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Der Mensch ist, was er isst - Gesellschaft für kritische Philosophie

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antike Mythologie den Unt<strong>er</strong>schied zwischen<br />

<strong>Mensch</strong>en und Gött<strong>er</strong>n am Unt<strong>er</strong>schied<br />

ihr<strong>er</strong> Ernährungsweise v<strong>er</strong>anschaulicht.<br />

So sind Gött<strong>er</strong>, <strong>was</strong> sie sind, weil<br />

sie Ambrosia und Nektar genießen, während<br />

die St<strong>er</strong>blichen von den Früchten d<strong>er</strong><br />

Erde zehren müssen (vgl. Feu<strong>er</strong>bach, Das<br />

Geheimnis des Opf<strong>er</strong>s, a.a.O.: 29). Diese<br />

Diff<strong>er</strong>enz zwischen d<strong>er</strong> Gött<strong>er</strong> Speise und<br />

d<strong>er</strong> <strong>Mensch</strong>en Diät beinhaltet, dass „die<br />

das Korn d<strong>er</strong> Demet<strong>er</strong> essenden St<strong>er</strong>blichen“,<br />

wie Hom<strong>er</strong> das <strong>Mensch</strong>engeschlecht<br />

bezeichnet, sich von den Gewächsen<br />

und Gestalten aus dem Reich d<strong>er</strong> Natur<br />

zu <strong>er</strong>nähren haben – zu dem Preis, aus<br />

diesem Opf<strong>er</strong> and<strong>er</strong>en Lebens ihre eigene<br />

Lebenskraft schöpfen. Ihre Ess<strong>ist</strong>enz, ihre<br />

physische Ex<strong>ist</strong>enz v<strong>er</strong>strickt sie in einen<br />

„nutritiven Schuldzusammenhang“ (H.<br />

Böhme, Transsubstantiation und symbolisches<br />

Mahl, a.a.O.), v<strong>er</strong>dammt sie zu<br />

ein<strong>er</strong> Art gastronomisch<strong>er</strong> Anthropodizee.<br />

Dem gegenüb<strong>er</strong> <strong>er</strong>quicken sich die Gött<strong>er</strong><br />

an ein<strong>er</strong> unschuldigen Kost, ihrem Manna<br />

und Ambrosia, weshalb in den großen<br />

mythischen Erzählungen d<strong>er</strong> griechischen<br />

Antike das ‹Goldene Zeitalt<strong>er</strong>› bzw. in d<strong>er</strong><br />

jüdisch-chr<strong>ist</strong>lichen Religion d<strong>er</strong> paradiesische<br />

Zustand des ‹Garten Edens› als eine<br />

Epoche beschrieben wird, wo die <strong>Mensch</strong>heit<br />

an d<strong>er</strong> schuldlosen Tafelgemeinschaft<br />

und dem grenzenlosen Festmahl d<strong>er</strong> Gött<strong>er</strong><br />

teilhatte. Wie d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>lust des Golden<br />

Zeitalt<strong>er</strong>s bzw. die V<strong>er</strong>treibung aus dem<br />

Paradies gleichgesetzt wird mit dem<br />

Zwang zur kulinarischen Selbstständigkeit,<br />

unt<strong>er</strong> d<strong>er</strong> unabwendbaren Last und<br />

Schuld, and<strong>er</strong>es Leben zu opf<strong>er</strong>n, um sich<br />

selbst am Leben zu <strong>er</strong>halten, so hängt die<br />

religiöse Vorstellung von d<strong>er</strong> göttlichen<br />

Unst<strong>er</strong>blichkeit unmittelbar mit ihr<strong>er</strong> Speise<br />

und Ernährungsweise zusammen. Mit<br />

V<strong>er</strong>weis auf Hom<strong>er</strong> kommt Feu<strong>er</strong>bach auf<br />

diesen Punkt zu sprechen: „In d<strong>er</strong> Ilias<br />

heißt es ausdrücklich: ‘Nicht essen die<br />

Gött<strong>er</strong> Brot, noch trinken sie funkelnden<br />

Wein, deswegen haben sie kein Blut und<br />

heißen Unst<strong>er</strong>bliche.’ Sie essen Ambrosia;<br />

Ambrosia ab<strong>er</strong> bedeutet nach den Alten<br />

unst<strong>er</strong>bliche Speise, nach den Neu<strong>er</strong>n<br />

<strong>ist</strong> es ein Substantiv und bedeutet schlechtweg<br />

Unst<strong>er</strong>blichkeit. Gott <strong>ist</strong>, <strong>was</strong> <strong>er</strong> ißt;<br />

<strong>er</strong> ißt Ambrosia, d.h. also Unst<strong>er</strong>blichkeit<br />

od<strong>er</strong> unst<strong>er</strong>bliche Speise, also <strong>ist</strong> <strong>er</strong> ein<br />

Unst<strong>er</strong>blich<strong>er</strong>, ein Gott“. (Das Geheimnis<br />

des Opf<strong>er</strong>s, a.a.O.: 28) Auch auf den religiösen<br />

und gastrothe<strong>ist</strong>ischen Wunsch,<br />

wie die Gött<strong>er</strong>, göttlich gut zu leben und<br />

zu speisen, ohne sich an and<strong>er</strong>em Leben,<br />

den Pflanzen und Ti<strong>er</strong>en, zu v<strong>er</strong>schulden<br />

beziehungsweise ohne St<strong>er</strong>bliches v<strong>er</strong>körp<strong>er</strong>n<br />

zu müssen, lässt sich d<strong>er</strong> alles beh<strong>er</strong>rschende<br />

Wunsch des <strong>Mensch</strong>en zurückführen,<br />

den Gött<strong>er</strong>n nahe zu sein, Gott<br />

w<strong>er</strong>den zu wollen. Dies<strong>er</strong> Wunsch d<strong>er</strong><br />

Ebenbildlichkeit <strong>er</strong>kennt Feu<strong>er</strong>bach vor<br />

allem in d<strong>er</strong> ‹technokratischen› Vorstellung<br />

ein<strong>er</strong> göttlichen Welt<strong>er</strong>schaffung, die<br />

am ausgeprägtesten im Schöpfungsmythos<br />

des jüdisch-chr<strong>ist</strong>lichen Glaubens zu<br />

finden <strong>ist</strong>. „Wo sich d<strong>er</strong> <strong>Mensch</strong> mit Wille<br />

und V<strong>er</strong>stand üb<strong>er</strong> die Natur <strong>er</strong>hebt,<br />

Supranatural<strong>ist</strong> wird, da wird auch Gott<br />

ein supranatural<strong>ist</strong>isches Wesen. Wo sich<br />

d<strong>er</strong> <strong>Mensch</strong> zum H<strong>er</strong>rsch<strong>er</strong> aufwirft ‘üb<strong>er</strong><br />

die Fische im Me<strong>er</strong> und üb<strong>er</strong> die Vögel<br />

unt<strong>er</strong> dem Himmel und üb<strong>er</strong> das Vieh und<br />

üb<strong>er</strong> die ganze Erde und üb<strong>er</strong> alles Gewürm,<br />

das auf Erden kriechet’, da <strong>ist</strong> ihm<br />

die H<strong>er</strong>rschaft üb<strong>er</strong> die Natur die höchste<br />

Vorstellung, das höchste Wesen, d<strong>er</strong> Gegenstand<br />

sein<strong>er</strong> V<strong>er</strong>ehrung, sein<strong>er</strong> Religion<br />

dah<strong>er</strong> d<strong>er</strong> H<strong>er</strong>r und Schöpf<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Natur,<br />

denn eine notwendige Folge d<strong>er</strong> Voraussetzung<br />

vielmehr d<strong>er</strong> H<strong>er</strong>rschaft <strong>ist</strong> die<br />

Schöpfung. ... Erst in d<strong>er</strong> Schöpfung also<br />

Aufklärung und Kritik 1/2004 132

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