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Die Operation Jadid - Bundeswehr

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und Medien in Deutschland mutmaßen<br />

umgehend, in Baghlan gebe es Führungsund<br />

Ausbildungsmängel. Bataillonskommandeur<br />

Carstens wird vorgeworfen, er<br />

habe die Truppe nicht im Griff. Das trifft<br />

ihn, setzt ihm zu. Er verteidigt sich, ein ruhiger,<br />

besonnener Mann, der seine Worte<br />

wägt. „Wir haben hier wirklich Erfolg“, sagt<br />

er leise. „Meine Soldaten nehmen monatelange<br />

Entbehrungen auf sich und haben es<br />

nicht verdient, dass dieses tragische Unglück<br />

das einzige sein soll, was zu Hause von<br />

ihnen wahrgenommen wird.“<br />

<strong>Die</strong> Panzergrenadiere Jan, Jacob, Waldemar und Marco (von links) sagen,<br />

an das spartanische Leben an der Front hätten sie sich gewöhnt. <strong>Die</strong><br />

Kameradschaft lasse die Entbehrungen ertragen und doch sehne sich<br />

jeder nur danach, heile nach Hause zu kommen<br />

Michael Schreiner, Marco Seliger (2), Christian Theissen<br />

Der Schock ist groß, doch die <strong>Operation</strong><br />

wird fortgesetzt. Jan, Patrick, Jacob, Marco<br />

und Waldemar sind Panzergrenadiere aus<br />

Regen. Auf der herabgelassenen Heckklappe<br />

ihres „Marder“ fauchen Spirituskocher,<br />

auf denen sie ihre in Aluminium eingeschweißten<br />

Fertigmahlzeiten kochen. Es<br />

gibt eine indische Reispfanne, Gulasch mit<br />

Kartoffeln und Hamburger in Tomatensoße,<br />

zum Nachtisch Grießspeise und Obstsalat.<br />

<strong>Die</strong> Soldaten sind Anfang zwanzig<br />

und können aus der 20-Millimeter-Kanone<br />

ihres kettenrasselnden Fahrzeugs Munition<br />

verschießen, die auf zwei Kilometer Entfernung<br />

Menschen explodieren lässt. Bevor<br />

sie zum Bund kamen, haben sie einen Berufsabschluss<br />

gemacht: Koch, Stahl- und<br />

Betonbauer, Mechaniker, Konstruktionstechniker,<br />

Straßenbauer. Junge, mutige<br />

Kerle. Wenn ihr Einsatz zu Ende ist, wenn<br />

Ein Bataillon kämpft erfolgreich in<br />

Afghanistan und niemand in der Heimat<br />

registriert es. So sehen es die<br />

Gebirgsjäger und fühlen sich vergessen.<br />

Das beklagen sie auf Plakaten,<br />

die in den Stabscontainern hängen<br />

sie aus dem Schmutz des Afghanistankriegs<br />

zurück in Bayern sind, dann wollen<br />

sie gern weitermachen. Weitere vier<br />

<strong>Die</strong>nstjahre beim Bund, noch einen Einsatz<br />

– ja, das könnten sie sich vorstellen. Es<br />

ist keiner unter ihnen, dem der Krieg in den<br />

vergangenen fünf Monaten den Soldatenberuf<br />

verleiden konnte. „<strong>Die</strong> Kameradschaft,<br />

das Wir-Gefühl – das findet man so<br />

nur in der Truppe“, sagt Marco. Sie schauen<br />

einander an, nicken, bestätigen sich<br />

ihre Bruderschaft. Sie kennen sich gut, hier<br />

im Krieg, sagen sie, seien sie eine Familie.<br />

Frontsoldaten, die ihre Erfahrungen zusammengeschweißt<br />

haben.<br />

Das Warten auf neue Befehle, auf die Fortsetzung<br />

der <strong>Operation</strong> oder nur auf eine Patrouille<br />

übertünchen sie mit dem Überlebensritualen<br />

des Frontsoldaten: Sie essen,<br />

trinken Kaffee und reißen Witze. Patrick<br />

deutet auf den Innenraum des Panzers.<br />

„Das ist unser Wohnzimmer“, sagt er und<br />

grinst. Im Fahrzeug stapeln sich Munition<br />

und Kartons mit „Meal Ready to Eat“, auf<br />

einer Sitzbank liegt ein Soldat in voller<br />

Montur mit Schutzweste und Stiefeln und<br />

schläft mit angezogenen Knien. Sie haben<br />

Humor, reißen derbe, gemeine Witze, mit<br />

denen sie ihrem langweiligen Alltag und<br />

ihrer Angst begegnen. Doch es gibt auch<br />

diese Nachdenklichkeit, die die jungen<br />

Männer immer wieder an der Front befällt.<br />

„Wer weiß denn schon daheim, was hier<br />

läuft“, fragt Marco. „<strong>Die</strong> wenigsten kennen<br />

den Krieg. Wer soll uns denn verstehen?“<br />

Das dürfte selbst dem Divisionskommandeur<br />

schwerfallen. Wie die meisten Offiziere<br />

der <strong>Bundeswehr</strong> hat er nie an der Front<br />

gekämpft. „Dennoch“, sagt Waldemar,<br />

„hätte ich mir den Krieg krasser vorgestellt,<br />

bedrohlicher, ultimativ“. Jan meint, die Taliban<br />

seien zu feige, um offen gegen sie zu<br />

kämpfen. „Das Einzige“, sagt er verächtlich,<br />

„was die Dreckskerle können, ist, uns<br />

Bomben unter den Arsch zu legen.“<br />

Sie sitzen und warten. Warten auf das, was<br />

geschehen wird. In ihren Panzern fühlen<br />

sie sich sicher. Doch wenn sie seine schützende<br />

Stahlhülle verlassen, sind sie verwundbar.<br />

Dann entscheidet der Zufall über<br />

sie. Niemand weiß, was kommt. Es könnte<br />

ein Fauchen sein. Aus dem Nirgendwo.<br />

NACHTRAG<br />

<strong>Die</strong> Schlusssätze dieser Reportage waren<br />

lange geschrieben, ich war bereits drei Wochen<br />

von meiner Reise nach Baghlan zurück,<br />

als sich der Ausspruch von Hauptfeldwebel<br />

Matthias Schaller auf tragische<br />

Weise bewahrheiten sollte. „Alles, was hier<br />

passiert, kommt überraschend“, hatte er<br />

gesagt. Wohl kaum ein Soldat hätte damit<br />

gerechnet, von einem Verbündeten aus der<br />

afghanischen Armee erschossen zu werden.<br />

Und doch geschah genau das am 18.<br />

Februar auf „OP North“. Neun Panzergrenadiere<br />

aus Regen arbeiteten an einem<br />

„Marder“, als der wohl terroristischen Kreisen<br />

zuzuordnende Mann das Feuer hinterrücks<br />

auf die ungeschützten und arglosen<br />

Deutschen eröffnete. Ein Hauptfeldwebel<br />

und zwei Hauptgefreite erlagen ihren Verletzungen,<br />

sechs weitere Männer wurden<br />

schwer verwundet. <strong>Die</strong> Soldaten standen<br />

kurz vor dem Ende ihres Einsatzes und<br />

wurden Opfer eines Ereignisses, das sie in<br />

Gespächen mit mir als Gefahr beschrieben<br />

hatten, die allerdings gering sei. Doch es ist<br />

kein Geheimnis, dass afghanische Armee<br />

und Polizei von Aufständischen unterwandert<br />

sind. <strong>Die</strong> <strong>Bundeswehr</strong> hat das nun leidvoll<br />

erfahren müssen. Marco Seliger<br />

03 | 11 loyal 35

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