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Südwester Konzentrationslager und ihre Geschichte ... - Golf Dornseif

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<strong>Südwester</strong> <strong>Konzentrationslager</strong> <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> <strong>Geschichte</strong> 1904 – 1908<br />

von <strong>Golf</strong> <strong>Dornseif</strong><br />

In jüngster Vergangenheit ist es einer Forschungsgruppe der University of Namibia,<br />

History Department, zu verdanken, dass nach h<strong>und</strong>ert Jahren die <strong>Geschichte</strong> der deutschen<br />

<strong>Konzentrationslager</strong> in der Kolonie Südwestafrika 1904 bis 1908 zuverlässig dokumentiert<br />

werden konnte.<br />

Unermüdlich sammelten etwa 25 Angehörige der History Society längst verschollen geglaubtes<br />

Material <strong>und</strong> ordneten es zu einem Mosaik des Schreckens <strong>und</strong> Völkermords.<br />

Höchste Zeit, dass deutsche Leser aufwachen ...<br />

Verständlicherweise leugnet die herkömmliche deutsche Kolonial-Literatur jeden Zusammenhang<br />

mit Begriffen wie „<strong>Konzentrationslager</strong>“ oder gar „Völkermord“, doch sprechen<br />

alle Fakten für sich.<br />

Ende November 1904 bedrängte Reichskanzler Bernhard von Bülow den deutschen Kaiser Wilhelm<br />

II., so schnell wie möglich den berüchtigten Befehl des Generals Lothar von Trotha zu annullieren,<br />

demzufolge das rebellische Volk der Herero <strong>und</strong> Hottentotten „mit Stumpf <strong>und</strong> Stiel ausgerottet<br />

werden sollte“. Majestät zögerte eine Woche <strong>und</strong> willigte schließlich ein, den <strong>Südwester</strong> Eingeborenen<br />

<strong>ihre</strong>n Galgenstrick zu ersparen.<br />

Zwei Wochen zuvor konsultierte Wilhelm II. einen seiner engsten Berater <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e, Graf Georg<br />

von Stillfried <strong>und</strong> Rattowitz, Oberstleutnant der Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika. Der Haudegen<br />

sollte ein Gutachten zu Papier bringen „zur Eingeborenen-Problematik in DSWA <strong>und</strong><br />

militärischen Lage vor Ort“. Der Graf lieferte 55 Seiten als Exposé: Jeder Eingeborene mit einer<br />

Schusswaffe in der Hand müsste durch Massen-Exekutionen ausgelöscht werden. Alle übrigen eigneten<br />

sich am besten als Leiharbeiter für Farmer, Kaufleute usw. ohne Lohn bei freier Kost!<br />

Aus dem Inhalt<br />

Kaiser Wilhelm II. <strong>und</strong> Kanzler Bülow<br />

Man redet von <strong>Konzentrationslager</strong>n<br />

Beachtliche „Fangquoten“ für Herero<br />

Das KZ Windhuk mit seiner Filiale<br />

Die Haifischinsel (Shark Island)<br />

Augenzeugen berichten im Blaubuch<br />

Missionare angesichts des Hungertods<br />

Die Anatomie des Teufels: Kopfjagd<br />

Peinliches Schauspiel in Berlin 2011<br />

Stillfried argumentierte weiter: „Die Häuptlinge sollte man hinrichten <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> Angehörigen (Ehefrauen,<br />

Kinder usw.) in eine andere deutsche Kolonie deportieren ohne Rücksicht auf Schuld oder<br />

Unschuldsvermutung. Diejenigen Schwarzen, die zu Haftstrafen verurteilt werden, müssen künftig<br />

Erkennungsmarken an einer Schnur um den Hals tragen mit Serien-Nummern. Es ist ratsam, abgeschlossene<br />

Siedlungen für Eingeborene in unmittelbarer Umgebung <strong>ihre</strong>r künftigen Arbeitsplätze<br />

einzurichten“.<br />

Kaiser Wilhelm II. empfand solche Vorschläge ausgezeichnet. Anfang Dezember 1904 wurde der<br />

Vernichtungsbefehl zurückgezogen. Allmählich tauchten H<strong>und</strong>erte <strong>und</strong> Tausende von geflüchteten<br />

Herero wieder auf, nahezu verhungert <strong>und</strong> auf die Gnade der Kolonialherren angewiesen. Viele waren<br />

todkrank <strong>und</strong> gingen zugr<strong>und</strong>e ohne medizinische Versorgung <strong>und</strong> rettende Ernährung. Misstrauisch<br />

erwarteten die Männer, Frauen <strong>und</strong> Kinder ihr künftiges Schicksal unter Aufsicht des Militärs.


Oberst von Estorff<br />

General von Trotha<br />

Im März 1905 fanden sich nach Augenzeugenberichten deutscher Siedler etwa 2.000 Herero in<br />

Omaruru ein, restlos erschöpft. Eine ähnliche Zahl nannte Missionar Danner – ebenfalls Augenzeuge<br />

– in einem Brief an Missionar Vedder mit Datum vom 14. Februar 1905. Der Dienstweg mit der<br />

Anweisung, den Vernichtungsbefehl aufzuheben, war lange <strong>und</strong> umständlich. Es dauerte einige Monate,<br />

bis sich die Nachricht unter den Herero im Busch herumgesprochen hatte, mindestens 10<br />

Wochen.<br />

Reichskanzler von Bülow


Am 9. Dezember 1904 fiel in Berlin die Entscheidung, den fraglichen Tagesbefehl zurück zu ziehen.<br />

Kanzler von Bülow telegraphierte an General von Trotha dementsprechend. Mürrisch antwortete von<br />

Trotha, er habe die Ausführungen seinem Stabsoffizier Ludwig von Estorff übertragen, der wiederum<br />

mit den weit verstreuten Herero Flüchtlingen verhandeln möge.<br />

Das Oberkommando der Schutztruppe in Berlin fand die nachgiebige Entscheidung Seiner Majestät<br />

gar nicht hilfreich <strong>und</strong> gab dem General zu verstehen, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht<br />

gesprochen sei. Im Großen Hauptquartier war man lediglich bereit, den Schießbefehl in seiner Härte<br />

zu liquidieren. Verhandlungen mit den Herero fand das Militär unzumutbar.<br />

General von Trotha ließ alle gefangenen Herero, die sich inzwischen freiwillig gestellt hatten, in Ketten<br />

legen. Am 14. Januar 1905 erreichte den „Negerhasser“ ein neues Telegramm des Reichskanzlers<br />

nach dessen Rücksprache mit dem Kaiser: „Keine Ketten anlegen!“<br />

Im einzelnen lautete die Anordnung des Kanzlers: „Nach meiner Auffassung sollten die Herero,<br />

welche sich ergeben haben, in <strong>Konzentrationslager</strong> untergebracht werden <strong>und</strong> zwar an unterschiedlichen<br />

Orten im Schutzgebiet Südwestafrika. Man muss sie bewachen <strong>und</strong> zu Arbeiten<br />

einsetzen. Um das alles durchzuführen, ist die Unterstützung der christlichen Missionen erforderlich,<br />

was Seine Majestät ausdrücklich wünscht. Frauen <strong>und</strong> Kinder der Eingeborenen sind rücksichtsvoll zu<br />

behandeln im Einvernehmen mit den Missionaren“.<br />

General von Trotha delegierte die Berliner Weisungen an die einzelnen Bezirksamtmänner in der<br />

Kolonie „mit dem speziellen Auftrag, unverzüglich Concentration Camps nach britischem Vorbild aus<br />

dem Burenkrieg 1900 aufzubauen“. In solchen Camps waren Ketten unnötig <strong>und</strong> der General ließ sie<br />

ablegen. Windhuk, Okahandja <strong>und</strong> Karibib waren auserkoren, Lager aufzunehmen in unmittelbarer<br />

Nachbarschaft militärischer Stützpunkte. Auch Swakopm<strong>und</strong> <strong>und</strong> Omaruru schienen für KZ empfehlenswert.<br />

Keine Ketten anlegen oder doch?


Sollten Seuchen ausbrechen, wollte man die Lagerbewohner umsiedeln <strong>und</strong> alle Unterkünfte in<br />

Flammen aufgehen lassen. Es war bekannt, dass in den britischen Concentration Camps Epidemien<br />

sich ausbreiteten (Cholera, Masern, Tuberkulose usw.). Die neuartigen Erkennungsmarken aus Blech<br />

erhielten eingestanzte Markierungen wie G.H. (Gefangener Herero). Die Idee stammte offensichtlich<br />

aus dem Konzept des einfallsreichen Herrn von Stillfried.<br />

Im Januar <strong>und</strong> Februar 1905 entstanden die ersten deutschen <strong>Konzentrationslager</strong> in Südwestafrika.<br />

Zuvor sperrte man verdächtige Herero in zwei Woermann Dampfern (Frachtern) auf Reede ein, die<br />

vor Swakopm<strong>und</strong> ankerten. In Okahandja bestand das KZ lediglich aus einer Freifläche, umgeben von<br />

Stacheldrahtzäunen, also ohne Bauten.<br />

Die deutschen „Macher“ erinnerten sich bew<strong>und</strong>ernd an Lord Kitchener, der vier Jahre zuvor als<br />

Erfinder von Concentration Camps für Buren <strong>und</strong> Schwarze in Südafrika“ traurigen Ruhm erlangte,<br />

zumindest in der internationalen Presse <strong>und</strong> unter Humanisten. Historiker klärten später, dass die<br />

Bezeichnung CONCENTRATION CAMP nicht von Kitchener (persönlich) stammte, sondern eine<br />

Wortschöpfung der britischen Parlamentarier C.P. Scott <strong>und</strong> John Ellis war, die der Liberalen Partei<br />

angehörten.<br />

Die Einrichtung der <strong>Konzentrationslager</strong> in Südwestafrika führte zu einer schaurigen Bilanz in<br />

Etappen. Missionar Vedder registrierte Ende 1905 über 800 durch Krankheiten verstorbene Eingeborene<br />

im KZ Swakopm<strong>und</strong> bei einer durchschnittlichen Belegung von 1.000 Gefangenen im Jahr.<br />

Karikatur aus dem sozialistischen Satire-Magazin DER WAHRE JAKOB im<br />

Jahr 1906 in Berlin. Zwei Spekulanten unterhalten sich angeregt. Thema:<br />

AUS UNSEREN KOLONIEN. „Wenn es ooch nischt einjebracht hat <strong>und</strong><br />

höhere Güter nicht zu holen sind, für die Aufstellung einer Knochenmühle<br />

lohnt es sich allemal“. (Völkermord am Waterberg <strong>und</strong> in der Omaheke<br />

Wüste).


Der zuständige Bezirksamtmann für Swakopm<strong>und</strong> meldete Mitte 1905, dass 400 Herero zwischen<br />

Februar <strong>und</strong> Mai den Tod fanden. In einem anderen Bericht heißt es, dass im Juni 1905 genau 165<br />

Todesfälle zu verzeichnen waren angesichts von jetzt 967 Häftlingen insgesamt (bezogen auf<br />

Swakopm<strong>und</strong>s KZ).<br />

Im November 1905 kehrte General von Trotha nach Deutschland zurück. Vorher ließ er seine<br />

Soldaten intensiv Jagd machen auf alle noch verborgenen Aufständischen im Veld. Auf diese Weise<br />

konnten 13.000 Herero eingefangen werden innerhalb von 10 Monaten. Zuletzt (September 1905)<br />

schob man noch einmal 810 Herero in die Lager ab. Ende 1905 sollen nach zuverlässigen Angaben<br />

13.216 Herero in Camps gelebt haben, vermutlich Opfer von Trothas „Treibjagd“. Von jenen 13.216<br />

Menschen wurden 8478 unter Aufsicht der Schutztruppe gehalten, während die übrigen in kleinen<br />

Gruppen unter lockerer Kontrolle auf Farmen arbeiteten, etwa nahe Keetmanshoop.<br />

Gouverneur Friedrich von Lindequist trat die Nachfolge des Militärs an, nachdem er vorher in der Kap<br />

Provinz als deutscher Konsul gedient hatte. Sowohl Trotha als auch Lindequist verwendeten<br />

Missionare als Dolmetscher <strong>und</strong> Verbindungsmänner zu den Eingeborenen: aus heutiger kritischer<br />

Sicht eher „als nützliche Idioten“ ohne Rückgrat zum Segen der Schwarzen. Arglos vertrauten die<br />

Herero <strong>ihre</strong>n Seelenhirten, dass jetzt Frieden eingekehrt sei, während sie in die tödliche Falle der KZ<br />

gelockt wurden!<br />

Nach seiner Anreise am 22. November 105 in Swakopm<strong>und</strong> ließ Lindequist die Gefangenen des dortigen<br />

Camps zusammenrufen <strong>und</strong> hielt eine kurze Rede: „Ihr sollt nicht für immer Gefangene bleiben.<br />

Ihr werdet wieder frei sein mit Ausnahme derjenigen, die deutsche Farmer <strong>und</strong> Händler ermordet<br />

haben. Solchen Tätern droht strenge Bestrafung. Ich kann Euch das Leben aber erst dann erleichtern,<br />

wenn alle ehemaligen Rebellen sich ergeben haben. Ich sichere Euch anständige Behandlung zu. Je<br />

schneller sich die restlichen Kämpfer ergeben, desto schneller werden alle Herero wieder frei sein.<br />

Wer guten Willens ist, darf mit Belohnung rechnen!“<br />

Es waren leere Versprechungen, denn weder die Verpflegung noch die übrige Fürsorge besserte sich.<br />

Lindequist besuchte zahlreiche Missionare an allen Orten, wo sich Camps befanden, <strong>und</strong> erbat <strong>ihre</strong>n<br />

Beistand. Vor allem die Seelsorger der Rheinischen Mission (Wuppertal) spielten eine wichtige Rolle.<br />

Gouverneur von Lindequist


Jetzt erhielten „hilfswillige Herero“, mit Gewehren ausgerüstet, den Auftrag, die letzten versprengten<br />

Eingeborenen in der Wildnis aufzustöbern <strong>und</strong> in KZ zu geleiten. Diese „Hilfspolizisten“ bekamen gute<br />

Nahrung als Lohn <strong>und</strong> arbeiteten in Kommandos zu 10 Männern als Miliz. Alle Missionare machten<br />

diesen „Schwindel“ ungeniert mit <strong>und</strong> nannten die „Lockvögel“ oft „Friedens-Patrouillen“ (statt<br />

Advokaten des Teufels). Den Schwarzen wurde vorgelogen, dass sie frei seien, ohne die geplante<br />

Verschleppung ins nächste KZ zu erwähnen.<br />

Beachtliche „Fangquoten“ für Herero<br />

Die Suchkommandos verwendeten Flugblätter in unterschiedlichen Stammesssprachen mit Appellen<br />

des neuen Gouverneurs an die Versprengten zur Einsicht. Sie wurden aufgefordert, sich in sogenannte<br />

Sammellager geleiten zu lassen zur Registrierung in Omburu oder Otjihaenena. Die<br />

Concentration Camps an anderen Orten würden aufgelöst.<br />

Text eines Flugblatts: „Hereros! Es haben sich inzwischen Tausende von Hereros ergeben. Sie<br />

empfangen Nahrung sowie Kleidung von der Regierung. Das Gouvernement unternimmt alles, was in<br />

seinen Kräften steht, um Gerechtigkeit walten zu lassen. Ich verspreche Euch ebenfalls Gerechtigkeit!<br />

Kommt mit nach Omburu <strong>und</strong> Otjihaenena! Dort warten Missionare als Helfer. Sie bringen genug<br />

Lebensmittel für alle...<br />

Wenn Ihr noch Rinder <strong>und</strong> anderes Vieh besitzt, dürft Ihr die Tiere behalten, um für die Familien zu<br />

sorgen. Wer kräftig ist <strong>und</strong> arbeiten kann, soll belohnt werden. In den beiden Orten sind keine weißen<br />

Soldaten stationiert. Ihr habt keinen Gr<strong>und</strong>, Euch zu fürchten. Niemand wird auf Euch schießen! Legt<br />

alle Waffen nieder <strong>und</strong> kommt zu uns. Eure Lage wird bald leichter sein. Kommt rasch, ehe es zu spät<br />

ist!“<br />

(Unterschrift) DER KAISERLICHER GOUVERNEUR – VON LINDEQUIST.<br />

Unterdessen gingen in den KZ immer mehr Schwarze zugr<strong>und</strong>e <strong>und</strong> nichts änderte sich trotz vieler<br />

Versprechungen der Obrigkeit. Die ehemaligen Missionseinrichtungen in Omburo <strong>und</strong> Otjihaenena<br />

verwandelten sich in sogenannte „Sammelstellen“ für friedfertige Eingeborene. Omburo liegt nordwestlich<br />

von Omaruru. Dort erschien Missionar Kuhlmann kurz vor Weihnachten mit etwa 20 „loyalen<br />

Hereros“, die ihn beim Aufspüren zerstreuter Schwarzer unterstützen sollten.<br />

Bewaffnete Ovambo als Herero-Fangkommando


Einige Tage danach tauchte Missionar Diehl in Otjihaenena auf, 100 Kilometer östlich Windhuk, <strong>und</strong><br />

dirigierte fast 100 Herero Familien zur Sammelstelle. Sechs Monate später, Ende Juni 1906, eröffnete<br />

man eine zusätzliche Sammelstelle in Otjozongombe unter Leitung des Missionars Olpp, dem 50<br />

eingeborene „Hilfspolizisten“ (Herero) zur Seite standen „als Lumpensammler“. Dieser Ort war acht<br />

Kilometer vom Waterberg entfernt.<br />

Die „Loyalisten“ durchstreiften den Busch, ausgestattet mit Gewehren, <strong>und</strong> durften sich nach Herzenslust<br />

satt essen (statt Löhnung). Alle „eingefangenen“ Versprengten hatten Gelegenheit, kurze Zeit<br />

in den Sammellagern durchgefüttert <strong>und</strong> gepflegt zu werden, mussten dann aber unter militärischer<br />

Bewachung den traurigen Weg ins nächste Concentration Camp beschreiten. Das Täuschungsmanöver<br />

funktionierte!<br />

Es dauerte nicht lange <strong>und</strong> die Irreführung der gutgläubigen Herero sprach sich in Windeseile in <strong>ihre</strong>n<br />

Kreisen herum. Einigen Herero Männern glückte bald die Flucht aus den Sammelstellen <strong>und</strong><br />

<strong>Konzentrationslager</strong>n in Richtung Heimatdorf. Das Vertrauen der gläubigen Eingeborenen in die<br />

Missionare war erschüttert, denn sie fühlten sich zu Recht verraten. Es sickerten Nachrichten durch,<br />

dass in den KZ Einrichtungen geprügelt <strong>und</strong> vergewaltigt wurde, dass dort Hungersnot herrschte.<br />

Zornig reagierte das Gouvernement in Zusammenarbeit mit der Schutztruppe. Unter den Schwarzen<br />

breitete sich lähmende Angst aus <strong>und</strong> eine neue Fluchtbewegung in die Einöde. Es gab sogar Herero,<br />

die aus <strong>Konzentrationslager</strong>n flüchteten, um – wegen der besseren Versorgung – wieder in Sammelstellen<br />

<strong>ihre</strong> Zuflucht zu finden. Und es passierte, dass diese Flüchtlinge nochmals ins nächste KZ<br />

wandern mussten, sobald sie „entdeckt“ wurden!<br />

Im Jahr 1907 ergab eine Untersuchung, dass von 100 Insassen einer Sammelstelle, die während der<br />

letzten vier Monate dort eingetroffen waren, 36 Männer vorher aus KZ fliehen konnten. Missionar<br />

Kuhlmann lieferte dem Gouvernement ein Memorandum dazu mit einer Fallstudie: Drei Herero waren<br />

mit <strong>ihre</strong>n Familien von Zwangsarbeitsplätzen in Okazize geflüchtet <strong>und</strong> hielten sich wieder im Camp<br />

Omburo auf. Der Gr<strong>und</strong>: Die Frauen waren von Angehörigen der Schutztruppe zum Geschlechtsverkehr<br />

gezwungen worden <strong>und</strong> die Ehemänner mussten immer wieder Prügel einstecken.<br />

Flucht aus dem Busch in den Hungertod der Concentration Camps


Gouverneur von Lindequist förderte mit den Sammelstellen einen raffinierten Langzeitplan: Erst sollten<br />

sich die dort Eingetroffenen einigermaßen erholen <strong>und</strong> kräftigen, Gewicht zulegen <strong>und</strong> beruhigen.<br />

Dann wollte man sie als preisgünstige Leiharbeiter an Farmer, Bahnbau-Gesellschaften <strong>und</strong> andere<br />

Unternehmen vermarkten. Missionar Kuhlmann blieb nichts anderes übrig, als seine Schützlinge<br />

innerhalb kurzer Zeit abzugeben an Bau-Unternehmer, Kolonialbehörden <strong>und</strong> sonstige Interessenten.<br />

Die Sammelstellen hielten sich nicht lange wegen zunehmender Kritik der Behörden, dass sie „zu<br />

kostspielig“ seien wegen „der Faulenzerei“. Otjihaenena existierte knapp 10 Monate <strong>und</strong> musste am<br />

11. September 1906 schließen. In Okomitombe nahe Gobabis lief der Betrieb ähnlich weiter bis März<br />

1907. Es lohnte nicht länger, weil nur noch wenige Herero im Busch entdeckt werden konnten.<br />

Nun ergriff die Schutztruppe die Initiative <strong>und</strong> organisierte eigene „Treibjagden“. Solche Aktionen<br />

nannte man „Aufklärungspatrouillen“, die während der wärmeren Jahreszeit forciert werden durften.<br />

Kommandeur von Wangenheim, ermuntert vom Bezirksamtmann in Outjo, ging grausam vor <strong>und</strong> ließ<br />

die Behausungen aller arbeitsunwilligen Eingeborenen abfackeln, in einigen Fällen mitsamt den<br />

eingeschlossenen Bewohnern. So wurde ab 1907 bis zur Kapitulation im Sommer 1915 verfahren, wie<br />

überliefert ist.<br />

In Omburo konnten bis September 1906 genau 4497 „eingesammelt“ werden, dagegen in Otjihaenena<br />

schätzungsweise 4200 Schwarze. Bis Ende 1906 beschafften die Missionare mit <strong>ihre</strong>n „Hilfspolizisten“<br />

ungefähr 8700 Arbeitskräfte in beide Einrichtungen. Otjozongombe, das dritte Sammellager, machte<br />

KZ Alte Festung Windhuk mit Hütten


Ende Oktober 1906 dicht <strong>und</strong> lieferte 1824 Abhängige. Okomitombe (Ersatz für Otjihaenena) schloss<br />

Ende März 1907 mit 1103 registrierten Personen. Rechnet man alle Eingänge zusammen, so ergeben<br />

sich für vier Camps 11.624 Männer, Frauen, Kinder, allesamt Herero.<br />

Die Missionare behaupteten unerschüttert, segensreiche „Friedensarbeit“ geleistet zu haben <strong>und</strong><br />

hatten kein schlechtes Gewissen. Es besteht kein Zweifel, dass r<strong>und</strong> 12.000 Schwarze sowohl<br />

Sammelstellen als auch <strong>Konzentrationslager</strong> „durchliefen“ dank der missionarischen Schützenhilfe<br />

zum Nachteil des Herero Volks.<br />

Das <strong>Konzentrationslager</strong> Windhuk<br />

Windhuk verfügte über zwei KZ Anlagen, die mit Herero aus dem Sammelpunkt Otjihaenena belegt<br />

wurden. Ein Camp befand sich im Zentrum der Stadt, ungefähr zwischen dem Reiterstandbild <strong>und</strong> der<br />

Christus Kirche. Das andere Lager existierte auf den Hügeln nordwestlich der Eisenbahnstation,<br />

anders formuliert (aus gegenwärtiger Perspektive) „etwa an der jetzigen Kreuzung von Okahandja<br />

Street <strong>und</strong> Harvey Street“. Dort sollen zahlreiche Verstorbene begraben worden sein. 1919 bemühte<br />

sich die Herero Gemeinde um eine schützende Umzäunung des Gräberfeldes aus Pietät, wurde aber<br />

abgewiesen.<br />

Mitte August 1906 lebten 5183 Gefangene in den Wndhuker Lagern, im April des gleichen Jahres<br />

zählte man knapp 7.000 Häftlinge. Die Differenz erklärt sich aus Umgruppierungen: Umsiedlung in<br />

andere Camps, Abschiebung zu Bergbau Unternehmen wie in Tsumeb, Bahnbau-Wanderarbeit,<br />

Dienste für das Militär <strong>und</strong> Farmer. Nicht zu vergessen die große Zahl von Sterbefällen. Durchschnittlich<br />

lebten in beiden Camps etwa 5.000 Menschen, während die zivile Bevölkerung Windhuks<br />

maximal 2500 Weiße ausmachte, also die Hälfte!<br />

Beide <strong>Konzentrationslager</strong> boten den Gefangenen keine medizinische Versorgung bzw. ausreichende<br />

sanitäre Einrichtungen. Missionar Eich bekam vom Lagerkommandanten zu hören, dass niemand sich<br />

um die Kranken kümmere. Wer kräftig genug sei, um zu überleben, gelte als Glückspilz. Eich notierte:<br />

„Hier herrscht Sozial-Darwinismus in Reinkultur. Der Lagerleiter sagte mir unbekümmert, dass er<br />

Anweisungen erhalten habe sich nur um die Leistungsfähigen zu bemühen im Sinne Seiner Majestät“.<br />

Auch Buschleute endeten in den Todeslagern


Bestattung im KZ Swakopm<strong>und</strong>: Missionar Vedder zu Pferd<br />

Sterbendes Hungerkind am KZ-Strand Swakopm<strong>und</strong> 1905


Tagsüber wurden schwarze Frauen als Wäscherinnen in Haushaltungen der Stadt abkommandiert, als<br />

Putzfrauen usw. Auch die Männer mussten handwerkliche Aufgaben erfüllen, sei es für Militär oder<br />

zivile Dienstherren. Daraus resultierten ungewollte Schwangerschaften <strong>und</strong> Geschlechtskrankheiten.<br />

Ab Juni 1905 konnten jederzeit Häftlinge „gemietet werden, sei es von den Geschäftsleuten,<br />

Privatpersonen oder Behörden <strong>und</strong> Militärdienststellen.<br />

In einem offiziellen Sanitätsbericht des Gouvernements ist nachzulesen: Die Fälle von Geschlechtskrankheiten<br />

haben Besorgnis erregend in Windhuk überall zugenommen als Folge schwarzweißer<br />

intimer Kontakte. Das ist eine ernsthafte Gefahr für die Truppe!“<br />

Im November 1905 richteten die Behörden „Eingeborenen Kraale“ ein, um dort Kranke – getrennt<br />

nach <strong>ihre</strong>n Leiden – abzuschotten. (Standort: ungefähr dort, wo heutzutage das Central Hospital<br />

steht). Hütten <strong>und</strong> Zelte mussten als Unterkunft ausreichen. Dornbüsche umsäumten das Areal unter<br />

der Bezeichnung NATIVE FIELD HOSPITAL. Im September 1906 starben 252 Personen in den KZ<br />

Anlagen.<br />

Es gab bis zum Ersten Weltkrieg viele <strong>Konzentrationslager</strong> im Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika,<br />

die man als amtlich, halb amtlich <strong>und</strong> privatwirtschaftlich kennzeichnen könnte (abgesehen von<br />

militärischen Einrichtungen). So unterhielt zum Beispiel die renommierte Reederei Woermann ein<br />

Camp mit schwarzen Zwangsarbeitern, angemietet vom Gouvernement. Einige tausend dieser<br />

„Sklaven“ mussten beim Bahnbau schuften. Die größte Bedeutung hatten jedoch Arbeitslager unter<br />

Kontrolle der Schutztruppe für deren Dienstleistungen: Windhoek, Okahandja, Karibib, Swakopm<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> Lüderitz.<br />

Der offizielle Sanitätsbericht des Gouvernements diagnostizierte bei den Gefangenen als Todesursache<br />

häufig Lungenentzündung. Influenza (Grippe), Skorbut (vitaminarme Kost), Syphilis. Jener<br />

Bericht erwähnt mit keinem Wort die möglichen Ursachen oder Empfehlungen zur Verbesserung der<br />

Lebensqualität dieser Unglücklichen. Es trifft allerdings zu, dass die Häftlinge bereits erheblich<br />

geschwächt waren, als sie in Lager gepfercht wurden.<br />

Missionar Dannert in Omaruru berichtete seinen Vorgesetzten in einem Schreiben, dass die Sträflinge<br />

„wie lebende Skelette durch die Gegend stolperten“ (Mitte 1905). Der Brief an die Rheinische Mission<br />

(Wuppertal) erwähnt auch „sterbende Mütter <strong>und</strong> tote Kinder in Scharen“. Nach den Angaben eines<br />

Verpflegungsprotokolls vom Februar 1906 erhielten die Schwarzen 500 Gramm Fleischkonserven<br />

oder Mehl, 500 Gramm Reis oder Mehl sowie etwas Salz unregelmäßig zugeteilt. Fleisch wurde nur<br />

zweimal wöchentlich ausgegeben (oder gar nicht).<br />

Luftbild der Massengräber in zwei Reihen bei Swakopm<strong>und</strong> 1905


Von Gottes Wort wurde kein Hungerleider satt im Lager<br />

Missionar Vedder predigte im KZ Swakopm<strong>und</strong>


Reis war zur Ernährung am wichtigsten <strong>und</strong> zugleich am schädlichsten, weil diese einseitige Nahrung<br />

zu Skorbut führte mangels Vitaminen. Damals gab es noch keine ernährungsphysiologischen<br />

Erkenntnisse über die lebenswichtige Rolle der Vitamine für das Wohlbefinden des Menschen. Hinzu<br />

kam, dass den Schwarzen das Nahrungsmittel Reis unbekannt war <strong>und</strong> sie nichts über die Zubereitung<br />

zum Verzehr wussten. Milch <strong>und</strong> Fleisch vertrugen die Mägen der Schwarzen am besten aus<br />

alter Tradition, aber gegen Reis sträubten sich <strong>ihre</strong> Verdauungsorgane heftig.<br />

Im Lager Swakopm<strong>und</strong> standen für etwa 1.000 Herero nur wenige Kochtöpfe zur Verfügung, um darin<br />

den angebotenen Reis genießbar zu machen. Der ungenügend zubereitete „Matsch“ führte zu immer<br />

mehr Todesfällen. Missionar Vedder berichtete ausführlich über die Missstände an seine Wuppertaler<br />

Zentrale <strong>und</strong> bat um Lebensmittel sowie Kleidung, allerdings ohne Erfolg. Auch das Gouvernement<br />

verschloss seine Ohren hartnäckig.<br />

Aus klimatischen Gründen erging es den Häftlingen in Swakopm<strong>und</strong> <strong>und</strong> Lüderitz am schlechtesten:<br />

feuchtkalte Temperaturen, Nebelschwaden, fehlende Sonnenwärme, Sandstürme förderten die<br />

Sterblichkeit. Kein Schwarzer hatte jemals zuvor das Meer gesehen, ein weiterer Feind außer den<br />

Deutschen. In Windhuk betrug die Luftfeuchtigkeit 30 Prozent, an der Küste 80 Prozent. In den<br />

Wintermonaten fiel das Windhuker Thermometer oft unter den Nullpunkt bei Nachtfrost. Im Juni<br />

registrierte man bis zu minus drei Grad Celsius!<br />

In Karibib breitete sich eine Krankheit aus, die man zunächst der Malaria zuordnete. Labor-<br />

Untersuchungen führten jedoch zu der überraschenden Erkenntnis, dass eine „sexuell verursachte<br />

Form von Typhus“ vorlag, bislang unbekannt in medizinischen Kreisen. Zahlreiche Angehörige der<br />

Schutztruppe infizierten sich durch Sex mit schwarzen Frauen.<br />

Ausgehungerte Kinder: Swakopm<strong>und</strong>


Swakopm<strong>und</strong> <strong>und</strong> Windhuk verfügten über NATIVE FIELD HOSPITALS, dürftige Sanitätsstationen für<br />

Eingeborene, auch EINGEBORENEN LAZARETTE genannt. Ab Ende 1905 nahmen sie <strong>ihre</strong> Arbeit<br />

auf, allein von Missionaren betreut (ohne Mediziner oder Sanitäter). Die Schutztruppe verzeichnete<br />

viele Ausfälle durch Typhus-Erkrankungen im Feld sowie in den Garnisonen (Hygiene-Mängel, verkeimtes<br />

Trinkwasser usw.).<br />

Trotz der Zusicherungen Kaiser Wilhelms II. sowie des Kanzlers von Bülow durften eingeborene Frauen<br />

<strong>und</strong> Kinder nicht mit einer bevorzugten Behandlung in den KZ rechnen. Das Gouvernement wollte<br />

die Familien als „Zwangsarbeitsgruppen“ im Blick behalten, also Männer, Frauen <strong>und</strong> Kinder „auf<br />

Abruf jederzeit“. Überall mussten Frauen harte körperliche Arbeiten (etwa als „Zugpferde“) verrichten<br />

(bei Waggons, Karren usw.). Schwere Säcke voller Getreide, die zwischen 100 <strong>und</strong> 160 Pf<strong>und</strong> wogen,<br />

wurden ihnen aufgebürdet bis zum Zusammenbrechen.<br />

Eine Statistik vom 25. Juli 1906 verzeichnet 17018 „Kriegsgefangene“ (Männer, Frauen, Kinder),<br />

jedoch ohne die Belegung der Haifischinsel, des Lagers Keetmanshoop <strong>und</strong> der Bondels Station nahe<br />

Warmbad. Eine Aufschlüsselung verrät: 4870 Männer, 1084 Frauen, 5064 Kinder. Mit anderen Worten:<br />

Zwei Drittel (<strong>und</strong> mehr) Frauen <strong>und</strong> Kinder.<br />

Windhuk meldete 5183 Gefangene im Juli 1906, darunter 1325 Männer <strong>und</strong> 2221 Frauen, also 25<br />

Prozent Männer <strong>und</strong> 43 Prozent Frauen-Anteil. In Okahandja lebten 1431 Häftlinge (51 Prozent<br />

Frauen, 16 Prozent Männer). Die Sterblichkeit bei Männern war insgesamt höher als bei Frauen, weil<br />

sie härter schuften mussten als Frauen (wie zu vermuten ist).<br />

Statistiken zur Lage auf der Haifischinsel Lüderitzbuch: 460 weibliche Todesfälle <strong>und</strong> 496 männliche<br />

Opfer unter dem Nama Volk (ohne Kinder). Das „Gleichgewicht“ resultiert aus der Tatsache, dass dort<br />

beide Geschlechter gleich schwer arbeiten mussten.<br />

Im August 1906 berichteten mehrere „Cape Boys“ (Mischlinge aus Südafrika), die ein halbes Jahr in<br />

Swakopm<strong>und</strong> unter Vertrag als freie Arbeitskräfte tätig gewesen waren, den Behörden am Kap<br />

freimütig:<br />

„Die Schwarzen im KZ müssen täglich schwere Eisenträger transportieren, vor allem die unglücklichen<br />

Frauen, außerdem schwere Ballen mit gepresstem Heu. Wir haben erlebt, wie diese Frauen zusammengebrochen<br />

sind. Dann erhielten sie Fußtritte der deutschen Soldaten <strong>und</strong> Peitschenhiebe.<br />

Deutsche Hausfrauen konnten „KZ-Weiber“ tageweise mieten


Die zugeteilten Rationen sind dürftig. Das Essen müssen die Frauen selber zubereiten. Sie sind stets<br />

hungrig. Wir Arbeiter vom Kap haben ihnen oft Lebensmittel über den Zaun zugeworfen aus Mitleid.<br />

Die Frauen liefen halb nackt in Lumpen herum. Auch alte Frauen mussten Misshandlungen erdulden<br />

durch das Militär. Die Offiziere schauten tatenlos zu...“<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg gaben um 1935 mehrere Häuptlinge der Herero zu Protokoll gegenüber<br />

der Presse: „Wir heißen Jack Seti, John Culayo, James Tolibadi <strong>und</strong> erklären unter Eid, dass wir von<br />

den Deutschen in Kraals untergebracht wurden. Wir haben arg gefroren. Es gab keinerlei sanitäre<br />

Einrichtungen. Viele Krankheiten breiteten sich aus, vor allem unter unseren Frauen. Das Essen war<br />

miserabel. Es gab zu wenig Kost <strong>und</strong> überwiegend Reis, der uns fremd war. Bald staute sich Wasser<br />

in unseren Gliedern <strong>und</strong> das Zahnfleisch begann zu bluten (Skorbut). Wir mussten schwer arbeiten.<br />

Auch die Frauen wurden dabei nicht verschont. Sie sollten Güterwagen ziehen <strong>und</strong> schieben sowie<br />

Munitionskisten transportieren auf <strong>ihre</strong>n Köpfen“.<br />

Rückblickend ist zu registrieren, das General Lothar von Trotha am 2. Oktober 1904 am Wasserloch<br />

Osombo-Windimbe seinen Vernichtungsbefehl erstmals verkündete (mit späteren Wiederholungen) Im<br />

Dezember 1904 erfolgte die Aufhebung durch Kaiserliche Intervention telegraphisch. Das bedeutete<br />

die Einstellung von Massenhinrichtungen durch den Strang (auf Berliner Weisung hin). Gleichzeitig<br />

entwickelten sich die ersten <strong>Konzentrationslager</strong> mehr oder weniger improvisiert (für etwa 12.000<br />

Schwarze) Ihr Status „Kriegsgefangene“ (also Männer, Frauen, Kinder) blieb völkerrechtlich unhaltbar,<br />

doch kümmerte das niemand.<br />

Blick von Lüderitzbucht auf die Haifisch Insel


Oktober 1906<br />

1 bedeutet Camp der Herero<br />

2 bedeutet Leuchtturm<br />

3 bedeutet Hütten des Wachtpersonals<br />

4 bedeutet Quarantäne Unterkunft<br />

5 bedeutet Krankenstation für Soldaten<br />

6 bedeutet Laufsteg <strong>und</strong> Eingang<br />

(Oben Skizze eines Missionars)


Die Haifischinsel oder Shark Island<br />

Die Haifischinsel erstreckt sich über 1200 Meter von Süden nach Norden <strong>und</strong> misst nur 300 Meter<br />

zwischen Osten <strong>und</strong> Westen an der breitesten Stelle. Granitfels bedeckt die ganze Fläche, vom<br />

Sturmwind umtost. Seevögel, Muscheln <strong>und</strong> Robben fühlen sich dort zuhause, Menschen aber nicht.<br />

Vor langer Zeit soll es einmal Haifische an der Küste gegeben haben, aber das liegt weit zurück in der<br />

Historie des Eilands vor Lüderitzbucht.<br />

Wer heutzutage die Haifischinsel besuchen möchte, findet dort einen geräumigen Stellplatz für Wohnmobile<br />

<strong>und</strong> Caravans vor, beliebt vor allem bei südafrikanischen (weißen) Unterschicht-Touristen, die<br />

<strong>ihre</strong> Verpflegung vom Kap mitschleppen, um nicht im teuren Namibia einkaufen zu müssen. Nichts<br />

erinnert mehr an die Tragödie vor r<strong>und</strong> h<strong>und</strong>ert Jahren.<br />

Die Insel war zur deutschen Kolonialzeit mit einem Steg zum Festland verb<strong>und</strong>en. Im Mittelpunkt<br />

stand ein Leuchtturm. Es existierte obendrein eine kleine Quarantäne Station mit Feldhospital für<br />

Notfälle. Soldaten mit Typhus-Infektionen brachte man in dieser Isolierstation vorübergehend unter,<br />

ebenso Männer mit verdächtigen Darmerkrankungen.<br />

Das KZ befand sich an der Südspitze des Eilands <strong>und</strong> war durch Stacheldraht vom übrigen Teil des<br />

Terrains abgegrenzt mit Wachtposten der Truppe. Es gab einige Wellblechhütten zur Unterbringung<br />

der deutschen Aufpasser, jedoch keine Behausungen zugunsten Gefangener. Die Schwarzen waren<br />

auf zerfetzte Zelte angewiesen oder sollten sich selber eine Hütte bauen. Dazu fehlte wiederum<br />

Material. Flucht schien unmöglich unter derartigen Lebensbedingungen.<br />

Ende Juni 1904 traf die erste Gruppe Häftlinge in Lüderitzbucht ein, vielleicht etwas früher oder später<br />

(weil es darüber keine Unterlagen mehr gibt). Andere Quellen nennen „Anfang 1905“ als Start zum<br />

KZ-Zeitalter auf der Haifischinsel. Wahrscheinlich waren etwa 28 Gefangene am Festland nahe<br />

Lüderitzbucht untergebracht.<br />

Lagerleben auf der Haifisch Insel 1907: eiskalt


Ende Mai 1905 berichtete Missionar Vedder seinem Amtsbruder Eich in einem Brief, dass es<br />

zahlreiche Todesfälle unter den schwarzen Gefangenen in Lüderitzbucht gebe: 59 Männer, ebenso<br />

viele Frauen <strong>und</strong> 73 Kinder seien „auf der Haifischinsel umgekommen“ (innerhalb kurzer Zeit). Man<br />

kann zurückrechnen, dass damals 400 bis 500 Herero auf dem Eiland gelebt haben dürften (falls man<br />

von „leben“ sprechen kann).<br />

Am 26. Juni erwähnt Eich in einem anderen Schreiben an Vedder 280 Gefangene, die von Okahandja<br />

nach Lüderitz transportiert worden seien, weil „es im Landesinneren an ausreichender Verpflegung<br />

fehle“. In Wahrheit brauchte man zum Bahnbau der neuen Strecke zwischen Lüderitz <strong>und</strong> Aus<br />

dringend Arbeitskräfte.<br />

Eines Tages traf Eich in Lüderitzbucht ein, um die Haifischinsel <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> Häftlinge kennen zu lernen.<br />

Man schrieb jetzt Oktober <strong>und</strong> der Missionar fand Gelegenheit 487 Schwarze aufzusuchen. Er meinte,<br />

die Ernährung sei ausreichend gewesen, aber die Schwäche der Menschen beklagenswert. Zwei<br />

Monate später beobachtete Eich in Okahandja, wie weitere Transporte von Schwarzen in Richtung<br />

Haifischinsel zusammengestellt wurden. Das Militär verbot dem Missionar jeden Kontakt mit ihnen,<br />

sodass Eich wiederum Vedder informierte.<br />

Die Geheimniskrämerei der Schutztruppe hing vermutlich damit zusammen, dass man die Missionare<br />

verdächtigte als „Fluchthelfer“ tätig zu werden. Motiv: Mitleid, christliche Fürsorgepflicht. Das Militär<br />

wollte verhindern, das die Schwarzen Informationen über die hohe Sterblichkeitsrate auf der Insel<br />

zugesteckt erhielten. Es ereigneten sich Fälle von Freitod unter den Herero aus Furcht vor der<br />

drohenden Hungerinsel.<br />

Ab <strong>und</strong> zu glückte wenigen Zwangsarbeitern an der Bahnstrecke die Flucht in den Busch oder nach<br />

Walvis Bay, wo die Briten politisches Asyl boten. Die Engländer vermittelten Jobs in <strong>ihre</strong>n südafrikanischen<br />

Bergwerken, verhielten sich aber auch wankelmütig <strong>und</strong> lieferten die Flüchtlinge oft der<br />

deutschen Polizei aus.<br />

Deutscher Offizier als Voyeur


Im September 1905 veröffentlichte die südafrikanische Tageszeitung CAPE ARGUS eine Artikelserie<br />

über „The German Operations“ in Lüderitz, gestützt auf Insider-Informationen burischer Frachtkutscher.<br />

Die Enthüllungen wirkten schockierend auf die Leserschicht am Kap in <strong>ihre</strong>r Genauigkeit, in<br />

den einzelnen Interviews <strong>und</strong> Augenzeugenberichten:<br />

„Ich habe halb verhungerte schwarze Frauen beobachtet, die im Abfall wühlten <strong>und</strong> vor Erschöpfung<br />

zusammenbrachen, nur noch aus Haut <strong>und</strong> Knochen bestehend, dazu sterbende Kinder mit bereits<br />

toten Augen. Peitschenhiebe der Deutschen sollten die Todgeweihten wieder auf die Beine bringen,<br />

aber vergebens. Am liebsten zielten die Soldaten mit <strong>ihre</strong>n Flusspferdpeitschen auf die Köpfe <strong>und</strong><br />

Gesichter <strong>ihre</strong>r Opfer, um sich an deren Leid zu ergötzen. Überall floss Blut an den Leibern herunter.<br />

Die Frauen mussten die Leichen verscharren <strong>und</strong> keiner sprach ein Gebet. Niemand schrie <strong>und</strong><br />

weinte, denn das Leid dieser Menschen blieb stumm.“<br />

Warum verhielten sich deutsche Soldaten, Offiziere <strong>und</strong> Zivilisten so grausam <strong>und</strong> sadistisch?<br />

Wodurch wurden die Allmacht-Fantasien angeheizt? Es ist überliefert, dass deutsches Militär auf<br />

ähnliche Weise während des Boxer Aufstands um 1900 in China gegen die einheimische Bevölkerung<br />

vorging, erbarmungslos gemäß dem Befehl des Kaisers Wilhelm II: „Pardon wird nicht gegeben“<br />

(Hunnen Rede bei der Einschiffung). In Südwestafrika rief der Vernichtungsbefehl des Generals von<br />

Trotha ähnliche Reaktionen hervor.<br />

Augenzeugen berichten im Blaubuch<br />

13 Jahre nach den Ereignissen auf der Haifischinsel konnte man im sogenannten Blaubuch der<br />

britisch-südafrikanischen Regierung nach der Kapitulation Deutschlands zahlreiche Augenzeugenberichte<br />

über Grausamkeiten gegenüber Eingeborenen nachlesen, ergänzt durch Aussagen Überlebender<br />

aus dem Kreis der ehemaligen Gefangenen.<br />

Johan Noothout, einst Frachtkutscher auf dem Baiweg um 1907, erklärte unter Eid: „Ich verließ<br />

Kapstadt im Jahr 1906 <strong>und</strong> verpflichtete mich als Frachtkutscher bei der deutschen Schutztruppe wie<br />

so viele andere Buren damals. Nach meiner Ankunft in Lüderitzbucht erblickte ich etwa 500 schwarze<br />

Frauen mussten schwere Fracht transportieren


Frauen, die an der Küste lagerten <strong>und</strong> fast verhungert ausschauten. Morgens <strong>und</strong> abends schleppten<br />

jeweils vier Frauen Verstorbene auf Bahren zu einer Stelle, wo die Toten vergraben wurden, meistens<br />

vier oder fünf Leichen...<br />

Ich musste nach Kubub kutschieren sowie nach Aus. Unterwegs sah ich tote Frauen zwischen Geröll<br />

neben der Pad liegen, angefressen von Raubvögeln. Manche hatte erkennbare Verletzungen wie von<br />

Peitschen oder Schlagstöcken...<br />

Wenn sich Gefangene ohne Erlaubnis außerhalb des <strong>Konzentrationslager</strong>s aufhielten, wurden sie<br />

dem Leutnant vom Dienst vorgeführt <strong>und</strong> mit der Flusspferdpeitsche (Sjambok) verprügelt: 50 Hiebe<br />

waren üblich als Strafe. Dabei flogen Fetzen von Haut <strong>und</strong> Fleisch durch die Luft“. –<br />

General von Trotha hatte am 11. Juni 1904 einen Befehl ausgegeben (Vorschriften zum Kriegsrecht),<br />

demzufolge Bestrafungen Eingeborener auf maximal 25 Hiebe beschränkt werden mussten laut<br />

Artikel II b. Es waren auf den Rücken der Opfer „zweimal 25 Hiebe“ gestattet im Abstand von zwei<br />

Wochen! Trotha hatte das Auspeitschen von Frauen sowie deren Vergewaltigung verboten. Das ihm<br />

unterstellte Militär kümmerte sich aber nicht um den Befehl <strong>und</strong> niemand kontrollierte das Ausmaß der<br />

Grau-samkeiten.<br />

Der Verfasser des zitierten Blaubuchs, dessen Angaben von der deutschen Regierung voller<br />

Empörung als üble Verleumdung bestritten wurden, hieß Major O`Reilly. Der Augenzeuge Johan<br />

Noothout war keine Erfindung der Siegermacht, sondern existierte nachweisbar: In einem Register<br />

des Militärs „Liste der im Dienst der Schutztruppe befindlichen Buren sowie Cape Boys“ (Ausgabe<br />

März 1907) taucht ein Johan Noothout auf, beschäftigt in Aus <strong>und</strong> Lüderitzbucht Anfang 1907.<br />

Aufschlussreich ist die Tatsache, dass die Schutztruppe <strong>und</strong> das zivile Gouvernement beim Vorrücken<br />

der südafrikanischen Truppen im Jahr 1915 vorsorglich alle „verräterischen Akten“ mit Angaben über<br />

die mörderische Behandlung der gefangenen Eingeborenen restlos vernichteten. Hinzu kommt, dass<br />

sämtliche diesbezüglichen Dokumentationen, die im Berliner Reichskolonialamt <strong>und</strong> in Militärarchiven<br />

der Reichshauptstadt existierten, ebenfalls kurz nach Kriegsende spurlos verschwanden. Historiker<br />

konnten später auf andere Quellen (Augenzeugenberichte unter Eid) zurückgreifen sowie auf private<br />

Aufzeichnungen (Korrespondenzen usw.).<br />

Missionar Vedder versicherte unter anderem: „Das Militär hat die schwarzen Frauen wie Schlachtvieh<br />

misshandelt hier in Swakopm<strong>und</strong>. Sie wurden in den Tod gepeitscht <strong>und</strong> wie Kadaver verscharrt!“<br />

Schwarze Frauen dienten als Zugpferde vor Waggons einer Schmalspurbahn


Deutsche Politiker im Reichstag diskutierten über „Untermenschen“ <strong>und</strong> nannten die Angehörigen des<br />

Nama Volks „Raubtiere“. Lediglich die Abgeordneten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands<br />

sowie die Vertreter der katholischen Zentrum-Partei wagten die Übergriffe <strong>und</strong> Misshandlungen zu<br />

kritisieren im Verlauf häufiger Debatten (<strong>und</strong> in bemerkenswerter Allianz). Blanker Rassismus (<strong>und</strong><br />

nebenbei Antisemitismus) feierten <strong>ihre</strong> Triumphe.<br />

Deutsche Soldaten, die mit Truppentransporten in Lüderitzbucht an Land gegangen waren, schrieben<br />

<strong>ihre</strong>n Familien amüsiert von den ersten Eindrücken: „Am 5. Juli 1907 – 200 Herero befanden sich in<br />

einem Kraal nahe unserem Zeltplatz. Die Gefangenen waren klapperdürr <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> Beine schauten wie<br />

Spazierstöcke aus. Alle Männer <strong>und</strong> Frauen waren vollkommen nackt zur Verblüffung der Kameraden!<br />

Den Frauen hingen die vertrockneten Brüste am Leib herunter wie Strapse“.<br />

Halb pornographische Bildpostkarten von nackten schwarzen Frauen konnte man in jedem Schreibwarengeschäft<br />

erwerben <strong>und</strong> in die Heimat senden: es bereitete Spaß <strong>und</strong> signalisierte rassischen<br />

Hochmut gleichermaßen. Der einfache Reiter innerhalb der Schutztruppe zählte in der Regel zu den<br />

ärmeren Klassen der deutschen Bevölkerung daheim, verfügte nur über eine bescheidene Schulbildung<br />

<strong>und</strong> durfte „jetzt endlich mal die Sau raus lassen“ – eine einzigartige Chance zur Befriedigung<br />

der Wollust. Notzucht (im Sinn deutscher Gesetze) hatte hier keine Konsequenzen, denn alle Vorgesetzten<br />

grinsten verständnisvoll.<br />

In der Garnison hielten sich ständig bis zu 1.000 Soldaten auf, die per Schiff anrückten oder auf dem<br />

gleichen Weg heimwärts reisten. Ihre sexuellen Erwartungen waren grenzenlos <strong>und</strong> sie nahmen sich<br />

deshalb mit Gewalt, was nicht parierte (weiße Frauen ausgenommen).<br />

In den KZ Einrichtungen zu Swakopm<strong>und</strong> <strong>und</strong> Windhuk entstanden zahlreiche zeitgenössische Fotos,<br />

doch auf der Haifischinsel war dies nur in wenigen Situationen der Fall. Weil die Haifischinsel durch<br />

die Schutztruppe überwacht wurde, mag dies einiges erklären. Schandtaten durften nicht für die<br />

Gefangene Herero Frau in Lumpen


Nachwelt bildlich „festgehalten“ werden <strong>und</strong> dem Ansehen der Truppe schaden. Erst im Jahr 2000<br />

entdeckte Dr. Jan Bar Gewald eher zufällig eine Sammlung von Lichtbildern in den Beständen der<br />

Sam Cohen Bibliothek „mit belastendem Inhalt“ (Shark Island Grausamkeiten).<br />

Die Fotos gehörten dem Leutnant von Düring, verraten aber nicht das Datum <strong>ihre</strong>r Entstehung. Man<br />

vermutet eine Zeitspanne zwischen Januar 1905 <strong>und</strong> Januar 1907 mit hoher Wahrscheinlichkeit.<br />

Einige Abbildungen zeigen General von Trotha, der bis November 1905 in Südwestafrika verweilte<br />

<strong>und</strong> sich dann Richtung Heimat einschiffte. Die Inselbilder können (Irrtum vorbehalten) im Oktober<br />

1905 aufgenommen worden sein. Warum fotografierte Düring die todkranken Schwarzen? Ein späteres<br />

„Familienalbum“ sollte gewiss „Spannung“ bei den Betrachtern erzeugen ... Gewald sprach in<br />

seiner Beurteilung des F<strong>und</strong>es von „dokumentierter Machtbesessenheit“ des Bildermachers, typisch<br />

für dessen Milieu kolonialer Arroganz.<br />

Das Angebot von „Ansichtspostkarten aus den Kolonien“ umfasste sowohl verführerisch ausschauende<br />

schwarze Mädchen in Posen als auch Hinrichtungen (Tod durch den Strang) angeblich<br />

rebellischer Eingeborener „im Zappel Look“ am Galgenstrick. Besonders „beliebt“ war ein Motiv, das<br />

10 „Hottentotten auf dem Galgenpodest“ zeigte: teils schon baumelnd, teils den Tod erwartend (auf<br />

Kisten stehend mit einer Schlinge um den Hals).<br />

Die Kisten wurden dann von Soldaten mit Fußtritten umgestoßen, um den Genickbruch zu inszenieren.<br />

Brach das Genick nicht, was passieren konnte, so drohte dem Delinquenten ein qualvoller Tod<br />

durch Ersticken. In solchen Fällen hingen sich Soldaten an die Leiber der halb Erhängten „als Gegengewicht“<br />

<strong>und</strong> machten dem „Schauspiel“ ein Ende!<br />

Der Herero Lehrer Samuel Kariko, der im Juni 1905 die Haifischinsel kennen lernte, gab 1918 seine<br />

Erkenntnisse den britischen Militärbehörden bekannt (für das Blaubuch). Er bestätigt alle sonstigen<br />

überlieferten Ereignisse an diesem „Tatort“ des Grauens, beschreibt vor allem den „Zwang zur<br />

Prostitution“ sowie das Sterben der Senioren <strong>und</strong> Kinder, den Hunger <strong>und</strong> die fehlende Kleidung für<br />

Häftlinge.<br />

Deutsche Ansichtspostkarte mit erhängten Hereros


Missionieren im Angesicht des Hungertods<br />

Nach Auskunft der deutschen Missionare (RMG Wuppertal) wurde Kariko im Juni 1905 auf die<br />

Haifischinsel entsandt, begleitet von seiner Familie, um unter den Gefangenen „missionarische Arbeit“<br />

zu leisten, also Bekehrungen zum Christentum einzuleiten. Kariko war – genauer betrachtet – ein<br />

„Religionslehrer“ <strong>und</strong> kein normaler Erzieher weltlicher Natur. Als Missionar Kuhlmann im September<br />

1905 den Lehrer Kariko auf der Haifischinsel besuchte, nannte er ihn in seinem Bericht „einen<br />

Evangelisten“. Missionar Laaf traf am Weihnachtsabend 1905 in Lüderitzbucht ein <strong>und</strong> Kariko diente<br />

ihm dann als Dolmetscher unter den Gefangenen.<br />

Angeblich musste Kariko viele Monate mit den männlichen Schwarzen hart arbeiten, hatte also kaum<br />

Zeit zur vorgesehenen Missionsarbeit. Später befreiten ihn die Deutschen von der Arbeitspflicht. Im<br />

September 1905 schrieb Kariko an seine vorgesetzten deutschen Missionare <strong>und</strong> bat um die<br />

Erlaubnis zur Heimkehr mit seinen acht Angehörigen „aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen.“<br />

Man antwortete ihm kaltschnäuzig, dass er nur dann heimkehren dürfe, wenn er einen „Ersatz-Evangelisten“<br />

anzubieten habe zur Übernahme aller Pflichten vor Ort. Der Ersatzmann ließ sich finden,<br />

Heinrich Ururus. Kariko mit Frau <strong>und</strong> Kindern bekam eine neue Position Anfang 1906 in Usakos, weil<br />

der dortige Evangelist Gottlieb zur römisch-katholischen Kirche „übergelaufen“ war. Eine Schrift der<br />

Rheinischen Mission von 1906 beschreibt Karikos Werdegang <strong>und</strong> seine „tief empf<strong>und</strong>ene Reue, als<br />

guter Christ nicht auf der Todesinsel ausgeharrt zu haben bis zum bitteren Ende wie alle anderen“.<br />

Major O´Reilly interviewte Kariko in Omaruru viele St<strong>und</strong>en <strong>und</strong> sehr genau für das Blaubuch, denn er<br />

konnte kaum einen besseren Augenzeugen mit hoher Intelligenz entdecken.<br />

Im Oktober 1906 trafen immer mehr Nama Häftlinge auf der Insel ein, zuletzt etwa 2.000 Männer,<br />

Frauen <strong>und</strong> Kinder. Ende November 1906 lebten 514 Herero auf Shark Island. Das KZ musste<br />

erweitert werden (über die ganze Insel). Man trennte die Ethnien vorsorglich voreinander wegen<br />

interner Feindseligkeit. Witbooi <strong>und</strong> Bethanier hatten lange Zeit als deutschfre<strong>und</strong>liche Hilfstruppen<br />

gegen Herero <strong>und</strong> Nama gekämpft. Nun existierten zwei Camps auf der Insel <strong>und</strong> es kam ein drittes<br />

auf dem Festland in der Hafengegend von Lüderitzbucht hinzu (nahe dem gestrandeten britischen<br />

Dampfer HMS DUNBETH). Es hieß FIRMA LENZ HEREROS (benannt nach der Bahnbaufirma Lenz<br />

<strong>und</strong> <strong>ihre</strong>m großen Arbeiterbedarf). Jene Bahnbau-Gesellschaft verfügte über mehrere Kolonnen<br />

Häftlinge: in Lüderitz, im Lenz Camp <strong>und</strong> im Aus Camp.<br />

Die Haifischinsel besteht nur aus nacktem Fels


Das Lenz Camp war ähnlich beschaffen wie das KZ auf der Insel, umgeben von Stacheldrahtzäunen.<br />

„Abordnungen“ der Gefangenen durften morgens in die Stadt ausrücken <strong>und</strong> aus Mülltonnen Speisereste<br />

einsammeln (als Vergünstigung!). Insgesamt hatten es diese Menschen etwas besser getroffen<br />

als die Inselbewohner. Sie unterstanden dem Etappenkommando unter Bewachung, obwohl die Firma<br />

Lenz gleichfalls verantwortlich zeichnete (für die Verpflegung).<br />

Prinzipiell mussten sich alle militärischen Einheiten <strong>und</strong> Einrichtungen, die Gefangene zur Arbeit benötigten,<br />

an das Etappenkommando wenden wegen einer Zuteilung. Im Hafen sollten neue Landungsbrücken<br />

<strong>und</strong> Wellenbrecher gebaut werden, um einen Tiefseehafen einzurichten. Dafür brauchte die<br />

zuständige Hafenbehörde zahllose Gefangene, mindestens 1600 kräftige Männer. Schließlich begnügte<br />

sich der Bauleiter Müller mit 300 Zwangsarbeitern, weil alle übrigen zu entkräftet waren.<br />

Es musste lebensgefährlich gesprengt werden inmitten der Felsformationen, die man auf der Insel<br />

abbaute zur „Verankerung“ der Neubauten am Hafen. Bauleiter Müller beklagte das Fehlen hilfreicher<br />

Werkzeuge aller Art, abgesehen von Sprengstoff-Nachschub. Im November 1906 <strong>und</strong> Januar 1907<br />

wandte sich Müller mehrfach an seine Vorgesetzten in Swakopm<strong>und</strong>, weil kaum noch arbeitsfähige<br />

Gefangene einsatzbereit waren:<br />

„Entgegen der Zusage, mir 1600 Leute zu überlassen, kann ich zur Zeit nur auf 30 bis 40 Nama<br />

Eingeborene zurückgreifen. Täglich sterben sieben oder acht dieser Männer. Am siebten November<br />

gingen während einer Nacht allein 17 zugr<strong>und</strong>e. Falls keine neuen leistungsfähigen Kräfte hierher<br />

entsandt werden können, muss ich alle Bauarbeiten am Hafen einstellen“.<br />

Das Gouvernement antwortete lakonisch, dass man zusätzliche Arbeiter nicht bereitstellen könne.<br />

Müller solle „energisch mehr aus den Leuten herausholen bis zum Umfallen“ (als Notlösung). Von<br />

besserer Ernährung zur Steigerung der Leistung war mit keinem Wort die Rede, nur vom Auspeitschen<br />

der angeblich arbeitsscheuen Elemente.<br />

Retuschiertes Foto von Nama Gefangenen auf der Insel


Mitte Januar 1907 war Bauleiter Müller gezwungen, sämtliche Hafenarbeiten einzustellen, weil er<br />

lediglich „Kranke <strong>und</strong> Tote“ besaß. Am 30. Januar 1907 meldete Müller das „Ende der Tätigkeit wegen<br />

höherer Gewalt“ <strong>und</strong> notierte im Tagebuch: „30. Januar. Habe die restlichen Hacken <strong>und</strong> Schaufeln<br />

dem Techniker Heintz von der Bahnbehörde übergeben“.<br />

Der Chef des Etappenkommandos, Hauptmann von Zülow, teilte jetzt Müller mit, dass den<br />

Gefangenen „eine Ruhepause bis April gegönnt“ werde, damit sie wieder mit frischen Kräften den<br />

Hafenbau vollenden dürften. In der Zwischenzeit wolle man ihnen „nur leichte Arbeiten“ beim Etappenkommando<br />

zumuten.<br />

Ab März 1905 hatte es sich eingebürgert, dass die Schutztruppe eingeborene Häftlinge als Leiharbeiter<br />

vermietete: an Privatleute, Farmer, Firmen, Händler usw. Das kostete monatlich 10 Mark<br />

Gebühren, die in die Kassen des Militärs flossen (pro Kopf). Derartige Einnahmen nannte man diskret<br />

„Kopfsteuer“ (bezogen auf Männer, Frauen <strong>und</strong> Kinder). Auch das Gouvernement sollte an dieser<br />

Einnahmequelle beteiligt werden.<br />

Gouverneur von Lindequist war sich ohne Zweifel darüber im klaren, dass alle <strong>Konzentrationslager</strong><br />

unter seiner Verantwortung die Ausrottung der unerwünschten Ethnien rasant beschleunigten.<br />

„Vernichtung durch Arbeit“ hieß die unausgesprochene Devise (durchaus vergleichbar mit der<br />

Situation im späteren Dritten Reich mit seinen KZ-Anlagen).<br />

Der deutsche Reichstag wurde mit geschönten Berichten arglistig getäuscht über die Zustände in<br />

Südwest, gestützt auf Lindequists beruhigende Erklärungen. Kolonial-Staatssekretär Dernburg<br />

besichtigte die Haifischinsel erst Mitte 1908 nach der offiziellen Schließung des Lagers <strong>und</strong> äußerte<br />

unbekümmert: „Diese Insel war gewiss kein Paradies, aber welches Gefangenenlager hat jemals<br />

paradiesische Zustände geboten? Immerhin wurde doch für die Häftlinge ausreichend gesorgt!“<br />

Bis März 1907 starben 1203 Nama Eingeborene auf der Haifischinsel: 460 Frauen <strong>und</strong> 247 Kinder<br />

neben den Männern. Im Dezember 1906 gingen 263 Häftlinge zugr<strong>und</strong>e, fast neun Prozent täglich<br />

(ohne die Herero Gefangenen laut Zählung mit ähnlicher Sterberate). Im März 1907 überlebten 450<br />

Nama von ursprünglich 2000 Nama Gefangenen, wie Missionar Laaf zu Papier brachte.<br />

Primitive Zelte als einziger Schutz


Zu den „prominenten Toten“ zählte der Bethanier Kapitän Cornelius Frederiks am 16. Februar 1907.<br />

Sein Vetter Paul Frederiks starb zwei Monate vorher. Auch Paul Frederiks Bruder, Lazarus Frederiks,<br />

fand auf der Insel den Tod.<br />

Bestattungen fanden in der Regel improvisiert statt, <strong>und</strong> die Toten hat man „irgendwo“ verscharrt, teils<br />

zwischen Felsengeröll <strong>und</strong> teils am Sandstrand. Oft genug wurden die Leichen nach einiger Zeit von<br />

der Flut frei gespült <strong>und</strong> mussten nochmals unter die Erde gebracht werden. Kein Grab erhielt eine<br />

Markierung: alle Grabstätten sind bis heute unbekannt geblieben. Überliefert ist eine „Ansichtspostkarte“<br />

mit der Unterschrift „Bestattung eines heidnischen Eingeborenen“, offensichtlich „inszeniert<br />

für den Fotografen“. Das weiße Hutband der Träger identifiziert sie als Nama. Es dürfte sich um eine<br />

Aufnahme von der Haifischinsel handeln. Auffallend ist die Uniformierung, typisch für Nama Leute.<br />

Die Tatsache, dass dieses Motiv überhaupt entstanden ist, lässt auf eine „voraus blickende Planung“<br />

(des Fotografen) schließen, der den „Tod eine Prominenten erwartete“. Mit anderen Worten: man<br />

glaubt inzwischen, dass die Aufnahme das Begräbnis des Häuptlings Cornelius Frederiks dokumentiert<br />

(mit einer würdevollen Haltung der Beteiligten). Kein gewöhnlicher Eingeborener wurde nach<br />

dem Tod derart respektiert.<br />

Major Ludwig von Estorff trug die Verantwortung für die Schließung des KZ Haifischinsel ungefähr<br />

zwei Monate nach der Beerdigung des Cornelius Frederiks in seiner Eigenschaft als Kommandeur der<br />

Schutztruppe. Die letzten Überlebenden mussten auf das Festland umgesiedelt werden <strong>und</strong> zwar in<br />

das sogenannte Burenkamp unterhalb Radford Bay in Lüderitzbucht. Im Juli, August <strong>und</strong> September<br />

starben hier 46 Nama. Der Witbooi Führer Samuel Isaak überlebte die Insel <strong>und</strong> Burenkamp. Er wurde<br />

ins Pferde-Depot Okawayo überstellt, begleitet vom Sohn Fritz Isaak. Vater Samuel starb im Juni 1915<br />

(noch als Gefangener) kurz vor dem Anrücken der südafrikanischen Truppen.<br />

Ende Februar 1916 kehrte Edward Frederiks nach Bethanien heim <strong>und</strong> wurde von den britischen<br />

Militärbehörden als Häuptling autorisiert ab 26. März 1916. Nicht nur die Herero <strong>und</strong> Nama, sondern<br />

auch die Witbooi, Bethanier <strong>und</strong> Veldschoendragers gingen zum größten Teil aus deutschem Verschulden<br />

in den Tod durch Hunger <strong>und</strong> Seuchen.<br />

Major Estorff schätzte offiziell, dass knapp 2.000 Nama in den Lagern starben. (allein auf der<br />

Haifischinsel). Hinzu kamen 517 Witboois nach <strong>ihre</strong>r Deportation von Gibeon mit dem Ziel Lüderitz<br />

(Mitte September 1906). Vor dem Aufstand der Eingeborenen umfasste die Nama Bevölkerung ungefähr<br />

20.000 Menschen.<br />

Je nach Quelle zirkulieren glaubwürdige <strong>und</strong> zweifelhafte Zahlenangaben über verstorbene Eingeborene<br />

damals wie heute. Mitte 1907 meldete Bezirksamtmann Böhmer nach Windhuk einige Daten<br />

zur Sterblichkeit von Gefangenen zwischen April 1906 <strong>und</strong> März 1907 (Lagerbewohner <strong>und</strong> Beschäftigte<br />

beim Gleisbau auf Strecke): es sollen 2219 Tote registriert worden sein. Aus heutiger<br />

Erkenntnis muss 2219 erheblich nach oben korrigiert werden.<br />

Im September 1907 erhielt der Beamte ergänzende Daten von der Bahnbaufirma mit dem Hinweis auf<br />

1359 dort verstorbene Zwangsarbeiter (Herero) von Januar 1906 bis Juni 1907. Umgerechnet 68<br />

Prozent Todesfälle beim Bahnbau. 1190 tote Herero an der Strecke von März 1906 bis April 1907<br />

lautete eine Korrektur der Firma.<br />

Das irrtümliche oder vorsätzliche Durcheinander dieser Zahlen hat keine Beweiskraft im einzelnen. Es<br />

handelte sich um mindestens 1550 Nama Tote allein in Lüderitz sowie 1190 Bahnbau Tote von März<br />

1906 bis April 1907, zusammen 2740 Tote im Bezirk Lüderitzbucht. Eine nochmalige Korrektur ergab<br />

23907 eingeborene Tote im fraglichen Bezirk. Forschungsgruppen der University of Namibia<br />

ermittelten in jüngster Vergangenheit mehr als 3.000 Todesopfer in Lüderitz von 1905 bis 1908. Es ist<br />

allerdings auch von bis zu 4.000 Toten die Rede. Zum Vergleich: die gesamte deutsche Bevölkerung<br />

in Lüderitzbucht im Januar 1907 zählte nur 979 Seelen einschließlich aller Kinder!


Die Anatomie des Teufels<br />

Zahllose Leichen der Häftlinge wurden von deutscher Seite „für Forschung <strong>und</strong> Lehre“ missbraucht,<br />

also ausgeschlachtet. Auf diese Weise entstanden Sammlungen von Schädeln <strong>und</strong> Skeletten, die<br />

noch heute in der Kellern b<strong>und</strong>erepublikanischer Kliniken <strong>und</strong> Universitäten verborgen liegen. Immer<br />

wieder forderten Sprecher des Herero Volks die Rückgabe dieser Gebeine zur Bestattung in Heimaterde:<br />

bisher vergeblich „aus organisatorischen Gründen“. Zuletzt erschien im September 2011 eine<br />

Herero Delegation in Berlin.<br />

Aufschlussreich ist hierbei die schweigsame „Distanzierung“ der gegenwärtigen Republik Namibia bei<br />

solchen Vorstößen. Das allmächtige Ovambo Regime in Windhuk hat kein Verständnis für eigenmächtige<br />

Aktionen ethnischer Minderheiten (wie Herero, Nama, Rehoboth Baster usw.) mit dem<br />

lakonischen Hinweis: „Wir kennen nur Namibier, keine Separatisten von anno dazumal“.<br />

Eine deutsche medizinische Fachzeitschrift berichtete in einem Aufsatz des Autors Christian Fetzer<br />

von 17 Hottentottenköpfen (Schädeln) <strong>und</strong> <strong>ihre</strong>r wissenschaftlichen „Auswertung“. Die Schädel wurden<br />

in Lüderitzbucht von Soldaten geöffnet, ausgeräumt <strong>und</strong> zur Konservierung in Formalin getaucht.<br />

Dann folgte der Versand nach Berlin in Kisten an die Adresse von Dr. Bartels <strong>und</strong> Christian Fetzer in<br />

deren Instituten.<br />

Vermessungsarbeiten zur Ermittlung rassischer Merkmale folgten, ebenso Gipsabgüsse <strong>und</strong> Muskel-<br />

Untersuchungen. Es sollte nachgewiesen werden, dass man es mit minderwertigen Rassen zu tun<br />

habe <strong>und</strong> dass die Weißen auf der höchsten evolutionären Stufe stehen. Die Herero <strong>und</strong> Nama<br />

wurden folglich den Menschenaffen zugeordnet. Fotos abgetrennter Köpfe der Haifischinsel Häftlinge<br />

kursierten als „Ansichtspostkarten“ in Südwestafrika <strong>und</strong> niemand fand das „zumindest unpassend“.<br />

In Swakopm<strong>und</strong> mussten weibliche Gefangene die von den Soldaten abgetrennten Totenköpfe in<br />

Töpfen auskochen <strong>und</strong> danach mit Glasscherben auskratzen, bis dass sie „versandfertig“ waren.<br />

Hirnmasse, Skalp <strong>und</strong> Augen wanderten in Abfalleimer.<br />

1914 schickte der Anthropologe Dr. Fischer aus Deutschland ein Telegramm an das Gouvernement in<br />

Windhuk <strong>und</strong> bat um eine „Lieferung Buschmann Penisse <strong>und</strong> Ohren zu Händen der Universität<br />

Freiburg im Breisgau“ (Aktenlage vom 3. Februar 1914, BKE 80, W.10a, vol. 1). Später spielte der<br />

Mumifizierter Kopf eines Hottentotten


gleiche Fischer eine unrühmliche Rolle als Rassenforscher im Dritten Reich. Es ist überliefert, dass<br />

Fischer während eines Studienaufenthalts in Rehoboth heimlich bei Nacht in Walvis Bay den dortigen<br />

Friedhof mit Gräbern von Schwarzen aufsuchte, sie schändete <strong>und</strong> sich Totenköpfe verschaffte!<br />

Peinliches Schauspiel in Berlin 2011<br />

Am 30. September 2011 erschien im Hörsaal des traditionsreichen Berliner Klinikums Charité eine<br />

Delegation aus Namibia, um 20 Schädel entgegen zu nehmen, die vor etwa h<strong>und</strong>ert Jahren aus der<br />

Kolonie Deutsch-Südwestafrika in die Reichshauptstadt verfrachtet wurden „für anatomische<br />

Forschungen“ im Universitäts-Krankenhaus,, genauer gesagt „für Zwecke der Rassenforschung“.<br />

Exzellenz Kazenambo, Minister für Kultur in Namibia, mit seinem Stab reiste an, um „ein deutsches<br />

Bekenntnis zum begangenen Unrecht“ zu hören, auch wenn dies bereits vor h<strong>und</strong>ert Jahren in der<br />

wilhelminischen Ära begangen wurde. Die Ahnen (Schädel) sollten heimgeholt werden, würdig <strong>und</strong><br />

pietätvoll.<br />

Zum Verdruss der Delegierten geriet alles anders: Eine Presse-Erklärung des Auswärtigen Amtes<br />

erwähnte lediglich „nach Deutschland verbrachte Schädel verstorbener Angehöriger der Volksgruppen<br />

Herero <strong>und</strong> Nama“ (<strong>und</strong> keine Spur von Reue oder die Bitte um Vergebung deutscher Schandtaten,<br />

wie erwartet wurde).<br />

Staatsministerin Cornelia Pieper (FDP), Sprecherin des Auswärtigen Amtes, bemühte sich um eine<br />

ausgeglichene Rede <strong>und</strong> geriet in peinliche Verlegenheit, weil sie weder „Völkermord noch<br />

Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ thematisieren durfte aus außenpolitischen Rücksichten <strong>und</strong><br />

artverwandten Überlegungen. In der Wochenzeitschrift DIE ZEIT konnte man nachlesen: „Am Ende<br />

ging der Protest gegen diese Art der offiziellen Geschichtsklitterung fast in einen Tumult über <strong>und</strong> Frau<br />

Pieper verließ grußlos den Saal“.<br />

Deutsche Soldaten der Schutztruppe verpacken eine Kiste mit Herero Schädeln auf dem Gelände des<br />

Zollschuppens Swakopm<strong>und</strong> für das Pathologische Institut Berlin, wo sie für wissenschaftliche<br />

Vermessungen verwendet werden sollten. Die Schädel stammen angeblich von erhängten oder<br />

gefallenen Hereros. (Datum der Aufnahme; 1905 oder 1906).


Im Prinzip haben sich die Charité sowie die Universität Freiburg im Breisgau bereit erklärt, alle<br />

„Präparate“ (Schädel, Skelette Eingeborener Südwestafrikas) zurück zu geben „soweit diese nachweislich<br />

in Unrechtskontexten erworben“ wurden. Hinter solcher Formulierung verbirgt sich lediglich<br />

„heiße Luft“: Wie sollte es heutzutage noch möglich sein, den Schädel-Import von anno dazumal aufzuschlüsseln<br />

in rechtmäßige oder unrechtmäßige Ankäufe aus den schmutzige Händen skrupelloser<br />

Leichenfledderer?<br />

Der Vorstandsvorsitzende der Charité, Professor K.M. Einhäupl, entschuldigte sich (im Gegensatz zur<br />

hilflosen Ministerin) klar <strong>und</strong> deutlich für das Verhalten der deutschen Wissenschaftler vor h<strong>und</strong>ert<br />

Jahren, denn noch 1992 hatte der damalige Kustos der anthropologischen Charité Sammlung<br />

bestritten, dass die fragliche Kollektion überhaupt „verdächtige Objekte“ umfasse.<br />

Die Herero Repräsentanten verhandelten seit 2008 mit den Charité Professoren <strong>und</strong> die Freiburger<br />

seit 2010 „hinhaltend". Eine gr<strong>und</strong>sätzliche Frage ist nach wie vor ungelöst: Niemand weiß zuverlässig,<br />

wem die vorhandenen Schädel <strong>und</strong> Skelette zuzuordnen sind, denn es fehlen ordentliche<br />

Etiketten mit Daten. Die Frankfurter Johann Wolfgang Goethe Universität besitzt eine anthropologische<br />

Sammlung mit 12.000 Skeletten vom zweiten Jahrh<strong>und</strong>ert nach Christus bis in die<br />

Gegenwart. Genaue Daten fehlen. In Dresden verfügt das Völkerk<strong>und</strong>e Museum angeblich „über<br />

wenige Schädel aus den Kolonien“<br />

Aus der deutschen Kolonialpresse ist zu entnehmen, dass man in der Kolonie Deutsch-Neuguinea<br />

„drei Köpfe von hingerichteten Mördern“ nach Freiburg auslieferte, um der Wissenschaft dienlich zu<br />

sein. Der Regierungsarzt Dr. Wilhelm Wendland trennte die Köpfe nach der Erschießung vom Rumpf<br />

<strong>und</strong> legte sie in Spiritus zur Haltbarmachung. Gouverneur Hahl sorgte für die Lieferung nach<br />

Deutschland.<br />

Zu den eifrigsten Schädelsammlern gehört ohne Zweifel Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg, eine<br />

prominente Persönlichkeit der deutschen Kolonialgeschichte, der 1907 <strong>und</strong> 1908 eine ausgedehnte<br />

Expedition durch Ost- <strong>und</strong> Zentralafrika anführte <strong>und</strong> dabei mehr als tausend Schädel Eingeborener<br />

„beschaffte“ (ohne Details zu notieren). Der Herzog glänzte nach dem Ersten Weltkrieg als<br />

Vizepräsident der Deutschen Kolonialgesellschaft sowie nach dem Zweiten Weltkrieg als Präsident<br />

des Nationalen Olympischen Komitees (1949 – 1951). Seine „F<strong>und</strong>e aus der Kolonialzeit“ liegen<br />

ebenfalls in der Charité gebunkert.<br />

Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg<br />

lieferte mehr als tausend Schädel <strong>und</strong><br />

Skelette afrikanischer Eingeborener an<br />

medizinische Institute in Deutschland<br />

im Zusammenhang mit seinen zahlreichen<br />

Expeditionen.<br />

Auf welche Weise er sich die Objekte<br />

verschaffte, ist in der Literatur aber<br />

nirgendwo erläutert <strong>und</strong> regt zu<br />

furchtbaren Spekulationen an.


Wie man in der ZEIT resümierte, lehnt die gegenwärtige B<strong>und</strong>esregierung „jedes Engagement“ ab <strong>und</strong><br />

beantwortete eine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom August 2011 wie folgt: „Auch wenn durchaus<br />

noch Raum für weitere Forschung (nach der Herkunft vieler Schädel usw.) vorhanden sein mag, so<br />

sieht die B<strong>und</strong>esregierung keine Notwendigkeit für ein von staatlicher Seite aufgelegtes diesbezügliches<br />

Forschungsprogramm“.<br />

(Quellen zu den Berliner Ereignissen: DIE ZEIT vom 13. Oktober 2011, Autoren Reinhard Kößler,<br />

Professor für Soziologie in Münster <strong>und</strong> Forscher am Arnold Bergsträsser Institut zu Freiburg, sowie<br />

Heiko Wegmann, Sozialwissenschaftler in Freiburg: Ähnliche Berichte in der Frankfurter R<strong>und</strong>schau<br />

<strong>und</strong> in der taz (Berlin).<br />

Wer hat was über die Schädel Depots geäußert?<br />

Die deutsche <strong>und</strong> ausländische Presse berichteten vielfach widersprüchlich über ein Ereignis, das am<br />

30. September 2011 im Hörsaal des Berliner Klinikums Charité stattfand. Es wurden 20<br />

südwestafrikanische Schädel dort verstorbener Eingeborener des Herero <strong>und</strong> Nama Volks aus den<br />

Jahren 1904 bis 1907 an Vertreter der gegenwärtigen Regierung Namibias übergeben, nachdem<br />

diese Totenköpfe vor h<strong>und</strong>ert Jahren von deutschen Kolonialbehörden „zu Forschungszwecken“ nach<br />

Berlin verschickt worden waren.<br />

Zitat aus der Windhuker Zeitung THE NAMIBIAN: Es nahmen etwa 2.000 Vertreter von Herero <strong>und</strong><br />

Nama Clans an der Trauerfeier auf dem sogenannten Heldenacker in einem Außenbezirk Windhuks<br />

teil. Der Herero Sprecher Alfons Maharero erklärte, die Rückkehr der Schädel „sei ein starker Beweis<br />

dafür, dass Namibia einen Gr<strong>und</strong> für die Forderung nach einer Wiedergutmachung für den von<br />

Deutschland während der Kolonialherrschaft begangenen Völkermord habe“.<br />

Alfons Maharero ist ein Nachkomme von Samuel Maharero, der den Herero Aufstand ab Januar 1904<br />

anführte: „Der unfre<strong>und</strong>liche Empfang der namibischen Delegation in Berlin sei erniedrigend<br />

gewesen“.<br />

Nachkomme Alfons Maharero in Berlin


Nama Chief David Fredericks: Es ist der B<strong>und</strong>esregierung vorzuwerfen, dass sie <strong>ihre</strong> historische<br />

Verantwortung leugnet. Die Regierung sieht uns immer noch als menschenunwürdige Objekte an.“<br />

Botschafter Kochanke BRD: Er erinnerte daran, dass die ehemalige Ministerin für Entwicklungshilfe,<br />

Heidemarie Wieczorek-Zeul, sich im Jahr 2004 bei den Namibiern bzw. Herero entschuldigt habe.<br />

Diese Entschuldigung sei damals angenommen worden. „Sie reichte <strong>ihre</strong> Hand <strong>und</strong> sie wurde<br />

genommen“.<br />

Kochanke: „Gestatten Sie mir, an der Trauer über dieses tragische Geschehen vor langer Zeit teil zu<br />

haben. Ich verneige mich <strong>und</strong> drücke mein tiefes Bedauern aus. Allerdings unterhält meine Regierung<br />

keine Sonderbeziehungen zu einzelnen ethnischen Gruppierungen wie Herero <strong>und</strong> Nama“.<br />

In Berlin äußerte Hans-Christian Ströbele, Abgeordneter der GRÜNEN: „Ich habe kein Verständnis<br />

dafür, dass die B<strong>und</strong>esregierung den Völkermord nicht als solchen anerkennt. Selbst wenn es das<br />

Risiko einer juristischen Klage geben sollte, muss Deutschland den Völkermord so benennen, denn<br />

nur dann kann Deutschland offiziell bei den Herero <strong>und</strong> Nama um Verzeihung bitten“.<br />

Kazenambo Kazenambo, Minister für Jugendfragen in Namibia: „18 Schädel bei der heutigen<br />

Übergabe stammen aus dem <strong>Konzentrationslager</strong> Haifisch Insel bei Lüderitzbucht von Gefangenen<br />

des Nama Volks“.<br />

Katuutire Kaura, Abgeordneter des namibischen Parlaments: „Die deutsche Regierung ignoriert uns<br />

vollständig. Unser Minister für nationale Angelegenheiten wird nicht die Übergabe-Urk<strong>und</strong>e<br />

unterzeichnen, weil kein gleichrangiger Vertreter der deutschen Regierung hier anwesend ist“. (Es<br />

unterschrieb danach eine Vertreterin des Namibischen Rates für das Nationale Erbe die Urk<strong>und</strong>e<br />

gemeinsam mit Professor Dr. Karl Max Einhäuptl von der Charité).<br />

Staatsministerin Cornelia Pieper (FDP): „Ich bitte das namibische Volk im Namen der deutschen<br />

Regierung um Versöhnung!“<br />

Nikolai Röschert, Deutsche Sektion AFRIC AVENIR: „Die B<strong>und</strong>esregierung befürchtet als Folge einer<br />

vielfach erwünschten offiziellen Entschuldigung <strong>und</strong>/oder Bitte um Vergebung, dass dadurch<br />

einklagbare Reparationsforderungen geschaffen werden könnten. Hinzu komme womöglich die Angst<br />

vor der Rückgabe geraubter Kulturgüter aus der Kolonialzeit. Der namibische Präsident Pohamba hat<br />

sich bereits geäußert, dass „weitere Objekte namibischen Ursprungs in Deutschland identifiziert <strong>und</strong><br />

heimgeholt werden müssten“.<br />

Namibias Staatsoberhaupt Pohamba 2011


(Anmerkung: Sprachlich betrachtet ist der Begriff „Entschuldigung“ hier absolut unpassend <strong>und</strong> ein<br />

abgestumpfter Verlegenheitsausdruck offizieller Sprecher ohne Substanz. Zutreffend wäre allein eine<br />

„Bitte um Vergebung oder Verzeihung“, wie in christlichen Gemeinden üblich <strong>und</strong> sinnvoll. („Und<br />

vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben ...“)<br />

Rückkehr der Schädel in Windhuk: Zeremonien


Ist das Völkerrecht eher schlecht als recht?<br />

Zur Zeit der südwestafrikanischen <strong>Konzentrationslager</strong> gab es bereits internationale Gesetze zum<br />

Schutz der zivilen Bevölkerung während kriegerischer Auseinandersetzungen, doch nahm sie kaum<br />

eine Nation ernst. Es genügt bereits der Hinweis auf die britischen Concentration Camps im<br />

Burenkrieg um 1900.<br />

Die Zweite Haager Landkriegsordnung aus dem Jahr 1899 behandelte den Umgang mit Kriegsgefangenen,<br />

unterzeichnet von Kaiser Wilhelm II. <strong>und</strong> anderen Majestäten.<br />

Gemäß Kapitel 2, Artikel 5 sowie 6 <strong>und</strong> 7 war die Unterbringung von Kombattanten (Kämpfern) in<br />

Lagern nur dann gestattet, wenn dies aus Gründen der Sicherheit unerlässlich erscheint. Arbeitspflichtige<br />

Kriegsgefangene mussten den üblichen Lohn für <strong>ihre</strong> Tätigkeit erhalten. Jede Art von<br />

Beschäftigung unter solchen Umständen durfte nur angemessen sein <strong>und</strong> keine militärischen Zwecke<br />

verfolgen.<br />

Verpflegung, Unterkunft <strong>und</strong> Kleidung musste dem Niveau der gegnerischen Partei entsprechen bzw.<br />

<strong>ihre</strong>r Streitkräfte. Regelungen der Landkriegsordnung blieben jedoch in Deutsch-Südwestafrika unbeachtet.<br />

Am 3. Februar 1909 erklärte General Lothar von Trotha in einem Zeitungsinterview: „Unser<br />

Kampf in Afrika kann nicht gemäß der Genfer Konvention geführt werden!“<br />

Warum die Herero überall abgewiesen werden<br />

Die beschämenden Ereignisse zu Berlin im September 2011 mögen den meisten Lesern<br />

unverständlich erscheinen, haben jedoch komplizierte innen- <strong>und</strong> außenpolitische Ursachen.<br />

Nach der Unabhängigkeitserklärung der Republic of Namibia im Jahr 1990 <strong>und</strong> dem<br />

überwältigenden Wahlsieg der tribalistischen Ovambo bzw. SWAPO Machthaber glaubten<br />

viele ethnische Minderheiten im ehemaligen Mandatsgebiet Südwestafrika an eine<br />

„demokratische Kompetenzverteilung“ <strong>und</strong> wurden bitter enttäuscht.<br />

Vor allem das Volk der Herero fühlte sich „wieder erstarkt“ <strong>und</strong> dachte, dass die neuen<br />

Staatsmänner marxistisch-leninistischer Schulung Verständnis für begrenzte Autonomie-<br />

Bestrebungen aufbringen würden. Genau das Gegenteil war der Fall.<br />

SWAPO Chef Sam Nujoma duldete keine Separatisten nach dem Motto: „Ab sofort gibt<br />

es nur noch Namibier <strong>und</strong> keine Herero, Rehoboth Baster, Damara, Buschleute <strong>und</strong> so<br />

weiter!“ Wer protestierte, hatte nichts (mehr) zu lachen.<br />

Dessen ungeachtet (<strong>und</strong> unbelehrbar) verfolgten die Herero Organisationen eigene Ziele:<br />

Sie forderten von der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland erhebliche Zahlungen als Wiedergutmachung<br />

wegen des Völkermords vor h<strong>und</strong>ert Jahren <strong>und</strong> gingen sogar in den USA<br />

vor Gericht, um ihr Ansinnen einzuklagen.<br />

Nirgendwo fanden die Kläger Gehör: weder in Bonn noch in Berlin oder in New York, weil<br />

<strong>ihre</strong> Vorstellungen völkerrechtlich unhaltbar erschienen <strong>und</strong> sich die namibische Regierung<br />

in Windhuk von allem distanzierte.<br />

Nun griffen die Herero ein anderes Thema auf: Sie wünschten die Rückgabe der Schädel<br />

<strong>und</strong> Gebeine <strong>ihre</strong>r ermordeten Vorfahren, die in den Kellern vieler deutscher Universitäten<br />

<strong>und</strong> Forschungseinrichtungen als einstige „Studienobjekte“ vermodern. Auch in<br />

diesem Zusammenhang hielt sich Namibia offiziell zurück aus innenpolitischen Motiven.<br />

Die gegenwärtigen Herero haben sich auf einen Kampf gegen Windmühlen eingelassen,<br />

gegen die Macht des Vergessenwollens, <strong>und</strong> werden ihn wahrscheinlich verlieren...


Die Regelungen (Landkriegsordnung <strong>und</strong> Konvention) traten offiziell <strong>und</strong> international verbindlich am<br />

4. September 1900 in Kraft, während der Herero Aufstand drei Jahre danach ausbrach. Das Wohlbefinden<br />

der Kriegsgefangenen war also Sache des Gouvernements <strong>und</strong> der Schutztruppe.<br />

Festzustellen bleibt: die kriegsgefangenen Herero (<strong>und</strong> andere Eingeborene) bedrohten niemand nach<br />

<strong>ihre</strong>r Entwaffnung. Zweitens mussten sie bis zur tödlichen Erschöpfung arbeiten. Drittens erhielten sie<br />

niemals Lohn. Viertens mussten Frauen <strong>und</strong> Kinder Zwangsarbeit leisten. Fünftens waren die gefangenen<br />

Herero nicht den deutschen Angehörigen der Schutztruppe gleichgestellt bezogen auf<br />

Verpflegung, Unterkunft <strong>und</strong> Kleidung.<br />

Die in den <strong>Konzentrationslager</strong>n festgehaltenen Herero zählten nach deutscher Rechtsauffassung zur<br />

Kategorie der „Kriegsgefangenen“, ohne nach internationaler Rechtsprechung <strong>und</strong> Rechtsauslegung<br />

dieser Klassifizierung zu entsprechen, da es sich in der Mehrzahl um Frauen <strong>und</strong> Kinder handelte<br />

(weniger um Männer). Weibliche Personen <strong>und</strong> Kinder durften nicht als Kombattanten eingestuft<br />

werden (wie geschehen).<br />

Die angeblichen Kriegsgefangenen vom Volksstamm der Witboois, Veldshoendragers <strong>und</strong> Bethanier<br />

hatten Vereinbarungen mit deutschen Offizieren getroffen, sich frei bewegen <strong>und</strong> eigenes Vieh<br />

versorgen zu dürfen, doch hat man sie nicht anders als die Herero behandelt.<br />

Die Angaben im britischen Blaubuch von Major O ´Reilly aus dem Jahr 1918 sind deshalb<br />

unanfechtbar zu nennen:<br />

„Nachdem General von Trotha heimgereist war <strong>und</strong> andere die Verantwortung für die eingeborenen<br />

Gefangenen zu übernehmen hatten einschließlich aller Frauen <strong>und</strong> Kinder, sei es als Hafenbau-<br />

Arbeiter in Lüderitzbucht <strong>und</strong> Swakopm<strong>und</strong> sowie als Gleisbau-Arbeiter, sind schließlich 60 Prozent<br />

dieser Menschen durch Hunger, Krankheiten <strong>und</strong> Misshandlungen umgekommen. Außerdem fielen<br />

sie dem lebensfeindlichen Klima an der Meeresküste zum Opfer. Sie waren dazu verurteilt<br />

auszusterben!“<br />

Herero Demonstration in Windhuks Straßen


Quellen<br />

Erichsen, C.W.: Concentration Camps and POW in Namibia 1904 – 1908<br />

(Leiden 2005)<br />

National Archives of Namibia<br />

Bayer, M.: Der Krieg in Südwestafrika <strong>und</strong> seine Bedeutung für die Kolonie<br />

(Leipzig 1906)<br />

Bley, H.: South West Africa <strong>und</strong>er German Rule<br />

(London 1971)<br />

Estorff, L.: Wanderungen <strong>und</strong> Kämpfe in Südwestafrika<br />

(Windhuk 1996)<br />

Hintrager, O.: Südwestafrika in deutscher Zeit<br />

(München 1955)<br />

Pool, G.: Der Herero Aufstand 1904 – 1907<br />

(Kapstadt 1979)<br />

Rafalski, H.: Vom Niemandsland zum Ordnungsstaat<br />

(Berlin 1930)<br />

Report on the Natives of SWA and Their Treatment by Germany<br />

(London 1918)<br />

Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags<br />

Zimmerer, J.: Kriegsgefangene im Kolonialkrieg<br />

(Köln 1999)<br />

Evangelical Lutheran Church ob Namibia<br />

(Rhenish Mission Society Archives Wuppertal)<br />

Cape Archives<br />

(British Embassy Berlin 1906/1907)<br />

B<strong>und</strong>esarchiv Berlin <strong>und</strong> Koblenz<br />

Public Records Office London<br />

African Studies Center Research Reports<br />

Sam Cohen Library Swakopm<strong>und</strong><br />

DIE ZEIT<br />

(Hamburg 2011)<br />

taz<br />

(Berlin 2011)<br />

Frankfurter R<strong>und</strong>schau<br />

(Frankfurt am Main 2011)<br />

Zeller, J.: Völkermord in Deutsch-Südwestafrika 1904 – 1908<br />

(Berlin 2003)<br />

Deutsche Kolonialzeitung Berlin


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