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Der Mensch ist, was er isst - Gesellschaft für kritische Philosophie

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<strong>ist</strong> eine essentielle Substanz <strong>für</strong> den<br />

menschlichen Organismus, v<strong>er</strong>leiht und<br />

v<strong>er</strong>stärkt den Geschmack und macht, <strong>was</strong><br />

leicht v<strong>er</strong>fällt und fault, haltbar und v<strong>er</strong>daulich.<br />

So <strong>ist</strong> das Salz g<strong>er</strong>adezu „Symbol<br />

d<strong>er</strong> Speise, weil es d<strong>er</strong>selben <strong>er</strong>st ihre<br />

Seele, Geschmack und V<strong>er</strong>daulichkeit<br />

gibt“. (ebd.: 37)<br />

Gott Essen<br />

Inn<strong>er</strong>halb von Feu<strong>er</strong>bachs religions<strong>kritische</strong>n<br />

Schriften nimmt die Analyse des<br />

chr<strong>ist</strong>lichen Glaubens mit Abstand den<br />

größten Raum ein. Auch darin kommen<br />

zahlreiche gastrotheologische Themen zur<br />

Sprache. Um so <strong>er</strong>staunlich<strong>er</strong> <strong>er</strong>scheint es,<br />

dass die biblische Erzählung von d<strong>er</strong> folgenschw<strong>er</strong>en<br />

Nasch<strong>er</strong>ei v<strong>er</strong>boten<strong>er</strong> Früchte,<br />

dem Sündenfall im Garten Eden, d<strong>er</strong><br />

so unglaublich reich an Essensmetaphorik<br />

<strong>ist</strong>, 45 von Feu<strong>er</strong>bach mit kein<strong>er</strong> eigenen Betrachtung<br />

bedacht wird. In seinem Hauptw<strong>er</strong>k<br />

zum Wesen des Chr<strong>ist</strong>entums geht<br />

<strong>er</strong> jedoch auf das and<strong>er</strong>e, allseits bekannte<br />

Motiv dies<strong>er</strong> Religion, d<strong>er</strong> heiligen<br />

Kommunion d<strong>er</strong> Euchar<strong>ist</strong>ie, ein und stellt<br />

dazu fest: „Essen und Trinken <strong>ist</strong> das Myst<strong>er</strong>ium<br />

des Abendmahls.“ 46 <strong>D<strong>er</strong></strong> dialektische<br />

Mat<strong>er</strong>ial<strong>ist</strong> Feu<strong>er</strong>bach extrahi<strong>er</strong>t aus<br />

den opf<strong>er</strong>theoretischen Implikationen des<br />

von Jesus symbolträchtig in Szene gesetzten<br />

letzten Abendmahls die humane Religiosität<br />

des Essens, dessen gastrotheologisch<br />

wahr<strong>er</strong> Sinn und Zweck sich in dem<br />

‹Heil› (d<strong>er</strong> Hoch-und-Heiligkeit) ein<strong>er</strong><br />

fundamentalen Kulturle<strong>ist</strong>ung menschlichen<br />

Wohllebens offenbart: „Wein und<br />

Brot gehören zu den ältesten Erfindungen.<br />

Wein und Brot v<strong>er</strong>gegenwärtigen, v<strong>er</strong>sinnlichen<br />

uns die Wahrheit, daß d<strong>er</strong> <strong>Mensch</strong><br />

des <strong>Mensch</strong>en Gott und Heiland <strong>ist</strong>.“<br />

(ebd.: 410) Durch die Kunst d<strong>er</strong> Speisezub<strong>er</strong>eitung,<br />

d<strong>er</strong> Erschaffung von Genussprodukten<br />

bringt die <strong>Mensch</strong>heit ein heilwirksames<br />

wie wohlvolles Wund<strong>er</strong>w<strong>er</strong>k<br />

h<strong>er</strong>vor und bewe<strong>ist</strong> darin eine eigene Göttlichkeit.<br />

Dah<strong>er</strong> sind Nahrungsmittel im ursprünglichen<br />

und eigentlich gastrosophischen<br />

(d.h. gastrotheologisch aufgeklärten)<br />

Sinne nie bloß ‹Mittel›, wie es d<strong>er</strong><br />

v<strong>er</strong>rät<strong>er</strong>ische Sprachgebrauch uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Esskultur<br />

will. 47 Feu<strong>er</strong>bachs gastrotheologischen<br />

Dialektik geht es darum, die alltäglichen<br />

und gemeinhin zur Nebensache v<strong>er</strong>drängten<br />

‹Lebensmittel› wegen ihr<strong>er</strong><br />

wohltätigen Wirkungen und Eigenschaften,<br />

„die zur Bildung des <strong>Mensch</strong>en und<br />

sein<strong>er</strong> Wohlfahrt“ beitragen, als „Sakramente,<br />

d.h. et<strong>was</strong> Heiliges, ja Göttliches“<br />

zu würdigen.“ (Heidelb<strong>er</strong>g<strong>er</strong> Vorlesungen<br />

üb<strong>er</strong> ‹das Wesen d<strong>er</strong> Religion›, a.a.O.:<br />

124) In diesem die menschliche Kochbzw.<br />

Backkunst v<strong>er</strong>gött<strong>er</strong>nden Sinne gehörte,<br />

woran Feu<strong>er</strong>bach angesichts d<strong>er</strong> liturgischen<br />

Bedeutung des Brotes im<br />

chr<strong>ist</strong>lichen Glauben <strong>er</strong>inn<strong>er</strong>t, das ‹heilige<br />

Brot› b<strong>er</strong>eits „zu den Myst<strong>er</strong>ien d<strong>er</strong><br />

griechischen Religion.“ (ebd.) 48<br />

An diesen heidnischen Hint<strong>er</strong>grund d<strong>er</strong><br />

gastrotheologischen Heiligkeit des Essens<br />

– also insbesond<strong>er</strong>e in ihr<strong>er</strong> klassisch griechischen<br />

und wenig<strong>er</strong> in ihr<strong>er</strong> chr<strong>ist</strong>lich<br />

spirituellen V<strong>er</strong>sion 49 – knüpft die neue<br />

<strong>Philosophie</strong> mit dem beachtlichen Ergebnis<br />

an: „Essen und Trinken <strong>ist</strong> in d<strong>er</strong> Tat<br />

an und <strong>für</strong> sich selbst ein religiös<strong>er</strong> Akt;<br />

soll es wenigstens sein.“ (Das Wesen des<br />

Chr<strong>ist</strong>entums, a.a.O.: 409) Dennoch v<strong>er</strong>mag<br />

Feu<strong>er</strong>bachs religions<strong>kritische</strong> Betrachtung<br />

des chr<strong>ist</strong>lichen Abendmahls an<br />

demselben den kryptogastrosophischen<br />

(nämlich: gastrotheologischen) Sinn zu<br />

<strong>er</strong>kennen, das tägliche Mahl als „heiligen“<br />

od<strong>er</strong> „religiösen Akt“ zu kultivi<strong>er</strong>en. Freilich<br />

sieht ein philosophisch<strong>er</strong> Ge<strong>ist</strong> bei<br />

all<strong>er</strong> zugestandenen Religiosität des Es-<br />

Aufklärung und Kritik 1/2004 134

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