Der Mensch ist, was er isst - Gesellschaft für kritische Philosophie
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<strong>er</strong> mit d<strong>er</strong> Feststellung, dass die Natur als<br />
tätiges Objekt des leiblichen Wohls des<br />
<strong>Mensch</strong>en auch (wohltätiges) Subjekt <strong>ist</strong>,<br />
den <strong>er</strong>sten Anstoß zu einem neuen, ökologischen<br />
Seinsv<strong>er</strong>ständnis und d<strong>er</strong> An<strong>er</strong>kennung<br />
des Wohls d<strong>er</strong> Nutzpflanzen<br />
und Nutzti<strong>er</strong>e als gleichb<strong>er</strong>echtigt<strong>er</strong> wie<br />
genussfähig<strong>er</strong> Subjekte. Mit Bezug auf die<br />
subjektive Genussfähigkeit d<strong>er</strong> Ti<strong>er</strong>e <strong>er</strong>läut<strong>er</strong>t<br />
d<strong>er</strong> Naturkundl<strong>er</strong> Feu<strong>er</strong>bach in ironischem<br />
Ton: „Wie glücklich wären wir<br />
daran, wenn die Natur ihre Reize nur uns<strong>er</strong>em<br />
Ich enthüllte! O wie glücklich! Dann<br />
würde keine Honig- od<strong>er</strong> Wachsmotte uns<strong>er</strong>e<br />
Bienenstöcke, kein Rüsselkäf<strong>er</strong> uns<strong>er</strong>e<br />
Kornböden, keine Kohlweißlingsraupe<br />
uns<strong>er</strong>e Gemüsegärten zugrunde richten.<br />
Allein <strong>was</strong> uns süß und lieblich<br />
schmeckt, mundet auch and<strong>er</strong>en Wesen<br />
auß<strong>er</strong> uns.“ (Üb<strong>er</strong> den ‹Anfang d<strong>er</strong> <strong>Philosophie</strong>›,<br />
a.a.O.: 71)<br />
Naturphilosophische Normativität: d<strong>er</strong><br />
Leib als Bio-Indikator<br />
Abschließend v<strong>er</strong>dient ein bislang un<strong>er</strong>wähnt<br />
geblieben<strong>er</strong> Aspekt von Feu<strong>er</strong>bachs<br />
naturphilosophisch<strong>er</strong> Neubestimmung des<br />
anthropologischen Selbstv<strong>er</strong>ständnisse<br />
Erwähnung. Als Teil (Objekt) d<strong>er</strong> Natur<br />
begleitet die sittlich-leibliche Ex<strong>ist</strong>enz jene<br />
objektive Passivität des Ichs, welch<strong>er</strong> wir<br />
ein<strong>er</strong>seits – im Falle d<strong>er</strong> ‹heiligen› Einheit<br />
35 – uns<strong>er</strong> kulinarisch <strong>er</strong>fülltes, physisches<br />
Wohl-sein v<strong>er</strong>danken, an welch<strong>er</strong><br />
das Ich ab<strong>er</strong> and<strong>er</strong><strong>er</strong>seits auch leidet: „Darum<br />
sind Hung<strong>er</strong> und Durst peinliche Empfindungen,<br />
Empfindungen des Unwohlseins,<br />
weil hi<strong>er</strong> diese Einigkeit unt<strong>er</strong>brochen<br />
<strong>ist</strong>, weil ich ohne Speise und Trank<br />
nur ein halb<strong>er</strong>, kein ganz<strong>er</strong> <strong>Mensch</strong> bin.“<br />
(Spiritualismus und Mat<strong>er</strong>ialismus, a.a.O.:<br />
218) Diese natürliche ‹Pathologie› uns<strong>er</strong>es<br />
sinnlichen Wesens steht dabei jedoch<br />
in keinem Wid<strong>er</strong>spruch zum Freiheitsv<strong>er</strong>mögen;<br />
beim ess<strong>ist</strong>enziellen Unwohlsein<br />
und Übelbefinden, wie dem Hung<strong>er</strong>gefühl<br />
und d<strong>er</strong> Entkräftung durch einen<br />
le<strong>er</strong>en Magen, handelt es sich vielmehr um<br />
„ein Leiden, dessen sich das Ich nicht zu<br />
schämen hat“, wie Feu<strong>er</strong>bach klarstellt.<br />
(Üb<strong>er</strong> den ‹Anfang d<strong>er</strong> <strong>Philosophie</strong>›,<br />
a.a.O.: 72) Die naturhafte und potentiell<br />
leidige wie wohlige Befindlichkeit lässt<br />
die poröse „Wahrheit des Leibes“ in ein<strong>er</strong><br />
umweltphysiologischen P<strong>er</strong>spektive, wie<br />
diese von einigen d<strong>er</strong> aktuellen<br />
Ökophilosophien v<strong>er</strong>treten wird, als ebenso<br />
krisenfähigen wie <strong>kritische</strong>n „Bio-Indikator“<br />
36 funktioni<strong>er</strong>en. So macht sich<br />
G<strong>er</strong>not Böhme klar, wenn auch ohne<br />
bewussten Bezug auf Feu<strong>er</strong>bachs praktische<br />
Anthropologie des (Umwelt-) Leibseins<br />
und auch ohne gastrosophischen<br />
Sinn, dass das, <strong>was</strong> wir das Umweltproblem<br />
und die Naturkrise nennen, primär<br />
„ein Problem d<strong>er</strong> menschlichen Leiblichkeit“<br />
sei. Denn <strong>er</strong>fahren wir, wie Böhme<br />
zurecht feststellt, die anthropogenen V<strong>er</strong>änd<strong>er</strong>ungen<br />
uns<strong>er</strong><strong>er</strong> natürlichen Umwelt<br />
üb<strong>er</strong>haupt nur als problematisch,<br />
„weil wir letztlich die V<strong>er</strong>änd<strong>er</strong>ungen, die<br />
wir in d<strong>er</strong> äuß<strong>er</strong>en Natur anrichten, am<br />
eigenen Leib spüren. ... Durch das Umweltproblem<br />
sind wir in neu<strong>er</strong> Weise auf<br />
uns<strong>er</strong>e Leiblichkeit gestoßen.“ 37 Angesichts<br />
dies<strong>er</strong> heute weitestgehend unstrittigen<br />
und allseits bekannten Tatsachen gelangt<br />
G<strong>er</strong>not Böhme schließlich zu Feu<strong>er</strong>bachschen<br />
Einsichten: „Wir müssen an<strong>er</strong>kennen,<br />
daß wir in und mit d<strong>er</strong> Natur<br />
leben, gewiss<strong>er</strong>maßen im Durchzug d<strong>er</strong><br />
natürlichen Medien. Erde, Wass<strong>er</strong> und<br />
Luft“ – und in gastrosophisch<strong>er</strong> Hinsicht<br />
sind hi<strong>er</strong> Pflanzen und Ti<strong>er</strong>e hinzuzufügen<br />
– „ziehen durch uns hindurch, und<br />
wir können nur leben in diesem Durch-<br />
Aufklärung und Kritik 1/2004 130