Teilbericht "Lebendspende" - Gesundheitsministerkonferenz
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Anlage 1 zu TOP 5.7 der 81. GMK<br />
GMK-Arbeitsgruppe Bioethik und Recht<br />
<strong>Teilbericht</strong> „Lebendspende“ - Aktualisierung 2008<br />
Gliederung<br />
I. Einleitung 3<br />
II. Wissenschaftlicher Stand / Medizinische Ergebnisse 4<br />
1. Empfänger 4<br />
a) Niere 4<br />
b) Leber 4<br />
2. Spender 5<br />
a) Niere 5<br />
b) Leber 5<br />
3. Grundlagen für die Einschätzung der gesundheitlichen Risiken für den Spender 6<br />
III. Situation der Lebendspende in der Bundesrepublik Deutschland und international 7<br />
1. Inanspruchnahme 7<br />
2. Organhandel 7<br />
3. Internationale Abkommen 7<br />
IV.<br />
Rechtliche Bewertung ausgewählter Problemkreise bei der Durchführung der<br />
Lebendspende in der Bundesrepublik Deutschland<br />
8<br />
1. Einwilligungsfähigkeit und Volljährigkeit 8<br />
2. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen bei nicht regenerierungsfähigen Organen 10<br />
a) Zulässiger Empfängerkreis 10<br />
(1) Offenkundiges Nahestehen in besonderer persönlicher Verbundenheit 10<br />
(2) Verfassungsrechtliche Beurteilung der Einschränkung des Empfängerkreises im<br />
12<br />
Transplantationsgesetz<br />
b) Überkreuzspende (sog. Cross-Over-Spende) 13<br />
c) Anonyme Lebendspende 14<br />
3. Subsidiarität der Lebendspende 15<br />
4. Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Lebendspende 16<br />
a) Freiwilligkeit / Psychische Belastungen im Spender-Empfänger-Verhältnis 16<br />
b) Lebendspendekommission 17<br />
(1) Überblick über die Regelungen zur Lebendspendekommission in den Ländern 17<br />
(2) Prüfung durch die Lebendspendekommission 17<br />
5. Ausländische Spender und Empfänger ohne Wohnsitz in einem Mitgliedstaat des<br />
19<br />
Eurotransplant-Verbundes<br />
a) Subsidiarität der Lebendspende 19<br />
b) Verpflichtung zur Nachbetreuung 20<br />
c) Überprüfung der Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Entscheidung 20
2<br />
6. Strafbarkeit des Organhandels 21<br />
a) Organhandel: § 17 TPG 21<br />
(1) Überkreuzspende als Organhandel? 21<br />
(2) Kompensationen für den Spender als Organhandel? 21<br />
b) Strafbarkeit: § 18 TPG 22<br />
V. Volkswirtschaftliche Bewertung 23<br />
1. Kosten von Organtransplantationen nach einer Lebendspende 23<br />
a) Direkter Kostenvergleich 23<br />
b) Ambulante Dialyse 23<br />
c) Stationäre Transplantation 23<br />
d) Kostenvergleich 24<br />
e) Kosten nach Transplantation 24<br />
f) Kosten der Lebertranplantation<br />
g) Indirekte Auswirkungen 25<br />
2. Sozialversicherung für den Spender 25<br />
a) Versicherungsschutz des Spenders bei komplikationsloser Organentnahme 25<br />
(1) Krankenbehandlung 25<br />
(2) Verdienstausfall und Fahrkosten 26<br />
b) Versicherungsschutz des Spenders bei Organentnahme mit Komplikationen 26<br />
(1) Gesundheitliche Schädigungen 26<br />
(2) Tod des Spenders 26<br />
c) Versicherungsschutz bei Wegeunfällen 27<br />
3. Weitere Belastungen für den Spender 27<br />
VI. Handlungsempfehlungen 28<br />
1. Lebendspenderegister 28<br />
2. Lebendspendekommission 28<br />
3. Abgrenzung Versicherungsträger 28<br />
Literatur 29
3<br />
I. Einleitung<br />
Bei irreversiblem Versagen lebenswichtiger Organe kann die moderne Medizin heute Leben<br />
retten. Z.T. können technische Verfahren die Organfunktion übernehmen, wenn möglich,<br />
werden Spenderorgane transplantiert.<br />
Die Nierenfunktion kann über Jahre durch die Dialyse ersetzt werden. Das Verfahren bringt<br />
eigene medizinische Risiken mit sich, schränkt die Lebensqualität ein und ist kostspielig. Die<br />
volkswirtschaftliche Bedeutung sowohl der Dialyse als auch der Nierentransplantation wird<br />
im folgenden Bericht unter V. behandelt.<br />
Die Funktion anderer Organe ist durch technische Geräte bedeutend schwerer zu ersetzen.<br />
Mechanische Kreislaufersatz- und -unterstützungspumpen werden zwar erfolgreich zur<br />
Überbrückung schwerer Herzinsuffizienzen eingesetzt, eine Dauerversorgung mit einem<br />
„Kunstherz“ ist jedoch bisher die Ausnahme. Die Entwicklung der künstlichen Leber befindet<br />
sich noch im Experimentalstadium.<br />
Ein weiteres Forschungsgebiet ist die Xenotransplantation. Die Nutzung tierischer Organe,<br />
insbesondere die von Schweinen, ist noch nicht praxisreif. Die Züchtung von Organen aus<br />
menschlichen Stammzellen befindet sich ebenfalls noch im Anfangsstadium und ist speziell<br />
bei der Nutzung embryonaler Stammzellen mit ethischen Problemen behaftet.<br />
Grundproblem der Transplantationsmedizin ist der Organmangel. Die Zahl der<br />
Dialysepatienten in Deutschland beträgt ca. 70.000, etwa 10.000 davon stehen auf der<br />
Warteliste für eine Nierentransplantation. Jedoch lediglich zwischen 2.000 und 2.500 Nieren<br />
werden pro Jahr nach postmortaler Organspende übertragen.<br />
Der Anteil von Unfallopfern unter den Organspendern geht beispielsweise durch moderne<br />
Sicherungssysteme zurück. In den Krankenhäusern werden potentielle Organspender oft<br />
nicht erkannt oder nicht gemeldet oder die Organspende unterbleibt durch organisatorische<br />
Mängel. In den seltensten Fällen liegt eine schriftliche Zustimmung des Verstorbenen vor.<br />
Angehörige lehnen die Organspende häufig wegen eigener Vorbehalte ab. Oftmals ist ihnen<br />
der Wille des Verstorbenen auch nicht bekannt.<br />
Daher hat die <strong>Gesundheitsministerkonferenz</strong> auf ihrer Sitzung am 17./18. Juni 2004 einen<br />
Beschluss gefasst mit dem Ziel, einerseits die Organisation in den Krankenhäusern im<br />
Hinblick auf die Organspende und andererseits die Aufklärung der Bevölkerung zu<br />
verbessern.<br />
Die Schere zwischen dem zur Versorgung von Patienten notwendigen Bedarf an Organen<br />
und dem Organangebot wird ständig größer. Eine vollständige Deckung des steigenden<br />
Organbedarfs aus postmortalen Spenden erscheint zurzeit unrealistisch. Für das paarige<br />
Organ Niere besteht prinzipiell die Möglichkeit der Lebendspende. Auch Teilspenden von<br />
Leber, Dünndarm und Lunge sind möglich.<br />
Die Lebendspende ist gemäß Transplantationsgesetz nachrangig gegenüber der<br />
postmortalen Organspende.<br />
Größere Verbreitung hat die Lebendspende von Nieren und Teillebern gefunden. Die<br />
rechtliche und ethische Problematik der Lebendspende soll daher im <strong>Teilbericht</strong> am Beispiel<br />
dieser Organe verdeutlicht werden. Dabei wird der hier verwendete Begriff „Organ“ im<br />
engeren Sinne verstanden; insbesondere bezieht sich der Bericht daher nicht auf Gewebe,<br />
Blut und Knochenmark.
4<br />
II. Wissenschaftlicher Stand / Medizinische Ergebnisse<br />
1. Empfänger<br />
a) Niere<br />
Nach Nierentransplantation beträgt die 1-Jahres-Überlebensrate aller Patienten heute 97%;<br />
die Todesfälle sind dabei hauptsächlich auf kardiovaskuläre Ereignisse und Infektionen<br />
zurückzuführen. Nach fünf Jahren leben noch über 85% der Patienten.<br />
Ein funktionierendes Nierentransplantat liegt nach einem Jahr bei 90 bis 95% der Fälle nach<br />
Lebendspende und bei 85% der Fälle nach Leichenspende vor 1 .<br />
Für den Erfolg der Nierentransplantation spielt die Gewebeverträglichkeit oder auch<br />
HLA-Kompatibilität eine entscheidende Rolle. Der Begriff leitet sich vom Human Leukocyte<br />
Antigen ab, da die Oberflächen-Antigene u.a. auf weißen Blutkörperchen lokalisiert sind. Bei<br />
kompletter HLA-Übereinstimmung, der so genannten Full-House-Identität (ca. 20% der von<br />
Eurotransplant vermittelten Nieren), sind die Ergebnisse am besten 2 .<br />
Der Anteil der Lebendnierenspenden hat in Deutschland in den letzten Jahren<br />
stetig zugenommen und liegt derzeit bei fast 20% aller durchgeführten<br />
Nierentransplantationen<br />
Im Jahr 2006 sind 522 Nierentransplantationen mit Organen lebender Spender durchgeführt<br />
worden. Dies sind fast 20% aller Nierentransplantationen 3 .<br />
Die erste für Deutschland dokumentierte Lebendnierentransplantation unter Nichtverwandten<br />
fand 1986 bei zufällig festgestellter Full-House-Identität statt. Zwischenzeitlich sind<br />
zahlreiche Transplantationen auch bei nichtbestehender Übereinstimmung im HLA-System<br />
mit gleich guten Ergebnissen durchgeführt worden. Neue Forschungsergebnisse erklären die<br />
schlechteren Ergebnisse der Leichenorgantransplantation mit einer immunologischen<br />
Aktivierung des Spenderorgans durch den Hirntod, welche zu einer Verschlechterung der<br />
Organqualität führt 4 . Die Bedeutung der Rolle von HLA-Unterschieden könnte damit<br />
zunehmend relativiert werden.<br />
Durch eine Nierenlebendspende lässt sich die Zeit der Dialyse verkürzen bzw. die Dialyse<br />
gänzlich vermeiden. Dialysepatienten warten durchschnittlich fünf Jahre auf eine<br />
Transplantation. Während dieser Zeit haben sie ein höheres Risiko für kardiovaskuläre<br />
Erkrankungen. Sie leiden weiterhin unter Blutarmut, Osteoporose, Juckreiz und Impotenz.<br />
Ein Teil der Dialysepatienten infiziert sich mit Hepatitis B oder C. Eine frühzeitige<br />
Nierentransplantation (durch Lebendspende) beeinflusst den Gesundheitszustand daher<br />
positiv und erhöht die Chancen für eine langdauernde gute Funktion des implantierten<br />
Organs.<br />
b) Leber<br />
Die 1-Jahres-Überlebensrate von Patienten nach Lebertransplantation liegt heute über 90%;<br />
nach 5 Jahren leben noch 86% der Transplantierten 5 .<br />
Nach einem Jahr funktionieren noch 75% der Transplantate, nach 3 Jahren 66 % 6 .<br />
Durch die Leberlebendspende kann die Wartezeit verkürzt und der Operationszeitpunkt<br />
geplant werden. Der Patient erhält eine gesunde Teilleber, die nur kurze Zeit ischämisch<br />
war. Allerdings kann sich die übertragene Lebermasse als zu gering erweisen. Der<br />
1<br />
Tullius u.a.<br />
2<br />
Tullius u.a.<br />
3<br />
Stiftung Lebendspende<br />
4<br />
Pratschke u.a.<br />
5<br />
Müller u.a.<br />
6<br />
RKI - Gesundheitsberichterstattung des Bundes, S. 15
5<br />
Anschluss der Gallenwege ist schwieriger als bei einer kompletten Leichenleber.<br />
Der erwachsene Empfänger ist im Falle der Transplantation eines grenzwertigen<br />
Lebervolumens durch ein „Small-for-Size-Syndrom“ gefährdet. Dieses Syndrom ist<br />
gekennzeichnet durch Hyperbilirubinämie, Aszites und eingeschränkter Syntheseleistung.<br />
Weitere postoperative Komplikationen sind meist infektiöser oder operationstechnischer<br />
Genese 7 .<br />
Chancen Empfänger Leber-Lebendspende<br />
Verkürzung der Wartezeit/ Abwendung des<br />
eigenen Todes<br />
Optimal planbare Transplantation<br />
Optimale Organqualität<br />
Quelle: Walter/Burdelski/Bröring, S. 105<br />
Risiken Empfänger Leber-Lebendspende<br />
Spezifische Komplikationen der<br />
Teillebertransplantation (gehäuft biliäre<br />
Komplikationen)<br />
Schuldgefühle bei Komplikationen des Spenders<br />
2. Spender<br />
Wesentlich für die allgemeine Akzeptanz der Lebendspende ist ein vertretbares Maß an<br />
Risiken für den Spender.<br />
a) Niere<br />
Wie bei allen Operationen kann es in seltenen Fällen zu Wundinfekten, Harnwegsinfekten,<br />
Venenentzündungen, Wundblutungen und vereinzelt zu Lungenembolien kommen.<br />
Mit 0,03 bis 0,06% ist das Risiko, durch eine Nierenentnahme zu sterben, sehr gering. Eine<br />
Untersuchung in den USA fand 5 Todesfälle auf 19.368 Lebendspenden 8 .<br />
Als Spätschäden nach Nierenlebendspende muss mit Einschränkungen der Nierenfunktion,<br />
mit Bluthochdruck und mit Eiweißausscheidung im Urin gerechnet werden. Mistry-Burchardi<br />
u.a. fanden bei 152 Spendern des Universitätsklinikums München nach einer mittleren<br />
Beobachtungszeit von 3 Jahren eine durchschnittliche Nierenfunktion von 73% des Ausgangswertes,<br />
wobei keine Tendenz zur Verschlechterung festzustellen war. Eine signifikante<br />
Proteinurie wurde nicht beobachtet, eine neue Hochdruckerkrankung nur bei<br />
2 von 100 Patienten festgestellt. Narbenbrüche traten in 2% der Fälle, Narbenschmerzen bei<br />
5% der Spender auf. Die Ergebnisse sind mit retrospektiven Untersuchungen in anderen<br />
Ländern vergleichbar. Im Schweizerischen Lebendspenderregister wird seit 1993 der<br />
Gesundheitszustand der Spender prospektiv erfasst. Die Auswertung stützt die<br />
Einschätzung, dass Lebensqualität und Lebenserwartung Gesunder durch eine<br />
Nierenspende in der Regel nicht beeinträchtigt werden. Das Risiko, im Laufe des Lebens<br />
dialysepflichtig zu werden, entspricht dem der Durchschnittsbevölkerung 9 .<br />
b) Leber<br />
Die am häufigsten auftretenden schwerwiegenden Komplikationen sind biliären Ursprungs<br />
(Leckagen, Strikturen) und Infektionen.<br />
Bei ca. 5% der Spender tritt ein Galleleck am Resektionsrand der Leber auf. In 9-19% der<br />
Fälle gibt es abdominelle Probleme wie Narbenhernien und Passagestörungen des Darms 10 .<br />
Valide Daten zur Arbeitsunfähigkeit liegen nicht vor. In einem Merkblatt für Spender des<br />
Universitätsklinikums Essen wird z.B. von einer Dauer der Arbeitsunfähigkeit von 2 Monaten<br />
ausgegangen.<br />
Das Mortalitätsrisiko für den Spender wird mit 0,3-1% angegeben 11 .<br />
7<br />
Walter/Burdelski/Bröring, S. 106<br />
8<br />
Swiss-Transplant, Broschüre des Lebendspenderegisters<br />
9<br />
Nett u.a.<br />
10<br />
Strassburg, Manns<br />
11<br />
Nett u.a.; Neuhaus, Stellungnahme S. 5 zu Frage 24
6<br />
Nach nun weltweit ca. 6000 Leber-Lebendspenden - alle Formen der Spende einbezogen -<br />
sind bis heute zehn frühe und drei späte Todesfälle nach Leber-Lebendspende berichtet<br />
worden. Die Letalität nach linkslateraler Spende liegt bei etwa 0,09 % und nach Spende des<br />
rechten Leberlappens bei etwa 0,4 bis 0,5 %. Die Gesamtletalität beläuft sich auf 0,2 %. Die<br />
Todesursachen nach Lebendspende waren zum einen auf unangemessene Spenderauswahl<br />
und zum anderen auf ein zu hohes Resektionsausmaß (bei Erwachsenen) zurückzuführen 12 .<br />
Die Leberteilspende für Erwachsene ist keine Routineoperation und wird dies voraussichtlich<br />
auch nicht werden.<br />
1989 wurde in den USA erstmalig erfolgreich ein linker Leberlappen von einer Mutter auf<br />
ihren Sohn übertragen. Für Erwachsene reicht die Masse des linken Leberlappens meist<br />
nicht aus. Seit 1997 wird deshalb für erwachsene Empfänger der rechte Leberlappen<br />
entnommen. Bis 75% einer gesunden Leber können dem Spender entfernt werden. Beide<br />
Leberteile hypertrophieren in der Folge. Die Restleber des Spenders verdoppelt sich etwa in<br />
sieben Tagen. Da sich keine neuen Leberzellen bilden, ist die Vergrößerung jedoch nicht mit<br />
einer Regeneration gleichzusetzen.<br />
Chancen Spender Leber-Lebendspende<br />
Überleben des Angehörigen<br />
Psychologische Vorteile: aktive Hilfe für die<br />
nahestehende Person<br />
Keine langfristige Morbidität<br />
Quelle: Walter/Burdelski/Bröring, S. 105<br />
Risiken Spender Leber-Lebendspende<br />
Sehr niedriges, aber vorhandenes Risiko, am<br />
Eingriff oder dessen Folgen zu versterben<br />
Postoperative Komplikationen des Eingriffes<br />
Empfänger kann trotz Spende versterben oder<br />
erneute Transplantation benötigen<br />
3. Grundlagen für die Einschätzung der gesundheitlichen Risiken für den Spender<br />
Da zu Langzeitfolgen der Lebendspende nur wenig bekannt ist, ist die Einschätzung der<br />
gesundheitlichen Risiken für den Spender mit Unsicherheiten behaftet. Bisherige Studien<br />
umfassen in der Regel nur kleine Fallzahlen und selten mehr als den Zeitraum von einem<br />
Jahr nach Durchführung der Lebendspende. Zudem ist z.B. die Leberlebendspende ein recht<br />
junges Verfahren, so dass schon aus diesem Grund kaum Langzeiterkenntnisse vorliegen 13 .<br />
Gemäß § 11 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 TPG sind die Transplantationszentren zwar verpflichtet, die<br />
durch die Organspende bedingten gesundheitlichen Risiken für die Spender im Rahmen der<br />
Nachbetreuung zu dokumentieren. Häufig findet jedoch die Nachbetreuung der Spender<br />
nicht im Transplantationszentrum statt, so dass dieses der Berichtspflicht tatsächlich nicht<br />
nachkommen kann.<br />
Bewertung<br />
Die Funktionsrate des Organs nach Lebendspende ist wesentlich höher als bei postmortalen<br />
Spenden, bedingt durch die umfangreichen Voruntersuchungen und kürzeren Ischämiezeiten<br />
nach Organentnahme. Diese positive Entwicklung in der Transplantationsmedizin hat nicht<br />
nur volkswirtschaftliche Bedeutung, sondern verbessert vor allem die Lebensqualität der<br />
Empfänger. Auf der anderen Seite fehlen aber ausreichend gesicherte Erkenntnisse über die<br />
gesundheitlichen Risiken für den Spender. Eine Dokumentation über Lebendspenden ist<br />
unbedingt notwendig. Allerdings scheint die Berichtspflicht der Transplantationszentren dafür<br />
nicht das geeignete Mittel zu sein. Es sollte daher geprüft werden, ob und wie der rechtliche<br />
Rahmen für die Einführung eines bundesweiten Lebendspenderegisters, finanziert durch die<br />
Krankenkassen, ausgestaltet werden könnte. In dem Register könnten Komplikationen und<br />
Beeinträchtigungen im Langzeitverlauf erfasst und anonym ausgewertet werden 14 .<br />
12<br />
Walter/Burdelski/Bröring, S. 104<br />
13<br />
Enquête-Kommission, S. 15 f.<br />
14<br />
vgl. im Einzelnen dazu Enquête-Kommission, S. 54-57
7<br />
III. Situation der Lebendspende in der Bundesrepublik Deutschland und international<br />
1. Inanspruchnahme<br />
Der Anteil der transplantierten Organe aus Lebendspenden ist in Deutschland deutlich<br />
angestiegen. Er betrug für Nieren 1993 2,7%, 1998 14,7%, 2002 19,1 %, 2003 16,1%, 2004<br />
19,7%, 2005 19,2% und 2006 18,8% 15 .<br />
Die Lebendspende (von Nieren) spielt im Vergleich zu Deutschland weltweit eine größere<br />
Rolle. So wurden im Jahr 1996 in den USA 25%, in Norwegen sogar 50% aller<br />
Transplantationen mit Organen von lebenden Spendern durchgeführt 16 . In Norwegen ist es<br />
aufgrund der geographischen Besonderheiten schwierig, sowohl die chronische Dialyse als<br />
auch die postmortale Organspende zu organisieren. Daher waren Lebendspenden von<br />
Anfang an integraler Bestandteil eines 1969 aufgelegten Nierentransplantationsprogramms.<br />
Es ist zu vermuten, dass gerade die konsequente Propagierung der Lebendspende und das<br />
Fehlen von Alternativen zu einer breiten Akzeptanz der Lebendspende geführt haben. 1998<br />
fanden in Norwegen 17,6 Lebendnierenspenden pro 1.000.000 Einwohner statt, in<br />
Deutschland waren es 4,3 17 .<br />
Bei 11,2% aller Lebertransplantationen wurde im Jahr 2002 eine Teilleber (Lebendspende)<br />
übertragen 18 . 2003 waren es nur 8,7%, 2004 7,3%, 2005 8,0% und 2006 7,8% 19 .<br />
2. Organhandel<br />
Mangel an Spenderorganen in Westeuropa und die Armut z.B. in Teilen Osteuropas, in<br />
Indien und anderen Ländern sind die Hauptgründe für Organhandel, der in Deutschland<br />
ausdrücklich gesetzlich verboten und weltweit geächtet ist. Ein Handel mit Leichenorganen<br />
(im engeren Sinne, s. oben I.), wie er gelegentlich in Filmen dargestellt und von vielen<br />
Menschen für realistisch gehalten wird, erscheint in Deutschland aufgrund der Gesetzeslage<br />
unwahrscheinlich. Dagegen gab es vereinzelt Medienberichte über die vermutete Beteiligung<br />
deutscher Transplantationsmediziner am internationalen Handel mit Lebendspendeorganen.<br />
Medizinische Voraussetzung für den Organhandel sind die guten Ergebnisse von<br />
Transplantationen auch unter Nichtverwandten (siehe oben). International tätige<br />
Organisationen führen Spender aus armen Regionen der Welt mit zahlungsfähigen Patienten<br />
zusammen. Der Hauptanteil der vom Patienten aufzubringenden Summe verbleibt bei der<br />
Organisation, die Spender werden mit vergleichsweise geringen Beträgen bezahlt. Eine<br />
angemessene medizinische Nachsorge ist in ihren Herkunftsländern meist nicht möglich.<br />
Hierauf hat jüngst eine Langzeitstudie zur Situation von Lebendspendern in Indien<br />
eindringlich hingewiesen 20 .<br />
Der Europarat hat sich mit der Problematik des internationalen Organhandels beschäftigt. In<br />
einer Stellungnahme hat die Parlamentarische Versammlung des Europarates im Juni 2003<br />
eindringlich darauf aufmerksam gemacht, dass der internationale Organhandel nicht<br />
unterschätzt werden darf 21 .<br />
3. Internationale Abkommen<br />
Sowohl das Übereinkommen des Europarates über den Schutz der Menschenrechte und der<br />
Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin vom 04.04.1997<br />
(nachfolgend: Biomedizinübereinkommen) als auch das Zusatzprotokoll zu diesem<br />
15<br />
DSO<br />
16<br />
Kirste, Nierentransplantation: Organlebendspende unter Nichtverwandten<br />
17<br />
BZgA<br />
18<br />
Schreiber, Stellungnahme S. 1, I.<br />
19<br />
DSO<br />
20<br />
Nagel/Mayer, Der Chirurg 2003, 530 ff.<br />
21<br />
Rec. (2003) 1611; vgl. auch Enquête-Kommission, S. 68 f
8<br />
Übereinkommen über die Transplantation von Organen und Geweben (nachfolgend:<br />
Zusatzprotokoll Organtransplantation) beschäftigen sich mit der Zulässigkeit der<br />
Lebendspende.<br />
Das Biomedizinabkommen gilt seit 01.12.1999, wurde allerdings nicht von der<br />
Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet. Aus diesem Grund scheidet auch eine<br />
Unterzeichnung des Zusatzprotokolls, das noch nicht in Kraft ist, aus.<br />
Ein von der Bundesregierung in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten „Bestandsaufnahme<br />
und Handlungsbedarf hinsichtlich des Übereinkommens zum Schutz der Menschenrechte<br />
und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin und seine<br />
Zusatzprotokolle“ (2003) beschäftigt sich ausführlich mit den Änderungen der Rechtslage in<br />
Deutschland, die durch eine Unterzeichnung des Biomedizinübereinkommens und des<br />
Zusatzprotokolls Organtransplantation erforderlich würden. Hierauf wird in diesem Bericht<br />
nicht weiter eingegangen; die Regelungen des Biomedizinübereinkommens und des<br />
Zusatzprotokolls werden lediglich in einzelnen Punkten bewertet.<br />
IV. Rechtliche Bewertung ausgewählter Problemkreise bei der Durchführung der<br />
Lebendspende in der Bundesrepublik Deutschland<br />
Rechtsgrundlage für die Durchführung einer Lebendspende ist das Transplantationsgesetz<br />
(TPG). § 8 TPG knüpft die Organentnahme bei einem lebenden Menschen an eine Reihe<br />
strenger Voraussetzungen. Dies sind insbesondere:<br />
- Einwilligungsfähigkeit und Volljährigkeit des Spenders (dazu 1.),<br />
- Aufklärung und Einwilligung des Spenders,<br />
- bei der Entnahme von Organen, die sich nicht wieder bilden können: eine<br />
verwandtschaftliche oder andere besondere persönliche Verbundenheit (dazu 2.),<br />
- die Subsidiarität der Lebendspende gegenüber einer postmortalen Organspende<br />
(dazu 3.),<br />
- die Überprüfung der Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Spende durch eine<br />
unabhängige Kommission (dazu 4.),<br />
- die ärztliche Beurteilung, dass der Spender voraussichtlich nicht über das<br />
Operationsrisiko hinaus gefährdet oder über die unmittelbaren Folgen der Entnahme<br />
hinaus gesundheitlich schwer beeinträchtigt wird,<br />
- die Erklärung von Spender und Empfänger, zur Teilnahme an einer ärztlich empfohlenen<br />
Nachbetreuung bereit zu sein.<br />
Nachfolgend werden außerdem die besonderen Schwierigkeiten, die bei ausländischen<br />
Spendern/Empfängern bestehen (dazu 5.) sowie der Organhandel (dazu 6.) erörtert.<br />
1. Einwilligungsfähigkeit und Volljährigkeit<br />
Einwilligungsfähigkeit setzt ein Einsichts- und Urteilsvermögen voraus, das es dem Spender<br />
ermöglicht, die Bedeutung der Explantation und alle damit verbundenen, möglicherweise<br />
lebenslangen Beeinträchtigungen und Gefahren zu überblicken und abzuschätzen. Mit<br />
dieser Voraussetzung sollten insbesondere Menschen mit geistiger oder seelischer<br />
Behinderung sowie psychisch kranke Menschen grundsätzlich als potentielle Lebendspender<br />
ausgeschlossen werden 22 .<br />
Dies schließt diesen Personenkreis jedoch nicht ausnahmslos von der Möglichkeit einer<br />
Lebendspende aus. Besitzt eine Person mit geistiger oder seelischer Behinderung oder ein<br />
psychisch kranker Mensch im Einzelfall die individuelle Fähigkeit, die Bedeutung der<br />
Organspende und ihre Folgen zu übersehen, so kommt er als Lebendspender in Betracht;<br />
auch seine Entscheidung zur Organentnahme ist dann Ausfluss eines selbstbestimmten<br />
Abwägungsprozesses. Bleiben dem Arzt in einem solchen Fall - u.U. nach Hinzuziehung<br />
22<br />
Gesetzesbegründung, BT-Drs. 13/4355 S. 20
9<br />
eines geeigneten Facharztes (z.B. für Psychiatrie) oder eines Psychologen - Zweifel, so<br />
muss er von der Einwilligungsunfähigkeit ausgehen 23 .<br />
Im Hinblick auf die mit der Feststellung der Einwilligungsfähigkeit verbundenen<br />
Schwierigkeiten muss die Lebendspende bei geistig oder seelisch behinderten oder<br />
psychisch kranken Menschen die absolute Ausnahme bleiben.<br />
Wie in den meisten europäischen Ländern muss auch in der Bundesrepublik Deutschland<br />
der Lebendspender volljährig sein. Diese zusätzliche Einschränkung dient dem besonderen<br />
Schutz Minderjähriger. In der angespannten familiären Situation, die regelmäßig im Hinblick<br />
auf eine Lebendspende gegeben ist, besteht bei ihnen in besonderem Maße die Gefahr,<br />
dass sie ihre Einsichtsfähigkeit eher überschätzen oder fremdbestimmt werden 24 .<br />
Vor diesem Hintergrund bietet die Volljährigkeitsgrenze auch für den transplantierenden Arzt<br />
Rechtssicherheit, die bei geistig oder seelisch behinderten oder psychisch kranken<br />
(erwachsenen) Menschen so nicht geschaffen werden konnte.<br />
Eine Einwilligung des Sorgeberechtigten anstelle des Minderjährigen bzw. des Betreuers<br />
anstelle des Nichteinwilligungsfähigen ist problematisch:<br />
Entscheidungen für einen Minderjährigen oder für einen Betreuten haben sich immer an<br />
dessen Wohl zu orientieren 25 . Die Explantation dient jedoch nicht dem körperlichen<br />
Wohlbefinden des potentiellen Spenders. Allenfalls könnte die Entscheidung des<br />
Sorgeberechtigten oder Betreuers unter dem Gesichtspunkt des seelischen Wohlbefindens<br />
des Minderjährigen oder des Betreuten zugelassen werden. So könnte angenommen<br />
werden, dass es dessen Wohlbefinden dient, wenn der Minderjährige oder der Betreute<br />
einem nahen Verwandten mit einer Lebendspende helfen kann. Dabei handelt es sich jedoch<br />
nur um Mutmaßungen, auf die eine Entscheidung von solcher Bedeutung für das spätere<br />
Leben des Minderjährigen oder des Betreuten nicht gestützt werden darf.<br />
Im Übrigen bedürfte die Zulässigkeit einer „Vertreterentscheidung“ in diesem Bereich einer<br />
gesetzlichen Regelung. Die Durchführung einer Lebendspende ist eine höchstpersönliche<br />
Entscheidung, die nicht von einem Vertreter getroffen werden kann. Nach der vom<br />
Bundesverfassungsgericht geprägten Wesentlichkeitslehre müsste eine Durchbrechung<br />
dieses Grundsatzes ausdrücklich gesetzlich geregelt sein. Das Transplantationsgesetz<br />
enthält aber gerade keine solche Regelung.<br />
Die Mehrzahl der europäischen Länder verlangt ebenfalls neben der Volljährigkeit die<br />
Einwilligungsfähigkeit des Lebendspenders. Einige Länder sehen allerdings vor, dass<br />
Sorgeberechtigte anstelle eines Minderjährigen entscheiden können, z.B. wenn es um eine<br />
Spende zwischen Geschwistern geht.<br />
Sowohl Art. 20 Abs. 2 Biomedizinübereinkommen als auch Art. 14 Abs. 2 Zusatzprotokoll<br />
Organtransplantation lassen ausnahmsweise auch die Entnahme von<br />
regenerierungsfähigem Gewebe bei Personen zu, die nicht selbst in die Entnahme<br />
einwilligen können. Voraussetzung ist u.a., dass kein anderer geeigneter Spender zur<br />
Verfügung steht, dass der Empfänger ein Bruder oder eine Schwester des Spenders ist und<br />
dass die Gewebetransplantation lebensrettend für den Empfänger ist. Nach Ziff. 81 und 83<br />
des Erläuternden Berichts zum Zusatzprotokoll Organtransplantation soll<br />
Hauptanwendungsfall die Knochenmarkspende eines Minderjährigen sein. Die<br />
Knochenmarkspende eines Minderjährigen ist inzwischen in § 8a TPG geregelt; hierauf soll<br />
jedoch entsprechend den Ausführungen in der Einleitung nicht weiter eingegangen werden.<br />
Bewertung<br />
Die Regelung im Transplantationsgesetz, die bei den nicht regenerierungsfähigen Organen<br />
(also insbesondere Niere und Leber) keine Entscheidung anstelle eines Minderjährigen oder<br />
23<br />
Esser, Rn. 12-14<br />
24<br />
vgl. Esser, Rn. 18; Gutmann/Schroth, S. 60<br />
25<br />
bei Minderjährigen: §§ 1626, 1627 Satz 1 BGB; bei Betreuten: § 1901 Abs. 2 BGB
10<br />
Nichteinwilligungsfähigen zulässt, ist sachgerecht. Mit der Lebendspende ist ein Eingriff in<br />
die körperliche Integrität eines Gesunden ohne Heilungsfunktion verbunden; vielmehr<br />
gefährdet der Eingriff die Gesundheit des Betroffenen. Es handelt sich daher um eine<br />
höchstpersönliche Entscheidung, die nur vom Betroffenen selbst getroffen werden sollte.<br />
Die Regelungen im Biomedizinübereinkommen und im Zusatzprotokoll Organtransplantation<br />
sind dagegen insofern problematisch, als sich weder die Einschränkung auf<br />
Knochenmarkspenden noch auf Minderjährige als Spender dem Text des Übereinkommens<br />
entnehmen lässt. Allerdings sollen die Ausnahmen nur für regenerierbares Gewebe gelten.<br />
2. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen bei nicht regenerierungsfähigen Organen<br />
Zu den nicht regenerierungsfähigen Organen i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 2 TPG gehören<br />
insbesondere die Nieren, Lungenlappen und Teile der Bauchspeicheldrüse. Entsprechend<br />
der medizinischen Bewertung des Vorgangs nach der Entnahme eines Teils der Leber (s.<br />
oben II. 2. b) ist dazu auch die Leber zu zählen 26 .<br />
a) Zulässiger Empfängerkreis<br />
Der Empfängerkreis ist auf „Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten,<br />
Lebenspartner, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer<br />
persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen“ eingegrenzt.<br />
Verwandte ersten Grades sind die Eltern und die Kinder des Spenders; Verwandte zweiten<br />
Grades sind die Großeltern, die Geschwister und die Enkel des Spenders (§ 1589<br />
S. 3 BGB).<br />
Wer Ehegatte ist, bestimmt sich nach §§ 1303 ff. BGB; das Verlöbnis ist in §§ 1297 ff. BGB<br />
geregelt. Der Begriff des Lebenspartners bezieht sich auf die eingetragene<br />
Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlicher Beziehungen nach dem<br />
Lebenspartnerschaftsgesetz.<br />
Schwieriger ist dagegen die Bestimmung der „besonderen persönlichen Verbundenheit“,<br />
aufgrund derer ein Spender dem Empfänger „offenkundig nahestehen“ muss. Ob diese<br />
Voraussetzung erfüllt ist, hat der transplantierende Arzt in jedem Einzelfall zu prüfen.<br />
(1) Offenkundiges Nahestehen in besonderer persönlicher Verbundenheit<br />
(a)<br />
Nach der Gesetzesbegründung soll für das Näheverhältnis eine „gemeinsame<br />
Lebensplanung mit innerer Bindung“ entscheidend sein 27 . Der Gesetzgeber hatte dabei<br />
insbesondere die nichteheliche Lebensgemeinschaft im Blick. Daher wird überwiegend ein<br />
Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Spender und Empfänger gefordert 28 . Diese<br />
Sichtweise hat allerdings das Bundessozialgericht in einer Entscheidung von grundlegender<br />
Bedeutung als zu eng angesehen 29 . Es hat dabei darauf abgestellt, dass es auch bei den in<br />
§ 8 Abs. 1 Satz 2 TPG aufgeführten Verwandtschaftsverhältnissen in der Regel keine<br />
gemeinsame Lebensplanung gibt. Entscheidend sei vielmehr der Gesetzeszweck,<br />
insbesondere also Organhandel auszuschließen und Unfreiwilligkeit der Spende zu<br />
verhindern. Daher müsse es darauf ankommen, ob zwischen Spender und Empfänger eine<br />
Beziehung bestehe, die hinreichend intensiv und gefestigt ist, damit das Gesetzesziel<br />
erreicht werden kann. Das bedeute, dass auch bei einer Überkreuzspende der konkrete<br />
Einzelfall auf das Bestehen einer solchen Beziehung hin geprüft werden müsse; die<br />
Überkreuzsituation allein - auch wenn sie ein wichtiger Aspekt sei - reiche nicht aus, um eine<br />
26<br />
so auch Enquête-Kommission, S. 21<br />
27<br />
BT-Drs. 13/4355 S. 20 f.<br />
28<br />
Esser, Rn. 76; Schroth, MedR 1999, 67<br />
29<br />
BSG, Urt. v. 10.12.2003, Az.: B 9 VS 1/01 R, MedR 2004, 330/332 f.
11<br />
besondere persönliche Beziehung zu bejahen 30 . Entscheidend sei vielmehr, dass die persönliche<br />
Beziehung zwischen Spender und Empfänger so stark ist, dass ihr Fortbestehen über<br />
die Operation hinaus erwartet werden könne; die Beziehung müsse grundsätzlich auf Dauer<br />
angelegt sein, jedoch spreche allein eine kurze Dauer der Beziehung vor der Transplantation<br />
nicht gegen das Vorliegen einer besonderen persönlichen Verbundenheit 31 . Das BSG hatte<br />
die Sache an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen. Jedoch haben die Parteien<br />
das Verfahren inzwischen durch Vergleich beendet; die Kriterien der besonderen persönlichen<br />
Verbundenheit wuden daher im konkreten Fall nicht geklärt.<br />
Lediglich ökonomisch motivierte, rein zweckrationale und erst recht bloß zufällige<br />
Verbindungen scheiden nach dem Transplantationsgesetz aus 32 . Nicht erforderlich ist<br />
jedoch, dass Spender und Empfänger zusammenleben bzw. zusammenwohnen.<br />
Ein Näheverhältnis i.S.d. Transplantationsgesetzes liegt nicht vor, wenn die besondere<br />
persönliche Verbundenheit nicht zum Organempfänger selbst, sondern zu einer ihm<br />
wiederum nahestehenden Person besteht 33 . So lehnten z.B. zwei Transplantationszentren<br />
die Nierenspende einer Frau, die in einem schwesternähnlichen Verhältnis zur Mutter des<br />
Organempfängers stand, zu recht ab. Schließlich wurde die Transplantation dann in einem<br />
dritten Transplantationszentrum doch durchgeführt. Strafrechtliche Konsequenzen<br />
(§ 19 Abs. 2 TPG) wurden offensichtlich aber nicht gezogen 34 .<br />
Mit dem Hinweis auf diesen Fall wird in der Literatur gefordert, das Transplantationsgesetz<br />
über seinen Wortlaut hinausgehend auszulegen: Eine enge persönliche Beziehung des<br />
Spenders zu einer dem Empfänger nahestehenden Person müsse ausreichen, wenn<br />
gewährleistet sei, dass es sich erstens um eine altruistische Organspende handele und dass<br />
zweitens die Gründe, die maßgeblich für die Beschränkung des Empfängerkreises waren,<br />
berücksichtigt würden; diese Gründe seien die gesundheitlichen Risiken für den Spender, die<br />
Schwierigkeit, die Freiwilligkeit der Spendeentscheidung festzustellen, und die Gefahr einer<br />
Kommerzialisierung der Organspende 35 .<br />
Die meisten europäischen Länder kennen keine Restriktionen beim Empfängerkreis. Z.T.<br />
gibt es detaillierte Verfahrensregelungen 36 . Großbritannien hat zwar eine strenge Regelung<br />
(genetische Verwandtschaft bis zum 4. Grad), die aber - nach Durchlaufen eines besonderen<br />
Verwaltungsverfahrens - Ausnahmen zulässt 37 .<br />
Art. 10 Zusatzprotokoll Organtransplantation verweist auf nationale Regelungen zur Qualität<br />
der Beziehung zwischen Spender und Empfänger. Nach dem Erläuternden Bericht soll<br />
allerdings die Lebendspende auch dann zulässig sein, wenn die Betroffenen zwar nicht eng<br />
verwandt sind, aber beim Organspender aufgrund seiner Spende ein langfristiger<br />
psychologischer Nutzen zu erwarten ist; diese soll jedoch nur aufgrund national-rechtlicher<br />
Ausgestaltung möglich sein 38 .<br />
Bewertung<br />
An der grundsätzlichen Beschränkung des Empfängerkreises sollte festgehalten werden.<br />
Dies hat auch die Parlamentarische Versammlung des Europarates im Hinblick auf die<br />
Gefahren des Organhandels gefordert 39 . So hat das Bundessozialgericht den Begriff des<br />
„Nahestehens in besonderer persönlicher Verbundenheit“ in überzeugender, der<br />
Angelegenheit angemessener Weise zwar grundsätzlich restriktiv ausgelegt, dabei aber<br />
praktikable Rahmenbedingungen für die Gesetzesanwendung aufgestellt.<br />
Eine Regelung wie die britische hat zwar den Vorzug, sehr viel flexibler zu sein als die<br />
deutsche. Dafür nimmt sie aber in Kauf, dass sogar Ehepaare das Verwaltungsverfahren<br />
30<br />
BSG MedR 2004, 330/333<br />
31<br />
BSG MedR 2004, 330/332 f.;<br />
32<br />
vgl. BT-Drs. 13/4355 S. 21<br />
33<br />
vgl. BSG MedR 2004, 330/332<br />
34<br />
Esser, Rn. 82; Edelmann, VersR 1999, 1065/1066<br />
35<br />
Edelmann, VersR 1999, 1065/1066<br />
36<br />
so z.B. in Spanien, vgl. Gutmann/Schroth, S. 71 f.<br />
37<br />
vgl. Gutmann/Schroth, S. 67 ff.<br />
38<br />
Ziff. 64 des Erläuternden Berichts<br />
39<br />
Rec. (2003) 1611, Nr. 8
12<br />
durchführen müssen, um einander ein Organ spenden zu können, während dies für relativ<br />
weit entfernte Verwandte nicht erforderlich ist.<br />
Kritisch ist die Regelung des Zusatzprotokolls Organtransplantation zu sehen, die eine<br />
Lebendspende auch unabhängig von einer besonderen Beziehung zwischen Spender und<br />
Empfänger zulässt, wenn die Spende einen psychologischen Nutzen für den Spender hat.<br />
Es ist unklar, was ein solcher psychologischer Nutzen sein soll.<br />
(b)<br />
Offenkundig ist das Näheverhältnis, wenn es in irgendeiner Form nach außen sichtbar<br />
hervorgetreten ist. Die besondere persönliche Beziehung muss für den Arzt, der am<br />
Entscheidungsprozess bis zur Transplantation beteiligt ist, im beruflichen Kontakt bei<br />
näherer Betrachtung zweifelsfrei sein 40 . Das Bundessozialgericht ist damit dem<br />
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen entgegengetreten, das im Rechtszug vorgehend<br />
die Auffassung vertreten hatte, die besondere persönliche Beziehung müsse für jeden - ohne<br />
entsprechende Erkundigungen oder Ermittlungen - ersichtlich oder erkennbar sein 41 .<br />
Bewertung<br />
Die Auslegung des Bundessozialgerichts ist überzeugend. Das Gericht hat wesentlich darauf<br />
abgestellt, dass eine besondere persönliche Verbundenheit außerhalb von enger<br />
Verwandtschaft, Ehe oder Verlöbnis nicht zwangsläufig mit einer plakativen Außenwirkung<br />
einhergeht.<br />
(2) Verfassungsrechtliche Beurteilung der Einschränkung des Empfängerkreises im<br />
Transplantationsgesetz<br />
Ziel der Regelung in § 8 Abs. 1 S. 2 TPG ist es, die Freiwilligkeit der Organspende<br />
sicherzustellen, jeder Form des Organhandels vorzubeugen und im Interesse des<br />
Gesundheitsschutzes des Lebendspenders den Vorrang der postmortalen Organentnahme<br />
deutlich zu machen. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hielt<br />
die Regelung zur Erreichung dieser Ziele für geeignet, erforderlich und insgesamt<br />
angemessen 42 .<br />
Dagegen wird vorgebracht, insbesondere das Kriterium der besonderen persönlichen<br />
Verbundenheit könne unfreiwillige Spenden nicht ausschließen; gerade im familiären Umfeld<br />
könne ein erheblicher Druck ausgeübt werden 43 .<br />
Es kann nicht bestritten werden, dass gerade bei Verwandtschaft oder enger emotionaler<br />
Bindung innere, subtil wirkende Zwänge bestehen können 44 . Die Überprüfung der<br />
Freiwilligkeit kann daher unter Umständen sogar schwieriger sein, als bei einer Spende an<br />
einen Unbekannten; keine Art und Dauer einer Beziehung kann den Spender davor<br />
schützen, seine Spendebereitschaft später zu bereuen, bzw. den Empfänger vor den<br />
Gewissensqualen, das im nachhinein ungewollte Geschenk angenommen zu haben 45 .<br />
Darüber dürfen nach Auffassung der 1. Kammer des Ersten Senats des<br />
Bundesverfassungsgerichts aber nicht die wesentlichen Gründe für die restriktive Regelung<br />
der Lebendspende im Transplantationsgesetz vergessen werden: die Verhinderung von<br />
Organhandel und der Schutz des Lebendspenders. Zwar würde das strafrechtliche Verbot<br />
möglicherweise ausreichen, um Organhandel zu verhindern. Die Organentnahme bleibt aber<br />
für den Spender mit einem gesundheitlichen Risiko verbunden, vor dem der Gesetzgeber ihn<br />
40<br />
BSG MedR 2004, 330/334<br />
41<br />
vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 31.01.2001, L 10 VS 28/00, MedR 2003, 469/474<br />
42<br />
Beschl. v. 11.08.1999, Az.: 1 BvR 2181/98 u.a., NJW 1999, 3399 ff.; dabei handelt es sich allerdings um einen<br />
Nichtannahmebeschluss, der keine Bindungswirkung i.S.d. § 31 Abs. 1 BVerfGG entfaltet<br />
43<br />
vgl. Esser, Rn. 89 m.w.Nachw.<br />
44<br />
vgl. dazu Feuerstein, Rn. 2<br />
45<br />
vgl. Rittner/Besold/Wandel, MedR 2001, 118/121 f.
13<br />
schützen will 46 .<br />
b) Überkreuzspende 47<br />
Eine Überkreuzspende wird in folgender Konstellation in Betracht gezogen: Bei zwei Paaren<br />
benötigt jeweils ein Partner ein Organ; der andere Partner möchte zwar spenden, scheidet<br />
aber aus medizinischer Sicht als Spender aus. Eine Spende an den ein Organ benötigenden<br />
Partner des jeweils anderen Paares wäre dagegen aus medizinischer Sicht möglich.<br />
Aufgrund der Verteilung der Blutgruppen in der Bevölkerung ist die „ideale<br />
Überkreuzsituation“ 48 , allerdings selten 49 .<br />
Diskutiert wird dabei die Frage, ob die nach dem Transplantationsgesetz erforderliche<br />
besondere persönliche Verbundenheit hier dadurch entstehen kann, dass sich die beiden<br />
Paare auf der Suche nach einem geeigneten Spender kennengelernt haben. Dies wird oft<br />
mit der Überlegung bejaht, die beiden Paare würden als „Leidensgenossen“ eine<br />
Schicksalsgemeinschaft bilden.<br />
Dieser Sichtweise steht § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG entgegen. Bei seiner Auslegung dieser<br />
Vorschrift hat auch das Bundessozialgericht festgestellt, dass aus der<br />
Schicksalsgemeinschaft oder dem Gleichklang der Lebensverhältnisse von Ehepaaren in der<br />
Überkreuzsituation allein gerade keine besondere persönliche Verbundenheit abgeleitet<br />
werden kann 50 .<br />
Soll die Überkreuzspende unabhängig vom Bestehen eines besonderen persönlichen<br />
Näheverhältnisses, wie es oben konkretisiert worden ist, zulässig sein, so wäre daher eine<br />
Änderung des Transplantationsgesetzes erforderlich 51 .<br />
Da die meisten anderen europäischen Länder keine Restriktionen beim Empfängerkreis<br />
kennen (s. oben), ist dort eine Überkreuzspende ohne weiteres möglich.<br />
Bewertung<br />
Bei einer ausdrücklichen Zulassung der Überkreuzspende im Transplantationsgesetz müsste<br />
der Gesetzgeber auch folgende Aspekte berücksichtigen:<br />
Problematisch ist, ob die Spende überhaupt freiwillig sein kann, wenn sie unter der<br />
Bedingung gegeben wird, dass ein anderer ebenfalls spendet. Eine gesetzliche Regelung<br />
der Überkreuzspende würde zwar bedeuten, dass eine solche Bedingung zulässig ist. Es ist<br />
aber fraglich, ob in einer solchen Konstellation die Freiwilligkeit im Übrigen losgelöst von der<br />
zweiten Spende, die dem Partner des Spenders versprochen wurde, geprüft werden kann.<br />
Weiter ist die Situation zu bedenken, dass der Spender des zweiten Paares seine<br />
Einwilligung in die Organentnahme widerruft, nachdem die erste Transplantation<br />
durchgeführt wurde, z.B. weil die erste Spende nicht erfolgreich war. Zudem könnte ein Paar<br />
bei Komplikationen oder Misserfolg der Transplantation Schadensersatzansprüche gegen<br />
das andere Paar geltend machen.<br />
Es müsste daher geprüft werden, ob die gesetzgeberische Verantwortung es geböte, auch<br />
diese Situationen zu regeln, wenn die Überkreuzspende in das Gesetz aufgenommen wird.<br />
Es dürfte jedoch ausgesprochen schwierig sein, entsprechende Regelungen praxisnah zu<br />
treffen.<br />
46<br />
NJW 1999, 3399/3402<br />
47<br />
sog. Cross-Over-Spende<br />
48<br />
Spender A / Empfänger B und umgekehrt<br />
49<br />
Thiel, S. 170<br />
50<br />
BSG MedR 2004, 330/333<br />
51<br />
s. dazu auch Enquête-Kommission, S. 42
14<br />
Es spricht daher mehr dafür, die Überkreuzspende nicht gesetzlich zu regeln 52 .<br />
Schließlich könnte sich die Problematik der Blutgruppenunverträglichkeit und damit auch die<br />
Frage der Überkreuzspende durch neue Behandlungsmethoden entschärfen. Neue<br />
Verfahren zur Immunsuppression sind in Japan, wo es traditionell wenig postmortal<br />
gespendete Organe gibt, seit den neunziger Jahren etabliert; danach können die<br />
Transplantationen trotz Blutgruppenunverträglichkeit durchgeführt werden. In Europa werden<br />
diese Verfahren seit dem Jahr 2000 praktiziert, in Deutschland wurden sie seit 2004<br />
ebenfalls mehrfach angewendet. Ob die Transplantationen langfristig erfolgreich sind, bleibt<br />
abzuwarten. Für den überschaubaren Zeitraum von einigen Jahren kann inzwischen davon<br />
ausgegangen werden, dass die Ergebnisse mit denen der blutgruppenkompatiblen<br />
Lebendspende vergleichbar sind.<br />
c) Anonyme Lebendspende<br />
Das Transplantationsgesetz schließt eine Lebendspende zwischen einander fremden<br />
Menschen aus. Jedoch wird aus unterschiedlichen Gründen der Verzicht auf eine<br />
Eingrenzung des Empfängerkreises, d.h. die Zulassung der anonymen Lebendspende<br />
gefordert. Auch die Ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer hat<br />
sich in einem Positionspapier vom September 2003 dafür ausgesprochen.<br />
Die Enquête-Kommission befasst sich ausführlich mit der anonymen Lebendspende und<br />
spricht sich für die Beibehaltung des Verbots aus 53 .<br />
Von den Befürwortern der anonymen Lebendspende wird u.a. darauf hingewiesen, dass die<br />
traditionellen Beziehungsmuster - insbesondere ein funktionierender Familienverband<br />
- vielfach nicht mehr bestehen und daher der Personenkreis, von dem der einzelne<br />
solidarisches Verhalten erwarten kann und dem gegenüber er sich selbst zu einem solchen<br />
Verhalten motiviert fühlt, immer weniger mit dem Kreis der genetischen Verwandten<br />
identisch ist 54 . Auch bestünden bei der anonymen Lebendspende keinerlei Bindungen<br />
zwischen Spender und Empfänger, so dass die Freiwilligkeit der Spende eher gewährleistet<br />
sei 55 . Der wesentliche für die anonyme Lebendspende angeführte Aspekt ist jedoch der<br />
Mangel an postmortal gespendeten Organen.<br />
Dem Argument, die Eingrenzung des Empfängerkreises solle Organhandel verhindern, wird<br />
entgegnet, dies ließe sich ebenso erreichen, wenn Fremdspenden über einen Organpool der<br />
Vermittlungsstelle organisiert und die Organe von der Vermittlungsstelle unter Wahrung der<br />
Anonymität des Spenders nach den Vorschriften und Kriterien für postmortal gespendete<br />
Organe zugeteilt würden 56 .<br />
Das Schweizer Bundesgesetz über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen<br />
vom 8. Oktober 2004 lässt die anonyme Lebendspende zu. Die anonym gespendeten<br />
Organe sollen wie die postmortal gespendeten Organe über ein Zuteilungsverfahren verteilt<br />
werden. Das Gesetz ist am 1. Juli 2007 in Kraft getreten.<br />
Bewertung<br />
Im Hinblick auf die dargestellten medizinischen Risiken ist die nur eingeschränkte<br />
Zulässigkeit der Lebendspende richtig. Es ist nicht ersichtlich, dass sich das Anliegen, die<br />
Zahl der transplantablen Organe zu erhöhen, mit der Zulassung der anonymen<br />
Lebendspende erreichen ließe. Angesichts der medizinischen Risiken für den Spender kann<br />
kaum damit gerechnet werden, dass in nennenswertem Umfang anonym gespendet wird,<br />
also ohne, dass der Spender weiß, wem seine Spende zugute kommt.<br />
52<br />
so auch die Mehrheit der Enquête-Kommission, S. 73<br />
53<br />
Enquête-Kommission, S. 43-47, 74<br />
54<br />
Gutmann/Schroth, S. 63<br />
55<br />
Ständige Kommission, Positionspapier Sept. 2003<br />
56<br />
Gutmann/Schroth, S. 16
15<br />
3. Subsidiarität der Lebendspende<br />
Die Lebendspende ist gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 TPG nur zulässig, wenn ein geeignetes<br />
Organ nach postmortaler Organspende im Zeitpunkt der Organentnahme nicht zur<br />
Verfügung steht.<br />
Diese Einschränkung hat mehrere Gründe: das gesundheitliche Risiko für den Spender, die<br />
Gefahr unfreiwilliger Spendeentscheidungen und die Gefahr des Organhandels 57 .<br />
Die Regelung wird in der Literatur kritisiert: Da mit einer Lebendspende - jedenfalls im<br />
Bereich der Nierentransplantation - bessere Ergebnisse erzielt werden können als mit<br />
postmortal gespendeten Organen, sei es kaum vertretbar, einem Menschen eine für ihn<br />
schlechtere Behandlungsmethode aufzuzwingen, wenn er gleichzeitig die Möglichkeit habe,<br />
sich im Rahmen des sonst Zulässigen einer medizinisch erfolgversprechenderen<br />
Behandlung zu unterziehen. Auch gehöre es zum Selbstbestimmungsrecht des<br />
Organempfängers, sich frei zwischen postmortaler Organspende und Lebendorganspende<br />
zu entscheiden 58 . So wird auch vorgeschlagen, jedem Patienten die Möglichkeit der<br />
Lebendspende aufzuzeigen. Dabei wird vertreten, dass sich die Spendebereitschaft deutlich<br />
erhöhen könnte, wenn in ein solches Gespräch sofort die Angehörigen einbezogen würden.<br />
Problematisch sei auch der Fall, dass der Empfänger - z.B. aus religiösen Gründen - nicht<br />
bereit ist, eine postmortale Organspende anzunehmen.<br />
Nicht einheitlich wird die Frage beantwortet, ob aufgrund der Subsidiaritätsregel auch<br />
derjenige, für den es einen Lebendspender gibt, auf die Warteliste für ein postmortal<br />
gespendetes Organ gesetzt - also bei Eurotransplant angemeldet - werden muss 59 . Die<br />
Ablehnung einer solchen Konsequenz des Subsidiaritätsprinzips wird insbesondere damit<br />
begründet, ein Patient dürfe nicht gezwungen werden, sich zur Transplantation postmortal<br />
gespendeter Organe anzumelden, wenn er dies ablehne; gänzlich ausgeschlossen sei es,<br />
einen Patienten nur „pro forma“ auf die Warteliste setzen zu lassen.<br />
U.a. die Ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer vertritt die<br />
Auffassung, auch der Lebendspendeempfänger müsse bei Eurotransplant angemeldet<br />
werden, allerdings vorrangig im Hinblick auf eine möglicherweise erforderlich werdende<br />
Retransplantation 60 .<br />
In der Praxis dürfte das Subsidiaritätsprinzip derzeit nicht zu einer Einschränkung der<br />
Lebendspende führen. Da es zu wenig postmortal gespendete Organe gibt, kann davon<br />
ausgegangen werden, dass die Subsidiaritätsregel eine Lebendspende praktisch nicht<br />
verhindern wird.<br />
Die Mehrheit der europäischen Länder kennt kein Subsidiaritätsprinzip 61 .<br />
Sowohl Art. 19 Abs. 1 Biomedizinübereinkommen als auch Art. 9 Zusatzprotokoll<br />
Organtransplantation gehen von der grundsätzlichen Nachrangigkeit der Lebendspende aus.<br />
Allerdings wird der Vorrang der postmortalen Organspende im Erläuternden Bericht zum<br />
Zusatzprotokoll Organtransplantation dadurch stark relativiert, dass die Lebendspende auch<br />
dann zulässig sein soll, wenn ein besseres Ergebnis zu erwarten ist als bei einem postmortal<br />
gespendeten Organ 62 .<br />
Bewertung<br />
Die Einwände gegen die Subsidiaritätsregel sind nicht unerheblich. Folgendes spricht<br />
gleichwohl für eine Beibehaltung des Subsidiaritätsprinzips 63 .<br />
57<br />
ausführlicher dazu auch Enquête-Kommission, S. 49 f.<br />
58<br />
Esser, Rn. 55 f., 59; Edelmann, VersR 1999, 1065/1068<br />
59<br />
bejahend: Kirste, Bundesgesundheitsblatt 2002, 768/770; ablehnend: Gutmann/Schroth, S. 30<br />
60<br />
Ständige Kommission, Positionspapier Sept. 2003.<br />
61<br />
vgl. Gutmann/Schroth, S. 77<br />
62<br />
Ziff. 61 des Erläuternden Berichts<br />
63<br />
so auch Enquête-Kommission, S. 75
16<br />
Die Lebendspende birgt - trotz aller Verbesserungen - nach wie vor ein gesundheitliches<br />
Risiko für den Lebendspender. Komplikationen oder Spätschäden treten zwar bei der Niere<br />
selten auf, können dann aber durchaus schwerwiegende Folgen haben; bei der Leber ist die<br />
Rate der Komplikationen wesentlich höher (s. oben II. 2. b). Der zentrale ethische Konflikt<br />
des Arztes bei der Lebendspende besteht daher im Widerspruch zwischen dem<br />
Nichtschadensgebot gegenüber dem Spender und dem Hilfsgebot gegenüber dem<br />
Empfänger 64 . Die Entscheidung für eine Lebendspende wird in Abwägung zwischen dem<br />
Vorteil für den Empfänger und den bekannten Komplikationen beim Spender akzeptiert,<br />
wenn die freiwillige Entscheidung des Spenders gesichert ist und keine medizinischen<br />
Gegengründe bestehen.<br />
Die gesetzlich verankerte Subsidiarität der Lebendspende ist daher Ausdruck des Schutzes,<br />
den der Staat potentiellen Lebendspendern gegenüber ausübt.<br />
Zudem darf die Möglichkeit der Lebendspende nicht dazu führen, dass das Bemühen um die<br />
Gewinnung postmortal gespendeter Organe vernachlässigt wird 65 . Diese Gefahr besteht<br />
aber, wenn die Öffentlichkeit den Eindruck gewinnt, ein auf eine Transplantation<br />
angewiesener Patient könne gut einen Lebendspender suchen.<br />
Andererseits darf die Anmeldung bei Eurotransplant nicht zur reinen Formsache zwecks<br />
Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips werden 66 .<br />
Vor diesem Hintergrund ist auch der Vorschlag problematisch, sofort in das Gespräch über<br />
die Lebendspende die Angehörigen einzubeziehen. Es ist nicht auszuschließen, dass gerade<br />
der ärztliche Hinweis auf die Möglichkeiten der Lebendspende in einem solchen Gespräch<br />
mit den Angehörigen einen erheblichen Druck auf die potentiellen Lebendspender ausüben<br />
kann. Sicherlich muss der Arzt den Patienten über die Möglichkeit der Lebendspende<br />
aufklären; oftmals haben sich die Patienten auch bereits selbst ausführlich informiert. Ein<br />
Gespräch mit potentiellen Spendern sollte aber erst dann in Betracht kommen, wenn die<br />
Betroffenen von sich aus wieder das ärztliche Gespräch zu diesem Thema suchen.<br />
4. Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Lebendspende<br />
a) Freiwilligkeit / Psychische Belastungen im Spender-Empfänger-Verhältnis<br />
Eine Lebendspende ist nur zulässig, wenn zusätzlich zum Operationsrisiko keine besondere<br />
Gefährdung bzw. keine gesundheitliche Beeinträchtigung des Spenders zu befürchten ist.<br />
Diese Formulierung berücksichtigt insbesondere körperliche Gefährdungen als Folge der<br />
Entnahme. Der Begriff der gesundheitlichen Beeinträchtigung dürfte aber weiter zu<br />
verstehen sein. Die Definition von „Gesundheit“ der Weltgesundheitsorganisation WHO<br />
beinhaltet auch psychische Faktoren.<br />
Die Pflicht zu Dankbarkeit und Treue kann das Verhältnis zwischen Spender und Empfänger<br />
erheblich belasten. Schuldgefühle beim Empfänger können sich sowohl durch gesundheitliche<br />
Beeinträchtigungen des Spenders als auch bei Verlust des empfangenen Organs<br />
ergeben 67 .<br />
Studien zur psychischen Verfassung von Lebendspendern kommen zu unterschiedlichen<br />
Ergebnissen.<br />
So wird einerseits auf den Zuwachs an eigener Zufriedenheit über die altruistische Tat<br />
hingewiesen 68 . Andererseits stellte eine retrospektive Untersuchung von<br />
32 Nierenlebendspendern in 9 Fällen leichte Probleme (depressive Verstimmungen,<br />
Motivationsprobleme) und in 6 Fällen schwere Probleme mit psychischen und<br />
psychosomatischen Symptomen fest 69 . Psychosoziale Probleme werden vor allem auch aus<br />
64<br />
Reiter-Theil<br />
65<br />
vgl. Gutmann/Schroth, S. 25, 81<br />
66<br />
Sengler, S. 100/103 f.<br />
67<br />
s. auch Enquête-Kommission, S. 36).<br />
68<br />
vgl. Rittner/Besold/Wandel, MedR 2001, 118/121; Gutmann/Schroth, S. 92<br />
69<br />
Henne-Bruns/Kaatsch, Rn. 7 f.
17<br />
der Anfangsphase der Leberlebendspende berichtet 70 .<br />
Bewertung<br />
Trotz auch positiver Erfahrungen darf die psychische Belastung bei einer Lebendspende<br />
nicht unterschätzt werden. Die möglichen psychischen Auswirkungen einer Transplantation<br />
- erst recht, wenn sie gescheitert ist -, auch auf die persönlichen Beziehungen zwischen<br />
Spender und Empfänger, müssen daher Gegenstand der ärztlichen Aufklärung sein. Dafür<br />
ist die Heranziehung eines einschlägig erfahrenen Psychologen notwendig.<br />
b) Lebendspendekommission<br />
(1) Überblick über die Regelungen zur Lebendspendekommission in den Ländern<br />
In den meisten Ländern sind die Lebendspendekommissionen durch Gesetz<br />
(Heilberufekammergesetz oder Ausführungsgesetz zum Transplantationsgesetz) geregelt.<br />
Sie sind bei den Landesärztekammern errichtet; in Sachsen-Anhalt ist die Kommission beim<br />
Landesverwaltungsamt angesiedelt.<br />
In allen Ländern ist die Lebendspendekommission in der von § 8 Abs. 3 TPG vorgesehenen<br />
Mindestbesetzung tätig (ein Arzt, eine Person mit der Befähigung zum Richteramt, eine in<br />
psychologischen Fragen erfahrene Person); nur in Bremen ist darüber hinaus ein<br />
Patientenvertreter Mitglied der Kommission. Über die bundesrechtliche Regelung<br />
hinausgehend ist in Bayern, Berlin/Brandenburg und Sachsen geregelt, dass alle Mitglieder<br />
der Kommission nicht weisungsabhängig vom transplantierenden Arzt sein dürfen.<br />
Das Verfahren ist in den Ländern sehr unterschiedlich geregelt:<br />
Antragsteller ist in allen Ländern das Transplantationszentrum; in Baden-Württemberg,<br />
Berlin/Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen ist darüber hinaus das<br />
Einverständnis des Spenders (z.T. durch Unterschrift auf dem Antrag) erforderlich. Alle<br />
Lebendspendekommissionen verhandeln mündlich und nichtöffentlich.<br />
Der Spender muss angehört werden in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen,<br />
Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt; er soll angehört<br />
werden in Berlin/Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen<br />
und Thüringen. Der Empfänger muss in Bayern, er soll in Bremen, Hessen,<br />
Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und in<br />
Sachsen angehört werden.<br />
Rechtsbehelfe gegen das Kommissionsvotum werden ausdrücklich ausgeschlossen in<br />
Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen und Rheinland-Pfalz.<br />
Bewertung<br />
Die Unabhängigkeit aller Kommissionsmitglieder ist für die Qualität der Entscheidung von<br />
eminenter Bedeutung. Deshalb sollte - über die bereits in Bayern, Berlin/Brandenburg und<br />
Sachsen bestehenden Regelungen hinaus - zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der<br />
Kommissionsmitglieder im Transplantationsgesetz geregelt werden, dass die<br />
Kommissionsmitglieder nicht in einem Beschäftigungsverhältnis mit dem<br />
Transplantationszentrum stehen dürfen, in dem die Transplantation stattfinden soll.<br />
Dadurch, dass die Anhörung von Spender und Empfänger in den Ländern so unterschiedlich<br />
geregelt ist, sind die Kommissionen weit davon entfernt, einen einheitlich hohen Standard im<br />
Verfahren anzuwenden. Es sollte hier daher eine bundeseinheitliche Regelung dergestalt<br />
geben, dass Spender und Empfänger zwingend persönlich vor der Kommission angehört<br />
70<br />
Gutmann/Schroth, S. 92
18<br />
werden müssen.<br />
(2) Prüfung durch die Lebendspendekommission<br />
Die Lebendspendekommission hat zu prüfen, ob „begründete tatsächliche Anhaltspunkte<br />
dafür vorliegen, dass die Einwilligung in die Organspende nicht freiwillig erfolgt oder das<br />
Organ Gegenstand verbotenen Handeltreibens ist“. Die Kommission soll die tatsächlichen<br />
Beweggründe des Spenders aufklären. Sie hat jedoch nicht die Aufgabe, die Freiwilligkeit<br />
der Spenderentscheidung positiv festzustellen 71 . Dieses Verfahrenserfordernis entbindet den<br />
Arzt nicht davon, sich selbst von der Freiwilligkeit des Spendeentschlusses zu überzeugen.<br />
Die Stellungnahme der Kommission soll nach der Gesetzesbegründung nur eine zusätzliche<br />
verfahrensrechtliche Sicherheit bieten, ohne den Arzt zu binden 72 ; sie hat lediglich<br />
empfehlenden Charakter.<br />
Nach dem Gesetzeswortlaut hat die Kommission dagegen nicht die Einwilligungsfähigkeit<br />
des Spenders und das Verwandtschaftsverhältnis oder die sonstige persönliche<br />
Verbundenheit mit dem Empfänger zu überprüfen. In der Praxis beschäftigen sich viele<br />
Kommissionen aber auch mit diesen Fragen 73 .<br />
Nach der gesetzlichen Regelung auch nicht zu prüfen hat die Kommission die Frage, ob die<br />
ärztliche Aufklärung korrekt durchgeführt worden ist. Weil die ärztliche Aufklärung aber<br />
durchaus Einfluss auf den Entschluss zur Spende haben kann, wird z.T. gefordert, dass<br />
auch dieser Aspekt von der Kommission geprüft werden müsse.<br />
Viel spricht dafür, dass die Kommission berechtigt ist, die Einwilligungsfähigkeit, die<br />
Beziehung zwischen Spender und Empfänger und auch die ärztliche Aufklärung - diese<br />
jedenfalls im Hinblick auf offensichtliche Mängel - in ihre Prüfung einzubeziehen. Die Frage,<br />
ob die Spende freiwillig gegeben wird, hängt zwangsläufig mit diesen Aspekten zusammen.<br />
Es handelt sich aber lediglich um eine inzidente Prüfung unter dem Aspekt der Freiwilligkeit.<br />
Einen ausdrücklichen Auftrag zur eigenständigen Prüfung dieser Fragen hat die Kommission<br />
nicht 74 .<br />
Sieht eine Kommission begründete Anhaltspunkte für Unfreiwilligkeit oder Entgeltlichkeit der<br />
Lebendspende und lehnt daraufhin das Transplantationszentrum die Transplantation ab, so<br />
haben die Betroffenen die Möglichkeit, sich bei einem anderen Transplantationszentrum<br />
anzumelden und sich erneut einer Lebendspendekommission vorzustellen (sog.<br />
Kommissions-Hopping). Zwar wird ein solcher „Tourismus“ dadurch erschwert, dass in allen<br />
Ländern der Antrag an die Kommission nur von den Transplantationszentren gestellt werden<br />
kann. Die Betroffenen müssen sich also zunächst in einem neuen Transplantationszentrum<br />
vorstellen; zudem prüfen auch die Transplantationsärzte, ob sie eine Lebendspende im<br />
Hinblick auf Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit verantworten können. Gleichwohl kann auch<br />
durch dieses Verfahren ein gewisser „Tourismus“ nicht ausgeschlossen werden. Es stellt<br />
sich daher die Frage, ob es sinnvoll wäre, dass die Kommissionen untereinander<br />
Informationen über die bei ihnen abgelaufenen Verfahren austauschen könnten. Für einen<br />
länderübergreifenden Informationsaustausch gibt es derzeit keine gesetzliche Grundlage, die<br />
aus Datenschutzgründen jedoch erforderlich ist, wenn sich nicht alle Betroffenen mit der<br />
Weitergabe der Informationen einverstanden erklären; Bayern hat für seine Kommissionen<br />
eine solche Regelung geschaffen. In anderen Ländern ist z.T. vorgesehen, dass der<br />
Antragsteller mitteilen muss, ob bereits eine andere Kommission mit der Angelegenheit<br />
befasst war.<br />
Für einen Informationsaustausch spricht, dass grundsätzlich die Gefahr besteht, dass die<br />
Betroffenen „lernen“, wie sie vor der Kommission auftreten müssen, um Erfolg zu haben. Ist<br />
der Kommission dagegen bekannt, dass die Betroffenen von einer anderen Kommission<br />
bereits abgelehnt worden sind, wird sie das Verhalten der Betroffenen sehr viel sensibler<br />
aufnehmen und überprüfen.<br />
71<br />
BVerfG, NJW 1999, 3399/3402<br />
72<br />
BT-Drs. 13/4355 S. 21<br />
73<br />
vgl. auch Fateh-Moghadam, MedR 2003, 245/249<br />
74<br />
s. auch Enquête-Kommission, S. 51
19<br />
Andererseits bedeutet ein Informationsaustausch auch, dass die neu befasste Kommission<br />
möglicherweise nicht ganz unvoreingenommen ist.<br />
Bewertung<br />
Das Fehlen von Verbindlichkeit der Kommissionsentscheidung ist geeignet, die<br />
Verantwortlichkeit des Arztes zu stärken. Andererseits beschäftigt sich die Kommission<br />
wesentlich intensiver mit der Beziehung zwischen Spender und Empfänger als der<br />
transplantierende Arzt. Wäre die Entscheidung der Kommission für den Arzt verbindlich, so<br />
würde dies jedoch eine Verlagerung der Verantwortung vom transplantierenden Arzt auf die<br />
Kommission bedeuten und u.U. auch die Frage nach der Justitiabilität der<br />
Kommissionsentscheidung neu aufwerfen. Die derzeitige Rechtslage sollte daher<br />
beibehalten werden.<br />
Wenn die Kommission ausdrücklich auch die Einwilligungsfähigkeit, das<br />
Verwandtschaftsverhältnis bzw. die besondere persönliche Verbundenheit zwischen<br />
Spender und Empfänger sowie die Durchführung der ärztlichen Aufklärung - losgelöst von<br />
der Frage der Freiwilligkeit - prüfen soll, so müsste das Transplantationsgesetz<br />
entsprechend geändert werden. Dadurch würden die Aufgaben der Kommission allerdings<br />
erheblich ausgedehnt. Ein Teil der ärztlichen Verantwortung würde auf die Kommission<br />
verlagert. Dennoch spricht viel dafür, der Kommission ausdrücklich jedenfalls die Befugnis zu<br />
übertragen, auch die besondere persönliche Verbundenheit zu prüfen. Für die Frage, ob die<br />
Einwilligung in die Organentnahme nicht freiwillig gegeben wurde oder das Organ<br />
Gegenstand verbotenen Organhandels ist, spielt die Art der Beziehung zwischen Spender<br />
und Empfänger eine erhebliche Rolle 75 .<br />
Es sollte bundeseinheitlich geregelt werden, dass Spender und Empfänger offenzulegen<br />
haben, ob und mit welchem Ergebnis bereits zuvor ein Antrag bei einer anderen<br />
Lebendspendekommission gestellt wurde. Die Gefahr, dadurch würde die neuerlich befasste<br />
Kommission voreingenommen prüfen, erscheint gering. Ein sog. Kommissions-Hopping<br />
sollte demgegenüber so gut wie möglich verhindert werden 76 .<br />
5. Ausländische Spender und Empfänger ohne Wohnsitz in einem Mitgliedstaat des<br />
Eurotransplant-Verbundes<br />
Es kommt vor, dass ausländische Spender und Empfänger ohne Wohnsitz in einem<br />
Mitgliedstaat des Eurotransplant-Verbundes (im Folgenden auch als Non-ET-Residents<br />
bezeichnet) nur zum Zwecke der Organtransplantation in die Bundesrepublik Deutschland<br />
einreisen.<br />
In diesen Fällen besteht eine Reihe von besonderen Problemen.<br />
a) Subsidiarität der Lebendorganspende<br />
Nach der Regelung des Transplantationsgesetzes muss auch der Patient, der eine<br />
Lebendspende erhalten möchte, auf der bundeseinheitlichen Warteliste geführt werden. Dies<br />
muss daher auch für die ausländischen Patienten gelten, die nur für die Transplantation<br />
einreisen 77 . Die Richtlinien der Bundesärztekammer für die Warteliste zur<br />
Lebertransplantation sehen dies für die Leberlebendspende ausdrücklich vor; in den<br />
Richtlinien für die Warteliste zur Nierentransplantation fehlt allerdings eine vergleichbare<br />
Regelung für die Nierenlebendspende. Das kann auf der anderen Seite aber dazu führen,<br />
dass Non-ET-Residents tatsächlich ein - ursprünglich nicht gewolltes - postmortal<br />
gespendetes Organ vermittelt und transplantiert wird. Solche Fälle sind jüngst kritisiert<br />
worden, weil die auf ein Organ wartenden Bürger des Eurotransplant-Verbundes dadurch<br />
übergangen würden.<br />
75<br />
Enquête-Kommission, S. 51, 75<br />
76<br />
so auch Enquête-Kommission, S. 75<br />
77<br />
anders aber Gutmann/Schroth, S. 30
20<br />
Bewertung<br />
Aus den bereits oben (IV. 3.) genannten Gründen muss das Subsidiaritätsprinzip<br />
uneingeschränkt gelten, wobei die Anmeldung bei Eurotransplant jedoch keine reine<br />
Formsache werden darf. Grundsätzlich kann daher auch ein Patient, der eigentlich nur zur<br />
Lebendspende eingereist ist, ein postmortal gespendetes Organ über die Warteliste erhalten.<br />
Ob dem gesetzliche Grenzen gesetzt werden können, die der Kritik an der<br />
transplantationsmedizinischen Behandlung von Non-ET-Residents entgegenkommen,<br />
erscheint zweifelhaft. soll hier jedoch nicht weiter behandelt werden, da es sich um eine<br />
Frage der Vermittlung postmortal gespendeter Organe handelt. Es sei nur auf die<br />
Stellungnahme der Ständigen Kommission der Bundesärztekammer zu der Problematik<br />
hingewiesen.<br />
b) Verpflichtung zur Nachbetreuung<br />
Die Organentnahme darf nach § 8 Abs. 3 S. 1 TPG erst durchgeführt werden, wenn sich<br />
Spender und Empfänger zu einer ärztlich empfohlenen Nachbetreuung bereit erklärt haben.<br />
Eine solche Erklärung werden vor allem die Spender ohne Wohnsitz in der Bundesrepublik<br />
Deutschland, in Westeuropa oder in den USA oft nicht abgeben können. Es ist jedoch zu<br />
befürchten, dass die Erklärung gleichwohl abgegeben wird, um die Transplantation zu<br />
ermöglichen, ohne dass eine Nachbetreuung später tatsächlich durchgeführt werden kann.<br />
Bewertung<br />
Die Nachbetreuung ist ein Bestandteil der Lebendspende, auf den unter keinen Umständen<br />
verzichtet werden kann. In erster Linie gebietet dies die Achtung vor dem Menschen und<br />
seiner Gesundheit. Zudem ist aber zu berücksichtigen, dass es der Organspende insgesamt<br />
großen Schaden zufügen würde, wenn aufgrund des Fehlens einer Nachbetreuung vermehrt<br />
schwerwiegende Komplikationen bei Lebendspendern auftreten würden.<br />
Die Transplantationszentren sind daher gehalten, bei ausländischen Spendern ohne<br />
Wohnsitz im Eurotransplantbereich sehr gründlich zu prüfen, ob und wie eine Nachbetreuung<br />
tatsächlich stattfinden kann bzw. wie sich der Spender die praktische Durchführung der<br />
Nachbetreuung vorstellt.<br />
c) Überprüfung der Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Entscheidung<br />
Zum einen werden für die Lebendspendekommission regelmäßig Sprachprobleme bestehen.<br />
Daher wird die Kommission verpflichtet sein, geeignete Dolmetscher heranzuziehen. In der<br />
Regel sollten dies beeidigte Dolmetscher sein, weil die Beeidigung ein gewisses<br />
Qualifikationsniveau sicherstellt.<br />
Die Hinzuziehung eines Dolmetschers führt allerdings dazu, dass zwischen den Betroffenen<br />
und der Kommission kein direkter Austausch stattfinden kann, was die Beurteilung erheblich<br />
erschweren dürfte. Umso wichtiger ist es, keine Personen als Dolmetscher einzusetzen, die<br />
aus dem näheren persönlichen Umfeld von Spender und Empfänger stammen.<br />
Zum anderen dürfte die Beurteilung für die Kommission schwierig sein, wenn sie mit einer<br />
Auffassung von Freiwilligkeit konfrontiert wird, die sich erheblich von derjenigen des<br />
westlichen Kulturkreises unterscheidet. So kann der Druck auf den Spender aufgrund eines<br />
anderen Familienverständnisses z.B. in der orientalischen Kultur erheblich höher sein 78 .<br />
Bewertung<br />
Die Lebendspendekommissionen müssen bei ausländischen Spendern regelmäßig<br />
(beeidigte) Dolmetscher heranziehen. Diese sollten nach Möglichkeit Erfahrungen im<br />
medizinischen/psychologischen Bereich haben und nicht aus dem persönlichen Umfeld von<br />
78<br />
s. dazu auch Enquête-Kommission, S. 53
21<br />
Spender und Empfänger stammen 79 .<br />
Da es häufig schwierig sein wird, entsprechend qualifizierte Dolmetscher für die<br />
unterschiedlichsten Sprachen zu finden, sollten auch Ärzte mit den entsprechenden<br />
Sprachkenntnissen angesprochen werden. Diese Ärzte dürfen weder an der Entnahme noch<br />
an der Übertragung von Organen beteiligt sein, noch Weisungen eines Arztes unterstehen,<br />
der an solchen Maßnahmen beteiligt ist.<br />
Die Freiwilligkeit der Spendeentscheidung kann nur anhand von Kriterien überprüft werden,<br />
die einem westlich geprägten Verständnis von Freiwilligkeit entsprechen. Auch ausländische<br />
Spender, die in der Bundesrepublik Deutschland ein Organ spenden möchten, müssen sich<br />
nach den hier geltenden Regeln richten. Dies gilt auch für den gesellschaftlich-kulturellen<br />
Bereich, wenn gesetzliche Regelungen einen Begriff verwenden, der sich auf das hiesige<br />
gesellschaftlich-kulturelle Selbstverständnis des Menschen bezieht.<br />
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass möglichst Frauen von Frauen und Männer<br />
von Männern gedolmetscht werden 80 .<br />
6. Strafbarkeit des Organhandels<br />
a) Organhandel: § 17 TPG<br />
Der Gesetzgeber wollte sich mit dem Begriff des Handeltreibens bewusst an die Definition im<br />
Betäubungsmittelrecht anlehnen 81 . Dabei entstehen vor allem zwei Probleme, nämlich ob<br />
auch eine Überkreuzspende oder ob eine Kompensation des Spenders für erlittene oder<br />
drohende Nachteile unter das Verbot des Organhandels fällt.<br />
(1) Überkreuzspende als Organhandel?<br />
Die Frage, ob eine Überkreuzspende - unabhängig von ihrer Unzulässigkeit nach § 8 TPG<br />
- als „Handeltreiben“ anzusehen ist, hat das Bundessozialgericht verneint 82 . Unter<br />
„Handeltreiben“ i.S.d. Betäubungsmittelrechts sei jede eigennützige, auf Güterumsatz<br />
gerichtete Tätigkeit zu verstehen, selbst wenn es sich nur um eine gelegentliche, einmalige<br />
oder vermittelnde Tätigkeit handele 83 . Danach müsste auch die Überkreuzspende ein<br />
Handeltreiben darstellen. Der Gesetzgeber habe aber nur die kommerzielle Organvergabe<br />
ausschließen wollen. Diese Zielsetzung müsse bei der Auslegung des Gesetzes vorrangig<br />
berücksichtigt werden.<br />
Auch die Enquête-Kommission verneint ein erhöhtes Kommerzialisierungsrisiko 84 .<br />
Zu berücksichtigen ist jedoch, dass das Bundessozialgericht für Fragen der<br />
Strafgerichtsbarkeit keine Auslegungshoheit besitzt. Wie Strafgerichte über eine<br />
Überkreuzspende entscheiden würden, kann daher an dieser Entscheidung nicht mit letzter<br />
Sicherheit abgelesen werden.<br />
(2) Kompensationen für den Spender als Organhandel?<br />
Zur Kompensation des Spenders stellt Art. 21 Abs. 1 Zusatzprotokoll Organtransplantation<br />
klar, dass weder die Erstattung des Verdienstausfalls des Spenders oder weiterer Auslagen<br />
im Zusammenhang mit der Organentnahme noch die Kompensation von möglichen, über<br />
das Normalmaß hinausgehenden gesundheitlichen Schäden unter das Organhandelsverbot<br />
fallen.<br />
Eine Kompensation für besondere gesundheitliche Schäden ist im Transplantationsgesetz<br />
79<br />
Enquête-Kommission, S. 75<br />
80<br />
Enquête-Kommission, S. 75<br />
81<br />
BT-Drs. 23/4355 S. 29 f.<br />
82<br />
BSG MedR 2004, 330 f.<br />
83<br />
vgl. auch BT-Drs. 13/4355 S. 30<br />
84<br />
Enquête-Kommission, S. 39 f.
22<br />
nicht vorgesehen. Gleichwohl sollte die Festlegung des Zusatzprotokolls gebilligt werden.<br />
Neben Kompensationen für besondere gesundheitliche Schäden sind in der Vergangenheit<br />
immer wieder - auch von Transplantationsmedizinern - finanzielle Anreize für Organspender<br />
gefordert worden. Z.T. wird vorgeschlagen, Lebendspendern, die im Zusammenhang mit der<br />
Spende oder als Folge der Spende selbst ein solches Organ benötigen, im<br />
Verteilungssystem den Status eines High-Urgent-Patienten einzuräumen 85 . Auch die<br />
Enquête-Kommission hat sich für eine Absicherung ehemaliger Lebendspender durch<br />
Bonuspunkte bei einer späteren Organallokation ausgesprochen. Sie stellt dabei auf eine<br />
Gesamtbetrachtung des existierenden Organaufkommens ab: Mit jeder Lebendspende<br />
befinde sich ein Organ mehr im Gesamtaufkommen der zur Verfügung stehenden Organe.<br />
Durch jedes Lebendspendeorgan werde daher die Warteliste für postmortale Organe<br />
entlastet. Die Situation, dass ein Lebendspender später selbst ein gleiches Organ benötige,<br />
trete außerordentlich selten ein. Der Wartelistenpatient, der zwar individuell benachteiligt<br />
werde, verdanke seine Position auf der Warteliste nur der Tatsache, dass zuvor<br />
Lebendspender einschließlich des konkret bevorzugten die Warteliste entlastet hätten. Die<br />
frühere Lebendspende solle aber bei der Organverteilung nur ein Kriterium neben den<br />
bereits bestehenden medizinischen sein 86 .<br />
Bewertung<br />
Auch wenn bei Gewährung finanzieller Anreize sicherlich nicht generell von Organhandel<br />
gesprochen werden kann, würde der Organhandel wesentlich erleichtert werden. Die<br />
Freiwilligkeit der Spende wäre nur sehr schwer zu überprüfen. Zudem würden solche<br />
Anreize einer Kommerzialisierung der Transplantationsmedizin Vorschub leisten, die das<br />
Vertrauen der Bevölkerung beeinträchtigen würde und damit eher kontraproduktiv wäre 87 .<br />
Zur Frage, ob ehemalige Lebendspender bei der Organallokation bevorzugt werden sollen,<br />
teilt die Mehrheit der Arbeitsgruppe Bioethik und Recht die Argumentation der<br />
Enquête-Kommission. Die Minderheit in der Arbeitsgruppe lehnt eine solche Bevorzugung<br />
ab. Eine Bevorzugung von Lebendspendern bei der Verteilung von postmortal gespendeten<br />
Organen würde eine Diskriminierung anderer Patienten auf der Warteliste bedeuten, die<br />
vielleicht nie die Möglichkeit gehabt haben, selbst Lebendspender zu sein. Sie würden in der<br />
konkret für sie entscheidenden Situation benachteiligt, ohne dass sie sich hätten frei<br />
entscheiden können, selbst einen „Bonus“ zu erwerben 88 .<br />
b) Strafbarkeit: § 18 TPG<br />
§ 18 TPG stellt den Organhandel unter Strafe. Gemäß § 5 Nr. 15 StGB gilt dies ebenso,<br />
wenn der Tatort zwar im Ausland liegt, der Täter zur Zeit der Tat aber Deutscher war. Eine<br />
Beschränkung des Verbots auf Inlandstaten hätte einen effektiven Schutz vor Organhandel<br />
nicht hinreichend sicher gewährleistet 89 .<br />
Deutsche Transplantationsmediziner können sich daher (auch) strafbar machen, wenn sie im<br />
Ausland ein Organ transplantieren, das Gegenstand von nach §§ 17, 18 TPG verbotenem<br />
Organhandel war.<br />
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates fordert einen lückenlosen<br />
Strafrechtsschutz 90 . In der Bundesrepublik Deutschland gab es - soweit ersichtlich - erst<br />
einen vor Gericht abgeschlossenen Fall des Organhandels.<br />
In dem entschiedenen Fall hatte der Täter, der keinerlei medizinische Ausbildung besaß, seit<br />
dem Frühjahr 2001 an staatliche Stellen in verschiedenen Ländern geschrieben und um die<br />
85<br />
Biller-Andorno, Stellungnahme S. 6 zu Frage 29; Kirste, Stellungnahme S. 10 zu Frage 19<br />
86<br />
Enquête-Kommission, S. 58 f., 76<br />
87<br />
so auch Ständige Kommission, Positionspapier Sept. 2003<br />
88<br />
Gutmann, Stellungnahme S. 20 f. zu Frage 19<br />
89<br />
vgl. BT-Drs. 13/4355 S. 32<br />
90<br />
Rec. (2003) 1611, Nr. 12
23<br />
Übersendung von Adresslisten geeigneter Krankenhäuser zur Durchführung von<br />
Organtransplantationen gebeten. Danach hatte er per Telefax an diverse Krankenhäuser in<br />
den USA geschrieben und Organe zum Verkauf angeboten. Ob die Krankenhäuser dieses<br />
Fernschreiben erhalten haben, konnte nicht aufgeklärt werden. Die Organe wollte sich der<br />
Täter auf dem osteuropäischen Markt - auch von staatlichen Stellen - besorgen und an die<br />
von ihm angesprochenen Krankenhäuser liefern. Er hatte dazu bereits Kontakte zu<br />
staatlichen Kliniken in Rumänien und im ehemaligen Jugoslawien geknüpft. Der Täter selbst<br />
wollte für seine Tätigkeit eine Provision erhalten, um seinen Lebensunterhalt davon zu<br />
bestreiten.<br />
Das Landgericht München I sah den Vorwurf des versuchten gewerbsmäßigen<br />
Organhandels als erwiesen an und verurteilte den Täter zu einer Freiheitsstrafe von einem<br />
Jahr und sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.<br />
Bewertung<br />
Ob das deutsche Strafrecht alle denkbaren Fallkonstellationen erfasst, kann nicht<br />
eingeschätzt werden. Zur Verhinderung des Organhandels erscheint es jedoch als<br />
wesentlich, Gefahren soweit wie möglich bereits durch Regelungen über die Zulässigkeit der<br />
Lebendspende und Verfahrensregeln zur Absicherung der materiellen Anforderungen<br />
auszuschließen. Die Regelungen im Transplantationsgesetz sind dazu grundsätzlich<br />
geeignet.<br />
V. Volkswirtschaftliche Bewertung<br />
1. Kosten von Organtransplantationen nach einer Lebendspende<br />
a) Direkter Kostenvergleich<br />
Bis 2002 wurden Organtransplantationen durch Fallpauschalen und Sonderentgelte nach der<br />
Bundespflegesatzverordnung finanziert. Zum 01.01.2004 wurde verbindlich das<br />
Vergütungssystem auf der Grundlage von diagnoseorientierten Fallpauschalen eingeführt.<br />
Der bundeseinheitliche Fallpauschalenkatalog enthält auch Fallpauschalen für<br />
Transplantationen (§ 4 Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das<br />
Jahr 2008 vom 21. September 2007 - Fallpauschalenvereinbarung 2008). Danach werden<br />
die Kosten der stationären Versorgung des Lebendspenders mit Fallpauschalen vergütet;<br />
gesondert abzurechnen sind dagegen insbesondere die Kosten für Voruntersuchungen nach<br />
§ 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. c) TPG bei möglichen Lebendspendern sowie die Kosten der<br />
Nachbetreuung nach § 8 Abs. 3 S. 1 TPG (vgl. § 115a Abs. 2 S. 7 SGB V).<br />
b) ambulante Dialyse<br />
Seit 2002 werden Dialysen, die von Vertragsärzten erbracht werden, in Form von<br />
Wochenpauschalen vergütet. Diese Wochenpauschale beinhaltet nur die Dialysesachkosten<br />
und sie unterscheidet nicht nach Art der Dialyse und wird sowohl bei Peritoneal- als auch bei<br />
Hämodialysen abgerechnet. Darüber hinaus sind primär das Alter bzw. die mögliche<br />
Grunderkrankung eines manifesten behandlungspflichtigen Diabetes mellitus mit ausschlaggebend.<br />
Zu den Dialysesachkosten gehört der Dialysator, Schlauchsysteme, Infusionslösungen, am<br />
Dialysetag verabreichte Heparine, Aufbereitungs- und Entsorgungsmaßnahmen sowie<br />
Sprechstundenbedarf. Die Kosten der Wochenpauschale entstehen außerhalb des Budgets.<br />
Nicht enthalten sind die Kosten für Arzneimittel, insbesondere Erythropoetin, Vitamine- oder<br />
Mineralstoffpräparate.
24<br />
Die ärztliche Leistung bei der ambulanten Dialyse wird innerhalb des Budgets bezahlt 91 .<br />
c) stationäre Transplantation<br />
Für die Nierentransplantation muss man mit Kosten in Höhe von 40.000 bis 65.000 €<br />
rechnen. Die Kosten der Nachbetreuung werden mit jährlich zwischen 6.000 und 12.500 €<br />
veranschlagt 92 .<br />
Die Kosten für Transplantationen setzen sich folgendermaßen zusammen:<br />
Landesbasisfallwert x Bewertungsrelation = Preis<br />
Der Landesbasisfallwert ist in den Bundesländern unterschiedlich. Zur Zeit wird der Preis der<br />
Behandlungskosten durch einen individuellen Krankenhausbasisfallwert errechnet:<br />
Krankenhausbasisfallwert x Bewertungsrelation = Preis<br />
Da es keinen einheitlichen Bundesbasisfallwert gibt, ist ein bundesweiter Vergleich nicht<br />
möglich. Innerhalb der einzelnen Bundesländer ist, wenn überhaupt, frühestens im Jahr 2009<br />
ein erster Vergleich der Kosten möglich.<br />
Am Fallbeispiel der Universität Halle aus dem Jahr 2006 soll dargestellt werden, wie i.d.R.<br />
die Entgelte bei einer Lebendspende Niere im stationären Sektor abgerechnet werden:<br />
Entgelt für gutachterliche Stellungnahme in Höhe von 950 € (Entgeltart: 60000006)<br />
Verdienstausfall des Spenders (Kosten 1.272,03 €)<br />
Voruntersuchung des Spenders DRG Z66Z ( Kosten 2.351,00 €)<br />
Nierenspende DRG Z03Z (Kosten 5.969,00 €)<br />
Transplantation ohne Komplikationen DRG A17B (Kosten 21.721,78 €) in der DRG<br />
A17B sind die Kosten für Dialysen enthalten und werden nicht extra abgerechnet<br />
Transportkosten ins Krankenhaus, einschließlich Vor- und Nachbereitung der OP<br />
(864,65 €)<br />
Bei der Peritonealdialyse und Hämodialyse gibt es nur folgende Preisunterschiede (wenn<br />
während eines stationären Aufenthalts eines Dialysepflichtigen wegen einer anderen<br />
Diagnose eine Dialyse durchgeführt wird): Zusatzentgelte, die zusätzlich zu den DRG's<br />
gezahlt werden. Die Zusatzentgelte gelten nicht, wenn in der Einweisungsdiagnose schon<br />
eine Dialyse inbegriffen ist, wie bei Nierentransplantationen.<br />
1 Hämodialyse (Kosten 247,90 €)<br />
1 Peritonealdialyse je nach Ausführung ( Kosten 50 – 100 € )<br />
Daraus ergeben sich folgende Kosten der Krankenkasse:<br />
1. Gesamtkosten ohne Zusatzentgelte = 33.128,00 €<br />
2. Gesamtkosten mit Zusatzentgelten = 33.290,00 €<br />
d) Kostenvergleich<br />
Da aussagefähige allgemeine Daten fehlen, sollen beispielhaft die Kosten nach einer<br />
Transplantation an Hand eines 59jährigen Patienten mit einer dialysepflichtigen<br />
Nierenerkrankung dargestellt werden 93 . Hierbei ist je Behandlungswoche mit<br />
durchschnittlichen Kosten von rund 530 € zu rechnen.<br />
Auch wenn es kaum möglich ist, den gesamtwirtschaftlichen Nutzen von<br />
Gesundheitsleistungen in Geld auszudrücken, ist an dieser Stelle der Versuch gestattet, die<br />
Kosten der unterschiedlichen Prozeduren miteinander zu vergleichen.<br />
x (Wochen) × 530,00 € (Dialyse/Patient/Woche) = 33.290,00 € (Gesamtkosten mit Zusatzentgelte)<br />
x = 63,80 (Wochen)<br />
Bei dieser Form des Vergleiches ergibt sich ein Verhältnis von 63,80 Wochen<br />
Dialysebehandlung, die dem Geldwert einer Transplantation entsprechen. Unberücksichtigt<br />
bleiben dabei allerdings Folgekosten wie die Arzneimittel. Dies bedeutet, dass eine<br />
Dialysedauer von mehr als einem Jahr und drei Monaten – abgesehen vom gesundheitlichen<br />
91<br />
AOK Sachsen-Anhalt 2008: Die Vergütung der Leistung erfolgt über den Honorarvertreilungsvertrag und im Rahmen eines<br />
Regelleistungsvolumen. Dabei handelt es sich um eine konkrete Leistungsmenge, die der Arzt mit einem festen Punktwert<br />
(0,037 Cent) vergütet bekommt. Alle Leistungen, die er darüber hinaus erbringt, werden miit einem Punktwert von mind. 0,0001<br />
Cent vergütet. Daher ist es nicht möglich, aus den Punktmengen des EBM einen Preis zu ermitteln.<br />
92<br />
Techniker Krankenkasse, Information im Internet<br />
93<br />
Universität Halle 2007
25<br />
und psychischen Befinden des Patienten – sich als die volkswirtschaftlich kostenintensivere<br />
Variante darstellt. Anders ausgedrückt: Würde statt einer Dialyse die Möglichkeit einer<br />
Transplantation bestehen, so hätte sich nach einer Überlebensphase von 15 Monaten die<br />
Kosten der Dialyse und der Transplantation aufgehoben.<br />
e) Kosten nach der Transplantation<br />
Allerdings sind auch nach der Transplantation Medikamente in erheblichen Umfang<br />
erforderlich. Zu den Arzneimitteln können keine allgemeingültigen Werte angegeben werden.<br />
Nach Nierentransplantationen werden die Patienten über einen längeren Zeitraum mit<br />
Immunsuppressiva und Corticoiden therapiert. Die Kosten können den fünfstelligen<br />
Eurobereich erlangen. Dies ist jedoch vom konkreten Einzelfall und der Dauer der<br />
Behandlung abhängig. Am Beispiel des Patienten der Uniklinik Halle, dem im Mai 2006 eine<br />
Niere transplantiert wurde, sollen die Kosten je durchgeführter Dialyse (2x wöchentlich) und<br />
nach der Transplantation anschaulich gemacht werden.<br />
Dialysebehandlung + Arzneimittel: monatlich: ca. 2500 €<br />
Dialysebehandlung + Arzneimittel: jährlich: ca. 30.000 €<br />
OP Nierentransplantation: gesamt: ca. 33.300 €<br />
Arzneimittelkosten nach TP: monatlich: ca. 1100 €<br />
Arzneimittelkosten nach TP: jährlich: ca. 13.200 €<br />
Die Transplantation bei diesem Patienten scheint daher auf längere Sicht die<br />
kostengünstigere Alternative in der Nierenersatztherapie zu sein. Schon nach wenigen<br />
Jahren könnten die Kosten nach Nierentransplantation in Verbindung mit Arzneimitteln unter<br />
den Dialysekosten liegen 94 .<br />
Allerdings können nach der Transplantation aufgrund von Folgeerkrankungen weitere<br />
Behandlungskosten entstehen. Bei mindestens 10%der Patienten werden im ersten Jahr die<br />
transplantierten Organe abgestoßen. Anschließend steigt die Abstoßungsrate allmählich bis<br />
auf rund 50% oder mehr. Dadurch wächst der Bedarf an Zweit-Transplantationen. Bei 6 bis<br />
11% der transplantierten Patienten werden Malignome diagnostiziert. Das Spektrum der<br />
Tumore ähnelt ein wenig den bei Aids auftretenden Tumoren, was auf die<br />
Immunsuppression bei den Transplantierten als mögliche Ursache der Krebsentstehung<br />
hinweist.<br />
f) Kosten der Lebertransplantation<br />
Für die Lebertransplantation nach einer Lebendspende ist mit Kosten in Höhe von<br />
ca. 113.000 € zu rechnen.<br />
Hier - wie für die Transplantation anderer Organe - lässt sich jedoch eine<br />
Vergleichsrechnung wie bei der Niere nicht aufstellen, weil es keine permanente Alternative<br />
zur Transplantation gibt (s. oben I.).<br />
g) Indirekte Auswirkungen<br />
Auch indirekt hat die Organspende Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, ohne dass dazu<br />
allerdings gesicherte Erkenntnisse vorliegen. Häufig, vor allem nach Nierentransplantation,<br />
kann die Integration ins Erwerbsleben gesichert und damit eine Frühverrentung verhindert<br />
werden. Die relative „Gesundung“ führt dazu, dass der Patient wieder ein normales Leben<br />
führen kann. Auf der anderen Seite muss der Empfänger sich einer lebenslangen<br />
Nachbetreuung unterziehen und ist auf Medikamente angewiesen.<br />
Diese Auswirkungen ergeben sich jedoch ebenso nach einer erfolgreichen Transplantation<br />
postmortal gespendeter Organe. Bei der Lebendspende muss allerdings auch die<br />
Nachbetreuung des Spenders berücksichtigt werden.<br />
94<br />
AOK Sachsen-Anhalt 2008
26<br />
2. Sozialversicherung für den Spender<br />
a) Versicherungsschutz des Spenders bei komplikationsloser Organentnahme<br />
(1) Krankenbehandlung<br />
Grundsätzlich hat die Krankenkasse des Organempfängers alle finanziellen Aufwendungen<br />
zu tragen, die mit der Organspende in Zusammenhang stehen, da es sich um eine<br />
Krankenbehandlung des Organempfängers handelt, § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V. Dies hat das<br />
Bundessozialgericht jedenfalls für die Fälle festgestellt, in denen die Organentnahme<br />
komplikationslos verläuft 95 .<br />
Zu diesen finanziellen Aufwendungen gehören auch die Kosten der erforderlichen<br />
Nachbetreuung für den Spender.<br />
Dagegen hat die Krankenkasse nicht die Kosten des Organempfängers für eine<br />
Organbeschaffung zu tragen 96 .<br />
Darüber hinaus lehnte das Bundessozialgericht eine Leistungspflicht der Krankenkasse<br />
insgesamt ab, wenn der Versicherte sich im Ausland einer Behandlung unterzieht, die in der<br />
Bundesrepublik Deutschland wegen ethisch-moralischer Bedenken als sittenwidrig<br />
angesehen und daher nicht durchgeführt werden würde 97 .<br />
(2) Verdienstausfall und Fahrtkosten<br />
Ein Arbeitnehmer hat für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Organentnahme<br />
gegenüber seinem Arbeitgeber keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, weil die<br />
Arbeitsunfähigkeit nicht krankheitsbedingt ist. Etwaiger Verdienstausfall bzw. Fahrtkosten<br />
beim Spender sind daher von der Krankenkasse des Empfängers zu tragen 98 . Nach<br />
Einführung der Fallpauschalen für Transplantationen waren die Spitzenverbände der<br />
Krankenkassen der Auffassung, dass sie mit der Zahlung dieser Pauschale an das<br />
Transplantationszentrum auch die Pflicht zum Ausgleich sowohl von Verdienstausfall als<br />
auch von Fahrtkosten beim Spender erfüllt haben und dass diese Kosten vom<br />
Transplantationszentrum aus der Pauschale zu tragen sind. Die Transplantationszentren<br />
vertraten die gegenteilige Auffassung, weil die Fallpauschalen auf der Grundlage der<br />
postmortalen Organspende berechnet worden sind. Seit 2006 ist in der<br />
Fallpauschalenvereinbarung ausdrücklich geregelt, dass Verdienstausfall und Fahrtkosten<br />
nicht zu den allgemeinen Krankenhausleistungen gehören und damit auch nicht von den<br />
Fallpauschalen erfasst werden (vgl. aktuell § 4 Abs. 1 Satz 3 Fallpauschalenvereinbarung<br />
2008). Der Lebendspender hat somit Anspruch auf Ersatz seiner Fahrtkosten zu den<br />
notwendigen Behandlungen im Zusammenhang mit der Lebendspende nach Maßgabe der<br />
Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung 99 und grundsätzlich auch Anspruch auf<br />
Ausgleich seines Verdienstausfalls 100 . Auf Detailprobleme insbesondere die Höhe der<br />
Erstattungen betreffend soll hier nicht näher eingegangen werden.<br />
b) Versicherungsschutz des Spenders bei Organentnahme mit Komplikationen<br />
(1) Gesundheitliche Schädigungen<br />
95<br />
BSG, Urt. v. 12.12.1972, 3 RK 47/70, NJW 1973, 1432 f. = E 35, 102 ff.<br />
96<br />
BSG, Urt. v. 16.07.1996, 1 RK 15/95, NJW 1997, 823 f., zur Rechtslage vor Geltung des Transplantationsgesetzes - in dem<br />
Fall hatte der Empfänger seinem spendenden Bruder 55.000,00 DM für die Spende gezahlt und verlangte dafür Ersatz von der<br />
Krankenkasse; die Kosten für die Transplantation selbst, die in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt worden war, hatte<br />
die Krankenkasse übernommen<br />
97<br />
BSG, Urt. v. 15.04.1997, 1 RK 25/95, NJW 1997, 3114/3115, zur Rechtslage noch vor Geltung des Transplantationsgesetzes<br />
- in dem Fall hatte sich der Empfänger in den USA eine von einem ihm fremden Menschen gespendete Niere transplantieren<br />
lassen und verlangte von der Krankenkasse Übernahme der Kosten für die Transplantation, bestätigt von BSG MedR 2004, 330<br />
98<br />
vgl. dazu BAG, Urt. v. 06.08.1986, 5 AZR 607/85, NJW 1987, 1508; BSG NJW 1973, 1432/1433<br />
99<br />
Frauendorfer/Heemann, S. 14<br />
100<br />
Frauendorfer/Heemann, S. 17
27<br />
Für Schädigungen des Spenders, die in unmittelbarem, insbesondere zeitlichem<br />
Zusammenhang mit der Organentnahme stehen, aber über die mit der Organspende als<br />
solche verbundenen Eingriffe hinausgehen, besteht Schutz über die gesetzliche<br />
Unfallversicherung, § 2 Abs. 1 Ziff. 13 lit. b SGB VII 101 . Zuständig ist der<br />
Unfallversicherungsträger des Transplantationszentrums.<br />
Bei einer Erkrankung, die nicht in einem solchen unmittelbaren Zusammenhang mit der<br />
Organentnahme steht, ist die Krankenversicherung des Spenders leistungspflichtig.<br />
Problematisch ist jedoch der Fall, in dem bei späteren Erkrankungen spezifische<br />
Nebenwirkungen der Organentnahme auftreten (sog. Spätschäden). Sowohl die<br />
Spitzenverbände der Krankenkassen als auch die Unfallversicherungsträger sehen jeweils<br />
den anderen Leistungsträger verpflichtet 102 .<br />
Echte Spätfolgen der Operation (z.B. Narbenbrüche) sind selten, aber hinsichtlich ihrer<br />
Ursache wahrscheinlich leicht zu klären. Schwieriger ist die Problematik bei Erkrankungen,<br />
die mit der Operation selbst nicht direkt im Zusammenhang stehen, deren Verlauf und<br />
Auswirkungen aber aufgrund der Organspende anders sein könnten, z.B. Hepatitis oder<br />
Tumorleiden.<br />
(2) Tod des Spenders<br />
Hat die Komplikation den Tod des Spenders zur Folge, so muss danach unterschieden<br />
werden, welcher Zusammenhang zwischen dem Tod und der Organentnahme besteht:<br />
Ist der Tod auf einen direkten Ursachen-Wirkungs-Zusammenhang mit der Organentnahme<br />
zurückzuführen, so tritt die gesetzliche Unfallversicherung ein. Nach § 63 Abs. 1 SGB VII ist<br />
daher insbesondere ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente gegeben. Dieser besteht bei<br />
Witwen/Witwern i.d.R. für die Dauer von zwei Jahren und beträgt in den ersten drei Monaten<br />
2/3 des Jahresarbeitsverdienstes, danach 30% des Jahresarbeitsverdienstes (vgl. § 65<br />
SGB VII ) 103 .<br />
Besteht dagegen kein direkter Ursachen-Wirkungs-Zusammenhang, so tritt die gesetzliche<br />
Rentenversicherung des Spenders ein (§ 46 SGB VI). Der Anspruch besteht grundsätzlich<br />
erst nach Erfüllung der Wartezeit von 5 Jahren; die Höhe der Rente wird von der<br />
Einzahlungsdauer und dem Einzahlungsvolumen des Spenders bestimmt.<br />
c) Versicherungsschutz für Wegeunfälle<br />
Aus der Regelung in §§ 2 Abs. 1 Ziff. 13 lit. b), 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ergibt sich, dass der<br />
Spender vom Beginn der ärztlichen Voruntersuchung an gesetzlich unfallversichert ist 104 .<br />
Uneinheitlich wird jedoch die Frage beantwortet, ob dieser Versicherungsschutz auch für die<br />
Nachbetreuung gilt.<br />
Bewertung<br />
zu a) und b): Die Zuordnung des Versicherungsschutzes nach den Kriterien der Komplikation<br />
und des Ursachen-Wirkungs-Zusammenhangs ist in der Praxis sicherlich oft schwierig. Die<br />
Kriterien sollen dazu dienen, die Risiken angemessen auf diejenigen Versicherungsarten zu<br />
verteilen, die besonders sachnah sind. Bei Spätschäden ist eine Zuständigkeit der<br />
Krankenkasse des Spenders sinnvoll; problematisch ist dies jedoch dann, wenn der Spender<br />
nicht krankenversichert ist. Im Interesse der Spender sollte eine Lösung gefunden werden,<br />
101<br />
Schlegel, § 17 Rn. 25, noch zur RVO<br />
102<br />
DTG, S. 15; s. auch Enquête-Kommission, S. 63<br />
103<br />
Unter bestimmten Voraussetzungen wird die Hinterbliebenenrente nach den ersten drei Monaten i.H.v. 40% des<br />
Jahresarbeitsverdienstes bis zu einer Wiederverheiratung gezahlt<br />
104<br />
DTG, S. 14
28<br />
bei der es keinen langwierigen Streit um die Kosten gibt. Nach § 43 Abs. 1 SGB I ist zwar<br />
der zuerst angegangene Leistungsträger zur Leistung verpflichtet, wenn ein Anspruch<br />
besteht und der Berechtigte die Leistung beantragt. Ob dies in der Praxis aber funktioniert,<br />
ist fraglich. Schließlich fehlt weiterhin eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten. Sinnvoll<br />
erscheint daher z.B. eine gesetzliche Ermächtigung der Spitzenverbände der Krankenkassen<br />
und der Verbände der Unfallversicherungsträger, die Abgrenzung in einer gemeinsamen<br />
Richtlinie zu regeln 105 .<br />
zu c): Es sollte klargestellt werden, dass sich der Unfallversicherungsschutz auch auf<br />
Wegeunfälle bezieht, die dem Spender im Zusammenhang mit der Nachbetreuung zustoßen.<br />
3. Weitere Belastungen für den Spender<br />
Eine Minderung der Leistungsfähigkeit aufgrund einer Organentnahme wird i.d.R. nicht<br />
angenommen 106 . Es besteht jedoch die Gefahr, dass einem Arbeitnehmer aufgrund einer<br />
dennoch eingetretenen Leistungsminderung der Arbeitsplatz gekündigt wird 107 .<br />
Wegen einer vermuteten Erhöhung des Versicherungsrisikos, z.B. bei<br />
Lebensversicherungen oder privaten Krankenversicherungen, könnten diese Versicherungen<br />
vom Versicherer gekündigt werden oder sich die Versicherungsprämien erhöhen 108 .<br />
VI. Handlungsempfehlungen<br />
Aufgrund des Berichts ergeben sich folgende Handlungsempfehlungen<br />
1. Lebendspenderegister<br />
Das BMG sollte gebeten werden, zu prüfen, ob und wie der rechtliche Rahmen für die<br />
Einführung eines bundesweiten Lebendspenderegisters, finanziert durch die Krankenkassen,<br />
ausgestaltet werden könnte.<br />
2. Lebendspendekommission<br />
Der Bundesgesetzgeber sollte mit einer Änderung des Transplantationsgesetzes die<br />
Möglichkeit schaffen, die Verfahren der Lebendspendekommissionen zu harmonisieren.<br />
Dabei sollten folgende Mindeststandards im Transplantationsgesetz festgeschrieben werden:<br />
- Die Mitglieder der Kommission dürfen nicht in einem Beschäftigungsverhältnis mit dem<br />
Transplantationszentrum stehen, in dem die Transplantation durchgeführt werden soll.<br />
- Spender und Empfänger sind zwingend persönlich anzuhören.<br />
- Es ist klarzustellen, dass die Kommission auch die besondere persönliche Verbundenheit<br />
zu prüfen hat.<br />
- Spender und Empfänger haben offenzulegen, bei welcher Kommission bereits ein Antrag<br />
gestellt wurde und zu welchem Ergebnis die Kommission gekommen ist.<br />
- In Fällen mit ausländischen Beteiligten haben die Kommissionen geeignete Dolmetscher<br />
hinzuziehen; dabei ist darauf zu achten, dass nach Möglichkeit Frauen von Frauen und<br />
Männer von Männern gedolmetscht werden.<br />
105<br />
vgl. Höfling, Stellungnahme S. 8 zu Frage 27<br />
106<br />
Enquête-Kommission, S. 64<br />
107<br />
Henne-Bruns/Kaatsch, Rn. 11 m.w.Nachw.<br />
108<br />
Henne-Bruns/Kaatsch, Rn. 13 m.w.Nachw.; Enquête-Kommission, S. 60
29<br />
3. Abgrenzung Versicherungsträger<br />
Die Leistungen der Krankenversicherung des Organempfängers und der gesetzlichen<br />
Unfallversicherung müssen eindeutig voneinander abgegrenzt werden. Dabei muss s<br />
ichergestellt werden werden, dass - entsprechend der Regelung in § 43 Abs. 1 SGB I - der<br />
vom Spender zuerst in Anspruch genommene Versicherungsträger in Vorleistung geht.<br />
Literatur<br />
AOK Sachsen-Anhalt 2008 Informationen aus dem Geschäftsbereich Gesundheit und Medizin 02/2008<br />
Biller-Andorno, Nikola<br />
Bundeszentrale für<br />
gesundheitliche Aufklärung<br />
Deutsche<br />
Transplantationsgesellschaft<br />
(DTG)<br />
Dufková, Jarmila<br />
Edelmann, Hervé<br />
Enquête-Kommission Ethik und<br />
Recht der modernen Medizin<br />
Esser, Dirk<br />
Fateh-Moghadam, Bijan<br />
Stellungnahme zum Fragenkatalog der öffentlichen Anhörung<br />
„Organlebendspende“ der Enquêtekommission „Ethik und Recht der<br />
modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages am 1. März 2004<br />
Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung, Band 9: Die<br />
Herausforderung annehmen, S. 33-38, S. 43, S. 52<br />
Versicherungsschutz für die Lebendorganspende<br />
Essen, Januar 2003<br />
Zur Frage der Zulässigkeit von sog. Cross-Spenden bei<br />
Nierentransplantationen lebender Organspender unter Berücksichtigung<br />
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.8.1999 zur<br />
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MedR 2000, 408<br />
Ausgewählte Probleme bei der Organspende unter Lebenden<br />
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Zwischenbericht Organlebendspende, 17.03.2005<br />
BT-Drs. 15/5050<br />
in: Höfling, Wolfram (Hrsg.): Transplantationsgesetz, Kommentar<br />
Köln 2003, § 8<br />
Zwischen Beratung und Entscheidung - Einrichtung, Funktion und Legitimation<br />
der Verfahren vor den Lebendspendekommissionen gemäß<br />
§ 8 Abs. 3 S. 2 TPG im bundesweiten Vergleich<br />
MedR 2003, 245<br />
Feuerstein, Günther<br />
in: Höfling, Wolfram (Hrsg.): Transplantationsgesetz, Kommentar<br />
Köln 2003, Anhang 2 zu § 8<br />
Frauendorfer, S. / Heemann, Uwe Versicherungsrechtliche Absicherung des Lebendorganspenders, 2007,<br />
Veröffentlichung im Internet:<br />
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Gutmann, Thomas / Schroth, Organlebendspende in Europa - Rechtliche Regelungsmodelle, ethische<br />
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Diskussion und praktische Dynamik<br />
Henne-Bruns, Doris / Kaatsch,<br />
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Höfling, Wolfram<br />
Kirste, Günter<br />
Kirste, Günter<br />
Kirste, Günter<br />
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in: Höfling, Wolfram (Hrsg.): Transplantationsgesetz, Kommentar<br />
Köln 2003, Anhang 1 zu § 8<br />
Stellungnahme zum Fragenkatalog der öffentlichen Anhörung „Organlebendspende“<br />
der Enquêtekommission „Ethik und Recht der modernen<br />
Medizin“ des Deutschen Bundestages am 1. März 2004<br />
Stellungnahme zum Fragenkatalog der öffentlichen Anhörung<br />
„Organlebendspende“ der Enquêtekommission „Ethik und Recht der<br />
modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages am 1. März 2004<br />
Zum Stand der Lebendorganspende<br />
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Nierentransplantation: Organlebendspende unter Nichtverwandten<br />
Dt. Äbl. 1996; 93: A-2756-2758<br />
Was kommt danach? Spenderschicksal 6 Jahre nach<br />
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Neuhaus, Peter<br />
Nagel, Eckhard / Mayer, J.<br />
Neuhaus, Peter<br />
Nett, P.C. / Stüssi, G. / Weber, M.<br />
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Parlamentarische Versammlung<br />
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Pratschke, J. / Tullius, S. G. /<br />
Jonas, S. / Neuhaus, Peter.<br />
Reiter-Theil, S.<br />
Rittner, Christian / Besold, Andrea<br />
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Robert-Koch-Institut /<br />
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Schlegel, Rainer<br />
Schreiber, Hans-Ludwig<br />
Schroth, Ulrich<br />
Seidenath, Bernhard<br />
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Bundesärztekammer<br />
Ständige Kommission<br />
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Bundesärztekammer<br />
Strassburg, C. P./ Manns, M. P.<br />
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Stellungnahme zum Fragenkatalog der öffentlichen Anhörung<br />
„Organlebendspende“ der Enquêtekommission „Ethik und Recht der<br />
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Risikofaktor Hirntod - Neue Argumente für die Lebendspende<br />
in: Frei, U. u.a.(Hrsg.): Langzeitüberleben nach Nierentransplantation<br />
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Ethische Aspekte der Nieren-Lebendspende: Entscheidungskriterien,<br />
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in: Kirste, Günter (Hrsg.): Nieren-Lebendspende, Band 1<br />
Lengerich 2000, S. 10<br />
Die anonymisierte Lebendspende nach § 9 Satz 1 TPG geeigneter Organe<br />
(§ 8 I 2 TPG lege ferenda) - ein Plädoyer pro vita und gegen ärztlichen und<br />
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MedR 2001, 118<br />
Organtransplantation und Organspende,<br />
Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 17<br />
Berlin 2003<br />
in: Schulin, Bertram (Hrsg.): Handbuch des Sozialversicherungsrechts,<br />
Band II - Unfallversicherungsrecht<br />
München, 1996, § 17<br />
Stellungnahme zum Fragenkatalog der öffentlichen Anhörung<br />
„Organlebendspende“ der Enquêtekommission „Ethik und Recht der<br />
modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages am 1. März 2004<br />
Stellungnahme zu dem Artikel von Bernhard Seidenath: „Lebendspende<br />
von Organen - Zur Auslegung des § 8 I 2 TPG“<br />
MedR 1999, 67<br />
Lebendspende von Organen - Zur Auslegung des § 8 Abs. 1 S. 2 TPG<br />
MedR 1998, 253<br />
Stellungnahme zu rechtlichen Aspekten der Lebendspende aus der Sicht<br />
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in: Kirste, Günther (Hrsg.): Nieren-Lebendspende, Band 1<br />
Lengerich 2000, S. 100<br />
Positionen zur Lebendorganspende<br />
Wildbad Kreuth, September 2003<br />
Transplantationszentrum Stuttgart Homepage Oktober 2003<br />
Tullius, S.G./ Pfitzmann, R. /<br />
Neuhaus, Peter<br />
Walter, Jessica / Burdelski, Martin<br />
/ Bröring, Dieter C.<br />
Stellungnahme zur transplantationsmedizinischen Behandlung von<br />
Non-ET-Residents<br />
25.09.2007<br />
Partielle Lebertransplantation und Lebendspende aus der Sicht des<br />
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Internist 2002; 43:1551-1558<br />
Broschüre des Lebendspenderegisters<br />
Möglichkeiten der Cross-Over-Lebendspende bei der Nierentransplantation<br />
in: Kirste, Günther (Hrsg.): Nieren-Lebendspende, Band 1<br />
Lengerich 2000, S. 169<br />
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in: Pfitzmann u.a. (Hrsg.): Organtransplantation<br />
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Deutsches Ärzteblatt 2008; 6: 101-107