2/2009 - Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle
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M u n d - , K i e f e r - u n d p l a s t i s c h e G e s i c h t s c h i r u r g i e<br />
Die folgende Tabelle gibt darüber Auskunft:<br />
Wie<strong>der</strong>holungsrisiko für LKG-Spalten in Abhängigkeit<br />
vom Verwandtschaftsgrad und<br />
<strong>der</strong> bisherigen hereditären Belastung<br />
Verwandschaftsgrad<br />
LKG<br />
Ein Elternteil betroffen 3,5%<br />
Zwei Elternteile betroffen 35 %<br />
Ein Geschwisterkind betroffen 4%<br />
Zwei Geschwister betroffen 10%<br />
Ein Elternteil und ein Geschwisterkind betroffen 16%<br />
Verwandter zweiten Grades betroffen 0,6%<br />
Ein Forschungsschwerpunkt unserer Klinik<br />
ist seit mehreren Jahrzehnten die Prävention<br />
von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten. Grundlage<br />
aller Maßnahmen zur Prävention sind dabei<br />
die Überlegungen zur Ätiologie <strong>der</strong> LKG.<br />
Das multifaktorielle Schwellenmodell zählt<br />
zu den anerkanntesten ätiologischen Modellen<br />
für die Entstehung <strong>der</strong> LK(G) und an<strong>der</strong>er<br />
Fehlbildungen. Grundidee dieses Modells ist<br />
die additive Wirkung von Erbmasse und Umwelt,<br />
die durch den Begriff „multifaktoriell“<br />
ausgedrückt wird. Dabei kann die sich summierende<br />
Wirkung einiger mutierter Gene<br />
und vielfältig Einfluss nehmen<strong>der</strong> exogener<br />
Faktoren nur bis zu einer bestimmten Schwelle<br />
vom wachsenden Individuum toleriert werden.<br />
Beim Überschreiten <strong>der</strong> Schwelle kommt<br />
es zur Manifestation einer Fehlbildung.<br />
K o n t a k t :<br />
<strong>Universität</strong>sklinik und Poliklinik für<br />
Mund-, Kiefer- und Plastische<br />
Gesichtschirurgie<br />
Dr. Birgit Scheffler<br />
Ernst-Grube-Str. 40<br />
06120 <strong>Halle</strong> (Saale)<br />
und Große Steinstr. 19<br />
06108 <strong>Halle</strong> (Saale)<br />
Tel.: (0345) 557-3731<br />
Fax: (0345) 557-3778<br />
mkg.sekretariat@medizin.uni-halle.de<br />
birgit.scheffler@medizin.uni-halle.de<br />
www.medizin.uni-halle.de/zzmk/mkpgch<br />
Da es bislang noch nicht möglich ist, endogene<br />
genetische Faktoren zur Senkung des<br />
Wie<strong>der</strong>holungsrisikos zu beeinflussen, können<br />
sich die Maßnahmen zur Prophylaxe<br />
<strong>der</strong>zeit nur auf die Abschwächung exogener<br />
Faktoren konzentrieren. Dazu zählt beispielsweise,<br />
dass Schwangeren keine Medikamente<br />
mit bekanntem teratogenen Potential verordnet<br />
werden (u.a. Phenytoin, Phenobarbital,<br />
Diazepam). Aber auch <strong>der</strong> Ausgleich von<br />
bestimmten Vitaminmangelzuständen, unter<br />
denen ein Großteil <strong>der</strong> mitteleuropäischen<br />
Bevölkerung leidet und die ebenfalls gehäuft<br />
mit Fehlbildungen assoziiert sind, durch Vitaminsubstitution<br />
kann als präventive Maßnahme<br />
angesehen werden.<br />
Unsere durchgeführten experimentellen Studien<br />
zeigten folgende Ergebnisse:<br />
• Nachweis eines teratogenen Effekts von Vitamin-B-Mangel,<br />
• präventiver Effekt von Vitamin-B-Komplex-<br />
Substitution auf Cyclophosphamid- und<br />
Cortison-induzierte Spalten<br />
• Überlegenheit von Vitamin-B-Komplex-Gabe<br />
gegenüber einer Vitamin-Monotherapie<br />
• Beeinflussbarkeit <strong>der</strong> Spaltfrequenz durch<br />
Gabe von Vitamin-B-Komplex nicht nur vor<br />
(prophylaktisch) und während, son<strong>der</strong>n sogar<br />
nach (therapeutisch) <strong>der</strong> kritischen Entwicklungsphase<br />
• beste Wirksamkeit bei Anwendung über die<br />
gesamt Phase <strong>der</strong> Embryogenese<br />
Unser Prophylaxe-Regime ist<br />
folgen<strong>der</strong>maßen aufgebaut:<br />
Vor Beginn <strong>der</strong> Prophylaxe steht ein intensives<br />
Beratungs- und Aufklärungsgespräch<br />
bei<strong>der</strong> Eltern. Idealerweise beginnen wir die<br />
Prophylaxe bereits vor Eintritt <strong>der</strong> Schwangerschaft<br />
(präkonzeptionell) spätestens aber<br />
ab dem 35. Embryonaltag (nicht zu verwechseln<br />
mit Schwangerschaftstagen, die ab <strong>der</strong><br />
letzten Regel gezählt werden, also meist 14<br />
Tage Unterschied).<br />
Es werden hohe Dosen von Vitamin-B-Komplex<br />
und zusätzlich zwei Mal pro Woche 10 ml<br />
eines eiweißfreien Hämolysats aus Kälberblut<br />
i. m. über das gesamte erste Trimenon appliziert.<br />
Für letzteres Mittel, das die Sauerstoffund<br />
Substratversorgung im Organismus auch<br />
unter Mangelbedingungen verbessert, ist vom<br />
Hersteller allerdings ab diesem Jahr nicht<br />
mehr die Zulassung für die Bundesrepublik<br />
beantragt worden.<br />
In einer prospektiven Studie führten wir 88<br />
Mal bei Frauen mit nicht-syndromalen LKG in<br />
<strong>der</strong> Familien- o<strong>der</strong> Eigenanamnese und Kin<strong>der</strong>wunsch<br />
eine Spaltprävention durch. Das<br />
empirisch bestimmte durchschnittliche Risiko<br />
ohne Prophylaxemaßnahmen lag für LK (G)<br />
bei 4,9 Prozent und für G bei 2,4 Prozent. Das<br />
tatsächlich beobachtete Risiko mit Prophylaxe<br />
betrug bei LK(G) null Prozent für die eigentliche<br />
Spaltbildung bzw. 2,9 Prozent bei Berücksichtigung<br />
auch <strong>der</strong> Mikrosymptome und<br />
für die isolierte Gaumenspalten null Prozent.<br />
Die an unserer Klinik durchgeführte Spaltprävention<br />
hat sich somit als effektives Prophylaxeregime<br />
bewährt und wird fortgeführt.<br />
Abschließend ist anzumerken, dass es sich<br />
bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalten um eine<br />
sehr gut behandelbare Fehlbildung handelt,<br />
die den Betroffenen nach Therapie in einem<br />
„Spaltzentrum“ ein weitestgehend normales<br />
Leben ermöglicht. Im Übrigen hat sich bei<br />
uns auch die Beratung vor <strong>der</strong> Geburt eines<br />
Kindes bewährt, wenn die Fehlbildung im<br />
Rahmen <strong>der</strong> pränatalen Ultraschalldiagnostik<br />
festgestellt wurde und die zukünftigen Eltern<br />
darüber beunruhigt sind o<strong>der</strong> betroffen<br />
reagieren.<br />
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