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Rede von Dr. Marc Spescha, Rechtsanwalt in Zürich und ...

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Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.


Komitee<br />

Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative<br />

2xNEIN<br />

Sperrfrist: Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Warum ich die Ausschaffungs-Initiative der SVP ablehne <strong>und</strong> auch dem<br />

Gegenvorschlag nicht zustimme<br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Marc</strong> <strong>Spescha</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Zürich</strong> <strong>und</strong> Lehrbeauftragter für schweizerisches<br />

Migrationsrecht an der Universität Freiburg i.Ue. (079/475 14 13)<br />

In der aktuellen Debatte wird fast unwidersprochen behauptet, das geltende Recht habe e<strong>in</strong>en<br />

zu laschen Umgang mit straffälligen Ausländern zur Folge, führe zu e<strong>in</strong>er une<strong>in</strong>heitlichen<br />

Praxis <strong>und</strong> müsse daher verschärft <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>heitlicht werden. Beherrscht wird die Debatte<br />

<strong>von</strong> Schlagworten wie „Ausländerproblem“, „Kuscheljustiz“ <strong>und</strong> angeblich „untätigen<br />

Behörden“, die seit Jahren versprächen, „das Problem anzupacken, aber tatsächlich nichts<br />

unternehmen“. Um Fakten scheren sich die lautstarken Populisten nicht <strong>und</strong> – wie mir sche<strong>in</strong>t<br />

– haben auch die Medien bis anh<strong>in</strong> zu wenig h<strong>in</strong>geschaut, was das geltende Recht ist <strong>und</strong> wie<br />

es <strong>in</strong> der Praxis umgesetzt wird.<br />

Der Sprechende ist seit bald zwanzig Jahren als <strong>Rechtsanwalt</strong> mit e<strong>in</strong>em Schwerpunkt auf<br />

dem Gebiet des Ausländerrechts tätig <strong>und</strong> daher mit der Praxis vertraut, die er auch als<br />

Beobachter verfolgt <strong>und</strong> systematisch zu erfassen versucht. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> stelle ich<br />

nüchtern fest: die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos.<br />

Erheblich straffällige Ausländer verlieren im Regelfall seit jeher die Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsbewilligung, sie werden aus der Schweiz weggewiesen <strong>und</strong> auch effektiv<br />

ausgeschafft. Dass e<strong>in</strong>e Straftat aber nicht automatisch zum Rechtsverlust führt, ist Folge des<br />

verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> der B<strong>in</strong>dung der Schweiz an die<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <strong>und</strong> – unter Umständen<br />

– der Massgeblichkeit des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA).<br />

Wie verfehlt der Vorwurf der Kuscheljustiz ist, zeigt die Tatsache, dass die Schweiz <strong>und</strong> damit<br />

auch das B<strong>und</strong>esgericht für die geltende überstrenge Praxis <strong>von</strong> den Strassburger Richtern <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren wiederholt gerügt werden musste.<br />

Unbee<strong>in</strong>druckt hier<strong>von</strong> hat der Gesetzgeber bei Erlass des neuen Ausländergesetzes die<br />

bisherige strenge Wegweisungspraxis – gegen den Widerstand der L<strong>in</strong>ken – <strong>in</strong>s Gesetz<br />

überführt. Wörtlich: Wer zu e<strong>in</strong>er längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann das<br />

Anwesenheitsrecht ebenso verlieren, wie derjenige, der wiederholt gegen die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung verstossen hat, ohne deswegen zu e<strong>in</strong>er längerfristigen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt worden zu se<strong>in</strong>!<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat im vergangenen Jahr die längerfristige Freiheitsstrafe def<strong>in</strong>iert als<br />

Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr. Angesichts der Tatsache, dass die kürzestmögliche<br />

Freiheitsstrafe sechs Monate ist <strong>und</strong> die längste lebenslänglich, zeugt es nicht <strong>von</strong><br />

richterlicher Zurückhaltung, wenn bereits e<strong>in</strong>e Strafe <strong>von</strong> mehr als e<strong>in</strong>em Jahr als<br />

„längerfristig“ gilt <strong>und</strong> daher als Gr<strong>und</strong> für den Entzug des Aufenthalts- oder<br />

Niederlassungsrechts.<br />

Was soll also e<strong>in</strong> Verfassungsartikel gegen „krim<strong>in</strong>elle Ausländer“, wenn eben erst, d.h. vor<br />

nicht e<strong>in</strong>mal drei Jahren Gesetzesbestimmungen <strong>in</strong> Kraft gesetzt wurden, die die Wegweisung<br />

<strong>und</strong> Ausschaffung straffälliger Ausländer erlauben <strong>und</strong> auch effektiv umgesetzt werden??!<br />

Der Fall ist klar: da sachlich offensichtlich ke<strong>in</strong> Handlungsbedarf besteht, verfolgt die Debatte<br />

das populistische Ziel, parteipolitisches Kapitel zu schlagen aus geschürten Ängsten <strong>und</strong><br />

verzerrten Bildern der Migrationsrealität. Diese Strategie verfolgt die SVP ja bereits seit vielen<br />

Jahren. Mit der Ausschaffungs<strong>in</strong>itiative hat sie aber <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e neue Grenze überschritten,<br />

als gezielt f<strong>und</strong>amentale rechtsstaatliche Pr<strong>in</strong>zipien sowie gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> menschenrechtliche<br />

Schranken missachtet werden.<br />

Komitee 2xNEIN | www.2xne<strong>in</strong>.ch | www.2xnon.ch | <strong>in</strong>fo@2xne<strong>in</strong>.ch<br />

Koord<strong>in</strong>ation: Solidarité sans frontiéres | Neuengasse 8 | 3011 Bern | +41(0)313110770


Mit dem völlig willkürlich <strong>und</strong> ausserordentlich unsorgfältig formulierten neuen<br />

Verfassungsartikel der Initiative würde für e<strong>in</strong>zelne Straftaten e<strong>in</strong> Rechtsfolgeautomatismus<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>und</strong> dabei der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismässigkeit ausser Kraft gesetzt. Der mit<br />

Waagschale <strong>und</strong> Schwert bewehrten Justitia wäre die Waagschale entrissen, so dass sie<br />

nicht mehr sorgfältig wägen, sondern nur noch mit dem Zweihänder als Richtschwert (sprich:<br />

mit Härte) operieren könnte. Damit würde aber nicht mehr Recht gesprochen, sondern pure<br />

Gewalt ausgeübt bzw. würden straffällige Ausländer ausserhalb des Rechtsstaates gerichtet.<br />

Der Gegenvorschlag liesse sich wohl verfassungs- <strong>und</strong> völkerrechtskonform umsetzen. Auch<br />

er verkündet aber primär die falsche Botschaft, wonach das geltende Recht zu lasch sei <strong>und</strong><br />

daher e<strong>in</strong>er Verschärfung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung bedürfe. Die Promotoren des<br />

Gegenvorschlags haben für die angebliche Revisionsbedürftigkeit des vor kurzem <strong>in</strong> Kraft<br />

gesetzten AuG bis heute ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Beispiel nennen können. Der Vorschlag zeigt<br />

bestenfalls, wie die SVP ihre Initiative hätte formulieren müssen, wenn es ihr darum gegangen<br />

wäre, e<strong>in</strong>e umsetzbare neue Bestimmung <strong>in</strong> die Verfassung aufzunehmen.<br />

Verfassungswürdig wird die Sache aber auch so nicht.<br />

Fazit: Ich sage 2xne<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e mal zu e<strong>in</strong>er Initiative, die den Verfassungsbruch bewusst<br />

sucht <strong>und</strong> auch das Völkerrecht vorsätzlich missachtet. Das zweite Ne<strong>in</strong> gilt e<strong>in</strong>em<br />

Gegenvorschlag, der nur taktisch motiviert ist, gleichwohl die falsche Botschaft verkündet, die<br />

Krim<strong>in</strong>alität hier anwesender Ausländer laufe aus dem Ruder <strong>und</strong> das geltende Recht genüge<br />

nicht, um dem Problem ausländerrechtlich angemessen zu begegnen.

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