13.11.2013 Aufrufe

Der Mensch ist, was er isst - Gesellschaft für kritische Philosophie

Der Mensch ist, was er isst - Gesellschaft für kritische Philosophie

Der Mensch ist, was er isst - Gesellschaft für kritische Philosophie

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

den ihnen unbegreiflichen Wid<strong>er</strong>willen gegen<br />

eine Speise, die vielleicht bloß ihre eigene Lieblingsspeise<br />

<strong>ist</strong>, nicht begreifen. (ebd.)<br />

14<br />

In diesem Rahmen kann nicht auf die v<strong>er</strong>blüffende<br />

Tatsache eingegangen w<strong>er</strong>den, dass entgegen<br />

d<strong>er</strong> üblichen – hi<strong>er</strong> auch von Feu<strong>er</strong>bach<br />

vorgetragenen – Kant-Rezeption Kant selb<strong>er</strong><br />

durchaus ein gastrosophisches Zusammenspiel<br />

von Moralität und Glückseligkeit, dem sittlich<br />

Guten mit dem kulinarisch Guten denkt, welches<br />

den ziti<strong>er</strong>ten Ausführungen Feu<strong>er</strong>bachs<br />

vorgreift. Auf alle Fälle weiß d<strong>er</strong> Königsb<strong>er</strong>g<strong>er</strong><br />

Rational<strong>ist</strong> sehr wohl – aus eigen<strong>er</strong> Erfahrung<br />

wie vorbildlich<strong>er</strong> Praxis – um das Zusammenwirken<br />

von „Tugend und Wohlleben“ in d<strong>er</strong> „guten<br />

Mahlzeit in gut<strong>er</strong> <strong>Gesellschaft</strong>.“ (Anthropologie:<br />

§ 64) Ihm <strong>ist</strong> d<strong>er</strong> ungewöhnliche Gedanke<br />

d<strong>er</strong> praktischen V<strong>er</strong>nunft ein<strong>er</strong> Ästhetik des guten<br />

Essens bestens v<strong>er</strong>traut: Seine <strong>Philosophie</strong><br />

kulmini<strong>er</strong>t in d<strong>er</strong> kulturellen Praxis und würdevollen<br />

Humanität eines „geschmackvollen Gastmahls“<br />

als d<strong>er</strong> menschenmögliche „Genuß ein<strong>er</strong><br />

gesitteten Glückseligkeit“. (Anth. § 59)<br />

15<br />

Als Beispiel <strong>für</strong> dieses G<strong>er</strong>echtigkeitsprinzip<br />

führt Feu<strong>er</strong>bach aus: „Es <strong>ist</strong> unmoralisch, als<br />

Familienvat<strong>er</strong>, diesen Genuß nur mir allein mit<br />

Ausschluß d<strong>er</strong> meinigen od<strong>er</strong> gar auf Kosten<br />

ihres eigenen Nahrungsbedürfnisses zu gönnen.<br />

Was ab<strong>er</strong> die Moral uns gebietet: uns zu beschränken<br />

in uns<strong>er</strong>en Lebensbedürfnissen, wenn<br />

sie nur zum Nachteil und V<strong>er</strong>d<strong>er</strong>b<strong>er</strong> d<strong>er</strong> and<strong>er</strong>en<br />

befriedigt w<strong>er</strong>den können, ... denn das mit den<br />

Seinigen geteilte Stück trockenen Brotes<br />

schmeckt und bekommt ihm bess<strong>er</strong> als das allein<br />

<strong>für</strong> sich genossene, saftigste Bratenstück.“<br />

(Zur Ethik: <strong>D<strong>er</strong></strong> Eudämonismus, a.a.O.: 256)<br />

16<br />

Diese marx<strong>ist</strong>ische ‹Politisi<strong>er</strong>ung› des Feu<strong>er</strong>bachschen<br />

Denkens wird in den spät<strong>er</strong>en Jahren<br />

von Engels nicht gebührend gewürdigt. Jedenfalls<br />

fällt sein Vorwurf, Feu<strong>er</strong>bachs würde keinen<br />

kritisch-theoretischen Sinn <strong>für</strong> gesellschaftliche<br />

Probleme haben, zu rigoros aus. (vgl. Engels,<br />

Feu<strong>er</strong>bach und d<strong>er</strong> Ausgang d<strong>er</strong> klassischen<br />

deutschen <strong>Philosophie</strong>, a.a.O.: 349ff.)<br />

17<br />

Dass sich Feu<strong>er</strong>bach im Laufe d<strong>er</strong> Zeit d<strong>er</strong><br />

Marx’schen Position inhaltlich wie weltanschaulich<br />

näh<strong>er</strong>t, belegt nicht zuletzt die Tatsache, dass<br />

<strong>er</strong> noch im Alt<strong>er</strong> von 64 Jahren d<strong>er</strong> sozialdemokratischen<br />

Partei beitritt.<br />

18<br />

Fouri<strong>er</strong>s <strong>kritische</strong> Analyse d<strong>er</strong> aufkommenden<br />

Industriegesellschaft mündet in d<strong>er</strong> Utopie vom<br />

Schlaraffenland. Statt in ein<strong>er</strong> Zivilisation, die<br />

durch Mangel und Saures gekennzeichnet <strong>ist</strong>,<br />

sollte in d<strong>er</strong> neuen <strong>Gesellschaft</strong>, die durch Üb<strong>er</strong>fluss<br />

und Süßes sich auszeichnet, durch eine intensive<br />

Ernährungs<strong>er</strong>ziehung den Kind<strong>er</strong>n die<br />

Wahrheit d<strong>er</strong> Harmonie von Kindesbeinen an,<br />

v<strong>er</strong>mittelt üb<strong>er</strong> gastronomische Debatten, kabbal<strong>ist</strong>ische<br />

Spiele üb<strong>er</strong> Geschmacksnuancen und<br />

praktische Kochkunst, zuteil w<strong>er</strong>den. Fouri<strong>er</strong><br />

arbeitet also die gesellschaftspolitische Tragweite<br />

d<strong>er</strong> Ernährungsfrage h<strong>er</strong>aus. Siehe: Michel<br />

Onfray, <strong>D<strong>er</strong></strong> Bauch d<strong>er</strong> Philosophen, Frankfurt<br />

New York 1990<br />

19<br />

Faszini<strong>er</strong>t ziti<strong>er</strong>t <strong>er</strong> Moleschotts Forschungs<strong>er</strong>gebnisse:<br />

„Was soll man von einem Nahrungsmittel<br />

halten, in dem Eiweiß und Fettbildn<strong>er</strong> g<strong>er</strong>ade<br />

im umgekehrten V<strong>er</strong>hältnisse von den Eiweißkörp<strong>er</strong>n<br />

und dem Fett des Blutes vorhanden<br />

sind? Mit Fett kann es das Blut und die Gewebe<br />

üb<strong>er</strong>füllen; ab<strong>er</strong> wie es das Blut nur ärmlich<br />

mit Eiweiß v<strong>er</strong>sorgt, so kann es den Muskeln<br />

keinen Fas<strong>er</strong>stoff und keine Kraft, dem Gehirn<br />

wed<strong>er</strong> Eiweiß noch phosphorhaltiges Fett<br />

zuführen...“ (Die Naturwissenschaft und die Revolution,<br />

a.a.O.: 229)<br />

20<br />

Auf diese skurrile Allianz macht Engelhardt,<br />

leid<strong>er</strong> ohne Quellenangabe, aufm<strong>er</strong>ksam: „<strong>D<strong>er</strong></strong><br />

Philosoph Leibniz <strong>ist</strong> d<strong>er</strong> Auffassung, das die<br />

Kartoffel den <strong>Mensch</strong>en v<strong>er</strong>dumme. In Goethes<br />

Wilhelm Me<strong>ist</strong><strong>er</strong>s Wand<strong>er</strong>jahren (1821) <strong>ist</strong> ebenfalls<br />

vom ‹unseligen Kartoffelgenuß› die Rede.“<br />

Engelhardt, Essen und Lebensqualität, Frankfurt<br />

New York 2001: 58<br />

21<br />

Die <strong>er</strong>nährungsphysiologische Fundi<strong>er</strong>ung von<br />

Feu<strong>er</strong>bachs vegetarisch<strong>er</strong> Utopie d<strong>er</strong> Hülsenfrüchte<br />

entzieht Nietzsches scheinheiligen V<strong>er</strong>such,<br />

die (eine Zeitlang von ihm aus ti<strong>er</strong>ethischen<br />

Gründen v<strong>er</strong>fochtene) fleischlose Kost, als <strong>für</strong><br />

„ge<strong>ist</strong>ig produktive <strong>Mensch</strong>en“ unzureichend,<br />

schließlich zu v<strong>er</strong>w<strong>er</strong>fen, jede philosophische<br />

Grundlage. Siehe: Harald Lemke, Nietzsche und<br />

d<strong>er</strong> Wille zur Wurst, in: Mitteilungen des Int<strong>er</strong>nationalen<br />

Arbeitskreises <strong>für</strong> Kulturforschung<br />

des Essens, Heft 11, 2003<br />

22<br />

Mit Blick auf die elende Lage d<strong>er</strong> irländischen<br />

Arbeit<strong>er</strong> weiß auch Marx wovon die Rede <strong>ist</strong>:<br />

„<strong>D<strong>er</strong></strong> Irländ<strong>er</strong> kennt nur mehr das Bedürfnis des<br />

Essens und zwar nur mehr des Kartoffelessens<br />

Aufklärung und Kritik 1/2004 137

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!