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SEK-Bulletin 2/2010 - Evangelisch-Reformierte Kirche des Kantons ...

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16 bulletin Nr. 2 / <strong>2010</strong><br />

gehen. Ein Zurückdrehen dieses Pluralismus hätte einen<br />

hohen Preis − den Preis der Freiheit selbst. Deshalb<br />

schützen unsere demokratischen Verfassungen<br />

diesen Pluralismus und seine Regelungsmechanismen,<br />

zu denen der Markt gehört. Eine bessere Möglichkeit,<br />

den religiösen und weltanschaulichen Pluralismus<br />

anders als über den Markt zu regeln, müsste<br />

erst erfunden werden.<br />

Verrät die <strong>Kirche</strong> ihren Auftrag?<br />

Nun gibt es einen gewichtigen Einwand gegen<br />

<strong>Kirche</strong> und Theologie auf dem Markt: Bedeutet eine<br />

Orientierung an den Gesetzen <strong>des</strong> Marktes nicht, dass<br />

die <strong>Kirche</strong> ihren Auftrag verrät? Eine Frage, die es<br />

ernst zu nehmen gilt. Dass man sie mit «nein» beantworten<br />

kann und muss, lehrt uns ausgerechnet das<br />

Marketing. Als die reformierte und katholische <strong>Kirche</strong>n<br />

in Basel vor einiger Zeit dem Lehrstuhl für Marketing<br />

und dem Lehrstuhl für Praktische Theologie an<br />

der Universität Basel den Auftrag gaben, eine <strong>Kirche</strong>nstudie<br />

zu erstellen, war dies für alle Beteiligten ein interessanter<br />

Lernprozess. In den ersten Gesprächen<br />

waren es vor allem die Vertreter <strong>des</strong> Lehrstuhls Marketing,<br />

die immer wieder danach fragten, was denn<br />

die <strong>Kirche</strong>n erreichen wollen, was ihre Ziele und Themen<br />

seien. Auf dem Markt – das haben wir damals<br />

vom Marketing gelernt – kann nur bestehen, wer ein<br />

originäres Angebot hat. Nicht wer auf den Markt<br />

schielt, reagiert marktangemessen, sondern wer sein<br />

Angebot dort erkennbar macht. Nur wer etwas zu bieten<br />

hat, kann auf dem Markt bestehen.<br />

Allerdings ist dieses Bestehen auf dem Markt eine<br />

schwierige Angelegenheit. Es bedeutet im Grunde ein<br />

Wechsel der Perspektiven. Die <strong>Kirche</strong>n können nicht<br />

mehr als Monopolisten in Sachen Religion agieren,<br />

sondern müssen sich an der Kundenresonanz ihres<br />

Angebotes orientieren. Das heisst: Nicht die <strong>Kirche</strong>nleute<br />

und die theologischen Fachpersonen definieren<br />

die Bedeutung kirchlichen Handelns, sondern die<br />

Menschen, die dieses Handeln in Anspruch nehmen,<br />

sei es passiv, sei es mit aktiver Mitbeteiligung oder<br />

eine Mischung aus beidem. Doch ist das dem Selbstverständnis<br />

protestantischer <strong>Kirche</strong>n so fremd? Eigentlich<br />

nicht. Dass die Definitionshoheit nicht in den<br />

Händen <strong>des</strong> Priesterstan<strong>des</strong> liegt, sondern dass das<br />

«allgemeine Priestertum der Gläubigen in Geltung<br />

steht», um eine bekannte Formulierung aus dem Traditionsbestand<br />

<strong>des</strong> Protestantismus aufzunehmen, ist<br />

Protestanten vertraut.<br />

Dieser Perspektivenwechsel kann der <strong>Kirche</strong> nur<br />

gut tun. Es gibt nicht wenige empirische Untersuchungen<br />

im deutschsprachigen Raum, in denen die Menschen<br />

nach ihren Erwartungen an die <strong>Kirche</strong>n befragt<br />

wurden. Die Antworten darauf sind erstaunlich einheitlich.<br />

Von der <strong>Kirche</strong> wird erwartet, dass in ihr Gottesdienste<br />

gefeiert werden, dass die christliche Tradition<br />

in der Generationenfolge weitergegeben wird, und dass<br />

bedürftigen Menschen geholfen wird. Nicht selten hat<br />

man den Eindruck, dass die Menschen «draussen»<br />

oft sehr viel genauer wissen, was <strong>Kirche</strong> ist, als mancher<br />

Profi innerhalb der <strong>Kirche</strong>. Auch in dieser Hinsicht<br />

müssen <strong>Kirche</strong> und Theologie den Markt nicht<br />

fürchten.<br />

Der Kunde bestimmt das Angebot<br />

Wer sich auf den Perspektivenwechsel vom Anbieter<br />

hin zum Kunden einlässt, muss ein fundamentales<br />

Interesse am Kunden haben. Denn es sind die<br />

Kunden, die entscheiden, welches Angebot zum Zug<br />

kommt. Auch hier sind Umfragen aufschlussreich. Die<br />

Menschen haben offensichtlich ein sensibles Gespür<br />

dafür, was auf dem Markt der Religionen ein seriöses<br />

Angebot ist. Sonst stünden sonntags die <strong>Kirche</strong>n leer,<br />

es gäbe keine kirchlich begleiteten Hochzeiten, keine<br />

Beerdigungen mehr. Die kirchlichen Angebote geniessen<br />

also nach wie vor grosses Vertrauen, die <strong>Kirche</strong><br />

als Institution vielleicht etwas weniger. Der <strong>Kirche</strong><br />

wird attestiert, dass das, was sie religiös tut, reflektiert<br />

und bewährt ist.<br />

Die <strong>Kirche</strong> wird also nur dann auf dem Markt bestehen,<br />

wenn sie das über Jahrhunderte hinweg gepflegte<br />

Erfahrungswissen bewahrt. An der Qualität<br />

ihres Handelns wird sich entscheiden, ob sie auch in<br />

Zukunft Bestand haben wird. Wer diesen Zusammenhang<br />

sieht, braucht theologisch den Markt gewiss<br />

nicht zu fürchten. Gerade oberflächliche Angebote,<br />

Gags und Albernheiten, die es immer wieder gibt und<br />

wohl auch geben wird, sind nicht das Resultat von Religionsmarketing,<br />

sondern das Gegenteil. Durch religiösen<br />

Kitsch und Schund, durch Schielen auf den<br />

vordergründigen Gag kann die <strong>Kirche</strong> auf dem Markt<br />

nicht bestehen. Bestehen wird sie durch qualifizierte<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und durch die Qualität<br />

ihrer Angebote. Gerade das Marketing weist die<br />

<strong>Kirche</strong> zurück an ihren Auftrag: Das Evangelium in<br />

den verschiedensten Kontexten so zu gestalten, dass<br />

Menschen es als lebensdienlich erfahren. <<br />

* PROF. DR. THEOL. ALBRECHT GRÖZINGER<br />

ist Ordinarius für praktische Theologie, Dekan<br />

und Studiendekan an der Universität Basel.

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