19.06.2012 Aufrufe

SCHRIFTEN DES VORARLBERGER LANDESMUSEUMS

SCHRIFTEN DES VORARLBERGER LANDESMUSEUMS

SCHRIFTEN DES VORARLBERGER LANDESMUSEUMS

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>SCHRIFTEN</strong> <strong>DES</strong> <strong>VORARLBERGER</strong><br />

LAN<strong>DES</strong>MUSEUMS<br />

Reihe A<br />

Landschaftsgeschichte und<br />

Archäologie<br />

Bd. 9<br />

HANSPETER HANISCH<br />

Über das Wirken armenischer Bauhandwerker<br />

im frühen Mittelalter<br />

In memoriam Josef Strzygowski<br />

IM EIGENVERLAG <strong>DES</strong> <strong>VORARLBERGER</strong> LAN<strong>DES</strong>MUSEUMS<br />

BREGENZ 2009


HANSPETER HANISCH<br />

Über das Wirken armenischer Bauhandwerker im frühen Mittelalter<br />

In memoriam Josef Strzygowski


<strong>SCHRIFTEN</strong> <strong>DES</strong> <strong>VORARLBERGER</strong> LAN<strong>DES</strong>MUSEUMS<br />

Reihe A<br />

Landschaftsgeschichte und<br />

Archäologie<br />

Bd. 9<br />

HANSPETER HANISCH<br />

Über das Wirken armenischer Bauhandwerker<br />

im frühen Mittelalter<br />

In memoriam Josef Strzygowski<br />

Bregenz 2009


HERAUSGEBER, MEDIENINHABER,<br />

SCHRIFTLEITUNG UND REDAKTION<br />

Vorarlberger Landesmuseum<br />

Kornmarkt 1, 6900 Bregenz<br />

Dr. Tobias G. Natter, Dir. VLM (Herausgeber)<br />

Mag. Gerhard Grabher (Redaktion)<br />

DRUCK<br />

Hecht Druck, 6971 Hard<br />

Alle Rechte vorbehalten. DIE <strong>SCHRIFTEN</strong> <strong>DES</strong> <strong>VORARLBERGER</strong><br />

LAN<strong>DES</strong>MUSEUMS sind eine wissenschaftliche Publikationsreihe zur<br />

Landeskunde Vorarlbergs, speziell zur Archäologie, Kunst und Volkskunde.<br />

© Vorarlberger Landesmuseum, Kornmarkt 1, 6900 Bregenz<br />

ISBN 3-901802-21-5<br />

Bregenz 2009


INHALTSVERZEICHNIS<br />

I. EINLEITUNG 7<br />

1. Josef Strzygowski 7<br />

2. Untersuchungsmethode 10<br />

2.1. Maßarten 10<br />

2.2. Steinmetzzeichen 11<br />

2.3. Bauweise 17<br />

a) Mauerwerk der Wände 17<br />

b) Gewölbekonstruktionen 17<br />

c) Vierungsturm 19<br />

d) Ausgeschiedene Vierung 25<br />

e) Strebenischen 25<br />

f) Stufenförmig eingezogene Gewölbeschalen in Bögen und Seitengewölben 25<br />

g) Eingeschnittene Nischengewölbe innen 25<br />

h) Wandgliederung außen durch rundbogige Blendnischen 27<br />

i) Wandgliederung außen durch Rundbogenfriese 27<br />

j) Stufenportale 27<br />

k) Rundbogige Fenster und Türen 27<br />

l) Rundfenster 29<br />

m) Kapitelle 29<br />

n) Säulenbasen 29<br />

o) Bandornamente 29<br />

p) An den Außenseiten eingefügte Skulpturen 34<br />

II. BEISPIELE 34<br />

1. Barba’ron, Schlosskirche und Osthalle des Palastes 34<br />

2. Anawarz, Sperrturm 36<br />

3. Castel Saone, Oberburg, Ostturm 39<br />

4. .Harr - an, Zitadelle, Ostturm, Südturm und Nordwestgalerie 44<br />

a) Ostturm 46<br />

b) Südturm 46<br />

c) Nordwestkurtine 52<br />

5. Damaskus, Zitadelle, Östlicher Torturm und anschließende Bauten 52<br />

a) Östlicher Torturm 54<br />

b) Säulensaal 56<br />

c) Lange Halle (Lagerstraße) 56<br />

6. Castel del Monte 60<br />

7. Ehemalige Zisterzienserabtei-Kirche St. Maria, St. Johannes Ev. und<br />

St. Nikolaus in Ebrach bei Bamberg 65<br />

8. Ehemalige Stiftskirche St. Georg zu Köln 74<br />

9. Ehemalige Benediktinerabtei-Kirche St. Peter und Paul in der Mehrerau in Bregenz 78


10. Ehemalige Pfalzkapelle Karls des Großen in Aachen 83<br />

10.1 Allgemeines 83<br />

10.2. Metrologische Untersuchung 84<br />

a) Methode 84<br />

b) Auswertung 86<br />

c) Wandabstände Oktogon 86<br />

d) Rekonstruktion 89<br />

d) Bauweise der Gewölbe 90<br />

f) Besondere Bauweisen 92<br />

10.3. Folgerungen 93<br />

III. DIE TRÄGER DER ENTWICKLUNG 93<br />

Literatur- und Abkürzungsverzeichnis 103


1. Josef Strzygowski<br />

I.<br />

EINLEITUNG 1<br />

In seinem epochemachenden Werk »Die Baukunst<br />

der Armenier und Europa«, 1918 in Wien erschienen,<br />

hatte Josef Strzygowski 2 als erster Forscher den<br />

Westen mit der teils fremd, teils vertraut wirkenden<br />

Welt und dem Reichtum der kirchlichen Baukunst<br />

Armeniens bekannt gemacht. 3 Dabei bezeichnete<br />

er das in ihrer Baugestaltung ausgedrückte<br />

Kunstwollen als eigenständiges Wesensmerkmal der<br />

Träger dieser Baukunst, des armenischen Volkes. 4<br />

Das armenische Volk ordnete er der von ihm nicht<br />

als Sprachen-Familie, sondern als Stammesfamilie<br />

aufgefassten Gruppe der arisch-iranischen Völker<br />

zu. 5 Für das armenische Volk verwendete er dabei<br />

den Begriff Rasse, um es von anderen Völkern zu<br />

unterscheiden. 6<br />

In diesem Sinne stellte er die kirchliche, armenische<br />

Baukunst den bisher allein als kulturbildend angesehenen<br />

Ursprüngen der europäischen Baukunst, nämlich<br />

der mittelmeerisch-antiken und der nordischgermanischen<br />

Kunst als die dritte Kraft ge genüber, 7<br />

aus der in besonderem Maße die europäische, romanische<br />

Kunst erwachsen sei. 8 Damit führte er der<br />

europäischen Fachwelt die vielfältigen Beziehungen<br />

zwischen der armenischen und der romanischen<br />

Baukunst vor Augen, die heutzutage für jeden<br />

unvoreingenommenen Betrachter offenkundig sind.<br />

Bei seinen Untersuchungen stützte er sich zu -<br />

nächst auf bereits bekannte oder erst neu bekannt<br />

gewordene Inschriften, die er in vorsichtiger Weise<br />

teilweise neu interpretierte, besonders hinsichtlich<br />

der jeweils angesprochenen Daten. 9 Allerdings<br />

standen ihm zahlreiche, andere Inschriften und<br />

andere Deutungen einzelner In schriften nicht zur<br />

Verfügung, so dass dadurch Fehldeutungen oder<br />

vermutete Fehldeutungen entstanden. 10 Andererseits<br />

konnte er einen reichen Bestand von wahrscheinlich<br />

genauen und zuverlässigen Bauaufnahmen<br />

des armenischen Architekten Thoros Thoramanian<br />

verwenden, die ihm dieser 1913 zur Auswertung<br />

und zur Veröffentlichung überlassen<br />

hatte. 11 Mehrere Aufmaße davon hat Strzygowski,<br />

wie aus seinem Bericht über seine Untersuchungsreise<br />

hervorgeht, überprüft und als zutreffend befunden.<br />

12 Aber auch hier war er auf die Beispiele<br />

7<br />

1 Der folgende Aufsatz ist die stark erweiterte Fassung eines<br />

Vor trags des Verfassers am 14. Mai 2002 im Vorarlberger<br />

Landesmuseum, Bregenz. Der Verfasser dankt an dieser<br />

Stelle dem Direktor des VLM, Herrn Dr. Helmut Swozilek,<br />

zum einen dafür, dass er diesen Vortrag halten konnte, und<br />

zum anderen und vor allem, dass dieser Aufsatz in den<br />

»Schriften des Vorarlberger Landesmuseums« erscheinen<br />

kann.<br />

2 Josef Strzygowski, geb. am 7. März 1862 in Biala-Bielitz<br />

(Österreichisch Schlesien), 1892 Professor in Graz und seit<br />

1909 Professor für Kunstgeschichte und Direktor des Kunsthistorischen<br />

Instituts an der Universität Wien, gest. am 2.<br />

Januar 1946 in Wien; dazu J.-S.-Festschrift 1932; weitere<br />

Hauptschriften Strzygowskis: Orient oder Rom ? (1902), Kleinasien,<br />

ein Neuland der Kunstgeschichte (1903), Amida (1910)<br />

zusammen mit Max van Berchem (in: Beiträge zur Kunstgeschichte<br />

des Mittelalters von Nordmesopotamien, Hellas und<br />

dem Abendlande), Altai-Iran und Völkerwanderung (1917),<br />

Ursprung der christlichen Kirchenkunst (1920), ferner zahlreiche<br />

weitere Aufsätze, u.a.: Der Dom zu Aachen und seine Entstellung,<br />

s. dazu u.: Beispiel Nr. 10.: Die Pfalzkapelle Karls des Großen zu<br />

Aachen.<br />

3 Die folgende, sehr kurze Zusammenfassung folgt nicht der<br />

Gedankenführung Strzygowskis, die in einer schwer wiederzugebenden<br />

Struktur gegliedert ist.<br />

4 STRZYGOWSKI I, S. 572 f.<br />

5 STRZYGOWSKI I, S. 575; S. 614 ff.<br />

6 Die Hauptgruppen dieser Völker waren für Strzygowski die<br />

griechisch-semitische und die nordisch-germanische Gruppe,<br />

während er die Araber, die ja eine semitische Sprache sprechen,<br />

zu den Ariern rechnete. Der Begriff Rasse ist insofern falsch aufgefasst,<br />

aber auch keineswegs so verwendet worden, wie das<br />

später geschah.<br />

7 STRZYGOWSKI I, S. 575.<br />

8 STRZYGOWSKI I, S. 797 ff.<br />

9 STRZYGOWSKI I, S. 29 ff.<br />

10 Die Beispiele können und brauchen hier nicht behandelt werden,<br />

weil sie für das Thema dieses Aufsatzes nicht von Bedeutung<br />

sind.<br />

11 STRZYGOWSKI I, S. 6 ff; die Untersuchungen Thoramanians<br />

wurden leider erst 1942, nach seinem Tode, in armenischer<br />

Sprache veröffentlicht.<br />

12 STRZYGOWSKI I, S. 16; bereits 1908 waren zahlreiche Bauaufnahmen<br />

Thoramanians von der Kaiserlich-Russischen Archäologischen<br />

Kommision geprüft und ihre große Bedeutung hervorgehoben<br />

worden (STRZYGOWSKI I, S. 8 f.).


angewiesen, die Thoramanian auf dieser Reise<br />

ausgewählt hatte. 13 Schließlich erlaubte die Kürze<br />

der Zeit damals wahrscheinlich auch keine längeren<br />

Untersuchungen an Ort und Stelle. Vielmehr<br />

hat er später demgegenüber mehrfach erklärt, dass<br />

er es auch nicht als seine Aufgabe angesehen habe,<br />

derartige Untersuchungen anzustellen, sondern dass<br />

diese anderen Bauforschern überlassen werden<br />

sollten. Das materielle Hauptergebnis der Reise<br />

bestand aus einer Fülle fotografischer Aufnahmen,<br />

die er in Wien, vor allem anstelle von bautechnischen<br />

Untersuchungen an den Bauwerken selbst,<br />

auswertete. Die später gegen Strzygowskis Interpretationen<br />

vorgebrachten Vorwürfe seiner Kritiker<br />

rechnen ihm dies als Mangel an, übergehen<br />

dann aber seine vorsichtige Vorgehensweise bei den<br />

Bauten, die er selbst untersucht hat. Trotz aller<br />

Kritik bekunden sie aber manchmal, dass seine<br />

Thesen und Annahmen anders ausgefallen wären,<br />

wenn er derartige Grundlagenforschungen betrieben<br />

hätte, vernachlässigen dabei aber wieder, dass<br />

es ihm auf etwas anderes angekommen war.<br />

Sein groß angelegtes Werk hat demzufolge auch<br />

nicht die monografische Untersuchung und Be -<br />

schrei bung der ausgewählten Bauwerke zum Inhalt,<br />

sondern die Typologie, die sie verkörpern, und<br />

deren Entwicklung. Sein Ziel war es, ȟber Zeitstellung<br />

und Grundformen klaren Aufschluß zu<br />

geben.« Dieser Leitgedanke zieht sich durch sein<br />

ganzes Werk, auch vom Anfang an, wo man ihn<br />

eher als Postulat auffassen müsste.<br />

Ein Schwergewicht legte er auf die konstruktiven<br />

Aspekte der untersuchten Bauten. Infolge seiner<br />

Methode, Leitlinien aufzuzeigen, ihre Ursprünge<br />

aber nicht zu den Ursachen zu verfolgen, unterschied<br />

er aber nicht zwischen anzunehmenden oder<br />

sogar erkennbaren Bauphasen mancher Bauten,<br />

sondern betrachtete diese als einheitlich und<br />

unverändert. Für die Definition der aufgeführten<br />

zahlreichen Bautypen und für die Darstellung<br />

ihrer Entwicklung hielt er die Untersuchung derartiger<br />

Detailfragen auch für unwesentlich.<br />

So sind es – neben der allgemeinen Präsentation<br />

der armenischen Baukunst – die Leitlinien der<br />

Entwicklung ihrer Bautypen und Bauformen, ihre<br />

Abgrenzung gegenüber anderen Typen und Entwicklungen<br />

und schließlich ihre Auswirkung auf<br />

die europäische Baukunst des frühen Mittelalters,<br />

die den bleibenden Wert seines Werkes ausmachen.<br />

8<br />

13 Auch die Überprüfung von 32 mit Maßangaben versehenen<br />

Grundrissplänen Thoramanians durch den Verfasser mit dem<br />

Ziel, die verwendeten Maßarten zu rekonstruieren, hat in den<br />

meisten Fällen die Zuverlässigkeit dieser Aufmaße bestätigt.<br />

Die folgenden Ergebnisse treffen mit großer Wahrscheinlichkeit<br />

zu (in Klammern die Seitenzahlen bei STRZYGOWSKI<br />

I; die Fußmaße werden noch erläutert): Verwendung des<br />

0,3054 m lange Fußes (p 3 ): Mzchet große (86) und kleine<br />

Nebenkirche (86), Bagaran, Kathedrale (106), Ereruk, Basilika<br />

(153), Mren, Kathedrale (184), Thalin, Marienkirche (161);<br />

Verwendung des 0,3206 m langen Fußes (p 5 ): Mzchet, Kreuzkirche<br />

(86), Awan, Kirche (89), Sarindsch, Kirche (101),<br />

Chtskonk, Sargiskirche (105), Alaman, Ananiaskirche (160),<br />

Thalisch, Kathedrale (191). Die Ergebnisse der Prüfung der<br />

anderen, untersuchten Kirchen sind weniger deutlich.<br />

Bei der Überprüfung der Maßangaben Thoramanians wurde<br />

jedoch erkennbar, dass bei gleichgroß intendierten Abmessungen<br />

verhältnismäßig große Tolerenzen in der Größe von 2-5<br />

cm üblich waren, was für armenische Bauten allgemein gelten<br />

dürfte. Wenn man diese »Standard«-Ungenauigkeiten akzeptiert,<br />

erweisen sich viele Abmessungen als die vermutlich tatsächlich<br />

intendierten Abmessungen.<br />

In mehreren Fällen scheint auch ein Nebeneinander zweier<br />

Maßarten vorzuliegen, was auf spätere Ergänzungen oder die<br />

Erneuerung baufällig gewordener Bauteile schließen lässt.<br />

Inwieweit Thoramanian in seinem eigenen Werk auf derartige<br />

Veränderungen eingegangen ist, ist für den Verfasser nicht<br />

nachzuvollziehen.<br />

Zusammenstellung der Maßarten der von Thoramanian untersuchten<br />

Kirchen.


Eher spekulativ waren seine Vorstellungen vom<br />

Transfer dieser Formen nach Europa. Er nahm<br />

zwar als Träger dieses Transfers armenische Handwerker<br />

an, die Pfade beschrieb er aber nur allgemein<br />

und undeutlich als über Südrussland und das<br />

Schwarze Meer verlaufend. 14 Die offenkundige<br />

Kontinuität und Intensität des Zustroms hat er<br />

nicht erklärt.<br />

Mit seinen Darstellungen erregte er damals,<br />

besonders in Wien, großes Aufsehen. Gleichzeitig<br />

erfuhr er aber auch schroffe Ablehnung, wobei<br />

diese häufig auf gleichsam ideologischen Einstellungen,<br />

meistens aber auf Unkenntnis beruhte,<br />

und mehr noch auf der Weigerung, die neuen Be -<br />

funde zur Kenntnis zu nehmen. 15 Besonders seine<br />

Definition des armenischen Kunstwollens und seine<br />

Abgrenzung der armenischen gegenüber der<br />

mittelmeerisch-antiken Baukunst und damit die<br />

ethnische Zuordnung zur arisch-iranischen Völkergruppe<br />

wurde ihm von den zeitgenössischen<br />

Kunstwissenschaftlern zum Vorwurf gemacht. 16<br />

Die auffälligen Beziehungen der armenischen zu<br />

den romanischen Bauformen traten dabei merkwürdigerweise<br />

in den Hintergrund. Ihren bedauerlichen<br />

Höhepunkt fand diese Kritik damals in<br />

der weitgehend polemischen Besprechung seines<br />

Werkes durch Ernst Herzfeld. 17 Auch später noch<br />

hat Ulrich Bock diese Vorwürfe wiederholt, ohne<br />

jedoch eigene Lösungen für die von ihm aufgeworfenen<br />

Fragen zu finden. 18 Dagegen erkannte Georg<br />

Tschubinaschwili 19 die Hauptthesen Strzygowskis<br />

an. Im Resumée seiner Besprechung des Werks<br />

nannte er als »die Hauptbedeutung dieser bedeutenden<br />

Arbeit« die »allgemeinen Gesichtspunkte,<br />

die unserem Verständnis … der christlichen Welt<br />

im Oriente ein ganz neues Fundament (geben).«<br />

Da bei hatte er zu Recht beanstandet, dass Strzygowski<br />

nicht oder höchstens beiläufig auf die nach<br />

seiner Meinung sogar älteren Bauten und Bautypen<br />

Georgiens eingegangen sei. Aus dieser Unterlassung<br />

wies er dann auch die Rückführung der<br />

armenischen Baukunst allein auf das armenische<br />

Volk und die Abgrenzung dieses Volks als Rasse<br />

zurück, zumal die Georgier in der Tat zu einer<br />

anderen Völkergruppe gehören. Andererseits folgte<br />

Tschubinaschwili weitgehend Strzygowskis Darstellung<br />

der konstruktiven Elemente der armenischen<br />

Bauwerke und ihrer weiteren Entwicklung<br />

und kam auf dieser Grundlage zu der oben zitierten,<br />

aufrichtigen Schlussbeurteilung.<br />

9<br />

Heute ist Josef Strzygowski fast vergessen, obwohl<br />

in den letzten Jahrzehnten viele Europäer Gelegenheit<br />

hatten, die Zeugen der armenischen Baukunst<br />

in der damaligen Sowjetrepublik, d. h. in<br />

der heutigen Republik Armenien, sowie im Nordosten<br />

der Türkei zu besuchen. Mit der nachfolgenden<br />

Untersuchung soll deshalb das Andenken an<br />

Josef Strzygowski wieder in Erinnerung gerufen<br />

werden. Dies bedeutet jedoch trotz der vorgenannten<br />

Hinweise keine neue Auseinandersetzung mit<br />

seinem Werk und schon gar nicht eine Aufarbeitung<br />

und Ergänzung seiner Belege und Quellen.<br />

Der Leitgedanke des vorliegenden Aufsatzes<br />

betrifft vielmehr seine These über die Verbreitung<br />

des armenischen Formenguts in der romanischen<br />

Baukunst in Europa, d. h. eine Kardinalfrage der<br />

europäischen Bau- und Kunstgeschichte. Sie soll<br />

mit zwei Aspekten gestützt werden, die ihm seinerzeit<br />

nicht geläufig waren und die er, wären sie<br />

ihm geläufig gewesen, vermutlich ebenso unbeachtet<br />

gelassen hätte, wie die Notwendigkeit einer<br />

genauen Kenntnis des Befundes der von ihm<br />

untersuchten Bauten.<br />

Diese Aspekte sind die Berücksichtigung der folgenden<br />

Kriterien:<br />

die verwendeten armenischen Maßarten und<br />

die verwendeten Steinmetzzeichen,<br />

jeweils in Verbindung mit baulichen Merkmalen,<br />

die für das armenische Bauwesen charakteristisch<br />

sind und das dritte Kriterium bilden.<br />

14 STRZYGOWSKI I, S. 726 f.; S. 729 ff.<br />

15 STRZYGOWSKI I, S. 877.<br />

16 s. folgende Anm.<br />

17 HERZFELD, S. 2, schon Abs. 1 als Beispiel für diese negative<br />

Tendenz.<br />

18 BOCK, S. 50, schließt sich Herzfelds Kritik unter dem vorgenannten<br />

Zitat an, um sie dann mit einem noch polemischeren<br />

Zitat zu übertreffen. Er schließt (S. 205) seine Dissertation<br />

unter Verwendung eines weiteren Zitats mit der Bemerkung,<br />

dass die Aufgabe seiner Dissertation nur gewesen sei, zukünftige<br />

Forschungen anzuregen (!).<br />

19 Tschubinaschwili war Georgier; 1922, zum Zeitpunkt seines<br />

Artikels, war er Professor des von ihm gegründeten Kunstgeschichtlichen<br />

Instituts der Universität Tiflis.


Zum Abschluss des Aufsatzes sollen auf der<br />

Grundlage der folgenden Untersuchungsergebnisse<br />

bezüglich der eingangs geäußerten Kritik an<br />

seinen Vorstellungen einige Betrachtungen über<br />

die Träger der Entwicklung und die Pfade des<br />

möglichen Transfers der armenischen Bauformen<br />

in andere Länder und über ihre dortige Verbreitung,<br />

d. h. über ihre Übernahme in die romanische<br />

Baukunst Europas angestellt werden.<br />

2. Untersuchungsmethode<br />

An Hand der oben genannten Kriterien soll im<br />

Folgenden zunächst dargestellt werden, wie das<br />

Wirken armenischer Bauhandwerker nachgewiesen<br />

werden kann. Die Beispiele dafür sind dabei<br />

zwangsläufig zufällig und fragmentarisch, weisen<br />

aber auf eine unerwartet weite Verbreitung der<br />

Tätigkeiten der armenischen Bauhandwerker hin.<br />

Dabei wird man unterscheiden müssen zwischen<br />

Bauten, die wahrscheinlich von armenischen Baumeistern<br />

geplant und von armenischen Handwerkern<br />

errichtet wurden und damit direkt in armenischer<br />

Bautradition stehen, und solchen, bei<br />

denen die Bauformen nur noch in der Nachfolge<br />

dieser ursprünglichen Tradition verwendet worden<br />

sind. Armenische Maßarten und armenische Steinmetzzeichen<br />

dürften jedoch immer ein Erkennungszeichen<br />

armenischer Handwerker sein.<br />

2.1. Maßarten<br />

Die Abmessungen, die der Ermittlung der Maßarten<br />

zu Grunde liegen, wurden bei den nachfolgenden<br />

Beispielen vom Verfasser auf der Raumsohle<br />

oder in Meterhöhe zwischen und entlang von Wänden<br />

und Pfeilern bzw. ihren Sockeln gemessen.<br />

Diese Vorgehensweise geht von der begründeten<br />

Annahme aus, dass bei der Absteckung eines Bauwerks<br />

die Abmessungen der ersten Steinschicht<br />

über den Fundamenten für den ganzen Bau und<br />

seine Durchgliederung maßgebend waren. Beispiele,<br />

bei denen es anders gewesen wäre, wurden<br />

bisher nicht festgestellt.<br />

Die Maßarten, die das erste Kriterium der folgenden<br />

Untersuchung sind, sind zwei armenische<br />

Fußmaße (arm. otn). Das erste ist ein im Besprechungszeitraum<br />

weit verbreitetes Fußmaß in der<br />

Länge von 0,3206 m, das zweite ein wahrscheinlich<br />

in früherer Zeit stärker verbreitetes in der<br />

Länge von 0,3054 m. Sie wurden zunächst bei<br />

10<br />

Bauten, die eindeutig armenischer Herkunft sind,<br />

festgestellt. 20 Beide Fußmaße wurden in 12 Unzen<br />

unterteilt (arm. unki, 0,02672 m bzw. 0,02545<br />

m). Wie die Beispiele zeigen, gab es für die<br />

Abmessungen von Bauteilen gewisse Präferenzen<br />

von 3, 4, 6, vor allem aber von 8, 20 und 25 Fuß.<br />

Standardabmessungen in 5 und 15 Fuß scheinen<br />

dagegen selten. Bemerkenswert ist seit dem 10.<br />

und 11. Jh. daneben die Verwendung der Unzen<br />

entgegen der 12er-Teilung des Fußes in 10er-Einheiten<br />

mit Präferenzen von 40, 80, 100 und 200<br />

Unzen. 21<br />

Die erste Maßart ist vermutlich identisch mit dem<br />

0,32048 m langen, griechischen Fuß, mit dem das<br />

spätklassische Stadion III in Olympia errichtet<br />

worden ist. 22 Auch die zweite Maßart dürfte, möglicherweise<br />

auf dem Umweg über das s - as - anidische<br />

Bauwesen, ebenfalls auf einen griechischen Ursprung<br />

zurückgehen. 23 Eine Traditionskette bis in<br />

das 7. Jh. n. Chr., in dem beide Maßarten in Armenien<br />

wieder verwendet worden sind, ist jedoch<br />

bisher nicht nachzuweisen, weil entsprechende<br />

Einzeluntersuchungen fehlen. Ein deutliches Indiz<br />

für diese lange Überlieferung besteht jedoch darin,<br />

dass die Teilung des armenischen Fußes in Unzen<br />

anstatt in Fingerbreiten (daktyloi), in die die griechischen<br />

Fußmaße geteilt waren, auf eine<br />

Umwandlung der Maßstruktur in römischer Zeit<br />

hinweist, in der die Fußmaße, analog zu den<br />

Gewichten und Münzwerten, in Unzen geteilt<br />

wurden.<br />

Neben diesem Fußmaß scheint in Armenien in der<br />

Frühzeit noch ein weiteres, 0,3100 m langes Fußmaß<br />

in Gebrauch gewesen sein, das ursprünglich<br />

20 s. o. Anm. 13.<br />

21 Die Maßarten sind nicht bei SCHILBACH, S. 13 ff. aufgeführt.<br />

Ein ca. 0,32 m langes Beispiel klammert SCHILBACH,<br />

S. 15, ausdrücklich als »etwas aus der Reihe fallend« aus.<br />

22 MALLWITZ, S. 183. ROTTLÄNDER nennt diesen Fuß<br />

»Byzantinischer Fuß 16 «, eingeteilt in 16 digiti.<br />

23 HENNING, S. 235 - 237; ROTTLÄNDER nennt diesen Fuß<br />

irrtümlich »Fuß 18 des Vitasti«; zu vitasti s. die folgende<br />

Anmerkung.


im parthischen und dann ebenfalls im s - as - anidischen<br />

Iran und dort vorwiegend mit einem Teilmaß,<br />

der 9 Fingerbreiten (0,2325 m) langen<br />

»Großen Spanne« (vitasti) verwendet wurde. 24<br />

Schließlich könnte im Einzelfall sogar der 0,2962<br />

m lange, römisch-kapitolinische Fuß und der im<br />

Osten des römischen Reiches übliche, 0,2930 m<br />

lange römische Fuß angewendet worden sein. 25<br />

Die umfang reichen Nachrechnungen können hier<br />

nicht wiedergegeben werden.<br />

Der Vollständigkeit wegen müssen aber noch die<br />

zeitgenössischen, arabischen Maßarten erwähnt<br />

werden, da sie in den isl - amischen Gebieten natürlich<br />

vorherrschend waren. Die wichtigsten waren<br />

im Besprechungszeitraum die 0,5404 m lange<br />

»Schwarze Elle« (a - d- - dir - a‘ a.s-.saud - a) und die<br />

0,5819 m lange ägyptische Bauelle (Handelselle,<br />

a - d- - dir - a‘ al-balad - ıya), die nach dem Regierungsantritt<br />

.Sal - a .h ad-D - ıns 1173 in den aiy - ubidischen<br />

Gebieten die »Schwarze Elle« bei Staatsbauten<br />

abgelöst zu haben scheint. Die Elle war in 6 Handbreiten<br />

(al-.kab.da, Plur. al-.kaba.d - at) und diese in je<br />

4 Fingerbreiten (al-a.sba‘, auch al-i.sba‘, Dual ala.sba’an,<br />

Plur. al-a.s - abi‘), eingeteilt. 26<br />

2.2. Steinmetzzeichen<br />

Steinmetzzeichen können in Armenien zuerst im<br />

6. Jh. nachgewiesen werden, sind aber vermutlich<br />

schon seit Beginn der organisierten Bautätigkeit der<br />

armenischen Kirche verwendet worden (Abb. 1). 27<br />

Eine Gruppe von Zeichen stellt christliche Symbole<br />

wie Kreuze, Katschkare (Kreuzsteine), Stelen<br />

und Lebensbäume dar, dazu häufig auch verschiedene<br />

Formen des Hakenkreuzes. Zwei andere Gruppen<br />

sind aus Buchstaben des griechischen und des<br />

armenischen Alphabets gebildet. Einige Zeichen<br />

sind auch aus der Antike übernommen. Die meisten<br />

sind aber eigenständige Schöpfungen der armenischen<br />

Handwerker. Diese Gruppe, die auch<br />

die größte ist, stellt geometrische Figuren dar.<br />

Neben einigen allgemeinen Zeichen und solchen,<br />

die das pythagoräische Dreieck und die Halbierung<br />

des Quadrats in zwei Quadrate darstellen,<br />

beziehen sich die meisten Zeichen in bildlicher<br />

Form auf das 1. Buch der Elemente von Euklid. Ein<br />

Teil bildet die Definitionen dieses Buches ab, obwohl<br />

diese im Original vermutlich nicht illustriert<br />

waren, der andere besteht in abgekürzter Form aus<br />

den tatsächlichen Figuren, mit denen die Lehrsätze<br />

(Propositionen) illustriert waren (Abb. 3).<br />

11<br />

Griechische Buchstabenzeichen und die älteren<br />

geometrischen Zeichen scheinen nach dem 9. Jh.<br />

nicht mehr nachweisbar zu sein. Dagegen wurden<br />

die euklidischen Zeichen mindestens bis in das 13.<br />

Jh., d. h. über einen Zeitraum von 700 Jahren, un -<br />

verändert weiter verwendet (Abb. 3, 2-15). In späterer<br />

Zeit wurden sie um weitere, geometrische<br />

Zeichen ergänzt, deren Quellen möglicherweise<br />

der Kommentar des Proclus Diadochus zu den<br />

ersten vier Büchern der Elemente 28 oder arabische<br />

Kommentare waren (Abb. 3, 1; 4, 17-19 29 ).<br />

Diese Kontinuität ist ein äußeres Zeichen für die<br />

Kontinuität der Baugruppen, die sie verwendeten.<br />

Dies waren die Steinmetz-Bruderschaften (karpasch<br />

– jeghbajrout’iún). Sie waren vermutlich aus<br />

den Klosterwerkstätten hervorgegangen und<br />

streng religiös ausgerichtet, nahmen Priester und<br />

Laien auf und wurden von Vorstehern (pet), Meistern<br />

(warpet) und Sprechern (chasnak) geleitet.<br />

Nach außen schlossen sie sich jedoch ab, was dazu<br />

führte, dass ihr technisches und künstlerisches<br />

Wissen auch keinen Niederschlag in den allgemei-<br />

24 HUFF, S. 168 ff. HUFF bezeichnet die Große Spanne (vitasti,<br />

lat. dodrans, gr. σπιθαµη / spithamè) irrtümlich als Fuß und<br />

die richtig angegebene Elle irrtümlich als Doppelfuß; ein Fußmaß<br />

genau dieser Länge hat der Verfasser an weit auseinander<br />

liegenden, mittelalterlichen Bauten festgestellt: Einmal als Maßstab<br />

auf einem einzeln stehenden, spätmittelalterlichen Quader<br />

im Zisterzienserkloster Eberbach (Rheingau) in der Form<br />

eines Abtstabes, und einem zweiten, ebenfalls aus Eberbach<br />

stammenden Stein, der als Spolie in der mittelalterlichen Burg<br />

von Hattenheim (Rheingau) vermauert ist, und dann in verschiedenen<br />

Abmessungen in den vom Anfang des 13. Jhs.<br />

stammenden, festungsartigen Burgen von Bressuire und Coudray-Salbart<br />

und dem Doppeldonjon von Niort, alle in den<br />

ehemals englischen Gebieten Frankreiches gelegen.<br />

25 HELLENKEMPER III, S. 181 f.; HANISCH I, S. 499, Anm.<br />

40 und 41.<br />

26 HANISCH V, S. 12 ff.<br />

27 Die Listen armenischer Steinmetzzeichen sind folgenden Werken<br />

entnommen: 1.) THORAMANIAN, S. 269, 28 Zeichen;<br />

2.) MNAZAKANIAN, S. 85, 42 Zeichen; 3.) HASRATHIAN<br />

– HAROUTHIOUMIAN – TUTUNDJAN, Innentitel, 82<br />

Zeichen; 4.) HARUTJUNIAN, S. 50, 30 Zeichen. Vergl.<br />

auch: HANISCH X, S. 197 ff.<br />

28 STECK.<br />

29 Diese Zeichen sind entnommen aus: ROBINSON – HUGHES,<br />

S. 183 ff. und analysiert in: Hanisch X.


Abb. 1: 4 Listen mit armenischen Steinmetzzeichen des 6.-9. Jhs.<br />

12


Abb. 2: Zusammenstellung der Steinmetzzeichen aus Abb. 1.<br />

13


Abb. 3: Zusammenstellung armenischer Steinmetzzeichen aus Lamprun.<br />

14


Abb. 4: Armenische Steinmetzzeichen aus Krak des Chevaliers.<br />

15


nen Werken der Literatur gefunden zu haben<br />

scheint. Für ihre eigenen Schriften dürften sie die<br />

kryptographen Schriftarten (Geheimschriften) verwendet<br />

haben, die ebenfalls in den Klöstern zur<br />

Abfassung besonderer Dokumente entwickelt worden<br />

waren. 30 Derartigen kryptographen Alphabeten<br />

entnahmen sie später ebenfalls Zeichen und verwendeten<br />

sie als Steinmetzzeichen. Diese stehen in den<br />

Kreuzfahrerstaaten und in Europa dann neben den<br />

klassischen, geometrischen Zeichen (Abb. 4, 21-26).<br />

Schließlich muss es auch eine dritte, organisierte<br />

Gruppe gegeben haben, die vermutlich keine<br />

Steinmetzzeichen verwendete. Dies dürften die<br />

Anhänger der paulikianischen Bewegung gewesen<br />

sein, die ihre religiöse Einstellung und damit die<br />

Zugehörigkeit zu dieser als haeretisch bezeichneten<br />

Bewegung meist verborgen hielten. 31<br />

Spätestens in der Zeit der Kreuzzüge müssen auch<br />

europäische Steinmetzen, die mit den Pilgern und<br />

Kreuzfahrern nach Palästina und Syrien gekommen<br />

waren, die Organisationsform der armenischen<br />

Bruderschaften kennengelernt haben und<br />

damit deren Gewohnheit, ihre Werkstücke mit<br />

besonderen Zeichen zu versehen. Es scheint, dass<br />

es ihnen verwehrt war, deren Zeichen zu übernehmen<br />

oder nachzuahmen. Dies wird daran deutlich,<br />

dass sie eigene Zeichen erfanden. Sie entnahmen<br />

die Motive dafür ihrer täglichen Umgebung, der<br />

Welt der Kreuzritter, ihres Handwerks und der<br />

Natur (Abb. 4, 1-16). 32 Die Vielfalt der Zeichen<br />

30 ABRAHAMJAN.<br />

31 Diese Bewegung scheint die ursprüngliche Form des armenischen<br />

Christentums im 3. Jh. gewesen zu sein. Im 4. und 5.<br />

Jh. wurde sie infolge hellenistisch orientierter Bestrebungen des<br />

Klerus in Konstantinopel, die zur Konsolidierung der Staatskirche<br />

führten, in die Haeresie abgedrängt (GARSOIAN, S.<br />

220 ff.). Ungeachtet dessen breitete sie sich, vor allem im 7.<br />

und 8. Jh., in Armenien und in großen Teilen des byzantinischen<br />

Reichs aus. Im 9. Jh. besaßen ihre Anhänger im Herzen<br />

Kleinasiens am oberen Euphrat ein zusammenhängendes Territorium<br />

mit einer eigenen Hauptstadt Tephrik - e, einem religiösen<br />

Führer, der in der den Paulikianern feindlichen Literatur<br />

»Häresiarchos« genannt wurde, gleichsam als Diffamierung<br />

seiner Funktion als Oberhaupt der religiösen Gemeinschaft,<br />

und einem militärischen Führer (»Archon«). Dort bauten sie<br />

auch Kirchen für sich selbst, was die Tätigkeit eigener Steinmetzen<br />

voraussetzt. Die Bewegung erfasste alle Schichten der<br />

Bevölkerung, zeitweilig bis in die obersten Kreise des Klerus<br />

und sogar des Kaiserhauses. Von der armenischen und der<br />

16<br />

griechischen Kirche wurden ihre Mitglieder meistens in abfälliger<br />

Weise als Paulikianer, später als Tondrakianer bezeichnet<br />

und vor allem immer wieder mit der Sekte der Manichäer<br />

gleichgesetzt, deren Anhänger mit dem Tode bestraft wurden.<br />

Die Paulikianer beriefen sich von Anfang an auf die Lehren<br />

und Grundsätze des frühen Christentums, wenn nicht sogar<br />

des Urchristentums. Alleinige Grundlage ihres Christentums<br />

war die Taufe, die aber auch nur an Gläubigen vollzogen werden<br />

durfte, die über 30 Jahre alt waren und deren Glaubenstreue<br />

erwiesen war. Erst durch die Taufe wurden diese zu Christen.<br />

Sie beriefen sich dabei auf den Wortlaut der Evangelien,<br />

wonach Jesus auch erst im Alter von 30 Jahren getauft und<br />

dadurch als Sohn Gottes angenommen worden war (Adoptianismus).<br />

In ihrer alleinigen Bezogenheit auf das Neue und<br />

teilweise auch auf das Alte Testament lehnten sie konsequenterweise<br />

die Marienverehrung, die Bilderverehrung und vor<br />

allem die Kirche selbst ab. Damit standen sie in schroffem und<br />

unüberwindlichen Gegensatz zu ihr, und zwar gleichermaßen<br />

zur Armenisch-Apostolischen, zur Griechisch-Orthodoxen<br />

und zur Römisch-Katholischen Kirche, sowie, außer in der<br />

Zeit des Bilderverbots, auch zu der jeweiligen Staatsmacht.<br />

Von dieser wurden sie daher in immer wieder neuen Wellen<br />

z.T. blutig verfolgt. Sie traten deshalb im 9. Jh. auch in einen<br />

offenen Widerstand gegen den byzantinischen Staat, wurden<br />

aber 872 in einem regelrechten Krieg, bei dem ihre Hauptstadt<br />

Tephrik - e zerstört wurde, besiegt und in andere Gebiete<br />

abgedrängt. Bereits 760 waren sie unter Konstantin V., dem<br />

Hauptvertreter des Bilderverbots, der sich ihrer auf Grund<br />

gleicher religiöser Einstellung in besonderem Maße bediente,<br />

in Konstantinopel und in den entvölkerten Gebieten Thraziens<br />

und Bulgariens zur Grenzsicherung angesiedelt worden.<br />

970 unter Johannes I. Tzimiskes wurden Paulikianer noch einmal<br />

dorthin verpflanzt. Hier wurden sie seit etwa dieser Zeit<br />

nach ihrem Führer Bogomilen genannt. Ihr Gedankengut war<br />

nunmehr tatsächlich durch dualistische, manichäische Vorstellungen,<br />

insbesondere von der Rolle des Satans als des Schöpfers<br />

der Welt, verändert worden. Aus Bulgarien gelangte dieses<br />

im 11. Jh. in den Westen, vor allem nach Italien und Südfrankreich,<br />

wo die neu entstandene Sekte bekanntlich von jetzt<br />

ab Katharer genannt wurde, weil sie sich selbst als »die Reinen«<br />

(griech. katharoi) bezeichneten.<br />

Die Literatur über diese Bewegungen ist meistens im Sinne<br />

von Ketzertheorien voreingenommen. Grundlegend zu Religion<br />

und Geschichte der Paulikianer und Tondrakianer und<br />

gleichzeitig rühmliche Ausnahmen von dieser Tendenz sind,<br />

wie bereits erwähnt, GARSOIAN, die auch die Quellen für die<br />

vorgenannte kurze Darstellung zitiert, und NERSESSIAN.<br />

Westliche Historiker gehen in ihren Arbeiten über die Katharer-Bewegung<br />

i.d. R. auf die Ursprünge und Entwicklung dieser<br />

langen und in sich auch teilweise differenzierten Bewegung<br />

nicht oder nur wenig ein, wahrscheinlich weil ihnen die griechischen<br />

und armenischen Quellen, die die beiden armenischen<br />

Forscher benutzt haben, nicht zugänglich waren, oder<br />

weil für sie der nationale Aspekt, vor allem für Frankreich, im<br />

Vordergrund stand. Diese Literatur kann hier nicht weiter<br />

besprochen werden.<br />

Nachzutragen ist, dass ein Merkmal der paulikianischen<br />

Bewegung, die Geheimhaltung der eigenen Identität, das Vorbild<br />

für die entsprechende Gewohnheit der Bau-Bruderschaften<br />

gewesen sein dürfte.<br />

32 Entnommen aus <strong>DES</strong>CHAMPS II, S. 240 ff., und analysiert<br />

in: HANISCH X, S. 204 ff. Art und Mischung dieser Zeichen<br />

finden sich an zahlreichen, anderen Burgen in den Kreuzfahrerstaaten.<br />

Sie sind für Zeit und Region typisch.


deutet außerdem darauf hin, dass die Auswahl<br />

eines Zeichens nicht einer strengen Ordnung<br />

unterstand wie bei den Bruderschaften. Dies lässt<br />

den weiteren Schluss zu, dass die europäischen<br />

Steinmetzen auch nicht in der Weise organisiert<br />

waren wie diese Bruderschaften. Derartige und<br />

vermutlich sehr ähnliche Organisationen sind in<br />

Europa bekanntlich erst seit der Mitte des 13. Jhs.<br />

greifbar, wo sie sich Bauhütten nannten.<br />

2.3. Bauweise<br />

Die Bauweise ist immer als drittes Kriterium zur<br />

Beurteilung der armenischen Urheberschaft oder<br />

Beteiligung an einem Bauwerk heranzuziehen. Sie<br />

ist in sich vielfältig, kann aber durch zahlreiche<br />

Merkmale definiert werden. Bis in das 11. Jh. ist<br />

ein Vergleich jedoch nur an kirchlichen Bauten,<br />

danach vorwiegend an Wehrbauten möglich. In<br />

der folgenden Zusammenstellung wird zwangsläufig<br />

Bekanntes teilweise wiederholt. Die wichtigsten<br />

Merkmale sind:<br />

a) Mauerwerk der Wände.<br />

In Altarmenien bestand das konstruktiv wirkende<br />

Quadermauerwerk der Wände aus Vorsatzschalen<br />

dünner oder dicker Steinplatten im Quaderformat<br />

mit glatten Oberflächen und einem Kern aus<br />

Gussmauerwerk verschiedener Art. Diese Bauweise<br />

erlaubte bei Reparaturen den einfachen Austausch<br />

der Platten, ohne dass das zu reparierende<br />

Bauteil insgesamt ersetzt werden musste. Daraus<br />

erklärt sich teilweise die Kontinuität des Aussehens,<br />

aber auch die Schwierigkeit, die Bauphasen<br />

zu datieren. 33 In einigen Gebieten Georgiens wurden<br />

Wände und Gewölbe auch aus Ziegelmauerwerk<br />

errichtet. Die Herkunft dieser Bauweise<br />

kann hier nicht verfolgt werden.<br />

Spätestens in kleinarmenischer Zeit wurde die<br />

zuerst genannte Mauerwerksart durch eine andere<br />

ersetzt. Bei dieser wurden die beiden Sichtseiten<br />

in massivem Quadermauerwerk (Werksteinmauerwerk)<br />

und das Kernmauerwerk aus einheitlich großen<br />

Quadern in einem Arbeitsgang lageweise<br />

gemauert. An den Außenseiten, vor allem bei Profanbauten,<br />

traten an die Stelle der Werksteinquader<br />

häufig auch Rustikaquader, eine größere Gruppe<br />

ohne besonderen Randschlag, die andere mit sauberem<br />

Randschlag. 34 Eine Sonderform der Rustikaquader<br />

bildeten solche mit glatten Randstreifen<br />

und aufgesetzt wirkenden, glatt gearbeiteten Mit-<br />

17<br />

telflächen. Sie werden später machmal, aber nicht<br />

einheitlich, als Spiegelquader bezeichnet.<br />

b) Gewölbekonstruktionen.<br />

Die Regelform eines Gewölbes war das rundbogige<br />

Tonnengewölbe, später auch das spitzbogige. Bei<br />

Tonnengewölben werden alle Lasten, auch die<br />

schrägen und horizontalen Schubkräfte, allein auf<br />

die Seitenwände geleitet, weswegen diese sehr<br />

stark ausgebildet werden mussten. Die Bauweise<br />

der Gewölbeschale war meistens die gleiche wie<br />

die der Wände, in Altarmenien demnach aus Gussmauerwerk<br />

mit einer Vorsatzschale aus dünnen oder<br />

dickeren Steinplatten, später aus massivem, selbsttragenden<br />

Werksteinmauerwerk. Bei diesem waren<br />

die Quaderschichten einheitlich hoch und fast fu -<br />

genlos in regelmäßigem Verband versetzt (Taf. 1).<br />

In kleinarmenischer Zeit wurde das Werksteinmauerwerk<br />

immer häufiger durch Hausteinmauerwerk<br />

ersetzt, in den armenischen Gebieten Nordmesopotamiens<br />

auch durch das dort traditionelle<br />

Ziegelmauerwerk. Dieses wurde sowohl in Ringschichten<br />

als auch in Radialschichten gemauert. 35<br />

33 Eine häufig kontrovers diskutierte Frage betrifft dabei Inschrifttafeln<br />

und Inschriftbänder, die nicht in das umgebende<br />

Mauerwerk zu passen scheinen. Während einige Forscher das<br />

in der Inschrift genannte Datum als Erbauungsdatum der Kirche<br />

akzeptieren, werden derartige Inschriften von anderen<br />

häufig als spätere Kopien oder sogar als Fälschungen betrachtet.<br />

Dieser vielfältigen Diskussion soll an dieser Stelle keine<br />

neue Stellungnahme angefügt werden.<br />

34 Diese wurde im ausgehenden 12. und im 13. Jh. die Standard-<br />

Bauweise im isl - amischen und im christlichen Bauwesen<br />

Syriens und Ägyptens.<br />

35 Bei Gewölben in Ziegelbauweise – und seltener, in Hausteinbauweise<br />

– wurden die meist quadratischen Ziegel der Gewölbeschalen<br />

mit reichlich Mörtel hochstehend in vertikalen,<br />

halbkreisförmigen Schichten (Ringen, richtiger halben Ringen)<br />

gemauert, die parallel zu der Stirnwand eines Raumes<br />

und vertikal zu der Krümmung des Gewölbes standen (Ringschichten).<br />

Das Ansetzen der Steine begann gleichzeitig an<br />

beiden Seiten und wurde von dort aus gleichzeitig bis zum<br />

Scheitel hochgeführt. Da der Mörtel in Nordmesopotamien<br />

häufig Gips enthielt, hafteten die angesetzten Steine schnell an<br />

der zuletzt gemauerten Schicht. Ringschichten-Mauerwerk<br />

konnte daher ohne ein durchgehendes Schalungsgerüst gemauert<br />

werden. Wenn die Steine dagegen in horizontal liegenden<br />

Schichten gemauert wurden, die parallel zu den Seitenwänden<br />

verliefen, lagen sie damit in der jeweiligen Ebene des<br />

Krümmungsradius des Gewölbes (radiale Schichten).


Taf. 1: Tonnengewölbe, einteilig (Edschmiadsin, Gajani-Kirche, 630). –<br />

aus: BRENTJES, Taf. 61.<br />

Taf. 2: Tonnengewölbe, zweiteilig (Hromklay, Nordkirche, Untergeschoß, 12./13. Jh.). – Foto:<br />

Hanisch.<br />

18


Eine weitere Entwicklung stellte die Erfindung<br />

der zweiteiligen Gewölbeschale dar. Bei dieser<br />

wurde der untere Teil, etwa ein Drittel der gesamten<br />

Schale, in horizontalen Schichten im gleichen<br />

Mauerwerk und Verband wie die Wände erstellt<br />

und der darüber liegende Teil in der beschriebenen<br />

Bauweise aus Haustein- oder Ziegelmauerwerk<br />

(Taf. 2).<br />

Spätestens in kleinarmenischer Zeit wurde auch<br />

das Kreuzgewölbe, das in der Spätantike entwickelt<br />

worden war, wieder eingeführt. Kreuzgewölbe<br />

wurden erforderlich, wenn ein Raum mehrere,<br />

sich kreuzende Verkehrsachsen aufnehmen oder,<br />

wenn er durch hochliegende Fenster belichtet werden<br />

sollte. Ihre Bauweise war aufwendig, weil sie<br />

ein volles Schalungsgerüst von großer Maßgenauigkeit<br />

erforderte. Andererseits waren Kreuzgewölbe<br />

wirtschaftlich, weil die Lasten nur noch auf die<br />

Eckpunkte des Raumes abgeleitet wurden und, wenn<br />

mehrere Joche aneinandergereiht waren, ein Teil<br />

der horizontalen Kräfte sich gegenseitig aufhob.<br />

Da durch konnten die Seitenwände eines Raumes<br />

nur noch so stark ausgebildet werden, wie es die<br />

jeweilige Schutzfunktion erforderte, oder sie<br />

konnten sogar ganz weggelassen werden.<br />

Bei Werksteingewölben waren die Steine in den<br />

Graten winkelförmig geformt und griffen im<br />

Wechselverband über die Gratlinine hinweg. Der<br />

Schlussstein bestand meistens aus einem einzigen<br />

Stein in Form eines Griechischen Kreuzes (Taf. 3).<br />

Manchmal wurden die Enden seiner Kreuzarme<br />

winkelförmig ausgeschnitten und der Stein um<br />

45° gedreht. Dadurch wurde er noch besser als<br />

zuvor mit den angrenzenden Schichten verklammert<br />

(Taf. 4). Die Form erinnerte dabei an die<br />

Form des Armenischen Kreuzes, dessen Kreuzarme<br />

in zwei Spitzen auslaufen, die leicht nach<br />

außen gebogen sind und häufig in einem floralen<br />

Ornament enden.<br />

c) Vierungsturm.<br />

Das wichtigste Merkmal der armenischen und<br />

georgischen Kirchen war der Vierungsturm (Taf. 5<br />

und 6). Sein Typus ist vermutlich als die ur -<br />

sprüngliche Form des oberen Abschlusses eines<br />

Bauwerks über einem quadratischen, achteckigen<br />

oder runden Grundriss entwickelt worden, der die<br />

notwendigen Fenster enthielt, bei Grabbauten möglicherweise<br />

auch aus eher semantischen Gründen.<br />

Innen war sein Grundriss meistens achteckig oder<br />

19<br />

rund. 36 Seine senkrechten Lasten wurden zur Hälfte<br />

unmittelbar auf die vier Wände des betreffenden<br />

Bauwerks abgeleitet, zur anderen Hälfte über<br />

Verbindungsglieder, die die Raumecken überbrü ckten.<br />

In der Regel bildete diese Zone ein regelmäßiges<br />

Achteck. Die Verbindungsglieder waren ur -<br />

sprünglich stets Trompen (Taf. 7 ). Erst im späten<br />

Mittelalter traten an ihre Stelle Kugelteilflächen<br />

(Teile einer Hängekuppel, Taf. 8) oder dreiecksförmige<br />

Abstützungen oder Sonderformen davon.<br />

Die nachfolgend angesprochenen Konstruktionen<br />

(Strebenischen, Seitenräume, eingezogene Gewölbebögen)<br />

dienten alle der Ableitung der Lasten aus<br />

den Wänden und der Haube des Turms (Wind -<br />

las ten, Seitenschübe) auf die Wände und Fundamente.<br />

Die Bedachung eines Turmes über polygonalem<br />

oder rundem Grundriss war zwangsläufig polygonal-pyramidenförmig<br />

oder kegelförmig (Taf. 5 und<br />

6). Im iranischen und salˇg - u.kischen Bauwesen<br />

waren diese Turmhauben oft mit einem reichen<br />

Dekor versehen.<br />

Kuppelgewölbe waren in der Regel mehrteilige<br />

Klostergewölbe, die in der oberen Hälfte in eine<br />

Kugelkalotte übergehen (Taf. 7), oder sie bildeten<br />

von vornherein eine Kugelschale (Taf. 8). Sie saßen<br />

entweder unmittelbar auf den Wänden und den<br />

Zwickeln der Vierung auf oder bildeten eine Hängekuppel,<br />

bei der die Fenster dann in die Kuppel<br />

eingeschnitten waren. In den meisten Fällen saßen<br />

sie aber auf einem über der Vierung angeordneten<br />

Tambour, der die notwendigen Fenster enthielt,<br />

wodurch die vorgenannte Turmform entstand. Bei<br />

einem Vierungsturm mussten die Lasten, auch die<br />

schrägen und horizontalen Schubkräfte, allein von<br />

den Wänden des Tambours aufgenommen werden,<br />

weswegen diese sehr stark ausgebildet wurden.<br />

Nur wenn in das Mauerwerk des Tambours Ring-<br />

36 STRZYGOWSKI I, S. 72; S. 460 ff., bezeichnet den eingeschossigen,<br />

über einem quadratischen Grundriss errichteten,<br />

seitlich ausgesteiften (»strahlenförmigen«) und mit einem<br />

Vierungsturm bekrönten Bautyp als die Keimzelle des armenischen<br />

Kirchenbaus. Er leitet ihn aus dem ostiranischen Bauwesen<br />

ab, wo dieser Typus als Wohnhaustyp entstanden sei.<br />

Die für Strzygowskis Werk grundlegende Frage kann hier<br />

nicht weiter erörtert werden.


Taf. 3: Kreuzgewölbe, Schlussstein Griechisches Kreuz (Gazıantep, Zitadelle,<br />

12./13. Jh.). – Foto: Hanisch.<br />

Taf. 4: Kreuzgewölbe, Schlussstein Armenisches Kreuz (Hromklay, Torhalle Tor 6, 12. Jh.). –<br />

Foto: Hanisch.<br />

20


Taf. 5: Vierungsturm mit achtseitiger Turmhaube (Lmbat bei Arthik, 7.<br />

Jh.). – aus: BRENTJES, Taf. 5.<br />

Taf. 6: Vierungsturm mit kegelförmiger Turmhaube (Kars, Apostelkirche,<br />

10. Jh.). – aus: NOVELLO, Taf. 59 oben.<br />

21


22<br />

Taf. 7: Vierungsturm, achtseitiges<br />

Kuppelgewölbe (Odzun, Basilika,<br />

6.-7. Jh. [?]). – aus: NOVELLO,<br />

Taf. 57.<br />

Taf. 8: Vierungsturm, halbkugelförmiges Kuppelgewölbe<br />

(Edschmiadsin, Hripsimekirche, 618). – aus:<br />

BRENTJES, Taf. 41.


Taf. 9: Ausgeschiedene Vierung<br />

(Haghartzin, Hauptkirche des<br />

Klosters, 12./13. Jh.). – aus:<br />

DOCUMENTI I, Abb. 34.<br />

Taf. 10: Strebenischen, Achtpass (Ani, Kirche Gregors<br />

des Erleuchters der Familie Abughamnrenz, ca.<br />

970). – aus: THIERRY, Abb. 89.<br />

23


Taf. 11: Strebenischen an Querhausarmen (Thalin, Kathedrale, 7.-9. Jh.). – aus: BRENTJES,<br />

Taf. 64.<br />

Taf. 12: Gerade Außenfronten mit Dreiecknischen außen (Edschmiadsin, Hripsimekirche,<br />

618). – aus: BRENTJES, Taf. 40.<br />

24


anker (aus Holz) eingelegt waren, konnte ihre<br />

Mauerstärke vermindert werden.<br />

d) Ausgeschiedene Vierung.<br />

Wenn der Raum unter einem Vierungsturm nach<br />

den Seiten fortgesetzt werden sollte, wurden die<br />

seitlichen Umfassungswände in Bogenöffnungen<br />

über Pfeiler- oder Säulenvorlagen umgewandelt.<br />

Die ursprünglichen, lastabtragenden Wände wurden<br />

auf eine schmale Zone über dem Bogen und<br />

auf die seitlichen Wandvorlagen reduziert (Taf. 9).<br />

Manchmal bestand dieser Bogen aus zwei oder drei<br />

übereinander liegenden Bögen. Da die seitlichen<br />

Wandvorlagen dabei als Bestandteile des Vierungspfeilers<br />

empfunden werden, entsteht der<br />

Eindruck, als ob zwischen der Vierung und den<br />

Vierungsarmen in der oberen Zone Bogenwände<br />

eingezogen worden wären, wodurch die Vierung<br />

aus dem Gesamtbauwerk »ausgeschieden« wirkt.<br />

Eine ausgeschiedene Vierung deutet immer auf die<br />

Absicht hin, diese mit einem Turm oder einer<br />

Kuppel zu überdecken.<br />

Die in Europa häufige Form der Überdeckung einer<br />

Vierung mit einem Kreuzgewölbe scheint in<br />

Armenien nicht nachweisbar zu sein.<br />

e) Strebenischen.<br />

Das zweite charakteristische Merkmal vieler armenischer<br />

und georgischer Kirchen waren die Strebenischen.<br />

Die Strebenische ist wie eine Apsis ausgebildet,<br />

die an die Seite eines tonnengewölbten<br />

Bauteils angefügt ist (Taf. 10). Sie war statisch<br />

erforderlich, um dieses Bauteil horizontal auszusteifen<br />

und die horizontalen Kräfte abzuleiten.<br />

Strebenischen wurden daher in der Regel bei Zentralbauten<br />

mit Vierungsturm verwendet, aber<br />

auch in vielfältiger Weise an Bauten mit anderen<br />

Grundrissformen. Dabei entstanden im Grundriss<br />

Vierpässe, Sechspässe und Achtpässe. Eine besondere<br />

Form stellten Strebenischen an den Kopfseiten<br />

von Querschiffen dar (Taf. 11). Außen treten<br />

Strebenischen entweder als eigene Baukörper in<br />

Erscheinung, die im Grundriss halbrund oder<br />

polygonal sind, oder sind in den umschließenden<br />

Kubus einbezogen. In diesem Fall wurden in die<br />

Wandflächen der Außenwände zwischen ihnen<br />

und den angrenzenden Bauteilen (Nebenapsiden<br />

oder anderen Räumen) gewölbte Wandnischen über<br />

einem dreieckigen Grundriss eingefügt (Taf. 12).<br />

25<br />

f) Stufenförmig eingezogene Gewölbeschalen in Bögen<br />

und Seitengewölben.<br />

Häufig wurden beim Anschluss eines Seitenraums<br />

oder eines Jochs an einen Zentralraum, dessen Vierung<br />

nicht ausgeschieden war, seine Seitenwände<br />

und sein Gewölbe gegenüber der Flucht der Pfeiler<br />

und das Bogens geringfügig zurückgesetzt und<br />

nach innen gezogen (Taf. 7 und 8). Statisch wurde<br />

damit die aussteifende Wirkung des als horizontales<br />

Stützelement wirkenden Seitenraums erhöht.<br />

Auch wenn sich auf beiden Seiten einer Bogenöffnung<br />

gleich breite und gleich hohe Räume oder<br />

Joche befanden, wurde der mittlere Teil eines<br />

Bogens entsprechend eingezogen, wodurch an den<br />

Pfeilervorlagen und unter dem Bogen ein engerer<br />

Bogen zustande kam. Bei beiden Konstruktionen<br />

waren demnach nicht ästhetische, sondern konstruktive<br />

Gründe ausschlaggebend. Durch die Anordnung<br />

eines zweiten Bogens unter dem eigentlichen<br />

Bogen wurde dessen Spannweite verkürzt.<br />

Vor allem erhielt der Bogen eine für die Ausbildung<br />

der »Stützlinie« günstigere Form. 37<br />

g) Eingeschnittene Nischengewölbe innen.<br />

Da bei niedrigen Tonnengewölben rundbogig<br />

gewölbte Nischen für Türen, Fenster und Schießscharten<br />

häufig in die Gewölbe einschnitten, bildete<br />

die Schnittlinie zwischen diesen beiden ge -<br />

krümmten Flächen eine gekrümmte Ellipse.<br />

Wenn Seitenwände und Wölbung der Nischen in<br />

Werksteinmauerwerk, die Gewölbeschale aber aus<br />

Haustein ausgeführt waren, reichte der aus Werksteinen<br />

gebildete Gewölbebogen der Nische in die<br />

aus Haustein gebildete Fläche der Gewölbeschale<br />

hinein (Taf. 13). Obwohl diese Konstruktion ebenso<br />

aufwendig ist wie bei einem reinen Werksteingewölbe,<br />

wurde sie regelmäßig angewendet, wahr-<br />

37 In der modernen Festigkeitslehre ist die »Stützlinie« in einem<br />

bogenförmig gekrümmten Tragelement eine parabelförmige<br />

Linie, die den tatsächlichen Spannungsverlauf ausdrückt. Sie<br />

muss immer innerhalb des Bauteils liegen. Falls sie an einer<br />

Stelle außerhalb von diesem zu liegen käme, würde dies<br />

bedeuteten, dass dort die Spannungen nicht mehr aufgenommen<br />

werden können. In diesem Fall käme es an dieser Stelle zu<br />

einer Ausbeulung, einer Absprengung der Kanten oder zum<br />

Bruch (Riss).


Taf. 13: Eingeschnittene Nischengewölbe innen ( .Harr - an, Zitadelle, südöstliche Kurtinengalerie,<br />

12. Jh.). – Foto: Hanisch.<br />

Taf. 14: Rundbogenfriese außen (Gesimse), (Mastara, Johannes -<br />

kirche, 6. Jh. [?]). – aus: THIERRY, Abb. 36.<br />

26


scheinlich, weil Türen und Schießscharten eine<br />

Mindesthöhe haben mussten, die höher war als der<br />

Gewölbeansatz, und weil der noch größere Aufwand<br />

für ein höher ansetzendes Gewölbe vermieden<br />

werden sollte. Dies ist eines der prägnantesten<br />

Merkmale der Bauten aus kleinarmenischer Zeit.<br />

h) Wandgliederung außen durch rundbogige Blend -<br />

nischen.<br />

Eine Blendnische in einer Wand war ursprünglich,<br />

statisch gesehen, nicht eine Aussparung in der<br />

Wand, d. h. eine Verminderung der Wandstärke<br />

oder gar eine optische Gliederung. Vielmehr war<br />

in diesem Fall der Querschnitt der Wand, der für<br />

Aufnahme der vertikalen Lasten ausreichend be -<br />

messen gewesen wäre, in den Zonen, in denen außerdem<br />

auch horizontale Lasten (Windkräfte, Schubkräfte)<br />

aufgenommen werden mussten, verstärkt.<br />

Dies waren die Zone, in der innen das Gewölbe<br />

ansetzt, und die seitlichen Zonen, in denen die<br />

Quersteifigkeit hergestellt werden sollte, be son -<br />

ders wenn sie zu Gebäudeecken gehörten. 38 In den<br />

überwiegenden Fällen haben die erhaltenen Blendnischen<br />

und Blendnischenreihen armenischer und<br />

georgischer Kirchen jedoch nur noch dekorativen<br />

Charakter, besonders, wenn sie an Außenwänden<br />

angeordnet sind, die keine oder nur geringe, horizontalen<br />

Kräfte aufnehmen müssen. Der dekorative<br />

Charakter wird häufig dadurch betont, dass in<br />

die Seiten einer Nische Säulen oder Halbsäulen<br />

mit dem dazugehörigen Bogen eingestellt sind,<br />

die manchmal auch reich ornamentiert wurden.<br />

i) Wandgliederung außen durch Rundbogenfriese.<br />

Die Verstärkung einer Wand im oberen Viertel<br />

diente vermutlich ebenfalls der Vergrößerung des<br />

horizontalen Querschnitts der Wand, um die schrägen<br />

und horizontalen Lasten aus einem Ge wölbe<br />

besser verteilen zu können (Taf. 6; 10; 11). Wenn<br />

nicht schon der Wandabschnitt über einer Blendnische<br />

diese Verstärkung bewirkte, wurde sie in<br />

den meisten Fällen durch eine Verbreiterung des<br />

Dachgesimses hergestellt. Dieses bestand meistens<br />

aus einer oder aus mehreren, schichtweise auskragenden<br />

Mauerwerksschichten. In besonderen Fällen<br />

war es aber auch mit Reliefs von floralen oder<br />

abstrakten Ornamenten bedeckt. 39 In antiker Tradition<br />

stehen jedoch die im Zahnschnitt ausgebildeten<br />

Kranzgesimse, deren vorspringende, vier -<br />

eckige Zacken vielleicht ursprünglich als Balken -<br />

enden verstanden wurden. 40 Von diesen dürften<br />

27<br />

sich die Rundbogenfriese ableiten, möglicherweise<br />

in Verbindung mit einer Blendbogenreihe, die<br />

ursprünglich ja die gleiche, technische Funktion<br />

hatte (Taf. 14). Rundbogenfriese der in Europa<br />

geläufigen Form, die vor allem Wandflächen gliedern,<br />

scheinen in Armenien nicht angebracht worden<br />

zu sein.<br />

j) Stufenportale.<br />

Der Typus des Stufenportals in einfacher, einstufiger<br />

oder auch mehrstufiger Form scheint eine<br />

Übertragung einer Blendnische auf eine Türöffnung<br />

gewesen zu sein (Taf. 15). Für die Ausbildung<br />

seiner Gewände und Archivolten scheint es<br />

keine konstruktiven Gründe gegeben zu haben.<br />

Die häufige Ausgestaltung der meisten Stufenportale<br />

mit kunstvoll verzierten Säulen und Archivolten<br />

und die Ausstattung der Wandfläche über dem<br />

Türsturz mit einem figürlichen Tympanon hatte<br />

über den dekorativen Charakter hinaus vermutlich<br />

eine ausgeprägte semantische Funktion. In isl - amischen<br />

Bauten etwa nach 1200 werden aufwendig<br />

gestaltete Gebetsnischen (mi.hr - ab) häufig wie Stufenportale<br />

ausgebildet.<br />

k) Rundbogige Fenster und Türen.<br />

Der Typus der rundbogigen Wandöffnung wurde<br />

bekanntlich bereits in der Spätantike entwickelt.<br />

Der steinerne Rundbogen war die Regel-Form für<br />

die Lastabtragung in den Fällen, in denen eine<br />

Überdeckung mit einem geraden Sturz nicht möglich<br />

oder nicht ausreichend war. Auch wo bei<br />

Türen horizontale Stürze verwendet wurden, wurde<br />

38 Die souveräne Anwendung dieses Verstärkungsprinzips kann<br />

man auch in den Wandgliederungen der almohadischen Bauten<br />

in Andalusien beobachten, hier sogar auch bei ihrer Übertragung<br />

auf die Gewölbefelder. Den Höhepunkt dieser Baukunst<br />

bildet die Torre del Oro in Sevilla. Die Konstruktionsweise<br />

der Gewölbe hat i. Ü. in den in Spanien zuerst auftretenden<br />

Vorformen des gotischen Netz- und Sterngewölbes<br />

seine Fortsetzung gefunden. Dagegen wurde die Verstärkung<br />

der Seitenzonen einer Außenwand bekanntlich in der Gotik<br />

durch die rigorose Form des Strebepfeilers ersetzt.<br />

39 An der Heilig-Kreuz-Kirche in Achtamar, 915-921, sogar mit<br />

einem um eine Kuppel umlaufenden Zug von Rindern.<br />

40 STRZYGOWSKI I, S. 435; s. dazu u.: Beispiel Nr. 10: Ehemalige<br />

Pfalzkapelle Karls des Großen in Aachen.


Taf. 15: Stufenportal (Ketcharis, Gregorskirche, 11. Jh.). – aus: DOCUMENTI II, Abb. 10.<br />

Taf. 16: Rundfenster (Ani, Kathedrale, Südfassade, 989-1001). – aus: THIERRY, Abb. 84.<br />

28


über einem derartigen Sturz häufig ein rundbogiger<br />

Entlastungsbogen angeordnet. Dies zeigt, dass<br />

der Rundbogen die einzige technische Form war,<br />

mit der man größere, vertikale Lasten über Öffnungen<br />

unbedenklich auf die Auflager und die<br />

Fundamente umleiten konnte.<br />

l) Rundfenster.<br />

In Armenien und Georgien wurden Rundfenster,<br />

vor allem in der Frühzeit, als Lichtquellen ge -<br />

wählt, wenn der Lichtbedarf klein war oder wenn<br />

er durch die Aneinanderreihung mehrerer Rundfenster<br />

gedeckt werden konnte. In der Regel wurde<br />

die in sich schon dekorative Rundform durch<br />

trichterförmige und meistens auch stufenförmige<br />

Ausbildung der Gewände und durch eine Umrahmung<br />

mit Schmuckbändern gesteigert (Taf. 16).<br />

m) Kapitelle.<br />

Die Formen armenischer Kapitelle waren zahlreich<br />

und meistens auch ungewöhnlich. Häufig<br />

wurden freie Einzelformen zu komplizierten Kompositkapitellen<br />

zusammengesetzt, deren tektonische<br />

Funktion nicht immer deutlich wird. Antikisierende<br />

Blatt- oder Volutenkapitelle waren selten.<br />

Eine ältere, dekorative, wahrscheinlich semantische<br />

Form stellen die Adlerkapitelle dar (Taf. 17).<br />

Eine eindeutig funktionelle Form hat jedoch das<br />

Würfelkapitell, das meistens in Verbindung mit<br />

in Blendnischen eingestellten Säulen verwendet<br />

wurde. Es stellt auf geometrisch einfache Weise<br />

den Übergang zwischen dem kreisrunden Säulenquerschnitt<br />

und dem rechteckigen Kämpfer oder<br />

einem ähnlichen Bauglied dar (Taf. 18). Dies wird<br />

auch daran deutlich, dass es nicht nur als Einzelkapitell<br />

verwendet wurde, sondern auf einem einzigen<br />

Stein auch paarweise oder zu dritt nebeneinander.<br />

Die geometrische Form des Würfelkapitells scheint<br />

einem allgemeinen Wesensmerkmal armenischer<br />

Bauweise zu entsprechen, die immer auf klare,<br />

geradezu prismatisch einfache Körper ausgerichtet<br />

war und ihre deutlichste Ausprägung in der prismatischen<br />

Gestalt der Bauten selbst gefunden hat.<br />

n) Säulenbasen.<br />

Säulenbasen wurden häufig ebenso fantasiereich<br />

wie heterogen gestaltet wie viele Kapitelle. Neben<br />

Basen, die wie entsprechende Kapitelle Kompositbasen<br />

waren, deren tektonische Funktion wie dort<br />

29<br />

nicht immer erkennbar ist (Taf. 19), wurden funktionell<br />

verständliche Basen in Form mehrerer,<br />

übereinander angeordneter Schichten und Rundwulste<br />

verwendet. Die klassische, attische Basis<br />

scheint jedoch selten gewesen zu sein. Häufig<br />

waren Basen, deren hauptsächlicher oder einziger,<br />

unterer Rundwulst etwas nach unten gedrückt ist<br />

(Taf. 20). Eine Besonderheit bildeten bei wulstund<br />

polsterförmigen Basen zungenförmige Eck -<br />

zieren, die in den Diagonalen eine Verbindung zu<br />

den Ecken der quadratischen Plinthe herstellten<br />

(Taf. 19).<br />

Bei Säulen mit Würfelkapitellen entspricht dem<br />

Würfelkapitell häufig auch die umgekehrte Form<br />

einer würfelförmigen Basis (Taf. 21).<br />

o) Bandornamente.<br />

Zahlreich und abwechslungsreich waren Bandornamente.<br />

Mit ihnen wurden Tür- und Fensterrahmen,<br />

Friese, Katschkare 41 und manchmal auch<br />

Wandflächen überzogen (Taf. 22). Neben rein geometrischen<br />

Mustern, die aus der Aneinanderreihung<br />

polygoner Gebilde bestehen, sind Blattornamente<br />

mit meist antikisierenden, floralen Motiven,<br />

Kissenornamente und Flechtbandornamente<br />

hervorzuheben. Blattornamente bestanden häufig<br />

aus Weinblattranken mit Weintrauben, häufig in<br />

gegenständiger Anordnung. Kissenornamente be -<br />

standen aus einer Aneinanderreihung kleiner,<br />

zusammengedrückter Polster. 42 In Flechtbandornamenten<br />

waren häufig mehr als zwei oder drei<br />

41 Katschkare waren hochrechteckige, meist freistehende, aber<br />

auch in Felswände eingearbeitete Steinplatten, die in der Mitte<br />

ein großes, erhaben gearbeitetes, »Armenisches Kreuz« enthalten.<br />

Bei diesem waren die Kreuzarme meistens in zwei<br />

Spitzen aufgespalten, die häufig floral endeten. Rahmen und<br />

Grundflächen der Kreuzsteine waren fast immer mit reichem<br />

Dekor verschiedenster Muster versehen. Katschkare waren<br />

religiöse Stiftungen aus persönlichen Anlässen der Stifter,<br />

manchmal auch Grabsteine. Sie haben im religiösen Leben der<br />

Armenier eine große Rolle gespielt.<br />

42 Das bekannteste Beispiel für dieses Ornament befindet sich an<br />

der Grabeskirche in Jerusalem auf dem Bogen des Doppelportals<br />

von ca. 1145. Dass dieses in armenischer Bautradition stehen<br />

dürfte, zumal die Armenische Kirche ein Besitzrecht an<br />

der Kirche hatte, zeigt auch ein etwas späteres, aber bescheideneres<br />

Beispiel in der Zitadelle von .Harr - an; s. dazu u.: Beispiel<br />

4: .Harr - an, c) Nordwestgalerie.


30<br />

Taf. 17: Adlerkapitel (Kutaisi, Gottesmutterkirche,<br />

Wende vom 10. zum 11. Jh.). – aus: BERIDSE –<br />

NEUBAUER, Abb. 83.<br />

Taf. 18: Würfelkapitel (Jeghward, Sora -<br />

warkirche, 7. Jh.). – aus: BRENTJES,<br />

Taf. 6.


Taf. 19: Kompositkapitel/Polsterkapitel<br />

und Kompositbasis/Polsterbasis<br />

(Sanahin, ca. 966). – aus: BRENT-<br />

JES, Taf. 113.<br />

Taf. 20: Polsterförmige Basis (Zwarthnoz, Kathedrale, 7. Jh.). – aus: BRENTJES, Taf. 47.<br />

31


Taf. 21: Würfelförmige Basis (Zwarthnoz, Kathedrale, 7. Jh.). – aus: BRENTJES, Taf. 49.<br />

Taf. 22: Bandornament (Ani, Kathedrale, Außenfassade, 989-1001). – aus: THIERRY, Abb. 83.<br />

32


Taf. 23: Figürliche Bauskulptur<br />

außen, armenische Ausbildung<br />

(Hachpank, Heilig-Kreuz-Kirche,<br />

977-991). – aus: BRENTJES, Taf.<br />

117.<br />

Taf. 24: Figürliche Bauskulptur außen, byzantinische<br />

Ausbildung (Achtamar, Heilig-Kreuz-Kirche, 915-<br />

921). – aus: BRENTJES, Taf. 93.<br />

33


Bänder miteinander verflochten. Daneben gab es<br />

auch solche, bei denen die Bandstreifen gerade und<br />

dann kantig verflochten waren, so dass diese Bänder<br />

wie geschmiedete Ketten aussahen (Taf. 19).<br />

p) An den Außenwänden eingefügte Skulpturen.<br />

Zahlreiche Kirchen waren außen mit erhaben gearbeiteten<br />

Skulpturen geschmückt. Dargestellt wurden<br />

Christus und Maria, Engel, Stifter sowie Kreuze,<br />

aber auch Tiere aller Art. Meistens sind sie<br />

symmetrisch angeordnet und stehen damit in Beziehung<br />

zueinander. Besonders auffällig sind sie, wenn<br />

sie als Einzelfiguren angebracht sind, wodurch sie<br />

isoliert, aber zugleich besonders hervorgehoben<br />

wirken. Die Einzelformen sind im Umriss meistens<br />

archaisch einfach und durch Linien wenig<br />

durchgezeichnet, treten aber kräftig vor die Wand -<br />

fläche vor und wirken trotz ihrer geringen Größe<br />

monumental (Taf. 23). Beispiele ausgesprochen<br />

byzan tinischer Prägung bilden eine Ausnahme<br />

(Taf. 24).<br />

*<br />

Armenische Grundrissformen werden hier nicht<br />

besprochen, weil sie in den lateinischen Westen<br />

nur selten transferiert wurden und weil der römischkatholische<br />

Ritus meistens die längsorientierte<br />

Grundrissform erforderte. Wo in Europa in Einzelfällen<br />

kreuzförmige oder mit seitlichen Strebenischen<br />

ausgestattete Zentralbauten errichtet wurden,<br />

kann man als Raumfunktion jedoch meistens den<br />

Ritus einer Ostkirche, entweder den griechischorthodoxen<br />

oder auch den armenischen Ritus an -<br />

nehmen. Dies zu klären, bleibt anderen Untersuchungen<br />

vorbehalten.<br />

Die für die romanische Baukunst in Europa typische<br />

Ausstattung vieler Kirchen mit einem Westwerk<br />

oder einem Westturm oder mit einem oder<br />

mehreren Turmpaaren ist im armenischen Kirchenbau<br />

nicht vorgezeichnet. Glockentürme wurden<br />

hier, anders als in Syrien, offenbar erst seit<br />

dem 12. Jh. und dann auch meist in Verbindung<br />

mit einer westlichen Vorhalle und in niedriger<br />

Höhe errichtet. 43<br />

34<br />

II.<br />

BEISPIELE<br />

Es folgen nun Beispiele in Form kurzer Beschreibungen<br />

einzelner Bauten. Sie wurden ausgewählt,<br />

weil sie ein oder mehrere Merkmale der im ersten<br />

Kapitel beschriebenen Bauweisen aufweisen, und<br />

somit für das armenische Bauwesen charakteris tisch<br />

sind, und weil sie außerdem mit einer armenischen<br />

Maßart geplant und ausgeführt wurden. Die baulichen<br />

Merkmale werden jeweils mit den vorgenannten<br />

Bauweisen verglichen. In Einzelfällen werden<br />

auch Steinmetzzeichen zur Ergänzung dieses<br />

Nachweises analysiert. Der Weg der Analyse und die<br />

dabei gewonnenen Erkenntnisse sollen zunächst an<br />

zwei Bauten erläutert werden, die durch Inschriften<br />

als Werke armenischer Auftraggeber gesichert sind.<br />

1. Barba’ron, 44 Schlosskirche und Osthalle des<br />

Palastes<br />

Der Burgplatz von Barba’ron war wahrscheinlich seit<br />

Mitte des 12. Jhs. im Besitz der Hethumiden. 45 Die<br />

schlossartige Burg liegt auf dem Plateau eines isoliert<br />

stehenden, tafelbergförmigen, an allen Seiten senkrecht<br />

abfallenden Berges in den östlichen Vorbergen<br />

des Taurus (Taf. 25). Sie nimmt dort die Nordwest-<br />

Ecke mit freier Aussicht auf die umliegenden Täler<br />

ein. Weitgehend erhalten sind der zweigeschossige<br />

Palast mit reichem Baudekor im Inneren und in<br />

Resten eine zweigeschossige Halle an seiner Ostseite<br />

sowie die Ostseite der Schlosskirche (Taf. 26).<br />

Die ehemals dreischiffige Schlosskirche (Abb. 5)<br />

wurde nach einer heute verlorenen Bauinschrift 46<br />

43 Eine Ausnahme bildet der freistehende, achteckige Glockenturm<br />

der ehemaligen armenischen Kathedrale von Edessa,<br />

türk. ¸Sanlıurfa, an deren Stelle heute die Große Moschee steht.<br />

44 Türk. Çandır Kalesı, Prov. Mersin; Beschreibung bei HELLEN-<br />

KEMPER I, S. 238; EDWARDS II, S. 102 ff.<br />

45 Armenisches Fürstengeschlecht in Kleinarmenien, das bis zur<br />

Er hebung Hethums I. 1226 zum König des Königreichs S - ı sian<br />

(Kleinarmenien) in Konkurrenz zu dem regierenden Geschlecht<br />

der Rubeniden (s.u.) gestanden hatte.<br />

46 GOTTWALD, S. 95 f.


Taf. 25: Barba’ron, Schloss des Connétable Smpat, Ansicht von Westen. – Foto: Hanisch.<br />

Taf. 26: Barba’ron, Schlosskirche des Connétable Smpat, Ostseite von Westen. – Foto:<br />

Hanisch.<br />

35


Abb. 5: Barba’ron, Schlosskirche, Grundriss, M 1:200.<br />

im Jahr 1251 durch den Connétable Smpat errichtet.<br />

47 Gewölbe sind nicht erhalten. Auch andere<br />

besondere Merkmale der Bauweise können auf<br />

Grund des ruinenhaften Zustands der Kirche nicht<br />

erläutert werden. Der Baudekor, von dem sich an<br />

der Südseite der Kirche Reste erhalten haben,<br />

muss sehr reich gewesen sein. Er weist aber durchwegs<br />

Formen auf, die eher aus der gleichzeitigen,<br />

salˇg - u.kischen Baukunst bekannt sind. Dies wirft<br />

die Frage auf, ob diese nicht auf armenische<br />

Ursprünge zurückgehen.<br />

Von der Osthalle des Palastes war bis 1997 die<br />

südliche Pfeilerreihe mit den Gewölbebögen er -<br />

halten. Das Gewölbemauerwerk bestand unten aus<br />

dem gleichen Werksteinmauerwerk wie die Pfeiler<br />

und darüber aus Hausteinmauerwerk und entsprach<br />

der erwähnten, in dieser Zeit verbreiteten Bauweise<br />

(s. o., I, 2.3. b, Abs. 2). 48<br />

In beiden Bauten war die verwendete Maßart der<br />

0,3206 m lange Fuß mit seiner Unterteilung in 12<br />

Unzen. Diese Feststellung erscheint selbstverständlich,<br />

ist aber gerade deshalb ein sicherer Beleg für ihre<br />

Verwendung. Daraus kann im Hinblick auf die Bauherrschaft<br />

des armenischen Fürsten gefolgert werden,<br />

dass beide Bauten ebenso selbstverständlich auch von<br />

armenischen Bauhandwerkern errichtet wurden.<br />

Die Ostseite der Kirche ist 22 Fuß (7,03 m) lang. Die innere Breite<br />

beträgt 20 Fuß (ca. 6,40 m), die Breite der Apsis und der nördlichen<br />

Kapelle je 8 Fuß (2,55 m), die der südlichen Apsis 6 Fuß<br />

(1,92 m) und die der Chorpfeiler je 3 Fuß (0,96 m). 20 Fuß und 8<br />

36<br />

Fuß sind in armenischen Bauwerken häufig wiederkehrende<br />

Abmessungen, vor allem von gewölbten Räumen. Sie waren wahrscheinlich<br />

auf Grund einer erprobten Statik Standardabmessungen.<br />

Neben der Bemessung in ungeteilten Fuß wurden die inneren<br />

Bauteile an vielen Stellen auch in Unzen bemessen.<br />

Die Abmessungen der Osthalle werden hier nicht wiedergegeben.<br />

Steinmetzzeichen wurden an der Kirche nicht beobachtet.<br />

An der Osthalle finden sich jedoch zahlreiche<br />

Zeichen. Sie erinnern an frühe Formen der »arabischen«,<br />

d. h. indischen, Ziffern 4 und 6 und können<br />

Zeichen einer kryptographen Schriftart sein.<br />

2. Anawarz, 49 Sperrturm<br />

Die ausgedehnte Burg von Anawarz liegt auf einem<br />

isolierten, nach allen Seiten, außer nach Süden,<br />

schroff abfallenden Bergmassiv inmitten der kilikischen<br />

Ebene (Taf. 27). Sie war bis 1187 der Sitz<br />

der Fürsten von Kleinarmenien aus dem Haus der<br />

Rubeniden, 50 die damals ihren Regierungssitz nach<br />

47 Smpat »der Konstabler«, d. h. der oberste, königliche Beamte<br />

(1208-1277), Bruder Hethums I., bekannt durch seine Gesandtschaftsreise<br />

an den Hof des mongolischen Großkhans<br />

Göyük 1248-1250 und durch seine Chronik. Am Hof des<br />

Großkhans wurde ihm vermutlich als Ehrengabe eine Frau<br />

geschenkt, die er heiraten musste. Die o. a. Inschrift scheint zu<br />

besagen, dass er die Kirche als Sühne für diese nach christlichem<br />

Recht unzulässige Zweitheirat errichtet habe.<br />

Mit seiner Gesandtschaft hatte Smpat den Vertrag zur Anerkennung<br />

der Weltherrschaft des Großkhans durch Armenien<br />

vorbereitet, den Hethum I. dann anlässlich seiner eigenen<br />

Reise 1253-1254 mit dem Großkhan Mönké abschloss. Dieser<br />

Staatsvertrag leitete den großen Feldzug der Mongolen 1256-<br />

1260 ein, durch den die isl - amischen Reiche zerstört und die<br />

christliche Herrschaft im Heiligen Land wieder aufgerichtet<br />

werden sollte (DÉDÉYAN, S. 98 f.).<br />

48 1998 stürzte diese Pfeilerreihe bei einem Erdbeben um.<br />

49 Auch Anazarp, türk. Anavarza Kale, Prov. Adana; Beschreibung<br />

bei HELLENKEMPER I, S. 199 f., S. 291; HELLEN-<br />

KEMPER II, Teil I, S. 184; EDWARDS II, S. 65 ff.<br />

50 Das erste Fürstengeschlecht in Kleinarmenien. Lewon (Leon)<br />

II. wurde nach verschiedenen, diplomatischen Vorstößen 1199<br />

durch Konrad, Bischof von Hildesheim, dem Kanzler Kaiser<br />

Heinrichs VI. und im Beisein des päpstlichen Legaten Konrad<br />

von Wittelsbach, Erzbischof von Mainz, mit einer Krone, die<br />

ihm von Heinrich VI. übersandt worden war, zum König von<br />

Armenien (S - ısian) gekrönt, das er damit vom Kaiser als Lehen<br />

empfing. Das kilikische Armenien wurde damit – vorübergehend<br />

– römisch-deutsches Reichsgebiet.


Taf. 27: Anawarz, Gesamtansicht von Süden. – Foto: Hanisch.<br />

Taf. 28: Anawarz, Sperrturm, Ansicht von Süden. – Foto: Hanisch.<br />

37


Sis 51 verlegten. Sie blieb auch weiterhin in armenischem<br />

Besitz. Sie bestand aus einer ebenen, fast<br />

rechteckigen Unterburg im Süden und einer schma -<br />

len, dem Felsausläufer folgenden Oberburg im<br />

Norden. An der engsten, nur ca. 17 m breiten<br />

Stelle zwischen Unterburg und Oberburg, an der<br />

an beiden Seiten die Felsen 200 m tief, an der<br />

Westseite sogar absolut senkrecht abfallen, steht<br />

zwischen zwei künstlichen Felsgräben der be -<br />

rühmte Sperrturm, der gewöhnlich, aber irrigerweise<br />

als Donjon bezeichnet wird. 52 Außerdem<br />

sind der Kurtinenkranz der gesamten Burg mit<br />

mehreren Türmen, ein Teil der Burgkapelle der<br />

Unterburg, der Torbau der Oberburg, die Kapelle<br />

der Oberburg und zahlreiche weitere Bauwerke<br />

weniger klarer Zweckbestimmung in der Oberburg<br />

erhalten.<br />

Der Sperrturm (Abb. 6, Taf. 28) wurde nach der<br />

erhaltenen Bauinschrift durch Lewon II., den späteren<br />

König Lewon I., im Jahr 1188 errichtet. 53<br />

Damals war er ein nach Norden und nach oben zu<br />

offener Zwinger. Er bestand an der Südseite aus<br />

einer hohen, eingeschossigen Schildmauer mit<br />

zwei großen Schießkammern und vermutlich<br />

einem darüber liegenden Wehrgang, an der Westseite<br />

aus dem erhaltenen Torbau und an der Ostseite<br />

aus einer Flügelmauer mit einer kleineren<br />

Schießkammer. In einem zweiten Bauabschnitt<br />

wurden die heutige, starke Mittelwand eingezogen<br />

und über den großen Schießkammern und<br />

einem Teil des bisherigen Innenhofs die heutigen<br />

beiden Obergeschosse mit ihrer Dachplattform<br />

errichtet. Im Inneren der Mittelwand lag die Treppe,<br />

die jedoch nur die Obergeschosse verband. Da<br />

der Zugang zu den Schießkammern des Erdgeschosses<br />

durch die neue Zwischenwand versperrt<br />

war und auch nicht durch eine Treppe von oben<br />

hergestellt werden konnte, wurden die Kammern<br />

mit überschüssigem Baumaterial zugeschüttet. 54<br />

Gleichzeitig wurden auf dem nördlichen Teil des<br />

bisherigen Innenhofs die beiden eingeschossigen<br />

Hallen angebaut, über deren Dachfläche der Zu -<br />

gang zu dem neuen 2. Obergeschoss erfolgte. 55<br />

Die Gewölbe der Torkammer des 1. Bauabschnitts<br />

und der angebauten, nördlichen Halle des 2. Bauabschnitts<br />

sind spitzbogige Tonnengewölbe aus<br />

Werksteinmauerwerk, das Gewölbe der angebauten<br />

inneren Halle ein halbes Tonnengewölbe, das<br />

an die eingezogene Mittelwand angelehnt ist. Alle<br />

drei Gewölbe werden in den Achsen durch gleichartige<br />

Tonnengewölbe gekreuzt. Die Vierungen<br />

38<br />

der Torkammer und der nördlichen Halle sind demnach<br />

ganze Kreuzgewölbe, 56 die halbe »Vierung«<br />

der inneren Halle ein halbes Kreuzgewölbe. Die<br />

Schlusssteine haben bei diesem die Form eines<br />

halbierten und bei dem äußeren Gewölbe die des<br />

vollständigen Griechischen Kreuzes. Diese Bauweise<br />

ist typisch für anspruchsvolle, armenische<br />

Gewölbe (s. o., I, 2.3. b, Abs. 3 und 4). Die Verwendung<br />

von ungeteilten Fußmaßen und dem<br />

zehnfachen Vielfachen von Unzen lässt sich am<br />

Sperrturm noch deutlicher zeigen als am vorigen<br />

Beispiel.<br />

Die Länge der Südfront scheint sich aus der Addition der Einzelmaße<br />

mit 36 Fuß (ca. 11,54 m) zu ergeben. Der westliche Torbau<br />

ist 18 Fuß (5,785 m) tief. Die Seiten der Vierung der Torkammer<br />

sind 8 Fuß (2,56 m) lang. Die Schießkammern sind ca. 8 Fuß<br />

(2,53 und 2,545 m) breit, ihre Zwischenwand ca. 4 Fuß (1,23 und<br />

1,27 m) stark. Die eingezogene Mittelwand der zweiten Bauphase<br />

51 Türk. Kozan, Prov. Adana.<br />

52 HELLENKEMPER I, S. 199 f.; EDWARDS I; EDWARDS II,<br />

S. 68 ff. Die Beschreibungen und Annahmen der beiden Forscher<br />

werden im Folgenden berichtigt.<br />

53 HELLENKEMPER I, S. 291, mit der Übersetzung.<br />

EDWARDS II, S. 68, hält diese erste Bauphase irrtümlich für<br />

ein Werk der Kreuzritter aus den ersten Jahren des 1. Kreuzzugs.<br />

54 HELLENKEMPER I, S. 199, und EDWARDS II, S. 69, interpretieren<br />

diesen Befund irrtümlich als Reparaturmaßnahme<br />

nach einem Erdbeben.<br />

55 Die nachträgliche Einwölbung ursprünglich offener Zwinger<br />

findet sich auch an mehreren Bauwerken der Klosterfestung<br />

Hromklay (türk. Rumkale, Prov. Gazıantep, s. HANISCH<br />

VIII, S. 18, S. 27 f. u. S. 30). Sie scheint eine allgemeine Tendenz<br />

widerzuspiegeln, nach der bisher oben offene Räume oder<br />

Straßen nachträglich eingewölbt wurden (HANISCH II, S. 93<br />

ff. [Exkurs]).<br />

56 Die Vierung des nördlichen Gewölbes ist an der Ostseite von<br />

dem weiterlaufenden Tonnengewölbe durch einen Gurtbogen<br />

aus drei nebeneinander liegenden Rundwülsten geschieden.<br />

EDWARDS II, S. 70, hält diesen irrtümlich ebenfalls für ein<br />

Werk der Kreuzritter. Gleiche Gurtbögen befinden sich aber<br />

auch in der langen Halle (Lagerstraße) der Zitadelle von<br />

Damaskus (HANISCH II, S. 65, Gebäude B 14; s. dazu u.:<br />

Beispiel 5: Damaskus, Zitadelle, östlicher Torturm und anschließende<br />

Bauten, 5c) und im Torbau der hier nicht zu besprechenden<br />

salˇg - ukischen Karawanserei El-Bagrurhan von 1229,<br />

für die eine Tätigkeit armenischer Bauhandwerker nachgewiesen<br />

werden kann.


Abb. 6: Anawarz, Sperrturm, Grundriss, M 1:250.<br />

ist im Erdgeschoss 8 Fuß (2,56 m) und in den Obergeschossen 6<br />

Fuß (1,92 m) stark. Neben unrunden Unzenwerten sind mehrere<br />

runde Unzenwerte festzustellen: Die Westwand der ersten Bauphase<br />

ist 100 Unzen stark (2,68 m), die großen Schießscharten<br />

und die östliche Schießkammer sind innen je 50 Unzen (1,355<br />

und 1,335 m) breit.<br />

Steinmetzzeichen wurden am Sperrturm nicht<br />

beobachtet. Die übrigen Wehrbauten wurden<br />

nicht näher untersucht. 57<br />

*<br />

Von größerem Interesse als diese armenischen<br />

dürften jedoch Bauten sein, die zwar durch armenische<br />

Bauhandwerker, aber von nicht-armenischen<br />

Auftraggebern errichtet worden sind. Zunächst<br />

wird ein Beispiel einer christlichen Festung<br />

in Syrien beschrieben, dann folgen zwei Beispiele<br />

isl - amischer Festungen im »Größeren Syrien« (Bil - ad<br />

asˇ-Sˇ - am).<br />

3. Castel Saone, 58 Oberburg, Ostturm<br />

Die Burg Saone liegt im Norden des syrischen<br />

Küstengebirges auf einem langgestreckten, nach<br />

Westen abfallenden und spitz auslaufenden Bergrücken<br />

zwischen zwei tief eingeschnittenen, steil-<br />

39<br />

wandigen Tälern, die sich an der Westspitze der<br />

Burg vereinigen (Taf. 29). Sie bestand aus einer<br />

ausgedehnten Unterburg im Westen und einer<br />

höher gelegenen Oberburg im Osten. Sie war seit<br />

den Feldzügen der Kaiser Nikephoros Phokas und<br />

Johannes Tsimiskes in der 2. Hälfte des 10. Jhs. in<br />

byzantinischem und später in arabischem Besitz.<br />

Vermutlich seit 1108 gehörte sie zum Fürstentum<br />

Antiochia und war einem sonst wenig bekannten,<br />

französischen Grafen Robert zu Lehen gegeben. 59<br />

Unter ihm oder seinem Sohn wurde die byzantinische<br />

Burg nach 1109 oder nach 1119 in dem heutigen<br />

Umfang ausgebaut. 1188 wurde sie von S.al - a .h<br />

ad-D - ın erobert und wieder instand gesetzt. 60<br />

Ein vorgelagerter Graben trennte die byzantinische<br />

Kernburg in Form eines Tetraburgiums im<br />

Westen von der Unterburg. Hier ist eine kleine,<br />

einschiffige Kirche erhalten. Tortürme führten an<br />

der Nordseite und an der Südseite in die Unterburg<br />

und an der Südseite und an der Ostseite in<br />

die Oberburg. Dort ist das Plateau des Burgplatzes<br />

von dem nach Osten weiterreichenden Berg-<br />

57 Ein weitere Großanlage, die durch eine armenische Inschrift<br />

und durch eine typische Bauweise als Werk armenischer Bauhandwerker<br />

gesichert ist, ist die Johanniter-Festung Cardamesium<br />

(türk. Silifke Kalesι) bei Silifke, Prov. Adana (HELLEN-<br />

KEMPER I, S. 249 ff.; EDWARDS II, S. 221 ff.). Sie wurde<br />

zwar vom Verfasser untersucht, jedoch nicht hinsichtlich der<br />

verwendeten Maßarten.<br />

Die bisher frühesten Großbauten im Nahen Osten, die sowohl<br />

durch ihre besondere Bauweise als auch durch die Verwendung<br />

des 0,3206 m langen, armenischen Fußes als Werke armenischer<br />

Bauhandwerker festgestellt werden konnten, sind die<br />

drei großen f - atimididischen Stadttore B - ab al-Fut - uh B - ab an-<br />

Nasr und B - ab Zuwayla in Kairo. Sie wurden durch den ägyptischen<br />

Wesir Badr al- ˇGam - al - ı errichtet, der von Geburt Armenier<br />

war. Die Baumeister kamen als Flüchtlinge aus dem<br />

damals noch weitgehend armenischen Edessa. Die Beschreibung<br />

der Tore ausführlich bei CRESWELL, Bd. 1, S. 161 ff.;<br />

zur armenischen Kolonie in Kairo s.u., III, Die Träger der Entwicklung.<br />

58 Ar. Kal‘at .Sa .hy - un, seit 1959 Kal‘at .Sal - a .h ad-D - ın, Prov. L - a - diq - ıya;<br />

Beschreibung bei <strong>DES</strong>CHAMPS I, S. 356 f., <strong>DES</strong>CHAMPS<br />

III, S. 239 f.; zum Ostturm HANISCH II, S. 289 – 292, mit<br />

der Einschränkung, dass die dort angenommene Frage der Herkunft<br />

der Bauform hier berichtigt wird.<br />

59 <strong>DES</strong>CHAMPS III, S. 76 ff.<br />

60 <strong>DES</strong>CHAMPS I, S. 358; <strong>DES</strong>CHAMPS III, S. 76 ff.


Taf. 29: Saone, Gesamtansicht von Südosten; der Felsgraben liegt im Einschnitt. –<br />

Foto: Hanisch.<br />

Taf. 30: Saone, Großer Ostturm, Ansicht von Osten. – Foto: Hanisch.<br />

40


Abb. 8: Saone, Liste armenischer Steinmetzzeichen (Auswahl).<br />

rücken durch den berühmten, 20 m breiten und<br />

30 m tiefen Felsgraben mit einem freistehenden<br />

Brückenpfeiler getrennt. 61 Die Ostfront der Burg<br />

ist unmittelbar auf die Kante des neuen Felsgrabens<br />

gesetzt. Ihre Mitte wird von dem großen,<br />

dreigeschossigen Ostturm 62 eingenommen (Taf.<br />

30).<br />

Die Außenwände der Kurtinen und Türme von<br />

Oberburg und Unterburg sind mit Ausnahme des<br />

großen Ostturms einheitlich in einem ausgeprägten<br />

Rustikamauerwerk errichtet, bei dem die roh<br />

belassenen Steinoberflächen von einem glatten<br />

Randstreifen eingefasst sind. Die Außenwände des<br />

großen Ostturms sind dagegen in einer anderen<br />

Art des Rustikamauerwerks errichtet, bei dem die<br />

Steinoberflächen der Mittelfläche der Quader glatt<br />

behauen sind und wie aufgesetzte Platten wirken<br />

(s. o. I, 2.3 a, Abs. 2) (Taf. 31).<br />

Die Gewölbe der kleinen Kirche, der Erdgeschosse<br />

des nördlichen Torturms der Unterburg und des<br />

süd lichen der Oberburg sind Tonnengewölbe aus<br />

Werk steinmauerwerk in der bereits beschriebenen<br />

Art (s. o. I, 2.3 b, Abs. 1), das des Obergeschosses<br />

des südlichen Torturms ist ein Kreuzgewölbe mit<br />

kreuz förmigem Schlußstein (s. o. I, 2.3 b, Abs. 3<br />

und 4). Die verwendete Maßart ist in der Kapelle<br />

und den beiden Tortürmen der 0,3206 m lange,<br />

armenische Fuß.<br />

Der nördliche Torturm ist an der westlichen Schmalseite 35 Fuß<br />

(11,25 m), der südliche an der nördlichen und der südlichen<br />

Schmalseite (der Feindseite) 47 Fuß (15,07 m) breit. Die anderen<br />

41<br />

Seiten konnten nicht gemessen werden. Die Torkammer des nördlichen<br />

Torturms ist 19 Fuß (6,10 m) breit und 21 1 /2 Fuß (6,93 m)<br />

lang. Die Torkammer des südlichen Torturms ist 30 Fuß (9,61 m)<br />

lang und 25 Fuß (8,04 m) tief. Die äußeren und inneren Toröffnungen<br />

beider Türme sind 70 Unzen (1,89 m) breit, aber entsprechend<br />

der unterschiedlichen Stärke der Wände63 verschieden tief.<br />

Die inneren Tornischen sind jeweils 7 Fuß (2,25-2,31 m) breit und<br />

ebenfalls verschieden tief.<br />

Der große Ostturm mit Außenlängen von ca. 25<br />

auf 25 m enthält zwei gewölbte Geschosse mit<br />

einem quadratischen Mittelpfeiler und die Dachplattform<br />

(Abb. 7). Die Gewölbe sind leicht spitzbogige<br />

Tonnengewölbe, die um die vier Seiten des<br />

Mittelpfeilers angeordnet sind und sich in den<br />

Endabschnitten in Kreuzgewölben durchdringen<br />

(Taf. 32). Ihre Schlusssteine haben dort wiederum<br />

die Form des Griechischen Kreuzes (s. o. I, 2.3 b,<br />

Abs. 3 und 4). Die verwendete Maßart ist im Erdgeschoß<br />

der 0,3054 m lange und im Obergeschoß<br />

der 0,3206 m lange, armenische Fuß.<br />

Im Erdgeschoss sind die Pfeilerseiten 100 Unzen des zuerst genannten<br />

Fußes (i. M. 2,57 m) lang; die Joche sind 250 Unzen<br />

(6,34 m) breit. Die Abstände gegenüberliegender Wände betragen<br />

damit 600 Unzen = 50 Fuß (i. M. 15,27 m). Im Obergeschoss sind<br />

die Pfeilerseiten jedoch nur 90 Unzen des zweiten Fußmaßes (i. M.<br />

2,40 m) lang, die Joche der Ostseite wieder 250 Unzen (i. M 6,67<br />

m) breit, die Joche der übrigen Seiten dagegen 10 Unzen breiter<br />

(i. M. 6,95 m). Die Abstände gegenüberliegender Wände betragen<br />

in Westost-Richtung demnach wiederum 600 Unzen (ca. 16,02<br />

m), in der anderen Richtung 610 Unzen (ca. 16,26 m). Diese<br />

Abmessungen zeigen erneut das Prinzip der Verwendung der<br />

Unzen in zehnfachen Vielfachen.<br />

Gewölbeausbildung und Maßarten belegen wiederum<br />

die Tätigkeit armenischer Bauhandwerker.<br />

61 An dieser Stelle muss sich bereits ein Felsgraben der byzantinischen<br />

Burg befunden haben, der aber nur etwa 5 m tief war.<br />

Bei der Anlegung des neuen Grabens musste deshalb der neue<br />

Brückenpfeiler, der in der fränkischen Grabensohle stehen blieb,<br />

durch Mauerwerk wieder um ca. 5 m erhöht werden.<br />

62 Zu der bisher verwendeten, aber unzutreffenden Bezeichnung<br />

»Donjon« s. HANISCH II, S. 291.<br />

63 In beiden Tortürmen befindet sich in der äußeren Tornische<br />

ein über beide Geschosse reichender, torbreiter Maschikulischacht<br />

und ein zweiter Schacht zur Aufnahme eines Falltores.


42<br />

Abb. 7: Saone Ostturm, Erdgeschoss<br />

und Obergeschoss,<br />

Grundrisse, M 1:200.


Taf. 31: Saone, Großer Ostturm, Westseite, Ausschnitt Mauerwerk. – Foto: Hanisch.<br />

Taf. 32: Saone, Großer Ostturm, Erdgeschoss, Deckenuntersicht. – Foto: Hanisch.<br />

43


Deswegen ist es möglich, auch die fremdartig<br />

erscheinende Art des Rustikamauerwerks der<br />

Turmaußenseiten der armenischen Bautradition<br />

zuzuordnen (s. o., I, 2.3 a, Abs. 2). 64 Das Mauerwerk<br />

gehört damit zu einer armenischen Mauerwerksart,<br />

die später auch am Sperrturm von Anawarz<br />

und an zwei Torbauten von Hromklay verwendet<br />

wurde, vielleicht auch an dem inneren<br />

Grabentor der Johanniterfestung Krak des Chevaliers.<br />

65<br />

Steinmetzzeichen wurden am großen Ostturm<br />

nicht beobachtet. Dagegen finden sich zahlreiche<br />

Zeichen an den anderen Bauten. Eine Auswahl<br />

wird hier wiedergegeben (Abb. 8). 66 Neben einigen<br />

Buchstaben des regulären, armenischen<br />

Alphabets wurden Zeichen aus kryptographen<br />

Schriftarten verwendet, darunter die »arabischen«<br />

Ziffern 2 und 4 und ein lanzenförmiges Zeichen<br />

mit seitlichen Schrägstrichen. Zahlreich scheinen<br />

auch lateinische Buchstaben und Abbilder von<br />

Waffen und Steinmetzwerkzeugen zu sein. Diese<br />

Mischung armenischer und europäischer Zeichen<br />

ist charakteristisch für Bauten in den Kreuzfahrerstaaten,<br />

und, wie noch gezeigt wird, in Europa. Sie<br />

dokumentiert das gleichzeitige Wirken armenischer<br />

und europäischer Steinmetzen. Das offensichtliche<br />

Fehlen der für armenische Bruderschaften<br />

typischen, geometrischen Zeichen und die<br />

Verwendung einiger kryptographer Zeichen könnte<br />

bedeuten, dass die armenischen Steinmetzen<br />

nicht einer organisierten Bruderschaft angehörten.<br />

Für die europäischen Steinmetzen trifft dies aus<br />

historischen Gründen ohnehin zu.<br />

4. H. arr - an, Zitadelle, Ostturm, Südturm und<br />

Nordwestgalerie<br />

Die sehr alte Stadt H. arr - an liegt 50 km südöstlich<br />

von S¸anlıurfa. Sie bietet sich heute als ein leicht<br />

gewelltes Ruinengelände dar, aus dem sich nur der<br />

zentrale Tell, die freigelegte Große Moschee, die<br />

Stadtmauer und an ihrem Südostrand die Zitadelle<br />

herausheben (Taf. 33). 67<br />

Die Zitadelle steht vermutlich an der Stelle eines<br />

antiken Mondtempels der alten H. arr - anier. 68 Ihre<br />

Grundfläche hat etwa die Form eines gedrungenen<br />

Rechtecks. Sie enthält im Kern einen palastartigen<br />

Gebäudekomplex aus der Mitte des 12. Jhs. Von<br />

1193 an wurden unter al-Malik al-‘A - dil 69 die älteren<br />

Kurtinen durch ungewöhnlich starke, dreigeschossige<br />

Kurtinen mit innenliegenden Galerien<br />

44<br />

und angrenzenden, gewölbten Räumen ersetzt. An<br />

die Stelle der alten Ecktürme traten gewaltige,<br />

drei- bis viergeschossige, elfseitige Türme mit<br />

Durchmessern von 27-29 m. 70 Ihre Außenseiten<br />

bestehen aus Rustikamauerwerk in der bereits<br />

beschriebenen, ausgeprägten Form (s. o., I, 2.3 a,<br />

Abs. 2).<br />

64 Der Wechsel der Maßart deutet auf einen Wechsel der Bauhandwerker<br />

oder auf die Einschaltung zusätzlicher Bauhandwerker<br />

hin. Möglicherweise reichte die Anzahl der für den Ostturm<br />

verpflichteten Handwerker nicht aus, um auch die anderen<br />

Bauten – Türme und Kurtinen – zu errichten, so dass weitere<br />

Handwerker beschafft wurden, die dann aber nicht nur<br />

eine andere Maßart mitbrachten, sondern auch die beschriebene,<br />

andere Technik der Bearbeitung der Rustikaquader.<br />

65 Hromklay (türk. Rumkale, Prov. Gazıantep), West- und Südfront<br />

des vierten Tors der Toranlage und Ost- und Südfront des<br />

Euphrattors der Burg (dazu HANISCH VIII); Anawarz,<br />

Außenseiten des Südflügels des Sperrturms der Burg, s.o.;<br />

Krak des Chevaliers, ar. Kal’at al-Hosn, Hisn al-Akr - ad (<strong>DES</strong>-<br />

CHAMPS II, Bd. I, S. 193 f., Bd. II, Taf. 99, 100), Außenfronten<br />

des inneren Grabentors. Weitere Beispiele sind: vermutlich<br />

die Sockel der Türme des Brückentors Friedrichs II. in<br />

Capua (WILLEMSEN, S. 16 ff., Taf. 1 – 10) und die Türme<br />

und Kurtinen vieler staufischer Kastelle dieser Zeit in Apulien;<br />

zu diesem Thema s.u., III, Die Träger der Entwicklung.<br />

66 <strong>DES</strong>CHAMPS II, S. 246. Da diese Auswahl keine Aussage<br />

über die Häufigkeit und die Verteilung enthält, ist die hier<br />

angestellte Beurteilung nur vorläufig.<br />

67 Die erstmalige Beschreibung der Stadt und der Zitadelle<br />

erfolgte durch LLOYD – BRICE, Ergänzungen zur Geschichte<br />

und zum Südosttor dazu durch RICE. Eine neue Beschreibung<br />

s. HANISCH X; außerdem: HANISCH VII, S. 61 ff.; s.<br />

ferner HANISCH IX.<br />

68 Zur Geschichte .Harr - ans s. MEZ und CHWOLSOHN.<br />

69 Al-Malik al-‘ - Adil Saif ad-D - ın Ab - u Bakr Mu .hammad b. Aiy - ub,<br />

1145-1218, jüngerer Bruder .Sal - a .h ad-D - ıns, seit 1192 Statthalter<br />

Sal - a .h ad-D - ıns in der ˇGaz - ıra, seit 1200 Sultan von Ägypten,<br />

Syrien, der ˇGaz - ıra und Armenien (!). Mitteilung seiner<br />

Bauherrschaft der Zitadelle von .Harr - an durch Ibn ˇSadd - ad bei<br />

RICE, S. 37.<br />

LLOYD – BRICE, S. 104, geben nur vage Erbauungszeiten an,<br />

außer irrtümlich S. 102 für die verzierte Seitennische der südlichen<br />

Nordwestgalerie, die sie für ein Werk der Kreuzritter<br />

hielten; dazu G. Fehérvári in EI, Bd. III, S. 229, der darlegt,<br />

dass die Kreuzritter nicht in .Harr - an gewesen sind.<br />

70 Die Besonderheiten der Türme auf der Grundlage eines regelmäßigen<br />

Elfecks können hier nicht erörtert werden. Es sei nur<br />

erwähnt, dass in einem regelmäßigen Elfeck – mit dem im<br />

Altertum und im Mittelalter verwendeten, endlichen Bruch


Taf. 33: .Harr - an, Zitadelle, mittlerer Abschnitt, Ansicht von Südosten. – Foto: Hanisch.<br />

Taf. 34: .Harr - an, Zitadelle, Reste des Ostturms mit Ansatz der Nordost-Kurtine, Ansicht von<br />

Nordosten. – Foto: Hanisch.<br />

45


a) Ostturm<br />

Der elfseitige Ostturm wurde offenbar unter Verwendung<br />

eines älteren, rechteckigen Turmes errichtet,<br />

der damit seinen Kern bildete. Erhalten<br />

sind das verschüttete Erdgeschoss und vom 1.<br />

Obergeschoss ein kurzes Stück der Außenmauer<br />

sowie im Turmkern ein Zwischentor, das aus dem<br />

Inneren der Zitadelle in die Verteidigungszone des<br />

Turms und der anschließenden Nordostkurtine<br />

führte (Abb. 9, Taf. 34). An den Turm schließen<br />

sich im Nordosten und Südwesten in der zweiten<br />

Linie mehrere, hintereinander angeordnete Räume<br />

an, die vermutlich Mannschaftsräume waren. 71<br />

Die erkennbaren Gewölbe des Turms und der<br />

anstoßenden Kurtinengalerien und Räume in der<br />

zweiten Linie vertreten den armenischen Typ der<br />

zweiteiligen Tonnengewölbe, deren unterer Teil<br />

aus dem gleichen Werksteinmauerwerk wie die<br />

Wände und der obere aus Hausteinmauerwerk<br />

oder in Ringschichten gemauertem Ziegelmauerwerk<br />

bestanden (s. o., I, 2.3 b, Abs.2). Die Ritzzeichnung<br />

eines armenischen Kreuzes und des<br />

armenischen Buchstabens k. ’ - e (= Christus) auf<br />

einem Torgewände weist ebenfalls auf eine armeni -<br />

sche Tätigkeit hin. Steinmetzzeichen sind nicht<br />

vor handen. Das Erdgeschoss ist mit der aiy - ubidischen<br />

Bauelle angelegt worden, das Innere des<br />

1. Obergeschosses dagegen mit dem 0,3206 m<br />

langen, armenischen Fuß.<br />

Die Außenseiten des Turms sind, entsprechend dem Verhältnis von<br />

Seite zu Radius im regelmäßigen Elfeck von 40 zu 71, 80 Handbreiten<br />

(i. M. ca. 7,68 m) lang. Der Tordurchgang im 1. Obergeschoss<br />

ist 60 Unzen (= 5 Fuß; 1,61 m), seine äußere Tornische 76<br />

Unzen (2,04 m) und seine innere 100 Unzen (2,67 m) breit.<br />

b) Südturm<br />

Der an der Stelle des elfseitigen Südturms anzunehmende,<br />

ältere Eckturm ist offenbar vor der<br />

Errichtung des heutigen Turms abgebrochen worden.<br />

Von diesem sind der elfseitige Kernbau mit<br />

zwei Geschossen und vom Umgang und den<br />

Außenwänden die Fundamentplatte erhalten,<br />

außerdem die Erdgeschosse der im Nordosten und<br />

Südwesten anstoßenden Kurtinengalerien und<br />

Räume in der zweiten und dritten Linie (Abb. 10,<br />

Taf. 35). Die beiden Geschosse des Kernbaus sind<br />

mit elfteiligen Klostergewölben aus Hausteinmauerwerk<br />

eingewölbt, die oben in eine Rundkuppel<br />

übergehen (s. o., I, 2.3 b, Abs. 1).<br />

46<br />

Die Gewölbe der Umgänge sind nicht erhalten.<br />

Nach den Ansätzen am Turmkern zu schließen,<br />

waren sie zweiteilig. Die Gewölbe der Kurtinengalerien<br />

vertreten die armenischen Typen des einteiligen<br />

Tonnengewölbes aus Werksteinmauerwerk<br />

oder Hausteinmauerwerk, jeweils mit elliptisch<br />

einschneidenden Seitennischen für die<br />

Schießscharten und Durchgänge in der beschriebenen<br />

Form (s. o., I, 2.3 g, Taf. 13). Ein besonderes<br />

Merkmal der Hausteingewölbe sind dabei in<br />

der Gewölbefläche bündig angeordnete, seitlich<br />

verzahnte Gurtbögen (Taf. 36). Der Turm scheint<br />

ganz in armenischen Fuß angelegt worden zu sein.<br />

Die Innenseiten des Kernbaus sind – bis auf eine überlange Seite<br />

– jeweils 100 Unzen (ca. 2,67 m) lang, die Abstände der konzent -<br />

risch angeordneten Elfecke der Innen- und Außenfluchten der<br />

Mauern betragen von innen nach außen 15 Fuß minus 10 Unzen<br />

(4,54 m), 5 Fuß plus 5 Unzen (1,73-1,74 m), 10 Fuß plus 5 Unzen<br />

(ca. 3,34 m) und 15 Fuß (ca. 4,80 m). Die Summe der Abstände<br />

beträgt 45 Fuß.<br />

Das beim Ostturm zu beobachtende Prinzip des<br />

Verhältnisses von Seite zu Radius von 40 : 71 ist<br />

beim Südturm nicht angewendet worden, vielleicht<br />

weil es nicht der armenischen Bautradition<br />

entsprach.<br />

Steinmetzzeichen wurden nicht gefunden.<br />

22 : 7 als Verhältnis von Kreisumfang zum Durchmesser – sich<br />

eine Seite zum Radius des umbeschriebenen Kreises verhält wie<br />

9 : 16 oder genauer wie 40 : 71. Vorbilder für diese Türme, vor<br />

allem in der vorliegenden, monumentalen Form, gibt es weder<br />

im isl - amischen noch in einem anderen Kulturbereich. Dies<br />

gilt mit der Einschränkung, dass im Inneren der Zitadelle<br />

von .Harr - an von der Höhe der Untergeschossebene des Palastes<br />

an ein Teil der Außenwände eines kleinen, elfseitigen, mindestens<br />

dreigeschossigen Turms, vermutlich aus früh isl - amischer<br />

Zeit, erhalten ist, der durch eine Verstärkungsmauer in den<br />

Palast-Komplex einbezogen worden ist. Dieser Turm könnte<br />

Bestandteil des antiken Mondtempels gewesen sein, der erst<br />

1033 geschlossen und zerstört wurde. Die Form dieses Turmes<br />

dürfte die Form der großen aiy - ubidischen Ecktürme bestimmt<br />

haben; s. HANISCH VII, S. 67, S. 76 ff., HANISCH IX und<br />

HANISCH X.<br />

71 HANISCH VII, S. 72 f., S. 74 ff., HANISCH IX und<br />

HANISCH X.


Abb. 9: H. arr - an, Zitadelle, Ostturm, 1. Obergeschoss, Grundriss, M 1:200.<br />

47


Abb. 10: H. arr - an, Zitadelle, Südturm, Erdgeschoss, Grundriss, M 1:200.<br />

48


Taf. 35: .Harr - an, Zitadelle, Reste des Südturms, Ansicht von Nordosten. – Foto: Hanisch.<br />

Taf. 36: .Harr - an, Zitadelle, Raum hinter der Südost-Kurtine. – Foto: Hanisch.<br />

49


c) Nordwestkurtine<br />

Die stadtseitige Nordwestfront der Zitadelle bestand<br />

aus einer dreigeschossigen Kurtinengalerie<br />

und einem drei- oder viergeschossigen Torturm in<br />

der Mitte (Abb. 11, Taf. 37). Erhalten haben sich<br />

hauptsächlich die beiden unteren Geschosse des<br />

Torturms und der südlichen Kurtinengalerie. Der<br />

Torturm bestand aus drei nebeneinander liegenden<br />

Schiffen mit zweiteiligen Tonnengewölben aus<br />

Werksteinmauerwerk und radial gemauertem Ziegelmauerwerk<br />

(s. o., I, 2.3 a, Abs. 1). Im rückwärtigen<br />

Teil sind die Schiffe durch einen tonnengewölbten<br />

Raum in der Querrichtung miteinander<br />

verbunden. Die hier entstandenen Kreuzgewölbe<br />

bestehen aus Werksteinmauerwerk und weisen die<br />

charakteristischen Schlusssteine in Form des Griechischen<br />

Kreuzes auf. Die Gewölbe der an den<br />

Querraum anschließenden beiden Abschnitte der<br />

südlichen Kurtinengalerie sind ebenfalls in Werksteinmauerwerk<br />

erstellt. Ihr südlicher Abschnitt<br />

ist kreuzgewölbt und enthält einen Schlussstein in<br />

Form des Lateinischen Kreuzes (s. o., I, 2.3 b, Abs.<br />

3 und 4). 72 An der Innenseite der Kurtinengalerie<br />

liegen ein tonnengewölbter, isl - amischer Gebetsraum<br />

und eine große Wandnische, die mit einem<br />

Klostergewölbe aus Werksteinmauerwerk überdeckt<br />

ist. Die Stirnseite des Gebetsraums ist mit<br />

einem Bandornament von aneinander gereihten,<br />

kissenförmigen Rundwuls ten belegt. 73 Die Außenfront<br />

der Wandnische ist wie ein Stufenportal ausgebildet.<br />

In die Rücksprünge waren beiderseits je<br />

zwei kurze Rundsäulen eingesetzt. Die Archivolten<br />

sind mit zwei übereinander liegenden Ornamentbändern<br />

belegt, die aus verschieden ausgebildeten<br />

Zick-Zack-Bändern bestehen (Taf. 38).<br />

Der südliche Abschnitt der Nordwestkurtine ist<br />

außen, der Nordwestturm ist außen und innen mit<br />

der isl - amischer Bauelle angelegt worden. Die beiden<br />

Abschnitte der südlichen Kurtinengalerie und<br />

die große Wandnische sind dagegen mit dem<br />

armenischen Fuß errichtet worden.<br />

Die Breite der Galerie hat die erwähnte Standardabmessung von<br />

20 Fuß (i. M. 6,41 m), das Kreuzgewölbe des südlichen Abschnitts<br />

ist einschließlich des nördlichen Abschlussbogens i. M. 21 Fuß<br />

(6,73 m) lang und i. M. 19 Fuß (6,08 m) breit. Die Wandnische<br />

ist 14 Fuß (4,57 m) breit und 9 Fuß (2,85 m) tief, die Wandflächen<br />

der Aussparungen für die Ecksäulen jeweils 15 Unzen (0,41<br />

m und 0,42 m) breit. 74<br />

Steinmetzzeichen wurden nicht gefunden.<br />

50<br />

Die übrigen Bauten der Zitadelle von H. arr - an spielen<br />

für die gegenwärtige Untersuchung keine Rolle, weil<br />

an ihnen die armenischen Maßart nicht nachgewiesen<br />

werden kann. Insgesamt kann man jedoch feststellen,<br />

dass mindestens die aufgeführten Bauwerke<br />

der Zitadelle von H. arr - an offensichtlich von armenischen<br />

Bauhandwerkern errichtet wurden, auch wenn<br />

diese teilweise die vom Auftraggeber vorgegebene,<br />

aiy - ubidischen Maßart anwenden mussten.<br />

5. Damaskus, Zitadelle, Östlicher Torturm<br />

und anschließende Bauten<br />

Die Zitadelle von Damaskus besteht wie die von<br />

H. arr - an aus einer älteren Anlage im Inneren und<br />

einer monumentalen Erweiterung durch die heutigen,<br />

äußeren Wehrbauten. Die inneren Bauten<br />

ein schließlich der z. T. noch erhaltenen Kurtinen<br />

wurden zwischen 1076 und 1095 errichtet, 75 die<br />

Neubauten zwischen 1202 und 1218 – und wie in<br />

H. arr - an – unter al-‘A - dil, nunmehr nach seiner Er -<br />

hebung zum Sultan. 76 Der etwa rechteckige Kurtinenkranz<br />

war mit 14 gewaltigen, rechteckigen,<br />

drei- und viergeschossigen Türmen bestückt. Die<br />

Nordwestecke der Zitadelle wurde 1260 nach der<br />

Eroberung durch die Mongolen und der anschließend<br />

begonnenen, dann aber zum Stillstand gekommenen<br />

Entfestigung zwischen dem nördlichen<br />

Torturm und dem heutigen Nordwestturm<br />

auf die heutige Linie zurückverlegt. 77 Auch große<br />

72 Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt wurde in die Räume des<br />

Nordwestturms und der Kurtinengalerie eine Stützkonstruktion<br />

aus vorgesetzten Stützwänden und einem zweischaligen<br />

Gewölbe aus Ziegelmauerwerk eingezogen. Dieses ist jedoch<br />

inzwischen teilweise selbst wieder eingestürzt, so dass die<br />

ursprünglichen Gewölbe dort wieder zu sehen sind. Vielleicht<br />

bezieht sich eine nur fragmentarisch erhaltene, ehemals 37 m<br />

lange Inschrift des Sultans Al-Malik al-‘ - Alam a.n-N. - asir ad-D - ın<br />

Mu .hammad b. K. al - a’ - un (1285-1342, seit 1293 mit Unterbrechungen<br />

7. maml - ukischer Sultan) auf dem hier nicht beschriebenen<br />

Westturm der Zitadelle auf diese Baumaßnahme.<br />

73 s.o. Anm. 41.<br />

74 LLOYD – BRICE, S. 102, S. 104, hielten die Wandnische, wie<br />

erwähnt, irrtümlich für ein Werk der Kreuzritter.<br />

75 HANISCH I, S. 480.<br />

76 HANISCH VII, S. 62, Anm. 6, mit weiteren Angaben.<br />

77 HANISCH II, S. 225 ff.


Abb. 11: H. arr - an, Zitadelle, Nordwest-Kurtine, 1. Obergeschoss, Grundriss, M 1:200.<br />

51


Taf. 37: .Harr - an, Zitadelle, Nordwest-Kurtine mit Rest des Nordwest-Tors, Ansicht von Westen. – Foto: Hanisch.<br />

Taf. 38: .Harr - an, Zitadelle, Nordwest-Kurtine, 1. Obergeschoss,<br />

große Seitennische, Ausschnitt. – Foto: Hanisch.<br />

52


Abschnitte der Kurtinen und Turmfronten wurden<br />

zu diesem Zeitpunkt und bei späteren An lässen<br />

erneuert und verändert. Ursprünglich be standen<br />

die Außenseiten wahrscheinlich einheitlich aus<br />

dem Rustikamauerwerk in der beschriebenen, ausgeprägten<br />

Form (s. o., I, 2.3 a, Abs. 2). 78<br />

a) Östlicher Torturm<br />

Der gut erhaltene, nördliche der beiden mittleren<br />

Türme der Ostfront (Abb. 12, Taf. 39) enthält in<br />

jedem Geschoss einen einzigen Saal und im Erdgeschoss<br />

einen gleich breiten Seitenflügel am Südabschnitt<br />

der Westseite. An der Südseite befindet<br />

sich das stadtseitige Tor der Zitadelle. Seine äußere<br />

Tornische ist mit einer muschelförmigen Halbkuppel<br />

über vier Reihen mu.karnas ausgestattet, die<br />

noch immer mit Vasen und Tulpen bemalt sind<br />

(Taf. 40). Die Gewölbe der Säle sind leicht spitzbogige<br />

Tonnengewölbe, die durch zwei gleich große<br />

Quertonnen gekreuzt werden. Im Erdgeschoss<br />

setzt sich die südliche Quertonne in den westlichen<br />

Anbau fort. Da sich die Gewölbe unmittelbar<br />

aus den Wänden entwickeln, haben die entstehenden<br />

Kreuzgewölbe die Breite der Säle. Die<br />

Gewölbeschalen sind zweiteilig, wobei der obere<br />

Teil aus plattig gehauenem Bruchsteinmauerk besteht<br />

(s. o., I, 2.3 b, Abs. 2). Die Trennungslinien<br />

der Joche sind durch Gurtbögen markiert, die<br />

bündig in den Gewölbeflächen liegen und dort<br />

seitlich verzahnt sind. 79<br />

In einer früheren Veröffentlichung hatte der Verfasser<br />

angenommen, dass der Turm wie andere<br />

Bauten der Zitadelle mit der aiy - ubidischen Bauelle<br />

bemessen worden sei. 80 Allerdings konnte er nur<br />

für wenige Strecken entsprechende Übereinstimmungen<br />

mit dieser Maßart feststellen. Weil der<br />

Grundriss des Turms schiefwinklig und geringfügig<br />

überlang ist, erklärte er deshalb zahlreiche<br />

Maßabweichungen als notwendige Anpassungen<br />

an die Sollmaße, wenn auch in der Größenordnung<br />

von 5-14 cm. Überlegungen zur Herkunft<br />

der beiden ornamentierten Rundfenster (Taf. 41)<br />

im Erdgeschoss führten jedoch zu einer neuen Interpretation.<br />

Die ursprüngliche Annahme süditalienischer<br />

Vorbilder des 12. Jhs. für diese Rundfenster<br />

erwies sich als nicht stichhaltig, weil der<br />

Turm sonst keine an italienische Vorbilder erinnernden<br />

Merkmale aufweist. 81 Andererseits gehört<br />

das ornamentierte Rundfenster, wie erwähnt, zu<br />

den besonderen Merkmalen des georgisch-armenischen<br />

Kirchenbaus (s. o., I, 2.3 n, Taf. 16). 82 Es lag<br />

53<br />

daher nahe, den Turm nunmehr auf die Verwendung<br />

einer armenischen Maßart zu untersuchen.<br />

Diese Untersuchung führte zu dem Ergebnis, dass<br />

sich fast alle relevanten Abmessungen überzeugend<br />

durch den 0,3206 m langen, armenischen<br />

Fuß und seine Unzen ausdrücken lassen.<br />

Im Erdgeschoss sind die Seiten der Kreuzgewölbe ca. 22 Fuß (7,05<br />

m) breit und 22 1 /3 (7,16 m) bis 22 1 /6 Fuß (7,10 m) lang. Wahrscheinlich<br />

waren die Abmessungen vom Auftraggeber mit 12 auf<br />

12 aiy- ubidischen Bauellen (6,98 m) vorgegeben worden, die den<br />

ausgeführten Maßen am ehesten entsprechen. Die Seitennischen<br />

der Nord- und der Oststeite sind weitgehend genau 100 Unzen<br />

(2,67 m) tief und wegen der Überlänge des Gesamtraums im<br />

Mittel 105 Unzen breit. Die zum Ausgleich der Schiefwinkligkeit<br />

notwendigen Anpassungen betragen meistens nur noch 1-2 cm.<br />

Vor allem weist das Südtor eindeutig die armenische Maßart auf.<br />

Der Durchgang ist 100 Unzen (2,67 m) breit und 80 Unzen (2,13<br />

m) tief, die mittlere Außennische ist 13 Fuß (4,17 m) breit und 7<br />

Fuß (2,24 m) tief und die äußere insgesamt 10 Fuß breiter (7,38<br />

m).<br />

Im Obergeschoss sind die Seiten des nördlichen Kreuzgewölbes 22<br />

1 1<br />

/3 Fuß (7,16 m) breit und lang, die des südlichen 22 /3 Fuß breit<br />

und 22 Fuß lang. Die Seitennischen sind im Wesentlichen ebenso<br />

breit wie im Erdgeschoss, aber nur noch 8 Fuß (2,56 m) tief.<br />

Auch die Gewölbeausbildung weist im Lichte dieser<br />

neuen Erkenntnisse nun eine deutliche Verwandtschaft<br />

mit armenischen Gewölben auf.<br />

Nicht nur die Verwendung von Gurtbögen, die in<br />

78 Dies gilt nicht für die überkommenen Maschikulis; s.<br />

HANISCH IV.<br />

79 Die gleiche Bauweise ist an den Gewölben des Untergeschosses<br />

der ehemaligen nördlichen Kirche in Hromklay zu beobachten.<br />

80 HANISCH III, S. 120 f.; S. 130 ff.<br />

81 Zu den Schmuckformen apulischer und palästinensischer Kirchen<br />

s. BUSCHHAUSEN. Die Diskussion darüber, ob bestimmte<br />

Schmuckformen nicht zuerst – zusammen mit Bauformen<br />

und Maßarten – aus dem Orient nach Apulien gelangt<br />

sind, kann hier nicht geführt werden; s. aber dazu, III, Die<br />

Träger der Entwicklung.<br />

82 In Ergänzung zu Taf. 16 weitere Beispiele: in Armenien:<br />

STRZYGOWSKI I, S. 72 (Ani, Modell der Georgskirche), S.<br />

112 (Zwathnotz, Palastkirche, Profile der Rundfenster); in<br />

Georgien: DJOBADZE, Taf. 225 (Ot‘.ht‘a Eklesia Kloster),<br />

Taf. 245/6 (Parhali-Kloster).


Taf. 39: Damaskus, Zitadelle, Torturm der Ostseite, Ansicht von Nordosten. – Foto: Hanisch.<br />

Taf. 40: Damaskus, Zitadelle, Torturm der Ostseite, Tor,<br />

Ansicht. – Foto: Hanisch.<br />

54


Abb. 12: Damaskus, Zitadelle, östlicher Torturm, Grundriss, M 1:200.<br />

55


der Gewölbefläche bündig liegen und seitlich mit<br />

der Gewölbeschale verzahnt sind, sondern vor<br />

allem die Jochbildung und die Zweiteiligkeit der<br />

Gewölbe haben, wie gezeigt wurde, ihre unmittelbaren<br />

Vorbilder im armenischen Gewölbebau.<br />

Inwieweit der Baudekor des Südportals auch auf<br />

armenischer Handwerker hinweist, kann hier<br />

nicht untersucht werden. 83<br />

Schließlich findet sich an der Nordwand und der<br />

Ostwand auf mindestens 30 Quadern ein Steinmetzzeichen,<br />

das aus einem etwa 10 cm großen<br />

Kreis mit einem Punkt in der Mitte besteht. Dieses<br />

Zeichen dürfte einem kryptographen Alphabet<br />

entnommen sein, das in einer Fassung des 17. Jhs.<br />

mit allen 36 Zeichen überliefert ist. Dies ist nicht<br />

nur ein Beleg für die Tätigkeit armenischer Handwerker,<br />

sondern außerdem auch dafür, dass hier<br />

eine geschlossene Gruppe, möglicherweise eine<br />

Bruderschaft, gearbeitet hat, die das Zeichen als<br />

Gruppenzeichen hatte.<br />

b) Säulensaal<br />

An den erdgeschossigen Seitenflügel des Torturms<br />

schließt sich ein eingeschossiger, etwas höherer,<br />

etwa quadratischer Saal an, der in 9 quadratische<br />

Joche aufgeteilt ist (Abb. 13). Das mittlere Joch<br />

war von einer Kuppel über einem zwölfseitigen<br />

Tambour überdeckt. Die inneren Auflager werden<br />

von vier gekürzten, antiken Säulen mit teilweise<br />

stark be schädigten, antiken Kapitellen gebildet<br />

(Taf. 42). 84 In der früheren Publikation hatte der<br />

Verfasser auch hier die Verwendung der aiy - ubidischen<br />

Elle angenommen, zumal sich die Abmessungen<br />

im Mittelbereich gut mit dieser Maßart<br />

ausdrücken ließen. 85 Die Nachrechnung ergab aber<br />

genauere Werte bei Zugrundelegung des 0,3206<br />

m langen, armenischen Fußes.<br />

Danach sind die Lichtmaße der Bögen unter der Vierung (4,81 m)<br />

genau 15 Fuß lang. Die Wandvorlagen an der Süd-und Nordseite<br />

sind 5 Fuß (ca. 1,58/9 m) breit und 3 Fuß (0,96 m) tief. Die<br />

Abstände des mittleren Joches zu den Außenwänden sind unterschiedlich<br />

lang, da die Außenwände leicht schiefwinklig zu einander<br />

stehen. 86<br />

c) Lange Halle (Lagerstraße)<br />

An das Nordwestjoch des Säulensaals schließt sich<br />

eine lange, schmale Halle an, die die Bauten des<br />

östlichen Tores mit denen des nördlichen verbindet.<br />

Sie ist mit einem durchgehenden Tonnenge-<br />

56<br />

wölbe eingewölbt, das neunmal durch gleichhohe<br />

Quertonnen gekreuzt wird (Abb. 14). Das Mitteljoch<br />

87 enthält je einen Durchgang nach Norden<br />

und nach Süden, einzelne Joche an der Nordseite<br />

noch weitere Türen, die sich nach außen öffnen<br />

und ehemals die Eingänge der dahinterliegenden<br />

Gebäude bildeten. Die Halle war demnach eine<br />

überwölbte Lagerstraße. Die Gewölbe sind in der<br />

mehrfach beschriebenen, zweiteiligen Bauweise<br />

ausgeführt (s. o., I, 2.3 a, Abs. 2).<br />

Die Quertonnen setzen sich seitlich noch ca. 0,70-0,80 m in die<br />

Außenwände fort. Dadurch entstehen zwischen den 2,02-2,03 m<br />

breiten Wandpfeilern zuerst sieben, je 200 Unzen (5,02-5,03 m)<br />

breite, kreuzgewölbte Joche. Im achten Joch ist die Breite auf 15<br />

Fuß (4,80 m) verringert. Im neunten Joch, das den Anschlussraum<br />

zu dem nördlichen Torkomplex bildet und deswegen einen unregelmäßigen<br />

Grundriss aufweist, beträgt die Grundfläche des<br />

Kreuzgewölbes 15 auf 16 Fuß (4,80 m auf 5,11 m). Die Länge<br />

eines Joches und eines Wandpfeilers zusammen beträgt in den sieben<br />

östlichen Jochen je 22 Fuß (7,04/5 m). 88<br />

Baufugen zwischen dem östlichen Torturm, dem<br />

Säulensaal und der Lagerstraße sind nicht zu<br />

83 SAUVAGET, S. 83 f.<br />

84 Zwischen 2000 und 2003 wurden im Säulensaal und einem<br />

anderen Gebäude der Zitadelle durch die syrische Generaldirektion<br />

der Museen und Altertümer und durch das Institut<br />

Française des Études Arabes Damas Grabungen vorgenommen,<br />

deren Ergebnisse aber noch nicht publiziert sind; nach dem<br />

mündlichen Vortrag scheinen sie die hier beschriebenen<br />

Ergebnisse aber nicht zu berühren.<br />

85 Irrtümlich angenommene Teilungsmaße im Raster 50 und 10<br />

Handbreiten und der Lichtmaße der Bögen unter der Vierung<br />

(4,81 m) 50 Handbreiten. Der Irrtum ist erklärlich, weil 50<br />

aiy - ubidische Handbreiten (4,85 m) nur 4 cm länger sind als<br />

15 armenische Fuß (4,81 m) und 10 aiy - ubidische Handbreiten<br />

(0,97 m) fast gleich lang sind wie 3 armenische Fuß (0,96 m).<br />

86 Dies ist die Folge davon, dass beim Bau der Halle die jetzt<br />

nicht mehr vorhandenen Gebäude an der Nordseite und der<br />

Zugang zu der im Westen anschließenden Lagerstraße (s.u.,<br />

folgender Abschnitt) berücksichtigt werden mussten.<br />

87 Die Trennungslinien des Mitteljoches sind durch ein Bündel<br />

aus drei gleich dicken Rundwulsten über Mukarnas-Konsolen<br />

betont, von denen der mittlere Wulst auf den beiden anderen<br />

aufliegt (s. dazu Anm. 56).<br />

88 Vgl. die Hauptabmessungen im Inneren des Torturms T 07.


Taf. 41: Damaskus, Zitadelle, Torturm der Ostseite, Rundfenster, Ansicht von Osten. – Foto:<br />

Hanisch.<br />

Taf. 42: Damaskus, Zitadelle, Säulensaal hinter dem östlichen Torturm, Ansicht von Osten.<br />

– Foto: Hanisch.<br />

57


Abb. 13: Damaskus, Zitadelle, Säulensaal, Grundriss, M 1:200.<br />

58


Abb. 14: Damaskus, Zitadelle, Lange Halle, Grundriss, M 1:200.<br />

59


erkennen. Diese Bauten bildeten demnach einen<br />

zusammenhängenden Bauabschnitt. Im Tambour<br />

des Säulensaals wurde vom Verfasser eine kurze<br />

Bauinschrift gefunden, die den Namen eines Baumeisters,<br />

vielleicht des Baumeisters des gesamten<br />

Bauabschnitts, enthält. Leider wird dieser nur mit<br />

seiner kunya benannt. 89<br />

Steinmetzzeichen wurden weder im Säulensaal<br />

noch in der Lagerstraße gefunden. Trotzdem kann<br />

auf Grund der anderen Merkmale kein Zweifel<br />

daran bestehen, dass, wie schon bei Torturm festgestellt,<br />

auch diese Bauwerke von armenischen<br />

Handwerkern errichtet wurden. Der Umstand,<br />

dass der Bauherr der gleiche war wie 10 Jahre früher<br />

in H. arr - an, unterstützt diese Erklärung noch.<br />

6. Castel del Monte<br />

Das erste europäische Beispiel ist Castel del<br />

Monte. Es wurde bekanntlich spätestens seit 1240<br />

durch Kaiser Friedrich II. errichtet (Taf. 43). Auf<br />

eine Beschreibung dieses berühmten Bauwerks<br />

wird hier verzichtet. 90<br />

Die Gewölbe der zweimal acht Säle sind über<br />

einem trapezförmigen Grundriss spitzbogige Tonnengewölbe<br />

aus Werksteinmauerwerk, die in der<br />

Raummitte jeweils durch ein gleichartiges und<br />

gleichbreites Tonnengewölbe gekreuzt werden<br />

(Abb. 15). Den Graten der so entstandenen Kreuzgewölbe<br />

sind Rippen mit quadratischem Querschnitt<br />

unterlegt, die den Gewölben ein gotisches<br />

Aussehen zu geben scheinen. Außerdem sind die<br />

so gebildeten Vierungen durch seitliche Gurtbögen<br />

von den sich fortsetzenden Tonnengewölben<br />

optisch ausgeschieden. 91 Da diese Rippen und<br />

Gurtbögen in einigen Räumen abgestürzt sind<br />

(Taf. 44), sieht man, dass die Gewölbe keine gotischen<br />

Gewölbe sind, sondern altertümliche, sich<br />

durchdringende Tonnengewölbe aus gleichmäßigem<br />

Werk steinmauerwerk, wie sie aus armenischen<br />

Bauten bekannt sind (s. o., I, 2.3 a, Abs. 3).<br />

Auf den von diesen Bauten bekannten, kreuzförmigen<br />

Schluss stein hat man hier jedoch verzichtet,<br />

vermutlich, weil er ohnehin durch den großen, rosettenförmigen<br />

Schlussstein der künstlichen Rippenkonstruktion<br />

verdeckt worden wäre. Weitere<br />

Betrachtungen können hier nicht angestellt werden.<br />

92<br />

Die armenische Urheberschaft kann durch die<br />

Wiederauffindung der verwendeten Maßart belegt<br />

60<br />

werden. Bei einer von einer Arbeitsgruppe unter<br />

Wulf Schirmer in den Jahren 1990-1996 mit<br />

modernen Messmethoden durchgeführten Bauaufnahme<br />

wurden die genauen Abmessungen des<br />

Baus festgestellt und dokumentiert. 93<br />

Auf Grund dieser Abmessungen ist der Verfasser<br />

im Gegensatz zu W. Schirmer und allen anderen<br />

Forschern zu der Erkenntnis gekommen,<br />

dass dem Entwurf der vier konzentrisch angeordneten,<br />

regelmäßigen Achtecke des Grundrisses<br />

die arabische, 0,5404 m lange Schwarze<br />

Elle mit ihrer Unterteilung in Handbreiten<br />

und Fingerbreiten zu Grunde gelegen hat, und<br />

dass die Bauausführung mit dem 0,3206 m langen,<br />

armenischen Fuß erfolgt ist.<br />

Wegen der Bedeutung des berühmten Bauwerks<br />

soll dies näher erläutert werden. 94 Um den auch<br />

hier vorliegenden Umstand, dass zwei Maßarten<br />

verwendet wurden, zu erklären, muss zunächst auf<br />

die Maßverhältnisse im regelmäßigen Achteck<br />

eingegangen werden.<br />

89 Die kunya (Beiname eines Eigennamens, manchmal auch allein<br />

stehend) lautet hier in der zweiten Zeile: Ab - u‘l-Wa ˇgd (»Vater<br />

des Reichtums« oder »Vater des Könnens«); die erste Zeile<br />

lautet: ‘amal (»Werk des …«) oder: ‘amala (»hat gebaut«); s.<br />

HANISCH III, S. 124 f. und Taf. 30. So bleibt der Eigenname,<br />

aus dem man vielleicht auf die Herkunft des Meisters<br />

hätte schließen können, unbekannt.<br />

90 Neuere Beschreibungen bei GÖTZE und SCHIRMER.<br />

91 Zum »Ausscheiden« der Vierung s.o. I, 2.3 d; im vorliegenden<br />

Fall liegen natürlich die Voraussetzungen für die Errichtung<br />

eines Vierungsturms nicht vor, was zeigt, dass diese Bauform<br />

in eklektizistischer Weise nur als optisches Gliederungselement<br />

verwendet wurde.<br />

92 Der Verzicht auf einen kreuzförmigen Schlussstein könnte bedeuten,<br />

dass das Kreuz des Steinverbandes als das Kreuz Christi<br />

verstanden wurde, das zu verdecken, unzulässig gewesen wäre.<br />

93 Schirmer, Wulf: Castel del Monte, in: architectura 24, München<br />

1994, S. 185 ff.; Schirmer, Wulf – Zick, Wolfgang: Castel del<br />

Monte, in: architectura 28 (1/1998), München 1998, S. 1 ff.;<br />

SCHIRMER.<br />

94 SCHIRMER, S. 88 ff., nimmt als verwendete Maßart den napolitanischen<br />

palmo in der Länge von 0,263 m an, der damit um<br />

1 mm kürzer wäre als der sonst angenommene. Außerdem muss<br />

er gemessene Werte häufig mehr oder weniger stark auf- oder<br />

abrunden, um die postulierten palmo-Werte zu erreichen. Diese<br />

sind dabei aber eher beiläufig (z.B. 4 3 /4, 7 1 /2, 8 3 /4, 9, 9 3 /4,<br />

23, 33, 34, 77 palmi) und entsprechen keineswegs einem, wie


Taf. 43: Castel del Monte, Gesamtansicht von Osten. – Foto: Hanisch.<br />

Taf. 44: Castel del Monte, Saal im Obergeschoss, Deckenuntersicht. – Foto: Hanisch.<br />

61


Abb. 15: Castel del Monte, Erdgeschoss, Grundriss, M 1:300.<br />

62


In diesem verhält sich eine Seite zu ihrem Abstand<br />

vom Mittelpunkt des Achtecks aufgerundet wie 10<br />

zu 12 (genau: wie 9,9396 zu 12). Der Radius des<br />

zugehörigen, dem Achteck umbeschriebenen Kreises<br />

beträgt dabei aufgerundet 13 (genau: 12,9884)<br />

Einheiten der verwendeten Maßart. 95 Diese Strecken<br />

bilden ein gleichschenkliges Drei eck mit einem<br />

eingeschlossenen Winkel von 45°. Acht dieser<br />

Dreiecke bilden das regelmäßige Achteck. Das aus<br />

der halben Seite (= 5), dem Seitenabstand und dem<br />

Radius gebildete Dreieck ist in größter Annäherung<br />

ein pythagoräisches Dreieck. In Castel del<br />

Monte wurden diese Werte mit dem Faktor 4 multipliziert<br />

Alle Strecken konnten mit den herkömmlichen<br />

Messvorrichtungen vermutlich mühelos konstruiert<br />

und abgesteckt werden.<br />

Ausgangspunkt der Maßanalyse der Achtecke sind die Seiten des<br />

Achtecks, das die Turmaußenseiten umfasst. Ihre Länge entspricht<br />

mit einem Minus von 20 mm der Soll-Länge von 40 Schwarzen<br />

Ellen minus 6 Fingerbreiten (21,48 m), d. h. der genauen Länge,<br />

die sich aus dem beschriebenen Zahlenverhältnis ergibt. Der Abstand<br />

dieser Seiten vom Mittelpunkt des Hofes beträgt 48 Ellen<br />

und der entsprechende Radius 52 Ellen minus 4 x 1 /2 (= 2) Fingerbreiten.<br />

Die Soll-Abstände zwischen den vier konzentrischen<br />

Achtecken betragen zwischen dem Mittelpunkt des Hofs und der<br />

Oktogoninnenmauer 6 Ellen plus 1,5 x 7 Ellen = 16 1 /2 Ellen (8,92<br />

m, Ist: 8,92 m plus 1,9 cm), zwischen Innenflucht und Außenflucht<br />

des Oktogons 3 x 7 Ellen = 21 Ellen (11,35 m, Ist: 11,35<br />

minus 1,9 cm ), zwischen der Außenflucht des Oktogons und dem<br />

Achteck, das die Turmaußenseiten umfasst, 1,5 x 7 Ellen = 10 1 /2<br />

Ellen (5,67 m; Ist: 5,67 minus 2,5 cm) und zwischen diesem Achteck<br />

und dem Achteck, das die Turmsockel umfasst, 4 Handbreiten<br />

= 0,36 m (Ist: 0,36 m plus 2,5 cm). Die Größe von 7 Ellen scheint<br />

dabei eine wesentliche Grundeinheit zu sein.<br />

Diese Prinzipien der Planung wurden bei der Ausführung<br />

jedoch nicht mehr berücksichtigt. Nur<br />

die Außenfluchten der Turmsockel (Taf. 45) und<br />

des Oktogons wurden auf den entsprechenden<br />

Linien der Achtecke errichtet. Die Außenfluchten<br />

der Turmschäfte sind um 2,5 cm gegenüber den<br />

Seiten des theoretischen Achtecks der Turmschäfte<br />

nach innen, die Hoffluchten um 1,9 cm gegenüber<br />

den Soll-Fluchten nach außen versetzt.<br />

Die Ursache dafür liegt darin, dass der Bau von der<br />

Ebene der Turmsockel an mit dem 0,3206 m langen,<br />

armenischen Fuß bemessen und weitergebaut<br />

worden ist.<br />

Dabei ging die Absteckung von den Außenfluchten des Oktogons<br />

aus. Im Erdgeschoss betragen die Abmessungen von Außenmauer,<br />

63<br />

Raumtiefe und Innenmauer: 8 Fuß (2,56-2,57 m), 20 Fuß (240<br />

Unzen, 6,39-6,42 m) und 8 Fuß minus 8 Unzen (2,36-2,37 m).<br />

Die Summe dieser drei Strecken ist um 1,9 cm kleiner als die<br />

Länge von 21 Schwarzen Ellen. Um das gleiche Maß ist im Innenhof<br />

der Abstand gegenüberliegender Wände – außer in der Eingangsachse<br />

– größer als 16 1 /2 Ellen.<br />

Im Obergeschoss betragen die Strecken von Außenmauer, Raumtiefe<br />

und Innenmauer 8 Fuß minus 9 Unzen (2,32 m), 20 Fuß plus<br />

20 Unzen (260 Unzen, 6,96 m) und 8 Fuß minus 8 Unzen (außen),<br />

minus 11 Unzen (innen) und minus 5 Unzen (Rücksprung außen)<br />

= 72 Unzen = 6 Fuß (1,92 m).<br />

Die Radien der Gurtbögen unter den Gewölben im Erdgeschoss<br />

sind 150 Unzen (4,02 m) lang, die Grundlinien der Gurtbögen<br />

sind 200 Unzen (5,36 m) lang, ihre Diagonalen sind 300 Unzen<br />

(8,04 m) lang.<br />

Die Wände der Ecktürme sind 8 Fuß (2,56 m) stark, die Innenkammern<br />

sind 100 Unzen (2,67 m) weit. Die Summe dieser<br />

Abmessungen beträgt 292 Unzen (7,802 m). Dieses Maß ist an<br />

allen Seiten um 2,5 cm kleiner als das mit 6 Schwarzen Ellen angenommene,<br />

arabische Entwurfsmaß. Um diese Differenz springen<br />

demnach, wie oben erwähnt, auch die Turmseiten gegenüber dem<br />

eingangs genannten, 40 Ellen minus 6 Handbreiten langen Seiten<br />

des theoretischen, äußeren Achtecks zurück. Der Sockel ist um<br />

dieses Maß entsprechend breiter als 4 Handbreiten der Schwarzen<br />

Elle.<br />

Offensichtlich wechselte der Bauherr, nachdem<br />

der Bau über dem abgesteckten »arabischen«<br />

auch immer gearteten, strengeren Ordnungsystem. Sie können<br />

bereits deshalb nicht die tatsächlichen Werte sein.<br />

Auch die Annahmen von HEINZ I, S. 48 ff., und HEINZ II,<br />

S. 105 ff., wonach der Grundriss von Castel del Monte mit der<br />

0,5236 m langen, ägyptischen Königselle und der 0,5183 m<br />

langen Nippurelle – und zwar nebeneinander – konstruiert<br />

worden wäre, können nicht zutreffen, nicht nur, weil sich zahlreiche<br />

Abmessungen mit diesen Maßarten nicht ausdrücken<br />

lassen, sondern vor allem wegen des unhistorischen Charakters<br />

der Betrachtungsweise.<br />

95 Diese geringfügig auf die vollen Maßeinheiten 10, 12 und 13<br />

aufgerundeten Werte sind im 13. Jh. auch die Merkmale der<br />

Triangulatur, die auf ein Quadrat mit der Seitenlänge von 7<br />

Maßeinheiten angewendet wird. Die Kenntnis dieser Streckenverhältnisse<br />

reicht, wie im letzten Abschnitt 10 gezeigt wird,<br />

mindestens bis in das 8. Jh. zurück. Wem oder welchem Kulturkreis<br />

ihre Entdeckung zugesprochen werden kann, ist nicht<br />

bekannt.


Taf. 45: Castel del Monte, Turmsockel. – Foto: Hanisch.<br />

Taf. 46: Ebrach, ehem. Zisterzienserabtei-Kirche, Ansicht von Osten mit Michaelskapelle. –<br />

Foto: Hanisch.<br />

64


Grundriss bis zur Höhe des Sockels gediehen war,<br />

die Bauhandwerker. 96 Der Grund könnte darin<br />

bestanden haben, dass ihm für die Einwölbung der<br />

Säle keine anderen Fachleute zur Verfügung standen<br />

als die bereits an anderen Orten bewährten,<br />

armenischen Gewölbebauer. Es ist sogar denkbar,<br />

dass diese den vorgegebenen, arabischen Grundriss<br />

der Säle auch verändert haben, und zwar so, dass er<br />

mit einer bewährten Gewölbekonstruktion zuverlässig<br />

eingewölbt werden konnte. 97 Diese und<br />

etwaige andere Vermutungen über eine andere<br />

Aufteilung der Säle im arabischen Entwurf müssen<br />

jedoch Spekulation bleiben.<br />

Steinmetzzeichen hat W. Schirmer offenbar nicht<br />

gefunden. Entweder waren solche nie vorhanden,<br />

vielleicht, weil dies an einem so persönlichen Bauwerk<br />

des Kaisers nicht zugelassen worden war,<br />

oder sie sind im Laufe der Zeit bei den häufigen<br />

Reparaturen der Außenseiten verloren gegangen.<br />

Für die Interpretation der am Bau Beteiligten<br />

müssen daher andere Argumente herbeigezogen<br />

werden.<br />

Über diese Beteiligten liegen bekanntlich keine<br />

Quellen vor. Dies gilt zunächst für den entwerfenden<br />

Baumeister. Nimmt man als Entwurfsverfasser<br />

einen Araber an, ist die Frage nach seiner Herkunft<br />

erlaubt. Die Anwendung der Schwarzen Elle<br />

schließt dabei einen der z. T. namentlich bekannten,<br />

ägyptischen und syrischen Berater (Hofphilosophen)<br />

Kaiser Friedrichs aus, da in ihren Herkunftsländern<br />

seit .Sal - ah ad-D - ın bei Staatsbauten<br />

die Schwarze Elle durch die ägyptische Bauelle<br />

ersetzt worden war. 98 Nordafrika, insbesondere das<br />

Emirat von Tunis, zu dem der Kaiser engere Beziehungen<br />

unterhielt, und wo die Schwarze Elle<br />

weiterhin in Gebrauch war, kommt als Herkunft<br />

des Baumeisters vermutlich ebenfalls nicht in Frage,<br />

weil es dort nach heutigem Wissen keine achteckigen<br />

Bauten gab, deren Kenntnis eine Voraussetzung<br />

für die souveräne Anwendung dieser Bauform<br />

im Castel del Monte gewesen sein dürfte.<br />

Dagegen treffen beide Voraussetzungen für die<br />

Qualifikation des Baumeisters zusammen, wenn<br />

man annimmt, dass er aus Andalusien stammte.<br />

Hier war die Schwarze Elle unter der Bezeichnung<br />

a - d- - dir - a’ ar-raˇsˇs - aˇs - ıa ebenfalls noch in Gebrauch,<br />

und hier gab es zahlreiche, achteckige Türme<br />

gleicher Größe und Funktion an vorspringenden<br />

Ecken von Stadtmauern und Festungsmauern.<br />

Vielfach waren diese auch vor die Mauer vorgeschoben<br />

und mit dieser durch eine Zungenmauer<br />

65<br />

verbunden (torres albaranas). Der bekannteste dieser<br />

Türme ist, wenn auch zwölfseitig, wiederum<br />

die Torre del Oro in Sevilla. Es ist denkbar, dass der<br />

arabische Entwurfsverfasser infolge der Vertreibung<br />

der arabischen Oberschicht im Zuge der<br />

reconquista Ferdinands III., des Heiligen, seit 1235<br />

das Land verlassen hatte und nach Süditalien<br />

gekommen war. 99<br />

Die Tätigkeit armenischer Bauhandwerker kann<br />

für Castel del Monte zwar namentlich ebenfalls<br />

nicht belegt werden, ist aber in Süditalien im Allgemeinen<br />

seit längerem bezeugt. Die damit zusammenhängenden<br />

Fragen sollen in dem Schlusskapitel<br />

zusammenfassend angesprochen werden.<br />

7. Ehemalige Zisterzienserabtei-Kirche St.<br />

Maria, St. Johannes Ev. und St. Nikolaus in<br />

Ebrach bei Bamberg<br />

Die jetzige Kirche der ehemaligen Zisterzienserabtei<br />

Ebrach 100 wurde 1200 begonnen und 1285<br />

geweiht. Sie ist eine kreuzförmige, kreuzgewölbte<br />

96 Es ist denkbar, dass sich ein – der einzige bisher bekannte –<br />

Erlass Kaiser Friedrichs II. auf diesen Neuanfang bezieht (LEI-<br />

STIKOW, aber ohne diese Interpretation): Die schriftliche Anweisung<br />

vom 29. Januar 1240 an den Justitiar der Capitanata,<br />

also eines an sich nicht zuständigen Beamten aus dem Nachbardistrikt,<br />

die »Beschaffung« (actractus), von Kalk und Steinen<br />

(»in« (?) calce … et lapidibus) zum Bau des geplanten (d.h. vielleicht<br />

schon abgesteckten) castrums zu veranlassen.<br />

97 Im Gegensatz zu der eher altertümlichen Gewölbekonstruktion<br />

bestand in den bereits angesprochenen, arabischen Bauten<br />

Andalusiens die technisch und statisch hochentwickelte Ausgestaltung<br />

derartiger umlaufender Gewölbe aus einer Abfolge<br />

von abwechselnd quadratischen und dreieckigen Kreuzgewölben.<br />

Die technischen Gründe dafür können hier nicht besprochen<br />

werden.<br />

98 s.o., I, 2.1, Abs. 5, und Anm. 26.<br />

99 Es ist nach Auffassung des Verfassers nicht anzunehmen, dass<br />

die Vorbilder des Entwurfs im isl - amischen Nordafrika oder im<br />

Orient zu suchen seien (D. Sack in SCHIRMER, S. 74 ff.). Das<br />

unmittelbare Vorbild für die Zentralanlage mit engem Innenhof<br />

des Castel del Monte dürfte das nur wenig ältere Kastell<br />

Lucera nördlich von Foggia gebildet haben, dessen Hof in den<br />

beiden unteren Geschossen zwar quadratisch war, im obersten<br />

aber in ein Achteck überführt worden war (Abbildung der bekannten<br />

Skizzen von Jean L. Desprez, 1778, in: HAHN, S. 38).<br />

100 Beschreibung in WIEMER I und DEHIO I, S. 236 ff.


Pfeilerbasilika mit gerade geschlossenem Chor,<br />

Chorumgang und einem Kapellenkranz, der um<br />

den Chor herumgeführt ist und auch die Ostseiten<br />

der Querschiffe umfasst. Die Kirche erhielt Ende<br />

des 18. Jhs. eine frühklassizistische Ausgestaltung,<br />

die den Raumeindruck zwar farblich, sonst<br />

aber nicht wesentlich veränderte. Dabei wurden<br />

die Dienste der Kreuzgewölbe, auch wo sie erst<br />

über den Arkaden beginnen, in Form von raumhohen<br />

Halbsäulen umkleidet. Zur Zeit dieses Aufsatzes<br />

war das Langhaus wegen Restaurierungsarbeiten<br />

eingerüstet und nicht zugänglich.<br />

66<br />

p 1 = 0,3206 m<br />

p 2 = 0,3054 m<br />

Abb. 16: Ebrach, ehem. Zisterzienserabtei-Kirche, Michaelskapelle und Teil der Hauptkirche, Grundriss, M 1:200.<br />

An die Nordseite des nördlichen Querschiffs<br />

schließt sich mit gemeinsamer Mittelwand die einschiffige<br />

Michaelskapelle an (Abb. 16, Taf. 46). Sie<br />

wurde ebenfalls 1200 begonnen, aber schon 1207<br />

geweiht. Das Schiff enthält zwei schmale und ein<br />

fast quadratisches Joch (Taf. 47). An dessen Ostseite<br />

schließt sich mit einer großen, spitzbogigen<br />

Öffnung ein zweigeschossiger, kreuzförmiger Ostteil<br />

aus vier quadratischen Jochen an, zu dessen<br />

Obergeschoss eine breite Freitreppe hinaufführt<br />

(Taf. 48). Das südliche Querschiffquadrat schneidet<br />

in auffälliger Weise in die nördlichste Kapelle


Taf. 47: Ebrach, ehem. Zisterzienserabtei-Kirche,<br />

Innenansicht der Michaelskapelle von Osten. – Foto:<br />

Hanisch.<br />

Taf. 48: Ebrach, ehem. Zisterzienserabtei-Kirche, Innenansicht der Michaelskapelle<br />

von Westen. – Foto: Hanisch.<br />

67


des Querschiffs der Hauptkirche ein. Außerdem<br />

ist die Achse des Ostteils um etwa einen halben<br />

Meter gegenüber dem Schiff nach Norden verschoben.<br />

Schiff und Ostteil sind innen durch flache<br />

Wandnischen, teilweise in Dreipassform und<br />

mit eingestellten, kleinen Säulen reich gegliedert.<br />

101<br />

Kirche und Michaelskapelle wurden in den letzten<br />

Jahren durch Wolfgang Wiemer neu vermessen. 102<br />

Sein Aufmaß sollte dazu dienen, mit Hilfe eines<br />

von ihm entwickelten Computer-Programms<br />

durch die Analyse der Proportionen das verwendete<br />

Maßsystem zu gewinnen. 103 In seinen bisherigen<br />

Berichten hat W. Wiemer jedoch erklärt, dass das<br />

tatsächlich verwendete Konstruktionsmaß nicht<br />

gefunden werden konnte, aber in der Nähe von<br />

0,3200 m liegen müsse. 104<br />

Der Verfasser hat inzwischen die Michaelskapelle<br />

und im Querschiff der Hauptkirche charakteristische<br />

Strecken vermessen. Die dienstartigen, klassizistischen<br />

Wandvorlagen konnten dabei auf einfache<br />

Weise übermessen werden. Zuvor konnte er<br />

im erzbischöflichen Bauamt Bamberg eine Aufmaßzeichnung<br />

einer Achse des Langhauses einsehen.<br />

Später wurde ihm dort auch ein älterer Planausschnitt<br />

mit Maßangaben überlassen (Abb.<br />

16). 105 Bei der Auswertung der Messwerte und der<br />

Aufmaßzeichnungen zeigte sich, dass der Ostteil<br />

der Kirche mit dem 0,3054 m langen, armenischen<br />

Fuß geplant und ausgeführt worden ist.<br />

Die Kapellen sind jeweils 14 Fuß (4,30 m) breit, die Abstände<br />

zwischen den Wandpfeilern der zweiten Kapelle von Norden und<br />

zwischen den beiden süd lichen sind 160 Unzen breit (4,05-4,06<br />

m). Die Wandpfeiler selbst sind 6 1 /2 Fuß breit (1,99-2,00 m). Die<br />

seitlichen Kapellenumgänge sind je 8 Fuß weit (2,445 m).<br />

Beim Aufmaß der Michaelskapelle stellte der Verfasser<br />

zunächst die gleiche Maßart fest, wobei<br />

jeweils die Abstände zwischen den Sockeln maßgebend<br />

waren.<br />

So sind die beiden schmalen Joche des Langhauses 12 Fuß (3,67 m<br />

und 3,655 m) lang und 17 Fuß (5,185-5,195 m) breit. 106 Die<br />

Basen der Säulen des Zwischenbogens und der Wanddienste sind<br />

jeweils 15 Unzen (0,37-0,39 m) breit und springen 1 Fuß weit<br />

(0,30-0,31 m) vor. Der Abstand der Sockel des Bogens zwischen<br />

dem zweiten, schmalen und dem quadratischen Joch beträgt 12<br />

Fuß (3,67 m). Das quadratische Joch ist 200 Unzen (5,09-5,10 m)<br />

breit (d. h. 4 Unzen weniger als 17 Fuß) und 18 Fuß (5,52 m)<br />

lang.<br />

68<br />

Der zweigeschossige Querschiffs- und Chorabschnitt<br />

der Michaelskapelle ist jedoch mit dem<br />

0,3206 m langen, armenischen Fuß konstruiert<br />

worden.<br />

Die große Öffnung in Form eines Triumphbogens ist zwischen den<br />

Laibungen 10 Fuß (3,21 m) und zwischen den Sockeln der eingestellten<br />

Säulen 8 Fuß (2,58 m) weit. Die Gesamtbreite des Querschiffs<br />

beträgt 34 Fuß (10,935 m), wovon auf die Seitenarme je 12<br />

Fuß (3,85 m) entfallen. Das Chorquadrat ist 150 Unzen (12 1 /2<br />

Fuß, 3,99 m) breit und 14 Fuß (4,49 m) lang.<br />

Bauliche Details, wie Rundfenster, Fensterumrahmungen,<br />

Rundbogenfriese weisen wie bei allen<br />

romanischen Bauten ganz allgemein auf armenische<br />

Vorbilder hin. Andere Besonderheiten der<br />

Bauweise, die unmittelbare Vorbilder im armenischen<br />

Kirchenbau haben können, konnten wegen<br />

der klassizistischen Auskleidung der Kirche, und<br />

im Langhaus auch wegen der Einrüstung, nicht<br />

festgestellt werden. Dies bliebe einer gesonderten<br />

101 Gleichartige Wandgliederungen befinden sich bekanntlich<br />

auch in den beiden Chören des Bamberger Doms, dessen heutiger<br />

Bau ebenfalls um 1200 begonnen wurde (DEHIO I, S. 70<br />

ff., ferner v. WINTERFELD). Die Beziehungen zwischen den<br />

beiden, gleichzeitig begonnenen Bauten können hier nicht<br />

erörtert werden; dazu Hinweise weiter unten.<br />

102 WIEMER II, S. 26 ff., und die folgenden Anmerkungen.<br />

103 WIEMER III, S. 263: »Die Grundzüge des Analyseverfahrens<br />

bestehen darin, daß das (Computer-)Programm aus den Maßen deren<br />

Verhältnisse errechnet und diese ... mit den Referenzwerten einer Proportionsdatei<br />

vergleicht«.<br />

104 WIEMER III, S. 268, und Wiederholungen an anderen Stellen.<br />

105 Vermutlich von Jäger (1902), den WIEMER I, S. 3, Anm. 2,<br />

ebenfalls benutzt hat.<br />

Der Verfasser dankt an dieser Stelle Herrn Diözesanarchitekt<br />

Herbert van Beek für die Überlassung dieser Unterlagen und<br />

für seine weitere Unterstützung.<br />

106 Die Strecken verhalten sich wie 1 : √2, d.h. wie die Seite eines<br />

Quadrats zu seiner Diagonale. Dieses Verhältnis ist das Ergebnis<br />

des ersten Schrittes der quadratura, wie sie das Mittelalter<br />

verstand, d.h. eines bereits in der Antike geläufigen Verfahrens,<br />

bei dem ein Quadrat so halbiert wird, dass die Hälfte des Quadrats<br />

wieder ein Quadrat ist. Die auf diese Weise gewonnenen<br />

Strecken verhalten sich in fortlaufender Reihe bekanntlich<br />

immer wie 1 : 1 /2 x √2. Das wahrscheinlich im 13. Jh. entstandene<br />

Verfahren, die quadratura mit Hilfe der Triangulatur im<br />

sog. Achtort zu bilden, kann hier nicht vorgeführt werden. Dieses<br />

Verfahren ist für den Entwurf der Kirche auch unerheblich.


Untersuchung vorbehalten, die jedoch in den klassizistischen<br />

Bestand eingreifen würde.<br />

Im Inneren der Kapelle dürfte die dreipassförmige<br />

Ausgestaltung der Wandnischen mit den eingestellten<br />

Säulen (Taf. 49) auf ähnliche, zeitgleiche,<br />

armenische Vorbilder hinweisen (Taf. 50). 107 Die<br />

etwas unbeholfen wirkende Stellung der in die<br />

Raumdiagonale gerichteten Sockel der Diagonalrippen<br />

könnte dagegen damit erklärt werden, dass<br />

die Handwerker nicht mit der üblichen, orthogonalen<br />

Stellung der Sockel in einem Kreuzrippengewölbe<br />

vertraut waren, was man bei einheimischen<br />

Handwerkern voraussetzen müsste. 108<br />

Bauliche Merkmale werden deshalb zur Interpretation<br />

des Befundes nicht herangezogen.<br />

Im Zusammenhang mit den im Folgenden zu<br />

besprechenden Steinmetzzeichen belegt der Um -<br />

stand, dass die armenischen Maßarten nicht nur an<br />

einzelnen und isolierten Bauteilen, sondern durchgängig<br />

festzustellen sind, dass Abteikirche und<br />

Michaelskapelle von vornherein mit ihnen geplant<br />

wurden. Dies wiederum lässt den Schluss zu, dass<br />

der planende Architekt entweder selbst einer armenischen<br />

Steinmetz-Bruderschaft angehörte und<br />

vielleicht sogar einer ihrer Vorsteher war, oder dass<br />

er mindestens der Tradition einer Bruderschaft<br />

entstammte. In jedem Fall dürfte er dem durch die<br />

Bruderschaften geprägten Bauwesen so nahe gestanden<br />

haben, dass er deren Maßarten selbstverständlich<br />

anwendete, obwohl mehrere europäische<br />

Maßarten zur Verfügung standen. 109 Er tat dies<br />

vermutlich auch in der Erwartung, dass an dem<br />

Neubau, wie schon an vielen anderen Neubauten<br />

dieser Zeit in Deutschland, armenische Bauhandwerker,<br />

sei es als Gruppen einer Bruderschaft, sei<br />

es als nicht organisierte Handwerker, arbeiten<br />

würden, für die die armenische Maßart eine selbstverständliche<br />

Grundlage ihrer Arbeit gewesen sein<br />

dürfte. Diese Erwartung hat sich, wie die armenischen<br />

Steinmetzzeichen zeigen, auch bestätigt.<br />

Wolfgang Wiemer hatte 1957 auch etwa 3.600<br />

erhaltene Steinmetzzeichen aufgenommen, teilweise<br />

kartiert und für einige von ihnen die Häufigkeit<br />

angegeben. 110 Die nach Bauteilen zu sam -<br />

men ge stellten Steinmetzzeichen vermitteln zunächst<br />

erneut den Eindruck der großen Vielfalt<br />

unterschiedlichster Zeichen und sodann häufig das<br />

fast beliebige Nebeneinander dieser unterschiedlichen<br />

Zeichen (Abb. 17). 111<br />

69<br />

107 Hovannawank, Klosterkirche, 13. Jh.; Dreipässe wurden häufig<br />

auch in isl - amischen Bauten gebildet, die in armenischer<br />

Bautradition stehen (HANISCH I, Abb. 11, Taf. 63, Inschrifttafel<br />

Al-Malik al-‘ - Adils; HANISCH II, Taf. 147, Torbogen mit<br />

Inschrift Al-Malik al-‘ - Adils).<br />

108 Auch im Bamberger Dom sind die im Grundriss etwa quadratischen<br />

Sockel der Eckdienste im (westlichen) Querschiff unter<br />

45° schräg in die Raumecken gestellt. Zum Bamberger Dom<br />

s. folgende Anmerkung.<br />

Wie schon von anderen Kunsthistorikern angenommen<br />

(DEHIO I, S. 238), deutet die Anordnung des Ostteils der<br />

Michaelskapelle auf eine erhebliche Planänderung hin, bei der<br />

vielleicht sogar die Außenecke der im Bau befindlichen Nordostkapelle<br />

der Hauptkirche wieder abgebrochen wurde. Die<br />

Maßanalyse belegt darüber hinaus, dass auch andere Bauhandwerker<br />

eingesetzt wurden. Der Anlass dafür muss von großer<br />

Wichtigkeit gewesen sein. Leider können hier nur Vermutungen<br />

angestellt werden. Da eine Verbindungstreppe zwischen<br />

dem Schiff und dem Untergeschoss des Ostteils ursprünglich<br />

nicht vorhanden war, kann man einen besonderen kultischen<br />

Zweck, etwa die Verehrung einer neuen Reliquie, vermutlich<br />

ausschließen. Die wahrscheinlichste Annahme ist, wie auch<br />

von W. Wiemer vermutet, dass das Untergeschoss als Bestattungsort<br />

vorgesehen worden war, zumal dort ein undatierbares,<br />

verschüttetes Grab gefunden wurde. Vielleicht sollten die<br />

sterblichen Reste der Königin Gertrud, der Gemahlin Konrads<br />

III. (gest. 1147 in Hersfeld) und ihres Sohnes Friedrich<br />

von Rothenburg (gest. 1167 bei Pavia), die noch im Vorgängerbau<br />

der heutigen Kirche beigesetzt worden waren, während<br />

des Neubaus der heutigen Kirche hierhin umgebettet werden,<br />

vielleicht sogar als endgültige Ruhestätte. Sie wurden jedoch<br />

1269 von einer unbekannten Stelle in die Hauptkirche überführt<br />

(WIEMER, S. 9 f.; DEHIO I, S. 240). Klarheit über den<br />

Charakter des Untergeschosses des Ostteils kann jedoch vermutlich<br />

nur eine nochmalige Grabung bringen. 1965 wurde bei einer<br />

Grabung zwar das erwähnte, verschüttete Grab gefunden,<br />

sonst offenbar aber keine weiterführenden Befunde festgestellt<br />

(WIEMER I, S. 10 f.).<br />

109 Fußmaße nach den Feststellungen des Verfassers: 0,2715 m<br />

(Kloster Eberbach, Dom zu Bamberg), 0,2880 m (Dom zu<br />

Bamberg), 0,2962 m (Römischer Fuß, Pfalzkapelle Aachen,<br />

s.u., Beispiel 10), 0,3248 m (Französischer Königsfuß, Kloster<br />

Eberbach), 0,3332 m (drusianischer Fuß, Dom zu Bamberg,<br />

St. Georg, Köln, s.u. Abschnitt 8). Der Neubau des Bamberger<br />

Doms von ca. 1185/1200 scheint nach stichprobenhaften<br />

Messungen des Verfassers zunächst mit einem 0,2880 m langen<br />

Fuß (»Baumaß«) begonnen, dann aber einheitlich mit dem<br />

0,3206 m langen Fuß umgeplant und ausgeführt worden zu<br />

sein; einige Sonderbauteile sind auch mit dem 0,3332 m langen,<br />

drusianischen Fuß ausgeführt worden.<br />

110 WIEMER I, Taf. I – III.<br />

111 Die verbreitete Annahme, dass es sich bei Steinmetzzeichen<br />

um persönliche Zeichen der einzelnen Handwerker handele, ist<br />

strittig; somit müssen auch gleich aussehende Zeichen nicht<br />

zwangsläufig von ein und demselben Handwerker stammen,<br />

wie WIEMER I an anderer Stelle (S. 18 f.) ebenfalls bemerkt.


Taf. 49: Ebrach, ehem. Zisterzienserabtei-Kirche, Dreipassblendnischen. – Foto: Hanisch.<br />

Taf. 50: Hovannawank, Klosterkirche, Dreipassblendnischen (13. Jh.). – aus:<br />

NOVELLO, Taf. 73.<br />

70


Abb. 17: Ebrach, ehemalige Abteikirche, Tabelle der Steinmetzzeichen.<br />

Die Analyse der Zeichen ergab ein fast gleiches<br />

Bild wie die Analyse der Steinmetzzeichen in den<br />

Burgen der Kreuzfahrerstaaten (Abb. 4). Es lassen<br />

sich zwölf Gruppen unterscheiden:<br />

1. Abbilder religiöser Symbole (31 Zeichen),<br />

darstellend Kreuze, darunter armenische<br />

Kreuze, Halbkreuze, Stelen, Katschkare,<br />

Lebensbäume, und vermutlich ein europäisches<br />

Zeichen, die Heilige Lanze. Ein Zeichen<br />

stellt Christus dar, der die Arme ausbreitet,<br />

aber ohne Kreuz dargestellt ist. 112 Zwei Kreuze<br />

haben ihre identische Entsprechung in einem<br />

Kreuz in der armenischen Burg Lamprun<br />

(Abb. 4). Katschkare oder Kreuz steine, hier in<br />

vereinfachter Darstellung, sind in Armenien<br />

in unzähligen Exemplaren erhalten und häufig<br />

mit größter Kunstfertigkeit ausgeführt. Der<br />

Lebensbaum, hier ebenfalls in vereinfachter<br />

Darstellung, hat in Armenien seit dem Mittelalter<br />

eine herausragende, religiöse Bedeutung.<br />

71<br />

2. Abbilder heraldischer Gegenstände (14 Zeichen),<br />

darstellend Zepter, Dreieckschilde oder<br />

Wappen, Standarten oder Fahnen, heraldische<br />

Lilien, Bogen (Waffen),<br />

3. Abbilder von Messgeräten und Werkzeugen<br />

(5 Zeichen),<br />

darstellend Holzwinkel, einen Hammer und<br />

eine Schaufel,<br />

112 Eine ikonographische Interpretation dafür ist dem Verfasser in<br />

der europäischen Kunst nicht bekannt. Es sei aber darauf hingewiesen,<br />

dass nach byzantinischen Quellen des 8. und 10. Jhs.<br />

die Paulikianer die Verehrung des Kreuzes als eines hölzernen<br />

Gegenstandes ablehnten und erklärten, dass das »Wahre Kreuz«<br />

Christus selber sei, der seine Arme ausstreckt (GARSOIAN,<br />

S. 171 und Anm. 114). Die Verhüllung des Körpers Christi<br />

könnte ebenfalls eine Parallele in den Vorstellungen der Paulikianer<br />

haben, die die geweihten Bestandteile des gemeinsamen<br />

Gedächtnismahles (d.h. ohne die orthodoxe Transsubstantiation),<br />

Brot und Wein, verhüllt aufbewahrten.


4. Abbilder von Bauzeichnungen von Bauteilen<br />

(2 Zeichen),<br />

darstellend einen Steinverband und eine<br />

Säulen basis,<br />

5. Abbilder von Pflanzen und Tieren (5 Zeichen),<br />

darstellend einen Falken, einen Reiher (?) 113<br />

und Blätter,<br />

6. Abbilder von Bauteilen (1 Zeichen),<br />

darstellend die Radien eines spitzbogigen<br />

Ge wölbes über dessen Grundlinie,<br />

7. Armenische Buchstaben (12 Zeichen),<br />

8. Lateinische Buchstaben (49).<br />

9. Geometrische Zeichen (108 Zeichen),<br />

darstellend die Figuren der Definitionen und<br />

Propositionen aus dem 1. Buch der Elemente<br />

des Euklid (vergl. Abb. 2 und 3),<br />

10. Zeichen kryptographer Schriftarten (19 Zeichen),<br />

11. Gotische Zeichen (8 Zeichen),<br />

12. Unbekannte Zeichen (16 Zeichen).<br />

Die meisten Zeichen der 1. Gruppe, sowie die Zeichen<br />

der 7., 9. und 10. Gruppe können mit Sicherheit<br />

armenischen Steinmetzen zugeordnet werden.<br />

Das kryptographe Zeichen, das wie ein Doppelbogen<br />

mit nach unten verlängerter Mittellinie aussieht<br />

(Nr. 59 und 67), ist ein noch deutlicherer<br />

Beleg dafür. Es hat eine Parallele in einem Steinmetzzeichen<br />

auf einem Kapitell im staufischen<br />

Kastel von Bari (um 1240), wo es in einer Steinmetzinschrift<br />

im Namen des armenischen Steinmetzen<br />

MELIS an Stelle des lateinischen Buchstabens<br />

M verwendet ist (Taf. 51). 114 Ein weiteres<br />

kryptographes Zeichen, das wie ein um 90°<br />

gedrehter, kursiv geschriebener lateinischer Buchstabe<br />

M aussieht, wird noch einmal erwähnt.<br />

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die zahlreichen<br />

Zeichen, die armenische Symbole und<br />

Buchstaben darstellen, dann vor allem die Fülle<br />

von geometrischen Zeichen, die nach wie vor den<br />

Elementen des Euklid, und die Fülle der Zeichen,<br />

die kryptographen Schriftarten entnommen sind,<br />

erneut belegen, dass im Laufe der langen Bauzeit<br />

immer wieder zahlreiche armenische Steinmetzen<br />

arbeiteten, von denen die meisten den klassischen,<br />

armenischen Bruderschaften entstammten. 115<br />

Diese Hauptgruppe hebt sich deutlich von den<br />

gegenständlichen Zeichen ab, die als die Zeichen<br />

einheimischer Steinmetzen angesehen werden<br />

72<br />

müssen. Ungeachtet der geringeren Zahl dieser<br />

Zeichen dürfte die tatsächliche Zahl der Steinmetzen<br />

größer gewesen sein. Die Vielfalt der Zeichen<br />

spiegelt dabei in ähnlicher Weise wie in den<br />

Kreuzfahrerstaaten das gleichzeitige Wirken ein-<br />

113 In 70 Exemplaren!<br />

114 MILIS ist die latinisierte Form des armenischen Namens Mleh;<br />

s. dazu III, Die Träger der Entwicklung.<br />

115 An dieser Stelle muss einem Einwand vorgebeugt werden, der<br />

vermutlich bei allen europäischen Beispielen, in denen die<br />

»euklidischen« Zeichen systematisch verwendet wurden, vorgebracht<br />

werden könnte: Der Einwand, dass diese Zeichen zusammen<br />

mit dem Lehrbuch des Euklid über die Elemente entweder<br />

aus griechisch geschriebenen Werken oder aus lateinischen<br />

Übersetzungen, vor allem des Boethius, auch in Europa<br />

bestens bekannt gewesen wären, und dass die Zeichen deshalb<br />

auch von europäischen Steinmetzen stammen müssten. Der<br />

Nachweis dafür ist aber nicht zu führen. Für die Kenntnis der<br />

griechischen Urfassung der Elemente im Mittelalter in Europa<br />

scheint es bis jetzt überhaupt keine Belege zu geben. Aber<br />

auch die Kenntnis der lateinischen Übersetzung der Elemente<br />

durch Boethius dürfte gering gewesen sein, im Gegensatz zu<br />

der seiner anderen Werke. Während sein bekanntestes Werk de<br />

consolatione philosophiae in den Bibliotheks-Verzeichnissen mittelalterlicher<br />

Klöster etwa 400 mal aufgeführt wird, sind heute<br />

nur 18 Klöster bekannt, die den Text von Boethius’ Geometria<br />

II, die seinen vollständigsten Text enthielt, oder Teile davon<br />

besaßen. Abgesehen davon, dass Boethius nur die Bücher 1-4<br />

der Elemente übersetzt hat, hat er von diesen auch nur die Definitionen,<br />

Axiome und Propositionen übersetzt, dagegen nicht<br />

die Beweise. Dadurch war dieses Buch von vornherein als mathematisches<br />

Lehrbuch nicht geeignet. Außerdem sind diese<br />

Texte teilweise fragmentarisch und stellenweise korrupt überliefert.<br />

Für die geringe Akzeptanz kommt hinzu, dass die Kopisten<br />

von der jeweiligen Vorlage immer auch deren Fehler<br />

übernahmen, was zeigt, dass sie den mathematischen Text<br />

offenbar nicht verstanden. In den überlieferten Texten finden<br />

sich auch keine Marginalien von fremder Hand, die auf einen<br />

mathematisch kundigen Bearbeiter hinweisen. Ein Musterbeispiel<br />

für einen derartigen, unkritisch weitergegebenen Text bildet<br />

die in Erlangen aufbewahrte, vollständige Fassung der Geometria<br />

II aus dem 12. Jh. Erst nach dem Vorliegen der Übersetzung<br />

der Elemente aus dem Arabischen in das Lateinische<br />

durch Adelard von Bath um 1120 und etwas später durch Hermann<br />

von Kärnten und Gerard von Cremona war es möglich,<br />

auch den überlieferten lateinischen Text des Boethius zu rekonstruieren.<br />

Ein Beispiel dafür bildet die um 1200 entstandene,<br />

sich in Lüneburg befindliche Fassung (s. Anm. 28). (Zu<br />

den vorstehenden Bemerkungen FOLKERTS, dem sie in aller<br />

Kürze entnommen sind.) Unter diesen Umständen ist es auszuschließen,<br />

dass deutsche oder andere europäische Steinmetzen<br />

bis zur Mitte des 13. Jhs. und noch darüber hinaus in<br />

einem derartigen Umfang Kenntnis von den Figuren der Elemente<br />

besaßen, dass sie im Stande waren, sie als einheitliches<br />

Kennzeichen ihrer beruflichen Zusammengehörigkeit zu verwenden.


Taf. 51: Castel Bari, Innere Eingangshalle, Adlerkapitell mit Inschrift „MILIS“. – Foto:<br />

Hanisch.<br />

Taf. 52: ehem. Stiftskirche St. Georg, Krypta, Bauinschrift auf einem Kapitell. – Foto:<br />

Hanisch, Ruth.<br />

73


zelner Steinmetzen oder kleiner Gruppen, aber<br />

auch das Fehlen einer auf eine Einheitlichkeit ausgerichteten<br />

Organisationsform wider. Ein Zusammenschluss<br />

dieser Steinmetzen zu einer Steinmetz-Bruderschaft<br />

und damit zu einer festen Bauhütte<br />

ist noch nicht zu erkennen.<br />

8. Ehemalige Stiftskirche St. Georg zu Köln 116<br />

Das folgende Beispiel ist zwar von geringerer<br />

künstlerischer Bedeutung als die vorher beschriebenen,<br />

andererseits aber für die vorliegende Untersuchung<br />

wichtig, da zum ersten Mal in dieser<br />

Untersuchung ein Bauwerk beschrieben werden<br />

kann, dessen »romanische« Merkmale auch in<br />

ihren Beziehungen zueinander als armenisch nachgewiesen<br />

werden können.<br />

Die ehemalige Chorherren-Kirche wurde um<br />

1060 von dem später heilig gesprochenen Erzbischof<br />

Anno II. von Köln begonnen. Der Gründungsbau<br />

war eine dreischiffige, flachgedeckte<br />

Basilika mit Querschiff und ausgeschiedener Vierung,<br />

einer Ostapsis und einer Westapsis (Abb.<br />

18, unten). Das Chorquadrat war von den beiderseitigen<br />

Abschnitten der Seitenschiffe durch Wände<br />

getrennt. Unter dem Chor und diesen Abschnitten<br />

der Seitenschiffe befindet sich eine insgesamt<br />

fünfschiffige Unterkirche. Der Grundriss<br />

der Ostapsis bildete ursprünglich ein halbes Zehneck.<br />

Die kurzen Querschiffe waren – und sind<br />

auch heute wieder – tonnengewölbt. Vermutlich<br />

war auch das Chorquadrat ursprünglich tonnengewölbt,<br />

wie man aus den chorseitigen Bogenfriesen<br />

im oberen Teil der Trennwände schließen kann.<br />

Die Querschiffe waren außerdem in einer für Europa<br />

neuartigen Weise durch außen vorstehende<br />

Strebenischen abgeschlossen, deren Wände zuerst<br />

ein kurzes Stück rechtwinklig zur Giebelwand<br />

standen, dann aber drei Seiten eines halben Sechsecks<br />

bildeten (s. o., I, 2.3 e). Ihre Außen- und<br />

Innenseiten waren, wohl schon ursprünglich, jeweils<br />

durch flache Blendnischen gegliedert, die<br />

Innenseiten außerdem noch durch flache Rundnischen,<br />

so dass innen der Eindruck einer runden<br />

Apsis entstand. Die Stützen der Langschiffwände<br />

bestehen aus antiken Säulen, deren angearbeitete,<br />

wahrscheinlich ursprünglich attischen Basen in<br />

un geschickter Weise flach abgearbeitet worden<br />

sind. Die Kapitelle sind Würfelkapitelle (s. o., I,<br />

2.3 n).<br />

74<br />

Um 1150 wurden Mittelschiff, Seitenschiffe, Vierung<br />

sowie das Chorquadrat mit Kreuzgewölben<br />

eingewölbt, das Chorquadrat offenbar nach Abbruch<br />

des bisherigen Tonnengewölbes. Für die<br />

Einwölbung des Mittelschiffs wurden in der Mitte<br />

der Längsschiffwände neue, kreuzförmige Pfeiler<br />

eingebaut und für die Einwölbung des Chorquadrats<br />

die östlichen Chorpfeiler nach Osten zu verstärkt.<br />

Außerdem scheint die heutige Ostapsis<br />

damals erneuert worden zu sein, wie die Maßanalyse<br />

ergibt. Um 1180 wurde nach dem Abbruch<br />

der alten Westapsis an gleicher Stelle in der Breite<br />

des Mittelschiffs ein monumentaler Westabschluss<br />

mit quadratischem Grundriss errichtet,<br />

der innen einen zweigeschossigen Westchor bildete.<br />

Seine Innenwände sind im Erdgeschoss durch<br />

je drei Blendnischen mit flachen Apsiden und eingestellten<br />

Säulen und im Obergeschoss jeweils<br />

durch eine gleichartige Nische und zwei kleine<br />

Doppelarkaden mit Mittelsäule gegliedert. Es<br />

scheint, dass der eingeschossige Bau ursprünglich<br />

noch ein oder mehrere Obergeschosse erhalten<br />

sollte.<br />

Wahrscheinlich im Zuge der Barockisierung der<br />

Kirche am Ende des 18 Jhs. wurden die Querschnittsarme<br />

mit den polygonalen Strebenischen<br />

abgebrochen. 117 Seit 1877 wurde die Kirche durchgreifend<br />

restauriert, 1927-1930 noch ein zweites<br />

Mal, diesmal unter Wiederherstellung der Strebenischen.<br />

Im 2. Weltkrieg wurde der Ostteil des<br />

Langhauses, die Vierung und der Chor fast völlig<br />

zerstört. Nach 1949 wurden die zerstörten Bauteile<br />

in der angenommenen Fassung von 1060/1150<br />

wieder aufgebaut (Taf. 53).<br />

116 Der folgende Abschnitt ist die erweiterte und umgestaltete<br />

schriftliche Fassung eines auf dem Kongress ORDO ET MEN-<br />

SURA VII, München 2001, vorgetragenen Kommentars des<br />

Verfassers zu ROTTLÄNDER II (nicht veröffentlicht).<br />

Beschreibungen der Kirche in: KUNSTDENKMÄLER, S.<br />

330 ff.; DEHIO II, S. 334 ff., v.a. SCHORN.<br />

117 In der o.a. Literatur wird für den Abbruch ein Zeitpunkt am<br />

Anfang des 19. Jhs. angenommen. Andererseits ist in einer in<br />

der Kirche aufgestellten, spätbarocken Büste der hl. Anno, der<br />

Stifter der Kirche, mit einem Kirchenmodell dargestellt, bei<br />

dem der charakteristische Westturm korrekt wiedergegeben<br />

ist, die Querschiffe aber bereits fehlen.


Taf. 53: Köln, ehem. Stiftskirche St. Georg, Blick aus<br />

dem Westbau nach Osten. – aus: KUNSTDENK -<br />

MÄLER, Taf. XXVII.<br />

Taf. 54: Köln, ehem.<br />

Stiftskirche St. Georg,<br />

Krypta. – aus: KUNST-<br />

DENKMÄLER, Fig. 197.<br />

75


Abb. 18: Dwin, Kathedrale (oben), Thalin, Kathedrale (Mitte), Köln, St. Georg (unten), Grundrisse, ohne Maßstab.<br />

76


Die Kirche wurde kürzlich von Rolf Rottländer<br />

im Rahmen einer Untersuchung romanischer Kirchen<br />

in Köln untersucht. 118 Er wollte mit Hilfe der<br />

verwendeten Maßart klären, ob und gegebenenfalls<br />

inwieweit die Kirche aus einem römischen<br />

Bauwerk hervorgegangen sei, und ob von diesem<br />

und vor allem von der angenommenen römischen<br />

Maßart wesentliche Dispositionen für den Grundriss<br />

ausgegangen wären. Er stellte zunächst fest,<br />

dass dies nicht der Fall war, entwickelte dann aber<br />

weitergehende Vorstellungen, die in der Anmerkung<br />

119 kurz erörtert werden.<br />

Zur Überprüfung seiner Angaben hat der Verfasser<br />

ein neues, nahezu vollständiges Aufmaß erstellt.<br />

Dies hat zunächst die von R. Rottländer festgestellten,<br />

auffälligen Abweichungen von vermutlich<br />

gleichlang intendierten Sollmaßen bestätigt, dann<br />

aber gezeigt, dass Rottländers postulierte Maßarten<br />

und schließlich seine umfangreichen Schlüsse<br />

daraus nicht zutreffen. 119 Da einige Meßergebnisse<br />

des Verfassers aber Grenzwerte bestimmter Mittelwerte<br />

zu sein schienen und im Einzelnen auch als<br />

konk re te Maße vorkommen, ergab die Analyse,<br />

dass der Gründungsbau des 11. Jhs. mit dem<br />

0,3054 m langen, armenischen Fuß und die Einwölbung<br />

des 12. Jhs. mit dem 0,3206 m langen,<br />

armenischen Fuß ausgeführt worden sind. Im<br />

Westbau wurde als weitere Maßart der 0,3332 m<br />

lange, drusianische Fuß festgestellt, der häufig auch<br />

als der »karolingische« Fuß bezeichnet wird. Der<br />

Westchor wird hier nicht weiter behandelt.<br />

Das Mittelschiff des annonischen Baus ist demnach zwischen den<br />

Sockelplatten der Säulen 25 Fuß breit (i. M. 7,635 m), die Sockelplatten<br />

sind im Quadrat 2 1 /2 Fuß groß (i. M. und mehrfach genau<br />

0,765 m), die Seitenschiffe sind ohne die zu der späteren Einwölbung<br />

gehörenden Wandsockel 12 Fuß breit (i. M. und mehrfach<br />

genau 3,665 m). Der Soll- und Mittelwert der inneren Breite<br />

beträgt demnach 54 Fuß (16,493 m). 120 Die Interkolumnien zwischen<br />

den Sockelplatten sind etwas mehr als 8 Fuß weit (i. M. 8,10<br />

Fuß, 2,473 m). Die Länge des Mittelschiffs beträgt zwischen Triumphbogen<br />

und Westwand 53 Fuß (16,16 m). Die Vierung ist<br />

geringfügig weniger als 25 Fuß (gemessen 24,38 Fuß) breit und<br />

etwas mehr als 25 Fuß (gemessen 25,28 Fuß) lang. Das Chorquadrat<br />

ist zwischen den Rundbogenfriesen im oberen Teil der Seitenwände<br />

23 Fuß (7,03 m) breit und 25 Fuß (7,63 m) lang. Die<br />

Querschnitts arme wurden nicht gemessen, da sie 1877 rekonstruiert<br />

worden sind. Auch die Mauerstärke der Außenwände des<br />

Langhauses wurde nicht gemessen, da diese nach der Kriegszerstörung<br />

weitgehend neu erstellt worden sind. Sie soll nach Rottländer<br />

i. M. 0,991 m = 40 Unzen (1,018 m) betragen. Intendiert war<br />

möglicherweise 0,915 m = 3 Fuß.<br />

77<br />

Die Abfolge der intendierten Quermaße des Langhauses dürfte<br />

demnach: 3 Fuß bzw. 40 Unzen > 12 Fuß > 2 1 /2 Fuß = 30 Unzen<br />

> 25 Fuß = 300 Unzen > 2 1 /2 Fuß = 30 Unzen > 12 Fuß > 3 Fuß<br />

bzw. 40 Unzen = 60 Fuß (18,32 m) bzw. 60 Fuß plus 8 Unzen<br />

(18,52 m) betragen haben, gegenüber Rottländers Ermittlung von<br />

18,41 m.<br />

Die frühstaufischen Zwischenpfeiler fügen sich in die beschriebene<br />

Maßstruktur ein. Ihre Seiten sind der älteren Maßart angepasst<br />

und sind 2 1 /2 Fuß (0,75 m) und 3 Fuß (0,92 m) lang. Alle anderen<br />

Abmessungen sind aber eindeutig mit dem 0,3206 m langen<br />

Fuß zu messen. Die Seiten der Sockelplatten der neuen Zwischenpfeiler<br />

sind 5 Fuß (1,61 m), ca. 52 Unzen (4 3 /4 Fuß, i. M. 1,43 m),<br />

45 Unzen (3 3 /4 Fuß, 1,20 m) und 40 Unzen (1,08 m) lang. Die<br />

Innenseiten der verstärkten, östlichen Vierungspfeiler sind 50<br />

Unzen (1,35 m) lang. Die halbrunde Apsis ist 250 Unzen (6,68 m)<br />

breit, ihre zum Chorquadrat hin verlängerten Seiten sind 70 Unzen<br />

(1,86 m) lang. Die letzten Beobachtungen belegen demnach,<br />

dass die Einwölbung des Chorquadrats und die Anfügung der<br />

halbrunden Apsis Bestandteile des frühstaufischen Umbaus sein<br />

müssen.<br />

Bereits die offenkundige Verwendung der beiden<br />

Fußmaße lässt auf die Tätigkeit armenischer Bauhandwerker<br />

beim Bau der Kirche schließen. Überraschend<br />

ist, dass dies für einen Zeitraum von<br />

mindestens 90 Jahren zutrifft, was auf eine inzwischen<br />

in Köln etablierte Bautradition oder sogar<br />

auf eine inzwischen ansässig gewordene Steinmetz-Bruderschaft<br />

schließen lässt. Ein Schlaglicht<br />

auf diese Präsenz armenischer Gruppen in Köln<br />

wirft ein Ereignis von 1143 oder 1146, auf das im<br />

Schlusskapitel noch eingegangen wird.<br />

118 s. Anm. 116.<br />

119 Da ROTTLÄNDER II nicht zuvor den baulichen Befund analysiert,<br />

unterscheidet er nicht zwischen der 1. und der 2. Bauphase,<br />

sondern fasst die gemessenen oder aus der Literatur<br />

übernommenen oder aus Plänen abgegriffenen (!) Einzelmaße<br />

zusammen und errechnet mit Hilfe seines bekannten Rechnerprogramms<br />

aus diesem Mischwert 2 verschiedene Fußmaße:<br />

Für die Nordsüd-Strecken einen 0,288 m langen Fuß (»Baumaß«,<br />

Code A3) und für die Ostwest-Strecken und das Chorquadrat<br />

eine von ihm postulierte, 0,4147 m lange kleine Elle<br />

der »Nippur-Elle« (Code A1). Diese Annahme ist bereits aus<br />

der Praxis der Ausführung unrealistisch, dann aber vor allem<br />

auf Grund der Analyse der Bauphasen. Auf seine Folgerungen<br />

braucht nicht eingegangen werden.<br />

120 In KUNSTDENKMÄLER, S. 339, mit 16,47 m angegeben.


Auch die besondere Art des Grundrisses dürfte das<br />

Werk eines armenischen Baumeisters sein. Der<br />

Vergleich mit den Grundrissen von zwei sehr alten<br />

Kirchen in Armenien (Abb. 18 oben und Mitte),<br />

der Kathedrale von Dwin (erbaut 607, zerstört<br />

686), und der Kathedrale von Thalin (erbaut in<br />

der 2. Hälfte des 7. Jhs., als Ruine einschließlich<br />

der Würfelkapitelle noch erhalten; Taf. 11), zeigt<br />

zum einen eine Eigentümlichkeit armenischer<br />

Querschiffe bei Langbauten, nämlich ihre Anordnung<br />

in der Mitte der Kirche. Vor allem aber zeigt<br />

er die Anordnung der polygonalen Strebenischen<br />

am Chor und an den Stirnseiten der Querschiffe (s.<br />

o. I, 2.3 e). Insofern ist der Grundriss der Kirche<br />

St. Georg eine fast genaue Kopie des Grundrisses<br />

der Kathedrale von Dwin. Im 13. Jh. wurde die<br />

An ordnung polygonaler und später halbrunder<br />

Strebenischen ein typisches Merkmal Kölner Kirchen.<br />

Steinmetzzeichen befinden sich in geringer Zahl<br />

nur an dem Westbau, der hier nicht beschrieben<br />

wird. Sie entsprechen weitgehend den europäischen<br />

Zeichen, die am Beispiel der Abteikirche<br />

Ebrach beschrieben worden sind. Geometrische<br />

Zeichen fehlen fast ganz.<br />

Ein einzelnes Steinmetzzeichen findet sich jedoch<br />

in der bekannten, aber stets unverstandenen<br />

Inschrift auf einem Kapitell in der Unterkirche<br />

direkt neben dem Altar. Die Inschrift lautet<br />

»HEREBRAT ME FECIT« (Taf. 52). Der Eigenname<br />

ist nicht latinisiert und demnach ein originaler<br />

Name. Die Inschrift muss wie folgt gelesen<br />

werden: »Her Ebrat me fecit«. Danach ist der<br />

Eigenname armenisch und so zu übersetzen: her<br />

(auch heir, volkstümlich für armenisch haisch):<br />

»Vater«, als Titel eines Geistlichen wie lateinisch<br />

pater, und ebrat (volkstümlich für armenisch eprat<br />

oder efrat): »Euphrat«. Der Träger dieses Names<br />

wurde demnach als armenischer Geistlicher aus<br />

der Region des Euphrat angesehen. Er wurde entweder<br />

so genannt, weil man seinen wirklichen<br />

Namen nicht aussprechen konnte und ihn deshalb<br />

nach seinem Herkunftsland benannte, und er<br />

nannte sich dann auch selbst so, oder er hieß wirklich<br />

so, obwohl dieser Name sonst nicht als Eigenname<br />

belegt ist. Er kann diesen Namen aber bei<br />

der Priesterweihe angenommen haben, weil der<br />

Euphrat als einer der heiligen Ströme des Paradieses<br />

verehrt wurde.<br />

78<br />

In der Inschrift, deren lateinische Buchstaben im<br />

Übrigen ungelenk wirken und auch Schreibfehler<br />

enthalten, ist der Buchstabe M im Wort ME durch<br />

ein Steinmetzzeichen ersetzt, das, wie oben bereits<br />

erwähnt, wie ein kursiv geschriebenes M aussieht<br />

(Taf. 52). Dieses Zeichen dürfte einer armenischen,<br />

kryptographen Schriftart entnommen sein. Beide<br />

Merkmale belegen, dass der Baumeister Armenier<br />

war.<br />

Zusammenfassend kann man feststellen: Die Verwendung<br />

der armenischen Maßarten, die Übernahme<br />

eines im armenischen Kirchenbau hochwichtigen<br />

Grundrisses und die Dokumentation<br />

des armenischen Namens eines der Baumeister<br />

oder überhaupt des Baumeisters belegt erstmalig<br />

in Deutschland die Identifizierung einer bisher<br />

normalerweise als »romanisch« angesehenen Kirche<br />

als ein Bauwerk, das unmittelbar in der armenischen<br />

Bautradition steht und wahrscheinlich<br />

von einem armenischen Baumeister geplant und<br />

erbaut wurde.<br />

9. Ehemalige Benediktinerabtei-Kirche St.<br />

Peter und Paul in der Mehrerau in Bregenz 121<br />

Anlässlich des Umbaus der von 1855-59<br />

stammen den Kirche der heutigen Zisterzienserabtei<br />

Mehrerau in Bregenz wurden 1962 die Fundamente<br />

der Vorgängerbauten freigelegt und wissenschaftlich<br />

untersucht. Besonderes Interesse galt<br />

dabei den Res ten der Kirche der damaligen Benediktinerabtei.<br />

122 Diese war eine kreuzförmige,<br />

wahrscheinlich flach gedeckte Säulen-Basilika mit<br />

geradem Chorabschluss in der schlichten Ordnung<br />

der Hirsauer Schule. Sie war 1097 begonnen worden<br />

und wurde 1740 ab ge brochen, um einer Kirche<br />

von Johann Michael I. Beer (von Bildstein,<br />

1696-1780) nach dem Entwurf von Franz Anton<br />

121 In dem eingangs zitierten Vortrag des Verfassers in Bregenz<br />

bildete dieses Kapitel den Schluss seiner Ausführungen. Aus<br />

redaktionellen Gründen, d.h. im Hinblick auf das letzte Beispiel,<br />

wird es hier vorgezogen.<br />

122 MÜNSTER I; MÜNSTER II.


Abb. 19: Bregenz/Mehrerau, ehem. Benediktinerabtei-Kirche St. Peter und Paul, Grundriss, Bereich der östlichen Vie -<br />

r ungspfeiler.<br />

Beer (1688-1749) Platz zu machen, die ihrerseits<br />

1808 abgebrochen wurde (Taf. 55). 123<br />

Der Chorraum der romanischen Kirche wurde<br />

wäh rend der Bauausführung um ca. 0,50 m er -<br />

höht. Während das Mauerwerk der Fundamente<br />

der Kirche aus regelmäßigen Lagen großer Kiesel<br />

in äußerst festem und harten Verband bestand,<br />

war das Mauerwerk der erhöhten Abschnitte im<br />

Chorraum aus Hausteinen gemauert. Die Seitenwände<br />

des Chorquadrats waren in zwei Arkaden<br />

mit einer Säule dazwischen aufgeteilt, die des<br />

Langhauses nach den bisherigen Annahmen in je<br />

sechs Arkaden mit fünf Säulen.<br />

Die Vierungspfeiler bestanden, wie auch sonst üblich,<br />

aus einem quadratischen Kern und Pfeilervorlagen<br />

an den vier Seiten, die die Auflager der<br />

hier anzunehmenden Arkadenbögen bildeten.<br />

Durch diese Bögen wurde die Vierung ausgeschieden,<br />

was die notwendige Voraussetzung für den<br />

nachgewiesenen Vierungsturm war. Der Grundriss<br />

der Pfeiler bildete demnach ein gedrungenes Grie-<br />

79<br />

chisches Kreuz und bestand aus einer unteren und<br />

einer oberen Sockelplatte. Erhalten haben sich die<br />

Sockel der beiden östlichen Vierungspfeiler (Taf.<br />

56) und die quadratischen Sockelplatten der beiden<br />

Säulen in den Seitenwänden des Chorquadrats.<br />

Auf der Sockelplatte der südlichen Säule im Chorraum<br />

hat sich die runde Säulenbasis mit dem<br />

Abdruck des Säulenschafts, auf der nördlichen nur<br />

der Abdruck der Säulenbasis erhalten. Außerdem<br />

haben sich auf den beiden Wandvorlagen an der<br />

Ostwand die Abdrücke der Pfeilervorlagen, wenn<br />

auch sehr schwach, erhalten. In der Mitte der<br />

123 Zur Baugeschichte der Mehrerauer Kirchen s. u.a. Sandner,<br />

Oscar: Die ehemalige barocke Klosterkirche Mehrerau, in: Jahrbuch<br />

Vorarlberger Landesmuseumsverein 1949, S. 39 ff.; Amann,<br />

Eva Maria: Bruchstellen der Geschichte. Kirchbau in der Mehrerau,<br />

in: Meier-Dallach, Hans-Peter (Hrsg.): Augenblicke der Ewigkeit<br />

– Zeitschwellen am Bodensee, Lindenberg 1999, S. 191 ff.


Taf. 55: Bregenz/Mehrerau, ehem. Benediktinerabtei-Kirche St. Peter und Paul, Ansicht von Norden –<br />

aus: MÜNSTER I, Abb. 1.<br />

Taf. 56: Bregenz/Mehrerau, ehem. Benediktinerabtei-Kirche St. Peter und Paul, Fundamentzone, Teilansicht<br />

von Norden. – Foto: Purrucker, Wolfgang.<br />

80


Westwand der Kirche ist die Schwelle des Haupteingangs<br />

erhalten.<br />

In der Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse<br />

von 1962 war auch eine Seitenansicht der<br />

romanischen Kirche im Zustand von 1663 abgebildet,<br />

in der der Vierungsturm und die Fenster<br />

des Obergadens des Langhauses dargestellt waren.<br />

Diese waren Rundfenster (s. o. I, 2.3 n) 124 . Diese<br />

ungewöhnliche Feststellung führte, wie schon am<br />

Beispiel des Ostturms der Zitadelle von Damas kus,<br />

dazu, die Reste der romanischen Kirche hinsichtlich<br />

der verwendeten Maßart zu untersuchen. 125<br />

Zu messen waren die Sockel und Grundplatten der<br />

östlichen Vierungspfeiler, die Ecken der seitlichen<br />

Eckpfeiler, die Basen und die Durchmesser der<br />

eingestellten Säulen der Chorwände, die Ostwand<br />

der Kirche und der Mittelteil der Westwand der<br />

Kirche mit der Türschwelle.<br />

Die Auswertung ergab, dass die Kirche ebenfalls<br />

mit dem 0,3206 m langen, armenischen Fuß, vor<br />

allem in Unzen, und dann im häufigen Wechsel<br />

beider Maßeinheiten konstruiert worden war.<br />

Nach dem alle erreichbaren Einzelmaße vorlagen,<br />

ergab sich folgendes Bild: 126<br />

Bei den östlichen Vierungspfeilern sind die Kreuzarme (Abb. 19)<br />

der unteren Platten der östlichen Vierungspfeiler 4 Fuß (1,27-1,29<br />

m) breit und 11 Unzen (0,295 m) lang, ihre ganze Länge beträgt<br />

demnach 70 Unzen (1,87 m). Die Kreuzarme der oberen Platten<br />

sind 3 Fuß (0,96-0,97 m) breit und ebenfalls 11 Unzen lang, die<br />

ganze Länge beträgt 58 Unzen (1,55 m). Die Abschrägungen der<br />

oberen Platten sind 2 Unzen (ca. 5 cm) breit und vermitteln so zu<br />

den jeweils 32 Unzen (0,86 m) breiten Seiten der Pfeilervorlagen.<br />

Auch die Seiten der Sockelplatten und der Durchmesser der beiden<br />

Säulen sind 32 Unzen lang. Der Durchmesser der Säulen<br />

betrug 20 Unzen (0,53 m).<br />

Der Abstand der gegenüberliegenden Seiten der unteren Sockelplatten<br />

der östlichen Vierungspfeiler beträgt 16 Fuß plus 2 Unzen<br />

(5,19 m). Wichtiger ist jedoch derjenige der westlichen Kreuzarme<br />

mit 18 Fuß (5,77 m ). Der Abstand der östlichen Kreuzarme<br />

ist nicht zu messen, weil diese dort durch die Erhöhung der Fundamentwände<br />

überbaut sind. Der Abstand der oberen Sockelplatten<br />

der westlichen Kreuzarme beträgt 19 Fuß (6,09 m). Der<br />

Abstand der gegenüberliegenden Pfeilerseiten betrug 2 Unzen<br />

mehr (ca. 6,20 m). Der Abstand der unteren Sockelplatte zu derjenigen<br />

in der Außenwand errechnet sich mit 9 1 /2 Fuß (3,05 m),<br />

derjenige zwischen der Pfeilerseite und der Seite der Wandvorlage,<br />

die gerade noch zu erkennen ist, mit 9 Fuß (2,88 m).<br />

81<br />

Nimmt man an, dass die Kämpferplatten über den Säulenkapitellen<br />

so groß waren wie die Sockelplatten, und dass die Ausladung<br />

gegenüber den Wänden des Obergadens – etwa analog zu anderen,<br />

romanischen Beispielen – jeweils 4 Unzen (ca. 6,7 cm) betrug, so<br />

errechnet sich die Stärke der Obergadenwände mit 2 Fuß (0,64 m),<br />

ihr Abstand voneinander mit 20 Fuß (6,41 m) und der Abstand<br />

zwischen einer Obergadenwand und einer Außenwand mit 11 Fuß<br />

(3,53 m). Die Weite der Arkaden im Chorraum beträgt jeweils 8<br />

Fuß – 4 Unzen (2,45 m), ihre Gesamtbreite zwischen Vierungspfeiler<br />

und Ostwand 19 Fuß (6,09 m).<br />

Die Vierung kann mit den vorgenannten Abmessungen<br />

ohne Schwierigkeit rekonstruiert werden,<br />

ebenso das Langhaus.<br />

Nimmt man in diesem gleich große Sockel (Länge 32 Unzen),<br />

Säulenbasen (Durchmesser 2 Fuß) und Säulendurchmesser (20<br />

Unzen) an wie im Chorraum, so betragen die Abstände der Sokkelplatten<br />

der ersten und der letzten Arkade je 8 Fuß, die der vier<br />

inneren Arkaden je 100 Unzen (2,672 m) und die Grundlinien der<br />

Arkaden je 9 Fuß (2,88 m). Die Gesamtlänge von Vierung und<br />

Langhaus zwischen der Verbindungslinie der Seiten der sich gegenüberliegenden<br />

Kreuzarme der östlichen Vierungspfeiler und<br />

der Kante der westlichen Türschwelle wurde mit 21,15 m und<br />

21,16 m, d. h. mit genau 66 Fuß gemessen (Abb. 20). 127<br />

124 In MÜNSTER I, S. 8, weist P. Kolumban Spahr darauf hin,<br />

dass derartige Rundfenster auch in anderen Kirchen des Bodenseeraums<br />

überliefert seien.<br />

125 Für die bereitwillig erteilte Genehmigung dazu und für sich<br />

anschließende, intensive Gespräche dankt der Verfasser herzlich<br />

Herrn Abt Dr. Kassian Lauterer. Er dankt sodann Herrn<br />

Architekt DI Wolfgang Purrucker, der an zwei Arbeitstagen<br />

seine Zeit für das gemeinsam durchgeführte Aufmaß opferte.<br />

126 Die Interpretation der Abmessungen durch W. Metzler und E.<br />

Vonbank, die davon ausgegangen waren, dass die verwendete<br />

Maßart ein 0,33 m langer Fuß gewesen sei, und dass dieser aus<br />

den Diagonalen des Vierungsquadrats ermittelt werden kann,<br />

(MÜNSTER II, S. 16) wird hier berichtigt. Allein die Zugrundelegung<br />

der Diagonale einer rechteckigen Fläche als Maßgrundlage<br />

muss schon deshalb ausscheiden, weil sie in Bezug<br />

auf das orthogonale System von Wand- und Pfeilerfluchten<br />

eine irrationale Zahl enthält (√2), die nicht in glatten Werten<br />

irgendeiner Maßart ausgedrückt und in der Praxis nicht dargestellt<br />

werden kann. Wenn sie dagegen ganze, natürliche Zahlen<br />

enthalten würde, müssten die Seiten der Rechtecke, die ja<br />

tatsächlich abgesteckt wurden, die irrationale Zahl √2 enthalten,<br />

was sich in der Praxis ebenfalls nicht darstellen lässt.<br />

127 Die von E. Vonbank, MÜNSTER II, S. 13, angegebenen<br />

Abmessungen konnten nicht verglichen werden, da in seinem<br />

Bericht die entsprechenden Messpunkte nicht angegeben worden<br />

sind.


Abb. 20: Bregenz/Mehrerau, ehem. Benediktinerabteikirche St. Peter und Paul, Grundriss rekonstruiert.<br />

82


Zusammenfassend ist erneut festzustellen, dass<br />

die angewendete Maßart armenisch ist. Sie<br />

ermöglicht sogar eine plausible Rekonstruktion<br />

fast des ganzen Grundrisses der Kirche. Auch die<br />

ungewöhnliche Verwendung von Rundfenstern<br />

an Stelle von Lang fenstern als einer typischen,<br />

armenischen Bauweise, weist darauf hin, dass die<br />

Mehrerauer Kirche in armenischer Bautradition<br />

errichtet wurde. Weitere Beweise für eine direkte<br />

Beteiligung armenischer Bauhandwerker<br />

beim Bau selbst können auf Grund der geringen<br />

Baubestandes aber nicht vorgelegt werden. Es ist<br />

jedoch darauf hinzuweisen, dass das Münster in<br />

Konstanz, wo von dem dortigen Peterskloster<br />

die Gründung der Abtei ausging, zum großen<br />

Teil ebenfalls mit der genannten armenischen<br />

Maßart geplant und ausgeführt wurde. Es<br />

scheint, dass in Konstanz der Mittelpunkt der<br />

armenischen Bautradition im Bodenseeraum zu<br />

suchen ist, analog zu dem angenommenen Zentrum<br />

in Köln. Die Darstellung der dortigen<br />

Maßarten bleibt einer besonderen Untersuchung<br />

vorbehalten. 128<br />

10. Ehemalige Pfalzkapelle Karls des Großen<br />

in Aachen<br />

10.1 Allgemeines 129<br />

Die zwischen ca. 785 und 810 errichtete Pfalzkapelle<br />

Karls des Großen in Aachen (Taf. 57<br />

und 58) ist bekanntlich seit 160 Jahren Gegenstand<br />

kunstgeschichtlicher und baugeschichlicher<br />

Untersuchungen und Betrachtungen,<br />

darunter auch solcher über die dem Bau zu<br />

Grunde liegende Maßart. 130 Dabei nimmt eine<br />

Gruppe von Forschern an, dass diese der 0,2962<br />

m lange, römisch-kapitolinische Fuß gewesen<br />

sei, weil Karl bei der Errichtung der Nova Roma<br />

in vielem auf römische Vorbilder zurückgegriffen<br />

habe, um damit zu dokumentieren, dass sein<br />

Imperiu m unmittelbar an das der römischen<br />

Kaiser anknüpfe, und dass er deswegen auch<br />

angeordnet habe, seine Kirche mit dem römischen<br />

Fuß zu bauen. 131 Die andere Hauptgruppe<br />

vertritt die Auffassung, dass die zu Grunde liegende<br />

Maßart der von Karl – angeblich – in seinem<br />

Reich eingeführte, 0,3328 m lange, karolingische<br />

Fuß gewesen sei, der ge wöhnlich mit<br />

dem vermutlich germanischen, in römischer<br />

Zeit an das römische Maßsystem angeglichenen,<br />

0,3332 m langen, drusianischen Fuß<br />

83<br />

gleichgesetzt wird. 132 Beide Gruppen können<br />

indessen nur jeweils eine einzige Kategorie von<br />

128 Auch die Daten weiterer Beispiele hat der Verfasser noch nicht<br />

aufgearbeitet. Diese sind in Niederösterreich die heutige Domkirche<br />

St. Mariä Himmelfahrt der ehemaligen Benediktinerabtei<br />

St. Pölten von ca. 1150, ferner wahrscheinlich die heutige<br />

Pfarrkirche St. Stephan von ca. 1168 und der Karner (Dreikönigskapelle)<br />

aus dem 13. (?) Jh. in Tulln sowie die heutige<br />

Pfarrkirche Mariä Geburt von ca. 1210 in Schöngarben; sodann<br />

im Rheingau die heutige Pfarrkirche St. Ägidius des ehemaligen<br />

Augustinerinnenklosters in Mittelheim aus dem 2.<br />

Viertel des 12. Jhs. sowie die heutige Pfarrkirche St. Johannes<br />

des Täufers des ehemaligen Benediktinerklosters Johannisberg<br />

vom Anfang des 12. Jhs., und in Mainz, von wo die Gründung<br />

beider Klöster ausging, der Dom.<br />

129 Der folgende Abschnitt ist die etwas erweiterte und umgestaltete<br />

schriftliche Fassung eines Referats des Verfassers auf dem<br />

Kongress ORDO ET MENSURA VII, München 2001 (nicht<br />

veröffentlicht).<br />

130 Bibliographie in: JANSEN, S. 394 ff.; kritische Stellungnahmen<br />

zu früheren Darstellungen: FLECKENSTEIN, S. 7 ff. und<br />

SIEBIGS, S. 95 ff.<br />

STRZYGOWSKI II stellte in seiner Kritik an der neubyzantinischen<br />

Ausgestaltung der Pfalzkapelle, wie nach seiner Grundeinstellung<br />

zu erwarten war, die Frage nach den verwendeten<br />

Maßarten nicht.<br />

131 So auch ROTTLÄNDER III, S. 152 f. Er begründet seine<br />

These mit einer einzigen Abmessung, dem Abstand der verkleideten<br />

(!) Außenseiten der Oktogonwände zu einander mit<br />

56 römischen Fuß, die gleich lang sind wie 32 Nippur-Ellen<br />

(16,56 m), und legt über den Grundriss ein quadratisches<br />

Raster aus 16 Quadraten mit der Seitenlänge von 16 Nippur-<br />

Ellen. Aus dieser Identifizierung mit der »Heiligen Elle« einerseits<br />

und der »vollkommensten Zahl« andererseits leitet er die<br />

besondere Heiligkeit des Bauwerks ab. Wie noch gezeigt wird,<br />

trifft aber bereits die metrologische Grundlage seiner Maßanalyse<br />

nicht zu.<br />

132 Diese Auffassung geht auf Cornelius Peter Bock zurück, der in<br />

einem, im Archiv des Aachener Domkapitels aufbewahrten Manuskript<br />

von 1843 (?) die These aufgestellt hatte, der innere<br />

Umfang des Oktogons wäre 144 Fuß lang und entspräche der<br />

in Apok. 21.17, angegebenen Länge der Mauer des »Himmlischen<br />

Jerusalems«. Dieser These folgten die meisten Forscher,<br />

ohne zu berücksichtigen, dass diese 144 Ellen die Dicke der<br />

Mauer bezeichnen und nicht die Länge, die in Apok. 21.16<br />

mit 12.000 Stadien angegeben wird. KREUSCH, S. 61 ff.<br />

setzte den so »ermittelten« Fuß mit dem von Karl d. Gr.<br />

angeblich eingeführten »karolingischen« Fuß gleich, und versuchte<br />

die 144 Fuß lange Strecke bei mehreren, achteckigen<br />

Zentralbauten nachzuweisen. Abgesehen davon, dass eine Einführung<br />

eines neuen Längenmaßes als Normgröße durch Karl


84<br />

Taf. 57: Aachen, ehem. Pfalzkapelle (Dom) St. Maria,<br />

Ansicht von Süden. – Foto: Kampf, August (1900).<br />

Taf. 58: Aachen, ehem. Pfalzkapelle (Dom) St. Maria,<br />

Erdgeschoss, Umgang, Untersicht der Gewölbe. – Foto:<br />

Kampf, August (1900).


Abmessungen in der Pfalzkapelle als Beleg für<br />

ihre These in Anspruch nehmen:<br />

die Vertreter der »römischen« These die Innenabstände<br />

der gegenüberliegenden Außenwände<br />

des Sechzehnecks mit den Einzelabmessungen<br />

von 29,34 m bis 29,95 m, was im Mittel von<br />

29,595 m annähernd 100 römisch-kapitolinischen<br />

Fuß (29,62 m) entspricht,<br />

die Vertreter der »karolingischen« These die<br />

Längen der Innenseiten des Oktogons mit den<br />

Einzelabmessungen von 5,97 m bis 6,015 m,<br />

was im Mittel von 5,987 m annähernd 18 drusianischen<br />

Fuß (5,9976 m) entspricht. 133<br />

Die zu Grunde liegenden, metrischen Abmessungen<br />

des Grundrisses sind – vermutlich oder tatsächlich<br />

– dem Plan mit dem Aufmaß durch den<br />

Karls-Verein von 1892 und den Plänen mit dem<br />

Aufmaß Josef Buchkremers von 1900 (Abb. 21)<br />

entnommen, die vor Beginn der Anbringung der<br />

Marmor- und Mosaikverkleidungen erstellt worden<br />

sind. 134 Der Plan des Karls-Vereins enthält u. a.<br />

die Abstände der Oktogonwände im Erdgeschoss,<br />

sonst aber nur wenige, verwendbare Abmessungen.<br />

Die Pläne J. Buchkremers enthalten dagegen<br />

fast vollständig die Abmessungen der Wandabschnitte<br />

und Öffnungsweiten, dagegen nicht die<br />

Wandabstände der Oktogonseiten. J. Buchkremers<br />

Aufmaß wurde später von einigen Forschern<br />

als unzuverlässig bezeichnet, u. a., weil nicht alle<br />

Punkte trianguliert worden wären. 135 Aber bereits<br />

die geradezu peinlich genaue Differenzierung der<br />

Maßangaben von in der Planung sicherlich gleichlang<br />

intendierten Strecken mit Unterschieden von<br />

5 Millimetern, gelegentlich von 2, 6 oder 8 Millimetern<br />

gegenüber einer Angabe in vollen Zentimetern,<br />

ist in Wirklichkeit der Ausdruck einer<br />

äußerst genauen Messung. Ebenso belegt die gelegentliche,<br />

nachträgliche Korrektur zunächst<br />

gemessener Abmessungen durch J. Buchkremer<br />

selbst seine sorgfältige Vorgehensweise. Schließlich<br />

hat eine stichprobenhafte Nachrechnung durch<br />

den Verfasser d ie Genauigkeit der Maßangaben<br />

bestätigt. 136<br />

10.2 Metrologische Untersuchung.<br />

a) Methode<br />

Die Abmessungen des Rohbaus der Kirche, deren<br />

Pfeiler aus Werksteinmauerwerk und deren Wände<br />

und Gewölbe aus verputztem Hausteinmauerwerk<br />

bestehen, lassen sich nach der seit 1900 in<br />

85<br />

mehreren Abschnitten erfolgten Verkleidung der<br />

Pfeiler und Wände mit Marmorplatten und der<br />

Gewölbe mit Mosaik nicht mehr neu ermitteln. 137<br />

Der Verfasser hat deshalb auf die Aufmaßpläne J.<br />

d. Gr. bekanntlich nicht nachzuweisen ist (im Gegensatz zu<br />

der einheitlichen Regelung der Hohlmaße, Gewichte und<br />

des Münzfußes), wurde die von KREUSCH, S. 71 f., als<br />

wichtigstes Referenzbeispiel angeführte »frühchristliche« (!)<br />

Kapelle Sto. Aquilino bei S. Lorenzo in Mailand, deren<br />

Grundriss eine vereinfachte Kopie der Grundrisse mehrerer<br />

armenischer Kirchen ist, nicht mit dem römischen Fuß, sondern<br />

mit dem 0,3206 m langen, armenischen Fuß konstruiert<br />

und erweist sich damit als ein Bauwerk der langobardischen<br />

Zeit (Seitenlängen innen 200 Unzen (534 cm statt 535<br />

cm,) Halbmesser 240 Unzen oder 12 Fuß (641,5 cm statt<br />

646,5 cm). Die Abmessungen entsprechen damit dem oben<br />

genannten Seitenverhältnis des regelmäßigen Achtecks in<br />

glatten Maßeinheiten.<br />

133 Der Verfasser hatte auf Grund einer früheren Messung ebenfalls<br />

angenommen, dass der Bau von einer bestimmten Baufuge<br />

an mit dem »karolingischen« Fuß errichtet worden sei<br />

(HANISCH V, Anm. 53, Abs. 2). Dies wird hier berichtigt.<br />

134 Plan des Erdgeschosses, M. 1 : 100, vom 16. 2. 1892, vermutlich<br />

als Anlage zu einem Bauantrag des »Karls-Vereins zur<br />

Restauration des Aachener Münsters« (Plan Nr. BB 3 des<br />

Domkapitels Aachen); Pläne des Erdgeschosses und des Obergeschosses,<br />

M. 1 : 100, vom August 1900, von Josef Buchkremer<br />

(Pläne Nr. BB 76 und BB 109 des Domkapitels Aachen).<br />

Der Verfasser dankt an dieser Stelle herzlich dem heutigen<br />

Dombaumeister Dipl.-Ing. Helmut Maintz für die Überlassung<br />

dieser Pläne sowie weiterer, historischer Unterlagen über<br />

das Münster und für die Genehmigung für die Veröffentlichung.<br />

135 JANSEN, S. 371.<br />

136 Im Plan des Erdgeschosses sind die fast quadratischen Grundflächen<br />

der Hauptjoche des Umgangs, d.h. der Verschneidungen<br />

des umlaufenden Tonnengewölbes mit den quer dazu liegenden<br />

Tonnen in den Arkadenachsen des Oktogons durch<br />

die Diagonalen der Gratlinien jeweils in zwei Dreiecke<br />

geteilt. Berechnet man in einem Joch an Hand der Seitenlängen<br />

und der Diagonalen die Flächeninhalte dieser Dreiecke,<br />

so muss die Summe der Flächeninhalte der beiden Dreiecke<br />

über der einen Diagonale gleich der Summe der Flächeninhalte<br />

der beiden Dreiecke über der anderen Diagonale sein.<br />

Wäre auch nur eine der insgesamt sechs Strecken falsch angegeben<br />

worden, würde diese Gleichung nicht aufgehen. Die<br />

Nachrechnung ergab auch nur in Einzelfällen Abweichungen,<br />

die eine rechnerische Längenungenauigkeit von Bruchteilen<br />

eines Millimeters anzeigen.<br />

137 Neuere Vermessungen müssen von den heutigen Oberflächen<br />

ausgehen. Sie lassen zwangsläufig keine Rückschlüsse auf die<br />

tatsächlichen Abmessungen des Rohbaus zu.


Abb. 21: Aachen, ehemalige Pfalzkapelle, Erdgeschoss, Grundriss aufgenommen 1900.<br />

86


Buchkremers zurückgegriffen. 138 Er hat die von<br />

ihm erfassten Ab messungen in der beigefügten<br />

Tabelle zusammengestellt und dabei ihre Häufigkeit<br />

angegeben (Abb. 22). Sodann hat er für diese<br />

Abmessungen die Äquivalente in digiti und unciae<br />

des römischen und in unciae des drusianischen<br />

Fußes sowie in einer vierten Abteilung in unciae<br />

(unki) des 0,3206 m langen, armenischen Fußes<br />

angegeben.<br />

b) Auswertung<br />

Es zeigt sich nun, dass die Häufigkeits-Maxima<br />

einer Abmessung und der dicht daneben liegenden<br />

Werte – mit Ausnahme der beiden oben erwähnten<br />

Kategorien von Strecken – nur mit diesem<br />

armenischen Fuß eindeutige Werte ergeben, nicht<br />

aber mit den anderen Maßarten.<br />

Danach sind im Erdgeschoss die Arkaden des Umgangs 160 Unzen<br />

(i. M. 427,5 cm) breit und 40 Unzen (107 cm) tief. Diese Tiefe<br />

ist gleichzeitig die Stärke der aufgehenden Oktogonwände. Das umlaufende<br />

Tonnengewölbe des Umgangs ist 176 Unzen (470 cm),<br />

die Quertonnen 192 Unzen (i. M. 513 cm), d. h. 16 Fuß weit. Die<br />

Weite des Umgangs mit 176 Unzen, d. h. mit 14 2 /3 Fuß, scheint<br />

zunächst unbefriedigend zu sein. Sie verhält sich aber zu der Weite<br />

der Quertonnen wie 11 zu 12 (11 x 16 Unzen zu 12 x 16 Unzen)<br />

und spiegelt offensichtlich das Bemühen der Gewölbebauer wider,<br />

unter den gegebenen Umständen, auf die noch eingegangen wird,<br />

ein wenn nicht glattes, so doch wenigstens harmonisches Seitenverhältnis<br />

zu finden. Im Obergeschoss sind die aufgehenden Wände<br />

nur 38 Unzen (101,5 cm) stark. Der Umgang des Obergeschosses<br />

weist kein umlaufendes Tonnengewölbe, sondern nur breite<br />

Durchgänge durch die Strebemauern auf. Diese sind 180 Unzen,<br />

d. h. 15 Fuß weit. Die Quertonnen sind unverändert 16 Fuß weit.<br />

Die Innenmaße der Arkaden sind bei dem Wiedereinbau der Säulen<br />

1843-1847 leicht verändert worden. 139 Die seitlichen Abstände<br />

der Plinthen betragen unverändert 30 Unzen (80,2 cm). Unter<br />

Berücksichtigung der Abmessungen der erhaltenen Originalplinthen<br />

(Breite 69,5 cm oder 26 Unzen) kann der Abstand zwischen<br />

ihnen mit 48 Unzen (128,2 cm) rekonstruiert werden. Die Gesamtstrecke<br />

beträgt wie im Untergeschoss 160 Unzen (427,5 cm).<br />

Inzwischen konnte der Verfasser auch das neue<br />

Höhenaufmaß des Oktogons durch das Domkapitel<br />

auswerten, das jedoch noch nicht veröffentlicht<br />

ist. 140 Danach sind auch die einzelnen Höhen der<br />

Bauglieder des Oktogons – mit der folgenden<br />

Aus nahme – mit dem 0,3206 m langen, armenischen<br />

Fuß bemessen, was hier vorläufig nicht nachgewiesen<br />

wird. Die Ausnahme besteht darin, dass<br />

die lichte Gesamthöhe zwischen dem ursprünglichen<br />

Fußboden und dem Scheitel der noch nicht<br />

87<br />

mit dem Mosaik verkleideten Kuppel nicht mit<br />

dieser Maßart, sondern mit dem kürzeren, armenischen,<br />

0,3054 m langen Fuß bemessen ist. Sie<br />

beträgt genau 3054 cm, d. h. 100 armenische Fuß<br />

zu 0,3054 m.<br />

Auch die hauptsächlichen Teilabschnitte der Ge -<br />

samthöhe sind mit diesem Fußmaß bemessen: Die<br />

Höhe des Erdgeschosses ohne die neuzeitliche Er -<br />

höhung des Fußbodens von i. M. 3,5 cm beträgt<br />

bis zur Oberkante des Kranzgesimses 24,99 Fuß<br />

(763,2 cm), d. h. 25 Fuß. Die Höhe des Obergeschosses<br />

bis zum heute sichtbaren Kuppelansatz beträgt<br />

49,91 Fuß (1524,3 cm), im Rohbau (+ 3 cm)<br />

richtiger 1527,3 cm, d. h. 50 Fuß. Die Höhe der<br />

Kuppel beträgt im Rohbau 3046,0 - 2287,5 + 5,0<br />

cm = 763,5 cm, d. h. 25 Fuß. Auf diesen Wechsel<br />

der armenischen Maßart wird noch eingegangen.<br />

c) Wandabstände Oktogon<br />

Von besonderem Interesse sind die Abstände ge -<br />

gen überliegender Wände des Oktogons. Sie betragen<br />

in einer Achse genau 45 armenische Fuß<br />

(14,43 m), in zwei anderen 45 Fuß minus ca. 3 cm<br />

und in der vierten 45 Fuß minus ca. 5 cm. Der intendierte<br />

Abstand einer Wand vom Mittelpunkt<br />

des Oktogons beträgt offensichtlich 22 1 /2 Fuß.<br />

Die Länge der Oktogonseiten ergibt jedoch kein<br />

glattes Maß in Fuß oder Unzen, ebensowenig wie<br />

die Länge der Pfeilerflächen beiderseits der Arkaden.<br />

Dies ist auch nicht zu erwarten. Der Grund<br />

dafür liegt in den bereits beschriebenen Verhält-<br />

138 Das gleiche Verfahren hatte bereits Walter Boeckelmann 1957<br />

angewendet (Boeckelmann, Walter: Von den Ursprüngen der<br />

Aachener Pfalzkapelle, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 19,<br />

1957, S. 9 ff., Abb. 4). Er hat jedoch nur eine Umrechnung in<br />

den Drusianischen Fuß und auch nur in ganzen und in gebrochenen<br />

Fuß vorgenommen und nicht entweder in Fingerbreiten<br />

oder, was richtiger gewesen wäre, in Unzen. Dabei teilt er<br />

den Fuß sowohl in Drittel als auch in Achtel ein, was sich<br />

gegenseitig ausschließt. Im Übrigen pauschaliert er die metrischen<br />

Werte und kommt ohnehin zu ungenauen und für eine<br />

Maßanalyse unbrauchbaren Ergebnissen.<br />

139 BUCHKREMER I, S. 9 f.<br />

140 Für die Überlassung der Daten für die o.a. Auswertung dankt<br />

der Verf. erneut Herrn Dombaumeister Dipl.-Ing. Helmut<br />

Maintz.


Abb. 22: Aachen, ehemalige Pfalzkapelle, Abmessungen von J. Buchkremer und ihre Äquivalente in digiti und unicae in<br />

Tabellenform.<br />

88


Abb. 23: Aachen, ehemalige Pfalzkapelle, Grundriss, 1. Baustufe rekonstruiert.<br />

89


niszahlen in einem regelmäßigen Achteck. Wie<br />

ebenfalls schon er wähnt, müssen Seitenabstand,<br />

halbe Seitenlänge und Kreisradius in größter Annäherung<br />

ein pythagoräisches Dreieck mit den<br />

Seiten 5, 12 und 13 in »glatten« Maßeinheiten<br />

ergeben.<br />

Auf Grund dieser Sachlage ergibt die Teilung des vorliegenden<br />

Seitenabstands von 22 1 /2 armenischen Fuß durch 12 einen unbefriedigenden<br />

Faktor (1,875). Dies wird noch deutlicher bei der<br />

Ermittlung der Seitenlänge des Oktogons durch die Vervielfältigung<br />

der Verhältniszahl der Seite (in Fuß) mit diesem Faktor<br />

(9,9396 Fuß x 1,875 = 18,63 Fuß).<br />

Auch die Zugrundelegung des römischen Fußes ergibt für den Seitenabstand<br />

(24 Fuß plus ca. 9,25 cm = i. M. 7,201 m) und für die<br />

Seitenlänge (20 Fuß plus ca. 4,3 cm = 5,99 m) keine besseren<br />

Werte. Bei der Verwendung des drusianischen Fußes beträgt der<br />

Seitenabstand 43 Fuß plus ca. 4,6 cm (i. M. 14,403 m), die Seitenlänge<br />

dagegen, wie bereits erwähnt, fast genau 18 Fuß (Soll:<br />

5,974 m statt Ist: 5,987 m). Wie jedoch noch gezeigt wird, ist dieses<br />

glatte Maß in drusianischen Fuß ein Zufallsergebnis.<br />

d) Rekonstruktion<br />

Ebenfalls von besonderem Interesse sind sodann<br />

die Abstände gegenüberliegender Wände des Sechzehnecks,<br />

weil sie, wie erwähnt, 100 römische Fuß<br />

zu betragen scheinen. Ob dieses glatte Maß ebenfalls<br />

einen Zufall oder vielmehr das tatsächlich<br />

intendierte Maß darstellt, sollen die folgenden<br />

Betrachtungen zeigen.<br />

Felix Kreusch, der als Dombaumeister nach dem<br />

2. Weltkrieg die Bombenschäden im Dom beseitigte,<br />

hatte dafür im Oktogon die Marmorverkleidung<br />

der Pfeiler ganz oder teilweise abgenommen.<br />

Dabei stellte er fest, dass die untersten Schichten<br />

der Pfeiler an der Oktogoninnenseite etwa 50 cm<br />

hoch die Spuren einer nachträglichen Abarbeitung<br />

bis auf die Flucht des darüber aufgehenden Mauerwerks<br />

aufwiesen. F. Kreusch hatte daraus ge schlossen,<br />

dass die Pfeiler unten ursprünglich weiter in<br />

den Raum hineingeragt hätten, und angenommen,<br />

dass diese Vorsprünge, die er offenbar an allen acht<br />

Pfeilern beobachtet hatte, eine umlaufende Steinbank<br />

gebildet hätten. 141 Diese These ist aber schon<br />

aus baugeschichtlicher Sicht nicht zu halten, was<br />

hier nicht erörtert werden kann. Ob F. Kreusch<br />

ähnliche Abarbeitungen auch an den anderen Pfeilerseiten<br />

gesehen hat, hat er nicht erwähnt. Er hat<br />

aber eine solche an einer ganz anderen Stelle übersehen.<br />

Aus Gründen der Dokumentation des Ori-<br />

90<br />

ginal-Baubestandes hatte J. Buchkremer nämlich<br />

die Vorderseite eines Wandpfeilers an der nordwestlichen<br />

Außenwand des Sechzehnecks unverkleidet<br />

belassen. Hier konnte der Verfasser kürzlich<br />

eine ähnliche Abarbeitung des ursprünglichen<br />

Mauerwerks feststellen, jedoch nur in einer Höhe<br />

von 22 cm über dem heutigen Fußboden. 142 Daraus<br />

ergibt sich, dass auch der dortige Arkadenpfeiler<br />

ursprünglich stärker und die dortige Arkade<br />

enger angelegt worden waren.<br />

Nimmt man derartige Abarbeitungen auch am<br />

gegenüberliegenden Pfeiler und logischerweise<br />

überhaupt an allen Pfeilern an, so lässt sich folgern,<br />

dass die Innenabmessungen von Sechzehneck<br />

und Oktogon ursprünglich wesentlich von denen<br />

abwichen, die dann endgültig ausgeführt wurden.<br />

Es soll versucht werden, diese Abmessungen zu<br />

rekonstruieren.<br />

Wenn man davon ausgeht, dass der Durchmesser<br />

des Sechzehnecks in römischen Fuß und dabei<br />

auch in einer überzeugenden Länge bemessen war,<br />

liegt es nahe, auch für die Abmessungen der ursprünglichen<br />

Pfeiler – bevor diese abgearbeitet<br />

wurden – und der Arkaden das römische Fußmaß<br />

zu unterstellen. Weiterhin wird unterstellt, dass<br />

sich die Abarbeitungen in geringen Dimensionen<br />

und ohne Einfluss auf die Standsicherheit und die<br />

Tragfähig keit der Pfeiler gehalten haben.<br />

Unter diesen Voraussetzungen errechnen sich im<br />

Erdgeschoss in einer halben Querachse die folgenden<br />

Abmessungen. Dabei dürfte die Absteckung<br />

einer Strecke gleichzeitig in Fuß und digiti ebenso<br />

eine Selbstverständlichkeit gewesen sein, wie in<br />

Ellen und Fingerbreiten, wie dies oben für die Bemessung<br />

des Grundrisses von Castel del Monte gezeigt<br />

wurde.<br />

141 KREUSCH II, Fig. 4 und 5.<br />

142 Diese Quaderschicht ist in grober Weise mit einem Spitzmeißel<br />

oder einem Steinbeil bearbeitet worden, während die darüber<br />

liegenden Schichten eine saubere Scharierung durch ein<br />

Zahneisen aufweisen. Offensichtlich wurden die neuen Quader<br />

in der Werkstatt behauen, was eine sorgfältige Bearbeitung ermöglichte,<br />

wogegen die bereits versetzten Quader an Ort und<br />

Stelle nicht so gut zu bearbeiten waren.


Im Rahmen der Rekonstruktion ergeben eine<br />

Okto gonseite (ca. 20 Fuß) und die Verbindungslinien<br />

ihrer Eckpunkte mit dem Mittelpunkt des<br />

Oktogons (die Radien des dem Oktogon umbeschriebenen<br />

Kreises, ca. 26 Fuß) das bereits er -<br />

wähnte, spitzwinklige Dreieck, 143 die halbe Oktogonseite<br />

(10 Fuß), ihr Abstand vom Mittelpunkt<br />

des Oktogons (24 Fuß) und der Radius (26 Fuß)<br />

das erwähnte, pythagoräische Dreieck, im vorliegenden<br />

Fall um den Faktor 2 vergrößert.<br />

Überraschenderweise ist weiterhin das Dreieck,<br />

das im Sechzehneck aus dem Abstand der Seite<br />

zum Mittelpunkt des Oktogons, der halben Seite<br />

des Sechzehnecks, die gleich lang ist wie die des<br />

Achtecks, und dem Radius des dem Sechzehneck<br />

umbeschriebenen Kreises gebildet wird, in größter<br />

Annäherung ein pythagoräisches Dreieck mit<br />

den Seiten 10 Fuß, 50 Fuß und 51 Fuß (genau<br />

9,9396 Fuß, 50 Fuß und 50,998 Fuß).<br />

Die Dicke der Abarbeitung auf die Fluchten der<br />

schließlich ausgeführten Pfeiler errechnen sich i. Ü.<br />

an der Innenseite der Pfeiler mit 0,105 m, an der<br />

Rückseite der aufgehenden Wände mit 0,011 m,<br />

an der Pfeilerseite der Durchgänge mit 0,086 m<br />

und an den entsprechenden Außenwandpfeilern mit<br />

0,181 m.<br />

Die angenommenen, ursprünglichen Pfeilerfluchten,<br />

Abstände und Radien sind in Abb. 23 dargestellt.<br />

Die geometrische Figur des gesamten Grundrisses<br />

bildet demnach ein Achteck, an dessen Seiten<br />

sich acht Rechtecke mit der Breite einer Achteckseite<br />

und der Länge des Radius des Achtecks<br />

anschließen. Dieses Entwurfsmuster erinnert sehr<br />

an die Entwurfsmuster spätantiker Mausoleen und<br />

anderer römischer Zentralbauten, aber auch an das<br />

armenischer Kirchen. 144<br />

Die oben angenommenen Abmessungen in römischen<br />

Fuß und ihre geometrische Darstellung erscheinen<br />

so plausibel, dass man in Verbindung mit<br />

dem baulichen Befund der Abarbeitung der unteren<br />

Schichten der Pfeiler davon ausgehen kann,<br />

dass der Bau im Ganzen tatsächlich zunächst mit<br />

dem römischen Fuß bemessen worden ist. Offenkundig<br />

ist der Bau dann aber nicht in dieser Weise<br />

weitergebaut worden.<br />

Für diesen Wechsel der Bauausführung muss es<br />

triftige Gründe gegeben haben. Diese könnten<br />

mit der Forderung des Bauherrn zusammen<br />

91<br />

gehangen haben, die Kirche mit einem Steingewölbe<br />

einwölben zu lassen. 145<br />

Dazu muss kurz auf die Bauweise der Gewölbe<br />

eingegangen werden.<br />

Zuvor sollte jedoch die Verwendung des kürzeren,<br />

0,3054 m langen, armenischen Fußes bei der Festlegung<br />

der lichten Gesamthöhe des Oktogons<br />

erklärt werden. Vermutlich sollte diese, wie die Gesamtbreite<br />

des Bauwerks, 100 römische Fuß, d. h.<br />

29,62 m betragen. Durch den Wechsel der Maßart<br />

vom römischen Fuß zu dem 0,3206 m langen, armenischen<br />

Fuß konnte diese Proportion von 1 zu<br />

1 dann nicht eingehalten werden. Sie hätte etwa 1<br />

zu 1,08 betragen. Deshalb wurde für die Festlegung<br />

der Gesamthöhe des Oktogons der kürzere,<br />

armenische Fuß benutzt, wodurch eine Proportion<br />

von 1 zu 1,03 zustande kam, die der angenommenen,<br />

ursprünglichen Planung nahe kam. Die Differenzen,<br />

die sich aus der Inkompatibilität der beiden<br />

armenischen Fußmaße ergeben, wurden offenbar<br />

in den aufgehenden Wandabschnitten berücksichtigt.<br />

e) Bauweise der Gewölbe<br />

Die Bauweise der Gewölbe ist heute wegen der beschriebenen<br />

Verkleidung aller Innenflächen nicht<br />

mehr zu sehen, wohl aber auf Fotos, die unmittelbar<br />

vor Beginn der damaligen Arbeiten angefertigt<br />

wurden. Das Kuppelgewölbe des Oktogons<br />

ist bekanntlich ein achtteiliges Klostergewölbe<br />

aus Hausteinmauerwerk. Die untersten Schichten<br />

sind als Kragschichten ausgebildet, die oberen als<br />

Radialschichten. Diese Bauweise ist auch die<br />

Regelbauweise armenischer Kuppelgewölbe (s. o.<br />

I, 2.3 c, Abs. 3).<br />

143 s.o., Beispiel 6, Castel del Monte.<br />

144 KREUSCH I, S. 62 f., und NOVELLO, S. 206 f.<br />

145 Hier sei daran erinnert, dass in dieser Zeit in Deutschland keine<br />

Großbauten vorhanden oder im Bau waren, die, mit Ausnahme<br />

der Apsiden und einiger Stollenkrypten, eingewölbt waren<br />

oder eingewölbt werden sollten.


Das Deckengewölbe des Umgangs des Erdgeschosses<br />

ist ebenso bekanntlich ein umlaufendes<br />

Tonnengewölbe, das in den Achsen der Pfeiler im<br />

Verlauf des Sechzehnecks achtmal abgeknickt ist<br />

und dort Verschneidungen in Form eines halben<br />

Kreuzgewölbes bildet. In den Achsen der Arkaden<br />

des Oktogons wird es durch Quertonnen gekreuzt,<br />

wodurch dort, wie erwähnt, volle Kreuzgewölbe<br />

entstehen.<br />

Die Gewölbeschalen dieser Gewölbe bestehen<br />

unten wiederum aus Kragschichten, diesmal aus<br />

Werksteinmauerwerk, die im Verband mit dem<br />

der Pfeiler gemauert sind, und darüber aus Hausteinmauerwerk.<br />

Dieses besteht aus allseits sorgfältig<br />

behauenen Kalksteinen im Format von Ziegelsteinen<br />

und ist wie Ziegelmauerwerk in Radialschichten<br />

gemauert (Taf. 58). Diese Bauweise<br />

entspricht der bereits mehrfach erwähnten, armenischen,<br />

zweiteiligen Gewölbebauweise (s. o. I,<br />

2.3 b, Abs. 3). In der Frühzeit des mittelalterlichen<br />

Gewölbebaus in Europa stellt sie eine bisher<br />

einmalige Bauweise dar.<br />

f) Besondere Bauweisen<br />

Ein anderes, besonderes Merkmal besteht darin,<br />

dass die Kämpferlinie der rundbogigen Obergadenfenster<br />

in der Ebene der Kämpferlinie der<br />

Kuppel liegen, d. h. dass die Bögen der Fenster in<br />

die Kuppelfläche einschneiden. Die Schnittlinie<br />

zwischen beiden Flächen ist eine gekrümmte<br />

Ellipse. Diese Ausbildung ist ein typisches Merkmal<br />

armenischer Bauten. Sie ist bis in das 13. Jh.<br />

zu beobachten. 146<br />

Ein weiteres, besonderes Merkmal, das in dieser<br />

Zeit in Europa offenbar sonst nicht nachzuweisen<br />

ist, ist die Ausbildung des Dachgesimses des Sechzehnecks.<br />

Das Gesims besteht aus einer umlaufenden<br />

Folge von im Querschnitt quadratischen Konsolen,<br />

die wie ein überdimensionierter Zahnschnitt<br />

aussieht (s. o., I, 2.3, i). 147 Es hat seine Entsprechung<br />

in einigen Gesimsen meist jedoch späterer<br />

Bauten in Armenien und in Syrien an solchen,<br />

die von armenischen Handwerkern errichtet<br />

worden sind. 148<br />

Das wichtigste Merkmal schließlich sind die acht<br />

Strebenischen (s. o., I, 2.3.e), die die untere Hälfte<br />

des Oktogons abstützen, deren Wandflächen<br />

durch die hohen und breiten Arkaden auf die<br />

schmalen Pfeiler reduziert sind. Im Erdgeschoss<br />

92<br />

wird ihr typisches Erscheinungsbild durch das des<br />

umlaufenden Gewölbes überlagert und ist optisch<br />

nicht erfassbar. Im Obergeschoss reichen die Strebemauern<br />

bis an die Kämpferlinie der Arkaden-<br />

Bögen, in deren Querschnitten sich die senkrechten<br />

Lasten der Kuppel und dem Tambour konzentrieren.<br />

Von hierab sind die Querschnitte der acht<br />

Pfeiler nach unten auf das Doppelte verstärkt.<br />

Gleichzeitig werden die Pfeiler durch die Strebewände<br />

auf die Außenwände abgestützt. Die<br />

schräggestellten Tonnengewölbe nehmen, wie<br />

bereits F. Kreusch festgestellt hat, 149 entgegen der<br />

armenischen Tradition an der Aussteifung aber<br />

nicht teil, da sie offenbar jeweils durch eine breite<br />

Fuge von den Mauern des Oktogons getrennt sind.<br />

Sie sind lediglich Raumüberdeckungen. Der Grund<br />

für diese Maßnahme ist nicht klar. Vielleicht wollte<br />

der Baumeister eine Ableitung der Kräfte des<br />

Tambours auf die Gewölbe der Strebenischen vermeiden,<br />

zumal die Strebemauern diese Funktion<br />

bereits erfüllten. Dagegen stellen die flach-runden<br />

Nischen in der Außenwand eine reduzierte Form<br />

der apsidenförmigen, aber außen gerade geschlossenen<br />

Außenwände der Strebenischen vieler armenischer<br />

Kirchen dar. Dass derartige Nischen nicht<br />

schon im Erdgeschoss vorhanden sind, kann daran<br />

liegen, dass die unteren Schichten der Außenwände,<br />

analog zu den unteren Schichten der Pfeiler,<br />

bereits in der Maßordnung des Entwurfs hochgeführt<br />

worden waren, aber nicht verändert wurden,<br />

als die Maßordnung und die Ausführung, wie<br />

oben beschrieben, geändert wurde.<br />

146 Diese Linie ist heute wegen der Mosaikverkleidung nur undeutlich<br />

zu erkennen, wurde aber bereits von Carl Rhoen 1886<br />

festgestellt (RHOEN, S. 18).<br />

147 s.o., Anm. 40.<br />

148 So an den voraiy - ubidischen Tor-Madrasen in Aleppo. Der An teil<br />

der Beteiligung armenischer Handwerker an diesen isl - amischen<br />

Bauten kann hier nicht erörtert werden.<br />

149 KREUSCH I, S. 469 ff.


10.3 Folgerungen<br />

Aus den vorstehenden Beobachtungen lassen sich<br />

folgende Schlussfolgerungen ziehen:<br />

1. Die Pfalzkapelle wurde in zwei Bauabschnitten<br />

ausgeführt. Diese unterschieden sich durch<br />

die angewendeten Maßarten und vermutlich<br />

auch durch die beabsichtigte Ausführungsart.<br />

2. Sie wurde mit einer anderen Maßart begonnen<br />

als dann endgültig ausgeführt. Vermutlich war<br />

diese erste Maßart der 0,2962 m lange, römisch-kapitolinische<br />

Fuß.<br />

3. Nach Fertigstellung der Fundamente und während<br />

der ersten Arbeiten an den Außenwänden<br />

und Pfeilern wurde die Maßart gewechselt.<br />

Die lichte Gesamthöhe wurde – vermutlich<br />

analog zu der ursprünglichen Festlegung in<br />

römischen Fuß – mit 100 armenischen Fuß zu<br />

0,3054 m festgelegt und die Höhe der Geschosse<br />

mit 25 – 50 und 25 Fuß. Sonst war die<br />

Maßart weiterhin der 0,3206 m lange, armenische<br />

Fuß. Mit dieser Maßart wurde der Bau<br />

endgültig ausgeführt.<br />

Offenbar wurden nicht nur die Maßart, sondern<br />

auch die Ausführungsplanung und die<br />

ausführenden Bauhandwerker gewechselt. Der<br />

Entwurf des Baus scheint sonst im Wesentlichen<br />

beibehalten worden zu sein. Die bereits<br />

begonnenen, oberirdischen Bauteile, mit Ausnahme<br />

der Außenwände, wurden durch Abarbeiten<br />

der fertigen Schichten an den neuen<br />

Ausführungsplan angepasst.<br />

4. Die Gewölbe wurden in einer damals für<br />

Europa neuartigen Konstruktion gemauert.<br />

5. Namen und Herkunft des Baumeisters, der den<br />

angenommenen, ersten Entwurf erstellt und<br />

die Fundamente errichten ließ, bleiben unbekannt.<br />

Es ist fraglich, ob dieser mit dem in der<br />

Literatur genannten Odo von Metz identisch<br />

ist. Dagegen lässt die für das armenische Bauwesen<br />

typische Bauweise der Gewölbe, die in<br />

dieser Zeit in Mitteleuropa sonst nicht nachweisbar<br />

ist, in Verbindung mit der verwendeten<br />

armenischen Maßart auch hier den Schluss<br />

zu, dass die Bauhandwerker, die den Bau dann<br />

weiterführten und fertigstellten, tatsächlich Armenier<br />

waren. Die Frage der möglichen Herkunft<br />

dieser Handwerker wird im Schlusskapitel<br />

behandelt.<br />

6. Über den Grund des Wechsels lassen sich nur<br />

Vermutungen anstellen. Eine besteht darin,<br />

dass die ursprünglich eingesetzten Handwerker<br />

ungeübt oder sogar nicht in der Lage wa-<br />

93<br />

ren, die schwierigen Gewölbe des Umgangs<br />

und vielleicht auch der Kuppel auszuführen. 150<br />

Eine andere besteht darin, dass das Oktogon<br />

ursprünglich überhaupt nicht eingewölbt werden<br />

sollte, sondern einen hölzernen Dachstuhl<br />

nach fränkischer Tradition erhalten sollte. Für<br />

diesen Fall hätte die Fachkunde der ersten Bauhandwerker<br />

vermutlich auch ausgereicht. Diese<br />

Annahme schließt die Möglichkeit ein, dass<br />

der Entschluss des königlichen Bauherrn, seine<br />

Kirche mit an römische Vorbilder erinnernden<br />

Gewölben einwölben zu lassen, der<br />

eigentliche Grund für den Wechsel der Handwerker<br />

darstellt.<br />

III.<br />

DIE TRÄGER DER ENTWICKLUNG<br />

Bisher wurden die besondere Bauweise, die verwendeten<br />

Maßarten und teilweise die vorgefundenen<br />

Steinmetzzeichen beschrieben, durch die ein<br />

Rückschluss auf eine unmittelbare oder mittelbare<br />

Beteiligung, also eine überlieferte Bautradition<br />

armenischer Bauhandwerker am europäischen Baugeschehen<br />

im frühen Mittelalter möglich wird.<br />

Diese Merkmale erlauben damit zunächst eine Erklärung<br />

für das sonst nicht erklärbare Vorkommen<br />

zahlreicher armenischer Bauformen in der romani-<br />

150 Einen wenig günstigen Eindruck von der Arbeitsweise dieser<br />

ersten Handwerkergruppe gewinnt man bei der Betrachtung<br />

der Fundamente unter den aufgehenden Wänden und unter<br />

den Arkaden. Die durchlaufenden Fundamente sind in Fundamentgräben<br />

freistehend gemauert worden, was eine sorgfältige,<br />

lageweise Bauweise ermöglicht hätte. Statt dessen ist das<br />

ausgeführte Mauerwerk ein nahezu willkürliches, rohes Bruchsteinmauerwerk<br />

mit extrem verschieden dicken Fugen und<br />

mit unregelmäßigem Fugenglattstrich und vor allem auch nur<br />

ungefähr fluchtgerecht. Den oberen Abschluss der Fundamente<br />

bilden zwei Lagen unregelmäßer Quader antiken Ursprungs<br />

oder Bruchstücke von solchen in einem besonders willkürlichen<br />

Versatz. Der Mörtel, durchsetzt mit Ziegelmehl, scheint<br />

der gleiche zu sein wie der der oberirdischen Bauteile. (Darstellung<br />

der Fundamente und der aufgehenden Mauern in<br />

KREUSCH II, Fig. 4 und 5. Ergänzende Feststellung des Verfassers<br />

anlässlich einer »Begehung« des niedrigen, nur zwischen<br />

0,30 m und 0,50 m hohen Hohlraums unter der neuzeitlichen<br />

Bodenplatte des Fußbodens am 26. 09. 2001, für<br />

deren Zustandekommen er Herrn Dombaumeister Maintz besonders<br />

zu Dank verpflichtet ist.)


schen Baukunst, wie dies Strzygowski bereits erkannt<br />

hatte. Vor allem aber zeigen sie, dass zahlreiche<br />

Großbauten von Anfang an mit einer der beiden<br />

armenischen Maßarten geplant wurden, obwohl<br />

mehrere einheimische Maßarten bekannt waren<br />

und sonst auch verwendet wurden. 151 Dies geschah<br />

offensichtlich in Kenntnis oder wenigstens in der<br />

Erwartung, dass die Bauhandwerker – Steinmetzen<br />

und Gewölbebauer – Baugruppen angehören würden,<br />

die entweder aus armenischen Bauhandwerkern<br />

bestanden oder aus derartigen Baugruppen<br />

hervorgegangen waren und damit in deren Tradition<br />

standen, sei es auch in der 2. oder 3. Generation.<br />

Das zahlreiche Vorkommen armenischer<br />

Steinmetzzeichen belegt schließlich, wie bereits<br />

erwähnt, dass diese Erwartung sich auch erfüllt hat.<br />

Deshalb soll abschließend beschrieben werden, auf<br />

welche Weise armenische Bauhandwerker und damit<br />

auch armenische Bauformen und Maßarten<br />

nach Europa gekommen sein können.<br />

Handwerker werden gewöhnlich in den Quellen<br />

nicht erwähnt, ihre Volkszugehörigkeit schon gar<br />

nicht, auch wenn diese ungewöhnlich gewesen wäre.<br />

Ihre Anwesenheit und ihre Tätigkeit muss und<br />

kann, wenn überhaupt, nur aus den allgemeinen<br />

und sonst bekannten Umständen erschlossen werden.<br />

Dies wurde an Hand der oben beschriebenen<br />

Beispiele versucht. Über ihre Herkunft im Laufe<br />

der Jahrhunderte lassen sich aber begründete Vermutungen<br />

anstellen. Dies soll im Folgenden dargestellt<br />

werden.<br />

1. In dem frühesten, hier beschriebenen Fall, der<br />

Erbauung des Aachener Pfalzkapelle, kann man<br />

ihre Herkunft vermutlich folgendermaßen erklären:<br />

Das von Karl dem Großen bestimmte Baugelände<br />

in Aachen lag zwar in der Nähe der römischen<br />

Thermen, deren Reste damals noch vorhanden<br />

und benutzbar waren, sonst aber in einer<br />

Wildnis, in der er auf Wisentjagd gehen konnte. 152<br />

Qualifizierte Handwerker für die verschiedenen,<br />

beim Bau der neuen Pfalz notwendigen und hochwertigen<br />

Gewerke standen in dieser Zeit sicher<br />

nicht an Ort und Stelle, sondern allenfalls in den<br />

größeren Städten zur Verfügung. Der Hinweis auf<br />

den angeblichen Baumeister der Kapelle, Odo von<br />

Metz, kann dabei aber nicht die Herkunft dieser<br />

Handwerker erklären. Für den Bau der Pfalzkapelle<br />

wurden vielmehr »aus allen Teilen des Reiches<br />

diesseits des Meeres die besten Meister und Handwerker<br />

aller (dieser) Gewerke zusammengeru-<br />

94<br />

fen«. 153 Es ist daher zu untersuchen, welche<br />

Reichsteile gemeint gewesen sein können. 154<br />

Das byzantinische Heer enthielt bekanntlich zu<br />

allen Zeiten große Kontingente von Armeniern.<br />

So bestand die Palastgarde bis in die Zeit Justinians<br />

aus Armeniern. 155 Auch das Heer, mit dem<br />

Narsès, der aus Armenien stammende Feldherr<br />

Justinians I., 552 die Goten in Italien besiegte,<br />

enthielt derartige, armenischen Abteilungen. Bereits<br />

537 hatte Narsès in Armenien allein 5.000<br />

Mann ausgehoben. 156 Die Armee wurde nach der<br />

Besiegung und dem Abzug der Goten zur Sicherung<br />

der byzantinischen Reichsgrenze in den festen<br />

Städten Oberitaliens als Garnisonen stationiert<br />

und in den seit langem entvölkerten Gebieten<br />

sogar regelrecht angesiedelt, wie das später auch<br />

für die Zeit der byzantinischen Rückeroberung<br />

Süditaliens belegt ist.<br />

Eine dieser Städte war auch Como. Die von den<br />

Goten weiterhin gehaltene Stadt wurde erst in der<br />

Endphase des Krieges erobert und dabei zerstört.<br />

Sie wurde dann aber von Narsès wieder aufgebaut<br />

und zu einer starken Sperrfestung gegen die Alpenübergänge<br />

ausgebaut. 157 Hier scheint die Garnison<br />

besonders groß und vorwiegend aus Armeniern<br />

gebildet gewesen zu sein. Diese armenische<br />

Bevölkerungsgruppe bestand, wie noch gezeigt<br />

wird, auch unter der bald nachfolgenden Herrschaft<br />

der Langobarden weiter.<br />

151 s. Anm 109.<br />

152 RAU, S. 388: »… cum … Karolus ad venatum bissontium vel urorum<br />

in nemus ire …«.<br />

153 RAU, S. 364: »Ad cuius fabricam de omnibus cismarinis regionibus<br />

magistros et opifices omnium id genus artium advocavit«; gemeint<br />

ist natürlich das Mittelmeer.<br />

154 Für die Ausstattung wurden aus Italien kostbare Marmorteile<br />

und Säulen beschafft. Möglicherweise wurden auch, entgegen<br />

der gängigen Auffassung, die berühmten Bronzegitter von dort<br />

herangebracht, und nicht wie man lesen kann, in Aachen gegossen<br />

(Hinweis von Dombaumeister Helmut Maintz, s. auch<br />

Anm. 134).<br />

155 VEH II, S. 202 f.<br />

156 VEH I, S. 154.<br />

157 VEH I, S. 310.


In Ravenna ist für fast das gesamte 7. Jh. die Stationierung<br />

von drei armenischen Regimentern<br />

bezeugt. 158 Da demnach hier mindestens ein Jahrhundert<br />

lang ständig Soldaten zur Auffüllung der<br />

Mannschaftsstärke aus Armenien nachrückten,<br />

darf man annehmen, dass die Veteranen größtenteils<br />

im Land blieben, sich verheirateten, einen Beruf<br />

aufnahmen und Besitz erwarben. Wenn sich<br />

dieser Prozess ständig wiederholte, dürften die so<br />

gebildeten, zivilen Siedlungen ebenfalls ständig<br />

angewachsen, sicherlich aber auch italienisiert<br />

worden sein.<br />

Diese Volksgruppe muss man sich notwendigerweise<br />

durch eigene Priester ergänzt denken, was<br />

die Einrichtung von Kirchen und Klöstern zur<br />

Folge gehabt haben dürfte. Wenn diese Klöster<br />

ähnlich organisiert waren wie in Armenien, dürften<br />

sie auch eigene Werkstätten besessen haben.<br />

Wahrscheinlich haben diese Kolonien auch eigene<br />

Basare und vielleicht sogar Schulen gehabt. Seit<br />

743 kann man außerdem einen anderen, aber<br />

ebenfalls nicht unerheblichen Zustrom von Armeniern<br />

aus dem byzantinischen Reich annehmen,<br />

die infolge des Bilderverbots dort ausgewandert<br />

oder geflohen waren. Später muss man auch einen<br />

Zustrom von Paulikianern annehmen, die nunmehr<br />

nach Aufhebung des Bilderverbots 788 von<br />

den Kirchen und dem Staat verfolgt wurden. 159<br />

Im langobardischen Oberitalien weist demnach in<br />

der Folgezeit auch das verhältnismäßig zahlreiche<br />

Vorkommen typisch armenischer Bauformen und<br />

Werkstücke, 160 unter anderem auch von Kreuzsteinen<br />

(Katschkaren, s. dazu Taf. 59 und 60 161 ), auf die<br />

Anwesenheit einer zahlreichen, armenischen<br />

Bevölkerung und damit auch armenischer Steinmetzen<br />

hin. Mehrere Kirchen, die vermutlich auf<br />

diese Zeit zurückgehen, sind Zentralbauten über<br />

einem kreuzförmigen Grundriss mit Vierungsturm<br />

und Strebenischen (s. o., I, 2.3 e, und Taf. 62). In<br />

einem Fall enthält eine Kirche sogar die für armenische<br />

Kirchen typischen Dreiecksnischen in den<br />

Außenwänden (s. o., I, 2.3 f, und Taf. 61 162 ).<br />

Ein besonderes Merkmal dieser Kirchen ist die<br />

sorgfältige Bearbeitung der Hausteine, aus denen<br />

das Mauerwerk von Wänden, Gewölben, Pfeilern<br />

und sogar von Säulen hergestellt wurde. Sie sind<br />

allseitig eben behauen und haben häufig fast Ziegelformat.<br />

Sie sind meist auch wie Ziegelsteine in<br />

gleichhohen Schichten gemauert. 163<br />

95<br />

Eine derartige Verbreitung armenischer Bauformen<br />

setzt, vermutlich bereits im 6. Jh., eine umfangreiche<br />

Migration dieser Bauhandwerker voraus.<br />

Diese wurden in offiziellen lateinischen Dokumenten<br />

der Langobarden comacini (auch commacini)<br />

164 genannt, so in einer bekannten Verordnung<br />

(»Merkbuch«) der Könige Grimwald und Liutprand<br />

über die Löhne der Baugewerksmeister. 165<br />

Comacini ist die latinisierte Form des armenischen<br />

158 STRZYGOWSKI I, S. 737: numerus felicum Persoarmeniorum,<br />

numerus Armeniorum und numerus equitum Armenorum; und S.<br />

738, Anm 1; ein numerus war seit Trajan eine Auxiliartruppe,<br />

die nach ihrem Heimatland benannt war. Sie bestand vermutlich<br />

aus etwa 900 bis 1000 Mann zuzüglich der Offiziere.<br />

159 s. Anm. 31. Auf der Synode von Frankfurt 794 hat die fränkische<br />

Reichskirche i. Ü. den Aufhebungsbeschluss des Konzils<br />

von Nicaea von 788 abgelehnt (Libri Carolini), d.h. weiter auf<br />

dem Bilderverbot bestanden, was eine Begünstigung der Paulikianer<br />

durch Karl den Großen eingeschlossen haben dürfte.<br />

160 SCHAFFRAN betrachtete in Unkenntnis der sozialpolitischen<br />

Verhältnisse dieser Zeit in Oberitalien zahlreiche armenische<br />

Formen als eigenständige Erfindung der Langobarden. Vor allem<br />

Form und Bautechnik der Steinbauten können aber nicht<br />

aus einer langobardischen Bautradition stammen. Die bisherigen<br />

Betrachtungsweisen und Zuweisungen an die Langobarden,<br />

die eigentlich Bauern und Krieger waren und nicht einmal eine<br />

Schrift besaßen und selbst in ihren Gesetzen nur ein mangelhaftes<br />

Latein schrieben (s.u., Anm. 165 und 167 – 177), bedürfen<br />

deshalb einer Berichtigung. Schaffrans Zusammenstellungen<br />

»langobardischer« Bauwerke und Werkstücke sind jedoch<br />

wertvoll, weil sie die Grundlage für eine derartige grundlegende<br />

Überprüfung ihrer Herkunft bilden könnten.<br />

161 Taf. 59 und 60 zeigen frühe Beispiele, bei denen das Katschkar-<br />

Motiv auf Altarseiten übertragen, die spätere, reiche Ornamentik<br />

aber noch nicht entwickelt ist.<br />

162 SCHAFFRAN, Taf. 16 c: Concordia Sagittaria, Baptisterium;<br />

außerdem STRZYGOWSKI I, S. 738, mit weiteren Beispielen.<br />

163 Diese Bauweise scheint eine Anpassung des armenischen Hausteinmauerwerks<br />

an die spätantike Bauweise in Rom und Norditalien<br />

zu sein, in der weitgehend Ziegelmauerwerk verwendet<br />

wurde. Sie ist typisch für das frühe Mittelalter in Oberitalien.<br />

164 Gesprochen: Komá’ssini.<br />

165 BEYERLE, S. 324 ff.; Anhang zu den Gesetzen König Grimwalds<br />

(636-652) und König Liutprands (712-744): »[Grimvaldi<br />

sive Liutprandi memoratorium de mercedibus magistri commacinorum.]<br />

Item memoratorio de mercedes comacinorum«. Die weiter<br />

unten folgenden elf Zitate stammen aus dieser Verordnung.<br />

Ihre Hauptsache, die Vergütungsordnung für die verschiedenen<br />

Bauleistungen, kann hier nicht besprochen werden.


Taf. 59: Jerewan, Nationalmuseum, Sarkophag aus Aghudi mit drei Katschkaren, 7. Jh. – aus:<br />

NOVELLO, Taf. 132.<br />

Taf. 60: Toscanella, Basilica di San Pietro, Predella mit zwei Katschkaren, 793. – aus:<br />

KUTZLI, Taf. 164.<br />

96


Wortes koma’ci (gesprochen: komá’ssi), das die<br />

gleiche Bedeutung hat wie das lateinische Wort<br />

cumensis. Beide Worte bedeuten »zu Como gehörig«,<br />

»Bewohner von Como« oder einfach »einer<br />

aus Como« (lt. Comum, mlt. Cumae, it. Como, arm.<br />

Komo). 166 Mit comacini wurden in gleicher Weise<br />

Baumeister, 167 Maurer, 168 Verputzer, 169 Gewölbebauer,<br />

170 Zimmerer, 171 Dachdecker, 172 Kaminbauer,<br />

173 Fundamentbetonierer, 174 Marmorarbeiter und<br />

Steinmetzen (d. h. Verfertiger von Marmorbelägen<br />

und Marmorsäulen), 175 Ofenbauer 176 und Brunnenbauer<br />

177 bezeichnet. Dies bedeutet zunächst offensichtlich,<br />

dass derartige Bauhandwerker ursprünglich<br />

aus Como kamen, und dass dort auch das Baugewerbe<br />

in besonderer Weise von Armeniern betrieben<br />

wurde, dann aber, dass diese auch in anderen<br />

Städten des langobardischen Reiches so beherrschend<br />

vertre ten waren, dass sie in dem Gesetz als<br />

»komá’ci- ni« bezeichnet werden konnten. 178<br />

Es ist daher anzunehmen, dass die hochqualifizierten<br />

Bauhandwerker, die die Baumaßnahme der<br />

Pfalzkapelle nach den offenkundigen Schwierigkeiten<br />

der Anfangsphase übernahmen und vollendeten,<br />

aus armenischen Kolonien im langobardischen<br />

Italien kamen. 179<br />

2. In ähnlicher Weise liegen auch aus späterer Zeit<br />

Nachrichten über die Gründung oder das Bestehen<br />

armenischer Kolonien in Italien, meist Militärkolonien<br />

vor. 180 Namentlich im byzantinischen Süditalien<br />

sind derartige, planmäßige Ansiedlungen<br />

bekannt, die unter Kaiser Leon VI. durch den Strategos<br />

Nikephoros Phokas seit 885 angelegt worden<br />

sind, so in Bari, Trani und Ceglie. 181 Auch hier<br />

dürften sich später die verschiedentlich bezeugten,<br />

zivilen, armenischen Siedlungen mit eigenen Kirchen<br />

und Klöstern, wie in anderen italienischen<br />

Städten, entwickelt haben. 182 Einige Kirchen heißen<br />

noch heute »degli Armeni« oder »d’ Ermeni«. 183<br />

166 Der armenische Name war demnach mit dem früh-italienischen<br />

identisch. In zusammengesetzten, armenischen Worten wird<br />

die Endung »o« des Stammwortes vor der angefügten Endsilbe<br />

zu »a«. (Für die Überprüfung dieser Deduktion dankt der Verfasser<br />

herzlich Frau Dr. Armenuhi Drost-Abgarjan, Halle/S.)<br />

97<br />

Die an den Ortsnamen angefügte Endung »ci« drückt die Herkunft<br />

von jemandem aus diesem Ort aus. Die latinisierte Form<br />

comacini ist nun durch die Anfügung der lateinischen Adjektiv-Endung<br />

»nus« bzw. »ni« an das armenische Wort koma’ci<br />

gebildet, was eine Verdoppelung des Herkunftsbegriffs darstellt.<br />

Offenbar wurde die ursprüngliche Bedeutung des armenischen<br />

Wortes von den eingewanderten Langobarden schon<br />

im 7. Jh. nicht mehr verstanden, oder das Wort wurde überhaupt<br />

nicht als Fremdwort angesehen, sondern als fester Begriff<br />

für eine bekannte Einrichtung übernommen. Das übliche,<br />

italienische Adjektiv zum Nomen »Como« lautet »comasco«.<br />

167 »Si sala fecit …«<br />

168 »Si verum murum fecit …«<br />

169 »Similiter, si murum dealbaverit …«<br />

170 »Et si arcum volserit …«<br />

171 »Si vero materias cappelaverit …«<br />

172 »De opera. Similiter romanense si fecerit ... sicut gallica opera …«<br />

173 »De caminata. Si quis magistri caminatum fecerit …«<br />

174 »Et si massa fundederit …«<br />

175 »De marmorarios. Si quis axes marmoreas fecerit …« ; diese Handwerker<br />

wurden später »comaschi« und Cosmaten genannt.<br />

176 »De furnum. Si vero furno … fecerit …«<br />

177 »De puteum. Si quis puteum fecerit …«<br />

178 Da die langobardischen Gesetze im 7. Jh. eine Abschließung<br />

des Landes nach außen bewirkten, scheint es in diesem Jahrhundert,<br />

außer durch Pilger und Flüchtlinge, keine größere Einwanderung<br />

nach Oberitalien, also auch nicht von Armeniern,<br />

gegeben zu haben. Dies bestätigt die oben angegebenen Umstände,<br />

nach denen der Beginn der Tradition der koma’ci in die<br />

Zeit nach dem Ende der gotischen Herrschaft und zugleich der<br />

Ansiedlung armenischer Militäreinheiten in Oberitalien nach<br />

552 anzusetzen ist. Erst nach 743, nach dem Edikt über das<br />

Bilderverbot in Byzanz, dürften größere armenische Gruppen<br />

als Flüchtlinge wieder in das langobardische Reich gekommen<br />

sein.<br />

Zu den Comacini und den Comasken SCHOTTNER, S. 20 ff.;<br />

sie werden hier »langobardische Baurotten« genannt.<br />

179 Die in Anm. 135 zit. Nachricht Notkers von St. Gallen<br />

schließt eine derartige Interpretation ein.<br />

180 FONSECA, S. 181 ff.; MARIANI, S. 417 ff.; ZEKIYAN, S.<br />

803 ff.<br />

181 Außerdem in Reggio Calabria, Taormina, Tropea und Amantea<br />

(FONSECA, S. 182). Ein Kontingent bestand aus Paulikianern,<br />

die nach der Zerstörung ihrer in der Region des oberen<br />

Euphrat gebildeten Hauptstadt Tephrik - e 872 umgesetzt worden<br />

waren; unter ihnen war Diakonitzes, der Stellvertreter des<br />

letzten »Haeresiarchen« der Paulikianer, des Spartharios Johannes<br />

Chrysocheir, der in der Armee einen hohen Offiziersrang<br />

bekleidete.<br />

182 MARIANI, S. 417 ff., ZEKIYAN, bes. S. 813 – 847: Hauptteil,<br />

Kapitel I, Primo periodo: Secoli VI-XI.


98<br />

Taf. 61: Concordia Sagittaria, Baptisterium, Ansicht von<br />

Osten. – aus: SCHAFFRAN, Taf. 16 c.<br />

Taf. 62: Biella, Baptisterium, Ansicht von<br />

Westen. – aus: SCHAFFRAN, Taf. 16 a.


Eine Hauptbetätigung dieser italienisierten Ar -<br />

menier scheint auch hier das Bauwesen gewesen zu<br />

sein, besonders die traditionelle Kunst des Gewölbebaus.<br />

Bekanntlich haben zahlreiche Bauformen<br />

und Bauglieder romanischer Bauten in Apulien,<br />

zu denen auch die gekreuzten Tonnengewölbe<br />

des Castel del Monte gehören, wie in anderen<br />

Regionen ihre teilweise identische Entsprechung<br />

in den bis zu 600 Jahren älteren Bauten Armeniens<br />

(s. o. I, 2.3 b, Abs. 3). 184<br />

Zwei von drei Meisternamen im Kastell von Bari,<br />

von denen der eine bereits beschrieben wurde, sind<br />

ein weiterer Beleg. Sie finden sich, wie erwähnt,<br />

auf den Adlerkapitellen in der inneren Eingangshalle<br />

des Kastells, die als ein reines Werk staufischer<br />

Kunst in Apulien gilt. Die Inschriften sind<br />

seit langem bekannt. Alle drei enthalten Steinmetznamen.<br />

185 Von diesen konnte der Verfasser in -<br />

zwischen zwei als armenisch identifizieren, den ers -<br />

ten, MELIS (de Stelliano), wie bereits erwähnt, als<br />

Mleh (Taf. 51) und den zweiten als ISMAHEL. 186<br />

Der dritte Name, MINERVUS (Minervius?) (de<br />

Canusia) konnte noch nicht identifiziert werden.<br />

3. Eine dritte, wahrscheinlich viel größere, hauptsächlich<br />

aus der armenischen Landbevölkerung<br />

bestehende Gruppe mit Männern, Frauen, Kindern<br />

und dem heimischen, bäuerlichen Gewerbe<br />

stellte in einigen Ländern, vor allem auf dem Balkan,<br />

diejenige der zwangsweise in entvölkerten<br />

Randgebieten des byzantinischen Reiches angesiedelten,<br />

armenischen Stammesteile und ganzer Dörfer<br />

und Tallandschaften dar. Solche Zwangsansiedlungen<br />

sind z. B. für Thrazien und Bulgarien<br />

unter den Kaisern Maurikios Ende des 6. Jhs.,<br />

Phokas Anfang des 7. Jhs., Leon III. und Konstantin<br />

V. im 8. Jh., Johannes I. Tzimiskes im 10. und<br />

Basileios II. Anfang des 11. Jhs. bezeugt. 187<br />

Ähnliche Zwangsumsiedlungen aus dem östlichen<br />

Armenien nach dem Iran sind auch unter den<br />

s - as - anidischen Herrschern bekannt.<br />

4. Eine vierte Gruppe bildeten die Flüchtlinge, die<br />

zu allen Zeiten einer fremden Okkupation Armenien<br />

verließen, zunächst infolge der s - as - anidischen<br />

Herrschaft, dann infolge der arabischen Inbesitznahme<br />

des Landes nach 640, später infolge der<br />

Unterwanderung durch türkische Gruppen und<br />

schließlich nach der Eroberung des Landes durch<br />

die salˇg - u.kischen Türken um 1030. Zu den Flüchtlingen<br />

gehörten im 9. Jh. auch die bereits erwähn-<br />

99<br />

ten Angehörigen der Bruderschaften und die Paulikianer.<br />

Die Quellen dieser Flüchtlingszüge finden<br />

sich nur an verstreuten Stellen. Sie sind leider<br />

ebenfalls noch nicht im Zusammenhang ausgewertet<br />

worden.<br />

5. Eine fünfte Gruppe dürften die Pilger gebildet<br />

haben, die die heiligen Stätten in Europa aufsuchen<br />

wollten oder aufgesucht haben. Die große<br />

Masse von ihnen blieb anonym. Nur in Einzelfällen,<br />

wenn es sich um hochstehende Personen, Adlige,<br />

Bischöfe, in einem Fall sogar um einen Katholikos<br />

188 gehandelt hat, sind ihre Namen und teilweise<br />

ihre Viten bekannt, meist aber auch nur, wenn<br />

sie im Westen zu besonderer Heiligkeit gelangt<br />

waren oder, wenn sie sogar von der Römischen<br />

Kirche kanonisiert worden waren. 189 Zu dieser<br />

Gruppe können auch wieder die Steinmetz-Bruderschaften<br />

gehört haben.<br />

6. Eine sechste Gruppe bildeten sicher schließlich<br />

zahlreiche Nachzügler, die aus dem armen und<br />

183 z.B. Sanctus Georgius de Armenis in Bari; Santa Maria de<br />

Armenis in Matera; San Gregorio Armeno in Neapel; Santa<br />

Maria de Armenis in Forenza; Sanctus Andreas de Armenis in<br />

Tarent (FONSECA, S. 184 f.).<br />

184 Die Aufstellung eines Katalogs derartiger Bauformen und die<br />

Gegenüberstellung mit entsprechenden Formen in Armenien<br />

und Georgien ist ein Desiderat von größter Bedeutung.<br />

185 HASELOFF, S. 422.<br />

186 Die Schreibweise ISMAHEL in dieser lateinischen Inschrift<br />

gibt sogar die armenische Schreibweise wieder, bei der zwischen<br />

zwei Vokale, die zu zwei benachbarten Silben gehören,<br />

ein h, g oder j eingeschoben wurde, um die Silbentrennung<br />

durch einen eigenen Laut zu verdeutlichen.<br />

187 Die Umsiedlungen unter Konstantin V. im Jahr 760 betrafen<br />

Paulikianer, die er für besonders zuverlässig hielt, wahrscheinlich<br />

weil er ihnen in religiöser Hinsicht nahe stand, so dass man<br />

ihn später ebenfalls der Haeresie bezichtigte. Auch die Umsiedlungsmaßnahme<br />

Johannes I. Tzimiskes 970 nach Philippopolis<br />

in Bulgarien betraf Paulikianer, aber aus Syrien, wohin<br />

sie sich wegen der vorausgegangenen Verfolgungen geflüchtet<br />

hatten.<br />

Die zahlreichen Quellen über die Umsiedlungen können hier<br />

nicht zitiert werden.<br />

188 Grikor II. Martyrophilos, 1065-1105; die Pilgerreise von<br />

1075 führte ihn u.a. nach Rom.<br />

189 s. dazu auch KOLMER, S. 66 ff.


wenig ertragreichen Armenien in den Westen<br />

wanderten, um dort als Händler, Handwerker,<br />

Kleriker und vielleicht auch als Bauern neue und<br />

bessere Erwerbsmöglichkeiten zu finden. Diese<br />

Zuwanderer dürften in den neuen Siedlungszellen<br />

nach und nach die eigentliche Infrastruktur gebildet<br />

haben, die dort in der Folgezeit zu Grundbesitz<br />

und zur Gründung von Klöstern und Pfarrkirchen<br />

geführt hat.<br />

*<br />

Ein anschauliches Beispiel für das Auftreten dieser<br />

Gruppen zusammen – außer der fünften – bildet<br />

im 11. und 12. Jh. die große armenische Kolonie<br />

im f - a.tmidischen Kairo. Sie bestand aus einer zu<br />

zehntausenden zählenden Abteilung des f - a.tmidischen<br />

Heeres und aus großen, wahrscheinlich eigenständigen<br />

Wohnquartieren mit Kirchen, Klöstern<br />

und Schulen. 190 Bekanntlich waren mehrere Wesire<br />

der Kalifen dieser Zeit gebürtige Armenier. 191<br />

Einen Eindruck vom Wohlstand der Kolonie vermitteln<br />

die rigorosen Konfiskationen .Sal - a .h ad-D - ıns<br />

nach seiner Machtergreifung und nach dem Aufstand<br />

der armenischen und sudanesischen Truppen<br />

1173 gegen ihn. 192 Die Bauhandwerker scheinen<br />

bei diesen Maßnahmen verschont geblieben zu<br />

sein. Sie wurden vielmehr, wie die für sie typische<br />

Bauweise zeigt, offenbar in großer Zahl beim<br />

Neubau der Zitadelle .Sal - a .h ad-D - ıns in Kairo eingesetzt.<br />

193<br />

Auf europäischem Boden haben die armenischen<br />

Kolonien vermutlich nicht den Umfang und die<br />

politische Bedeutung der ägyptischen Kolonie gehabt.<br />

Die Auswirkungen ihrer Wirksamkeit waren<br />

jedoch erheblich weiterreichend und nachhaltiger.<br />

Auch in Köln muss, wie oben beschrieben, seit der<br />

Mitte des 11. Jhs. eine große armenische Gemeinde<br />

bestanden haben, wodurch sich die Verbreitung<br />

armenischer, aber für die Region neuartiger Bauformen<br />

im Rheinland erklärt. Ihre Existenz wird<br />

in einem bekannten Dokument greifbar. In einem<br />

1143 oder 1146 verfassten Brief an Bernhard von<br />

Clairvaux berichtet Eberwein von Helfenstein, der<br />

Probst des im Aufbau befindlichen Prämonstratenserklosters<br />

Steinfeld in der Nordeifel, über die<br />

Aufdeckung einer großen Gemeinde von »Haeretikern«,<br />

die von einem Bischof geleitet wurde und<br />

zu der besondere Lehrer (wardapet) gehörten, und<br />

über einen Prozess gegen diesen Bischof, der mit<br />

100<br />

dessen Tod auf dem Scheiterhaufen endete. 194 In<br />

einem weiteren Abschnitt wird eine andere »haeretische«<br />

Bewegung erwähnt. 195 Beide Gruppen<br />

scheinen aber als einander verwandt angesehen<br />

worden zu sein.<br />

Die Angehörigen der Kölner Gemeinde werden in<br />

der westlichen Literatur gewöhnlich mit dem<br />

damals bereits üblichen Namen Katharer bezeichnet<br />

196 Diese Bezeichnung fehlt jedoch sowohl in<br />

Eberweins Brief als auch in der als Antwort aufzufassenden<br />

Predigt Bernhards von Clairvaux, 197<br />

sowohl in Bezug auf die erste als auch auf die zweite<br />

Gruppe, vermutlich weil Eberwein wusste, dass<br />

sie gar keine Katharer waren. Sie werden allerdings<br />

auch nicht als Paulikianer, Tondrakianer<br />

oder auch nur als Armenier bezeichnet.<br />

190 Das wichtigste Quartier hieß al- .Husayn - ıya, wahrscheinlich<br />

nach .Husayn, dem Sohn des 4. Kalifen ‘Al - ı benannt, der im<br />

ˇsi‘ - ıtischen Isl - am als Märtyrer eine heiligmäßige Verehrung genießt.<br />

191 Im 11. und 12. Jh. außer Badr al- ˇGam - al - ı (gest. 1094) auch<br />

sein Sohn al-Afd. al ˇ S - ah - anˇs - ah (erm. 1121), dessen Sohn al-Afd. al<br />

Kutaif - at (erm. 1131), dessen Nachfolger Y - anis (nur 1131), die<br />

jedoch alle Muslime geworden waren, sowie Vahram, der Christ<br />

blieb (1131, gest. 1140); s. CANARD I, S. 88 und CANARD<br />

II, S. 151.<br />

192 Ihre Erlöse und ihre bisherigen Einkünfte benötigte er zur<br />

Finanzierung der vielen neuen, sunnitischen Einrichtungen; s.<br />

dazu: FRENKEL, S. 1 ff.<br />

193 Beschreibung der Zitadelle bei CRESWELL, II, S. 1 ff., aber<br />

ohne Hinweis auf die besonderen Bauformen und die ausführenden<br />

Handwerker; außerdem Hanisch, Hanspeter: Maßarten<br />

und Bauweise der aiy - ubidischen Wehrbauten der Zitadelle von Kairo,<br />

Leuven (in Druckvorbereitung).<br />

194 MIGNE, S. 665 ff.<br />

Dies dürfte der erste Fall einer Verbrennung von »Ketzern« in<br />

Deutschland gewesen sein. In diesem Brief sind auch die Glaubensvorstellungen<br />

und Gebräuche dieser Gemeinde genau beschrieben.<br />

Besonders ihre enge Bindung an das Alte und das<br />

Neue Testament, und hier die alleinige Bedeutung der Taufe,<br />

werden als die Grundlagen ihres heiligmäßigen Lebenswandels<br />

hervorgehoben, andererseits aber auch ihre Ablehnung der Bilder<br />

und der kirchlichen Instanzen.<br />

195 Anders als die erste Gruppe lehnte diese auch das gemeinsame<br />

Gedächtnismahl ab.<br />

196 s. Anm. 182.<br />

197 MEHRERAU (Bernhard v. Clairvaux), Ansprache Nr. 65 u. 66.


Trotzdem ist die Identifizierung der ersten Gruppe<br />

als späte armenische Paulikianer durch einen<br />

Vergleich ihrer in dem Brief beschrieben Lehre<br />

mit derjenigen der klassischen Paulikianer des 8.<br />

und 9. Jhs. in Armenien möglich. 198 Vor allem<br />

unterscheidet sie das Fehlen des dualistischen<br />

Prinzips und anderer manichäischer Vorstellungen,<br />

insbesondere der Rolle des Satans, von den<br />

zeitgenössischen Katharern. 199 Schließlich unterscheidet<br />

sie auch ihre soziale Stellung als die von<br />

»Stadt zu Stadt Wandernden« von den in festen<br />

Kommunen sesshaften Katharern, 200 so in Mainz,<br />

wo diese sogar einen eigenen Friedhof besaßen. 201<br />

Diese Gruppe, die hier als späte Paulikianer armenischer<br />

Nationalität angenommen wird, konnte in<br />

Köln, wie vermutlich auch in anderen Städten mit<br />

großen Kirchen-Baustellen, auch unauffällig zwischen<br />

ihren Landsleuten leben, zumal ihre Anhänger,<br />

wie andere Armenier, in Europa häufig europäische<br />

Namen annahmen. 202<br />

Die beiläufig erwähnte, zweite Gruppe, die in<br />

Köln offenbar aber nicht angetroffen wurde, kann<br />

wegen ihren weitergehenden Vorstellungen, besonders<br />

der Ablehnung der Eucharistie, vermutlich<br />

als Trondrakianer identifizert werden, wenn<br />

auch ebenfalls als eine späte Form dieser Bewegung.<br />

*<br />

198 So in dem sog. »Schlüssel der Wahrheit« – »Key of Truth, A<br />

Manual of the Church of Armenia«, CONYBEARE, S. XVII<br />

(Summarary), S. 1 ff. (arm.) und S. 71 ff. (engl.). Conybeare<br />

hielt diese Schrift trotz einiger Rückgriffe auf Schriften des 8.<br />

Jhs. für neuzeitlich, vermutlich, weil er die teilweise gleichlautenden<br />

Glaubenssätze aus dem Verhör der Kölner Angeklagten<br />

nicht kannte.<br />

199 s. Anm 31. Von Bedeutung sind außerdem die Angaben der<br />

Beschuldigten zu der Entstehung dieser Glaubensrichtung »in<br />

der Zeit der Märtyrer«, d.h. in der Zeit Diokletians und vor<br />

der Einführung des Christentums als Staatsreligion um 300,<br />

ferner zu ihrem verborgenen Fortbestand in Griechenland, d.h.<br />

im byzantinischen Reich in seiner im 12. Jh. verbliebenen<br />

Ausdehnung, und schließlich der Hinweis auf ihre Verbreitung<br />

in vielen Ländern.<br />

200 GARSOIAN, S. 163 ff.; auf S. 16 ihres Werkes wird die späte<br />

Anwesenheit von Paulikianern in Köln auch so bezeichnet, auf<br />

101<br />

S. 230 ihr Weiterleben in dieser Zeit aber bestritten, wenn<br />

auch ohne eine weitere Erklärung. Dies liegt vermutlich daran,<br />

dass sie die hier zitierte, lateinische Quelle nicht weiter untersucht<br />

hat.<br />

201 LAMBERT, S. 23.<br />

202 Mitteilung von Frau Armenuhi Drost-Abgarjian, Halle/Saale.<br />

Der für seine Zeit überraschend sachliche und von jeder Polemik<br />

freie, fast sogar verständnisvolle Ton des Briefes Eberweins<br />

von Steinfeld scheint seinen Anlass in dem Umstand gehabt zu<br />

haben, dass er die Beschuldigten des Kölner Prozesses oder<br />

wenigstens Landsleute von ihnen kannte und vermutlich auch<br />

schätzte. Der Verfasser konnte im Oktober 2003 in der um<br />

1140 im Bau befindlichen Klosterkirche Steinfeld sowohl ein<br />

mehrfach verwendetes Steinmetzzeichen in Form einer spiralförmigen,<br />

seitenverkehrten Ziffer »9« als ein Zeichen einer armenischen<br />

krytographen Schriftart als auch am zweiten nördlichen<br />

Langhauspfeiler eine sgraffito-artige »Inschrift« als armenisch<br />

identifizieren. Die »Inschrift« ist inzwischen zugespachtelt worden<br />

und damit vermutlich verloren.<br />

Die »Inschrift« bestand aus zwei Worten mit zusammen fünf<br />

armenischen, Buchstaben, die zwar ungeschickt und auch fehlerhaft<br />

ausgeführt waren. Vier Buchstaben waren gegenüber der<br />

korrekten Schreibweise unten, der letzte oben mit einem zusätzlichen<br />

Abstrich versehen, wodurch die Buchstaben in eigenartiger<br />

Weise verunklärt wirkten.<br />

Die beiden Worte lassen sich vermutlich als »h - es ( ) s k ( )«<br />

d.h. Jes(u)s Ch(ristus) deuten. Das »u« fehlt, das Christusmonogramm<br />

»K« (k’ - e) ersetzt den vollen Namen Christus. Zum<br />

Austausch von »j« und »h« s.o., Anm. 186. Es kann sogar<br />

sein, dass der Schreiber sie als unmittelbare Reaktion auf den<br />

Tod der beiden in Köln verbrannten »Haeretiker« geschrieben<br />

hat. Ein weiteres Einzelzeichen, das offenbar den ersten Buchstaben<br />

des Wortes bilden sollte, ist gänzlich verschlagen worden,<br />

so dass der Schreiber noch einmal von vorn angefangen<br />

hat. Nach diesem Befund müssen auch bei diesem Bau armenische<br />

Handwerker beschäftigt gewesen sein.<br />

Die Annahme, dass es sich in Köln um Paulikianer gehandelt<br />

hat, wird i.Ü. durch ein Dekret des 3. Laterankonzils von 1179<br />

unterstützt, in dem neben den Katharern und Patarenern die<br />

Publikaner (Paulikianer) als Haeretiker verdammt werden<br />

(WOHLMUTH, S. 224.)


Zum Schluss der vorstehenden Beobachtungen, so<br />

fragmentarisch sie auch sind, muss noch auf die<br />

Pfade hingewiesen werden, auf denen die anzunehmenden<br />

armenischen Gruppen, die nicht planmäßig<br />

in den Städten als Garnisonen oder in Militärkolonien<br />

angesiedelt wurden, nach Europa<br />

gelangt sind.<br />

Die Orte, an denen sie Eurpoa betraten, dürften<br />

am Schwarzen Meer die kleinen Küstenstädte und<br />

am Mittelmeer die großen Küstenstädte Dalmatiens,<br />

Apuliens und Südfrankreichs gewesen sein.<br />

Besonders Apulien muss ein besonderer Anziehungspunkt<br />

für alle Einwanderer gewesen sein,<br />

weil seine Hafenstädte durch den Pilgerverkehr<br />

zum Heiligen Land zu hohem Wohlstand gekommen<br />

waren.<br />

Die Pfade ihrer Wanderung und damit ihres Kulturgutes<br />

dürften in Südosteuropa, auf dem Balkan<br />

und in Süddeutschland vorwiegend das Donautal<br />

gewesen sein, in Westdeutschland das Rheintal<br />

und in Frankreich das Rhonetal, außerdem die Pilgerstraßen<br />

nach Rom und nach Santiago di Compostella.<br />

203<br />

Man kann grundsätzlich annehmen, dass es bei der<br />

ständigen und unauffälligen Einwanderung auch<br />

noch weitere Schwerpunkte gegeben hat, die für<br />

die Absichten der Einwanderer besonders erfolgversprechend<br />

waren. Dies dürften in Italien die<br />

Städte Rom und Venedig und die großen Stadtrepubliken<br />

und in Frankreich Marseille und der Süden<br />

Frankreichs gewesen sein, der schon seit den<br />

Zeiten der Merowinger und nach der Abwehr der<br />

Araber in großem Wohlstand stand. Im Süden<br />

Mitteleuropas war ein besonderer Anziehungspunkt<br />

sicher die neue Stadt Wien, die für alle über<br />

die Balkanländer und über andere Länder des<br />

Ostens Kommenden die Pforte Europas bildete.<br />

Dann aber waren es vermutlich vor allem die<br />

wichtigsten Bischofsstädte des Reichs, Konstanz,<br />

Mainz und Köln, daneben Bamberg, wahrscheinlich<br />

auch Hildesheim und Speyer. Hier und in den<br />

Klöstern wurden in dieser Zeit bekanntlich gewaltige<br />

Kirchenbauten in Angriff genommen, die<br />

meisten von ihnen auch mit der Absicht, sie einzuwölben.<br />

Für derartige Einwölbungen waren die<br />

armenischen Baumeister und Steinmetzen auf<br />

Grund ihrer jahrhundertealten Tradition im Gewölbebau<br />

wahrscheinlich als einzige geeignet und<br />

wurden auch deshalb in Anspruch genommen.<br />

102<br />

Dies weiter zu untersuchen, bleibt eine Aufgabe<br />

für die Zukunft. Dafür mögen auch die zahlreichen,<br />

hier beiläufig eingefügten Hinweise auf bestimmte,<br />

historische Zusammenhänge beitragen.<br />

Für diesen Aufsatz soll es genügen, den Umriss für<br />

das historische Phänomen des Wirkens armenischer<br />

Bauhandwerker, für das Eindringen alter<br />

armenischer Bauformen nach Europa und vor<br />

allem für die fast normative Verwendung der<br />

armenischen Maßarten in Europa aufgezeigt und<br />

dies mit einigen, richtungsweisenden Belegen<br />

dokumentiert zu haben.<br />

In memoriam Josef Strzygowski<br />

203 Auf dem Jakobsweg hat der Verfasser kürzlich in Parthenay<br />

(Deux Sèvres) in der Westfassade der Kirche St. Laurent ein<br />

nachträglich eingebautes, sehr altes Relief mit zwei Figuren<br />

als ein typisch armenisches Stifterrelief festgestellt, das in überraschender<br />

Weise fast genau einem an einer ähnlichen Stelle<br />

angebrachten Relief an der Außenwand der Kathedrale von<br />

Edschmiadsin entspricht, das den Apostel Paulus und seine<br />

Schülerin Thekla darstellt, und das in das 4. Jh. (!) datiert wird<br />

(THIERRY, pl. 12).


BIBLIOGRAFIE UND<br />

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS<br />

ABRAHAMJAN<br />

Abrahamjan, Aschot: Armenische Kryptographie, Jerewan<br />

1978 (arm.).<br />

BERIDSE – NEUBAUER<br />

Beridse, Wachtang – Neubauer, Edith: Die Baukunst<br />

des Mittelalters in Georgien vom 4. bis zum 18. Jahrhundert,<br />

Berlin 1980.<br />

BEYERLE<br />

Beyerle, Franz (Übers. u. Hrsg.): Die Gesetze der Langobarden,<br />

Weimar 1947.<br />

BOCK<br />

Bock, Ulrich: Die armenische Baukunst. Geschichte und<br />

Problematik ihrer Erforschung, Dissertation, Köln 1983<br />

(= Veröffentlichung der Abteilung Architektur des<br />

Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln<br />

25).<br />

BOETHIUS<br />

Folkerts, Menso (Übers. u. Hrsg.): Boethius Geometria<br />

II, Wiesbaden 1970.<br />

BRENTJES<br />

Brentjes, Burchard u.a.: Kunst des Mittelalters in Armenien,<br />

Berlin 1981.<br />

BUCHKREMER I<br />

Buchkremer, Josef: Der Dom zu Aachen. Beiträge zur<br />

Baugeschichte II, Aachen 1941.<br />

BUCHKREMER II<br />

Buchkremer, Josef: Der Dom zu Aachen. Beiträge zur<br />

Baugeschichte III, Aachen 1947.<br />

BUSCHHAUSEN<br />

Buschhausen, Helmut: Die süditalienische Bauplastik<br />

im Königreich Jerusalem von König Wilhelm II. bis Kaiser<br />

Friedrich II., Wien 1978 (= Denkschriften der<br />

Österr. Akad. der Wissenschaften, phil.-hist. Kl.<br />

108).<br />

CANARD I<br />

Canard, M.: Un Vizir chrétien à l’époque fâtimite: L’Arménien<br />

Bahrâm, in: A.I.E.O. XII, Alger 1954, S. 84 ff.<br />

103<br />

CANARD II<br />

Canard, M.: Notes sur les Arméniens au Egypte à l’époque<br />

fâtimite, in: A.I.E.O. XIII, Alger 1955, S. 143 ff.<br />

CHWOLSOHN<br />

Chwolsohn, D.: Die Ssabier und der Ssabismus, St.<br />

Petersburg 1858, Reprint Amsterdam 1965.<br />

CRESWELL<br />

Creswell, Keppel A. C.: The Muslim architecture of<br />

Egypt, Bd. I: Ikhshids and Fatimids, A.D. 939-1171;<br />

Bd. II: Ayyubids and early Bahrite mamluks, A.D. 1171-<br />

1326, Oxford 1952, 1959, Nachdruck New York<br />

1978.<br />

DÉDÉYAN<br />

Dédéyan, Gérard (Übers. u. Hrsg.): La Chronique<br />

attribuée au Connétable Smbat, Paris 1980.<br />

DEHIO I<br />

Breuer, Tilmann (Bearb.): Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler:<br />

Bayern I, Franken, München – Berlin 1979.<br />

DEHIO II<br />

Schmitz-Ehmke, Ruth (Bearb.): Handbuch der Deutschen<br />

Kunstdenkmäler: Nordrhein-Westfalen, Bd. 1: Rheinland,<br />

München – Berlin 1967.<br />

<strong>DES</strong>CHAMPS I<br />

Deschamps, Paul: Le Chateau de Saone dans la Principauté<br />

d’Antioche, in: Gazette des Beaux-Arts, Bruxelles<br />

1930, S. 329 ff.<br />

<strong>DES</strong>CHAMPS II<br />

Deschamps, Paul: Le Crac des Chevaliers, Bd. I und II,<br />

Paris 1934.<br />

<strong>DES</strong>CHAMPS III<br />

Deschamps, Paul: Le Chateau de Saone et ses premiers<br />

Seigneurs, in: SYRIA 16, 1935, S. 73 ff.<br />

<strong>DES</strong>CHAMPS IV<br />

Deschamps, Paul: Le Défense du Comté de Tripoli et de la<br />

Principauté d’Antioche, Paris 1973.<br />

DJOBADZE<br />

Djobadze, Wachtang: Early medieval Georgian monasteries<br />

in historic Tao, Klarjet’i and Sˇavšet’i, Stuttgart 1992 (=<br />

Forschungen zur Kunstgeschichte und christlichen<br />

Archäologie 17).


DOCUMENTI I<br />

Gandolfo, Francesco u.a.: Ptghni / Arudch, Milano<br />

1986 (= Documenti di architettura Armena 16).<br />

DOCUMENTI II<br />

Hasratian, Mourad (Hrsg.): Ketcharis, Milano 1982 (=<br />

Documenti di architettura Armena 11).<br />

EDWARDS I<br />

Edwards, Robert W.: The Crusader Donjon at Anavarza<br />

in Cilicia, in: Abstracts of the 10 th Annual Byzantine<br />

Studies Conference, Cincinnati, 1984.<br />

EDWARDS II<br />

Edwards, Robert W.: The fortifications of Armenian Cilicia,<br />

Washington 1987 (= Dumbarton Oaks studies 23).<br />

EI<br />

Gibb, Hamilton A. R. (Hrsg.): The encyclopaedia of Isl - am,<br />

New Edition, Bde. 1-11, Leiden – London 1961-2002.<br />

EUKLID<br />

Thaer, Clemens (Übers. u. Hrsg.) – Schreiber, Peter<br />

(Einl.): Die Elemente. Bücher 1-XIII von Euklid, Reprint<br />

[der Ausg.] Leipzig, Akad. Verl.-Ges. [1933, 1935,<br />

1936 und 1937], 4. erw. Aufl. Frankfurt am Main 2003.<br />

FALKENSTEIN<br />

Falkenstein, Ludwig: Zwischenbilanz zur Aachener<br />

Pfalzenforschung. Kritische Bemerkungen zu Forschungsberichten<br />

über die Aachener Pfalz im Sammelwerk „Karl der<br />

Große – Lebenswerk und Nachleben“, in: Zeitschrift des<br />

Aachener Geschichtsvereins 80, 1970, S. 7 ff.<br />

FONSECA<br />

Fonseca, Damiano Cosimo: Tra gli Armeni dell’ Italia<br />

meridionale, in: Atti del primo Simposio internazionale di<br />

Arte Armena 1975, Venezia S. Lazzaro 1978, S. 181 ff.<br />

FRENKEL<br />

Frenkel, Yehoshua: Political and social aspects of Islamic<br />

religious endowments (awqaf): Saladin in Cairo (1169-<br />

73) and Jerusalem (1187-93), in: Bulletin of the School<br />

of Oriental and African Studies 62, 1999, S. 1 ff.<br />

GARSOIAN Garsoïan, Nina G.: The Paulician Heresy,<br />

Den Haag – Paris 1967.<br />

104<br />

GÖTZE<br />

Götze, Heinz: Castel del Monte. Gestalt und Symbol der<br />

Architektur Friedrichs II., München 1984.<br />

GOTTWALD<br />

Gottwald, J.: Die Kirche und das Schloß Paperon in<br />

Kilikisch-Armenien, in: Byzantinische Zeitschrift 36,<br />

1936, S. 86 ff.<br />

HAHN<br />

Hahn, Hanno (Text u. Textabbildungen) – Renger-<br />

Patzsch, Albert (Fotos): Hohenstaufenburgen in Süditalien,<br />

Ingelheim 1961.<br />

HANISCH I<br />

Hanisch, Hanspeter: Die seldschukischen Bauten der<br />

Zitadelle von Damaskus, in: Damaszener Mitteilungen<br />

6, 1992, S. 479 ff.<br />

HANISCH II<br />

Hanisch, Hanspeter: Der Nordostabschnitt der Zitadelle von<br />

Damaskus, in: Damaszener Mitteilungen 7, 1993, S. 233 ff.<br />

HANISCH III<br />

Hanisch, Hanspeter: Die ayy - ubidischen Toranlagen der<br />

Zitadelle von Damaskus, Wiesbaden 1996.<br />

HANISCH IV<br />

Hanisch, Hanspeter: Die Maschikulis der Zitadelle von<br />

Damaskus, in: Damaszener Mitteilungen 9, 1996, S. 227 ff.<br />

HANISCH V<br />

Hanisch, Hanspeter: Isl - amische Maßarten und Maßsysteme,<br />

dargestellt an der Zitadelle von Damaskus, in:<br />

architectura 29 (1/1999), 1999, S. 12 ff.<br />

HANISCH VI<br />

Hanisch, Hanspeter: Über das Wirken armenischer<br />

Bauhandwerker in Nordsyrien und Nordmesopotamien,<br />

Tagungsband ORDO ET MENSURA VI, St. Katharinen<br />

2000; und Tagungsband ARMENIEN 2000,<br />

Halle (Saale), im Druck.<br />

HANISCH VII<br />

Hanisch, Hanspeter: Die ayy - ubidischen Wehranlagen in<br />

den Zitadellen von H. arr - an und Damaskus, ein Vergleich,<br />

in: Vermeulen, U. – van Steenbergen, J. (Hrsg.):<br />

Egypt and Syria in the Fatimid, Ayyubid and Mamluk<br />

Eras III, Leuven 2001 (= Orientalia Lovaniensia<br />

Analecta 102), S. 61 ff.


HANISCH VIII<br />

Hanisch, Hanspeter: Hromklay. Die armenische Klosterfestung<br />

am Euphrat, Bregenz 2002.<br />

HANISCH IX<br />

Hanisch, Hanspeter: The works of al-Malik al-‘A - dil in<br />

the citadel of H. arr - an, in: Faucherre, Nicolas – Mesqui,<br />

Jean – Proudeau, Nicolas (Hrsg.): Fortification au<br />

temps des Croisades, Rennes 2003, S. 165 ff.<br />

HANISCH X<br />

Hanisch, Hanspeter: Die Zitadelle von H. arr - an, in: Vermeulen,<br />

U. – van Steenbergen, J. (Hrsg.): Egypt and<br />

Syria in the Fatimid, Ayyubid and Mamluk Eras IV,<br />

Leuven 2005 (= Orientalia Lovaniensia Analecta 140),<br />

S. 185 ff.<br />

HARUTJUNIAN<br />

Harutjunian, Warasdat: Die Annalen des armenischen<br />

Volkes in Stein (russ.), Jerewan 1985.<br />

HASELOFF<br />

Haseloff, Arthur: Die Bauten der Hohenstaufen in Unteritalien,<br />

Bd. I, Text- und Tafelband, Leipzig 1914-1926.<br />

HASRATHIAN<br />

Hasrathian, M. – Harouthioumian, V. – Tutundjan,<br />

V.: Monuments of Armenia. From the prehistoric Era to the<br />

17 th Century (franz., engl., arm.), Beirut 1975.<br />

HEINZ I<br />

Heinz, Werner: Das Oktogon, Notizen zur Bedeutung, zur<br />

Konstruktion und zu Castel del Monte, in: Ahrens, Dieter<br />

– Rottländer, Rolf C. A. (Hrsg.): ORDO ET MEN-<br />

SURA IV/V, St. Katharinen 1998 (= Sachüberlie -<br />

ferung und Geschichte. Siegener Abhandlungen zur<br />

Entwicklung der materiellen Kultur 25), S. 38 ff.<br />

HEINZ II<br />

Heinz, Werner: Castel del Monte, zu Entwurf und Übertragung<br />

ins Gelände, in: Rottländer, Rolf C. A. (Hrsg.):<br />

ORDO ET MENSURA VI, St. Katharinen 2000 (=<br />

Sachüberlieferung und Geschichte. Siegener Abhandlungen<br />

zur Entwicklung der materiellen Kultur 25),<br />

S. 105 ff.<br />

HELLENKEMPER I<br />

Hellenkemper, Hansgerd: Burgen der Kreuzritterzeit in<br />

der Grafschaft Edessa und im Königreich Kleinarmenien,<br />

Dissertation, Bonn 1976 (= Geographica historica 1).<br />

105<br />

HELLENKEMPER II<br />

Hild, Friedrich – Hellenkemper, Hansgerd: Kilikien<br />

und Isaurien, Wien 1990 (= Tabula Imperii Byzantini<br />

5 / Denkschriften der Österr. Akad. d. Wissen -<br />

schaften, phil.-hist. Kl. 215).<br />

HELLENKEMPER III<br />

Hellenkemper, Hansgerd: Ein byzantinisches Baumaß,<br />

in: Istanbuler Mitteilungen 39, 1989, S. 181 ff.<br />

HENNING<br />

Henning, Walter Bruno: An Astronomical Chapter of the<br />

Bundahišn, in: Journal of the Royal Asiatic Society<br />

1942, S. 229 ff.<br />

HERZFELD<br />

Herzfeld, Ernst: Die Baukunst der Armenier und Europa,<br />

Rezension, in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst<br />

und Städtebau, IV. Jg., 1919/20, S. 2 ff.; S. 24 ff.<br />

HUFF<br />

Huff, Dietrich: Qal’a-ye Dukhtar bei Firuzabad. Ein<br />

Beitrag zur sasanidischen Palastarchitektur, in: Archäologische<br />

Mitteilungen aus Iran, NF, Bd. 4, 1971, S. 127 ff.<br />

JANSEN<br />

Jansen, Michael: Concinnitas und venustas – Weitere Überlegungen<br />

zu Maß und Proportion der Pfalzkapelle Karls des<br />

Großen, in: Butzer, P. – Kerner, W. – Oberschelp, W.<br />

(Hrsg.): Karl der Große und sein Nachwirken. 1200<br />

Jahre Kultur und Wissenschaft in Europa, Bd. 1: Wissen<br />

und Weltbild, Turnhout 1997, S. 367 ff.<br />

KOLMER<br />

Kolmer, Lothar: Armenier im Westen des 10. und 11.<br />

Jahrhunderts, in: Ruprechtsberger, Erwin M. (Red.):<br />

Armenien. Beiträge zur Sprache, Geschichte und<br />

Archäologie, Linz 1990 (= Linzer Archäologische<br />

Forschungen 18/2), S. 66 ff.<br />

KREUSCH I<br />

Kreusch, Felix: Das Maß des Engels, in: Hoster, Joseph –<br />

Mann, Albrecht (Hrsg.): Vom Bauen, Bilden und<br />

Bewahren. Festschrift für Willy Weyres zur Vollendung<br />

seines 60. Lebensjahres, Köln – Greven 1964, S. 61 ff.<br />

KREUSCH II<br />

Kreusch, Felix: Kirche, Atrium und Portikus der Aach ener<br />

Pfalz, in: Braunfels, Wolfgang – Schnitzler, Hermann


(Hrsg.): Karolingische Kunst, Düsseldorf 1965 (=<br />

Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, Band<br />

III), S. 463 ff.<br />

KUNSTDENKMÄLER<br />

Ewald, Wilhelm: Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln,<br />

Bd. 1, 4. Abt.: Die kirchlichen Denkmäler der Stadt Köln,<br />

Düsseldorf 1916 (= Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz<br />

6,4), S. 330 ff.<br />

KUTZLI<br />

Kutzli, Rudolf: Langobardische Kunst. Die Sprache der<br />

Flechtbänder, Stuttgart 1974.<br />

LAMBERT<br />

Lambert, Malcolm: Geschichte der Katharer. Aufstieg und<br />

Fall der großen Ketzerbewegung, Darmstadt 2001.<br />

LEISTIKOW<br />

Leistikow, Dankwart: Zum Mandat Kaiser Friedrichs II.<br />

von 1240 für Castel del Monte, in: architectura 22<br />

(1/1992), 1992, S. 16 ff.<br />

LLOYD – BRICE<br />

Lloyd, Seton – Brice, William: H. arr - an, in: Anatolian<br />

Studies I, London 1951, S. 77 ff.<br />

MALLWITZ<br />

Mallwitz, Alfred: Olympia und seine Bauten, Darmstadt<br />

1972.<br />

MARIANI<br />

Mariani, M. S. Carlò: Considerazioni sull’ architettura<br />

medievale in Puglia, in: Atti del primo Simposio internazionale<br />

di Arte Armena 1975, Venezia S. Lazzaro<br />

1978, S. 417 ff.<br />

MNAZAKANIAN<br />

Mnazakanian, S. Ch.: Die Sünik-Schule in der armeni -<br />

schen Architektur (arm.), Jerewan 1960.<br />

MEHRERAU<br />

Zisterzienserabtei Mehrerau (Hrsg.): Bernhard von<br />

Clairvaux: „Das Hohelied“, Ansprachen über die beiden<br />

ersten Kapitel des Hoheliedes Salomons, Wittlich 1938.<br />

MEZ<br />

Mez, Adam, Geschichte der Stadt H. arr - an in Mesopotamien<br />

bis zum Einfall der Araber, Dissertation, Straßburg<br />

1892.<br />

106<br />

MIGNE<br />

Migne, Jacques Paul: Patrologiae cursus completus sive<br />

bibliotheca universalis, integra, uniformis, commoda, oeconomica,<br />

omnium ss. patrum, doctorum scriptorum que eccle -<br />

siasticorum qui ab aevo apostolico ad usque Innocentii III<br />

tempora floruerunt (...), Parisiis 1844 ff. (bes. Bd. 182).<br />

MÜNSTER I<br />

Spahr, P. Kolumban: Die romanische Basilika der<br />

Mehrerau in ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung, in: Das<br />

Münster, 18. Jg., Heft 1/2, Januar/Februar 1965, S. 1 ff.<br />

MÜNSTER II<br />

Vonbank, Elmar: Die archäologische Untersuchung der<br />

romanischen Basilika in Bregenz – Mehrerau, in: Das<br />

Münster, 18. Jg., Heft 1/2, Januar/Februar 1965, S. 9 ff.<br />

NERSESSIAN<br />

Nersessian, Vrey: The Tondrakian Movement: Religious<br />

Movements in the Armenian Church from the Fourth to the<br />

Tenth Centuries, London 1987.<br />

NOVELLO<br />

Novello, Adriano Alpago: Die Armenier. Brücke zwi schen<br />

Abendland und Orient, Stuttgart – Zürich 1986.<br />

RAU<br />

Rau, Reinhold (Übers. u. Hrsg.): Notkeri Gesta Karoli,<br />

in: ders. (Übers. u. Hrsg.): Quellen zur karolingischen<br />

Reichsgeschichte III, Darmstadt 1960 (= Ausgewählte<br />

Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters<br />

VII = Freiherr von Stein-Gedächtnisausgabe<br />

VII), S. 321 ff.<br />

RHOEN<br />

Rhoen, Carl: Die Kapelle der karolingischen Pfalz zu<br />

Aachen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins<br />

8, 1886, S. 15 ff.<br />

RICE<br />

Rice, David Storm: Studies in Medieval H. arr - an, in:<br />

Anatolian Studies II, London 1952, S. 36 ff.<br />

RIVOIRA<br />

Rivoira, Giovanni Teresio: Le origini della architettura<br />

lombarda e delle sue principali derivazioni nei paesi<br />

d’oltr’alpe, Bd. 2, Rom 1907 (Mailand 1908 2 ).


ROBINSON – HUGHES<br />

Robinson, F. C. R. – Hughes, P. C.: Lampron: Castle of<br />

Armenian Cilicia, in: Anatolian Studies XIX, 1969,<br />

S. 183 ff.<br />

ROTTLÄNDER I<br />

Rottländer, Rolf C. A.: Eine neu aufgefundene antike<br />

Maßeinheit auf dem metrologischen Relief von Salamis, in:<br />

ÖJh 61, Wien 1991/92, S. 63 ff.<br />

ROTTLÄNDER II<br />

Rottländer, Rolf: Die Längeneinheiten und das Raster des<br />

ehemaligen Chorherren-Stifts St. Georg am Waidmarkt,<br />

Köln, in: Huber, Florian – Rottländer, Rolf C. A.<br />

(Hrsg.): ORDO ET MENSURA VII, St. Katharinen<br />

2002 (= Sachüberlieferung und Geschichte. Siegener<br />

Abhandlungen zur Entwicklung der materiellen Kultur<br />

34), S. 187 ff.<br />

ROTTLÄNDER III<br />

Rottländer, Rolf: Metrologisches von der Aachener Pfalz, in:<br />

Huber, Florian – Rottländer, Rolf C. A. (Hrsg.): ORDO<br />

ET MENSURA VIII, St. Katherinen 2004, S. 151 ff.<br />

SAUVAGET<br />

Sauvaget, Jean: La citadelle de Damas, SYRIA XI,<br />

1930, S. 60 ff.; 216 ff.<br />

SCHAFFRAN<br />

Schaffran, Emerich: Die Kunst der Langobarden in Italien,<br />

Jena 1941.<br />

SCHILBACH<br />

Schilbach, Erich: Handbuch der Altertumswissenschaft.<br />

Byzantinische Metrologie, Bd. 4, München 1970.<br />

SCHIRMER<br />

Schirmer, Wulf: Castel del Monte. Forschungsergebnisse<br />

der Jahre 1990 bis 1996, Mainz 2000.<br />

SCHORN<br />

Schorn, Wilhelm – Verbeek, Albert: Die Kirche St.<br />

Georg in Köln, Berlin 1940.<br />

SCHOTTNER<br />

Schottner, Alfred: Das Brauchtum der Steinmetzen in den<br />

spätmittelalterlichen Bauhütten und dessen Fortleben und<br />

Wandel bis zur heutigen Zeit, Münster 1994 (= Volks -<br />

kunde 6).<br />

107<br />

SIEBIGS<br />

Siebigs, Hans Karl: Neuere Untersuchungen der Pfalz -<br />

kapelle zu Aachen, in: Schefers, Hermann (Hrsg.): Einhard.<br />

Studien zu Leben und Werk, Darmstadt 1997 (=<br />

Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission<br />

NF Bd. 12), S. 95 ff.<br />

STECK<br />

Steck, Max (Ed.): Kommentar zum ersten Buch von Euklids<br />

„Elementen“ / Proklus Diadochus. Aus d. Griech. ins<br />

Deutsche übertr. u. mit textkrit. Anm. vers. v. Schönberger,<br />

Leander, Halle 1945.<br />

STRZYGOWSKI I<br />

Strzygowski, Josef: Die Baukunst der Armenier und<br />

Europa, Wien 1918.<br />

STRZYGOWSKI II<br />

Strzygowski, Josef: Der Dom zu Aachen und seine Ent -<br />

stellung, Leipzig 1904.<br />

THIERRY<br />

Thierry, Jean-Michel – Goltz, Hermann (Bearb.):<br />

Armenien im Mittelalter, Regensburg 2002.<br />

THORAMANIAN<br />

Thoramanian, Thoros: Materialien zur Geschichte der<br />

armenischen Architektur (arm.), Jerewan 1942<br />

(posthum).<br />

TSCHUBINASCHWILI<br />

Tschubinaschwili, Georg: Die christliche Kunst im Kaukasus<br />

und ihr Verhältnis zur allgemeinen Kunstgeschichte (Eine<br />

kritische Würdigung von Josef Strzygowskis „Die Baukunst<br />

der Armenier und Europa“), Leipzig 1922, S. 217 ff.<br />

VEH I<br />

Veh, Otto (Übers. u. Hrsg.): Prokopius: „Caesariensis“,<br />

Bd. 2: Gotenkriege, München 1966 (= Tusculum-<br />

Bücherei).<br />

VEH II<br />

Veh, Otto (Übers. u. Hrsg.): Prokopius: „Caesariensis“,<br />

Bd. 1: Anekdota, München 1981 3 .<br />

WOHLMUTH<br />

Wohlmuth, Josef (Übers. u. Hrsg.): Konzilien des Mittelalters<br />

vom ersten Laterankonzil (1123) bis zum fünften<br />

Laterankonzil (1512-1517), Paderborn – Wien u.a.<br />

2000 (= Dekrete der ökumenischen Konzilien, Bd. 2).


WIEMER I<br />

Wiemer, Wolfgang: Die Baugeschichte und Bauhütte der<br />

Erbracher Abteikirche 1200-1285, in: Jb. f. fränkische<br />

Landesforschung 17, 1958, S. 1 ff.<br />

WIEMER II<br />

Wiemer, Wolfgang: Ars sine scientia nihil est – Kathedralen<br />

und Computer, in: Essener Universitätsberichte 1,<br />

1991, S. 26 ff.<br />

WIEMER III<br />

Wiemer Wolfgang: Maßordnung und Fußmaß mittelalterlicher<br />

Kirchen am Beispiel der Abteikirche Erbrach, in:<br />

Arens, Dieter – Rottländer, Rolf C. A. (Hrsg.):<br />

ORDO ET MENSURA III, St. Katharinen 1993 (=<br />

Sachüberlieferung und Geschichte. Siegener Abhandlungen<br />

zur Entwicklung der materiellen Kultur 13),<br />

S. 263 ff.<br />

WILLEMSEN<br />

Willemsen, Carl Arnold: Kaiser Friedrichs II. Triumphtor<br />

zu Capua. Ein Denkmal Hohenstaufischer Kunst in<br />

Süditalien, Wiesbaden 1953.<br />

WINTERFELD<br />

Winterfeld, Dethard v.: Der Dom in Bamberg. Bd. 1. Die<br />

Baugeschichte bis zur Vollendung im 13. Jahrhundert. Bd. 2.<br />

Der Befund, Bauform und Bautechnik, Berlin 1979.<br />

ZEKIYAN<br />

Zekiyan, L. B.: Le colonie armene del medioevo in Italia e<br />

le relazioni culturali italo-armene (Materiale per la storia<br />

degli Armeni in Italia), in: Atti del primo Simposio<br />

internazionale di Arte Armena 1975, Venezia S. Lazzaro<br />

1978, S. 803 ff.<br />

108

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!