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Der Mensch ist, was er isst - Gesellschaft für kritische Philosophie

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keine, auf bestimmte Bedürfnisse und<br />

Reize genetisch und physiologisch vorprogrammi<strong>er</strong>te,<br />

sond<strong>er</strong>n frei auszubildende,<br />

v<strong>er</strong>ge<strong>ist</strong>ige Sinne: „<strong>D<strong>er</strong></strong> <strong>Mensch</strong> hat nicht<br />

den G<strong>er</strong>uch eines Jagdhundes, eines Raben;<br />

ab<strong>er</strong> nur weil sein G<strong>er</strong>uch ein alle<br />

Arten von G<strong>er</strong>üchen umfassend<strong>er</strong>, darum<br />

frei<strong>er</strong>, gegen besond<strong>er</strong>e G<strong>er</strong>üche indiff<strong>er</strong>ent<strong>er</strong><br />

Sinn <strong>ist</strong>. Wo sich ab<strong>er</strong> ein Sinn <strong>er</strong>hebt<br />

üb<strong>er</strong> die Schranke d<strong>er</strong> Partikularität<br />

und seine Gebundenheit an das Bedürfnis,<br />

da <strong>er</strong>hebt <strong>er</strong> sich zu selbständig<strong>er</strong>, zu<br />

theoretisch<strong>er</strong> Bedeutung und Würde: univ<strong>er</strong>sell<strong>er</strong><br />

Sinn <strong>ist</strong> V<strong>er</strong>stand, univ<strong>er</strong>selle<br />

Sinnlichkeit Ge<strong>ist</strong>igkeit.“ (Grundsätze d<strong>er</strong><br />

<strong>Philosophie</strong> d<strong>er</strong> Zukunft, §53) Anschließend<br />

noti<strong>er</strong>t Feu<strong>er</strong>bach einen Gedanken,<br />

d<strong>er</strong> uns an dies<strong>er</strong> Stelle nicht weit<strong>er</strong> beschäftigen<br />

kann: „Selbst die unt<strong>er</strong>sten Sinne,<br />

G<strong>er</strong>uch und Geschmack, <strong>er</strong>heben sich<br />

im <strong>Mensch</strong>en zu ge<strong>ist</strong>igen, zu wissenschaftlichen<br />

Akten.“ (ebd.) 10<br />

Gemeine Hausmannskost, alltäglich<strong>er</strong><br />

Familientisch, öffentlich<strong>er</strong> Festschmaus:<br />

gemeinschaftlich<strong>er</strong> Geschmack<br />

<strong>D<strong>er</strong></strong> gastrosophische Irrtum und Unv<strong>er</strong>stand<br />

d<strong>er</strong> traditionellen Moralphilosophien<br />

liegt darin begründet, wie Feu<strong>er</strong>bach in d<strong>er</strong><br />

leid<strong>er</strong> unvollendet gebliebenen Studie<br />

«Zur eudämon<strong>ist</strong>ischen Ethik» <strong>er</strong>läut<strong>er</strong>t,<br />

dass sie das offenkundig Gute ein<strong>er</strong> v<strong>er</strong>nünftigen<br />

und geschmackvollen Esspraxis<br />

<strong>für</strong> ein rein subjektives Gutes ausgeben.<br />

Im deutlichen Gegensatz zu diesem behaupteten<br />

subjektiven Relativismus v<strong>er</strong>mag<br />

ein vorurteilsfrei<strong>er</strong> Blick auf die realen<br />

V<strong>er</strong>hältnisse die normative Kraft des<br />

Faktischen zu <strong>er</strong>fassen, wonach d<strong>er</strong> Lebensgenuss<br />

des Wohlessens durchaus ein<br />

moralisch allgemeinfähiges, an und <strong>für</strong><br />

sich Gutes <strong>ist</strong>: „Die moralischen Hyp<strong>er</strong>physik<strong>er</strong><br />

haben dem sinnlichen Genuß in<br />

ar<strong>ist</strong>okratischem Gedankendünkel alles<br />

Recht, allen Anteil an moralisch<strong>er</strong> Gesetzgebung<br />

abgesprochen, weil <strong>er</strong> d<strong>er</strong> Allgemeinheit<br />

<strong>er</strong>mangele, nur singulär und partikulär<br />

sei; und doch bewe<strong>ist</strong> jed<strong>er</strong> alltägliche<br />

Familientisch, jed<strong>er</strong> öffentliche Festschmaus,<br />

wo vielleicht sogar die in ihren<br />

politischen, moralischen und religiösen<br />

Meinungen uneinigen Köpfe nur im guten<br />

Essen und Trinken einig sind, daß es<br />

auch einen gemeinschaftlichen Geschmack<br />

gibt.“ 11 All<strong>er</strong>dings räumt Feu<strong>er</strong>bach ein,<br />

dass sich unt<strong>er</strong> bestimmten gesellschaftlichen<br />

Bedingungen, die einen praktischen<br />

Individualismus in Lebens- und Geschmacksfragen<br />

<strong>er</strong>möglichen, die Allgemeingültigkeit<br />

dieses Glücksgutes ins<br />

Beliebige und Partikulare subjektivi<strong>er</strong>t.<br />

Dazu führt <strong>er</strong> aus: „Was übrigens den<br />

Unt<strong>er</strong>schied des Geschmacks anbetrifft, so<br />

tritt dies<strong>er</strong> – und dies <strong>ist</strong> eine <strong>für</strong> die Sache<br />

des Glückseligkeitstriebes höchst<br />

wichtige Bem<strong>er</strong>kung – eigentlich <strong>er</strong>st h<strong>er</strong>vor<br />

auf dem Gebiete d<strong>er</strong> ar<strong>ist</strong>okratischen<br />

Kochkunst, d<strong>er</strong> Gourmandise; <strong>er</strong> bezieht<br />

sich nicht auf die einfachen, notwendigen,<br />

allgemeinen, wenn auch nur, wie alles<br />

<strong>Mensch</strong>liche, relativ allgemeinen, volkstümlichen,<br />

landessittlichen Speisen. Wie<br />

sind im Genusse und Preise solch<strong>er</strong> Speisen<br />

alle Zungen und H<strong>er</strong>zen einstimmig!<br />

Nur wo d<strong>er</strong> Kaviar od<strong>er</strong> sonst ein exotisches<br />

Reizmittel des Appetites den Anfang<br />

macht, hört d<strong>er</strong> Gemeinge<strong>ist</strong> des<br />

Geschmacks auf, wird d<strong>er</strong> Geschmack und<br />

mit ihm die menschliche Glückseligkeit<br />

üb<strong>er</strong>haupt ‹subjektiv›, ‹partikulär› und<br />

‹singulär›, wozu ihn uns<strong>er</strong>e spekulativen<br />

Philosophen ohne Unt<strong>er</strong>scheidung zwischen<br />

exquisit<strong>er</strong> table d´hôte und gemein<strong>er</strong><br />

Hausmannskost gemacht haben.“ (Zur<br />

Ethik: <strong>D<strong>er</strong></strong> Eudämonismus, a.a.O.: 257)<br />

Insof<strong>er</strong>n leugnet d<strong>er</strong> Genusstheoretik<strong>er</strong><br />

Aufklärung und Kritik 1/2004 121

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