Die Operation Jadid - Bundeswehr

Die Operation Jadid - Bundeswehr Die Operation Jadid - Bundeswehr

09.11.2013 Aufrufe

sche Soldaten, oben auf dem Gipfel thront eine Panzerhaubitze. Ihr 155-Millimeter- Geschützrohr ragt nach Südwesten. Wenn sie feuert, krachen ihre Abschüsse, dass die Erde bebt. Das Echo rollt tosend den Berg hinab. Der dumpfe Hall der Einschläge viele Kilometer entfernt dringt kaum zurück. Eine Schutzmauer um das Lager gibt es nicht, nur ein paar Stellungen, umgeben von Hescos. Das sind Drahtkörbe, die mit Schotter gefüllt werden und gegen Handwaffen und Raketenbeschuss schützen. Auf OP North hat die Task Force Mazar-i-Sharif ihren Gefechtsstand errichtet, ein Außenposten am Rand des Feingebiets. Hier beginnt die OperationJadid“. „Jadid“ heißt „neu“. Es soll ein Neuanfang für das gesamte Tal des Baghlan-Flusses werden, ohne Taliban, ohne Angst, ohne Terror, ohne Tod. Das erste Dorf, aus dem die Gebirgsjäger die Taliban vertreiben, heißt Kotub. Im September tobte in der Nähe eine fürchterliche Schlacht um einen Außenposten (Combat Outpost, COP). Er wurde von ehemaligen Mitläufern des Terrorfürsten Gulbuddin Hekmatyar gehalten, die auf Regierungsseite gewechselt waren. Die Taliban sprengten die einzige Brücke, die über einen Nebenarm des Baghlan führt und schnitten die „Verräter“ von ihren deutschen und USamerikanischen Verbündeten ab. Das Massaker, das sie anrichteten, ließ die Bevölkerung zweifeln, ob sie sich wirklich von den Taliban lossagen sollte. Deutsche Soldaten legten eine Militärbrücke über den Fluss und jagten die Mörder. An dem Flussübergang gibt es jetzt einen Außenposten der Bundeswehr. Er ist benannt nach dem hier gefallenen Oberfeldwebel Florian Pauli, den am 7. Oktober ein Selbstmordattentäter mit in den Tod riss. COP Pauli ist seit Dezember Heimat von Hauptfeldwebel Matthias Schuster* und 20 Gebirgsjägern. machen das, wenn sie einander vertrauen. Mullah Kahar geht voran und sagt, er wolle seinem „Freund“ etwas zeigen. In einem Seecontainer liegen Matten und bunt bestickte Kissen, auf denen Kahars Kämpfer hocken. Sie erheben sich, als er mit Schuster eintritt. Freudig begrüßen sie den Hauptfeldwebel und gießen heißen Tee in Gläser. Vor ihnen stehen Teller mit Fladenbrot und Schüsseln mit gezuckerter Sahne. Nach dem Essen holt Mullah Kahar eine Digitalkamera hervor. Er schaltet sie an, wählt den Abspielmodus, rückt näher an Schuster und sagt in seiner Muttersprache: „Schau Dir das an.“ Aus Schusters Gesicht weicht die Farbe. Die Bilder sind grässlich: ein zerfetztes Auto, zerrissene, blutüberströmte Leiber. Fünf Kinder, zwei Frauen und der Taxifahrer, entsetzlich entstellt, getötet durch eine Straßenbombe. „Das waren die Taliban“, sagt Mullah Kahar. „Der Teufel soll sie holen.“ Er war mit seinen Männern als erstes vor Ort, sie konnten nichts mehr für sie tun. Sie bargen nur noch die Leichen. Dann hatte Mullah die Idee mit den Bildern. Er zeigte sie in Kotub herum. „Seht her“, sagte er den Leuten, „das waren die Taliban. Sie töten Frauen und Kinder, sie sind Barbaren.“ Die Einwohner schworen blutigen Widerstand, sollten die Aufständischen noch einmal ihr Dorf betreten. Bevor er zu den Gebirgsjägern nach Bischofswiesen kam, ging Matthias Schuster bei Combat Outpost und Behelfsbrücke über einen Nebenarm des Baghlan-Flusses, beide benannt nach dem hier gefallenen Oberfeldwebel Florian Pauli. In diesem Außenposten hatte die Bundeswehr bis vor Kurzem zwanzig Infanteristen gemeinsam mit Taliban- Überläufern stationiert Ein Kuss links, ein Kuss rechts, Mullah Kahar und Matthias Schuster begrüßen sich, wie es Freunde in Afghanistan tun. „Salam Aleikum, wie geht es dir?“, sagt der Hauptfeldwebel und blickt lächelnd in das Gesicht seines Gegenübers. Mullah Kahar, schwarzer Vollbart, tiefe dunkle Augen, trägt einen Pakol auf dem Kopf, ein Symbol des tadschikischen Widerstands gegen die Taliban. Um die Schultern hat er eine braune Decke gelegt, die Kalaschnikow baumelt von der rechten Schulter. Er nimmt Schusters rechte Hand, Männer in Afghanistan *Name zum Schutz des Soldaten geändert Hauptfeldwebel Matthias Schuster (ganz rechts) im Gespräch mit Mullah Kahar (ganz links), Chef der Bürgerwehr am „COP Pauli“. Kahars Leute kämpften früher für die Taliban. Schuster sagt, man müsse die Vergangenheit ruhen lassen Marco Seliger 03 | 11 loyal 31

TITEL In der Ortschaft Jowna hatten sich 30 Aufständische in einer Schule verbarrikadiert und leisteten den angreifenden US-Spezialkräften heftigen Widerstand. Eine 250-Pfund-Bombe zerstörte das Gebäude und machte dem Taliban-Spuk ein Ende. Am Rand der Ortschaft hat die Bundeswehr einen Außenposten errichtet, den sie zusammen mit afghanischen Polizisten besetzt hält. Gemeinsame Patrouillen unterbrechen den drögen Alltag, allgegenwärtig droht den Soldaten Gefahr durch versteckte Straßenbomben und Sprengsätze Michael Schreiner (4), Marco Seliger (2) An der Wand hängen Waffen und Munitionswesten, die Ausrüstung liegt jederzeit griffbereit. „Alles, was hier passiert, kommt überraschend.“ einer Firma für Zentralheizungs- und Lüftungsbau in die Lehre. Er erlernte einen soliden Handwerksberuf, der ihm von dem Augenblick an unwichtig erschien, in dem zwei von Terroristen gesteuerte Flugzeuge in die New Yorker Zwillingstürme krachten. „Mir war klar, dass ich etwas gegen die Leute tun wollte, die Amerika angegriffen haben“, sagt Schuster. Nach seinem ersten Einsatz in Afghanistan entschied er sich, dauerhaft bei der Bundeswehr zu bleiben. Er befindet sich in seinem dritten Lebensjahrzehnt und verbringt jetzt einen Teil davon mit ehemaligen Taliban. Mullah Kahar und seine Leute sind Überläufer einer Miliz, die bis vor Kurzem für die Aufständischen gekämpft hat. „Die sind nicht zimperlich“, sagt Matthias Schuster. „Aber sie kämpfen jetzt mit uns. Und das zählt.“ Die Gebirgsjäger leben und arbeiten gemeinsam mit 24 Ex-Taliban auf einem von Hascos umgebenen Flecken staubiger Erde. COP Pauli hat so gut wie nichts Behagliches. Die Männer waschen sich mit kaltem Wasser aus Kanistern, die an Panzern hängen. Ihre Toilette besteht aus einem Plastikstuhl mit einem Loch in der Sitzfläche, in dem eine Tüte hängt. „Kack und Pack“ ist das Klo des Frontsoldaten, sauber gearbeitet, rundum geschlossen mit einem tadellosen, bequemen Sitz. Anfangs genierten sich die Soldaten, in aller Öffentlichkeit ihr Geschäft zu erledigen. Doch im Lauf der Soldaten schütteln die Hände Einheimischer und erklären ihnen, dass sie zu ihrem Schutz vor den Aufständischen hier sind. „Die Bevölkerung vertraut uns, sie sieht, dass wir es ernst meinen“, sagen die Soldaten. Doch wie entwickeln sich die Dinge, wenn sie wieder weg sind? Zeit überwanden sie ihre Scham. Sie knoten den Beutel zu, werfen ihn wie eine normale Abfalltüte in ein Erdloch, schütten Diesel darüber und zünden ihn an. In ihren Fleece- und Wollpullovern, Skimützen gegen die Kälte auf dem Kopf, schauen sie aus wie Waldarbeiter. Nach Wochen im Feld stehen die Klamotten vor Dreck, mancher Soldat ist schmutzig bis in die Poren und unter die Nägel. Journalisten werden gebeten, sie in diesem Aufzug nicht zu fotografieren. Jemand in Berlin könnte gleich wieder den Zustand der Truppe infrage stellen. Sie schlafen dicht an dicht in einer Bretterbude, in die sie zweistöckige Betten aus Sperrholz gezimmert haben. Wenn sie in ihrer Koje liegen, können sie mit ausgestrecktem Arm zwei Kameraden auf einmal ertasten. An der Wand hängen Waffen und Munitionswesten, die Ausrüstung liegt so bereit, dass sie jederzeit greifbar ist. „Alles, was hier passiert, kommt überraschend“, sagt Matthias Schuster. Fußpatrouillen lenken vom drögen Alltag im COP ab. Infanteristen wie die Gebirgsjäger sind diejenigen Soldaten, die das führen, was als Krieg im klassischen Sinn angesehen wird. Sie nehmen die größten Entbehrungen auf sich, sie leben im Schmutz und in der ständigen Gefahr, getötet oder verwundet zu werden. Anders als die überwiegende Zahl der deutschen Soldaten in Af- 32 loyal 03 |11

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In der Ortschaft Jowna hatten sich 30 Aufständische in einer Schule verbarrikadiert und leisteten<br />

den angreifenden US-Spezialkräften heftigen Widerstand. Eine 250-Pfund-Bombe zerstörte<br />

das Gebäude und machte dem Taliban-Spuk ein Ende. Am Rand der Ortschaft hat die<br />

<strong>Bundeswehr</strong> einen Außenposten errichtet, den sie zusammen mit afghanischen Polizisten<br />

besetzt hält. Gemeinsame Patrouillen unterbrechen den drögen Alltag, allgegenwärtig droht<br />

den Soldaten Gefahr durch versteckte Straßenbomben und Sprengsätze<br />

Michael Schreiner (4), Marco Seliger (2)<br />

An der Wand hängen Waffen und<br />

Munitionswesten, die Ausrüstung<br />

liegt jederzeit griffbereit. „Alles, was<br />

hier passiert, kommt überraschend.“<br />

einer Firma für Zentralheizungs- und Lüftungsbau<br />

in die Lehre. Er erlernte einen soliden<br />

Handwerksberuf, der ihm von dem<br />

Augenblick an unwichtig erschien, in dem<br />

zwei von Terroristen gesteuerte Flugzeuge<br />

in die New Yorker Zwillingstürme krachten.<br />

„Mir war klar, dass ich etwas gegen die<br />

Leute tun wollte, die Amerika angegriffen<br />

haben“, sagt Schuster. Nach seinem ersten<br />

Einsatz in Afghanistan entschied er sich,<br />

dauerhaft bei der <strong>Bundeswehr</strong> zu bleiben.<br />

Er befindet sich in seinem dritten Lebensjahrzehnt<br />

und verbringt jetzt einen Teil<br />

davon mit ehemaligen Taliban. Mullah Kahar<br />

und seine Leute sind Überläufer einer<br />

Miliz, die bis vor Kurzem für die Aufständischen<br />

gekämpft hat. „<strong>Die</strong> sind nicht zimperlich“,<br />

sagt Matthias Schuster. „Aber sie<br />

kämpfen jetzt mit uns. Und das zählt.“<br />

<strong>Die</strong> Gebirgsjäger leben und arbeiten gemeinsam<br />

mit 24 Ex-Taliban auf einem von<br />

Hascos umgebenen Flecken staubiger Erde.<br />

COP Pauli hat so gut wie nichts Behagliches.<br />

<strong>Die</strong> Männer waschen sich mit kaltem<br />

Wasser aus Kanistern, die an Panzern hängen.<br />

Ihre Toilette besteht aus einem<br />

Plastikstuhl mit einem Loch in der Sitzfläche,<br />

in dem eine Tüte hängt. „Kack und<br />

Pack“ ist das Klo des Frontsoldaten, sauber<br />

gearbeitet, rundum geschlossen mit einem<br />

tadellosen, bequemen Sitz. Anfangs genierten<br />

sich die Soldaten, in aller Öffentlichkeit<br />

ihr Geschäft zu erledigen. Doch im Lauf der<br />

Soldaten schütteln<br />

die Hände Einheimischer<br />

und erklären<br />

ihnen, dass sie<br />

zu ihrem Schutz<br />

vor den Aufständischen<br />

hier sind.<br />

„<strong>Die</strong> Bevölkerung<br />

vertraut uns, sie<br />

sieht, dass wir es<br />

ernst meinen“,<br />

sagen die Soldaten.<br />

Doch wie entwickeln<br />

sich die<br />

Dinge, wenn sie<br />

wieder weg sind?<br />

Zeit überwanden sie ihre Scham. Sie knoten<br />

den Beutel zu, werfen ihn wie eine normale<br />

Abfalltüte in ein Erdloch, schütten<br />

<strong>Die</strong>sel darüber und zünden ihn an. In ihren<br />

Fleece- und Wollpullovern, Skimützen<br />

gegen die Kälte auf dem Kopf, schauen sie<br />

aus wie Waldarbeiter. Nach Wochen im<br />

Feld stehen die Klamotten vor Dreck, mancher<br />

Soldat ist schmutzig bis in die Poren<br />

und unter die Nägel. Journalisten werden<br />

gebeten, sie in diesem Aufzug nicht zu fotografieren.<br />

Jemand in Berlin könnte<br />

gleich wieder den Zustand der Truppe infrage<br />

stellen. Sie schlafen dicht an dicht in<br />

einer Bretterbude, in die sie zweistöckige<br />

Betten aus Sperrholz gezimmert haben.<br />

Wenn sie in ihrer Koje liegen, können sie<br />

mit ausgestrecktem Arm zwei Kameraden<br />

auf einmal ertasten. An der Wand hängen<br />

Waffen und Munitionswesten, die Ausrüstung<br />

liegt so bereit, dass sie jederzeit greifbar<br />

ist. „Alles, was hier passiert, kommt<br />

überraschend“, sagt Matthias Schuster.<br />

Fußpatrouillen lenken vom drögen Alltag im<br />

COP ab. Infanteristen wie die Gebirgsjäger<br />

sind diejenigen Soldaten, die das führen,<br />

was als Krieg im klassischen Sinn angesehen<br />

wird. Sie nehmen die größten Entbehrungen<br />

auf sich, sie leben im Schmutz und<br />

in der ständigen Gefahr, getötet oder verwundet<br />

zu werden. Anders als die überwiegende<br />

Zahl der deutschen Soldaten in Af-<br />

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