bis zum heute sichtbaren Kuppelansatz beträgt<br />
49,91 Fuß (1524,3 cm), im Rohbau (+ 3 cm)<br />
richtiger 1527,3 cm, d. h. 50 Fuß. Die Höhe der<br />
Kuppel beträgt im Rohbau 3046,0 - 2287,5 + 5,0<br />
cm = 763,5 cm, d. h. 25 Fuß. Auf diesen Wechsel<br />
der armenischen Maßart wird noch eingegangen.<br />
c) Wandabstände Oktogon<br />
Von besonderem Interesse sind die Abstände ge -<br />
gen überliegender Wände des Oktogons. Sie betragen<br />
in einer Achse genau 45 armenische Fuß<br />
(14,43 m), in zwei anderen 45 Fuß minus ca. 3 cm<br />
und in der vierten 45 Fuß minus ca. 5 cm. Der intendierte<br />
Abstand einer Wand vom Mittelpunkt<br />
des Oktogons beträgt offensichtlich 22 1 /2 Fuß.<br />
Die Länge der Oktogonseiten ergibt jedoch kein<br />
glattes Maß in Fuß oder Unzen, ebensowenig wie<br />
die Länge der Pfeilerflächen beiderseits der Arkaden.<br />
Dies ist auch nicht zu erwarten. Der Grund<br />
dafür liegt in den bereits beschriebenen Verhält-<br />
138 Das gleiche Verfahren hatte bereits Walter Boeckelmann 1957<br />
angewendet (Boeckelmann, Walter: Von den Ursprüngen der<br />
Aachener Pfalzkapelle, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 19,<br />
1957, S. 9 ff., Abb. 4). Er hat jedoch nur eine Umrechnung in<br />
den Drusianischen Fuß und auch nur in ganzen und in gebrochenen<br />
Fuß vorgenommen und nicht entweder in Fingerbreiten<br />
oder, was richtiger gewesen wäre, in Unzen. Dabei teilt er<br />
den Fuß sowohl in Drittel als auch in Achtel ein, was sich<br />
gegenseitig ausschließt. Im Übrigen pauschaliert er die metrischen<br />
Werte und kommt ohnehin zu ungenauen und für eine<br />
Maßanalyse unbrauchbaren Ergebnissen.<br />
139 BUCHKREMER I, S. 9 f.<br />
140 Für die Überlassung der Daten für die o.a. Auswertung dankt<br />
der Verf. erneut Herrn Dombaumeister Dipl.-Ing. Helmut<br />
Maintz.
Abb. 22: Aachen, ehemalige Pfalzkapelle, Abmessungen von J. Buchkremer und ihre Äquivalente in digiti und unicae in<br />
Tabellenform.<br />
88
Abb. 23: Aachen, ehemalige Pfalzkapelle, Grundriss, 1. Baustufe rekonstruiert.<br />
89
niszahlen in einem regelmäßigen Achteck. Wie<br />
ebenfalls schon er wähnt, müssen Seitenabstand,<br />
halbe Seitenlänge und Kreisradius in größter Annäherung<br />
ein pythagoräisches Dreieck mit den<br />
Seiten 5, 12 und 13 in »glatten« Maßeinheiten<br />
ergeben.<br />
Auf Grund dieser Sachlage ergibt die Teilung des vorliegenden<br />
Seitenabstands von 22 1 /2 armenischen Fuß durch 12 einen unbefriedigenden<br />
Faktor (1,875). Dies wird noch deutlicher bei der<br />
Ermittlung der Seitenlänge des Oktogons durch die Vervielfältigung<br />
der Verhältniszahl der Seite (in Fuß) mit diesem Faktor<br />
(9,9396 Fuß x 1,875 = 18,63 Fuß).<br />
Auch die Zugrundelegung des römischen Fußes ergibt für den Seitenabstand<br />
(24 Fuß plus ca. 9,25 cm = i. M. 7,201 m) und für die<br />
Seitenlänge (20 Fuß plus ca. 4,3 cm = 5,99 m) keine besseren<br />
Werte. Bei der Verwendung des drusianischen Fußes beträgt der<br />
Seitenabstand 43 Fuß plus ca. 4,6 cm (i. M. 14,403 m), die Seitenlänge<br />
dagegen, wie bereits erwähnt, fast genau 18 Fuß (Soll:<br />
5,974 m statt Ist: 5,987 m). Wie jedoch noch gezeigt wird, ist dieses<br />
glatte Maß in drusianischen Fuß ein Zufallsergebnis.<br />
d) Rekonstruktion<br />
Ebenfalls von besonderem Interesse sind sodann<br />
die Abstände gegenüberliegender Wände des Sechzehnecks,<br />
weil sie, wie erwähnt, 100 römische Fuß<br />
zu betragen scheinen. Ob dieses glatte Maß ebenfalls<br />
einen Zufall oder vielmehr das tatsächlich<br />
intendierte Maß darstellt, sollen die folgenden<br />
Betrachtungen zeigen.<br />
Felix Kreusch, der als Dombaumeister nach dem<br />
2. Weltkrieg die Bombenschäden im Dom beseitigte,<br />
hatte dafür im Oktogon die Marmorverkleidung<br />
der Pfeiler ganz oder teilweise abgenommen.<br />
Dabei stellte er fest, dass die untersten Schichten<br />
der Pfeiler an der Oktogoninnenseite etwa 50 cm<br />
hoch die Spuren einer nachträglichen Abarbeitung<br />
bis auf die Flucht des darüber aufgehenden Mauerwerks<br />
aufwiesen. F. Kreusch hatte daraus ge schlossen,<br />
dass die Pfeiler unten ursprünglich weiter in<br />
den Raum hineingeragt hätten, und angenommen,<br />
dass diese Vorsprünge, die er offenbar an allen acht<br />
Pfeilern beobachtet hatte, eine umlaufende Steinbank<br />
gebildet hätten. 141 Diese These ist aber schon<br />
aus baugeschichtlicher Sicht nicht zu halten, was<br />
hier nicht erörtert werden kann. Ob F. Kreusch<br />
ähnliche Abarbeitungen auch an den anderen Pfeilerseiten<br />
gesehen hat, hat er nicht erwähnt. Er hat<br />
aber eine solche an einer ganz anderen Stelle übersehen.<br />
Aus Gründen der Dokumentation des Ori-<br />
90<br />
ginal-Baubestandes hatte J. Buchkremer nämlich<br />
die Vorderseite eines Wandpfeilers an der nordwestlichen<br />
Außenwand des Sechzehnecks unverkleidet<br />
belassen. Hier konnte der Verfasser kürzlich<br />
eine ähnliche Abarbeitung des ursprünglichen<br />
Mauerwerks feststellen, jedoch nur in einer Höhe<br />
von 22 cm über dem heutigen Fußboden. 142 Daraus<br />
ergibt sich, dass auch der dortige Arkadenpfeiler<br />
ursprünglich stärker und die dortige Arkade<br />
enger angelegt worden waren.<br />
Nimmt man derartige Abarbeitungen auch am<br />
gegenüberliegenden Pfeiler und logischerweise<br />
überhaupt an allen Pfeilern an, so lässt sich folgern,<br />
dass die Innenabmessungen von Sechzehneck<br />
und Oktogon ursprünglich wesentlich von denen<br />
abwichen, die dann endgültig ausgeführt wurden.<br />
Es soll versucht werden, diese Abmessungen zu<br />
rekonstruieren.<br />
Wenn man davon ausgeht, dass der Durchmesser<br />
des Sechzehnecks in römischen Fuß und dabei<br />
auch in einer überzeugenden Länge bemessen war,<br />
liegt es nahe, auch für die Abmessungen der ursprünglichen<br />
Pfeiler – bevor diese abgearbeitet<br />
wurden – und der Arkaden das römische Fußmaß<br />
zu unterstellen. Weiterhin wird unterstellt, dass<br />
sich die Abarbeitungen in geringen Dimensionen<br />
und ohne Einfluss auf die Standsicherheit und die<br />
Tragfähig keit der Pfeiler gehalten haben.<br />
Unter diesen Voraussetzungen errechnen sich im<br />
Erdgeschoss in einer halben Querachse die folgenden<br />
Abmessungen. Dabei dürfte die Absteckung<br />
einer Strecke gleichzeitig in Fuß und digiti ebenso<br />
eine Selbstverständlichkeit gewesen sein, wie in<br />
Ellen und Fingerbreiten, wie dies oben für die Bemessung<br />
des Grundrisses von Castel del Monte gezeigt<br />
wurde.<br />
141 KREUSCH II, Fig. 4 und 5.<br />
142 Diese Quaderschicht ist in grober Weise mit einem Spitzmeißel<br />
oder einem Steinbeil bearbeitet worden, während die darüber<br />
liegenden Schichten eine saubere Scharierung durch ein<br />
Zahneisen aufweisen. Offensichtlich wurden die neuen Quader<br />
in der Werkstatt behauen, was eine sorgfältige Bearbeitung ermöglichte,<br />
wogegen die bereits versetzten Quader an Ort und<br />
Stelle nicht so gut zu bearbeiten waren.
Im Rahmen der Rekonstruktion ergeben eine<br />
Okto gonseite (ca. 20 Fuß) und die Verbindungslinien<br />
ihrer Eckpunkte mit dem Mittelpunkt des<br />
Oktogons (die Radien des dem Oktogon umbeschriebenen<br />
Kreises, ca. 26 Fuß) das bereits er -<br />
wähnte, spitzwinklige Dreieck, 143 die halbe Oktogonseite<br />
(10 Fuß), ihr Abstand vom Mittelpunkt<br />
des Oktogons (24 Fuß) und der Radius (26 Fuß)<br />
das erwähnte, pythagoräische Dreieck, im vorliegenden<br />
Fall um den Faktor 2 vergrößert.<br />
Überraschenderweise ist weiterhin das Dreieck,<br />
das im Sechzehneck aus dem Abstand der Seite<br />
zum Mittelpunkt des Oktogons, der halben Seite<br />
des Sechzehnecks, die gleich lang ist wie die des<br />
Achtecks, und dem Radius des dem Sechzehneck<br />
umbeschriebenen Kreises gebildet wird, in größter<br />
Annäherung ein pythagoräisches Dreieck mit<br />
den Seiten 10 Fuß, 50 Fuß und 51 Fuß (genau<br />
9,9396 Fuß, 50 Fuß und 50,998 Fuß).<br />
Die Dicke der Abarbeitung auf die Fluchten der<br />
schließlich ausgeführten Pfeiler errechnen sich i. Ü.<br />
an der Innenseite der Pfeiler mit 0,105 m, an der<br />
Rückseite der aufgehenden Wände mit 0,011 m,<br />
an der Pfeilerseite der Durchgänge mit 0,086 m<br />
und an den entsprechenden Außenwandpfeilern mit<br />
0,181 m.<br />
Die angenommenen, ursprünglichen Pfeilerfluchten,<br />
Abstände und Radien sind in Abb. 23 dargestellt.<br />
Die geometrische Figur des gesamten Grundrisses<br />
bildet demnach ein Achteck, an dessen Seiten<br />
sich acht Rechtecke mit der Breite einer Achteckseite<br />
und der Länge des Radius des Achtecks<br />
anschließen. Dieses Entwurfsmuster erinnert sehr<br />
an die Entwurfsmuster spätantiker Mausoleen und<br />
anderer römischer Zentralbauten, aber auch an das<br />
armenischer Kirchen. 144<br />
Die oben angenommenen Abmessungen in römischen<br />
Fuß und ihre geometrische Darstellung erscheinen<br />
so plausibel, dass man in Verbindung mit<br />
dem baulichen Befund der Abarbeitung der unteren<br />
Schichten der Pfeiler davon ausgehen kann,<br />
dass der Bau im Ganzen tatsächlich zunächst mit<br />
dem römischen Fuß bemessen worden ist. Offenkundig<br />
ist der Bau dann aber nicht in dieser Weise<br />
weitergebaut worden.<br />
Für diesen Wechsel der Bauausführung muss es<br />
triftige Gründe gegeben haben. Diese könnten<br />
mit der Forderung des Bauherrn zusammen<br />
91<br />
gehangen haben, die Kirche mit einem Steingewölbe<br />
einwölben zu lassen. 145<br />
Dazu muss kurz auf die Bauweise der Gewölbe<br />
eingegangen werden.<br />
Zuvor sollte jedoch die Verwendung des kürzeren,<br />
0,3054 m langen, armenischen Fußes bei der Festlegung<br />
der lichten Gesamthöhe des Oktogons<br />
erklärt werden. Vermutlich sollte diese, wie die Gesamtbreite<br />
des Bauwerks, 100 römische Fuß, d. h.<br />
29,62 m betragen. Durch den Wechsel der Maßart<br />
vom römischen Fuß zu dem 0,3206 m langen, armenischen<br />
Fuß konnte diese Proportion von 1 zu<br />
1 dann nicht eingehalten werden. Sie hätte etwa 1<br />
zu 1,08 betragen. Deshalb wurde für die Festlegung<br />
der Gesamthöhe des Oktogons der kürzere,<br />
armenische Fuß benutzt, wodurch eine Proportion<br />
von 1 zu 1,03 zustande kam, die der angenommenen,<br />
ursprünglichen Planung nahe kam. Die Differenzen,<br />
die sich aus der Inkompatibilität der beiden<br />
armenischen Fußmaße ergeben, wurden offenbar<br />
in den aufgehenden Wandabschnitten berücksichtigt.<br />
e) Bauweise der Gewölbe<br />
Die Bauweise der Gewölbe ist heute wegen der beschriebenen<br />
Verkleidung aller Innenflächen nicht<br />
mehr zu sehen, wohl aber auf Fotos, die unmittelbar<br />
vor Beginn der damaligen Arbeiten angefertigt<br />
wurden. Das Kuppelgewölbe des Oktogons<br />
ist bekanntlich ein achtteiliges Klostergewölbe<br />
aus Hausteinmauerwerk. Die untersten Schichten<br />
sind als Kragschichten ausgebildet, die oberen als<br />
Radialschichten. Diese Bauweise ist auch die<br />
Regelbauweise armenischer Kuppelgewölbe (s. o.<br />
I, 2.3 c, Abs. 3).<br />
143 s.o., Beispiel 6, Castel del Monte.<br />
144 KREUSCH I, S. 62 f., und NOVELLO, S. 206 f.<br />
145 Hier sei daran erinnert, dass in dieser Zeit in Deutschland keine<br />
Großbauten vorhanden oder im Bau waren, die, mit Ausnahme<br />
der Apsiden und einiger Stollenkrypten, eingewölbt waren<br />
oder eingewölbt werden sollten.
Das Deckengewölbe des Umgangs des Erdgeschosses<br />
ist ebenso bekanntlich ein umlaufendes<br />
Tonnengewölbe, das in den Achsen der Pfeiler im<br />
Verlauf des Sechzehnecks achtmal abgeknickt ist<br />
und dort Verschneidungen in Form eines halben<br />
Kreuzgewölbes bildet. In den Achsen der Arkaden<br />
des Oktogons wird es durch Quertonnen gekreuzt,<br />
wodurch dort, wie erwähnt, volle Kreuzgewölbe<br />
entstehen.<br />
Die Gewölbeschalen dieser Gewölbe bestehen<br />
unten wiederum aus Kragschichten, diesmal aus<br />
Werksteinmauerwerk, die im Verband mit dem<br />
der Pfeiler gemauert sind, und darüber aus Hausteinmauerwerk.<br />
Dieses besteht aus allseits sorgfältig<br />
behauenen Kalksteinen im Format von Ziegelsteinen<br />
und ist wie Ziegelmauerwerk in Radialschichten<br />
gemauert (Taf. 58). Diese Bauweise<br />
entspricht der bereits mehrfach erwähnten, armenischen,<br />
zweiteiligen Gewölbebauweise (s. o. I,<br />
2.3 b, Abs. 3). In der Frühzeit des mittelalterlichen<br />
Gewölbebaus in Europa stellt sie eine bisher<br />
einmalige Bauweise dar.<br />
f) Besondere Bauweisen<br />
Ein anderes, besonderes Merkmal besteht darin,<br />
dass die Kämpferlinie der rundbogigen Obergadenfenster<br />
in der Ebene der Kämpferlinie der<br />
Kuppel liegen, d. h. dass die Bögen der Fenster in<br />
die Kuppelfläche einschneiden. Die Schnittlinie<br />
zwischen beiden Flächen ist eine gekrümmte<br />
Ellipse. Diese Ausbildung ist ein typisches Merkmal<br />
armenischer Bauten. Sie ist bis in das 13. Jh.<br />
zu beobachten. 146<br />
Ein weiteres, besonderes Merkmal, das in dieser<br />
Zeit in Europa offenbar sonst nicht nachzuweisen<br />
ist, ist die Ausbildung des Dachgesimses des Sechzehnecks.<br />
Das Gesims besteht aus einer umlaufenden<br />
Folge von im Querschnitt quadratischen Konsolen,<br />
die wie ein überdimensionierter Zahnschnitt<br />
aussieht (s. o., I, 2.3, i). 147 Es hat seine Entsprechung<br />
in einigen Gesimsen meist jedoch späterer<br />
Bauten in Armenien und in Syrien an solchen,<br />
die von armenischen Handwerkern errichtet<br />
worden sind. 148<br />
Das wichtigste Merkmal schließlich sind die acht<br />
Strebenischen (s. o., I, 2.3.e), die die untere Hälfte<br />
des Oktogons abstützen, deren Wandflächen<br />
durch die hohen und breiten Arkaden auf die<br />
schmalen Pfeiler reduziert sind. Im Erdgeschoss<br />
92<br />
wird ihr typisches Erscheinungsbild durch das des<br />
umlaufenden Gewölbes überlagert und ist optisch<br />
nicht erfassbar. Im Obergeschoss reichen die Strebemauern<br />
bis an die Kämpferlinie der Arkaden-<br />
Bögen, in deren Querschnitten sich die senkrechten<br />
Lasten der Kuppel und dem Tambour konzentrieren.<br />
Von hierab sind die Querschnitte der acht<br />
Pfeiler nach unten auf das Doppelte verstärkt.<br />
Gleichzeitig werden die Pfeiler durch die Strebewände<br />
auf die Außenwände abgestützt. Die<br />
schräggestellten Tonnengewölbe nehmen, wie<br />
bereits F. Kreusch festgestellt hat, 149 entgegen der<br />
armenischen Tradition an der Aussteifung aber<br />
nicht teil, da sie offenbar jeweils durch eine breite<br />
Fuge von den Mauern des Oktogons getrennt sind.<br />
Sie sind lediglich Raumüberdeckungen. Der Grund<br />
für diese Maßnahme ist nicht klar. Vielleicht wollte<br />
der Baumeister eine Ableitung der Kräfte des<br />
Tambours auf die Gewölbe der Strebenischen vermeiden,<br />
zumal die Strebemauern diese Funktion<br />
bereits erfüllten. Dagegen stellen die flach-runden<br />
Nischen in der Außenwand eine reduzierte Form<br />
der apsidenförmigen, aber außen gerade geschlossenen<br />
Außenwände der Strebenischen vieler armenischer<br />
Kirchen dar. Dass derartige Nischen nicht<br />
schon im Erdgeschoss vorhanden sind, kann daran<br />
liegen, dass die unteren Schichten der Außenwände,<br />
analog zu den unteren Schichten der Pfeiler,<br />
bereits in der Maßordnung des Entwurfs hochgeführt<br />
worden waren, aber nicht verändert wurden,<br />
als die Maßordnung und die Ausführung, wie<br />
oben beschrieben, geändert wurde.<br />
146 Diese Linie ist heute wegen der Mosaikverkleidung nur undeutlich<br />
zu erkennen, wurde aber bereits von Carl Rhoen 1886<br />
festgestellt (RHOEN, S. 18).<br />
147 s.o., Anm. 40.<br />
148 So an den voraiy - ubidischen Tor-Madrasen in Aleppo. Der An teil<br />
der Beteiligung armenischer Handwerker an diesen isl - amischen<br />
Bauten kann hier nicht erörtert werden.<br />
149 KREUSCH I, S. 469 ff.
10.3 Folgerungen<br />
Aus den vorstehenden Beobachtungen lassen sich<br />
folgende Schlussfolgerungen ziehen:<br />
1. Die Pfalzkapelle wurde in zwei Bauabschnitten<br />
ausgeführt. Diese unterschieden sich durch<br />
die angewendeten Maßarten und vermutlich<br />
auch durch die beabsichtigte Ausführungsart.<br />
2. Sie wurde mit einer anderen Maßart begonnen<br />
als dann endgültig ausgeführt. Vermutlich war<br />
diese erste Maßart der 0,2962 m lange, römisch-kapitolinische<br />
Fuß.<br />
3. Nach Fertigstellung der Fundamente und während<br />
der ersten Arbeiten an den Außenwänden<br />
und Pfeilern wurde die Maßart gewechselt.<br />
Die lichte Gesamthöhe wurde – vermutlich<br />
analog zu der ursprünglichen Festlegung in<br />
römischen Fuß – mit 100 armenischen Fuß zu<br />
0,3054 m festgelegt und die Höhe der Geschosse<br />
mit 25 – 50 und 25 Fuß. Sonst war die<br />
Maßart weiterhin der 0,3206 m lange, armenische<br />
Fuß. Mit dieser Maßart wurde der Bau<br />
endgültig ausgeführt.<br />
Offenbar wurden nicht nur die Maßart, sondern<br />
auch die Ausführungsplanung und die<br />
ausführenden Bauhandwerker gewechselt. Der<br />
Entwurf des Baus scheint sonst im Wesentlichen<br />
beibehalten worden zu sein. Die bereits<br />
begonnenen, oberirdischen Bauteile, mit Ausnahme<br />
der Außenwände, wurden durch Abarbeiten<br />
der fertigen Schichten an den neuen<br />
Ausführungsplan angepasst.<br />
4. Die Gewölbe wurden in einer damals für<br />
Europa neuartigen Konstruktion gemauert.<br />
5. Namen und Herkunft des Baumeisters, der den<br />
angenommenen, ersten Entwurf erstellt und<br />
die Fundamente errichten ließ, bleiben unbekannt.<br />
Es ist fraglich, ob dieser mit dem in der<br />
Literatur genannten Odo von Metz identisch<br />
ist. Dagegen lässt die für das armenische Bauwesen<br />
typische Bauweise der Gewölbe, die in<br />
dieser Zeit in Mitteleuropa sonst nicht nachweisbar<br />
ist, in Verbindung mit der verwendeten<br />
armenischen Maßart auch hier den Schluss<br />
zu, dass die Bauhandwerker, die den Bau dann<br />
weiterführten und fertigstellten, tatsächlich Armenier<br />
waren. Die Frage der möglichen Herkunft<br />
dieser Handwerker wird im Schlusskapitel<br />
behandelt.<br />
6. Über den Grund des Wechsels lassen sich nur<br />
Vermutungen anstellen. Eine besteht darin,<br />
dass die ursprünglich eingesetzten Handwerker<br />
ungeübt oder sogar nicht in der Lage wa-<br />
93<br />
ren, die schwierigen Gewölbe des Umgangs<br />
und vielleicht auch der Kuppel auszuführen. 150<br />
Eine andere besteht darin, dass das Oktogon<br />
ursprünglich überhaupt nicht eingewölbt werden<br />
sollte, sondern einen hölzernen Dachstuhl<br />
nach fränkischer Tradition erhalten sollte. Für<br />
diesen Fall hätte die Fachkunde der ersten Bauhandwerker<br />
vermutlich auch ausgereicht. Diese<br />
Annahme schließt die Möglichkeit ein, dass<br />
der Entschluss des königlichen Bauherrn, seine<br />
Kirche mit an römische Vorbilder erinnernden<br />
Gewölben einwölben zu lassen, der<br />
eigentliche Grund für den Wechsel der Handwerker<br />
darstellt.<br />
III.<br />
DIE TRÄGER DER ENTWICKLUNG<br />
Bisher wurden die besondere Bauweise, die verwendeten<br />
Maßarten und teilweise die vorgefundenen<br />
Steinmetzzeichen beschrieben, durch die ein<br />
Rückschluss auf eine unmittelbare oder mittelbare<br />
Beteiligung, also eine überlieferte Bautradition<br />
armenischer Bauhandwerker am europäischen Baugeschehen<br />
im frühen Mittelalter möglich wird.<br />
Diese Merkmale erlauben damit zunächst eine Erklärung<br />
für das sonst nicht erklärbare Vorkommen<br />
zahlreicher armenischer Bauformen in der romani-<br />
150 Einen wenig günstigen Eindruck von der Arbeitsweise dieser<br />
ersten Handwerkergruppe gewinnt man bei der Betrachtung<br />
der Fundamente unter den aufgehenden Wänden und unter<br />
den Arkaden. Die durchlaufenden Fundamente sind in Fundamentgräben<br />
freistehend gemauert worden, was eine sorgfältige,<br />
lageweise Bauweise ermöglicht hätte. Statt dessen ist das<br />
ausgeführte Mauerwerk ein nahezu willkürliches, rohes Bruchsteinmauerwerk<br />
mit extrem verschieden dicken Fugen und<br />
mit unregelmäßigem Fugenglattstrich und vor allem auch nur<br />
ungefähr fluchtgerecht. Den oberen Abschluss der Fundamente<br />
bilden zwei Lagen unregelmäßer Quader antiken Ursprungs<br />
oder Bruchstücke von solchen in einem besonders willkürlichen<br />
Versatz. Der Mörtel, durchsetzt mit Ziegelmehl, scheint<br />
der gleiche zu sein wie der der oberirdischen Bauteile. (Darstellung<br />
der Fundamente und der aufgehenden Mauern in<br />
KREUSCH II, Fig. 4 und 5. Ergänzende Feststellung des Verfassers<br />
anlässlich einer »Begehung« des niedrigen, nur zwischen<br />
0,30 m und 0,50 m hohen Hohlraums unter der neuzeitlichen<br />
Bodenplatte des Fußbodens am 26. 09. 2001, für<br />
deren Zustandekommen er Herrn Dombaumeister Maintz besonders<br />
zu Dank verpflichtet ist.)
schen Baukunst, wie dies Strzygowski bereits erkannt<br />
hatte. Vor allem aber zeigen sie, dass zahlreiche<br />
Großbauten von Anfang an mit einer der beiden<br />
armenischen Maßarten geplant wurden, obwohl<br />
mehrere einheimische Maßarten bekannt waren<br />
und sonst auch verwendet wurden. 151 Dies geschah<br />
offensichtlich in Kenntnis oder wenigstens in der<br />
Erwartung, dass die Bauhandwerker – Steinmetzen<br />
und Gewölbebauer – Baugruppen angehören würden,<br />
die entweder aus armenischen Bauhandwerkern<br />
bestanden oder aus derartigen Baugruppen<br />
hervorgegangen waren und damit in deren Tradition<br />
standen, sei es auch in der 2. oder 3. Generation.<br />
Das zahlreiche Vorkommen armenischer<br />
Steinmetzzeichen belegt schließlich, wie bereits<br />
erwähnt, dass diese Erwartung sich auch erfüllt hat.<br />
Deshalb soll abschließend beschrieben werden, auf<br />
welche Weise armenische Bauhandwerker und damit<br />
auch armenische Bauformen und Maßarten<br />
nach Europa gekommen sein können.<br />
Handwerker werden gewöhnlich in den Quellen<br />
nicht erwähnt, ihre Volkszugehörigkeit schon gar<br />
nicht, auch wenn diese ungewöhnlich gewesen wäre.<br />
Ihre Anwesenheit und ihre Tätigkeit muss und<br />
kann, wenn überhaupt, nur aus den allgemeinen<br />
und sonst bekannten Umständen erschlossen werden.<br />
Dies wurde an Hand der oben beschriebenen<br />
Beispiele versucht. Über ihre Herkunft im Laufe<br />
der Jahrhunderte lassen sich aber begründete Vermutungen<br />
anstellen. Dies soll im Folgenden dargestellt<br />
werden.<br />
1. In dem frühesten, hier beschriebenen Fall, der<br />
Erbauung des Aachener Pfalzkapelle, kann man<br />
ihre Herkunft vermutlich folgendermaßen erklären:<br />
Das von Karl dem Großen bestimmte Baugelände<br />
in Aachen lag zwar in der Nähe der römischen<br />
Thermen, deren Reste damals noch vorhanden<br />
und benutzbar waren, sonst aber in einer<br />
Wildnis, in der er auf Wisentjagd gehen konnte. 152<br />
Qualifizierte Handwerker für die verschiedenen,<br />
beim Bau der neuen Pfalz notwendigen und hochwertigen<br />
Gewerke standen in dieser Zeit sicher<br />
nicht an Ort und Stelle, sondern allenfalls in den<br />
größeren Städten zur Verfügung. Der Hinweis auf<br />
den angeblichen Baumeister der Kapelle, Odo von<br />
Metz, kann dabei aber nicht die Herkunft dieser<br />
Handwerker erklären. Für den Bau der Pfalzkapelle<br />
wurden vielmehr »aus allen Teilen des Reiches<br />
diesseits des Meeres die besten Meister und Handwerker<br />
aller (dieser) Gewerke zusammengeru-<br />
94<br />
fen«. 153 Es ist daher zu untersuchen, welche<br />
Reichsteile gemeint gewesen sein können. 154<br />
Das byzantinische Heer enthielt bekanntlich zu<br />
allen Zeiten große Kontingente von Armeniern.<br />
So bestand die Palastgarde bis in die Zeit Justinians<br />
aus Armeniern. 155 Auch das Heer, mit dem<br />
Narsès, der aus Armenien stammende Feldherr<br />
Justinians I., 552 die Goten in Italien besiegte,<br />
enthielt derartige, armenischen Abteilungen. Bereits<br />
537 hatte Narsès in Armenien allein 5.000<br />
Mann ausgehoben. 156 Die Armee wurde nach der<br />
Besiegung und dem Abzug der Goten zur Sicherung<br />
der byzantinischen Reichsgrenze in den festen<br />
Städten Oberitaliens als Garnisonen stationiert<br />
und in den seit langem entvölkerten Gebieten<br />
sogar regelrecht angesiedelt, wie das später auch<br />
für die Zeit der byzantinischen Rückeroberung<br />
Süditaliens belegt ist.<br />
Eine dieser Städte war auch Como. Die von den<br />
Goten weiterhin gehaltene Stadt wurde erst in der<br />
Endphase des Krieges erobert und dabei zerstört.<br />
Sie wurde dann aber von Narsès wieder aufgebaut<br />
und zu einer starken Sperrfestung gegen die Alpenübergänge<br />
ausgebaut. 157 Hier scheint die Garnison<br />
besonders groß und vorwiegend aus Armeniern<br />
gebildet gewesen zu sein. Diese armenische<br />
Bevölkerungsgruppe bestand, wie noch gezeigt<br />
wird, auch unter der bald nachfolgenden Herrschaft<br />
der Langobarden weiter.<br />
151 s. Anm 109.<br />
152 RAU, S. 388: »… cum … Karolus ad venatum bissontium vel urorum<br />
in nemus ire …«.<br />
153 RAU, S. 364: »Ad cuius fabricam de omnibus cismarinis regionibus<br />
magistros et opifices omnium id genus artium advocavit«; gemeint<br />
ist natürlich das Mittelmeer.<br />
154 Für die Ausstattung wurden aus Italien kostbare Marmorteile<br />
und Säulen beschafft. Möglicherweise wurden auch, entgegen<br />
der gängigen Auffassung, die berühmten Bronzegitter von dort<br />
herangebracht, und nicht wie man lesen kann, in Aachen gegossen<br />
(Hinweis von Dombaumeister Helmut Maintz, s. auch<br />
Anm. 134).<br />
155 VEH II, S. 202 f.<br />
156 VEH I, S. 154.<br />
157 VEH I, S. 310.
In Ravenna ist für fast das gesamte 7. Jh. die Stationierung<br />
von drei armenischen Regimentern<br />
bezeugt. 158 Da demnach hier mindestens ein Jahrhundert<br />
lang ständig Soldaten zur Auffüllung der<br />
Mannschaftsstärke aus Armenien nachrückten,<br />
darf man annehmen, dass die Veteranen größtenteils<br />
im Land blieben, sich verheirateten, einen Beruf<br />
aufnahmen und Besitz erwarben. Wenn sich<br />
dieser Prozess ständig wiederholte, dürften die so<br />
gebildeten, zivilen Siedlungen ebenfalls ständig<br />
angewachsen, sicherlich aber auch italienisiert<br />
worden sein.<br />
Diese Volksgruppe muss man sich notwendigerweise<br />
durch eigene Priester ergänzt denken, was<br />
die Einrichtung von Kirchen und Klöstern zur<br />
Folge gehabt haben dürfte. Wenn diese Klöster<br />
ähnlich organisiert waren wie in Armenien, dürften<br />
sie auch eigene Werkstätten besessen haben.<br />
Wahrscheinlich haben diese Kolonien auch eigene<br />
Basare und vielleicht sogar Schulen gehabt. Seit<br />
743 kann man außerdem einen anderen, aber<br />
ebenfalls nicht unerheblichen Zustrom von Armeniern<br />
aus dem byzantinischen Reich annehmen,<br />
die infolge des Bilderverbots dort ausgewandert<br />
oder geflohen waren. Später muss man auch einen<br />
Zustrom von Paulikianern annehmen, die nunmehr<br />
nach Aufhebung des Bilderverbots 788 von<br />
den Kirchen und dem Staat verfolgt wurden. 159<br />
Im langobardischen Oberitalien weist demnach in<br />
der Folgezeit auch das verhältnismäßig zahlreiche<br />
Vorkommen typisch armenischer Bauformen und<br />
Werkstücke, 160 unter anderem auch von Kreuzsteinen<br />
(Katschkaren, s. dazu Taf. 59 und 60 161 ), auf die<br />
Anwesenheit einer zahlreichen, armenischen<br />
Bevölkerung und damit auch armenischer Steinmetzen<br />
hin. Mehrere Kirchen, die vermutlich auf<br />
diese Zeit zurückgehen, sind Zentralbauten über<br />
einem kreuzförmigen Grundriss mit Vierungsturm<br />
und Strebenischen (s. o., I, 2.3 e, und Taf. 62). In<br />
einem Fall enthält eine Kirche sogar die für armenische<br />
Kirchen typischen Dreiecksnischen in den<br />
Außenwänden (s. o., I, 2.3 f, und Taf. 61 162 ).<br />
Ein besonderes Merkmal dieser Kirchen ist die<br />
sorgfältige Bearbeitung der Hausteine, aus denen<br />
das Mauerwerk von Wänden, Gewölben, Pfeilern<br />
und sogar von Säulen hergestellt wurde. Sie sind<br />
allseitig eben behauen und haben häufig fast Ziegelformat.<br />
Sie sind meist auch wie Ziegelsteine in<br />
gleichhohen Schichten gemauert. 163<br />
95<br />
Eine derartige Verbreitung armenischer Bauformen<br />
setzt, vermutlich bereits im 6. Jh., eine umfangreiche<br />
Migration dieser Bauhandwerker voraus.<br />
Diese wurden in offiziellen lateinischen Dokumenten<br />
der Langobarden comacini (auch commacini)<br />
164 genannt, so in einer bekannten Verordnung<br />
(»Merkbuch«) der Könige Grimwald und Liutprand<br />
über die Löhne der Baugewerksmeister. 165<br />
Comacini ist die latinisierte Form des armenischen<br />
158 STRZYGOWSKI I, S. 737: numerus felicum Persoarmeniorum,<br />
numerus Armeniorum und numerus equitum Armenorum; und S.<br />
738, Anm 1; ein numerus war seit Trajan eine Auxiliartruppe,<br />
die nach ihrem Heimatland benannt war. Sie bestand vermutlich<br />
aus etwa 900 bis 1000 Mann zuzüglich der Offiziere.<br />
159 s. Anm. 31. Auf der Synode von Frankfurt 794 hat die fränkische<br />
Reichskirche i. Ü. den Aufhebungsbeschluss des Konzils<br />
von Nicaea von 788 abgelehnt (Libri Carolini), d.h. weiter auf<br />
dem Bilderverbot bestanden, was eine Begünstigung der Paulikianer<br />
durch Karl den Großen eingeschlossen haben dürfte.<br />
160 SCHAFFRAN betrachtete in Unkenntnis der sozialpolitischen<br />
Verhältnisse dieser Zeit in Oberitalien zahlreiche armenische<br />
Formen als eigenständige Erfindung der Langobarden. Vor allem<br />
Form und Bautechnik der Steinbauten können aber nicht<br />
aus einer langobardischen Bautradition stammen. Die bisherigen<br />
Betrachtungsweisen und Zuweisungen an die Langobarden,<br />
die eigentlich Bauern und Krieger waren und nicht einmal eine<br />
Schrift besaßen und selbst in ihren Gesetzen nur ein mangelhaftes<br />
Latein schrieben (s.u., Anm. 165 und 167 – 177), bedürfen<br />
deshalb einer Berichtigung. Schaffrans Zusammenstellungen<br />
»langobardischer« Bauwerke und Werkstücke sind jedoch<br />
wertvoll, weil sie die Grundlage für eine derartige grundlegende<br />
Überprüfung ihrer Herkunft bilden könnten.<br />
161 Taf. 59 und 60 zeigen frühe Beispiele, bei denen das Katschkar-<br />
Motiv auf Altarseiten übertragen, die spätere, reiche Ornamentik<br />
aber noch nicht entwickelt ist.<br />
162 SCHAFFRAN, Taf. 16 c: Concordia Sagittaria, Baptisterium;<br />
außerdem STRZYGOWSKI I, S. 738, mit weiteren Beispielen.<br />
163 Diese Bauweise scheint eine Anpassung des armenischen Hausteinmauerwerks<br />
an die spätantike Bauweise in Rom und Norditalien<br />
zu sein, in der weitgehend Ziegelmauerwerk verwendet<br />
wurde. Sie ist typisch für das frühe Mittelalter in Oberitalien.<br />
164 Gesprochen: Komá’ssini.<br />
165 BEYERLE, S. 324 ff.; Anhang zu den Gesetzen König Grimwalds<br />
(636-652) und König Liutprands (712-744): »[Grimvaldi<br />
sive Liutprandi memoratorium de mercedibus magistri commacinorum.]<br />
Item memoratorio de mercedes comacinorum«. Die weiter<br />
unten folgenden elf Zitate stammen aus dieser Verordnung.<br />
Ihre Hauptsache, die Vergütungsordnung für die verschiedenen<br />
Bauleistungen, kann hier nicht besprochen werden.
Taf. 59: Jerewan, Nationalmuseum, Sarkophag aus Aghudi mit drei Katschkaren, 7. Jh. – aus:<br />
NOVELLO, Taf. 132.<br />
Taf. 60: Toscanella, Basilica di San Pietro, Predella mit zwei Katschkaren, 793. – aus:<br />
KUTZLI, Taf. 164.<br />
96
Wortes koma’ci (gesprochen: komá’ssi), das die<br />
gleiche Bedeutung hat wie das lateinische Wort<br />
cumensis. Beide Worte bedeuten »zu Como gehörig«,<br />
»Bewohner von Como« oder einfach »einer<br />
aus Como« (lt. Comum, mlt. Cumae, it. Como, arm.<br />
Komo). 166 Mit comacini wurden in gleicher Weise<br />
Baumeister, 167 Maurer, 168 Verputzer, 169 Gewölbebauer,<br />
170 Zimmerer, 171 Dachdecker, 172 Kaminbauer,<br />
173 Fundamentbetonierer, 174 Marmorarbeiter und<br />
Steinmetzen (d. h. Verfertiger von Marmorbelägen<br />
und Marmorsäulen), 175 Ofenbauer 176 und Brunnenbauer<br />
177 bezeichnet. Dies bedeutet zunächst offensichtlich,<br />
dass derartige Bauhandwerker ursprünglich<br />
aus Como kamen, und dass dort auch das Baugewerbe<br />
in besonderer Weise von Armeniern betrieben<br />
wurde, dann aber, dass diese auch in anderen<br />
Städten des langobardischen Reiches so beherrschend<br />
vertre ten waren, dass sie in dem Gesetz als<br />
»komá’ci- ni« bezeichnet werden konnten. 178<br />
Es ist daher anzunehmen, dass die hochqualifizierten<br />
Bauhandwerker, die die Baumaßnahme der<br />
Pfalzkapelle nach den offenkundigen Schwierigkeiten<br />
der Anfangsphase übernahmen und vollendeten,<br />
aus armenischen Kolonien im langobardischen<br />
Italien kamen. 179<br />
2. In ähnlicher Weise liegen auch aus späterer Zeit<br />
Nachrichten über die Gründung oder das Bestehen<br />
armenischer Kolonien in Italien, meist Militärkolonien<br />
vor. 180 Namentlich im byzantinischen Süditalien<br />
sind derartige, planmäßige Ansiedlungen<br />
bekannt, die unter Kaiser Leon VI. durch den Strategos<br />
Nikephoros Phokas seit 885 angelegt worden<br />
sind, so in Bari, Trani und Ceglie. 181 Auch hier<br />
dürften sich später die verschiedentlich bezeugten,<br />
zivilen, armenischen Siedlungen mit eigenen Kirchen<br />
und Klöstern, wie in anderen italienischen<br />
Städten, entwickelt haben. 182 Einige Kirchen heißen<br />
noch heute »degli Armeni« oder »d’ Ermeni«. 183<br />
166 Der armenische Name war demnach mit dem früh-italienischen<br />
identisch. In zusammengesetzten, armenischen Worten wird<br />
die Endung »o« des Stammwortes vor der angefügten Endsilbe<br />
zu »a«. (Für die Überprüfung dieser Deduktion dankt der Verfasser<br />
herzlich Frau Dr. Armenuhi Drost-Abgarjan, Halle/S.)<br />
97<br />
Die an den Ortsnamen angefügte Endung »ci« drückt die Herkunft<br />
von jemandem aus diesem Ort aus. Die latinisierte Form<br />
comacini ist nun durch die Anfügung der lateinischen Adjektiv-Endung<br />
»nus« bzw. »ni« an das armenische Wort koma’ci<br />
gebildet, was eine Verdoppelung des Herkunftsbegriffs darstellt.<br />
Offenbar wurde die ursprüngliche Bedeutung des armenischen<br />
Wortes von den eingewanderten Langobarden schon<br />
im 7. Jh. nicht mehr verstanden, oder das Wort wurde überhaupt<br />
nicht als Fremdwort angesehen, sondern als fester Begriff<br />
für eine bekannte Einrichtung übernommen. Das übliche,<br />
italienische Adjektiv zum Nomen »Como« lautet »comasco«.<br />
167 »Si sala fecit …«<br />
168 »Si verum murum fecit …«<br />
169 »Similiter, si murum dealbaverit …«<br />
170 »Et si arcum volserit …«<br />
171 »Si vero materias cappelaverit …«<br />
172 »De opera. Similiter romanense si fecerit ... sicut gallica opera …«<br />
173 »De caminata. Si quis magistri caminatum fecerit …«<br />
174 »Et si massa fundederit …«<br />
175 »De marmorarios. Si quis axes marmoreas fecerit …« ; diese Handwerker<br />
wurden später »comaschi« und Cosmaten genannt.<br />
176 »De furnum. Si vero furno … fecerit …«<br />
177 »De puteum. Si quis puteum fecerit …«<br />
178 Da die langobardischen Gesetze im 7. Jh. eine Abschließung<br />
des Landes nach außen bewirkten, scheint es in diesem Jahrhundert,<br />
außer durch Pilger und Flüchtlinge, keine größere Einwanderung<br />
nach Oberitalien, also auch nicht von Armeniern,<br />
gegeben zu haben. Dies bestätigt die oben angegebenen Umstände,<br />
nach denen der Beginn der Tradition der koma’ci in die<br />
Zeit nach dem Ende der gotischen Herrschaft und zugleich der<br />
Ansiedlung armenischer Militäreinheiten in Oberitalien nach<br />
552 anzusetzen ist. Erst nach 743, nach dem Edikt über das<br />
Bilderverbot in Byzanz, dürften größere armenische Gruppen<br />
als Flüchtlinge wieder in das langobardische Reich gekommen<br />
sein.<br />
Zu den Comacini und den Comasken SCHOTTNER, S. 20 ff.;<br />
sie werden hier »langobardische Baurotten« genannt.<br />
179 Die in Anm. 135 zit. Nachricht Notkers von St. Gallen<br />
schließt eine derartige Interpretation ein.<br />
180 FONSECA, S. 181 ff.; MARIANI, S. 417 ff.; ZEKIYAN, S.<br />
803 ff.<br />
181 Außerdem in Reggio Calabria, Taormina, Tropea und Amantea<br />
(FONSECA, S. 182). Ein Kontingent bestand aus Paulikianern,<br />
die nach der Zerstörung ihrer in der Region des oberen<br />
Euphrat gebildeten Hauptstadt Tephrik - e 872 umgesetzt worden<br />
waren; unter ihnen war Diakonitzes, der Stellvertreter des<br />
letzten »Haeresiarchen« der Paulikianer, des Spartharios Johannes<br />
Chrysocheir, der in der Armee einen hohen Offiziersrang<br />
bekleidete.<br />
182 MARIANI, S. 417 ff., ZEKIYAN, bes. S. 813 – 847: Hauptteil,<br />
Kapitel I, Primo periodo: Secoli VI-XI.
98<br />
Taf. 61: Concordia Sagittaria, Baptisterium, Ansicht von<br />
Osten. – aus: SCHAFFRAN, Taf. 16 c.<br />
Taf. 62: Biella, Baptisterium, Ansicht von<br />
Westen. – aus: SCHAFFRAN, Taf. 16 a.
Eine Hauptbetätigung dieser italienisierten Ar -<br />
menier scheint auch hier das Bauwesen gewesen zu<br />
sein, besonders die traditionelle Kunst des Gewölbebaus.<br />
Bekanntlich haben zahlreiche Bauformen<br />
und Bauglieder romanischer Bauten in Apulien,<br />
zu denen auch die gekreuzten Tonnengewölbe<br />
des Castel del Monte gehören, wie in anderen<br />
Regionen ihre teilweise identische Entsprechung<br />
in den bis zu 600 Jahren älteren Bauten Armeniens<br />
(s. o. I, 2.3 b, Abs. 3). 184<br />
Zwei von drei Meisternamen im Kastell von Bari,<br />
von denen der eine bereits beschrieben wurde, sind<br />
ein weiterer Beleg. Sie finden sich, wie erwähnt,<br />
auf den Adlerkapitellen in der inneren Eingangshalle<br />
des Kastells, die als ein reines Werk staufischer<br />
Kunst in Apulien gilt. Die Inschriften sind<br />
seit langem bekannt. Alle drei enthalten Steinmetznamen.<br />
185 Von diesen konnte der Verfasser in -<br />
zwischen zwei als armenisch identifizieren, den ers -<br />
ten, MELIS (de Stelliano), wie bereits erwähnt, als<br />
Mleh (Taf. 51) und den zweiten als ISMAHEL. 186<br />
Der dritte Name, MINERVUS (Minervius?) (de<br />
Canusia) konnte noch nicht identifiziert werden.<br />
3. Eine dritte, wahrscheinlich viel größere, hauptsächlich<br />
aus der armenischen Landbevölkerung<br />
bestehende Gruppe mit Männern, Frauen, Kindern<br />
und dem heimischen, bäuerlichen Gewerbe<br />
stellte in einigen Ländern, vor allem auf dem Balkan,<br />
diejenige der zwangsweise in entvölkerten<br />
Randgebieten des byzantinischen Reiches angesiedelten,<br />
armenischen Stammesteile und ganzer Dörfer<br />
und Tallandschaften dar. Solche Zwangsansiedlungen<br />
sind z. B. für Thrazien und Bulgarien<br />
unter den Kaisern Maurikios Ende des 6. Jhs.,<br />
Phokas Anfang des 7. Jhs., Leon III. und Konstantin<br />
V. im 8. Jh., Johannes I. Tzimiskes im 10. und<br />
Basileios II. Anfang des 11. Jhs. bezeugt. 187<br />
Ähnliche Zwangsumsiedlungen aus dem östlichen<br />
Armenien nach dem Iran sind auch unter den<br />
s - as - anidischen Herrschern bekannt.<br />
4. Eine vierte Gruppe bildeten die Flüchtlinge, die<br />
zu allen Zeiten einer fremden Okkupation Armenien<br />
verließen, zunächst infolge der s - as - anidischen<br />
Herrschaft, dann infolge der arabischen Inbesitznahme<br />
des Landes nach 640, später infolge der<br />
Unterwanderung durch türkische Gruppen und<br />
schließlich nach der Eroberung des Landes durch<br />
die salˇg - u.kischen Türken um 1030. Zu den Flüchtlingen<br />
gehörten im 9. Jh. auch die bereits erwähn-<br />
99<br />
ten Angehörigen der Bruderschaften und die Paulikianer.<br />
Die Quellen dieser Flüchtlingszüge finden<br />
sich nur an verstreuten Stellen. Sie sind leider<br />
ebenfalls noch nicht im Zusammenhang ausgewertet<br />
worden.<br />
5. Eine fünfte Gruppe dürften die Pilger gebildet<br />
haben, die die heiligen Stätten in Europa aufsuchen<br />
wollten oder aufgesucht haben. Die große<br />
Masse von ihnen blieb anonym. Nur in Einzelfällen,<br />
wenn es sich um hochstehende Personen, Adlige,<br />
Bischöfe, in einem Fall sogar um einen Katholikos<br />
188 gehandelt hat, sind ihre Namen und teilweise<br />
ihre Viten bekannt, meist aber auch nur, wenn<br />
sie im Westen zu besonderer Heiligkeit gelangt<br />
waren oder, wenn sie sogar von der Römischen<br />
Kirche kanonisiert worden waren. 189 Zu dieser<br />
Gruppe können auch wieder die Steinmetz-Bruderschaften<br />
gehört haben.<br />
6. Eine sechste Gruppe bildeten sicher schließlich<br />
zahlreiche Nachzügler, die aus dem armen und<br />
183 z.B. Sanctus Georgius de Armenis in Bari; Santa Maria de<br />
Armenis in Matera; San Gregorio Armeno in Neapel; Santa<br />
Maria de Armenis in Forenza; Sanctus Andreas de Armenis in<br />
Tarent (FONSECA, S. 184 f.).<br />
184 Die Aufstellung eines Katalogs derartiger Bauformen und die<br />
Gegenüberstellung mit entsprechenden Formen in Armenien<br />
und Georgien ist ein Desiderat von größter Bedeutung.<br />
185 HASELOFF, S. 422.<br />
186 Die Schreibweise ISMAHEL in dieser lateinischen Inschrift<br />
gibt sogar die armenische Schreibweise wieder, bei der zwischen<br />
zwei Vokale, die zu zwei benachbarten Silben gehören,<br />
ein h, g oder j eingeschoben wurde, um die Silbentrennung<br />
durch einen eigenen Laut zu verdeutlichen.<br />
187 Die Umsiedlungen unter Konstantin V. im Jahr 760 betrafen<br />
Paulikianer, die er für besonders zuverlässig hielt, wahrscheinlich<br />
weil er ihnen in religiöser Hinsicht nahe stand, so dass man<br />
ihn später ebenfalls der Haeresie bezichtigte. Auch die Umsiedlungsmaßnahme<br />
Johannes I. Tzimiskes 970 nach Philippopolis<br />
in Bulgarien betraf Paulikianer, aber aus Syrien, wohin<br />
sie sich wegen der vorausgegangenen Verfolgungen geflüchtet<br />
hatten.<br />
Die zahlreichen Quellen über die Umsiedlungen können hier<br />
nicht zitiert werden.<br />
188 Grikor II. Martyrophilos, 1065-1105; die Pilgerreise von<br />
1075 führte ihn u.a. nach Rom.<br />
189 s. dazu auch KOLMER, S. 66 ff.
wenig ertragreichen Armenien in den Westen<br />
wanderten, um dort als Händler, Handwerker,<br />
Kleriker und vielleicht auch als Bauern neue und<br />
bessere Erwerbsmöglichkeiten zu finden. Diese<br />
Zuwanderer dürften in den neuen Siedlungszellen<br />
nach und nach die eigentliche Infrastruktur gebildet<br />
haben, die dort in der Folgezeit zu Grundbesitz<br />
und zur Gründung von Klöstern und Pfarrkirchen<br />
geführt hat.<br />
*<br />
Ein anschauliches Beispiel für das Auftreten dieser<br />
Gruppen zusammen – außer der fünften – bildet<br />
im 11. und 12. Jh. die große armenische Kolonie<br />
im f - a.tmidischen Kairo. Sie bestand aus einer zu<br />
zehntausenden zählenden Abteilung des f - a.tmidischen<br />
Heeres und aus großen, wahrscheinlich eigenständigen<br />
Wohnquartieren mit Kirchen, Klöstern<br />
und Schulen. 190 Bekanntlich waren mehrere Wesire<br />
der Kalifen dieser Zeit gebürtige Armenier. 191<br />
Einen Eindruck vom Wohlstand der Kolonie vermitteln<br />
die rigorosen Konfiskationen .Sal - a .h ad-D - ıns<br />
nach seiner Machtergreifung und nach dem Aufstand<br />
der armenischen und sudanesischen Truppen<br />
1173 gegen ihn. 192 Die Bauhandwerker scheinen<br />
bei diesen Maßnahmen verschont geblieben zu<br />
sein. Sie wurden vielmehr, wie die für sie typische<br />
Bauweise zeigt, offenbar in großer Zahl beim<br />
Neubau der Zitadelle .Sal - a .h ad-D - ıns in Kairo eingesetzt.<br />
193<br />
Auf europäischem Boden haben die armenischen<br />
Kolonien vermutlich nicht den Umfang und die<br />
politische Bedeutung der ägyptischen Kolonie gehabt.<br />
Die Auswirkungen ihrer Wirksamkeit waren<br />
jedoch erheblich weiterreichend und nachhaltiger.<br />
Auch in Köln muss, wie oben beschrieben, seit der<br />
Mitte des 11. Jhs. eine große armenische Gemeinde<br />
bestanden haben, wodurch sich die Verbreitung<br />
armenischer, aber für die Region neuartiger Bauformen<br />
im Rheinland erklärt. Ihre Existenz wird<br />
in einem bekannten Dokument greifbar. In einem<br />
1143 oder 1146 verfassten Brief an Bernhard von<br />
Clairvaux berichtet Eberwein von Helfenstein, der<br />
Probst des im Aufbau befindlichen Prämonstratenserklosters<br />
Steinfeld in der Nordeifel, über die<br />
Aufdeckung einer großen Gemeinde von »Haeretikern«,<br />
die von einem Bischof geleitet wurde und<br />
zu der besondere Lehrer (wardapet) gehörten, und<br />
über einen Prozess gegen diesen Bischof, der mit<br />
100<br />
dessen Tod auf dem Scheiterhaufen endete. 194 In<br />
einem weiteren Abschnitt wird eine andere »haeretische«<br />
Bewegung erwähnt. 195 Beide Gruppen<br />
scheinen aber als einander verwandt angesehen<br />
worden zu sein.<br />
Die Angehörigen der Kölner Gemeinde werden in<br />
der westlichen Literatur gewöhnlich mit dem<br />
damals bereits üblichen Namen Katharer bezeichnet<br />
196 Diese Bezeichnung fehlt jedoch sowohl in<br />
Eberweins Brief als auch in der als Antwort aufzufassenden<br />
Predigt Bernhards von Clairvaux, 197<br />
sowohl in Bezug auf die erste als auch auf die zweite<br />
Gruppe, vermutlich weil Eberwein wusste, dass<br />
sie gar keine Katharer waren. Sie werden allerdings<br />
auch nicht als Paulikianer, Tondrakianer<br />
oder auch nur als Armenier bezeichnet.<br />
190 Das wichtigste Quartier hieß al- .Husayn - ıya, wahrscheinlich<br />
nach .Husayn, dem Sohn des 4. Kalifen ‘Al - ı benannt, der im<br />
ˇsi‘ - ıtischen Isl - am als Märtyrer eine heiligmäßige Verehrung genießt.<br />
191 Im 11. und 12. Jh. außer Badr al- ˇGam - al - ı (gest. 1094) auch<br />
sein Sohn al-Afd. al ˇ S - ah - anˇs - ah (erm. 1121), dessen Sohn al-Afd. al<br />
Kutaif - at (erm. 1131), dessen Nachfolger Y - anis (nur 1131), die<br />
jedoch alle Muslime geworden waren, sowie Vahram, der Christ<br />
blieb (1131, gest. 1140); s. CANARD I, S. 88 und CANARD<br />
II, S. 151.<br />
192 Ihre Erlöse und ihre bisherigen Einkünfte benötigte er zur<br />
Finanzierung der vielen neuen, sunnitischen Einrichtungen; s.<br />
dazu: FRENKEL, S. 1 ff.<br />
193 Beschreibung der Zitadelle bei CRESWELL, II, S. 1 ff., aber<br />
ohne Hinweis auf die besonderen Bauformen und die ausführenden<br />
Handwerker; außerdem Hanisch, Hanspeter: Maßarten<br />
und Bauweise der aiy - ubidischen Wehrbauten der Zitadelle von Kairo,<br />
Leuven (in Druckvorbereitung).<br />
194 MIGNE, S. 665 ff.<br />
Dies dürfte der erste Fall einer Verbrennung von »Ketzern« in<br />
Deutschland gewesen sein. In diesem Brief sind auch die Glaubensvorstellungen<br />
und Gebräuche dieser Gemeinde genau beschrieben.<br />
Besonders ihre enge Bindung an das Alte und das<br />
Neue Testament, und hier die alleinige Bedeutung der Taufe,<br />
werden als die Grundlagen ihres heiligmäßigen Lebenswandels<br />
hervorgehoben, andererseits aber auch ihre Ablehnung der Bilder<br />
und der kirchlichen Instanzen.<br />
195 Anders als die erste Gruppe lehnte diese auch das gemeinsame<br />
Gedächtnismahl ab.<br />
196 s. Anm. 182.<br />
197 MEHRERAU (Bernhard v. Clairvaux), Ansprache Nr. 65 u. 66.
Trotzdem ist die Identifizierung der ersten Gruppe<br />
als späte armenische Paulikianer durch einen<br />
Vergleich ihrer in dem Brief beschrieben Lehre<br />
mit derjenigen der klassischen Paulikianer des 8.<br />
und 9. Jhs. in Armenien möglich. 198 Vor allem<br />
unterscheidet sie das Fehlen des dualistischen<br />
Prinzips und anderer manichäischer Vorstellungen,<br />
insbesondere der Rolle des Satans, von den<br />
zeitgenössischen Katharern. 199 Schließlich unterscheidet<br />
sie auch ihre soziale Stellung als die von<br />
»Stadt zu Stadt Wandernden« von den in festen<br />
Kommunen sesshaften Katharern, 200 so in Mainz,<br />
wo diese sogar einen eigenen Friedhof besaßen. 201<br />
Diese Gruppe, die hier als späte Paulikianer armenischer<br />
Nationalität angenommen wird, konnte in<br />
Köln, wie vermutlich auch in anderen Städten mit<br />
großen Kirchen-Baustellen, auch unauffällig zwischen<br />
ihren Landsleuten leben, zumal ihre Anhänger,<br />
wie andere Armenier, in Europa häufig europäische<br />
Namen annahmen. 202<br />
Die beiläufig erwähnte, zweite Gruppe, die in<br />
Köln offenbar aber nicht angetroffen wurde, kann<br />
wegen ihren weitergehenden Vorstellungen, besonders<br />
der Ablehnung der Eucharistie, vermutlich<br />
als Trondrakianer identifizert werden, wenn<br />
auch ebenfalls als eine späte Form dieser Bewegung.<br />
*<br />
198 So in dem sog. »Schlüssel der Wahrheit« – »Key of Truth, A<br />
Manual of the Church of Armenia«, CONYBEARE, S. XVII<br />
(Summarary), S. 1 ff. (arm.) und S. 71 ff. (engl.). Conybeare<br />
hielt diese Schrift trotz einiger Rückgriffe auf Schriften des 8.<br />
Jhs. für neuzeitlich, vermutlich, weil er die teilweise gleichlautenden<br />
Glaubenssätze aus dem Verhör der Kölner Angeklagten<br />
nicht kannte.<br />
199 s. Anm 31. Von Bedeutung sind außerdem die Angaben der<br />
Beschuldigten zu der Entstehung dieser Glaubensrichtung »in<br />
der Zeit der Märtyrer«, d.h. in der Zeit Diokletians und vor<br />
der Einführung des Christentums als Staatsreligion um 300,<br />
ferner zu ihrem verborgenen Fortbestand in Griechenland, d.h.<br />
im byzantinischen Reich in seiner im 12. Jh. verbliebenen<br />
Ausdehnung, und schließlich der Hinweis auf ihre Verbreitung<br />
in vielen Ländern.<br />
200 GARSOIAN, S. 163 ff.; auf S. 16 ihres Werkes wird die späte<br />
Anwesenheit von Paulikianern in Köln auch so bezeichnet, auf<br />
101<br />
S. 230 ihr Weiterleben in dieser Zeit aber bestritten, wenn<br />
auch ohne eine weitere Erklärung. Dies liegt vermutlich daran,<br />
dass sie die hier zitierte, lateinische Quelle nicht weiter untersucht<br />
hat.<br />
201 LAMBERT, S. 23.<br />
202 Mitteilung von Frau Armenuhi Drost-Abgarjian, Halle/Saale.<br />
Der für seine Zeit überraschend sachliche und von jeder Polemik<br />
freie, fast sogar verständnisvolle Ton des Briefes Eberweins<br />
von Steinfeld scheint seinen Anlass in dem Umstand gehabt zu<br />
haben, dass er die Beschuldigten des Kölner Prozesses oder<br />
wenigstens Landsleute von ihnen kannte und vermutlich auch<br />
schätzte. Der Verfasser konnte im Oktober 2003 in der um<br />
1140 im Bau befindlichen Klosterkirche Steinfeld sowohl ein<br />
mehrfach verwendetes Steinmetzzeichen in Form einer spiralförmigen,<br />
seitenverkehrten Ziffer »9« als ein Zeichen einer armenischen<br />
krytographen Schriftart als auch am zweiten nördlichen<br />
Langhauspfeiler eine sgraffito-artige »Inschrift« als armenisch<br />
identifizieren. Die »Inschrift« ist inzwischen zugespachtelt worden<br />
und damit vermutlich verloren.<br />
Die »Inschrift« bestand aus zwei Worten mit zusammen fünf<br />
armenischen, Buchstaben, die zwar ungeschickt und auch fehlerhaft<br />
ausgeführt waren. Vier Buchstaben waren gegenüber der<br />
korrekten Schreibweise unten, der letzte oben mit einem zusätzlichen<br />
Abstrich versehen, wodurch die Buchstaben in eigenartiger<br />
Weise verunklärt wirkten.<br />
Die beiden Worte lassen sich vermutlich als »h - es ( ) s k ( )«<br />
d.h. Jes(u)s Ch(ristus) deuten. Das »u« fehlt, das Christusmonogramm<br />
»K« (k’ - e) ersetzt den vollen Namen Christus. Zum<br />
Austausch von »j« und »h« s.o., Anm. 186. Es kann sogar<br />
sein, dass der Schreiber sie als unmittelbare Reaktion auf den<br />
Tod der beiden in Köln verbrannten »Haeretiker« geschrieben<br />
hat. Ein weiteres Einzelzeichen, das offenbar den ersten Buchstaben<br />
des Wortes bilden sollte, ist gänzlich verschlagen worden,<br />
so dass der Schreiber noch einmal von vorn angefangen<br />
hat. Nach diesem Befund müssen auch bei diesem Bau armenische<br />
Handwerker beschäftigt gewesen sein.<br />
Die Annahme, dass es sich in Köln um Paulikianer gehandelt<br />
hat, wird i.Ü. durch ein Dekret des 3. Laterankonzils von 1179<br />
unterstützt, in dem neben den Katharern und Patarenern die<br />
Publikaner (Paulikianer) als Haeretiker verdammt werden<br />
(WOHLMUTH, S. 224.)
Zum Schluss der vorstehenden Beobachtungen, so<br />
fragmentarisch sie auch sind, muss noch auf die<br />
Pfade hingewiesen werden, auf denen die anzunehmenden<br />
armenischen Gruppen, die nicht planmäßig<br />
in den Städten als Garnisonen oder in Militärkolonien<br />
angesiedelt wurden, nach Europa<br />
gelangt sind.<br />
Die Orte, an denen sie Eurpoa betraten, dürften<br />
am Schwarzen Meer die kleinen Küstenstädte und<br />
am Mittelmeer die großen Küstenstädte Dalmatiens,<br />
Apuliens und Südfrankreichs gewesen sein.<br />
Besonders Apulien muss ein besonderer Anziehungspunkt<br />
für alle Einwanderer gewesen sein,<br />
weil seine Hafenstädte durch den Pilgerverkehr<br />
zum Heiligen Land zu hohem Wohlstand gekommen<br />
waren.<br />
Die Pfade ihrer Wanderung und damit ihres Kulturgutes<br />
dürften in Südosteuropa, auf dem Balkan<br />
und in Süddeutschland vorwiegend das Donautal<br />
gewesen sein, in Westdeutschland das Rheintal<br />
und in Frankreich das Rhonetal, außerdem die Pilgerstraßen<br />
nach Rom und nach Santiago di Compostella.<br />
203<br />
Man kann grundsätzlich annehmen, dass es bei der<br />
ständigen und unauffälligen Einwanderung auch<br />
noch weitere Schwerpunkte gegeben hat, die für<br />
die Absichten der Einwanderer besonders erfolgversprechend<br />
waren. Dies dürften in Italien die<br />
Städte Rom und Venedig und die großen Stadtrepubliken<br />
und in Frankreich Marseille und der Süden<br />
Frankreichs gewesen sein, der schon seit den<br />
Zeiten der Merowinger und nach der Abwehr der<br />
Araber in großem Wohlstand stand. Im Süden<br />
Mitteleuropas war ein besonderer Anziehungspunkt<br />
sicher die neue Stadt Wien, die für alle über<br />
die Balkanländer und über andere Länder des<br />
Ostens Kommenden die Pforte Europas bildete.<br />
Dann aber waren es vermutlich vor allem die<br />
wichtigsten Bischofsstädte des Reichs, Konstanz,<br />
Mainz und Köln, daneben Bamberg, wahrscheinlich<br />
auch Hildesheim und Speyer. Hier und in den<br />
Klöstern wurden in dieser Zeit bekanntlich gewaltige<br />
Kirchenbauten in Angriff genommen, die<br />
meisten von ihnen auch mit der Absicht, sie einzuwölben.<br />
Für derartige Einwölbungen waren die<br />
armenischen Baumeister und Steinmetzen auf<br />
Grund ihrer jahrhundertealten Tradition im Gewölbebau<br />
wahrscheinlich als einzige geeignet und<br />
wurden auch deshalb in Anspruch genommen.<br />
102<br />
Dies weiter zu untersuchen, bleibt eine Aufgabe<br />
für die Zukunft. Dafür mögen auch die zahlreichen,<br />
hier beiläufig eingefügten Hinweise auf bestimmte,<br />
historische Zusammenhänge beitragen.<br />
Für diesen Aufsatz soll es genügen, den Umriss für<br />
das historische Phänomen des Wirkens armenischer<br />
Bauhandwerker, für das Eindringen alter<br />
armenischer Bauformen nach Europa und vor<br />
allem für die fast normative Verwendung der<br />
armenischen Maßarten in Europa aufgezeigt und<br />
dies mit einigen, richtungsweisenden Belegen<br />
dokumentiert zu haben.<br />
In memoriam Josef Strzygowski<br />
203 Auf dem Jakobsweg hat der Verfasser kürzlich in Parthenay<br />
(Deux Sèvres) in der Westfassade der Kirche St. Laurent ein<br />
nachträglich eingebautes, sehr altes Relief mit zwei Figuren<br />
als ein typisch armenisches Stifterrelief festgestellt, das in überraschender<br />
Weise fast genau einem an einer ähnlichen Stelle<br />
angebrachten Relief an der Außenwand der Kathedrale von<br />
Edschmiadsin entspricht, das den Apostel Paulus und seine<br />
Schülerin Thekla darstellt, und das in das 4. Jh. (!) datiert wird<br />
(THIERRY, pl. 12).
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Architektur Friedrichs II., München 1984.<br />
GOTTWALD<br />
Gottwald, J.: Die Kirche und das Schloß Paperon in<br />
Kilikisch-Armenien, in: Byzantinische Zeitschrift 36,<br />
1936, S. 86 ff.<br />
HAHN<br />
Hahn, Hanno (Text u. Textabbildungen) – Renger-<br />
Patzsch, Albert (Fotos): Hohenstaufenburgen in Süditalien,<br />
Ingelheim 1961.<br />
HANISCH I<br />
Hanisch, Hanspeter: Die seldschukischen Bauten der<br />
Zitadelle von Damaskus, in: Damaszener Mitteilungen<br />
6, 1992, S. 479 ff.<br />
HANISCH II<br />
Hanisch, Hanspeter: Der Nordostabschnitt der Zitadelle von<br />
Damaskus, in: Damaszener Mitteilungen 7, 1993, S. 233 ff.<br />
HANISCH III<br />
Hanisch, Hanspeter: Die ayy - ubidischen Toranlagen der<br />
Zitadelle von Damaskus, Wiesbaden 1996.<br />
HANISCH IV<br />
Hanisch, Hanspeter: Die Maschikulis der Zitadelle von<br />
Damaskus, in: Damaszener Mitteilungen 9, 1996, S. 227 ff.<br />
HANISCH V<br />
Hanisch, Hanspeter: Isl - amische Maßarten und Maßsysteme,<br />
dargestellt an der Zitadelle von Damaskus, in:<br />
architectura 29 (1/1999), 1999, S. 12 ff.<br />
HANISCH VI<br />
Hanisch, Hanspeter: Über das Wirken armenischer<br />
Bauhandwerker in Nordsyrien und Nordmesopotamien,<br />
Tagungsband ORDO ET MENSURA VI, St. Katharinen<br />
2000; und Tagungsband ARMENIEN 2000,<br />
Halle (Saale), im Druck.<br />
HANISCH VII<br />
Hanisch, Hanspeter: Die ayy - ubidischen Wehranlagen in<br />
den Zitadellen von H. arr - an und Damaskus, ein Vergleich,<br />
in: Vermeulen, U. – van Steenbergen, J. (Hrsg.):<br />
Egypt and Syria in the Fatimid, Ayyubid and Mamluk<br />
Eras III, Leuven 2001 (= Orientalia Lovaniensia<br />
Analecta 102), S. 61 ff.
HANISCH VIII<br />
Hanisch, Hanspeter: Hromklay. Die armenische Klosterfestung<br />
am Euphrat, Bregenz 2002.<br />
HANISCH IX<br />
Hanisch, Hanspeter: The works of al-Malik al-‘A - dil in<br />
the citadel of H. arr - an, in: Faucherre, Nicolas – Mesqui,<br />
Jean – Proudeau, Nicolas (Hrsg.): Fortification au<br />
temps des Croisades, Rennes 2003, S. 165 ff.<br />
HANISCH X<br />
Hanisch, Hanspeter: Die Zitadelle von H. arr - an, in: Vermeulen,<br />
U. – van Steenbergen, J. (Hrsg.): Egypt and<br />
Syria in the Fatimid, Ayyubid and Mamluk Eras IV,<br />
Leuven 2005 (= Orientalia Lovaniensia Analecta 140),<br />
S. 185 ff.<br />
HARUTJUNIAN<br />
Harutjunian, Warasdat: Die Annalen des armenischen<br />
Volkes in Stein (russ.), Jerewan 1985.<br />
HASELOFF<br />
Haseloff, Arthur: Die Bauten der Hohenstaufen in Unteritalien,<br />
Bd. I, Text- und Tafelband, Leipzig 1914-1926.<br />
HASRATHIAN<br />
Hasrathian, M. – Harouthioumian, V. – Tutundjan,<br />
V.: Monuments of Armenia. From the prehistoric Era to the<br />
17 th Century (franz., engl., arm.), Beirut 1975.<br />
HEINZ I<br />
Heinz, Werner: Das Oktogon, Notizen zur Bedeutung, zur<br />
Konstruktion und zu Castel del Monte, in: Ahrens, Dieter<br />
– Rottländer, Rolf C. A. (Hrsg.): ORDO ET MEN-<br />
SURA IV/V, St. Katharinen 1998 (= Sachüberlie -<br />
ferung und Geschichte. Siegener Abhandlungen zur<br />
Entwicklung der materiellen Kultur 25), S. 38 ff.<br />
HEINZ II<br />
Heinz, Werner: Castel del Monte, zu Entwurf und Übertragung<br />
ins Gelände, in: Rottländer, Rolf C. A. (Hrsg.):<br />
ORDO ET MENSURA VI, St. Katharinen 2000 (=<br />
Sachüberlieferung und Geschichte. Siegener Abhandlungen<br />
zur Entwicklung der materiellen Kultur 25),<br />
S. 105 ff.<br />
HELLENKEMPER I<br />
Hellenkemper, Hansgerd: Burgen der Kreuzritterzeit in<br />
der Grafschaft Edessa und im Königreich Kleinarmenien,<br />
Dissertation, Bonn 1976 (= Geographica historica 1).<br />
105<br />
HELLENKEMPER II<br />
Hild, Friedrich – Hellenkemper, Hansgerd: Kilikien<br />
und Isaurien, Wien 1990 (= Tabula Imperii Byzantini<br />
5 / Denkschriften der Österr. Akad. d. Wissen -<br />
schaften, phil.-hist. Kl. 215).<br />
HELLENKEMPER III<br />
Hellenkemper, Hansgerd: Ein byzantinisches Baumaß,<br />
in: Istanbuler Mitteilungen 39, 1989, S. 181 ff.<br />
HENNING<br />
Henning, Walter Bruno: An Astronomical Chapter of the<br />
Bundahišn, in: Journal of the Royal Asiatic Society<br />
1942, S. 229 ff.<br />
HERZFELD<br />
Herzfeld, Ernst: Die Baukunst der Armenier und Europa,<br />
Rezension, in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst<br />
und Städtebau, IV. Jg., 1919/20, S. 2 ff.; S. 24 ff.<br />
HUFF<br />
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Beitrag zur sasanidischen Palastarchitektur, in: Archäologische<br />
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JANSEN<br />
Jansen, Michael: Concinnitas und venustas – Weitere Überlegungen<br />
zu Maß und Proportion der Pfalzkapelle Karls des<br />
Großen, in: Butzer, P. – Kerner, W. – Oberschelp, W.<br />
(Hrsg.): Karl der Große und sein Nachwirken. 1200<br />
Jahre Kultur und Wissenschaft in Europa, Bd. 1: Wissen<br />
und Weltbild, Turnhout 1997, S. 367 ff.<br />
KOLMER<br />
Kolmer, Lothar: Armenier im Westen des 10. und 11.<br />
Jahrhunderts, in: Ruprechtsberger, Erwin M. (Red.):<br />
Armenien. Beiträge zur Sprache, Geschichte und<br />
Archäologie, Linz 1990 (= Linzer Archäologische<br />
Forschungen 18/2), S. 66 ff.<br />
KREUSCH I<br />
Kreusch, Felix: Das Maß des Engels, in: Hoster, Joseph –<br />
Mann, Albrecht (Hrsg.): Vom Bauen, Bilden und<br />
Bewahren. Festschrift für Willy Weyres zur Vollendung<br />
seines 60. Lebensjahres, Köln – Greven 1964, S. 61 ff.<br />
KREUSCH II<br />
Kreusch, Felix: Kirche, Atrium und Portikus der Aach ener<br />
Pfalz, in: Braunfels, Wolfgang – Schnitzler, Hermann
(Hrsg.): Karolingische Kunst, Düsseldorf 1965 (=<br />
Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, Band<br />
III), S. 463 ff.<br />
KUNSTDENKMÄLER<br />
Ewald, Wilhelm: Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln,<br />
Bd. 1, 4. Abt.: Die kirchlichen Denkmäler der Stadt Köln,<br />
Düsseldorf 1916 (= Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz<br />
6,4), S. 330 ff.<br />
KUTZLI<br />
Kutzli, Rudolf: Langobardische Kunst. Die Sprache der<br />
Flechtbänder, Stuttgart 1974.<br />
LAMBERT<br />
Lambert, Malcolm: Geschichte der Katharer. Aufstieg und<br />
Fall der großen Ketzerbewegung, Darmstadt 2001.<br />
LEISTIKOW<br />
Leistikow, Dankwart: Zum Mandat Kaiser Friedrichs II.<br />
von 1240 für Castel del Monte, in: architectura 22<br />
(1/1992), 1992, S. 16 ff.<br />
LLOYD – BRICE<br />
Lloyd, Seton – Brice, William: H. arr - an, in: Anatolian<br />
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MALLWITZ<br />
Mallwitz, Alfred: Olympia und seine Bauten, Darmstadt<br />
1972.<br />
MARIANI<br />
Mariani, M. S. Carlò: Considerazioni sull’ architettura<br />
medievale in Puglia, in: Atti del primo Simposio internazionale<br />
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1978, S. 417 ff.<br />
MNAZAKANIAN<br />
Mnazakanian, S. Ch.: Die Sünik-Schule in der armeni -<br />
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MEHRERAU<br />
Zisterzienserabtei Mehrerau (Hrsg.): Bernhard von<br />
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MEZ<br />
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bis zum Einfall der Araber, Dissertation, Straßburg<br />
1892.<br />
106<br />
MIGNE<br />
Migne, Jacques Paul: Patrologiae cursus completus sive<br />
bibliotheca universalis, integra, uniformis, commoda, oeconomica,<br />
omnium ss. patrum, doctorum scriptorum que eccle -<br />
siasticorum qui ab aevo apostolico ad usque Innocentii III<br />
tempora floruerunt (...), Parisiis 1844 ff. (bes. Bd. 182).<br />
MÜNSTER I<br />
Spahr, P. Kolumban: Die romanische Basilika der<br />
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Münster, 18. Jg., Heft 1/2, Januar/Februar 1965, S. 1 ff.<br />
MÜNSTER II<br />
Vonbank, Elmar: Die archäologische Untersuchung der<br />
romanischen Basilika in Bregenz – Mehrerau, in: Das<br />
Münster, 18. Jg., Heft 1/2, Januar/Februar 1965, S. 9 ff.<br />
NERSESSIAN<br />
Nersessian, Vrey: The Tondrakian Movement: Religious<br />
Movements in the Armenian Church from the Fourth to the<br />
Tenth Centuries, London 1987.<br />
NOVELLO<br />
Novello, Adriano Alpago: Die Armenier. Brücke zwi schen<br />
Abendland und Orient, Stuttgart – Zürich 1986.<br />
RAU<br />
Rau, Reinhold (Übers. u. Hrsg.): Notkeri Gesta Karoli,<br />
in: ders. (Übers. u. Hrsg.): Quellen zur karolingischen<br />
Reichsgeschichte III, Darmstadt 1960 (= Ausgewählte<br />
Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters<br />
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VII), S. 321 ff.<br />
RHOEN<br />
Rhoen, Carl: Die Kapelle der karolingischen Pfalz zu<br />
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RICE<br />
Rice, David Storm: Studies in Medieval H. arr - an, in:<br />
Anatolian Studies II, London 1952, S. 36 ff.<br />
RIVOIRA<br />
Rivoira, Giovanni Teresio: Le origini della architettura<br />
lombarda e delle sue principali derivazioni nei paesi<br />
d’oltr’alpe, Bd. 2, Rom 1907 (Mailand 1908 2 ).
ROBINSON – HUGHES<br />
Robinson, F. C. R. – Hughes, P. C.: Lampron: Castle of<br />
Armenian Cilicia, in: Anatolian Studies XIX, 1969,<br />
S. 183 ff.<br />
ROTTLÄNDER I<br />
Rottländer, Rolf C. A.: Eine neu aufgefundene antike<br />
Maßeinheit auf dem metrologischen Relief von Salamis, in:<br />
ÖJh 61, Wien 1991/92, S. 63 ff.<br />
ROTTLÄNDER II<br />
Rottländer, Rolf: Die Längeneinheiten und das Raster des<br />
ehemaligen Chorherren-Stifts St. Georg am Waidmarkt,<br />
Köln, in: Huber, Florian – Rottländer, Rolf C. A.<br />
(Hrsg.): ORDO ET MENSURA VII, St. Katharinen<br />
2002 (= Sachüberlieferung und Geschichte. Siegener<br />
Abhandlungen zur Entwicklung der materiellen Kultur<br />
34), S. 187 ff.<br />
ROTTLÄNDER III<br />
Rottländer, Rolf: Metrologisches von der Aachener Pfalz, in:<br />
Huber, Florian – Rottländer, Rolf C. A. (Hrsg.): ORDO<br />
ET MENSURA VIII, St. Katherinen 2004, S. 151 ff.<br />
SAUVAGET<br />
Sauvaget, Jean: La citadelle de Damas, SYRIA XI,<br />
1930, S. 60 ff.; 216 ff.<br />
SCHAFFRAN<br />
Schaffran, Emerich: Die Kunst der Langobarden in Italien,<br />
Jena 1941.<br />
SCHILBACH<br />
Schilbach, Erich: Handbuch der Altertumswissenschaft.<br />
Byzantinische Metrologie, Bd. 4, München 1970.<br />
SCHIRMER<br />
Schirmer, Wulf: Castel del Monte. Forschungsergebnisse<br />
der Jahre 1990 bis 1996, Mainz 2000.<br />
SCHORN<br />
Schorn, Wilhelm – Verbeek, Albert: Die Kirche St.<br />
Georg in Köln, Berlin 1940.<br />
SCHOTTNER<br />
Schottner, Alfred: Das Brauchtum der Steinmetzen in den<br />
spätmittelalterlichen Bauhütten und dessen Fortleben und<br />
Wandel bis zur heutigen Zeit, Münster 1994 (= Volks -<br />
kunde 6).<br />
107<br />
SIEBIGS<br />
Siebigs, Hans Karl: Neuere Untersuchungen der Pfalz -<br />
kapelle zu Aachen, in: Schefers, Hermann (Hrsg.): Einhard.<br />
Studien zu Leben und Werk, Darmstadt 1997 (=<br />
Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission<br />
NF Bd. 12), S. 95 ff.<br />
STECK<br />
Steck, Max (Ed.): Kommentar zum ersten Buch von Euklids<br />
„Elementen“ / Proklus Diadochus. Aus d. Griech. ins<br />
Deutsche übertr. u. mit textkrit. Anm. vers. v. Schönberger,<br />
Leander, Halle 1945.<br />
STRZYGOWSKI I<br />
Strzygowski, Josef: Die Baukunst der Armenier und<br />
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STRZYGOWSKI II<br />
Strzygowski, Josef: Der Dom zu Aachen und seine Ent -<br />
stellung, Leipzig 1904.<br />
THIERRY<br />
Thierry, Jean-Michel – Goltz, Hermann (Bearb.):<br />
Armenien im Mittelalter, Regensburg 2002.<br />
THORAMANIAN<br />
Thoramanian, Thoros: Materialien zur Geschichte der<br />
armenischen Architektur (arm.), Jerewan 1942<br />
(posthum).<br />
TSCHUBINASCHWILI<br />
Tschubinaschwili, Georg: Die christliche Kunst im Kaukasus<br />
und ihr Verhältnis zur allgemeinen Kunstgeschichte (Eine<br />
kritische Würdigung von Josef Strzygowskis „Die Baukunst<br />
der Armenier und Europa“), Leipzig 1922, S. 217 ff.<br />
VEH I<br />
Veh, Otto (Übers. u. Hrsg.): Prokopius: „Caesariensis“,<br />
Bd. 2: Gotenkriege, München 1966 (= Tusculum-<br />
Bücherei).<br />
VEH II<br />
Veh, Otto (Übers. u. Hrsg.): Prokopius: „Caesariensis“,<br />
Bd. 1: Anekdota, München 1981 3 .<br />
WOHLMUTH<br />
Wohlmuth, Josef (Übers. u. Hrsg.): Konzilien des Mittelalters<br />
vom ersten Laterankonzil (1123) bis zum fünften<br />
Laterankonzil (1512-1517), Paderborn – Wien u.a.<br />
2000 (= Dekrete der ökumenischen Konzilien, Bd. 2).
WIEMER I<br />
Wiemer, Wolfgang: Die Baugeschichte und Bauhütte der<br />
Erbracher Abteikirche 1200-1285, in: Jb. f. fränkische<br />
Landesforschung 17, 1958, S. 1 ff.<br />
WIEMER II<br />
Wiemer, Wolfgang: Ars sine scientia nihil est – Kathedralen<br />
und Computer, in: Essener Universitätsberichte 1,<br />
1991, S. 26 ff.<br />
WIEMER III<br />
Wiemer Wolfgang: Maßordnung und Fußmaß mittelalterlicher<br />
Kirchen am Beispiel der Abteikirche Erbrach, in:<br />
Arens, Dieter – Rottländer, Rolf C. A. (Hrsg.):<br />
ORDO ET MENSURA III, St. Katharinen 1993 (=<br />
Sachüberlieferung und Geschichte. Siegener Abhandlungen<br />
zur Entwicklung der materiellen Kultur 13),<br />
S. 263 ff.<br />
WILLEMSEN<br />
Willemsen, Carl Arnold: Kaiser Friedrichs II. Triumphtor<br />
zu Capua. Ein Denkmal Hohenstaufischer Kunst in<br />
Süditalien, Wiesbaden 1953.<br />
WINTERFELD<br />
Winterfeld, Dethard v.: Der Dom in Bamberg. Bd. 1. Die<br />
Baugeschichte bis zur Vollendung im 13. Jahrhundert. Bd. 2.<br />
Der Befund, Bauform und Bautechnik, Berlin 1979.<br />
ZEKIYAN<br />
Zekiyan, L. B.: Le colonie armene del medioevo in Italia e<br />
le relazioni culturali italo-armene (Materiale per la storia<br />
degli Armeni in Italia), in: Atti del primo Simposio<br />
internazionale di Arte Armena 1975, Venezia S. Lazzaro<br />
1978, S. 803 ff.<br />
108