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Florian Krautkrämer Was der Film von seinem Paratext weiß

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»<strong>Was</strong> wissen Medien?« Jahrestagung <strong>der</strong> Gesellschaft für Medienwissenschaft, 2. – 4. Oktober<br />

2008, Institut für Medienwissenschaft, Ruhr-Universität Bochum. Alle Rechte liegen bei den Autorinnen und<br />

Autoren. Bei Verwendung bitte Quellennachweis angeben: »Vortrag im Rahmen <strong>der</strong> Jahrestagung <strong>der</strong> Gesellschaft für Medienwissenschaft "<strong>Was</strong><br />

wissen Medien?" 2. – 4. Oktober 2008, Institut für Medienwissenschaft, Ruhr-Universität Bochum« http://redax.gfmedienwissenschaft.de/<br />

webcontent/files/2008-abstracts/<strong>Krautkrämer</strong>_<strong>Paratext</strong>e_GfM2008.pdf<br />

<strong>Florian</strong> <strong>Krautkrämer</strong><br />

<strong>Was</strong> <strong>der</strong> <strong>Film</strong> <strong>von</strong> <strong>seinem</strong> <strong>Paratext</strong> <strong>weiß</strong> 1<br />

Seit Genettes Buch <strong>Paratext</strong>e erschienen ist, hat es zahlreiche Übertragungsversuche dieser Kategorie in die<br />

<strong>Film</strong>– und Medienwissenschaften gegeben. <strong>Paratext</strong>e, das sind bei Genette, <strong>der</strong> diesen Begriff anhand <strong>von</strong> und<br />

für die Literatur entwickelte, u.a. <strong>der</strong> Name des Autors, <strong>der</strong> Werktitel, ein Vorwort, Anmerkungen, aber auch <strong>der</strong><br />

Umschlag und die Typographie. Alles, was „nicht ohne Verlust einer bestehenden Kategorie (hier dem Text)<br />

zugewiesen werden kann“ (Genette 2001, 313), diesen aber in einem weiteren Sinne kommuniziert. Dabei hat<br />

Genette selbst vorgeschlagen, diesen Begriff auch für an<strong>der</strong>e Bereiche als den <strong>der</strong> Literatur zu öffnen: „etwa <strong>der</strong><br />

Titel in <strong>der</strong> Musik o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> bildenden Kunst, die Signatur in <strong>der</strong> Malerei, <strong>der</strong> Vorspann im Kino, sämtliche<br />

Anlässe zu einem auktorialen Kommentar in Ausstellungskatalogen, Vorworte zu Partituren […], Plattenhüllen“<br />

(Genette 2001: 388). Diese Offenheit sowie das erstarkte Interesse <strong>der</strong> <strong>Film</strong>wissenschaft für die <strong>Film</strong>werbung<br />

Ende <strong>der</strong> 80er Jahre garantierte Genette den Erfolg seines Konzepts ebenfalls in dieser Disziplin. So finden sich<br />

inzwischen zahlreiche Arbeiten, die die paratextuellen Elemente im <strong>Film</strong> und in den Medien kategorisieren und<br />

untersuchen. Die Zuordnungen schließen Elemente wie <strong>Film</strong>werbung, Kritik, Plakat (bspw. cf. Hediger 2004,<br />

287), Programmverbindungen im Fernsehen (bspw. cf. Bleicher 2004, 246), Zwischentitel (bspw. cf. Nitsche<br />

2002, 63) o<strong>der</strong> das <strong>Film</strong>material selbst (bspw. cf. Böhnke 2007, 28) ein. Dabei hat man sich weitestgehend<br />

darauf geeinigt, die strengen Kriterien Genettes unberücksichtigt zu lassen. Seine For<strong>der</strong>ung, dass Werk- und<br />

<strong>Paratext</strong>autor identisch sein sollten, wird hier kaum berücksichtigt. Aufgrund <strong>der</strong> allgemein angenommenen<br />

multiplen Autorschaft beim <strong>Film</strong>, kann auch <strong>der</strong> <strong>Paratext</strong> seine eigene Autoren haben. Außerdem wendet man die<br />

Kategorie in den Medienwissenschaften nicht mehr nur für Kunstwerke an, was für Genette noch<br />

selbstverständlich war:<br />

»[…] le paratexte, cette frange aux limites indécises qui entourne d‘un halo pragmatique l‘oeuvre<br />

littéraire – et, par une extension sans doute légitime du terme, toutes sortes d‘oeuvres d‘art – et qui<br />

assure, en des occasions et par des moyens divers, l‘adaption réciproque de cette oeuvre et son public«<br />

(Genette 1987, 3).<br />

M.E. ist eine pauschale Klassifikation bestimmter Elemente in den Medien als <strong>Paratext</strong> nicht möglich. Eine<br />

Kategorisierung dieser o<strong>der</strong> jener Elemente als dem <strong>Paratext</strong> zugehörig ist vielmehr eine diskursive<br />

Entscheidung und verdeutlicht eine bestimmte Sichtweise des jeweiligen Autors auf das Medium. So zeugt die<br />

Einordnung des Zwischentitels zum <strong>Paratext</strong> bspw. <strong>von</strong> einer Bildfixierung beim Stummfilm, die da<strong>von</strong> ausgeht,<br />

dass man den Zwischentitel zum besseren Verständnis <strong>der</strong> Handlung benötigt. Ebenso problematisch ist die<br />

Subsumierung des <strong>Film</strong>materials als direkte Analogie zur Typographie, da Genette die Visualität typographischer<br />

1<br />

Der Vortrag basiert auf einer ausführlicheren Bearbeitung des Themas, die 2009 im Schüren-Verlag erscheinen wird, in: Andrzej Gwóźdź<br />

(Hg): <strong>Film</strong> als Baustelle. Das Kino und seine <strong>Paratext</strong>e.<br />

1


Dispositive 2 vernachlässigt. Genette selbst sieht eine Pauschalisierung des Begriffs zumindest an einigen Stellen<br />

seines Buches ähnlich problematisch:<br />

»›Der‹ <strong>Paratext</strong> existiert genau genommen nicht, man entschließt sich vielmehr dazu, aus Gründen <strong>der</strong><br />

Methode und Effizienz o<strong>der</strong>, wenn so will, <strong>der</strong> Rentabilität <strong>von</strong> einer bestimmten Zahl <strong>von</strong><br />

Gepflogenheiten und Wirkungen in diesen Begriffen zu sprechen. Die Frage lautet also nicht, ob die<br />

Anmerkung zum <strong>Paratext</strong> ›gehört‹ o<strong>der</strong> nicht, son<strong>der</strong>n ob es <strong>von</strong> Vorteil und Relevanz ist o<strong>der</strong> nicht, sie<br />

als solche zu betrachten«. (Genette 2001, 327)<br />

Beson<strong>der</strong>s im Fall <strong>der</strong> Anmerkung tut sich Genette schwer damit, eine eindeutige Lösung zu finden und versucht,<br />

verschiedene Anmerkungen zu unterscheiden, die entwe<strong>der</strong> zum Text o<strong>der</strong> zum <strong>Paratext</strong> gehören und manchmal<br />

sogar „ eher zum Text“ (ebd: 213; Hervh FK). Genette bezeichnet die Anmerkung als „ sehr unbestimmten<br />

Randbereich zwischen Text und <strong>Paratext</strong>“ (ebd), also ein Dazwischen zwischen Text und Dazwischen, was einen<br />

interessanten Einschub darstellt und das Feld für weitere Öffnungen bearbeitet. Von dieser Art war auch die<br />

Frage, die die Literaturwissenschaftlerin Randa Sabry in einem <strong>von</strong> Genette herausgegebenen Son<strong>der</strong>band zum<br />

<strong>Paratext</strong> stellte: „Quand le texte parle de son paratexte“ (Sabry 1987). Eine auf den ersten Blick wi<strong>der</strong>sprüchliche<br />

Frage, wird doch <strong>der</strong> Text erst durch den <strong>Paratext</strong> zum Buch 3 , so dass <strong>der</strong> Text nicht <strong>von</strong> <strong>seinem</strong> <strong>Paratext</strong><br />

sprechen kann, da dieser zeitlich nachgelagert ist. Er kommuniziert den im Grunde unverän<strong>der</strong>baren Text und<br />

passt sich zwischen diesem und den Rezipienten den jeweils aktuellen Lesegewohnheiten an:<br />

»Der Text ist unwandelbar und als solcher außerstande, sich an die Verän<strong>der</strong>ungen seines Publikums in<br />

Raum und Zeit anzupassen. Der flexiblere, wendigere, immer überleitende, weil transitive <strong>Paratext</strong> ist<br />

gewissermaßen ein Instrument <strong>der</strong> Anpassung: deshalb jene ständige Modifikationen an <strong>der</strong><br />

›Präsentation‹ des Textes (das heißt an seiner Daseinsweise in <strong>der</strong> Welt)« (Genette 2001, 389).<br />

Sabry bespricht vier Kategorien, in denen im Text vom <strong>Paratext</strong> gesprochen wird. Es geht ihr dabei um Stellen,<br />

an denen <strong>der</strong> Text ein Bewusstsein da<strong>von</strong> demonstriert, ein Buch zu sein (cf. Sabry 1987, 84), indem bspw. <strong>der</strong><br />

Name des Autors im Text auftaucht 4 , ohne dass <strong>der</strong> Autor dabei explizit <strong>von</strong> sich selbst als Verfasser <strong>der</strong><br />

vorliegenden Zeilen spricht. Sabry erkennt darin selbstreferentielle Momente, da <strong>der</strong> Name eine Art Signatur<br />

darstellt, die erst in Verknüpfung mit dem Außen eine gewissen Bedeutung erlangt. Eine weitere Kategorie liegt<br />

vor, wenn vorgegeben wird, dass das Buch <strong>von</strong> einer Person <strong>der</strong> Diegese gefunden o<strong>der</strong> gar geschrieben wurde.<br />

Der Übertrag <strong>der</strong> Frage auf den <strong>Film</strong> verdeutlicht die Schwierigkeit, diesen Begriff und sein Kriterium zu<br />

übernehmen: durch den <strong>Paratext</strong> wird <strong>der</strong> Text zum Buch, was aber wären beim <strong>Film</strong> die Äquivalente zu „Text“<br />

und „Buch“? Ist es nicht viel mehr so, dass <strong>der</strong> <strong>Paratext</strong> den <strong>Film</strong> zur Kinoaufführung macht, o<strong>der</strong> zum Teil eines<br />

Fernsehprogramms o<strong>der</strong> zu einer DVD? In diesem Fall könnte man dann auch den Textbegriff wie<strong>der</strong> fallen<br />

lassen und weiter <strong>von</strong> einem <strong>Film</strong> sprechen, dessen Einheit jeweils an<strong>der</strong>s innerhalb eines bestimmten medialen<br />

Systems mittels <strong>der</strong> <strong>Paratext</strong>e konstituiert werden müsste. Diese Überlegung entspräche auch dem Medium <strong>Film</strong>,<br />

da sie die Verän<strong>der</strong>barkeit des <strong>Film</strong>s beim Transfer <strong>von</strong> einer Erscheinungsform in die an<strong>der</strong>e betont und eben<br />

nicht, wie Genette <strong>von</strong> einem unwandelbaren Text ausgeht, <strong>der</strong> als solcher außerstande ist, „sich an die<br />

Verän<strong>der</strong>ungen seines Publikums in Raum und Zeit anzupassen“ (Genette 2001: 389).<br />

Folgende Analogie zu Sabrys Beispiel verdeutlicht die Problematik: In vielen seiner <strong>Film</strong>e hat Hitchcock selbst<br />

einen kurzen Auftritt. Wie bei den literarischen Beispielen Sabrys steht auch sein Erscheinen in keinem expliziten<br />

Bezug zum Autor. So bezeichnet auch de Mourgues Hitchcocks Auftritte als Signatur des Körpers (cf. de<br />

Mourgues 1994: 86), wird dabei doch nicht erwähnt, dass es sich hierbei um den Regisseur des <strong>Film</strong>s handelt.<br />

2<br />

Zum typographischen Dispositiv siehe Wehde 2000: 119.<br />

3<br />

„Der <strong>Paratext</strong> ist also jenes Beiwerk, durch das ein Text zum Buch wird und als solches vor die Leser und, allgemeiner, vor die<br />

Öffentlichkeit tritt.“ (Genette 2001, 10)<br />

4<br />

Bspw. im XXX. Gesang des Läuterungsberges bei Dantes Göttlicher Komödie: „Dante, ob auch Virgil hinweg sich kehrte, / Nicht weine<br />

mehr, nicht wein‘ ob dieser Tat; Du musst nun weinen unterm an<strong>der</strong>en Schwerte.“ (Dante 1955 [ca. 1320]: 266)<br />

2


Beim Buch steht <strong>der</strong> Name des Autors üblicherweise auf dem Umschlag, so dass <strong>der</strong> Leser den Bezug allein mit<br />

dem Buch und <strong>der</strong> Kongruenz <strong>der</strong> beiden Namensnennungen herstellen kann. Um Hitchcock als Regisseur des<br />

<strong>Film</strong>s zu identifizieren, benötigt man jedoch aufgrund des Unterschiedes <strong>von</strong> Schrift und Bild zusätzliche<br />

<strong>Paratext</strong>e.<br />

Doch zurück zur Ausgangsfrage, wann <strong>der</strong> <strong>Film</strong> <strong>von</strong> <strong>seinem</strong> <strong>Paratext</strong> spricht, bzw., was er da<strong>von</strong> <strong>weiß</strong>. Die<br />

verschiedenen Fälle möchte ich hierfür zunächst in drei Bereiche auffächern: den <strong>der</strong> Selbstreflexion, wenn <strong>der</strong><br />

<strong>Film</strong> also vom <strong>Paratext</strong> spricht, den des impliziten <strong>Paratext</strong>es, was sich in <strong>der</strong> Frage wi<strong>der</strong>spiegelt, was <strong>der</strong> <strong>Film</strong><br />

vom <strong>Paratext</strong> <strong>weiß</strong> und zuletzt den des integrierten <strong>Paratext</strong>es.<br />

Der erste Punkt betrifft Beispiele, wie die Eingangssequenz <strong>von</strong> Vertovs Mann mit <strong>der</strong> Kamera (UdSSR, 1929)<br />

o<strong>der</strong> das <strong>Film</strong>plakat am Ende <strong>von</strong> Singin‘ in the Rain (Stanley Donen, Gene Kelly, USA 1952): selbstreflexive<br />

Momente, wie sie Sabry in ihrem Aufsatz auch für die Literatur aufgezeigt hat, und die hier nicht weiter verfolgt<br />

werden sollen.<br />

Bezüglich des impliziten Wissens des <strong>Film</strong>s <strong>von</strong> <strong>seinem</strong> <strong>Paratext</strong> haben Justin Wyatt und Vinzenz Hediger in<br />

ihren Untersuchungen zur <strong>Film</strong>werbung gezeigt, dass beim <strong>Film</strong> die Werbung schon lange vor <strong>der</strong> Produktion<br />

beginnt und sich mitunter strukturell in den <strong>Film</strong> selbst hinein verlagert. Man spricht dann <strong>von</strong> marketing-hooks,<br />

<strong>von</strong> Elementen, die für den <strong>Film</strong> produziert werden, um seine Vermarktbarkeit zu verbessern. Dieser Logik<br />

folgend <strong>weiß</strong> eine bestimmte Art <strong>von</strong> <strong>Film</strong>en recht viel <strong>von</strong> ihrem <strong>Paratext</strong> – und zu ihnen gehören nicht nur die<br />

Blockbuster und die High Concept <strong>Film</strong>e son<strong>der</strong>n längst auch die Independent Produktionen (cf Iversen 2005).<br />

Um überhaupt finanziert zu werden, benötigen viele <strong>Film</strong>e ein so genanntes pre-sold-property, das sind Stars,<br />

Songs und Prequels, mit denen sich die Gel<strong>der</strong> für die Produktion einwerben lassen. Die<br />

Vermarktungsmöglichkeit ist eines <strong>der</strong> wichtigsten Kriterien bei <strong>der</strong> Produktion eines <strong>Film</strong>s, das Wissen um den<br />

<strong>Paratext</strong> also <strong>von</strong> Anfang an dabei, wodurch sich die Hierarchie <strong>von</strong> Text und <strong>Paratext</strong> tendenziell umkehren<br />

kann. So ist für Marli Dschen <strong>der</strong> <strong>Film</strong> Jurassic Parc (Steven Spielberg, USA 1995) aufgrund seiner Fokussierung<br />

auf die tie-ins ein „merchandising property, dessen milliardenschwere Vermarktung als Auslöser lediglich eines<br />

Kinoereignisses bedurfte. […] ein Werbespot <strong>von</strong> zwei Stunden Länge zwecks Produkt-Promotion.“ (Dschen<br />

1995, 250).<br />

Der implizite <strong>Paratext</strong> ist im fertigen <strong>Film</strong> als solcher nicht mehr zu erkennen. Die für die bessere Vermarktung<br />

produzierten Szenen und gecasteten Stars sind nun integrale Bestandteil des fertigen <strong>Film</strong>s. Bei Jurassic Park<br />

findet sich zudem auch ein integrierter <strong>Paratext</strong>, d.h. dieser wird als solcher im <strong>Film</strong> ausgestellt, zum einen in <strong>der</strong><br />

Verbindung des key-art–signets des <strong>Film</strong>s mit dem diegetischen Jurassic–Park-Logo als auch an einer Stelle, in<br />

<strong>der</strong> die Kamera durch eine Verkaufshalle des Parks schwenkt und dabei die Souvenirs abfährt, die es auch für<br />

den <strong>Film</strong> zu kaufen gibt.<br />

Dieses Ausstellen <strong>der</strong> <strong>Paratext</strong>e im <strong>Film</strong>, das nachdrückliche Insistieren auf klassischerweise außerhalb des<br />

eigentlichen <strong>Film</strong>s liegende Elemente, möchte ich die Integration des <strong>Paratext</strong>es nennen. Bei Genette soll <strong>der</strong><br />

<strong>Paratext</strong> dem Text „ein Los zu sichern, das sich mit dem Vorhaben des Autors deckt“ (Genette 2001: 388) und<br />

zwar im Sinne einer Anleitung o<strong>der</strong> Interpretationshilfe. Der integrierte <strong>Paratext</strong> garantiert jedoch auch - so meine<br />

These - die Einheit des <strong>Film</strong>s und trägt dadurch zu einer Standardisierung <strong>der</strong> <strong>Film</strong>vorführung bei. Beispiele<br />

hierfür sind die Zunahme und unterschiedliche Verwendung <strong>von</strong> Zwischentiteln, die den <strong>Film</strong>erzähler nach und<br />

nach verdrängten o<strong>der</strong> die Tonspur des Tonfilms, die auch kleinen Häusern ein großes Orchester ermöglichte.<br />

Gleichzeitig konnten auch Elemente wie <strong>der</strong> Vorspann (<strong>der</strong> eine Integrationsfigur u.a für die szenischen Prologe<br />

darstellt (cf Hediger 2003)) zur Standardisierung eingesetzt werden: In einem Interview <strong>von</strong> 1994 erzählt Saul<br />

Bass, wie Otto Preminger den animierten Vorspann <strong>von</strong> The Man with the Golden Arm (USA 1955) nutzte, um<br />

die Vorführer dazu zu bringen, die Credits nicht mehr über den geschlossenen Vorhang zu projizieren:<br />

3


»When Otto learned that his The Man with the golden Arm was opening over closed drapes he made<br />

sure that there was a note attached to every print instructing the projectionist not to run the first reel until<br />

the curtains had been drawn back.« (Bass in Kirkheim 1994: 16)<br />

Zudem konnte Bass ein key-art-signet etablieren, das sich durch die <strong>Film</strong>werbung zog und somit Trailer, Plakat<br />

und Vorspann durch ein einfaches, gut wie<strong>der</strong>erkennbares Zeichen verband. Sind <strong>Paratext</strong>e bei Genette<br />

Schwellen, die <strong>der</strong> Rezipient beim Eindringen in den Text passieren muss, so nutzt <strong>der</strong> <strong>Film</strong> aufgrund seiner<br />

Immaterialität diese Schwellen, um sich nach außen fortzuschreiben.<br />

Ist dieses „Außen“ im Kino zumindest topographisch und materiell meist gut vom <strong>Film</strong> zu unterscheiden, führt die<br />

DVD diese Bereiche nicht nur zusammen son<strong>der</strong>n auch ineinan<strong>der</strong>. Die beson<strong>der</strong>e Struktur <strong>der</strong> DVD ermöglicht<br />

dabei die Steuerung des Diskurses mit und um den <strong>Film</strong>, indem Audiokommentare und Making-ofs nicht nur<br />

zusätzlich auf die DVD gepackt, son<strong>der</strong>n häufig auch noch zu bestimmten Stellen des <strong>Film</strong>s in Beziehung<br />

gebracht werden. Sogenannte Fact Tracks binden Trivia-Hintergründe in Form <strong>von</strong> Untertiteln direkt an das Bild,<br />

und Easter Eggs verweisen auf das Making-of <strong>der</strong> betreffenden Stelle, gemeinhin, um zu erklären, wie <strong>der</strong><br />

jeweilige Special-Effect gemacht wurde. Beson<strong>der</strong>s die Easter Eggs erinnern deutlich daran, wie stark das<br />

Rezeptionsvergnügen des <strong>Film</strong>s seit dem frühen Kinos auf das heterogene Zusammenspiel <strong>von</strong> <strong>Film</strong> und<br />

Zusatzinformationen setzt. Der direkte Verweis auf die produktionstechnischen Hintergründe bricht nicht etwa die<br />

Transparenzillusion des <strong>Film</strong>s, son<strong>der</strong>n rückt in den Vor<strong>der</strong>grund, was bei <strong>der</strong> Kinoaufführung bereits schon Teil<br />

<strong>der</strong> Marketingkampagne war. 5 Die DVD bietet den Studios eine erweiterte Möglichkeit, den <strong>Paratext</strong> zu<br />

kontrollieren und gezielt zum Einsatz zu bringen. Die Einheit des <strong>Film</strong>s wird auf <strong>der</strong> DVD bewusst wie<strong>der</strong><br />

aufgebrochen, o<strong>der</strong>, so könnte man es auch betrachten, <strong>der</strong> Radius <strong>von</strong> dem, was <strong>der</strong> <strong>Film</strong> ist, wird erweitert.<br />

Genette hat den <strong>Paratext</strong> ausdrücklich als Schwelle definiert und nicht als „undurchlässige Grenze“ (Genette<br />

2001: 10). „Von ihnen [den Schwellen, FK] <strong>weiß</strong> man nicht immer, ob man sie dem Text zurechnen soll“ (Genette<br />

2001: 9). Diese Unsicherheit, sowie seine das Buch abschließende Bemerkung, dass Schwellen zum<br />

überschreiten seien (cf. Genette 2001: 391), können auch als eine expansive Bewegung des Textes gedeutet<br />

werden.<br />

Aber ist mit diesem integrierten <strong>Paratext</strong> das Genettsche Projekt im Übertrag auf den <strong>Film</strong> dann nicht gescheitert,<br />

wenn die Grenzen zwischen Text und <strong>Paratext</strong> je nach medialer Erscheinungsform soweit verschwinden können,<br />

dass man <strong>von</strong> „vertextlichtem“ <strong>Paratext</strong> sprechen könnte? Ein abschließen<strong>der</strong> Blick auf Luhmanns<br />

systemtheoretische Untersuchung <strong>der</strong> Massenmedien kann dabei verdeutlichen, dass die ursprüngliche Funktion<br />

des <strong>Paratext</strong>es im Massenmedium <strong>Film</strong> doch noch hervorragend funktioniert, nur eben an<strong>der</strong>s als <strong>von</strong> Genette<br />

beschrieben:<br />

Die Geschichte des <strong>Film</strong>s im Kino sowie auf <strong>der</strong> DVD ist auch eine <strong>der</strong> zunehmenden Ausschließung externer<br />

Vermittlungsangebote – vom <strong>Film</strong>erzähler bis hin zur <strong>Film</strong>kritik. Im Bezug auf die Massenmedien hat Niklas<br />

Luhmann <strong>von</strong> einer Schließung des Systems gesprochen, „das auf Vermittlung durch Interaktionen unter<br />

Anwesenden nicht mehr angewiesen ist“ (Luhmann 1996: 34). Diese Schließung beinhaltet nicht nur die<br />

Abspielkontrolle des <strong>Film</strong>s, son<strong>der</strong>n in zunehmendem Maße auch die Diskurskontrolle über das Produkt. Der<br />

<strong>Paratext</strong> als beweglicher Kommunikator des Textes stellt daher ein wichtiges ebenfalls unter Kontrolle zu<br />

bringendes Instrument dar. Für Luhmann musste bei unterhaltenden massenmedialen Produkten <strong>der</strong> Autor hinter<br />

den Text zurücktreten, da sonst die Aufmerksamkeit vom Kommunikat auf den Kommunikator abgelenkt würde.<br />

Gerade damit funktioniert jedoch die Schließung des Systems auf <strong>der</strong> DVD. Durch die Autorenkommentare, Fact<br />

Tracks und Making ofs bestimmt das Studio, welche Informationen im Zusammenhang mit dem <strong>Film</strong><br />

kommuniziert werden sollen, Fandiskurse, Goofs, Triviasites etc werde so schon gleich mit in die Distribution des<br />

5<br />

Bolter/Grusin gehen sogar so weit, zu behaupten, dass die Befriedigung beim Sehen <strong>von</strong> Actionfilmen zum Teil auch daher rührt, dass<br />

man sich über die Funktionalität <strong>der</strong> Medien bewusst ist, dass man die Effekte nur genießen könne, wenn man <strong>weiß</strong>, dass sie nicht real<br />

sind, wenn man zwischen Glauben und Wissen oszilliert (cf Bolter/Grusin 2000: 157f).<br />

4


Textes eingebunden: „Unterhaltung heißt eben: keinen Anlass suchen und finden, auf Kommunikation durch<br />

Kommunikation zu antworten” (Luhmann 1996: 107).<br />

Der <strong>Paratext</strong> ist nicht mehr länger bloß ein Kommunikator des Textes, indem er am Text die Rezeption steuert,<br />

son<strong>der</strong>n agiert <strong>von</strong> Innen heraus. Dabei geht es nicht bloß darum, Lektüren des Textes zu erleichtern, son<strong>der</strong>n<br />

auch, Diskurse über den Text zu kontrollieren. Nichts an<strong>der</strong>es tun Vorworte o<strong>der</strong> Anmerkungen in Büchern, auch<br />

wenn Genette hier anstelle <strong>von</strong> Diskurskontrolle <strong>von</strong> Beeinflussung <strong>der</strong> Rezeption spricht. Der Genettsche<br />

„<strong>Paratext</strong> ist eine Übergangszone zwischen Text und Außer-Text“ (Genette 2001: 388), eine Möglichkeit also, die<br />

für die Öffnung des Textes verantwortlich ist, wohingegen <strong>der</strong> <strong>Paratext</strong> des <strong>Film</strong>s auch für eine Schließung des<br />

Systems genutzt werden kann.<br />

Sabrys Fragestellung ist nur möglich, weil Text und <strong>Paratext</strong> aufeinan<strong>der</strong> bezogen werden können, weil eine<br />

zeitliche Abfolge sowie Differenz zwischen Text und <strong>Paratext</strong> besteht. Genettes <strong>Paratext</strong>-Konzept zufolge ist das<br />

nötig, da <strong>der</strong> <strong>Paratext</strong> bei ihm eine Art „Luftkammer [ist, FK], die dem Leser hilft, ohne allzugroße Atemnot <strong>von</strong><br />

einer Welt in die an<strong>der</strong>e zu gelangen.“<br />

Der <strong>Film</strong> vermag diese Grenze aber zu überschreiten. Und er muss es auch tun, um dem stetigen Wandel<br />

Rechnung zu tragen, dem <strong>der</strong> <strong>Film</strong> im Bezug auf die apparativen, medialen und dispositiven Bedingungen<br />

unterworfen ist. Der entscheidende Unterschied zur Literatur ist, dass <strong>der</strong> <strong>Paratext</strong> als Teil des <strong>Film</strong>s wie<strong>der</strong><br />

auftauchen kann, seine steuernde Funktionen dabei aber beibehält. Eine homogene Auffassung vom Text steht<br />

entgegengesetzt zum <strong>Film</strong>, dessen Heterogenität es m.E. schwierig macht, hier <strong>von</strong> einem unverän<strong>der</strong>lichen<br />

Inneren zu sprechen. Denn <strong>der</strong> <strong>Film</strong> wird nicht erst durch den <strong>Paratext</strong> zum <strong>Film</strong>, son<strong>der</strong>n durch den jeweiligen<br />

<strong>Paratext</strong> zu einem <strong>Film</strong> in einer bestimmten medialen Erscheinungsweise (Kino/Fernsehen/DVD). Um bei diesen<br />

Wechseln seine künstlerische sowie auch finanzielle Einheit durch Abspiel– und Diskurskontrolle aufrecht zu<br />

erhalten, benötigt <strong>der</strong> <strong>Film</strong> diesen <strong>Paratext</strong> und muss - auch wenn es Genette zufolge einen Wi<strong>der</strong>spruch darstellt<br />

- so viel als möglich <strong>von</strong> ihm wissen.<br />

Literatur<br />

Bleicher, Joan Kristin: "Programmverbindungen als <strong>Paratext</strong>e des Fernsehens", in: Klaus Kreimeier (Hg.),<br />

<strong>Paratext</strong>e in Literatur, <strong>Film</strong>, Fernsehen, Berlin: Akademie Verlag 2004, S. 245-260<br />

Böhnke, Alexan<strong>der</strong>: <strong>Paratext</strong>e des <strong>Film</strong>s. Über die Grenzen des filmischen Universums, Bielefeld: transcript 2007<br />

Bolter, Jay David, Richard Grusin: Remediation: Un<strong>der</strong>standing New Media, Cambridge, London: MIT 2000<br />

Dschen, Meili: "Der flüchtige Blick. Momentaufnahmen aktueller <strong>Film</strong>plakate", in: Wolfgang Beilenhoff (Hg.), Das<br />

<strong>Film</strong>plakat, Zürich, Berlin, New York: Museum für Gestaltung & Scalo 1995, S. 228-257<br />

Genette, Gérard: "Présentation", in: Gérard Genette (Hg.), <strong>Paratext</strong>es, Paris: Seuil 1987, S. 3<br />

Genette, Gérard: <strong>Paratext</strong>e. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001<br />

Hediger, Vinzenz: Verführung zum <strong>Film</strong>: Der amerikanische Kinotrailer seit 1912, Marburg: Schüren 2001<br />

Hediger, Vinzenz: „Putting the Spectators in a Receptive Mood“. Szenische Prologe im amerikanischen<br />

Stummfilmkino, Marburg: Schüren, S. montage/av 12/2/2003, 68-87<br />

Hediger, Vinzenz: "Trailer Online. Der Hypertext als <strong>Paratext</strong> o<strong>der</strong>: Das Internet als Vorhhof des <strong>Film</strong>s", in: Klaus<br />

Kreimeier (Hg.), <strong>Paratext</strong>e in Literatur, <strong>Film</strong>, Fernsehen, Berlin: Akademie Verlag 2004, S. 283-300<br />

5


Iversen, Fritz: „Man sieht nur, wo<strong>von</strong> man gehört hat. Mundpropaganda und die Kinoauswertung <strong>von</strong><br />

Independents und an<strong>der</strong>en Non-Blockbuster-<strong>Film</strong>en“, in: Vinzenz Hediger, Patrick Von<strong>der</strong>au (Hg.),<br />

Demnächst in Ihrem Kino: Grundlagen <strong>der</strong> <strong>Film</strong>werbung und <strong>Film</strong>vermarktung, Marburg: Schüren 2005, S.<br />

176-192<br />

Kirkheim, Pat: Looking for the simple Idea. Interview with Saul and Elaine Bass, 1994 (Sight and Sound)<br />

Luhmann, Niklas: Die Realität <strong>der</strong> Massenmedien, Opladen: Westdeutscher Verlag 1996<br />

de Mourgues, Nicole: Le Générique de <strong>Film</strong>, Paris: Méridiens Klincksieck 1994<br />

Nitsche, Lutz: Hitchcock - Greenaway - Tarantino/<strong>Paratext</strong>uelle Attraktionen des Autorenkinos, Stuttgart:<br />

J.B.Metzlersche Verlagsbuchhandlung 2002<br />

Sabry, Randa: "Quand le texte parle de son paratexte", in: Gérard Genette (Hg.), <strong>Paratext</strong>es, Paris: Seuil 1987,<br />

S. 83-99<br />

Wehde, Susanne: Typographische Kultur: eine zeichentheoretische und kulturgeschichtliche Studie zur<br />

Typographie und ihrer Entwicklung, Tübingen: Niemeyer 2000<br />

Wyatt, Justin: High concept: movies and marketing in Hollywood, Texas: University Press 1994<br />

6

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