07.11.2013 Aufrufe

Re-Education Zeitung.pdf - hebbel am ufer

Re-Education Zeitung.pdf - hebbel am ufer

Re-Education Zeitung.pdf - hebbel am ufer

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

RE-EDUCATION –<br />

YOU TOO CAN BE LIKE US<br />

THEMATISCHES WOCHENENDE 18. UND 19. JANUAR 2008<br />

1945 war die Stunde des Erwachens für Deutschland. In Psychiatrie<br />

und Soziologie wurden entscheidende Impulse zur Umstrukturierung<br />

der deutschen Gesellschaft nach <strong>am</strong>erikanischem Vorbild entwickelt.<br />

Durch Filme und Musik sollte die Demokratisierung Deutschlands<br />

unterstützt werden. Aber auch das Hebbel-Theater hatte in den Nachkriegsjahren<br />

eine glanzvolle Rolle.


Fotos aus den Konzentrationslagern sind in Bad Mergentheim ausgestellt, Juli 1945,<br />

aus: Drei Jahre nach Null. Geschichte der britischen Besatzungszone 1945-1948. Düsseldorf 1978<br />

Titelfoto:<br />

Francesco Vezzoli: Election Posters for Democrazy (Bernard-Henri Lévy vs. Sharon Stone) 2007.<br />

Digital print on glossy paper - Diptych. Courtesy Gagosian Gallery<br />

RE-EDUCATION – YOU TOO CAN BE LIKE US<br />

THEMATISCHES WOCHENENDE 18. UND 19. JANUAR 2008<br />

von stefanie wenner<br />

Wer kennt sie nicht? Die Amerika-Gedenkbibliothek, die Kongresshalle im<br />

Tiergarten, der Henry-Ford-Bau in Dahlem sind Orte, die Berlin prägen.<br />

Wer schon mal in Dahlem war oder an der Freien Universität studiert oder<br />

lehrt, hat sich vielleicht gefragt, wer John Foster Dulles war oder wer der<br />

Clay Allee ihren N<strong>am</strong>en gab.<br />

J.F. Dulles war Außenminister unter Eisenhower und wurde für seine antisowjetische<br />

Politik mit einer Straße in Berlin geehrt. Lucius Clay war von<br />

1947-1949 Militärgouverneur der Amerikanischen Besatzungszone in<br />

Deutschland. Er gilt als Erfinder der Luftbrücke und setzte sich für eine rasche<br />

Demokratisierung seines Verantwortungsbereiches ein. An allen Ecken<br />

begegnen uns nicht nur in Berlin die Spuren der Besatzungsmächte, die – als<br />

Befreier vom Faschismus – nach dem zweiten Weltkrieg Deutschland eine<br />

neue Prägung verliehen. Amerika galt in der alten Bundesrepublik lange Zeit<br />

als Land der unbegrenzten Möglichkeiten, die USA als Hoffnungsträger, als<br />

Verkörperung einer auch für Deutschland möglichen besseren Zukunft nach<br />

der nationalsozialistischen Vergangenheit. Dankbarkeit für die Unterstützung,<br />

die trotz der mörderischen Zerstörung und Vernichtung, die Deutschland<br />

unter Hitler verbreitete, von den Alliierten nach dem Krieg gewährt wurde, war<br />

ein zentrales Kennzeichen der Beziehungen der Staaten untereinander,<br />

auch nachdem die Alliierten Deutschland verlassen hatten. So ist es bis heute<br />

weitgehend geblieben. Früh schon gab es aber auch Widerstand gegen die<br />

„Besatzer“, regte sich vor allem anti-<strong>am</strong>erikanisches <strong>Re</strong>ssentiment. Zwanzig<br />

Jahre später nahm mit der Kritik <strong>am</strong> Vietn<strong>am</strong>krieg der Anti-Amerikanismus<br />

eine entscheidende Wendung, um schließlich heute angesichts der Politik von<br />

George W. Bush, von Kriegen <strong>am</strong> Golf und im Zeichen des Klimawandels<br />

einen neuen Höhepunkt zu erlangen.<br />

Die Spuren, die die USA im Berliner Stadtbild hinterlassen haben, zeugen von<br />

den Wiederaufbaumaßnahmen, die man noch zu Kriegszeiten unter Geheimhaltung<br />

an Orten wie Washington und New York ersann. Das Progr<strong>am</strong>m der<br />

Alliierten zum Umgang mit der deutschen Bevölkerung nach dem zweiten<br />

Weltkrieg war die „<strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>“, eine Umerziehung oder Umbildung nach<br />

Vorbild der USA, jedenfalls im <strong>am</strong>erikanischen Sektor. Grundlage hierfür<br />

war die Anwendung von <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> im Rahmen der psychiatrischen Behandlung<br />

von Paranoia. Es war Richard Brickner, ein Psychiater aus New York,<br />

der mit seinem Buch „Is Germany Incurable“ 1943 in den USA für Furore sorgte.<br />

Die unter seiner Leitung veranstalteten Geheimkonferenzen vers<strong>am</strong>melten<br />

wichtige Größen der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie aus Psychiatrie<br />

und Psychoanalyse in New York, um einen Plan für den Umgang mit den<br />

Deutschen nach dem Sieg der Alliierten zu entwerfen (vgl. den Text von Uta<br />

Gerhardt in dieser Beilage). In den jeweils besetzten Gebieten begann<br />

man sukzessive mit dem Progr<strong>am</strong>m der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>, das neben Unterricht in<br />

Demokratie und Maßnahmen zur Entnazifierung unter anderem ein neues<br />

Curriculum für Schulen und Universitäten entwarf. Margret Mead ist es zu<br />

danken, dass ein Augenmerk auf die Stärkung der Rolle der Frau gerichtet<br />

wurde, um die autoritäre patriarchale F<strong>am</strong>ilienstruktur Deutschlands zu<br />

modifizieren. Talcott Parsons zeichnete verantwortlich für einen Entwurf des<br />

Wirtschaftssystems und neuer Strukturen in Institutionen. Auch Erich Fromm,<br />

Ruth Benedict und Kurt Lewin standen Pate für dieses Vorhaben, das Züge<br />

eines utopischen Unternehmens trägt und sich auf die Stärkung von ganz<br />

Europa bezog, wie sich an den Investitionen im Rahmen des Marshall Plans<br />

nachvollziehen lässt.<br />

Ein entscheidender Faktor war eine gezielt gesetzte Medienstrategie, die die<br />

Stukturen, die man unter Hitler geschaffen hatte, für Erziehung in Demokratie<br />

umnutzte. Galt vor 1945 ein striktes Bilderverbot für die Konzentrations- und<br />

Vernichtungslager, so wurden nun an zentralen Orten in den Städten Bildtafeln<br />

errichtet, die die Deutschen mit Folterungen und Massentötungen dieser<br />

Lager konfrontierte. Die Filme, die direkt im Anschluss an ihre Befreiung in<br />

den Lagern gedreht wurden, waren Pflichtprogr<strong>am</strong>m. Bereits im Rahmen<br />

der Brickner Conferences hatte man sich darüber Gedanken gemacht, wie ein<br />

Schuldbewusstsein der Deutschen zu erzeugen sei, und sah in den „Atrocity<br />

Pictures“ ein probates Mittel. Mit den „Todesmühlen“ oder Kompilationen wie<br />

„Lager des Grauens“ versuchte man die Bevölkerung zu erreichen.<br />

Ein perfektes Verbrechen zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht nachvollzogen<br />

werden kann. Die Spuren verwischt, Überreste getilgt, keine Archivalien<br />

hinterlassen. Nachvollzogen und re-inszeniert werden kann nur, wovon wir<br />

uns ein Bild machen können. Das war der SS sehr wohl bewusst und ihr an<br />

verschiedenen Stellen bezeugtes Ziel war es daher, keine Bilder von den<br />

Massentötungen in KZs herstellen zu lassen. Die Macht der Bilder und ihre<br />

Zeugenschaft stand auch für die Alliierten außer Frage, wie die Überzeugung,<br />

Bilder aus den KZs seien ein probates Gegenmittel gegen den Nazismus,<br />

bezeugt. Zuletzt ist der Streit über die Abbildbarkeit der Nazi-Verbrechen<br />

erneut aufgefl<strong>am</strong>mt. Während der Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman<br />

fordert, wir sollten uns nicht hinter der „Unfassbarkeit“ der Nazigreueltaten<br />

verstecken und uns mit den Bildzeugnissen des Holocaust auseinander<br />

setzen, thematisiert Harun Farocki in seiner Annäherungsweise die Verfahren<br />

der Dokumentierung um 1945 selbst. Auch die Aufnahmen der Befreier der<br />

KZs sprechen eine unbewusste Botschaft aus, die es aus dem Abstand der<br />

Jahre zu entziffern gilt. Zudem entfachen Bilder noch jeden Krieges selbst<br />

einen Krieg, machen Opfer oftmals erneut zu Opfern. Heute schmücken<br />

beispielsweise im Libanon Bilder von „Märtyrern“ des Krieges die Wände der<br />

Stadt Beirut. Ihr Tod wird eingesetzt in einem medialen Krieg der Bilder,<br />

der die Tragödie des Krieges zu verdecken sucht. D<strong>am</strong>it werden die Opfer<br />

der Verbrechen erneut zum Opfer (vgl. den Text von Zeina Maasri).<br />

Im Rahmen der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> wurden auch Filme entwickelt, die zur Umorientierung<br />

dienen sollten und den <strong>am</strong>erikanischen Lebensstil propagierten. In<br />

Zeichentrickfilmen wie „Der Schuhmacher und der Hutmacher“ erklärte<br />

man Vorteile und Funktionsweise grenzenlosen Handels und pries die freie<br />

Marktwirtschaft. Sogar auf dem Theater galt es, <strong>am</strong>erikanische Stoffe umzusetzen<br />

und der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> Raum zu geben. Auch <strong>am</strong> Hebbel-Theater spielte<br />

man „Unsere kleine Stadt“ und „Wir sind nochmal davon gekommen“ (vgl.<br />

hierzu den Artikel von Carola Jüllig). Der Systemwechsel sollte sich kulturell<br />

an möglichst vielen gesellschaftlich relevanten Orten vollziehen. Das <strong>am</strong>erikanische<br />

Radio wurde zu Kult. „You too can be like us!“ war dabei nur einer der<br />

Slogans, die den American Way of Life auch für Deutschland propagierten.<br />

Und was ist daraus geworden? Der Kulturtransfer ist weiterhin in vollem Gange.<br />

Wir konsumieren von Kindesbeinen an nord<strong>am</strong>erikanische Fernsehserien<br />

und Burger. Der Kaffee wurde - einmal in Europa etabliert - in die USA exportiert<br />

und in Form von Kaffeehausketten reimportiert. Deutschland ist ein demokratisches<br />

Land und gilt unter Angela Merkel auch wieder als befreundetes<br />

Land der USA. Während das Projekt der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> in Deutschland<br />

insges<strong>am</strong>t als gelungen gilt, sind Versuche der USA, dieses Progr<strong>am</strong>m in<br />

anderen kulturellen Kontexten einzusetzen, eher gescheitert. Nicht nur in<br />

Deutschland setzte man <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>-Progr<strong>am</strong>me um, auch in Japan und<br />

Vietn<strong>am</strong> unternahm man mit unterschiedlichem Erfolg ähnliche Versuche.<br />

Heute scheitern die USA an dem Krieg im Irak, in dem zunächst eben keine<br />

<strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> vorgesehen war (vgl. hierzu den Artikel von Jörg Lau).<br />

„Democracy Promotion“ aber hat Erfolg in osteuropäischen Ländern, wo sich<br />

die USA an den sogenannten „<strong>Re</strong>genbogenrevolutionen“ auch finanziell<br />

beteiligten. Amerika, die USA, sind eine Marke geworden, eine Art Franchise<br />

Unternehmen, das nach wie vor expandiert. Auch im Zeichen des kollabierenden<br />

Klimas stehen die Zeichen auf Wachstum und Prosperität. Den Preis zahlen<br />

andere. Demokratie in der Variante der USA scheint mehr mit Starkult gemein<br />

zu haben als mit offen ausgetragenem Disput und prozessualer Meinungsbildung.<br />

Bis an die entlegensten Orte der Welt transferieren die USA ihre<br />

Kultur. Bilder spielen dabei immer eine entscheidende Rolle.<br />

Die Begriffe „Demokratie“ und „Freiheit“ wirken in diesem Kontext selbst wie<br />

Propaganda, wie Worthülsen, hinter denen sich wenig mehr als wirtschaftliche<br />

Interessen zu verbergen scheinen. Medieninszenierungen versprechen eine<br />

bessere Welt und Zukunft, wenn wir nur den <strong>Re</strong>geln der <strong>am</strong>erikanischen<br />

Demokratie und Marktwirtschaft gehorchen. Dennoch bleibt Demokratie ein<br />

Versprechen mit utopischem Gehalt. Ihre Praxis gilt es zu verteidigen, auch<br />

gegen die Instrumentalisierung in imperialen Zus<strong>am</strong>menhängen. Auch darum<br />

riskieren wir den Blick zurück in die Zeit der Demokratisierung Deutschlands.<br />

Die Sehnsucht nach einem Ursprung wäre reaktionär. Die Fragen allerdings<br />

nach den Wechselwirkungen zwischen den Kulturen, nach der Wirks<strong>am</strong>keit<br />

der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>, nach Kontinuitäten und Brüchen vor und nach 1945, sind<br />

legitim, notwendig und dringlich.<br />

Stefanie Wenner Autorin und Kuratorin, arbeitet an der Schnittstelle von<br />

Philosophie und Kunst. Mitbegründerin der Diskursiven Poliklinik und<br />

verantwortlich für Veranstaltungen wie u.a. die Kollektiv-Körper-Konferenz an<br />

der Schaubühne 2001, Kunst und Verbrechen <strong>am</strong> HAU 2003 und jetzt<br />

<strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>. Habilitiert in der Philosophie an der FU Berlin mit einem Projekt<br />

zu Paarbildung in Philosophie und Kunst.


erlaubten. Aber als der Anfang gemacht war, konnten Deutsche und Besatzer,<br />

wie es d<strong>am</strong>als hieß, miteinander verkehren – wie der aus Europa vertriebene<br />

<strong>Re</strong>gisseur Billy Wilder im Film „A Foreign Affair“, der 1948 gedreht wurde,<br />

ironisch geschildert hat.<br />

Frontispiz der Originalausgabe von 1943<br />

ANFANG ÜBER ALLES<br />

DEUTSCHLAND UND DIE STUNDE NULL<br />

VON UTA GERHARDT<br />

Am 1. November 1943 vereinbarten der <strong>am</strong>erikanische Präsident Roosevelt,<br />

der britische Premier Churchill und der russische Generalissimo Stalin in der<br />

Moskauer Erklärung, dass die Verbrechen der Deutschen, die in mehr als einem<br />

Land begangen wurden, durch ein Internationales Militärtribunal abgeurteilt<br />

werden sollten. D<strong>am</strong>it war ein Anfang der Nachkriegszeit gemacht.<br />

Es war nicht der einzige Anfang, der lange vor Kriegsende in die Wege geleitet<br />

wurde. Zwei weitere Anfänge entstanden in den USA im Jahr 1943, wodurch<br />

die Demokratie in Deutschland, wie sie nach der Niederlage des Nationalsozialismus<br />

entstehen sollte, entscheidend mitgeprägt wurde.<br />

Der eine Anfang war die Vorplanung zur Umgestaltung von zwanzig Lebensbereichen<br />

in Deutschland – unterschiedlich in der <strong>am</strong>erikanischen, britischen<br />

und französischen Besatzungszone – nach den rechtsstaatlichen, marktwirtschaftlichen<br />

und parl<strong>am</strong>entarischen Grundsätzen. Die Handbücher und<br />

Direktiven, die ab 1943 erarbeitet wurden, sahen für die Justiz, die Politik,<br />

den Bildungssektor und praktisch jeden Lebensbereich einen Neuanfang vor.<br />

Dieser sollte durch die Entnazifizierung, die Entmilitarisierung, die Dezentralisierung<br />

und die Dekartellisierung geschaffen werden – jene berühmten<br />

„vier D’s“, die in der sprichwörtlichen Stunde Null erst einmal eine Tabula<br />

rasa schufen, so dass dann die Neuanfänge bewusst und entschlossen in die<br />

Wege geleitet werden konnten. Mit dem Einmarsch der Truppen k<strong>am</strong> der<br />

Zeitpunkt der Abschaffung, Stilllegung, Abwicklung oder vorübergehenden<br />

Schließung sämtlicher deutschen Einrichtungen, eben jene Stunde Null, die<br />

zugleich der Beginn des demokratischen Wiederaufbaus werden sollte.<br />

Die Vorbereitung dieser Kärrnerarbeit der Militärregierung dauerte zwei Jahre<br />

und bezog viele Emigranten aus Deutschland in die Planungen ein. Im<br />

Sommer 1944 saßen zweihundert Experten, auch Sozialwissenschaftler,<br />

Historiker, ehemalige <strong>Re</strong>gierungsbe<strong>am</strong>te und Richter, in Shrivenh<strong>am</strong> in England<br />

in Klausur, um das Handbuch der Militärregierung zu erarbeiten, das die<br />

Grundlage der Maßnahmen der Stunde Null war. Man erfand ein geniales<br />

Prinzip der Umgestaltung von der Diktatur zur Demokratie. Das Prinzip war,<br />

dass die Besatzungspolitik so angelegt sein musste, dass die Maßnahmen,<br />

die der Demokratisierung dienten, nicht durch die Mehrheit der Deutschen,<br />

die ihr in der ersten Zeit noch kritisch gegenüber stehen mochten, unwillkürlich<br />

unterlaufen wurden. Die Amerikaner – und ebenso die Briten und auch die<br />

Franzosen – schufen sich einen Spielraum des Handelns, indem sie nichtoffizielle<br />

Kontakte mit Deutschen, die die konsequente Demokratisierungspolitik<br />

torpedieren mochten, im ersten Jahr der Besatzungsherrschaft nicht<br />

Der andere Anfang des Jahres 1943 war nicht offiziell und hatte doch eine bis<br />

heute unverkennbare Wirkung. Im April 1943 veröffentlichte der <strong>am</strong>erikanische<br />

Psychiater Richard Brickner ein Buch mit dem Titel „Is Germany Incurable?“.<br />

Brickner hatte eine aufregende These: Er fand, der Rassenwahn der Nationalsozialisten,<br />

wodurch große Teile Europas dem Mord ausgeliefert waren, war<br />

eine paranoides Stück deutschen Wesens, woran die Welt genesen solle. Man<br />

müsse den Bann brechen – auch für und durch die Deutschen. Man müsse,<br />

wie in der Psychiatrie d<strong>am</strong>als, die Heilung mit der Methode der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong><br />

angehen. <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> hieß d<strong>am</strong>als jene ärztliche Therapie, die den „gesunden<br />

Anteil“ einer kranken Persönlichkeit zum Ausgangspunkt für die Wiedergenesung<br />

macht – so wie es Frieda Fromm-<strong>Re</strong>ichmann, der genialen Psychiaterin,<br />

gelang, die in dem Roman „Ich habe dir nie einen Rosengarten versprochen“<br />

geschildert wird. Brickners Idee: Man musste die „gesunden Anteile“ der<br />

deutschen Bevölkerung finden, also die nicht vom Nationalsozialismus verblendeten<br />

Persönlichkeiten. Mit ihnen könne ein langfristiger Anfang gelingen.<br />

Zwei Entwicklungen gehörten zu dieser <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>. Die eine umfasste<br />

die „Weißen Listen“ (White Lists), und die andere führte schließlich ins<br />

Wirtschaftswunder.<br />

The Nicholas Brothers performing „Chattanooga Choo Choo“ from the film „Sun Valley Serenade“ (1941).<br />

Photograph from the Dance Division, New York Public Library for the Performing Arts, Astor, Lenox, and<br />

Tilden Foundations<br />

Etwa durch die Mitarbeit des Dichters Carl Zuckmayer wurden die N<strong>am</strong>en,<br />

Adressen, Berufe, Verdienste und Leiden von Persönlichkeiten verzeichnet,<br />

die für einen demokratischen Neuanfang in Frage k<strong>am</strong>en. So lebte in Calw<br />

in einer Kellerwohnung der <strong>Re</strong>chtsanwalt <strong>Re</strong>inhold Maier, der vor Gericht<br />

jene Angeklagten verteidigte, die wegen Wehrkraftzersetzung, Heimtücke oder<br />

ähnlicher Delikte ein Todesurteil fürchten mussten. Maier wurde der Ministerpräsident<br />

des Landes Nordwürttemberg-Nordbaden, das die Amerikaner im<br />

Juni 1945 schufen. In Heidelberg-Handschuhsheim lebte in einer Dachwohnung<br />

der stellungslose Journalist Theodor Heuß, dessen Ehefrau durch Übersetzungen<br />

ein bescheidenes Einkommen sicherte. Heuß wurde Kultusminister<br />

im Land Nordwürttemberg-Nordbaden. Er erzählt in seinen Erinnerungen,<br />

dass ein hoher <strong>am</strong>erikanischer Offizier auf den Hof k<strong>am</strong>, gerade als er, Heuß,<br />

beim Teppichklopfen war. Der Offizier fragte, ob Heuß das Minister<strong>am</strong>t<br />

annehmen könne. Er soll geantwortet haben, er bitte allerdings um eine<br />

Haushaltshilfe für seine Frau, die die schweren Arbeiten gesundheitlich<br />

nicht mehr bewältige.<br />

Im Frühjahr 1944 konnte Brickner mit finanzieller Unterstützung des Kriegsministeriums,<br />

wo der Staatssekretär John McCloy die Planungen für Nachkriegsdeutschland<br />

aufmerks<strong>am</strong> verfolgte, eine Konferenz nach New York<br />

einberufen. Sie widmete sich dem Thema „Germany After the War“. Es ging<br />

um die Nachkriegspolitik der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>, also eine langfristige Genesung<br />

der deutschen Nation von der Mentalität der Diktatur. Unter den Teilnehmern,<br />

zumeist Psychiatern, Psychoanalytikern und Psychologen, waren auch zwei<br />

Sozialwissenschaftler, nämlich die Kulturanthropologin Margaret Mead und<br />

der Soziologe Talcott Parsons. Die Konferenz erarbeitete in vier Einzelsitzungen<br />

von jeweils 1-2 Tagen eine Konzeption der Umwandlung Deutschlands in<br />

eine moderne Demokratie. Der Grundgedanke war zum einen, wie es Mead<br />

formulierte, dass der Nationalcharakter Deutschlands, eine Mischung aus<br />

sentimentalem Utopismus und pragmatischer Autoritätsgläubigkeit, durch<br />

dr<strong>am</strong>atische Veränderungen der Kindererziehung und des innerf<strong>am</strong>iliären Klimas<br />

im Nachkriegsdeutschland zu einem toleranten und partnerschaftlichen<br />

Denken gewandelt werden musste. Und der Grundgedanke war zum anderen,<br />

wie es Parsons formulierte, dass nur durch institutionellen Wandel, insbesondere<br />

die Befreiung der Wirtschaft von den Zwängen der staatlichen<br />

<strong>Re</strong>gulierung und die Rückkehr zum Unternehmenskapitalismus auf rechtsstaatlicher<br />

Grundlage, ein Anschluss Deutschlands an die Nationen der<br />

westlichen Welt gelingen konnte. Mit anderen Worten: Die Brickner-Konferenz<br />

des Jahres 1944 erarbeitete ein Konzept, wie durch Wandel der zwischenmenschlichen<br />

Beziehungen und durch die Marktwirtschaft ein Potential der<br />

Demokratie in Deutschland (zunächst Westdeutschland) geschaffen werden<br />

konnte, das die Rückkehr oder den Fortschritt des Landes in „die F<strong>am</strong>ilie der<br />

friedlichen Nationen“ sicherstellte, wie die Formulierung der Abschlusserklärung<br />

der Potsd<strong>am</strong>er Konferenz lautete.<br />

Es war nur folgerichtig, wenn drei Jahre später, im Juni 1947, der <strong>am</strong>erikanische<br />

Außenminister George C. Marshall, als ihm die Ehrendoktorwürde der<br />

Harvard-Universität verliehen wurde, in seiner kurzen Ansprache ankündigte,<br />

dass die USA sich entschlossen hatten, durch Finanzhilfen den Wiederaufbau<br />

Europas zu fördern. Dabei sollten keine bilateralen Abmachungen getroffen,<br />

sondern Institutionen der Vernetzung der Empfängerländer durch Finanzausgleich<br />

und feste Wechselkurse geschaffen werden, nämlich die Organisation<br />

für europäische Zus<strong>am</strong>menarbeit (OEEC) und später die Europäische<br />

Zahlungsunion (EZU) – der Anfang jener Europäischen Union (EU), deren<br />

glänzende Erfolgsgeschichte ein Ruhmesblatt der Jahrzehnte seither ist.<br />

Westdeutschland – dies war wie ein Gottesgeschenk – sollte dabei von Anfang<br />

an wie die anderen Länder Europas behandelt werden.<br />

Der Anfang der <strong>am</strong>erikanischen Zone war also mit der Stunde Null verbunden –<br />

der Ausgliederung der Nationalsozialisten durch die Politik der „vier D’s“,<br />

der Suche nach den verbliebenen Nicht-Nationalsozialisten, die den Geist der<br />

Demokratie noch verkörperten, und außerdem die Schaffung einer Marktwirtschaft<br />

jenseits von Monopolen, Kartellen und staatlicher <strong>Re</strong>gulierung und<br />

auch langfristig eine Gesellschaftsstruktur der europäischen Einigung in<br />

der Tradition der freiheitlichen Demokratie.<br />

Am Anfang des Neuen stand die Stunde Null, die diese Entwicklungen auf den<br />

guten Weg brachte. Man muss sehen, dass der Übergang vom Verbrechensregime<br />

zum demokratischen <strong>Re</strong>chtsstaat nicht von selbst geschah. Es ist kein<br />

peinliches Eingeständnis, wenn man sich heute klarmacht, wie viel Anfang<br />

wir Deutschen den d<strong>am</strong>aligen Besatzungsmächten verdankten, jenen Ländern<br />

und Menschen, die durch ihre gewaltigen Anstrengungen ermöglichten, den<br />

Nationalsozialismus zu besiegen.<br />

GERHARDT, UTA Lehrstuhl II für Soziologie der Universität Heidelberg,<br />

studierte Soziologie, Geschichte, Philosophie und Psychologie an der Universität<br />

Frankfurt bei Theodor W. Adorno und an der Freien Universität Berlin. Sie<br />

promovierte bei Ralf Dahrendorf an der Universität Konstanz. Nach Auslandsaufenthalten,<br />

unter anderem an der Harvard Universität, an der University of<br />

California, an der New York University und der Universität London übernahm<br />

sie 1979 ein Ordinariat in Deutschland und lehrt seit 1993 in Heidelberg.<br />

Ihre Forschungsschwerpunkte sind seit den achziger Jahren die <strong>am</strong>erikanische<br />

soziologische Theorie, der Nationalsozialismus und die Besatzungsherrschaft<br />

der westlichen Alliierten, vor allem der USA. Sie hat über zwanzig Bücher<br />

veröffentlicht, davon im Jahr 2007 „Die lange Stunde Null“.


Ein Theater im <strong>am</strong>erikanischen Sektor<br />

von Carola Jüllig<br />

Bereits <strong>am</strong> 22. Juli 1945 fand die erste Veranstaltung nach der Kapitulation<br />

im Hebbel-Theater statt: eine Matinée des Volksbildungs<strong>am</strong>tes Kreuzberg,<br />

die von der Ausdruckstänzerin Gertrud Oswald bestritten wurde. Die ersten<br />

Wochen nach Kriegsende waren für die Kulturschaffenden in Berlin voller<br />

Möglichkeiten: die sowjetische Militärverwaltung lizenzierte großzügig, hatte<br />

sie doch schon in einem Befehl vom 16. Mai den Theatern allgemeine<br />

Spielerlaubnis erteilt. Das Hebbel-Theater hatte bis zur Schließung der Berliner<br />

Theater im September 1944 als Ausweichstätte der Volksbühne gedient<br />

und war – im Gegensatz zu den meisten anderen Häusern – bespielbar. Karl<br />

Heinz Martin, der seit 1941 <strong>am</strong> Schillertheater und der Volksbühne inszeniert<br />

hatte, erhielt Anfang Juli vom neuen Berliner Magistrat den Auftrag zur Leitung<br />

des Hauses. Wenige Tage später, <strong>am</strong> 11. Juli, übernahm der Alliierte Kontrollrat<br />

die Verwaltung Berlins: Das Theater lag nun im <strong>am</strong>erikanischen Sektor.<br />

Das künstlerische Nachholbedürfnis der Berliner war enorm. Publikum und<br />

Kritiker erwarteten nicht weniger als Lebens- und Orientierungshilfe nach 12<br />

Jahren nationalsozialistischer Diktatur. Sie wollten die Werke verbotener<br />

deutscher Künstler sehen, aktuelle Stücke aus dem Ausland und neueste<br />

Dr<strong>am</strong>en, die sich mit der jüngsten Vergangenheit beschäftigten. Der Spielplan<br />

des Hebbel-Theaters in den ersten Nachkriegsjahren bediente diese<br />

Erwartungen voll und ganz.<br />

Als Martin <strong>am</strong> 5. November 1945 seine <strong>am</strong>erikanische Lizenz erhielt, hatte er<br />

bereits drei Premieren präsentieren können: Im August die „Dreigroschenoper“<br />

und Zuckmayers „Fröhlichen Weinberg“, im Oktober „Macbeth“. Schon<br />

mit dem Eröffnungsstück machte Martin die Richtung deutlich: Die<br />

„Dreigroschenoper“ konnte in der NS-Zeit nicht gespielt werden, Brecht und<br />

Weill mussten ins Exil. Und es traf den Nerv der Zeit: denn „das Schicksal der<br />

Ärmsten der Armen ist unser aller Schicksal geworden“, wie ein Kritiker<br />

notierte. Doch über den berühmten Ausspruch „Erst kommt das Fressen und<br />

dann die Moral“ entbrannte ein heftiger Streit in den Berliner Feuilletons.<br />

Zuckmayers Komödie „Der fröhliche Weinberg“ gehört ebenfalls in die<br />

Kategorie der verbotenen Werke; weil ihr Autor Jude war, durfte sie seit 1936<br />

in Deutschland nicht mehr gespielt werden. Ebenso wie die Dreigroschenoper<br />

war sie ein fulminanter Erfolg für Martin und das Hebbel-Theater.<br />

Wie ungebrochen der Glaube an die Macht des Wortes, an die Macht des<br />

Theaters war, belegen auch die <strong>Re</strong>aktionen auf das erste <strong>am</strong>erikanische Dr<strong>am</strong>a<br />

mit <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>-Anspruch: „Leuchtfeuer“ (Thunder Rock) von Thomas Ardrey.<br />

Es gehörte zu den wenigen für die Aufführung in Deutschland genehmigten<br />

Stücken, die erstens modern, zweitens keine reine Unterhaltung im Sinne<br />

der Broadway-Komödien, drittens eine positive Botschaft und viertens einen<br />

Bezug zur Situation in Deutschland 1945 hatten und d<strong>am</strong>it im weitesten<br />

Sinne einen Beitrag zur Umerziehung leisten sollten. Und so wurde es auch<br />

verstanden: Die Geschichte eines Mannes, der eine glaubhafte Wandlung<br />

vom weltflüchtigen Pessimisten und Zyniker zum wieder in die Welt zurückkehrenden<br />

Optimisten durchmacht, „das ist von einer Überreds<strong>am</strong>keit, die<br />

gerade an den Zuschauer faßt und ihn nicht entläßt, ohne daß er seinen Teil<br />

an Auftrieb empfangen hat“ schrieb Friedrich Luft; das Stück entlasse die<br />

Menschen „verwandelt“.<br />

1947 bescheinigten neun Berliner Theaterkritiker Ardreys „Leuchtfeuer“ und<br />

Wilders Dr<strong>am</strong>a einen besonders hohen „Umerziehungswert“. Das 1942<br />

geschriebene Stück zeigt die Geschichte der Menschheit <strong>am</strong> Beispiel der Urf<strong>am</strong>ilie<br />

Antropus, die Eiszeit, Sintflut und Krieg überlebt – eben immer davonkommt.<br />

Als <strong>am</strong> Ende des dritten Aktes die Friedensmeldung kommt, beginnt<br />

der Kreislauf von neuem. Ob die Menschheit inzwischen etwas gelernt<br />

habe, diese Frage beantwortete der Dichter nicht; das musste jeder Zuschauer<br />

für sich selbst tun.<br />

Bis zu seinem frühen Tod im Januar 1948 konnte Martin diesen hohen Standard<br />

halten. Uraufführungen von Zeitstücken junger Autoren, Unterhalts<strong>am</strong>es,<br />

verbotene deutsche Stücke, Werke von Emigranten und ausländische Dr<strong>am</strong>en –<br />

wie Lilian Hellmans „Auf der anderen Seite“ (Watch on the Rhine), das 1941<br />

in den USA großen Erfolg gehabt hatte – k<strong>am</strong>en neben moderner französischer<br />

Dr<strong>am</strong>atik (Jean Giraudouxs „Der trojanische Krieg findet nicht statt“ und<br />

„Eurydike“ von Jean Anouilh) auf die Bühne des Hebbel-Theaters.<br />

Zum absoluten Höhepunkt geriet, nur wenige Tage vor Martins Tod, die Premiere<br />

von Jean Paul Sartres „Die Fliegen“ in der Inszenierung von Jürgen Fehling.<br />

Die Aufführung war nicht nur ein künstlerisches, sondern auch ein gesellschaftliches<br />

Ereignis: Auf dem Schwarzmarkt wurden Karten für 500-700 Mark<br />

angeboten. Schon vor seiner Premiere hatte das Stück für publizistischen<br />

Wirbel gesorgt, denn der französische Existenzialismus füllte wie kaum ein<br />

anderes Thema die Medien. Die Berliner Aufführung stand unter dem<br />

Protektorat der französischen Botschaft und wurde mit einem Vortrag des<br />

Leiters der „Mission Culturelle“ der Französischen Militärregierung vorbereitet.<br />

Die Auseinandersetzungen um das Stück, um die Inszenierung kreisten<br />

denn auch um den Existenzialismus an sich. Sie zeigen deutlich, dass der Kalte<br />

Krieg nun massiv auch über die Kultur ausgefochten wurde. Die Kritiker aus<br />

dem Osten der Stadt schmähten den Existenzialismus als „finster reaktionäre<br />

Philosophie“, die anderen verteidigten die „Freiheit des Individuums“. Mit dem<br />

umstrittenen Stück hatte sich das Hebbel-Theater breite Aufmerks<strong>am</strong>keit<br />

gesichert. Sogar Sartre selbst k<strong>am</strong> im Februar 1948 nach Berlin und stellte<br />

sich im Hebbel-Theater der Diskussion.<br />

Oscar Ingenohl trat Martins Nachfolge an. Bis 1951 führte er das Haus erfolgreich<br />

weiter und konnte in dieser Zeit hervorragende Schauspieler und<br />

In dieser ersten Spielzeit folgte Höhepunkt auf Höhepunkt: Neben Offenbachs<br />

„Pariser Leben“ (in der Inszenierung von Walter Felsenstein!) k<strong>am</strong> Friedrich<br />

Wolfs „Professor M<strong>am</strong>lock“ als deutsche Erstaufführung auf die Bühne, im<br />

Februar 1946 folgte „Der Soldat Tanaka“, das der seit 1939 im schweizerischen<br />

Exil lebende, frühere Exponent des Expressionismus Georg Kaiser<br />

verfasst hatte.<br />

Karl Heinz Martin suchte Werke, die sich mit der jüngsten deutschen Vergangenheit<br />

und ihrer Bewältigung auseinander setzten, neue deutsche Stücke,<br />

vor allem „das wahrhafte Zeitdr<strong>am</strong>a, das gegen die Gefahren und Mißstände<br />

jüngster Vergangenheit, die heute noch längst nicht überwunden sind, in<br />

schärfster und eindrucksvollster Form zu Felde zieht.“ Sein „Studio 46“ konnte<br />

er im März 1946 mit der Uraufführung eines solchen Dr<strong>am</strong>as eröffnen: Günter<br />

Weisenborns „Die Illegalen“. Der Autor war selbst wegen der Mitgliedschaft<br />

in der Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen von den Nationalsozialisten<br />

ins Gefängnis gesteckt worden und nun Chefdr<strong>am</strong>aturg <strong>am</strong><br />

Hebbel-Theater. In dem Stück verarbeitete er seine eigenen Erfahrungen im –<br />

vergeblichen – K<strong>am</strong>pf gegen das NS-<strong>Re</strong>gime.<br />

Daniela Comani: Still aus „100 Jahre : 100 Sekunden”, 2007, nach einem Foto von Oskar Kaufmann, 1907<br />

Martin selbst inszenierte Hebbels „Judith“ und ermöglichte den Berlinern im<br />

April ein Wiedersehen mit Hans Albers. Der seit den zwanziger Jahren erfolgreiche<br />

Schauspieler hatte sich in der NS-Zeit auf seine Filmrollen konzentriert;<br />

als „Liliom“ von Franz Molnar stand er erstmals seit 1933 wieder auf der<br />

Bühne. Die Aufführung war eine Wiederholung von Martins erfolgreicher<br />

Inszenierung für die Volksbühne 1931, mit der Albers Triumphe gefeiert hatte.<br />

Auch nun bescherte ihm das Stück ein ausverkauftes Haus. Die Kritik<br />

bescheinigte Martin ein „klug gemischtes, auch im Unterhaltlichen nicht<br />

substanzloses <strong>Re</strong>pertoire“.<br />

Am Ende dieser ersten, äußerst erfolgreichen Spielzeit, die dem Hebbel-Theater<br />

eine führende Position im Berliner Theaterleben hatte sichern können, stand<br />

nochmals ein Triumph, wieder ein aktuelles <strong>am</strong>erikanisches Dr<strong>am</strong>a. Thornton<br />

Wilders „Wir sind noch einmal davongekommen“ in der <strong>Re</strong>gie von Karl<br />

Heinz Stroux (er hatte es bereits in Darmstadt inszeniert) wurde bejubelt, das<br />

Stück selbst zu einem der meist gespielten in den Westzonen. Im Frühjahr<br />

Jean Paul Sartres „Die Fliegen”, <strong>Re</strong>gie: Jürgen Fehling, 1948, Foto: Werner Borchmann, Stiftung Stadtmuseum Berlin<br />

<strong>Re</strong>gisseure wie Fritz Kortner und Helmut Käutner gewinnen. Als 1951 das<br />

zerstörte Schillertheater nach dem Wiederaufbau eröffnet wurde und<br />

(West-) Berlin wieder ein repräsentatives Theater hatte, wurde das Ausweichquartier<br />

Hebbel-Theater als städtische Bühne geschlossen.<br />

Carola Jüllig geb.1957 in Berlin, Studium der Geschichte und Kunstgeschichte<br />

in Berlin und H<strong>am</strong>burg. Volontariat <strong>am</strong> Berlin Museum, Mitarbeit<br />

bei verschiedenen Ausstellungsprojekten. Seit 1993 Wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin <strong>am</strong> Deutschen Historisches Museum.


Hinschauen - Wegsehen: Bilderpolitik der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong><br />

der örtlichen Gemeinschaftsverwaltung bekommen. Der Film stellt die Erlebnisse<br />

einzelner Jungen und Mädchen während ihrer „Amtszeit“ nach.<br />

HARUN FAROCKI PRÄSENTIERT SEINEN FILM „AUFSCHUB”<br />

S<strong>am</strong>stag, 19. Januar 19.00 Uhr hau eins<br />

I) VON DER RE-EDUCATION ZU RE-ORIENTATION<br />

„Deutschland Erwache“ (D/USA 1945, 23’), hergestellt vom US-Signal<br />

Corps, ist ein ungewöhnlich integerer Film über die Nazi-Konzentrationslager,<br />

der bereits ab Mai 1945 den deutschen Kriegsgefangenen gezeigt wurde. Vor<br />

allem der illusionslose Kommentar und die direkte Ansprache fordern Anerkennung:<br />

„Wir wissen, dass unter euch Männer sitzen, die uns heute zwar erzählen<br />

wollen, nie Nazis gewesen zu sein, die sich in Wirklichkeit aber nicht geändert<br />

haben und heute noch an Hitlers Theorien festhalten.“<br />

„Ein Jahr später“ (Un an d’occupation en Allemagne, D/F 1946, 16’), hergestellt<br />

von der Wochenschau „Blick in die Welt“, zieht eine Bilanz der ersten 12<br />

Monate der französischen Militärverwaltung. Der Film konfrontiert in seinem<br />

ersten Teil das durch die Nazis angerichtete Desaster mit der Möglichkeit<br />

eines Lebens in Frieden und Wohlstand: „Warum habt ihr Festungen gebaut?<br />

II) VERBRECHEN GEGEN DIE MENSCHLICHKEIT<br />

„Die Todesmühlen“ (D/USA 1945/46, 22’), erstellt von Hanus Burger unter der<br />

Oberaufsicht von Billy Wilder, zeigt die Weimarer Bevölkerung, die im<br />

Sommer 1945 auf Anweisung der Amerikaner das nahegelegene KZ Buchenwald<br />

besichtigen müssen und überblendet dann zu Bildern jener Menschen,<br />

die nur ein paar Jahre zuvor begeisterte Nazis waren, den Arm zum Hitlergruß<br />

erhoben, auf dem Parteitag, in den Straßen. Burger über seine Intention:<br />

„Diese Menschen wollte ich mit Hilfe dokumentarischer Bilder durch all die<br />

Jahre begleiten. Wie sie ein wenig später ohne Protest die Arbeitsplätze<br />

der Opfer einnahmen, ihre Läden, Wohnungen und Firmen. Wie sie das Beutegut<br />

aus den überfallenen Gebieten empfingen, wie sie einmarschierten,<br />

bewachten, abtransportierten, hinrichteten. Wie sie dann in den Kellern saßen<br />

oder in den Gräben von Stalingrad, und wie sie dann sagten, sie hätten<br />

von nichts gewusst.“ Der Film bemüht sich, alle Opfergruppen aufzuzählen,<br />

vergisst aber Homosexuelle und Sinti und Roma. – Thomas Tode<br />

Westerbork war zunächst ein Flüchtlingslager, 1939 im Norden des Landes von<br />

der niederländischen <strong>Re</strong>gierung für die aus Deutschland vertriebenen oder<br />

geflüchteten Juden eingerichtet, teilweise vom Jüdischen Flüchtlingskomitee<br />

bezahlt.<br />

1940 überfielen die Deutschen die Niederlande und besetzten sie und 1942<br />

unterstellten sie das Lager dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und<br />

des Sicherheitsdienstes und benannten es in „Polizeiliches Judendurchgangslager<br />

Westerbork“ um.<br />

Westerbork war ein außergewöhnliches Lager, die SS blieb dort im Hintergrund.<br />

Die Verwaltung bestand aus Lagerinsassen, es waren jüdische Insassen,<br />

die die neu Eingelieferten registrierten, auf die Baracken verteilten und die<br />

Zwangsarbeit beaufsichtigten. Jüdische Insassen bildeten die Lagerpolizei und –<br />

stellten auch die Deportationslisten zus<strong>am</strong>men. Der Lagerkommandant hatte<br />

dabei das letzte Wort.<br />

In Westerbork wurde nicht geschlagen und gemordet, es gab wenig zu essen,<br />

aber niemand verhungerte. Die Insassen wurden nicht kahl geschoren und<br />

durften Zivilkleidung tragen, es gab <strong>Zeitung</strong>en zu lesen, eine Schule, ein<br />

großes Krankenhaus, Sportveranstaltungen, einmal die Woche fand ein<br />

Kulturabend statt.<br />

Jeden Dienstag fuhr von Westerbork ein Zug ab, Wagen der Dritten Klasse nach<br />

Bergen-Belsen und Theresienstadt, Güterwagen nach Auschwitz und Sobibor.<br />

Etwa 100 Züge sind von Westerbork abgefahren und haben etwa 100.000<br />

Menschen in den Tod gefahren.<br />

Der Leiter des Lagers, der SS-Mann Gemmeker wollte über das Lager einen<br />

Film drehen lassen. Der Fotograf Rudolf Breslauer, der mit seiner F<strong>am</strong>ilie aus<br />

München in die Niederlande geflüchtet war, hat ein paar Monate lang mit einer<br />

16mm-K<strong>am</strong>era Aufnahmen gemacht. Wahrscheinlich wollte Gemmeker diesen<br />

Film seinen Vorgesetzten und K<strong>am</strong>eraden zeigen, er hatte auch einen Besucherraum<br />

eingerichtet, mit dem Modell des Lagers und grafischen Übersichten.<br />

Filmplakate, BPD-Wien <strong>Re</strong>f.7- Bibliothek und Archiv Harun Farocki: Filmstill aus „Aufschub“ Harun Farocki: Filmstill aus „Aufschub“<br />

THOMAS TODE PRÄSENTIERT RE-EDUCATION-FILME<br />

UND ATROCITY PICTURES<br />

SAMSTAG, 19. JANUAR 17.00 UHR HAU EINS<br />

<strong>Re</strong>-educate Germany by Film!<br />

Während der ersten Monate der Okkupation Deutschlands stand die Besatzungspolitik<br />

im Zeichen des Potsd<strong>am</strong>er Abkommens und der Nürnberger<br />

Prozesse. Die sich daraus ergebende Aufgabe der „<strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>“ bzw.<br />

„<strong>Re</strong>-Orientation“ war deshalb in den Jahren 1945/46 untrennbar mit der<br />

Kollektivschuld-These verbunden. Umerziehung hieß zuallererst, die deutsche<br />

Bevölkerung von ihrer Schuld <strong>am</strong> Aufstieg des Nationalsozialismus und <strong>am</strong><br />

Holocaust zu überzeugen. Doch schon 1947 wurden die beim deutschen<br />

Publikum unbeliebten Filme über die Konzentrationslager in den Westzonen<br />

zurückgezogen, so dass nur noch Filme blieben, die den künftigen Bündnispartner<br />

mit den <strong>Re</strong>geln der Demokratie vertraut machen sollten oder die den<br />

„American way of life“ als Modell priesen.<br />

Dafür hättet ihr Krankenhäuser bauen können. Warum Tanks, dafür hätte jeder<br />

seinen Wagen gehabt. Denkt an die Nächte des Grauens zurück, in den<br />

Kellern, unter den stürzenden Häusern. Dafür hätte jede F<strong>am</strong>ilie in ihrem<br />

eigenen Haus leben können...“ Der zweite Teil zeigt die ersten Erfolge der<br />

französichen Militärbehörden.<br />

Irving Lerners „Swedes in America“ (USA 1941, 7’) ist der erste Film des Office<br />

of War Information (OWI), der für die Verbündeten, die neutralen und die<br />

befreiten Ländern den „American way of life“ propagieren sollte. Als Erzähler<br />

fungiert die schwedische Schauspielerin Ingrid Bergmann, die vorort in einer<br />

Kleinstadt erläutert, wie schwedische Einwanderer in den USA leben und ihre<br />

alten Gebräuche immer noch pflegen.<br />

In Fritz Peter Buchs „Frischer Wind in allen Gassen“ (D 1951, 17’) haben<br />

die Deutschen inzwischen die Herstellung der Filme übernommen, die zur<br />

Demokratie umerziehen sollen. Ein professioneller Schauspieler tritt neben<br />

Laiendarstellern der Stadt Eberbach <strong>am</strong> Neckar auf. Nach einer Idee des<br />

Bürgermeisters übernehmen die Jugendlichen für drei Tage im Jahr die Stadtverwaltung,<br />

d<strong>am</strong>it sie schon frühzeitig einen Einblick in die Grundprobleme<br />

Der Film ist nicht fertig gestellt worden, erhalten sind etwa 90 Minuten stummer<br />

Aufnahmen, kaum bearbeitet. Das Krankenhaus, der Sportplatz, die <strong>Re</strong>gistratur,<br />

Kulturabende, der zum Lager gehörende Bauernhof mit vielen Tieraufnahmen.<br />

Hauptsächlich Aufnahmen von der Arbeit, Entflechtung von Kabeln, Demontage<br />

von Flugapparaten, das Zerkleinern von Batterien. Und drei Mal der im Lager<br />

gelegene Bahnhof, zweimal werden Menschen eingeliefert. Einmal besteigen<br />

sie den Zug nach Auschwitz. Das sind wohl die einzigen Aufnahmen, die<br />

es von einer Deportation nach Auschwitz gibt, diese Szene hat schon <strong>Re</strong>snais<br />

in „Nacht und Nebel“ zitiert.<br />

Ich möchte jetzt an die Bilder erinnern, die nach der Befreiung in Bergen-Belsen<br />

gemacht wurden. Ein Bulldozer schiebt die Leichenhaufen vor sich her ins<br />

Massengrab. Das ist fotografiert und gefilmt worden, diese Bilder wurden<br />

verbreitet und werden noch heute gezeigt. Es geht hier um Bilder-Politik. Man<br />

will die Menschen etwas lehren und schindet mit dieser Darstellung die<br />

Opfer ein zweites Mal. – Harun Farocki


<strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> im Irak?<br />

Von Jörg Lau<br />

Der <strong>am</strong>erikanische Verteidigungsminister Robert Gates hat kürzlich in<br />

Washington großes Erstaunen ausgelöst, als er zusätzliche Mittel für die Diplomatie<br />

forderte. Es ist nach Kenntnis <strong>am</strong>erikanischer Insider noch nie vorgekommen,<br />

dass ein Minister eine Budgeterhöhung für ein anderes, um<br />

Bundesmittel konkurrierendes <strong>Re</strong>ssort verlangt hat. Gates will mehr Geld für<br />

Diplomaten und Entwicklungshelfer, weil er glaubt, dass Amerika den<br />

PR- und Informationskrieg gegen Al-Kaida zu verlieren drohe. „Es kann doch<br />

nicht wahr sein“, ließ er sich in der New York Times zitieren, „dass Al-Kaida<br />

sich besser im Internet präsentiert als wir.“<br />

Gates bricht mit der Politik seines Vorgängers Donald Rumsfeld, der bekanntlich<br />

nicht viel von Nationbuilding hielt. Rumsfeld machte keinen Unterschied<br />

wurden von den <strong>am</strong>erikanischen Kriegsherren, die ein zivilgesellschaftliches<br />

Gesicht brauchten, um den bereits aus anderen Gründen beschlossenen<br />

Waffengang vor den Augen der eigenen Öffentlichkeit zu legitimieren.<br />

Womöglich steckte dahinter ein riskantes politisches Kalkül, den Irak-Krieg der<br />

Öffentlichkeit zu verkaufen: Wenn wir beginnen, so möglicherweise die<br />

Überlegung, über den mühs<strong>am</strong>en Wiederaufbau zu sprechen – der mit Sicherheit<br />

auch ein politisch-moralischer Wiederaufbau wird sein müssen – dann<br />

arbeiten wir den Bedenkenträgern und Kriegsgegnern in die Hände und<br />

können die ganze Sache <strong>am</strong> Ende vergessen.<br />

Die Motive spielen heute letztlich keine Rolle mehr. Entscheidend ist nur, dass<br />

unter dieser Voraussetzung Planungen für eine <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> unterblieben.<br />

Als eine der wenigen kritischen Stimmen aus dem Lager der Kriegsbefürworter<br />

unter den Dissidenten ist hier Kanan Makiya zu nennen, der führende<br />

irakische Exil-Intellektuelle und Analytiker von Sadd<strong>am</strong> Husseins „<strong>Re</strong>publik<br />

der Angst“. Er schrieb Anfang April 2003, zwei Wochen nach Kriegsbeginn,<br />

in der ZEIT: „An jedem Tag meiner Irak-<strong>Re</strong>isen in den letzten fünf Wochen bin<br />

ich zerstörten und verwundeten Menschen begegnet - Menschen, die chauvini-<br />

ethno-religiös determinierten Konkurrenz um die Macht nicht möglich.<br />

Diesen Zerfallsprozess des Landes nicht antizipiert zu haben, war sicher einer<br />

der Kardinalfehler der <strong>am</strong>erikanischen Kriegsplanung.<br />

<strong>Re</strong>ligiöse und tribale Identitäten sind im Irak an die Stelle der offiziellen<br />

Ideologie getreten. Was kann in diesem Zus<strong>am</strong>menhang <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> bedeuten?<br />

Die St<strong>am</strong>mesloyalität kann unter gegebenen Umständen nicht durch<br />

politische Bildung hin zu einer nationalen irakischen Identität umgeformt werden.<br />

Voraussetzung für einen solchen Prozess wäre, dass der Staat mindestens<br />

den gleichen Grad an Sicherheit böte, wie es heute nur die St<strong>am</strong>mesnetzwerke<br />

können. Das ist nicht der Fall.<br />

Bleibt das Thema der <strong>Re</strong>ligion. Und hier liegt vielleicht auch der dringendste<br />

Bedarf und die größte Chance für <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> im Irak. Denn der politische<br />

Isl<strong>am</strong> ist – in seiner iranisch inspirierten schiitischen Variante wie auch in der<br />

Form des Al-Kaida-nahen sunnitischen Radikalismus – einer der größten<br />

Faktoren für Instabilität und Staatszerfall im Irak. Was aber kann die Besatzungsmacht<br />

tun, die ja als „Feindin des Isl<strong>am</strong>“ gesehen wird?<br />

Sie muss zunächst alles vermeiden, was den Eindruck bestärkt, im Irak werde<br />

Geistlichen, die eine moderate Lehre vertreten. Die Im<strong>am</strong>e nehmen die<br />

Al-Kaida-Doktrin über den Dschihad auseinander und widerlegen etwa die<br />

vermeintliche koranische Erlaubnis, Unschuldige zu töten.<br />

Die Umerziehung kann für die Häftlinge einen Weg in die Freiheit bedeuten,<br />

sagte Major Stone der Washintgon Post: „If a detainee is an imperative security<br />

risk, then I‘m going to reduce that risk and I‘m going to replace that destructive<br />

ideology. And then when he‘s assessed to no longer be a threat, I‘m going to<br />

release the detainee being less likely to be a recidivist.“ Auf diese Weise<br />

seien 2000 Häftlinge entlassen worden, und bisher sei kein einziger wieder<br />

auffällig geworden.<br />

Stone glaubt, sein Ansatz sei „zwingend, denn so gewinnt man diesen Krieg,<br />

nicht nur den im Irak, sondern auch den größeren.“<br />

Major Stone selbst spricht Arabisch und liest täglich im Koran, wie er <strong>Re</strong>portern<br />

gestand. Seine Fortschritte seien spektakulär, erzählt er. Ganze Gefängnisblocks<br />

seien bereits zur moderaten Seite übergelaufen. Vor kurzem habe die<br />

moderate Mehrheit in einem Gefängnisblock die Extremisten direkt konfrontiert –<br />

und „dann haben sie ihnen ihre verd<strong>am</strong>mten Bärte abgeschnitten“. Major<br />

US Military Holds Thousands Of Detainees In Baghdad, Copyright: Getty Images, Photographer: John Moore<br />

BAGHDAD, IRAQ - SEPTEMBER 19: Juvenile detainees pray at the ‘House of Wisdom’ school operated by the U.S. military near the C<strong>am</strong>p Cropper detention center September 19, 2007 in Baghdad Iraq. More than<br />

800 juvenile detainees are now in American custody at the site. Most were captured during this year’s American troop ‘surge’ in Baghdad, Iraq. They attend six classes - Arabic, Science, Math, History, Civics and<br />

English every three days. Many of the detainees, ages 12-17 years old, were captured while planting roadside bombs or IEDs targeting U.S. forces, according to military officials.<br />

moser&schwinger: Capitulation Project<br />

zwischen hard power und soft power: Wer nicht schon ohnehin für den Westen<br />

war, würde eben durch shock and awe bekehrt oder unterwürfig gemacht<br />

werden. Die Idee, der Nachkriegsirak brauche ein politisches Umerziehungsprogr<strong>am</strong>m<br />

nach dem Muster der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> in Europa nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg, lief Rumsfelds Projekt zuwider, den Irak-Krieg zum Schaulaufen für<br />

den hoch technisierten, „schlanken“ Krieg der Zukunft zu machen. Sein<br />

Bruder im Geiste John Bolton fasste die Strategie in einem Hintergrundgespräch<br />

noch 2004 in folgenden Worten zus<strong>am</strong>men: „Wir gehen rein, wir<br />

schlagen hart zu. Dann gehen wir gleich wieder raus und wünschen: Viel<br />

Glück mit eurem Land!“ (You go in, you hit them hard, you get out. And then<br />

it’s ‚Good luck with your country!’“)<br />

Zunächst also stand <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> im Irak überhaupt nicht auf dem Plan. Doch<br />

schon die Plünderungen und der Vandalismus der ersten Wochen nach<br />

dem Fall Bagdads zeigten, dass die Hoffnung der <strong>am</strong>erikanischen <strong>Re</strong>gierung<br />

getrogen hatte, mit der Enthauptung des <strong>Re</strong>gimes werde man eine irakische<br />

Zivilgesellschaft an die Macht bringen, die wie die prowestlichen Dissidenten<br />

im postsowjetischen Raum nach 1990 eine Transformation hin zu einem<br />

westlich-demokratischen System begünstigen könnten. Die <strong>am</strong>erikanische<br />

<strong>Re</strong>gierung hatte sich diese Hoffnung von irakischen Dissidenten einreden<br />

lassen, denen daran gelegen war, die historisch einmalige Chance eines<br />

<strong>Re</strong>gimewechsels in ihrem Heimatland wahrzunehmen.<br />

Ob diese Dissidenten ihrerseits überhaupt an die rasche Transformation einer<br />

jahrzehntelangen Terrorherrschaft in einen demokratisch-republikanischen<br />

Föderalstaat glaubten - oder ob sie dieses Zukunftsbild in manipulativer Absicht<br />

vor den Zuhörern im Pentagon und Weißen Haus ausmalten - wird man<br />

wohl nie erfahren. Möglich auch, dass die Exilanten ihrerseits manipuliert<br />

stisch und sektiererisch und voller Misstrauen gegenüber ihren eigenen<br />

Landsleuten sind. Das sind die Tatsachen in unserem armen, unglücklichen<br />

und ruinierten Land. Warum schreibe ich das? Weil ich den Eindruck gewonnen<br />

habe, dass einige von uns im Ausland sich vorstellen, man könne hoch oben<br />

auf einem <strong>am</strong>erikanischen Panzer im Irak einmarschieren, erhaben über den<br />

Gestank der verrotteten Verhältnisse, ohne knietief in der Scheiße zu waten, die<br />

die Baath-Partei aus unserem Land gemacht hat. Die Amerikaner werden im<br />

Irak die kürzest mögliche Zeit verbringen, die man ihnen durchgehen lässt, und<br />

sie werden während dieser Zeit nicht verstehen lernen. Sie sind einfach nicht<br />

in der Lage, sich das auszumalen, womit sie es hier eigentlich zu tun haben.“<br />

Zwischenrufe wie dieser wurden nicht erhört.<br />

Kann ein umfassendes <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>-Progr<strong>am</strong>m jetzt noch nachgeholt werden?<br />

Dagegen spricht erstens, dass erfolgreiche Umerziehung eine totale<br />

Niederlage voraussetzt – siehe das Beispiel Japans, Deutschlands und Italiens.<br />

Im Irak aber war dies nicht der Fall. Besiegt wurde die alte Elite. Zweitens<br />

setzt erfolgreiche <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> Strukturen eines funktionierenden Zentralstaates<br />

voraus, an die angeknüpft werden kann – Verwaltung, <strong>Re</strong>chtssystem,<br />

Erziehungswesen, Polizei. Drittens ist eine weitgehend einheitliche Identifikation<br />

der Besiegten mit der nationalen Identität des Landes erforderlich. Im Irak<br />

aber war die herrschende Baath-Ideologie mit dem sunnitischen Herrschaftsanspruch<br />

über die schiitische Mehrheit und über die kurdische Minderheit<br />

verknüpft, so dass die Delegitimation der Baath-Idee im Umkehrschluss die<br />

schiitische Identität der unterdrückten Majorität im Süden und die kurdische<br />

Identität im Norden zu bestätigen schien. Die Fragmentierung der irakischen<br />

Nationalidentität begann dem entsprechend sofort mit dem Einmarsch der<br />

<strong>am</strong>erikanischen Truppen. Nationale <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> ist in diesem Setting einer<br />

ein K<strong>am</strong>pf der Zivilisationen zwischen Christentum und Isl<strong>am</strong> ausgetragen.<br />

Das beinhaltet die Zus<strong>am</strong>menarbeit mit moderaten Muslimen, die dem<br />

Dschihadismus glaubhaft entgegentreten können. Der K<strong>am</strong>pf gegen die<br />

Dschihad-Ideologie kann nur von gemäßigten Muslimen gewonnen werden, die<br />

ihre traditionalistische Lesart der isl<strong>am</strong>ischen Lehre gegen die Extremisten<br />

verteidigen. Der Dschihadismus gibt sich nämlich anti-hegemoniell und antiimperialistisch.<br />

Er tritt in der Rhetorik einer Befreiungsbewegung und zugleich<br />

der Rückwendung zur wahren, ursprünglichen Lehre des Isl<strong>am</strong> auf. Er bietet<br />

somit eine Art konservativer <strong>Re</strong>volution an. Gegen diese mörderische und<br />

unterdrückerische Ideologie im revolutionären Gewand kommt die Besatzungsmacht<br />

im Irak nur im Bündnis mit den Mainstre<strong>am</strong>-Muslimen an. Diese<br />

nämlich haben ein eigenes Interesse daran, den Dschihadismus zu besiegen,<br />

denn sie – mehr als die Amerikaner - sind seine doppelten Opfer: Erstens<br />

sterben ganz normale Muslime zu Tausenden bei den dschihadistischen Anschlägen,<br />

und zweitens gerät der Isl<strong>am</strong> in der Folge davon weltweit in Misskredit.<br />

Ein Beispiel für religiöse <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> in diesem Sinn gibt das „Haus der<br />

Weisheit“, das Major General Stone, Kommandeur der US-Haftanstalten im<br />

Irak, geschaffen hat. Major Stone hat nach Erfahrungen mit jungen Radikalen<br />

ein Progr<strong>am</strong>m der „religiösen Aufklärung„ ins Leben gerufen. Die Amerikaner<br />

beherbergen im Irak mittlerweile 25000 Häftlinge, darunter auch viele<br />

junge Menschen, die möglicher Weise noch ideologisch formbar sind. Die<br />

Militärgefängnisse im Irak haben sich allerdings zu Brutstätten des<br />

Extremismus entwickelt, in denen die Dschihadisten gezielt neue <strong>Re</strong>kruten<br />

zu gewinnen versuchen.<br />

Im „Haus der Weisheit“ werden solche jungen Kämpfer interniert, die als<br />

ansprechbar gelten. Dort absolvieren sie religiösen Unterricht bei muslimischen<br />

Stone meint es zweifellos gut. Die Fortschritte in seinen irakischen Haftanstalten<br />

in allen Ehren – aber es ist kaum anzunehmen, daß man den „größeren<br />

Krieg“ auch auf diese Weise gewinnen kann. Es macht die von Major Stone<br />

praktizierte Form von <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> leichter, dass er den Schlüssel zur<br />

Gefängnistür in der Hand hält.<br />

Amerika hat seinen „Krieg gegen den Terrorismus“ auch als demokratischen<br />

Befereiungskrieg und K<strong>am</strong>pf für das Selbstbestimmungsrecht unter tyrannischer<br />

Knute lebender Völker verstanden. Die Tore zu dem Riesengefängnis<br />

Irak, das Sadd<strong>am</strong>s <strong>Re</strong>publik der Angst war, wurden geöffnet, und der<br />

Schlüssel weggeworfen. Der Dissident Kanan Makiya glaubte darum schon<br />

2003, daß nur die Iraker selbst es in der Hand hätten, sich aus dem Griff<br />

des Baath-Totalitarismus zu befreien:<br />

„Niemand anderes kann die Verantwortung für eine solche Katastrophe übernehmen<br />

als die Menschen, die auf die eine oder andere Weise Teil davon<br />

sind. Ich werde allmählich zu alt, um immer weiter in der Scheiße der arabischen<br />

Politik zu waten, wie ich es nun schon über 30 Jahre tue. Ich schreibe dies,<br />

weil ich nicht weiß, wie viel mehr ich davon ertragen kann. Ich möchte, dass<br />

die Jüngeren verstehen, worauf sie sich einlassen, wenn sie nach der<br />

Befreiung in den verwüsteten Irak zurückkehren.“ Die <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> des<br />

Iraks wird das Werk der Iraker sein, oder sie wird nicht sein.<br />

Jörg Lau geboren 1964 in Aachen, hat Philosophie und Literatur studiert,<br />

war ab 1993 Kulturredakteur der taz und gehört seit 1997 der <strong>Re</strong>daktion der<br />

ZEIT in Berlin an, zunächst als Autor, dann als Feuilletonredakteur und neuerdings<br />

als außenpolitischer Korrespondent im Hauptstadtbüro.


psyop<br />

FREITAG UND SAMSTAG 18.30 BIS 23.00 UHR HAU ZWEI<br />

Installation von Büchel/Carmine, Basel/St.Gallen<br />

Die berufliche Beziehung zwischen dem Baseler Künstler Christoph Büchel<br />

und dem Züricher Kurator Giovanni Carmine nahm einen durchaus traditionellen<br />

Anfang: Carmine vergab ein Auftragswerk an Büchel für die Gemeinschaftsausstellung<br />

„Unloaded: Coming Up for Air“ 2002, die in ehemaligen Bunkern<br />

der Schweizer Armee gezeigt werden sollte. Im folgenden Jahr bat Harald<br />

Szeemann Büchel um einen Beitrag für „G 2003. A Village & a Small Town<br />

<strong>Re</strong>ceive Art“, eine Open-Air-Skulpturenausstellung in Ticino, in der italienischsprechenden<br />

Südschweiz, und Büchel bat Carmine, sich ihm als künstlerischer<br />

Mitarbeiter anzuschließen. Aus dieser Partnerschaft entstand „Operation<br />

Ex Voto“, der Versuch der Transplantation einer Kapelle aus Vira, einem Dorf<br />

in Ticino, in den Irak.<br />

„Die Invasion des Irak hatte gerade begonnen, und wir lasen in Ticino von<br />

den Plünderungen im Nationalmuseum,“ erläutert Büchel. „Wir wollten eine<br />

Schweizer Kapelle abbauen und diese vor dem Nationalmuseum in Bagdad<br />

oder an einer der Zufahrtstraßen zur Hauptstadt wieder errichten, quasi als<br />

Transfer von Kulturgütern aus der Schweiz in den Irak.“ Am Ende beugte<br />

sich der Eigentümer der Kapelle, die auf Grund eines Gelübdes in der Zeit<br />

der Invasion der russischen Armee und der Plünderungen in Ticino im<br />

späten achtzehnten Jahrhundert errichtet worden war, dem plötzlichen Druck<br />

des Dorfes Vira und seiner Bürger.<br />

Dennoch erregte die „Operation Ex Voto“ die Aufmerks<strong>am</strong>keit der Kuratoren<br />

der Sharjah International Biennial, die im vergangenen April in den Vereinten<br />

Arabischen Emiraten stattfand. Dort realisierten Büchel und Carmine ihr<br />

Projekt „PSYOP – Capture their minds and their hearts and souls will follow“.<br />

Mit Blick auf die psychologische Kriegsführung der US Army schuf das Duo<br />

ein Pseudo-Klassenzimmer im Sharjah Art Museum, wo sie – mit arabischen<br />

Untertiteln – einen Lehrfilm der <strong>am</strong>erikanischen Streitkräfte aus dem Jahr<br />

1968 zeigten. In den Aktenschränken im Raum legten sie Tausende von Kopien<br />

von Propaganda-Flugblättern, die während der Operation Enduring Freedom<br />

über Afghanistan und in der Zeit des aktuellen Konflikts im Irak abgeworfen<br />

worden waren. Sie wurden kostenlos an die Besucher verteilt, zus<strong>am</strong>men<br />

mit Kopien eines Buches mit <strong>Re</strong>produktionen von 124 Flugblättern und<br />

Übersetzungen, die Büchel und Carmine online gefunden hatten, z.B. „Die<br />

Kräfte der Allianz für eine bessere Zukunft des Irak!“ und „Wer braucht dich<br />

mehr? Deine F<strong>am</strong>ilie oder die <strong>Re</strong>gierung? Kehre nachhause zu deiner<br />

F<strong>am</strong>ilie zurück.“ – Marc Spiegler<br />

technischen Spezifikationen: Davon hängt ab, wie die Flugblätter durch die Luft<br />

fliegen. Im Rahmen des Projekts produzierten wir einen <strong>Re</strong>print von 120.000<br />

<strong>am</strong>erikanischen Flugblättern, die über den Emiraten abgeworfen werden<br />

sollten. Die VAE sind an der Operation Enduring Freedom beteiligt. Schließlich<br />

scheiterten wir jedoch daran, die Flugblätter in einer bestimmten Zielregion<br />

in den Emiraten abzuwerfen.<br />

GC: Wir fanden auch diesen Lehrfilm der US Army mit dem Titel „Psychological<br />

Operations in Support of Internal Defense and Development Assistance<br />

Progr<strong>am</strong>s“. Hier geht es um ein fiktives Land, Hostland, das Amerika um Hilfe<br />

bittet im K<strong>am</strong>pf gegen „subversive Elemente“, die von einer ausländischen<br />

Macht eingeschleust werden. Der Film erinnert vage an ein süd<strong>am</strong>erikanisches<br />

Land. Wir produzierten arabische Untertitel, um den Kontext zu ändern und<br />

auf die aktuelle politische Lage einzugehen. Die in diesem Film erläuterte<br />

Taktik entspricht dem, was das Bündnis heute unternimmt, um Unterstützung<br />

zu bekommen, Angst und Unsicherheit zu verbreiten und die Meinung vor<br />

Ort zu beeinflussen.<br />

CB: Der Film datiert aus dem Jahr 1968, doch ich glaube, dass er noch früher<br />

produziert wurde. Er erinnert ein bisschen an einen schlechten Frank Capra-<br />

Film. Wir wollten ihn in einem Konferenzsaal irgendwo in Sharjah zeigen. Das<br />

erwies sich jedoch aus logistischen Gründen als unmöglich. Daher beschlossen<br />

Wonder Koch<br />

army of one<br />

FREITAG, 18. JANUAR 19.00 UHR HAU EINS<br />

2001 starteten die USA eine neue Werbek<strong>am</strong>pagne, um junge Amerikaner, die<br />

nicht mehr von den Slogans der Ära nach Vietn<strong>am</strong> zu motivieren waren -<br />

„Army, Be All That You Can Be“ - dazu zu bewegen, sich freiwillig zum Militärdienst<br />

zu melden. Ziel war es, dem schlechten Image der US Army, das<br />

sich in den Köpfen der <strong>am</strong>erikanischen Jugendlichen über die Jahre durch Filme,<br />

Fernsehen und Videospiele festgesetzt hatte, ein besseres Bild entgegen<br />

zu halten. Die neuen Anzeigen betonten die Bedeutung des Individuums:<br />

I AM ARMY OF ONE<br />

Even though there are 1,045,690 Soldiers<br />

just like me,<br />

I <strong>am</strong> my own force.<br />

with technology,<br />

with training, with support, who I <strong>am</strong> has become better than who I was.<br />

And I‘ll be the first person to tell you,<br />

talk about psyop, 2005<br />

Christoph Büchel und Giovanni Carmine<br />

Operation Iraqui Freedom, Leaflets dropped over Iraq, Front: If – Then, Back: You Decide<br />

Aus: PSYOP Post-9/11 Leaflets, Edited by Christoph Büchel and Giovanni Carmine, Basel/Zürich, 2005<br />

Wonder Koch: Imperialist Fantasy Flag<br />

Christoph Büchel: Propaganda ist eine Waffe. Seit 9/11 hat das von den USA<br />

geführte Bündnis Millionen von Flugblättern über Afghanistan und Iraq<br />

abgeworfen. Physisch ist das ein Blätterregen über der Landschaft. Dabei geht<br />

es um die Schwächung der Einheit und die Unterminierung der Überzeugung<br />

des „Feindes”, die Vernichtung des „<strong>Re</strong>alitäts”gefühls, das durch eine neue, vom<br />

Himmel fallende „<strong>Re</strong>alität” ersetzt wird. Information, die eine gewisse Autorität<br />

haben soll, wird über einem Land abgeworfen, dessen lokale Verwaltung man<br />

aushöhlen möchte. Die mythische Dimension liegt in der Idee der Information,<br />

die wie Manna vom Himmel fällt.<br />

Giovanni Carmine: Nachdem wir uns für das Thema der psychologischen<br />

Operation (psyop) für die Sharjah Biennial entschlossen hatten, begannen wir,<br />

Beispiele für Militärpropaganda zu s<strong>am</strong>meln: Radiobotschaften und Flugblätter.<br />

Auf der offiziellen Website des CENTCOM (United States Central Command)<br />

gab es zahlreiche Flugblätter. Einige waren entfernt worden, doch über unterschiedliche<br />

Links fanden wir sie wieder. Die meisten dieser Sites, wie z.B.<br />

psywarrioer.com, sind für den Krieg. Wir waren fasziniert von der Gestaltung<br />

mancher dieser Flugblätter. Die US PSYOPS Te<strong>am</strong>s arbeiten mit Beratern<br />

vor Ort, die bei der Formulierung der visuellen Sprache für die jeweilige <strong>Re</strong>gion<br />

behilflich sind. Einige dieser Flugblätter erwiesen sich grafisch und semiotisch<br />

gesehen als ausgesprochen spannend.<br />

CB: Wir versuchten, die Details des „Bombardements“ der <strong>Re</strong>gion mit<br />

Flugblättern durch das Bündnis zu erkennen und nachzuvollziehen, welche<br />

spezifischen Ansätze es für ihre Verteilung gab. Wir kauften Flugblätter<br />

bei eBay und analysierten die Druck- und Papierqualität, denn das ist Teil der<br />

wir, eine Installation in Form eines PSYOPS-Klassenzimmers zu realisieren,<br />

nicht um die Leute glauben zu lassen, dass dies eine Militärakademie sei,<br />

sondern um deutlich zu machen, wie in einem über die Medien vermittelten<br />

Krieg Fiktion und <strong>Re</strong>alität oszillieren, denn das genau repräsentieren<br />

Propaganda, Flugblätter und der Film.<br />

GC: Wir suchten überall in Sharjah nach Schulmöbeln. Schließlich gingen wir in<br />

den Keller des Museums, der im Grunde das <strong>Re</strong>ich der pakistanischen Arbeiter<br />

war, die im Auftrag des Museums die Kunstwerke säuberten oder aufbauten.<br />

Manche von ihnen schliefen sogar im Keller. Unter einem Berg von Müll fanden<br />

wir fast das ges<strong>am</strong>te Material, das wir brauchten: Es waren <strong>Re</strong>ste aus einer<br />

früheren Kunstschule. Das Ganze ist im Grunde eine Metapher dafür, wie die<br />

Dinge in den Emiraten funktionieren, wo alles neu und Konsum so mächtig ist.<br />

CB: Bevor wir das Projekt realisieren konnten, mussten wir warten, bis die<br />

Sharjah Biennial entschieden hatte, ob sie den Druck des Buches mit den Flugblättern<br />

fortsetzen oder stoppen sollte. Man wartete auf die schriftliche Genehmigung<br />

des Kulturministeriums. Am Ende mussten wir wählen: Entweder auf den<br />

Druck verzichten oder einen Passus aufnehmen: „Die Ansichten in dieser<br />

Publikation entsprechen nicht unbedingt der Meinung der 7th Sharjah Biennial.“<br />

GC: Das war im Grunde ein Witz, denn das Buch ist eine rein dokumentarische<br />

Zus<strong>am</strong>menstellung von Texten aus Lehrbüchern der US Army und Flugblättern.<br />

Durch diesen ergänzenden Haftungsausschluss wurde es allerdings noch<br />

politischer und mehrdeutiger.<br />

Nachdruck aus Artforum, September 2005<br />

the might of the U.S. Army doesn‘t lie in numbers.<br />

It lies in me.<br />

I AM ARMY OF ONE.<br />

And you can see my strength.<br />

[ICH BIN DIE ARMEE DES EINEN<br />

Obwohl es 1.045.690 Soldaten<br />

wie mich gibt<br />

bin ich eine eigene Kraft.<br />

Mit Technologie<br />

und Training und Unterstützung bin ich heute besser, als ich war.<br />

Und ich bin der Erste, der es dir sagt.<br />

Die Stärke der US Army liegt nicht in der Zahl.<br />

Sie liegt in mir.<br />

ICH BIN DIE ARMEE DES EINEN<br />

Und du kannst sehen, wie stark ich bin.]<br />

Offiziell endete die K<strong>am</strong>pagne der „Army of One“ Ende 2005, dem Jahr, in dem<br />

die US Army zum ersten Mal seit 1999 die angestrebte Zahl neuer <strong>Re</strong>kruten<br />

nicht erreichen konnte. Offenbar gelang es nicht, mit der Anzeige zu überzeugen<br />

oder den abschreckenden Konsequenzen des Irakkrieges etwas entgegen zu<br />

setzen, obwohl Präsident George W. Bush <strong>am</strong> 1. Mai 2003 erklärt hatte, dass<br />

dieser zu Ende sei. Die Behauptung fand sich hübsch zus<strong>am</strong>mengefasst<br />

auf dem großen „Mission Accomplished“-Banner an der USS Abrah<strong>am</strong> Lincoln,<br />

dem Hintergrundbild der <strong>Re</strong>de des Präsidenten an die Nation.<br />

Da die „Army of One“ sich offenbar zurückgezogen hat, stellt sich die Frage, wo<br />

sie heute ist. Versteckt in einer Höhle? Verbringt die „Army of One“ einen<br />

weiteren eins<strong>am</strong>en S<strong>am</strong>stagabend in der VFW (Veterans of Foreign Wars) Hall,<br />

wo die Veteranen der Auslandskriege Bingo spielen? Oder sitzt sie an einem<br />

Puzzle, das <strong>am</strong> Ende einen Leuchtturm ergeben wird? Die „Army of One“ ist<br />

klein genug, um ein normales Leben zu führen, sich unbemerkt in Shopping Malls<br />

und Coffee Shops aufzuhalten, trotz ihres Scheiterns. Doch ich denke, die Zeit<br />

ist reif: Die „Army of One“ kann den normalen Dienst wieder aufnehmen.<br />

In meinem Projekt in der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> Ausstellung bin ich gern die „Army of<br />

One“. Ich habe verschiedene Missionen. Gekleidet in eine speziell angefertigte<br />

Uniform bringe ich die Imperialist Fantasy Flag nach Deutschland. Ich werde<br />

in Berlin auch mehrere „Mission Accomplished“-Banner aufhängen, um zu verkünden,<br />

dass das Ziel des Marshallplans – Prävention des Kommunismus und<br />

Freihandelsmärkte – erreicht wurde. Für meine Performance bereite ich einen<br />

Monolog über die „Army of One“ vor. Die Imperialist Fantasy Flag wird mein<br />

Hintergrund und meine Kulisse sein. Ich hoffe, der Welt etwas über richtiges<br />

Benehmen im Angesicht der Imperialist Fantasy Flag zu vermitteln. Und ich<br />

werde alle wissen lassen, dass die „Army of One“ lebt und dass es ihr gut geht.<br />

Die Imperialist Fantasy Flag erinnert an die typisch <strong>am</strong>erikanische Flagge. Ihre<br />

Farben sind rot, weiß und blau. Doch die üblichen 50 weißen Sterne auf<br />

blauem Hintergrund, die die fünfzig Staaten der American Union symbolisieren,<br />

haben Verstärkung bekommen und stehen jetzt für die 194 Länder der Erde.<br />

Die Sonne über der imperialistischen Fantasie wird niemals untergehen.


13 April, the dawn of freedom (Abb. 1), Partei/Bewegung: Lebanese Forces, Datum: Circa 1982-83,<br />

Maße: 49 × 24cm, S<strong>am</strong>mlung: Wassim Jaber<br />

gewalt erinnert / vergessen<br />

LIBANON, 13. APRIL 1975<br />

Von Zeina Maasri<br />

„Das Wesen jedes grundlegenden Bewusstseinswandels bringt eine typische<br />

Amnesie mit sich. Aus diesem Vergessen entstehen unter spezfischen<br />

historischen Umständen Narrative […] Dem Zweck dieser Erzählungen dient<br />

die Erinnerung / das Vergessen der gewalts<strong>am</strong>en Tode [Selbstmord als<br />

Exempel, Märtyrertum, Ermordung, Exekution, Kriege und Holocausts] als<br />

‚unsere‘.“ 1)<br />

Es gibt kein offizielles Dokument, das den Beginn und das Ende des Bürgerkriegs<br />

im Libanon festhält, doch es herrscht heute Konsens, dass der<br />

13. April 1975 den Anfang des bewaffneten Konflikts darstellt. Am 13. April<br />

2005 gab es die ersten offiziellen nationalen Gedenkfeiern anlässlich des<br />

Beginns des Bürgerkriegs vor dreißig Jahren – just in der Zeit, in der der Libanon<br />

von großer politischer Instabilität und massiver Polarisierung der Gruppen<br />

im Land gekennzeichnet und der Frieden bedroht ist. 2) Heute fordert man uns<br />

auf, als Nation den Tag zu erinnern, den wir in den fünfzehn Jahren seit dem<br />

Ende des Bürgerkriegs 1990 vergessen sollten.<br />

Im Kontext des libanesischen Bürgerkriegs stellte der Nationalismus umkämpftes<br />

Terrain dar, auf dem sich die verschiedenen politischen Gruppen<br />

während des Krieges tummelten. Zahlreiche gegeneinander agierende<br />

politische Communities stellten eine konsensuale nationale Identität in Frage<br />

und konstituierten ihre jeweils eigene nationale Fantasie. Miteinander im<br />

Konflikt stehende Konstruktionen einer Nationalgeschichte wurden, ebenso<br />

wie die Geschichte der Kriegsereignisse, zum Bestandteil der jeweiligen<br />

politischen Diskurse der verschiedenen Gruppen. Hunderte von Kriegsplakaten<br />

wurden produziert und von den entsprechenden Parteien oder Bewegungen<br />

publiziert, um für die jeweilige politische Gruppierung wichtige Ereignisse und<br />

Daten zu erinnern. D<strong>am</strong>it institutionalisierten sich die Daten, und die Narrative<br />

materialisierten sich im Laufe der Zeit in der Bilderwelt der Menschen im Land.<br />

Da der Krieg von vielen Fraktionen geführt wurde, hinterließen uns die<br />

fünfzehn Jahre des bewaffneten Konflikts eine große Zahl von Gedenkplakaten<br />

und -postern, viele Daten, die wir ‚erinnern/vergessen‘ sollen und unendlich<br />

viele sich überschneidende Geschichten.<br />

In Zeiten des politischen und bewaffneten K<strong>am</strong>pfes erfordert die Erinnerung<br />

an politische Ereignisse eine große, kollektive, emotionale Legitimierung.<br />

Es geht um Ereignisse, die für bestimmte Parteien oder politische Gruppen<br />

wichtig sind - Gründung der Partei, Geburtstag oder Todestag des Gründers,<br />

siegreiche Schlachten, graus<strong>am</strong>e Massaker – und Ereignisse von Bedeutung<br />

für die <strong>Re</strong>gion, der die jeweilige Community sich zugehörig fühlt. Das<br />

Gedenken an diese Ereignisse über das Format des Plakats ermöglicht den<br />

Moment der Erinnerung wie der Bekräftigung der gesellschaftspolitischen<br />

und ideologischen Position der betreffenden Partei. Es ist die Plattform, die<br />

sich visueller und diskursiver Mittel bedient, um den dargestellten historischen<br />

Narrativen eine Bedeutung zuzuschreiben, die auf einen bestimmten<br />

Augenblick in der Entwicklung des Krieges verweist.<br />

Das Datum – der 13. April 1975 – erinnert an einen gewalts<strong>am</strong>en Zwischenfall,<br />

der durchaus als Auslöser des Bürgerkriegs betrachtet werden kann: Die<br />

libanesische Kataeb-Miliz hatte einen Bus mit palästinensischen <strong>Re</strong>isenden<br />

angegriffen und dreiunddreißig Passagiere getötet - angeblich aus Rache<br />

für einen versuchten Anschlag auf den Gründer und Vorsitzenden der Partei<br />

<strong>am</strong> gleichen Tag. Der Bus fuhr durch Ain-el-Rummaneh, eine Zone im<br />

christlichen Sektor <strong>am</strong> östlichen Stadtrand Beiruts, nahe der Green Line,<br />

die die Hauptstadt teilte.<br />

Der 13. April 1975 tauchte nicht auf den Plakaten der kriegführenden Fraktionen<br />

auf, war jedoch Hauptthema im Gedenken der Lebanese Forces, die 1976<br />

als vereinte Streitkräfte der Lebanese Front entstanden waren und der die<br />

Kataeb ebenso wie andere rechtsgerichtete, nationalistische Parteien Libanons<br />

angehörten. Letztere hatten sich 1975 gegen die bewaffnete Präsenz<br />

palästinensischer Organisationen im Libanon zus<strong>am</strong>mengeschlossen. Die Front<br />

stellt sich auch gegen die libanesische Linke und arabische nationalistische<br />

Parteien, die den Widerstand der Palästinenser unterstützten. Angesichts der<br />

Tatsache, dass die Entstehung der Lebanese Forces unmittelbar mit dem<br />

Kriegsausbruch zus<strong>am</strong>menhängt, erklärt, warum sie, anders als andere<br />

Fraktionen, diesem Datum Bedeutung beimessen. Am 13. April widmen sich<br />

die Lebanese Forces dem Gedenken an ihre Gründung und erinnern an ihre<br />

Mission ebenso, wie andere Parteien ihre Gründungsdaten feiern.<br />

„13 April, the dawn of freedom“ (siehe Abb. 1) ist ein von den Lebanese Forces<br />

1982-83 herausgegebenes Plakat betitelt. Das Bild zeigt zwei Kämpfer in<br />

Aktion und ergänzt die Botschaft im Text – ‚der Anbruch der Freiheit‘ – um<br />

militärische Operation. Die Soldaten wirken dyn<strong>am</strong>isch und voll von Energie -<br />

über das Plakat hinaus. Sie werden metaphorisch dargestellt als Sonne, die<br />

ihrem natürlichen Lauf folgt – ‚the dawn / Tagesanbruch‘ – 1975, um die Freiheit<br />

zu vollenden. ‚Freedom/Freiheit‘ muss dabei im Rahmen des von der Front<br />

geführten Diskurses des souveränen Libanon verstanden werden. Ein souveräner<br />

Libanon ist befreit von ‚fremden‘ Streitkräften, nämlich vom palästinensischen<br />

Widerstand und syrischen Soldaten. Das Plakat wurde publiziert im<br />

September 1982, nach der Evakuierung der PLO und der syrischen Armee<br />

aus Beirut. 1982 erlebte der Südlibanon die Invasion, die bis in die Hauptstadt<br />

vordrang. Die Freiheit, die das Plakat suggeriert, schien von der israelischen<br />

Besatzung libanesischer Territorien unbeeinträchtigt.<br />

Das einzige andere Beispiel, das mir neben den Plakaten der Lebanese Forces<br />

im Gedenken an den 13. April 1975 begegnete ist ein Poster der Arab<br />

Liberation Front (siehe Abb. 2), einer Fraktion der PLO. Hier werden zwei Gewaltereignisse,<br />

die zu unterschiedlichen Zeiten stattgefunden haben, in einer<br />

Geschichte kombiniert. Die offensichtliche Verbindung sind die zivilen Opfer,<br />

wie die Fotos mit drastischer Deutlichkeit zeigen. Der erläuternde Text<br />

informiert, dass „dies ... von den Zionisten in 1948 in Deir Yassin verübt wurde“<br />

und „dies ... von den Kataeb-Banden 1975 in Ain-el-Rummaneh“. Das Plakat<br />

fügt Text und Bilder zus<strong>am</strong>men und bekräftigt d<strong>am</strong>it die Aussage, dass das<br />

Opfer nach wie vor das gleiche ist: das palästinensische Volk. Die Autoren<br />

behaupten, dass es 1948 so war und 1975 immer noch so ist. Das böse Bild<br />

des ‚zionistischen Feindes‘ in der kollektiven Fantasie der vertriebenen<br />

palästinensischen Bevölkerung entsteht auf diesem Plakat neu und wird auf<br />

die Kataeb übertragen. Deir Yassin markiert den Beginn der palästinensischen<br />

nakbah (Tragödie), und entsprechend ist Ain el <strong>Re</strong>maneh vielleicht der<br />

Anfang eines weiteren Projekts zur Vernichtung der palästinensischen<br />

Flüchtlinge im Libanon, suggeriert das Poster. Indem zwei unterschiedliche<br />

Ereignisse in einer andauernden Geschichte miteinander verwoben werden,<br />

verbindet das Plakat in seiner Botschaft ideologisch die ‚Agressoren‘,<br />

Kataeb und die Zionisten, die als gleichwertig das palästinensische Volk<br />

bedrohende Feinde dargestellt werden.<br />

Das palästinensische Plakat verurteilt die Gewalt des 13. April 1975 und macht<br />

diesen Tag zum Bestandteil des Diskurses der permanenten Bedrohung<br />

und des ewigen Leidens der Community. Umgekehrt feiern die Lebanese Forces<br />

das Datum als militärisches Erwachen auf dem Weg zur Vollendung der<br />

nationalen Souveränität. Der Rückgriff auf die Gewalt wird im Interesse des<br />

narrativen Zwecks der Partei vergessen.<br />

2005 forderte man uns als Nation auf, eines Bürgerkriegs zu gedenken, der<br />

<strong>am</strong> 13. April 1975 begann und bis 1990 andauerte. Wir sollen einen Tag<br />

erinnern, ohne einen Konsens über die Bedeutung des Ereignisses zu haben.<br />

Kann man einen Abschluss behaupten, ohne dass man sich darüber verständigt<br />

hat, wer <strong>am</strong> 13. April 1975 und den bis heute folgenden Ereignisse die Opfer<br />

waren? Oder bedingt ein moralischer Gemeinsinn der Nachkriegszeit<br />

die typische Amnesie, die uns auffordert, unser nationales Leid zu ‚erinnern/<br />

vergessen‘?<br />

Zeina Maasri ist Dozentin an der Fakultät für Architektur und Design der<br />

American University in Beirut. Seit 2004 sind die politischen Plakate des<br />

libanesischen Bürgerkriegs Gegenstand ihrer Forschung. Ihre Studie erscheint<br />

demnächst unter dem Titel: Signs of Conflict: Political Posters of wartime<br />

Lebanon 1975-1990. Im Rahmen der 4. Auflage der Homeworks: a forum<br />

on cultural practices arbeitet Maasri an der Vorbereitung einer Ausstellung<br />

der Plakate im April 2008 in Beirut.<br />

1 Benedict Anderson, in Imagined communities: reflections on the origin and spread of nationalism.<br />

London: Verso, 1991.<br />

2 Nach der Ermordung des ehemaligen Premierministers Rafik Harriri <strong>am</strong> 14. Februar 2005 k<strong>am</strong> es in<br />

Beirut zu großen Demonstrationen, die den Rückzug der syrischen Armee forderten. An der Frage Syrien<br />

und die politischen Verbündeten des Landes spaltete sich der Libanon in zwei Lager von Gegnern und<br />

Befürwortern der politischen Allianz mit Syrien.<br />

This is what the Zionists have done in Dar Yassin in 1948. /This is what the Kataeb gangs have done in<br />

Ain-el-Rummaneh in 1975. (Abb. 2), Partei/Bewegung: Palestine Liberation Organization, Datum: Circa 1975,<br />

Maße: 69 × 48cm, S<strong>am</strong>mlung: AUB University Libraries, Special Collection and Archive


FREITAG, 18. JANUAR<br />

HOW nancy wished that everything was an<br />

april fool‘S joke<br />

20.30 UHR HAU ZWEI<br />

s<strong>am</strong>sTAG, 19. JANUAR<br />

DEMOCRAZY/TRAILER FOR A REMAKE OF GORE VIDAL’S CALIGULA<br />

VIDEOS UND LECTURE<br />

19.00 UHR HAU EINS<br />

Francesco Vezzoli, Mailand<br />

Francesco Vezzoli spielt in seinen Arbeiten auf der Klaviatur der Medien.<br />

„You too can be like us“ bekommt im Kontext seiner auf der Biennale in Venedig<br />

2007 erstmals gezeigten Arbeit „Democrazy“ einen völlig neuen Klang. In<br />

einer dem Oval Office nachempfundenen Installation treten zwei fiktive Kandidaten<br />

gegeneinander an. Beide wollen ins Weiße Haus einziehen und<br />

benutzen dafür wohlbekannte Slogans von „Freedom“ bis „Democracy“. „Crazy“<br />

scheint an den Filmen eigentlich nichts zu sein, nicht einmal die Präsenz<br />

von Sharon Stone, hat der Wechsel vom Schauspiel ins ernste Politikfach in<br />

den USA doch eine wohl etablierte Tradition. Was zählt sind nicht die politischen<br />

Progr<strong>am</strong>me, es zählt die Medienwirks<strong>am</strong>keit der Kandidaten, die Strategien<br />

von Marketingexperten, die Wirkmächtigkeit der Slogans.<br />

Im HAU zeigt Vezzoli neben „Democrazy“ noch den „Trailer for a <strong>Re</strong>make of<br />

Gore Vidals ‚Caligula‘“ und wird anschließend mit Holger Liebs von der<br />

Süddeutschen <strong>Zeitung</strong> über seine Arbeit sprechen.<br />

Das Poster zu „Democrazy“ ist Cover dieser Progr<strong>am</strong>mzeitung.<br />

DAS INSTITUT FÜR ÜBERLEBENSSTRATEGIEN (IFÜ)<br />

19.00 BIS 22.00 UHR. EINLASS ALLE 15 MIN. HAU EINS<br />

<strong>Re</strong>gie: Rabih Mroué, Beirut<br />

Es erfordert Rabih Mroués erlesenen Sinn für Humor, zus<strong>am</strong>men mit Fadi Toufic<br />

den Libanonkrieg auf die Bühne zu bringen. Nicht, weil der <strong>Re</strong>gisseur und<br />

Schauspieler im Land der Zedern geboren ist, sondern weil er ein Gespür für<br />

die soziale Funktion des Theaters und eine surreale Ader für die Verwandlung<br />

von Fakten in Abstraktion hat und die harte und tragische Wahrheit auf eine<br />

sanfte und gefährliche Absurdität reduziert. Er hat keine Skrupel, schwierige<br />

Fragen zu stellen. Ausgelöst 1975 hat die Tragödie, die den glücklichen Hafen<br />

des Orients ergriff, im Verlauf von über dreißig Jahren die Form einer der<br />

schlimmsten Alpträume unserer Zeit angenommen: Der Zus<strong>am</strong>menbruch einer<br />

Gesellschaft, ihr Zerfall in gewalttätige Fraktionen, die mit der bereitwilligen<br />

Beteiligung aller monotheistischen <strong>Re</strong>ligionen einen Bandenkrieg auslöste,<br />

der durch Trägheit und zorngesteuerte Vervielfachung chronisch und endlos<br />

geworden ist.<br />

Die Portraits der „Märtyrer“ zieren seit vielen Jahren die Mauern Beiruts: Jetzt<br />

interagieren sie auf der Bühne, in Monologen voll Angst und Paradoxie, in<br />

einem prekären Gleichgewicht von Farce und Tragödie. In der Auseinandersetzung<br />

mit diesen wichtigen Fragen setzt Mroué den Akzent auf das Wesen<br />

des Theaters, auf die Beziehung zwischen Schauspieler und Publikum, den<br />

Einsatz von Technik als spektakulärem Medium und Instrument einer<br />

autoritären Medienstrategie, in einem Maß, das sein Werk als „Performance“<br />

gelten lässt, mit emblematischem Wert, nicht nur als kurzlebige Äußerung.<br />

thomas tode präsentiert re-education filme und atrocity<br />

pictures<br />

17.00 UHR HAU EINS<br />

harun farocki präsentiert seinen film „Aufschub“<br />

19.00 UHR HAU EINS<br />

anschl. Gespräch mit Harun Farocki und Thomas Tode<br />

(siehe S. 8-9)<br />

softcore<br />

18.00 UHR HAU drEI<br />

Lesung von Tirdad Zolghadr, berlin<br />

Tirdad Zolghadr ist Kunstkritiker, Kurator und Autor eines Romans.<br />

„Softcore“ spielt im zeitgenössischen Tehran. Dort gerät der Protagonist in allerlei<br />

Verstrickungen, während er versucht, in der Innenstadt eine einstige Cocktail<br />

Bar als Kunstgalerie wieder zu eröffnen. Zwischen Spionage Thriller und<br />

Kunstszenen Schlüsselroman situiert, erzählt „Softcore“ auch von den Tücken<br />

des Kulturtransfers. Die Lesung bezieht verschiedene Textpassagen auf Englisch<br />

mit ein, andere werden auf Deutsch gelesen.<br />

des Hebbel-Theaters dämmert! Erstmals wird sie nun der Öffentlichkeit<br />

zugänglich gemacht:<br />

Werden Sie Probant in der temporären Forschungsstation des IFÜ!<br />

Unser Forscherte<strong>am</strong> wird Ihnen helfen, Ihr demokratisches Denken zu testen!<br />

Waschen Sie Vergangenes ab und entwickeln Sie innovative Visionen für<br />

die Zukunft!<br />

Schauen Sie in den Spiegel und entdecken Sie Ihre neue Identität!<br />

Seien Sie Sie selbst, seien Sie wie wir!<br />

Wir zeigen Ihnen wie auch Sie ein Zertifikat mit Allgemeingültigkeit bekommen!<br />

we are, after all, at war – vortrag<br />

19.00 UHR HAU zwEI<br />

Richard Schechner<br />

anschl. Gespräch mit Frédéric Moser und Philippe<br />

Schwinger, Berlin<br />

BRICKNER CONFERENCE<br />

20.00 UHR HAU DREI<br />

Jackson Pollock Bar, Freiburg<br />

Grotest Maru: IFÜ, Fotograf: Falk Messerschmidt<br />

Abteilung Waschen und Sein<br />

Performance von GROTEST MARU, Berlin<br />

Ein Forscherte<strong>am</strong> begibt sich in urbane, soziale und ökonomische Brennpunkte<br />

und observiert das dort herrschende System. In einer interaktiven,<br />

multimedialen Performance werden die Forschungsergebnisse für das<br />

Publikum erlebbar.<br />

Im Rahmen des thematischen Wochenendes „<strong>Re</strong>–<strong>Education</strong>“ hat unser Forscherte<strong>am</strong><br />

für Sie eine neue Abteilung ans Licht geholt, die sonst im Verborgenen<br />

Es war Richard Brickner, der mit seinem Buch „Is Germany Incurable?“ eine<br />

Diskussion über die Behandlung Deutschlands nach dem Krieg in Gang setzte.<br />

Auf Basis des Ende 1944 erschienen „<strong>Re</strong>port of a Conference on Germany<br />

after the war“, der die Ergebnisse der geheimen Brickner Konferenzen von<br />

1944 zus<strong>am</strong>menfasste, rekonstruiert die Freiburger Gruppe Jackson Pollock<br />

Bar einen Konfernzverlauf. Richard Brickner, Talcott Parsons, Margaret<br />

Mead, Ruth Benedict und Erich Fromm diskutieren und kreieren die Geschicke<br />

Deutschlands nach 1945.<br />

ein geglücktes stück stunde null<br />

20.45 UHR HAU DREI<br />

Die Konferenz „Germany After the War" und die<br />

Demokratisierung der Deutschen nach dem Ende des<br />

Nationalsozialismus<br />

Uta Gerhardt, Heidelberg<br />

Wer eigentlich waren genau die Teilnehmer der Brickner Konferenz? Und<br />

wo hat sie stattgefunden? Die wichtigsten Teilnehmer der Brickner-Konferenz<br />

werden vorgestellt unter der Leitfrage: Was hatten sie mit den Kriegsanalysen<br />

zu tun, die dem Verständnis des Verbrechensregimes dienten, und wie waren<br />

sie in die Planungen für Nachkriegsdeutschland eingebunden. Die wichtigsten<br />

Aspekte der soziologischen Überlegungen werden historisch beleuchtet,<br />

vor allem die These des Soziologen Parsons aus dem Jahr 1944, dass eine<br />

Vollbeschäftigungswirtschaft der beste Weg zur Demokratisierung Deutschlands<br />

nach der bedingungslosen Kapitulation sei.<br />

Rabih Mroué: How Nancy wished that everything wa an April Fool’s Joke, Fotograf: Kohei Matsushima<br />

dälek, newark / heavy trash, new york – konzerte<br />

21.00 UHR HAU EINS<br />

Mit Heavy Trash (Psychobilly) und Dälek (Hypnotischer HipHop) trifft Amerikanischer<br />

Nachkriegs-Optimismus auf aktuellen apokalyptischen <strong>Re</strong>alismus.<br />

Jon Spencer (Blues Explosion) und Matt Verta-Ray (Speedball Baby) gelten<br />

mit Heavy Trash und ihrer sensationellen Rockabilly-<strong>Re</strong>konstruktion als Anführer<br />

des neuen <strong>Re</strong>vivals. Die dunklen, abgründigen Soundcollagen von Dälek<br />

(MC Dälek und the Ottopus), Macher der „Avant-HipHop-Platte des Jahres“<br />

(Intro, 26.02.2007), sorgen <strong>am</strong> Eröffnungsabend des <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>-Wochenendes<br />

für eine finstere Antwort auf diese positive Weltsicht.<br />

Zweimal Trash. Zweimal Naturgewalt. Zweimal Heavy. Zwei Duos die nicht<br />

kontrastreicher sein könnten, aber gerade in Kombination die <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>-<br />

Prozesse von d<strong>am</strong>als und heute musikalisch repräsentieren.<br />

Dälek verkörpert die Kehrseite des American Dre<strong>am</strong>s. Das Duo untergräbt die<br />

Mainstre<strong>am</strong> Rap-Diktion und entscheidet sich stattdessen für angreifende<br />

hypnotische <strong>Re</strong>ime mit einem beizenden, elektronisch beeinflussten Hard-Rock-<br />

Sinn. Kombiniert mit zweifellos intelligenten Texten ohne Illusionen über die<br />

Welt, in der wir leben. Dälek beschreitet Genres von HipHop über Jazz, Metal<br />

Punk und Noisecore zurück zu HipHop.<br />

Heavy Trash vertritt <strong>am</strong> gleichen Abend die Amerikanische Lebensfreude der<br />

fünfziger Jahre. Die beiden auf allen Ebenen perfektionierten Rock´n Roll-<br />

Ikonen rocken den Abend mit ihren aufgeheizten Rootsabilly-Kompositionen.<br />

The Performance Group: Commune, The Performing Garage, 1971. Copyright: Richard Schechner<br />

Wie unterscheiden sich die politischen und künstlerischen <strong>Re</strong>aktionen in<br />

Amerika auf den Vietn<strong>am</strong>krieg und den Irakkrieg? Was sagen diese Unterschiede<br />

über die Zukunft der <strong>am</strong>erikanischen Kunst als gesellschaftlicher<br />

Praxis? Der Vietn<strong>am</strong>krieg schien „ungewöhnlich“, „falsch“, eine „Verzerrung“<br />

des wahren Wesens Amerikas. Im Fall Irak war der „Kriegszustand“ bereits<br />

normal geworden, nicht unerwartet, das übliche. In „Commune“ (1970-2)<br />

versuchte ich mit The Performance Group die „Geschichte der <strong>am</strong>erikanischen<br />

Geschichte“ zu erzählen, einschließlich des Vietn<strong>am</strong>krieges, wie Charles<br />

Manson ihn sich vorgestellt hätte. Es war ein Stück, das den Blick in eine dunkle<br />

Zukunft richtete. Ich inszenierte auch mehrere Guerilla-Theaterprojekte gegen<br />

den Krieg. Aktuell habe ich kein Projekt zum Irakkrieg entwickelt. Ebensowenig<br />

wie andere Künstler. Warum nicht? Was bedeutet das für die Zukunft?


das institut für überlebensstrategien (ifü)<br />

19.00 bis 22.00 UHR. einlass alle 15 min. HAU EIns<br />

Abteilung Waschen und Sein<br />

Performance von GROTEST MARU, Berlin<br />

(siehe Progr<strong>am</strong>m Freitag)<br />

paradise 2<br />

20.00 UHR HAU drEI<br />

Performance von Rosa Casado, Madrid<br />

In „Paradise 2“ präsentiert sich Rosa Casado als „Mensch, als Europäerin“, die<br />

„vor Ihnen steht“. Eine solche Objektivierung und die Verwendung derart<br />

reduzierender, nicht zu leugnender Begriffe lässt einige lächeln. Jemand lacht.<br />

Und doch entdeckt Casados Publikum, dass sie bereit ist, Absurdität zu<br />

riskieren. Sie möchte sich nicht verstecken, sondern die Möglichkeit des Nicht-<br />

Verborgenseins praktizieren und darüber hinaus das, was offensichtlich erscheint,<br />

demaskieren. Paradoxerweise bleibt sie gewissermaßen unergründlich.<br />

Spanisch geschrieben und von Elvira Antón ins Englische übersetzt, ist<br />

„Paradise 2“ Casados erstes „festes“ Script für eine Solo-Performance. Inspiriert<br />

vom exakten Blick auf effiziente Kommunikation lässt sich das Projekt<br />

beschreiben als illustrierter Vortrag. Die rhetorische Qualität folgt aus der Kürze<br />

und manchmal unbeholfenen Knappheit der Zeilen: viele Definitionen<br />

st<strong>am</strong>men aus dem offiziellen Wörterbuch der spanischen Sprache der Königlichen<br />

Akademie Spaniens.<br />

Obwohl die Choreografie in „Paradise 2“<br />

letztlich auf eine Schokoladeninsel<br />

führt, ist dies nicht Casados Ausgangspunkt.<br />

Sie besucht sie immer wieder:<br />

Unter Verwendung eines Begriffs aus der<br />

Wirtschaftstheorie oder –analyse bricht<br />

und isst sie sich durch eine oder mehrere<br />

Palmen. Sie isst, zieht, spricht. Casado<br />

befasst sich mit dem Unterschied<br />

zwischen Tourismus und Migration als<br />

Muster für Annahmen zu Geld und<br />

Konsum, Freiheit und Verantwortung.<br />

born june 1948; re-education as education<br />

vortrag und gespräch<br />

21.00 UHR HAU EIns<br />

© Magadalena USA. Perishable Theater,<br />

Providence RI, USA<br />

„Paradise 2 – the incessant sound of a<br />

falling tree“<br />

figure and ground – a live music and text broadcast<br />

21.00 UHR HAU drEI<br />

Hassan Khan, Kairo<br />

Aufzeichnung von Freitagsgebeten in Kairo (öffentliche Übertragung durch<br />

Lautsprecher auf den Moscheen überall in der Stadt, jeden Freitag nach dem<br />

Mittagsgebet), die mit Live-Musikprojekten (Feedback-Mixer, Filterbatterien,<br />

vorkomponierte Elemente) und der Verlesung eines Textes des Künstlers gemischt<br />

werden. Dabei werden die unterschiedlichen rhetorischen und stimmlichen<br />

Mittel und Techniken der Freitagsprediger eingesetzt.<br />

Was ist gemeint, wenn von der „Last der Wahrheit“ die <strong>Re</strong>de ist? Obwohl „figure<br />

and ground“ ursprünglich als Live-Performance konzipiert war – die erste Ausstrahlung<br />

erfolgte 2006 in einer Radio-Live-Sendung auf <strong>Re</strong>sonance FM in<br />

London – überzeugte mich diese Erfahrung, dass die Form der Präsentation<br />

eher eine imaginierte denn eine erlebte sein sollte. Wenngleich ich kein Interesse<br />

habe, irgendetwas zu erklären oder aufzuhellen – die Freitagspredigten folgen<br />

einem bestimmten Stil, einer Technik mit spezifischer Historie und Kontext – sind<br />

Filme, die mit hauptsächlich dokumentarischem Material ein Schuldbewusstsein<br />

bei der deutschen Bevölkerung über ihre Verbrechen in den Konzentrationslagern<br />

erzeugen sollten. Der Marshallplan als umfangreiches Hilfsprogr<strong>am</strong>m zum<br />

ökonomischen Aufschwung der westeuropäischen Länder wurde begleitet<br />

von einer gigantischen Informationsk<strong>am</strong>pagne, die einerseits die Aufbauarbeit<br />

der Amerikaner würdigen und andererseits demokratische Konzepte in den<br />

Köpfen der Bürger verankern sollte. Der Besuch der Wochenschau konnte zum<br />

probaten Mittel gegen den Faschismus und zur Pflicht erklärt werden. Mit<br />

Filmen wie „Mr. Marshall und ich“ und „Frischer Wind in alten Gassen“ sollte<br />

Demokratie anschaulich und ein positives Weltbild geschaffen werden.<br />

Über myspace und You Tube verbreiteten wir einen Aufruf, sich an die Tradition<br />

der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> anzuschließen und eigene Videobeiträge zum Thema zu<br />

machen. Aus den online gestellten Beiträgen wählen wir drei aus, die im<br />

Rahmen des thematischen Wochenendes gezeigt werden. Der erste Preis ist<br />

ein Fotohandy N 95 von Nokia.<br />

manifesta destiny – performance<br />

22.30 UHR HAU zwEI<br />

Pablo Helguera, New York<br />

Pablo Helgueras „Manifest Destiny“ ist eine Performance-Lecture. Das Werk<br />

verbindet vier Geschichten mit ungewissen thematischen Bezügen: Die<br />

Geschichte des mexikanisch/<strong>am</strong>erikanischen Krieges von 1848, in dessen<br />

Verlauf Mexiko die Hälfte des nationalen Territoriums an die USA verlor;<br />

das Leben des Wallace Nutting, Pfarrer aus Massachusetts im 19. Jahrhundert,<br />

der zum bekanntesten <strong>am</strong>erikanischen Fotografen seiner Zeit wurde; er erfand<br />

die „Americana“; das Leben des Garry Thuerk, Vater des eMail-Sp<strong>am</strong>; und das<br />

Leben der britischen Pianistin Joyce Hatto, die die Welt der klassischen Musik<br />

narrte, indem sie CDs anderer Pianisten als ihre eigenen Konzerte ausgab.<br />

Das Projekt basiert auf der im 19. Jahrhundert verbreiteten Überzeugung, es<br />

sei das Amerika bestimmte Schicksal, das eigene Territorium weltweit auszudehnen.<br />

Das Performance-Projekt „Manifest Destiny“ geht davon aus, dass<br />

die Ideen der ganz besonderen <strong>am</strong>erikanischen Bestimmung, der globalen<br />

Expansion und des kapitalistischen Imperialismus eng verwoben sind mit einem<br />

Aspekt der Kommerzgesellschaft unserer Zeit, von der wir alle intensiv<br />

geprägt sind. Sie beeinflusst, wie wir ein Bild von uns anderen gegenüber aufbauen,<br />

wie wir versuchen, unseren Einfluss über unseren Platz in der Welt<br />

hinaus auszudehnen, und bis zu welchem Punkt wir bereit sind, eine eigene<br />

<strong>Re</strong>alität zu schaffen, und der Selbsttäuschung anheimfallen, um die gesteckten<br />

Ziele zu erreichen.<br />

installationen<br />

FREITAG, 18. JANUAR<br />

s<strong>am</strong>sTAG, 19. JANUAR<br />

von 18.30 bis 23.00 UHR<br />

von 16.30 bis 23.00 UHR<br />

travel agency to the future<br />

AES, Moskau/New York<br />

„(...) AES Group kommt aus Moskau. Den drei jüdisch-russischen Künstlern ist<br />

die furchteinflößende Propaganda des Kalten Krieges sehr vertraut. In ihrer<br />

Serie ‚The Witnesses of the Future: Isl<strong>am</strong>ic Project‘ (1996-97) zeigen sie die<br />

Absurdität von Huntingtons ‚Theorie vom K<strong>am</strong>pf der Kulturen‘. Sie präsentieren<br />

die Idee vom ‚clash of civilisations‘ im übertriebenen Extrem, d.h. im<br />

‚schlimmsten denkbaren Szenario‘. Mit computergenerierten Bildern reproduzieren<br />

sie die urbanen Landschaften der wichtigsten Hauptstädte des Westens –<br />

New York, Paris, Rom, Sydney, Moskau und Berlin – unter isl<strong>am</strong>ischer<br />

Besatzung im Jahr 2006. Monumente der westlichen Geschichte werden zu<br />

Moscheen, umgeben von bewaffneten Vertretern des Isl<strong>am</strong> und Nomaden-<br />

Hans Ulrich Gumbrecht, Stanford und Friedrich Kittler,<br />

Berlin<br />

Hans Ulrich Gumbrecht wuchs im westlichen Nachkriegsdeutschland auf und<br />

hat positive Erfahrungen mit der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> gemacht. Als Literaturwissenschaftler<br />

machte er sich schon früh auch international einen N<strong>am</strong>en.<br />

Seit 1989 lebt und lehrt er in Stanford und ist seit einigen Jahren Amerikaner.<br />

Nicht nur mit zahlreichen Büchern ist er in Deutschland präsent geblieben, er<br />

mischt sich auch in politische Debatten ein und schreibt für die Feuilletons<br />

großer deutscher <strong>Zeitung</strong>en. Polemisch äußerte sich Gumbrecht immer wieder<br />

über den Anit-Amerikanismus, der auch in Deutschland wuchert. Er spricht<br />

über seinen Lebensweg, seine Bildung im <strong>am</strong>erikanisierten Westdeutschland<br />

und seine Entscheidung in Amerika zu bleiben.<br />

Friedrich Kittler wurde gegen Kriegsende in Sachsen geboren und wuchs bis<br />

Ende der 50er Jahre dort auf. Mit seinen Eltern verließ er 1958 die DDR und<br />

studierte später Germanistik in Freiburg. In den 80er Jahren wurde Kittler mit<br />

seinen medientheoretischen <strong>Re</strong>flektionen bekannt. Vor dem Hintergrund der<br />

Erfolgsgeschichte von Telefunken, die eines der zahlreichen Zwangsarbeiterlager<br />

unter der Adresse des heutigen HAU 3 betrieben, spricht er über<br />

Kontinuitäten der medialen Entwicklung vor und nach 1945.<br />

Gemeins<strong>am</strong> diskutieren Kittler und Gumbrecht über ihre jeweils unterschiedlichen<br />

Perspektiven auf das Nachkriegsdeutschland, die mediale Situation<br />

nach 1945 und die <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>.<br />

how nancy wished that everything was an april fool’s joke<br />

21.00 UHR HAU ZWEI<br />

<strong>Re</strong>gie: Rabih Mroué, Beirut (siehe Progr<strong>am</strong>m Freitag)<br />

wir immer noch an einem Prozess der Übersetzung beteiligt. Was bedeutet<br />

es, wenn man die Stimme einer spezifischen politischen Agentur nutzt und<br />

zugleich die Bequemlichkeit von Positionen verweigert? Greifen wir auf, was<br />

traditionell als reaktionäres Format gilt? Ist es wirklich ein Aufgreifen? Oder ist<br />

es etwas anderes? Und können wir immer noch die Automatik ignorieren,<br />

die nichtsdestotrotz besteht? In der verstärkten Form füllt die menschliche<br />

Stimme das Vakuum, ein Text und das Vergnügen <strong>am</strong> Formen des Klangs als<br />

Musik: Welche Widersprüche erwarten uns?<br />

preisverleihung videowettbewerb<br />

22.00 UHR HAU EIns<br />

Wie kann man eine ges<strong>am</strong>te Nation, deren Diagnose „Paranoia“ lautet, wieder<br />

zur Vernunft bringen? Wie bekehrt man an-Faschismus-Glaubende zu<br />

demokratischem Grundverständnis? Diese Frage beantworteten die Alliierten<br />

noch während des Zweiten Weltkrieges mit der Entwicklung eines <strong>Re</strong>-<br />

<strong>Education</strong>-Progr<strong>am</strong>mes. In Kriegsgefangenenlagern übte man zu diskutieren<br />

und bereits kurz nach Kriegsende wurden die ersten Atrocity Pictures gezeigt:<br />

the war on democracy – film von john pilger, london (2007)<br />

23.00 UHR HAU EIns<br />

Der australische Journalist und Dokumentarfilmer beschäftigt sich in seinem<br />

aktuellen Film mit der Geschichte nord<strong>am</strong>erikanischer Einflussnahme in<br />

Latein<strong>am</strong>erika nach 1945. In seiner <strong>Re</strong>cherche offenbart sich der Widerspruch<br />

einer Rhetorik von Frieden, Freiheit und Demokratie und tatsächlicher Politik.<br />

Wo von einem K<strong>am</strong>pf für Demokratie die <strong>Re</strong>de ist, geht es in der Geschichte<br />

der Amerikas häufig nur um Einflussnahme und um hegemoniale Interessen.<br />

An historischen Beispielen wie Chile und aktuellen wie Hugo Chavez in<br />

Venezuela untersucht Pilger den Krieg gegen die Demokratie, der aus seiner<br />

Sicht von Amerika unter dem Denkmantel von „Nation Buildung“ und<br />

„Democracy Promotion“ geführt wird.<br />

super700 featuring ruth fischer, berlin – konzert<br />

23.00 UHR HAU zwEI<br />

Nach ihrem ersten HAU-Auftritt 2006 und ihrem mittlerweile internationalen<br />

Erfolg kommen Ibadet R<strong>am</strong>adani und Michael Haves mit „SUPER700“<br />

zurück. Speziell für das <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>-Wochenende wird die siebenköpfige<br />

Band in einem Sonderprogr<strong>am</strong>m auftreten, in dem auch „Ruth Fischer“, das<br />

Proto-Marxist Post Political Punque Kollektiv, zu erleben sein wird. Ruth Fischer<br />

wird von einem 15jährigen albanischen Topmodel geleitet, das zus<strong>am</strong>men<br />

mit einer <strong>Re</strong>ihe von Musikern aus Sri-Lanka, Island, El Salvador arbeitet. Ruth<br />

Fischer, benannt nach der ersten Frau, die eine politische Partei im 20. Jahrhundert<br />

in Europa anführte, wurde 2005 von der Künstlergruppe Cheap entdeckt<br />

und ist der wichtigste Befürworter der Dookie Musik Bewegung und Subkultur.<br />

© AES group, 1996. All rights reserved. „New Freedom, 2006”. 1996, from the series „AES - Witnesses<br />

of the Future. Isl<strong>am</strong>ic Project”. Digital collage, variable dimensions, variable media.<br />

zelten. Die Freiheitsstatue ist – von Kopf bis Fuß – verschleiert, und statt der<br />

Unabhängigkeitserklärung hält sie den Koran in der Hand. Diese Strategie<br />

der Ironie treiben die Künstler noch weiter in der ‚AES Travel Agency to the<br />

Future‘ von 1997, die die oben beschriebenen Szenarios auf Postkarten,<br />

Kaffeetassen, T-Shirts usw. vermarktet und Fragebögen an die Besucher austeilt.<br />

Dieses HiTech-Ratespiel der Zukunft ist ein zentrales Element der Arbeit der<br />

Gruppe. Es soll unsere Annahmen in Bezug auf die Welt in Frage stellen.<br />

Dabei geht es nicht nur um die Dekonstruktion der „Logik der Angst“ als<br />

ideologischer Grundlage geopolitischer Machtspiele, sondern auch um den<br />

Prozess des Zerfalls der psychologischen Konstrukte, auf denen unsere<br />

Wahrnehmung von Bildern und deren Bedeutung beruht. AES Group arbeitet<br />

mit den Bildern des Schreckens, die visuelle Wirkung entfalten sollen, und<br />

entwickelt zugleich ausgefeilte Situationen, in denen der Betrachter eingeladen<br />

wird, sich direkt an der Aufhebung der konventionellen Ethik zu beteiligen. (...)“<br />

Hou Hanru, „AES group“, Cre<strong>am</strong>. Contemporary Art in Culture,<br />

Phaidon Press, London, 1998


psyop<br />

Installation von Büchel/Carmine, Basel/St.Gallen<br />

(siehe S. 12-13)<br />

100 jahre : 100 sekunden<br />

Daniela Comani, Berlin<br />

Nicht viel bleibt wie es war. Als der Architekt Oskar Kaufmann 1908 seinen<br />

ersten Theaterbau, das Hebbel-Theater, fotografierte, ahnte er nichts von<br />

den Geschichten, die die Geschichte hundert Jahre später hervorgebracht<br />

haben würde. Aber sein Bau blieb erhalten, das Hebbel-Theater steht fast<br />

unverändert <strong>am</strong> selben Ort. Zwischenzeitlich wechselte es häufig die Anschrift.<br />

Dabei blieb das Haus, wo es auch heute noch zu finden ist. Über die Zeit<br />

wurde es mehrfach umbenannt, hieß Theater an der Königgrätzer Straße und<br />

war über Jahre geschlossen. Daniela Comani konfrontiert die Körperlosigkeit<br />

und Flüchtigkeit der menschlichen Stimme – die, indem sie einen N<strong>am</strong>en gibt,<br />

etwas bezeichnet und d<strong>am</strong>it schöpferische Kraft zu haben scheint – mit der<br />

Fixierung von Architektur im Bild. Beide Fixierungen erweisen sich in dieser<br />

Arbeit als flüchtig. Je nach politischer und historischer Lage erschien das<br />

Theater an einem anderen Ort unter wechselnden Bezeichnungen. Trotz der<br />

Beständigkeit des Hauses ist die Fotografie Oskar Kaufmanns eine Momentaufnahme,<br />

erkennt man das Theater heute kaum wieder. Die Zeit hat ihre Spuren<br />

hinterlassen, Bäume sind gewachsen, der Stein ist dunkler geworden. Als<br />

Filmstill bekommt die Fotografie etwas gespenstisches, flüchtiges. Manche<br />

Stellen wirken verwischt, so als sei doch das Theatergebäude selbst in<br />

Bewegung oder habe ein Engel die Geschichte des Hauses gestreift.<br />

un/real time<br />

Videoinstallation von Hassan Elahi, New York<br />

Tracking Transience: Das Orwell Project (Un/<strong>Re</strong>al Time) ist Ergebnis einer<br />

sechsmonatigen Untersuchung des FBI, nachdem der Künstler irrtümlich als<br />

Terrorist angezeigt worden war. Diese Erfahrung inspirierte ihn zur Entwicklung<br />

eines Netzwerk-Geräts, das fast jeden Aspekt seines Lebens öffentlich<br />

macht. Im Verlauf der FBI-Ermittlungen entschloss er sich, aktiv zu kooperieren<br />

und an einen Punkt der Fügs<strong>am</strong>keit zu gehen, der die aktuelle Arbeit nahezu<br />

als eine - wenn auch nicht autorisierte - Zus<strong>am</strong>menarbeit mit der Polizei<br />

präsentiert. Das Netzwerk generiert eine Datenbank von Bildern und ortsbezogenen<br />

Informationen, die ihn und seine Transitpunkte in Kombination mit<br />

einem internetfähigen Begleiter in Echtzeit verfolgen. Seit Entwicklung dieses<br />

Systems kann der für ihn zuständige FBI-Agent ihn (und alle anderen) online<br />

aufspüren. Die Multichannel-Video-Installation entstand aus tausenden von<br />

erfassten und kompilierten Bildern des mobilen Netzwerkgeräts und anderen<br />

Informationen aus der Datenbank.<br />

brand <strong>am</strong>erica – Präsentation<br />

Evil Knievel, Butte/MT<br />

Die Aufgabe heute lautet nicht, dem Anti-Amerikanismus ein Ende zu bereiten,<br />

denn dies kann nur durch den Zus<strong>am</strong>menbruch der Macht Amerikas erreicht<br />

werden. Die Aufgabe heute besteht im pragmatischen Umgang mit Ablehnung,<br />

Irritation und realer Trauer, die unvermeidlicherweise einhergeht mit der<br />

Machtübernahme einer Nation, einer Kultur und eines Gesellschaftsmodells<br />

in einer komplexen, geteilten und leidenschaftlichen Welt.<br />

Richtig ist, dass die zunehmend negative Haltung gegenüber den USA eher<br />

auf Wahrnehmung als auf <strong>Re</strong>alitäten gründet. Richtig ist jedoch auch, dass<br />

Wahrnehmungen wirkungsmächtige Meinungsmacher sind. Du und die 55 bis<br />

60 Millionen anderen Amerikaner, die jedes Jahr ins Ausland reisen, haben<br />

die einzigartige Chance, zumindest ein paar der Eindrücke, die wir hinterlassen,<br />

vom Negativen zum Positiven zu wenden.<br />

Wenn du den simplen Vorschlägen von BRAND AMERICA folgst, kannst du<br />

etwas gegen den Anti-Amerikanismus tun und gleichzeitig für den <strong>am</strong>erikanischen<br />

Way of Life werben. Gründend auf einem profunden Verständnis für<br />

anti<strong>am</strong>erikanische <strong>Re</strong>ssentiments ist BRAND AMERICA ein klarer und<br />

traditioneller Aufruf zum Handeln, d<strong>am</strong>it die USA das alte Bild und den früheren<br />

Ruhm Amerikas wieder herstellen können.<br />

Mit einigen einfachen <strong>Re</strong>geln vermittelt BRAND AMERICA dir Möglichkeiten,<br />

das Vertrauen in eine Gesellschaft wieder herzustellen, die weltweiter<br />

Nachahmung wert ist. BRAND AMERICA ist der mitfühlende Glaube an<br />

Amerikas einzigartige und zugleich universelle Werte.<br />

BRAND AMERICA fördert das Streben nach Glück. BRAND AMERICA<br />

befürwortet das <strong>Re</strong>cht jedes und jeder Einzelnen auf Wohlstand und Erfolg.<br />

BRAND AMERICA verbreitet Hoffnung und Optimismus. Die atemberaubend<br />

einfache Formel von BRAND AMERICA ist die Freiheit, glücklich zu sein!<br />

theaterhunger, weltdurst – fliegen und existenz<br />

Film von Janina Möbius, Berlin<br />

„Einen Augenblick lang, und daran ist zu erinnern, war Berlin der Vorort<br />

dieses Existenzialismus...“<br />

„Und dann saßen die da unten, und es wurde kalt im Winter, die Leute saßen<br />

in Decken gewickelt und wir hatten keine Beleuchtung, wir spielten vor drei<br />

alten Kerzenstümpfen.“<br />

„Das menschliche Leben beginnt jenseits der Verzweiflung.“<br />

„Es war wunderschön. Nie war man so abgehoben vom Alltag, von dem, was<br />

heute schon wieder so wuchert und wichtig ist: Prestige, Geltung, Erfolg um<br />

des Materiellen willen. Alle hatten wir nichts - nur unser Talent und die Sehnsucht,<br />

uns mitzuteilen, jetzt, wo es galt, die Welt neu zu schaffen.“<br />

„Wir hatten überlebt. Und im Theater wurden wir wieder zu Menschen.“<br />

In den vier Sektoren Berlins wurden in den sieben Monaten von Juni bis<br />

Dezember 1945: 19 Operetten, 11 Opern, über 50 Schwänke, Lustspiele mit<br />

Musik, <strong>Re</strong>vuen, Boulevardstücke, gleich dreimal Shakespeares „Sommernachtstraum“,<br />

nur sechs Klassiker-Inszenierungen und über 20 Werke aus<br />

der Dr<strong>am</strong>enliteratur des 20. Jahrhunderts gezeigt.<br />

Ein filmisches Mosaik zu den Nachkriegsjahren des Hebbel-Theaters.<br />

<strong>Re</strong>gie: Janina Möbius, Assistenz: Doreen Görisch<br />

K<strong>am</strong>era: Sandra Merseburger, Schnitt: Kai Scharmer<br />

Licht: Martin Grothe, Sascha Vogel, Ton: Frank Talky <strong>Re</strong>gente<br />

capitulation projeCt<br />

Frédéric Moser und Philippe Schwinger, Berlin<br />

Der aktuelle Krieg im Irak scheint so weit entfernt von uns, wie in den 60er<br />

Jahren der Krieg in Vietn<strong>am</strong> den Zeitgenossen erschienen sein mag. Schon<br />

d<strong>am</strong>als beschäftigten sich KünstlerInnen mit der Frage, wie das Kriegsgeschehen<br />

vergegenwärtigt werde könnte. Die Arbeit von „The Performance<br />

Group“ unter Richard Schechner zu Beginn der 70er Jahre nahmen Moser<br />

und Schwinger 2003 zum Anlass einer unzeitgemässen Betrachtung. Nach<br />

dem Ende der Geschichte, das in der Postmoderne annonciert wurde, stellt<br />

sich die Frage, welche Werkzeuge historischer Vergegenwärtigung uns heute<br />

noch zur Verfügung stehen. Gedenken an Krieg und Verbrechen, an Gewalt<br />

und Zerstörung hat immer auch mit Strategien zu tun. Es beinhaltet Strategien<br />

von Erzählung, von Tradierung archivierten Materials und eine je spezifische<br />

Politik der Bilder. Moser und Schwinger thematisieren in „Capitulation Project“<br />

auch die Fallstricke solcher Unternehmungen. In dem Bühnenbild, das sie für<br />

ihre Dreharbeiten dem originalen Set von „The Performance Group“ nach empfanden,<br />

sitzen über 30 Jahre nach dem Massaker von My Lai wieder Zuschauer<br />

und werden zu Zeugen eines Umschwunges. Aus Menschen werden Feinde,<br />

die es zu töten gilt, ungeachtet ihres Alters oder Geschlechtes, es gilt sie zu<br />

vernichten, auszulöschen. Der Ort wird dem Erdboden gleich gemacht, die<br />

Spuren gelöscht. Wir kapitulieren angesichts solcher Gewalt, können nicht<br />

verstehen, kapitulieren auch vor der Aufgabe der Erinnerung, des Gedenkens.<br />

u.s. go home<br />

Annette Weisser, l.a./Berlin<br />

Mit einem Seitenblick auf gegenwärtige Bemühungen im Irak oder in<br />

Afghanistan beschäftigt sich Annette Weisser in ihren aktuellen Arbeiten mit<br />

der Frage, ob es sinnvoll ist, Demokratie in einem besiegten Land zu stiften,<br />

indem man seine eigene politische Kultur aufzwingt. Im Zentrum ihres Interesses<br />

steht die Besatzungszeit in Deutschland sowie die <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>-Politik<br />

der Westalliierten, begleitet von der Überlegung, inwieweit sie selbst ein Produkt<br />

der kulturellen Abmachungen dieser Zeit ist.<br />

Unter dem übergreifenden Titel „Ab jetzt alles richtig machen, bitte!“ befragt<br />

die Künstlerin Zeugnisse dieser Geschichtsepoche. So isoliert Weisser aus<br />

einem von Dutzenden gesichteter sogenannter Marshall-Plan-Filme beispielsweise<br />

einen Moment, in dem der fiktionale Charakter der Propagandafilme<br />

und die schwierige Situation der Filmemacher in Bezug auf ihren Auftraggeber<br />

sichtbar wird: Ein vom (britischen) <strong>Re</strong>gisseur nachgestelltes Graffiti auf<br />

einer Hauswand im Jahr 1946. Weisser adaptiert den Schriftzug „U.S. GO<br />

HOME“ als Wandmalerei und gleichzeitig als Blaupause aller anti-<strong>am</strong>erikanischen<br />

Graffities, die die Entwicklung der BRD seither begleiten.<br />

Die Konfrontation mit Dokumenten, welche die beabsichtigte Vernichtung der<br />

europäischen Juden belegen und die Undarstellbarkeit dieses Ereignisses<br />

sind das Thema einer fünfteiligen Serie von Zeichnungen und Bildcollagen.<br />

In „Annie“ begegnen wir der zum Thema mehrfach befragten Tante der<br />

Künstlerin in melancholischer Haltung mit nach innen gekehrtem Blick; „Lager“<br />

zeigt in diagonaler Komposition einen Ausschnitt aus einer Fotografie, auf der<br />

die Zivilbevölkerung von Neuenburg/Oberpfalz zu sehen ist, welche unter<br />

Aufsicht von US-Soldaten an den aufgebahrten Leichen von KZ-Häftlingen<br />

vorbeidefiliert, die während der „Todesmärsche“ nach Dachau ermordet wurden.<br />

Statt der vom Foto weggeschnittenen Zivilbevölkerung zeichnet Weisser einen<br />

in Herzformation fliegenden Vogelschwarm als stillen Zeugen über das<br />

Schauspiel. In „Transfer“ wird eine Schneelandschaft zur Bühne, auf welcher<br />

ein Hase das Herzsymbol aufgreift und als Spur hinterlässt, im Vordergrund<br />

montiert die Bestuhlung der Berliner Kongresshalle, heute Haus der Kulturen<br />

der Welt. Als Kämpferin mit Schafsohren und einem angewachsenen politischen<br />

Button mit der Aufschrift „Ab jetzt alles richtig machen, bitte!“ stellt sich<br />

die Künstlerin selbst in einem weiteren Bild dar.<br />

Text im Faltblatt der Künstlerstätte Schloss Bleckede von Barbara Buchmaier<br />

Positionen aus der Klasse für Medienkunst von Helmuth<br />

Mark an der Hochschule für Grafik und Buchkunst,<br />

Leipzig: Jana Engel. Paul Philipp Heinze, Thomas Janitzky,<br />

Friedrich Lissmann und Axel Töpfer<br />

„Stunde Null“, 2007, Lottoschein, Farbausdruck<br />

An der Leipziger Kunsthochschule (HGB) besteht neben den in der letzten Zeit<br />

mit viel Aufmerks<strong>am</strong>keit bedachten Fachbereichen der Malerei und Fotografie<br />

auch ein kleiner, aber feiner Fachbereich für Medienkunst. Dieser wurde im<br />

Jahr 1993 eingerichtet und im Zuge einer großen Begeisterung für die mit<br />

den neuen Medien verbundenen Perspektiven für die Medienkunst personell<br />

und technisch hervorragend ausgestattet. Die Tatsache, dass innerhalb von<br />

14 Jahren die technische Entwicklung an anderen Orten weitaus schneller<br />

vonstatten ging, als dies an einer Kunsthochschule möglich und sinnvoll ist,<br />

führte zu einer Öffnung und Auffächerung des künstlerischen Spektrums,<br />

so dass nun in den Fachklassen verschiedenste konzeptuelle, performative und<br />

partizipative Arbeitsweisen zu finden sind, die sich aller gängigen und nicht<br />

gängigen Mittel und Medien bedienen.<br />

Die Klasse für Medienkunst von Helmut Mark und Tina Schultz ist nun in diesem<br />

Semester eine ebenso spannende wie fruchtbare Zus<strong>am</strong>menarbeit mit<br />

Stefanie Wenner und dem HAU eingegangen. Über das vergangene Semester<br />

fanden gemeins<strong>am</strong>e Sitzungen an der Leipziger Akademie statt, in denen<br />

unterschiedliche Aspekte des Themenkomplexes <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> behandelt<br />

wurden. Im Rahmen dieses Projektes wurden innerhalb relativ kurzer Zeit<br />

einzelne Arbeiten entwickelt, die sowohl auf das Thema als auch auf den Ort,<br />

das Theater, spezifisch eingehen. Am HAU zeigen wir Arbeiten von Jana Engel,<br />

Paul Philipp Heinze, Thomas Janitzky, Friedrich Lissmann und Axel Töpfer.<br />

Der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin verdanken wir die Finanzierung der<br />

Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen des Hebbel-Theaters, also auch des<br />

thematischen Wochenendes zu <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>. Schon kurz nach Kriegsende<br />

konnte man wieder Lotto spielen. Bereits 1945 brachte eine erste Stadtlotterie<br />

zur Förderung des Wiederaufbaus 350.000 <strong>Re</strong>ichsmark ein. Ausgehend von<br />

dem Glücksspiel, der Lotterie, beschäftigt sich Jana Engel mit der langen<br />

Stunde Null als Zeitraum eines Neubeginns, der mit Hoffnung gefüllt wurde.<br />

Paul Philipp Heinze übernimmt die Strategie der musikalischen Überzeugungsarbeit<br />

in seinem eigens für unser Wochenende eingespielten Song<br />

„u2canbelikeus“, der von der band „reed....“ veröffentlicht wird. Die <strong>Re</strong>cord<br />

<strong>Re</strong>lease findet im Rahmen des Themenwochenendes statt.<br />

Thomas Janitzky klopft Mythen und Transferleistungen populärer Kultur ab und<br />

untersucht sie auf ihre Nahrhaftigkeit hin. „Kissing, Holding, Facing Each<br />

Other“ — im Tanz trifft Bajuwarischer Wurzelsepp auf American Yodel, G.I. Joe<br />

vs. John From, Zionist Marching Brass vs. suicide terroristtribute albums.<br />

Der verzwickte <strong>Re</strong>-Im- und Export von 1000 Jahren Black Music und Afro-<br />

American Culture — bis in den Weltraum (... is the place) und darüber hinaus:<br />

Was bleibt nach den Haken schlagenden Bedeutungs-Drifts der Musik?<br />

Und wer erzieht wen? „Kissing, Holding, Facing Each Other“ untersucht das<br />

Potenzial an Verbrüderung, Versöhnung, das eingeschrieben steht in den<br />

Tanz und geweckt wird von jedem neuen Zus<strong>am</strong>menhang und jeder neuen<br />

crowd. Ein Arm tanzt Angebot, die Füße tippeln Isolation, aber die Hüften<br />

kreisen längst zum hohlen Freedom Groove.<br />

Friedrich Lissmann zeigt mit Peter Wächtler aus Berlin „Hangarounds“ und Axel<br />

Töpfer beschäftigt sich mit Wissensproduktion im Mutterland Amerika.<br />

„If the people of Hiroshima and Nagasaki had known what we know about civil<br />

defense, thousends of lives would have been saved. Yes, the knowledge is<br />

ours.“ Aus Civil Defense Filmen entnommene Sequenzen vollführen in Schleifen<br />

ihrer Aussage entsprechend einen dauerhaften Zirkelschluss:<br />

Je stärker ein Experiment zum geschichtlichen Ereignis neigt, desto stärker<br />

muss sich gleichzeitig die Beschreibung vom tatsächlichen Experiment lösen.<br />

„Amerika“, 2007, Lottoschein, Fineliner<br />

Engel, Jana (geb. 1982 in Hannover) - Studentin der Medienkunst an der<br />

HGB Leipzig.<br />

Heinze, Paul Philipp (geb. 1981 in Leipzig) - seit 2001 Medienkunststudium<br />

an der HGB (Leipzig), 2004 Studienaufenthalt in Frankreich an der<br />

École Régional des Beaux-Arts de Nantes, 2006 Gründung des Kunst- &<br />

Projektraumes Bürö.<br />

Janitzky, Thomas (geb. 1982 in Jena) - studiert Medienkunst in Leipzig,<br />

Performances und Vorträge: Hyperkult 14, Lüneburg; HGB Leipzig, ICHIMO5,<br />

Paris; GfzK Leipzig; Festspielhaus Hellerau, Dresden Gruppe-Ausstellung:<br />

Galerie DoppelDe, Dresden; Galerie hafen+rand, H<strong>am</strong>burg, HGB Leipzig.<br />

Lissmann, Friedrich (geb. 1979 in Leipzig) - Studium an der HGB in<br />

Leipzig seit 2004, lebt und arbeitet in Leipzig.<br />

Töpfer, Axel - Mitglied der „zeit genossen” und des Netzwerkes Videoklub,<br />

lokale Gruppe „Das Gefummel das kann ich nicht leiden”, seit 2001 Studium<br />

der Bildenden Kunst an der Hochschule für Graphik und Buchkunst Leipzig<br />

und der Akademie der Bildenden Künste Wien, seit 2007 Assistenz bei<br />

Martin Arnold.<br />

Wächtler, Peter (geb. 1979 in Hannover) - Studium der Freien Kunst<br />

an der Bauhaus, Universität Weimar 1999-2004, lebt und arbeitet in Berlin.


BETEILIGTE<br />

AES-GROUP, gegründet 1987. Moskauer Künstlergruppe mit<br />

Arz<strong>am</strong>asova, Tatiana (geb. 1955 / Moskau) – Absolventin des Institut für Architektur in Moskau<br />

(MARCHI) – Staatsakademie (1978). Lebt und arbeitet in Moskau. Tätig im Bereich Konzeptarchitektur.<br />

Gewinnerin des „Grand Prix“ eines OISTT-UNESCO-Wettbewerbs zum „Theater der<br />

Zukunft” (1979). Teilnahme an Ausstellungen zur Konzeptarchitektur in London, Paris und Venedig;<br />

Evzovich, Lev (geb. 1958 / Moskau) – Absolvent des Institut für Architektur in Moskau (MARCHI) –<br />

Staatsakademie (1982). Lebt und arbeitet in Moskau. Tätig im Bereich Konzeptarchitektur.<br />

Gewinner des „Grand Prix“ eines OISTT-UNESCO-Wettbewerbs zum „Theater der Zukunft” (1983).<br />

Teilnahme an Ausstellungen zur Konzeptarchitektur in Mailand, Frankfurt/Main und Paris;<br />

Svatsky, Evgeny (geb. 1957 / Moskau) – Absolvent der Moskauer Universität für Druckkunst<br />

(Fakultät für Druckgrafik, 1980). Lebt und arbeitet in Moskau und New York. Befasst sich mit Buchund<br />

Werbegestaltung, Plakatkunst und Grafik. Teilnahme an internationalen Plakatwettbewerben,<br />

Ausstellungen von Buchillustrationen, Grafik und Design. Arbeitete als Creative und Art Director<br />

für mehrere Verlage in Moskau.<br />

Kooperation mit dem Fotograf Vladimir Fridkes seit 1995 (AES+F)<br />

BÜCHEL, CHRISTOPH (geb. 1966 in Basel); 1986-89 - Schule für Gestaltung, Basel,<br />

1989-90 - Cooper Union School of Art, New York, 1992-97 – Kunstakademie, Düsseldorf.<br />

2000-01 - Stipendium im P.S. 1, New York.<br />

Christoph Büchel sorgte mit seinen aus<strong>ufer</strong>nden Rauminstallationen schon des öfteren für Furore.<br />

Er verpflanzte u.a. komplette Wohnungen von fiktiven Zeitgenossen in vorgefundene Ausstellungsräume<br />

und lud die Besucher so zur aktiven Spurensuche ein. Häufig stellt sich der Eindruck<br />

ein, dass die früheren Bewohner Gefangene ihrer psychischen Zwänge waren. So hat<br />

Büchel in der Offenbacher Ausstellung „Alles wird gut“ (1999) detailliert die Welt eines Menschen<br />

inszeniert, der alles anfängt und nichts zu Ende bringt und schließlich im Chaos versinkt. In der<br />

Installation „Lieber Kurt, ...“ (2000) im Sprengel Museum Hannover bewegte sich der Besucher im<br />

Gelände eines Tüftlers, der im Material seiner zahllosen unausgeführten Projekte zu ersticken droht.<br />

CARMINE, GIOVANNI (geb. 1975 / Bellinzona) – ist Kurator und Kunstkritiker. Er hat in dem<br />

Kunstraum Walcheturm in Zürich gearbeitet und organisierte mehrere Ausstellungen für verschiedenen<br />

Institutionen, darunter: „999“ (1999) und „Updating Landscapes“ (2003) für Centro<br />

d’Arte Contemporanea Ticino; „Body Proxy“ über Norma Jeane (Helmhaus Zürich, Swiss<br />

Institute New York und Kunstverein Freiburg, 2004/2005) und eine Maltrilogie „Fois Gras“ (Centre<br />

Culturel Suisse in Paris, 2007). Carmine leitete auch zahlreiche unabhängige Produktionen in<br />

die Wege, wie zum Beispiel: „Unloaded“ (2002) in ehemaligen Bunkern der Schweizer Armee<br />

(www.artbunker.li) und mobile Plattform für zeitgenossische Kunst „zimmerfrei“ (www.zimmerfrei.li).<br />

Er hat Beiträge für zahlreiche Zeitschriften (Kunst-Bulletin, Frieze, Parkett) und Kataloge<br />

geschrieben und bearbeitete Publikationen („Psyop Post 9/11 Leaflets“ zus<strong>am</strong>men mit Christoph<br />

Büchel, 2005). Seit März 2007 ist er Direktor der Kunst Halle St. Gallen. Carmine lebt und<br />

arbeitet in Zürich und St. Gallen.<br />

CASADO, ROSA (geb. 1971 / Madrid) - Unabhängige Künstlerin. Ihr Werk konzentriert sich auf<br />

das Neuschreiben der <strong>Re</strong>alität durch die Dekontextualisierung der gewöhnlichen Akte des<br />

Alltags. Ihr Ziel sind neue Wege des Denkens und Handelns und die Schaffung interdisziplinärer<br />

Räume zur Förderung der zeitgenössischen künstlerischen Praxis. Rosa Casado arbeitete in<br />

künstlerischen Forschungsprojekten in Serbien, den Niederlanden, Italien, Schweden, Spanien,<br />

USA und Deutschland. Aktuell ist sie Partnerin des Co-operative Dance <strong>Education</strong> Center–Pilot<br />

Project Tanzplan und lehrt im MA-Studiengang Solo Dance Authorship an der Universität der<br />

Künste in Berlin. 2007 wählte sie das Instituto Cervantes zur bedeutendsten jungen Performancekünstlerin<br />

in Spanien. Zur Zeit ist sie Fellow der Spanish Academy in Rom.<br />

COMANI, DANIELA (geb. 1965 / Bologna) Das multimediale Werk der in Bologna geborenen<br />

und in Berlin lebenden Daniela Comani berührt Themen wie Geschichte, Sprache und Identität.<br />

Sie arbeitet oft mit Fotos und Texten aus <strong>Zeitung</strong>en, Fernsehen und Büchern, die uns vermeintlich<br />

bekannt vorkommen. Fremdheit und Intimität, Geschichte und Interpretation und die<br />

Mechanismen des Nachvollziehens beschäftigen sie. Dies erarbeitet sie mit den Mitteln der<br />

Fotografie, Video, Zeichnung, Installation und manchmal auch performativ. Teilnahme an<br />

zahlreichen Ausstellungen u.a.: 2006: „Das Achte Feld“, Museum Ludwig, Köln; 2007: „History<br />

will repeat itself“, Hartware MedienKunstVerein, Dortmund und KW-Institute for Contemporary<br />

Art, Berlin; „Ich war’s. In 32 Tagen um den Alexanderplatz. 1805-2007“, NGBK - U2 Alexanderplatz,<br />

Berlin. 2008: „Transmediale08 - conspire!“, Haus der Kulturen der Welt, Berlin<br />

ELAHI, HASAN (geb. 1972 / Bangladesch) – Kunstprofessor in den USA und fächerübergreifender<br />

Medienkünstler; sein Schwerpunkt liegt hierbei auf Technologie und Medien und ihren<br />

gesellschaftlichen Auswirkungen. Weil er <strong>am</strong> 12.09.2001 seine Wohnung in NY kündigte, gab<br />

sein Vermieter den Behörden einen Tipp. Als Elahi neue Monate später aus dem überwiegend<br />

muslimischen Senegal kommend <strong>am</strong> Detroiter Flughafen landete, erfuhr er, dass er im Verdacht<br />

stehe, Sprengstoff für Al-Qaida zu transportieren – er stand auf der „Terror Watch List“ des FBI.<br />

Seit dieser Zeit kontrolliert er sich selbst, indem er im Internet über seine Aufenthaltsorte<br />

informiert und Bilder ins Netz stellt. Er nennt das: transparentes Leben.<br />

FAROCKI, HARUN (geb. 1944 / Nový Jicin) - seit 1966 über 100 Produktionen für Kino und<br />

Fernsehen, seit 1995 auch für Kunst-Räume. Bücher: Von Godard sprechen (zus. m. Kaja Silverman),<br />

New York 1997, Nachdruck/Inprint, Berlin/New York 2001; Kino wie noch nie (Hg. zus. m. Antje<br />

Ehmann), Köln 2005. Seit 2004 Gastprofessor an der Akademie der Bildenden Künste, Wien.<br />

Lebt in Berlin und Wien.<br />

GROTEST MARU<br />

Unter der Oberfläche<br />

von alltäglichen Bewegungen<br />

und Handlungen<br />

nähern wir uns den Abgründen<br />

menschlicher Existenz,<br />

suchen nach<br />

Jetztzeitbildern<br />

und der Poesie<br />

in den Zwischenräumen.<br />

GROTEST MARU – arbeitet im Spektrum zwischen Körper-, Bilder-, Straßen-, Location-, und<br />

Objekttheater. Bildende Kunst, Performance-, Installations- und Landart sind Inspiration und<br />

Teil der Konzeption. GROTES MARU wurde 1996 von Urslua Maria Berzborn und Nils Dümcke<br />

im KUNSTHALE KULE in Berlin Mitte gegründet, wo es bis heute seine Basis hat, und ist seit<br />

1999 mit seinen Produktionen auf Tour. GROTEST MARU ist darauf spezialisiert, ostpreußische<br />

Projekte für besondere Events, spezielle architektonische Räume oder Landschaften zu<br />

entwickeln. In Workshops bindet GROTEST MARU lokale Künstler und Amateurgruppen in<br />

größere Inszenierungen ein. GROTEST MARU sucht nach Formen der Kommunikation, die<br />

kulturelle Grenzen überschreiten. Ein Konglomerat internationaler Künstler kreiert vor dem Hintergrund<br />

kultureller und künstlerischer Vielfalt eine universelle Theatersprache aus Bildern,<br />

meist ohne Worte, weltweit verständlich.<br />

GUMBRECHT, HANS ULRICH (geb. 1948 / Würzburg) – studierte Romanistik, Germanistik,<br />

Philosophie und Soziologie. 1971 promovierte er an der Universität Konstanz, wo er 1974<br />

habilitierte. Er gründete das erste Graduiertenkolleg in Deutschland (zum Thema „Kommunikationsformen<br />

als Lebensformen“). Zwischen 1981 und 1989 organisierte Gumbrecht eine <strong>Re</strong>ihe<br />

interdisziplinärer und internationaler Kolloquien zur epistemologischen Neuorientierung der<br />

Geisteswissenschaften <strong>am</strong> Inter-University Center in Dubrovnik (d<strong>am</strong>als Jugoslavien). Seit 1989<br />

leitet Gumbrecht die „Philosophical <strong>Re</strong>ading Group“, 1991 initiierte er die Arbeit einer interdisziplinären<br />

Forschungsgruppe. Die Schwerpunkte seiner Lehre und Forschung sind die Geschichte<br />

der französischen, spanischen und italienischen Literatur, die Geschichte der Literaturkritik<br />

und der Geistwissenschaften sowie die Geschichte des westlichen Denkens seit der<br />

Klassik.<br />

HELGUERA, PABLO (geb. 1971 / Mexico City) ist bildender Künstler aus New York. Seine<br />

Arbeiten weisen in der <strong>Re</strong>gel ungewöhnliche Formate auf - von experimentellen Symposien, über<br />

Gr<strong>am</strong>mophonaufnahmen, Audio-Guides für Ausstellungen, Publikationen bis zu nomadischen<br />

Museen. Helgueras Ausgangspunkt ist in der <strong>Re</strong>gel die historische Forschung oder ein<br />

Interesse <strong>am</strong> Wesen der Kunstproduktion selbst, ihrer Wahrnehmung und der Rolle, die<br />

Kunstschaffen und Kultur im allgemeinen in Politik und Gesellschaft spielen. Häufig kombiniert<br />

er Methoden der Literatur und Musik mit pädagogischer Theorie. Er thematisierte die Geschichte<br />

der Shaker (Watervliet, 2006), die Kunst der Erinnerung (Memory Theater, 2001-05), das<br />

Phänomen der vom Verschwinden bedrohten Sprachen (Conservatory of Dead Languages, 2004- )<br />

und den globalen Effekt latein<strong>am</strong>erikanischer Soaps (Instituto de la Telenovela, 2002).<br />

JACKSON POLLOCK BAR - ein 1993 gegründetes Performanceunternehmen für Theorieinstallationen.<br />

Spezialität: Playback-Performance des ästetischen Diskurses der bildenden<br />

Kunst und des Theaters. Lieblingsthema: Systemtheorie. Directed by Christian Matthiessen. Always<br />

starring: Martin Horn und Peter Cieslinski. Also starring: Anna Wouters und Gorrhard Lange.<br />

Special Guest: Harald Schmidt als „Niklas Luhmann“. Seit 1995 regelmässige Kooperation mit<br />

der britischen Konzeptkunstgruppe Art & Language. Seit 1996 Niederlassung als Bar im<br />

Theater Freiburg. Der Geschäftszweck der Jackson Pollock Bar ist die Installation von Theorien<br />

als <strong>Re</strong>-entry des Diskurses in den Diskurs. Denn der Diskurs als Werk ist das perfekte postmoderne<br />

Kunstwerk. Ausstellungen/Installationen/Performances (Auswahl): 1995 „Kunstraum Wien“<br />

im Museumquartier: „Art&Language&Luhmann“. 1997 Documenta X Kassel: „We aim to be<br />

<strong>am</strong>ateurs“. 1999 Fundacio Antoni Tapies Barcelona und P.S. 1 New York: „Art&Language paints<br />

a picture“ (in katalanischer und englischer Sprache). 2000 ZKM Karlsruhe:<br />

„Art&Language&Luhmann II“. 2001 Volksbühne Berlin, Roter Salon: „Depressive aller Länder<br />

vereint Euch“- Theorie Party. 2002 Lille (Frankreich): „Too dark to read“. 2002 „Theater der Welt“<br />

Köln-Bonn-Düsseldorf-Essen: „Die Politik, das Theater, das Subjekt und der Beobachter“.<br />

2002 Lisson Gallery London „Christmas Party“. 2003 Schauspielhaus Zürich, Salon in der Box<br />

„Das Ende der Alteuropäischen Politik“ - eine Theorie-Party. 2004 Getty Foundation,<br />

Los Angeles: „Press-Conference“.<br />

KHAN, HASSAN (geb. 1975 / Kairo) arbeitet mit Bild, Klang, Text, Raum und Situation. Er hatte<br />

Einzelausstellungen u.a. im Gezira Art Center, Cairo (1999), Galerie Chantal Crousel, Paris<br />

(2004), A Space Gallery, Toronto (2005), Gasworks, London (2006) und Le Plateau, Paris (2007).<br />

Außerdem präsentierte er seine Arbeiten bei den Biennalen von Istanbul (2003), Sevilla (2006),<br />

Sydney (2006), Thessaloniki (2007), Contour (2007) und in weiteren Gruppenausstellungen auf<br />

internationaler Ebene. Der Musiker Hassan Khan komponierte Soundtracks für die Bühne.<br />

Er trat u.a. im Melkweg (Amsterd<strong>am</strong>), Lydmar (Stockholm), Babylon (Istanbul), Whitechapel (London),<br />

Cairo Jazz Club (Cairo), KBB (Barcelona), Strange Fruit (Beirut), SESC Sao Paolo (Sao Paolo),<br />

Podewil (Berlin) und Point Ephemere (Paris) auf. Sein Album tabla dubb ist im Vertrieb des<br />

100copies-Label erhältlich. Khan publizierte zahlreiche Texte in arabischer und englischer Sprache.<br />

Er lebt und arbeitet in Kairo, Ägypten.<br />

KITTLER, FRIEDRICH (geb. 1943 / Rochlitz) – Literaturwissenschaftler und Medientheoretiker.<br />

Von 1963 bis 1972 studierte er Germanistik, Romanistik und Philosophie an der Albert-Ludwigs-<br />

Universität in Freiburg; während des Studiums wurde er durch Texte der französischen Poststrukuralisten<br />

beeinflusst. 1976 promovierte er zum Dr. phil.; 1984 habilitierte er schließlich im<br />

Bereich der Neueren deutschen Literaturgeschichte. Kittler wurde 1993 mit dem Siemens-<br />

Medienkunstpreis des ZKM-Karlsruhe für seine Forschungen auf dem Gebiet der Medientheorie<br />

ausgezeichnet. Friedrich Kittler steht für einen neuen Ansatz der Medientheorie, der ab den<br />

1980er Jahren zunehmend populär wurde und von den technischen Medien ausgeht.<br />

KNIEVEL, EVIL (geb. 1973 / Butte) Seine halsbrecherischen Sprünge über Autos und Canyons<br />

und die nicht minder gefährlichen Stürze, die ihnen folgten und die Evil Knievel nicht nur einmal<br />

fast mit dem Leben bezahlt hätte, begründeten den Mythos eines übermenschlichen Heroen -<br />

eines Daredevil, so die Worte Knievels - getrieben durch Tugenden der Strebs<strong>am</strong>keit und<br />

Hingabe und die Überzeugung, dass auch das Scheitern als Chance begriffen werden muss.<br />

„The people I want to hear about are the people that take risks.“ In seinem weißen Kostüm mit<br />

den roten und blauen Applikationen stilisierte sich Evil Knievel zur Inkarnation Amerikas und<br />

verkörpert – nicht zuletzt durch eben dieses ‚weiße‘ Kostüm – was es heißt, ‚erfolgreich‘ zu<br />

sein. Aber nicht nur als Heroe des von ihm populär gemachten Genres der Thrillshows, sondern<br />

als Mann der Öffentlichkeit macht er immer wieder auf sich aufmerks<strong>am</strong> und scheut dabei nie,<br />

seine Popularität in den Dienst einer guten Sache zu stellen. „America was down its ass<br />

when I c<strong>am</strong>e along“ u.a. „History Will <strong>Re</strong>peat Itself“, Hartware Medienkunstverein, Dortmund;<br />

KW Institute for Contemporary Art, Berlin (2007); „Super A“, Kunstverein, Langenhagen (2006);<br />

„More is not enough“, <strong>Re</strong>volver, Frankfurt/M (2006); „Teasing Minds“, Kunstverein, München (2004),<br />

„Brand New“, Hoxton Distillery, London (2004); „Einblicke“, Haus der Kunst, München (2003).<br />

KOCH, WONDER - Videokünstlerin und Bildhauerin aus den USA. Sie beendete kürzlich ihr<br />

Studium an der Rutgers University mit dem MFA. Ausstellungen in New York, New Jersey,<br />

North Carolina, Minneapolis, Pittsburgh, Saint Louis und anderen Städten in den USA. Die Cue<br />

Foundation finanziert ihre Zeit als Artist in <strong>Re</strong>sidence in New York. Im Juli 2006 schrieb sie einen<br />

Brief an Präsident George W. Bush, in dem sie ihm anbot, mit ihm zu schlafen, wenn er die<br />

<strong>am</strong>erikanischen Truppen aus dem Irak abzöge. Dieser Brief stellt den Anfang ihrer Karriere als<br />

ehren<strong>am</strong>tliches Mitglied im Kabinett des <strong>am</strong>erikanischen Präsidenten dar. Kochs Hauptprojekte für<br />

die Bush Administration sind die <strong>Re</strong>vision der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika,<br />

durch die die aktuelle mühs<strong>am</strong> funktionierende <strong>Re</strong>gierung mit drei administrativen Ebenen zu einer<br />

einzigen, komfortablen Abteilung der Exekutive umgestaltet werden soll; darüber hinaus soll es<br />

eine bemooste Grenze geben, die die USA vor Invasion schützt, und die Anhänger der FEMA<br />

(Federal Emergency Management Agency) sollen mit fliegenden Stützpfeilern ausgestattet<br />

werden - gegen schlechtes Wetter und d<strong>am</strong>it die gothische Schönheit des Trailers das ganze<br />

Jahr über gewährleistet ist.<br />

MÖBIUS, JANINA (geb. 1968 / Berlin) – Studium der Theaterwissenschaft und Romanistik an<br />

der FU Berlin, in Granada (Spanien) und Mexiko City. 2002 Promotion über das mexikanische<br />

Wrestling Lucha Libre <strong>am</strong> theaterwissenschaftlichen Institut der FU Berlin. Arbeitet als Autorin<br />

und <strong>Re</strong>gisseurin von Dokumentarfilmen und forscht zu kulturellen Phänomenen in Latein<strong>am</strong>erika<br />

und Europa. Janina Möbius unterrichtet an der FU Berlin die „Herstellung von TV-Dokumentationen“.<br />

MOSER, FRÉDÉRIC (geb. 1966 / Saint-Imier), SCHWINGER, PHILIPPE (geb. 1961 / Saint-<br />

Imier) – 1988-1991 leiteten sie das „atelier ici et maintenant“, eine unabhängige Theaterstruktur<br />

in Lausanne. 1993-1998 studierten sie an der Ecole supérieur d‘art visuel in Genf mit Schwerpunkt<br />

„Mixed Media“. In den Jahren 1998, 1999, 2000 gewannen sie den „Eidgenössischen Preis<br />

für freie Kunst“ sowie im Jahr 2000 den Preis „Providenta Young Art“. 2001 wurden sie für sechs<br />

Monate auf die Akademie Schloss Solitude in Stuttgart eingeladen; das Stipendienjahr 2002-2003<br />

verbrachten sie im Atelier der Eidgenossenschaft in Berlin. Im Herbst 2003 erhielten sie eine<br />

Einladung für das erste „residence progr<strong>am</strong>“ im Centre for Contemporary Art Ujazdowski Castel in<br />

Warschau. Sie leben und arbeiten in Berlin.<br />

MROUÉ, RABIH (geb. 1967 / Beirut) – studierte Theater an der Universität Beirut. 1990 produzierte<br />

er seine ersten eigenen Stücke. Seit 1995 arbeitet er bei Future TV als Drehbuchautor<br />

und <strong>Re</strong>gisseur von kurzen Animationsfilmen und Dokumentation. Er spielte, leitete und entwickelte<br />

zahlreiche Stücke, Performances und Videos, die in Beirut, Kairo, Paris, Wien, Tunis, Berlin,<br />

Bonn, Bern, Rotterd<strong>am</strong>, Brüssel und Basel aufgeführt wurden. Seine Arbeiten behandeln die<br />

Themen, die in der momentanen politischen Situation im Libanon verschwiegen werden.<br />

PILGER, JOHN (geb. 1939 / Sydney) – der australische Journalist und Dokumentarfilmer lebt<br />

in London. Von 1963-86 war Pilger Leiter der Auslandsredaktion des Daily Mirror. Seither<br />

arbeitet Pilger als freier Journalist. Er drehte mehr als 50 Filme und hat in seiner Karriere für<br />

viele bekannte englischsprachige <strong>Zeitung</strong>en geschrieben (z. B. The Independent, The Guardian<br />

und The New York Times). Mit zahllosen Journalismus-Preisen ausgezeichnet, gilt Pilger als<br />

einer der herausragenden englischsprachigen Journalisten. 2003 erhielt er den Sophie-Preis für<br />

seinen besonderen Einsatz für die Menschenrechte. Er ist Autor folgender Bücher: Heroes, Distant<br />

Voices, Hidden Agendas, The New Rulers of the World, Tell Me No Lies, Freedom Next Time.<br />

SCHECHNER, RICHARD (geb. 1934 / Newark) - Theaterregisseur, Produzent und Professor.<br />

Er lehrte seit 1967 als Professor der Performance Studies an der New Yorker Universität.<br />

Zusätzlich war er Herausgeber der Zeitschrift, „The Dr<strong>am</strong>a <strong>Re</strong>view“. Schechner prägte den Begriff<br />

Environmental Theatre. Er betrachtet Theater als Prozess, die Aufführung nur als dessen kleiner<br />

Teil. Deshalb gründete er die „Performance Group“, mit denen er über lange Zeit arbeitete.<br />

TODE, THOMAS (geb. 1962) - Studium der Visuellen Kommunikation, Germanistik und<br />

Etudes Cinématographiques in H<strong>am</strong>burg und Paris. Lebt in H<strong>am</strong>burg als freier Filmemacher,<br />

Kurator und Publizist. Forschungsschwerpunkte: Essayfilm, politischer Dokumentar- und<br />

Avantgardefilm, Sowjetischer Film. Herausgeber folgender Filmbücher: „Johan van der Keuken:<br />

Abenteuer eines Auges“ (Basel/Frankfurt a. M. 1992); „Chris Marker – Filmessayist“ (München<br />

1997); „Dziga Vertov - Tagebücher/Arbeitshefte“ (Konstanz 2000); „Dziga Vertov - Die Vertov-<br />

S<strong>am</strong>mlung im Österreichischen Filmmuseum“ (Wien 2006); „Viva Fotofilm! - Bewegt/Unbewegt“<br />

(in Vorbereitung für 2008); „Der Essayfilm - Ästhetik und Aktualität“ (in Vorbereitung für 2008) .<br />

VEZZOLI, FRANCESCO (geb. 1971 / Brecia) Sein Werk umfasst Videoinstallationen und<br />

Perlstickerei. Er kombiniert Sprachen und verschiedene Genres, verbindet Popikonen, Autorenfilme,<br />

Kunstgeschichte, das Politische und das Private. Seine Arbeiten wurden bei der 49., 51, und<br />

52. Biennale von Venedig ebenso gezeigt, wie bei der Performa07, der 2006 Whitney Biennial,<br />

der 6. Shanghai Biennial, der 26. São Paulo Biennial und bei der 6. International Istanbul<br />

Biennial, um nur einige Beispiele zu nennen. Einzelausstellungen in der Pinakothek der Moderne<br />

(München), The Power Plant (Toronto), Le Consortium (Dijon), Museu Serralves (Porto), Fondazione<br />

Prada (Mailand), New Museum of Contemporary Art (New York) und dem Castello di Rivoli<br />

Museo d‘Arte Contemporanea (Turin).<br />

WEISSER, ANNETTE (geb. 1968 / Villingen) – Künstlerin, lebt und arbeitet derzeit in Los<br />

Angeles/USA. 2006 erhielt sie das Pasadena-<strong>Re</strong>isestipendium des Berliner Senats und lehrt<br />

seither <strong>am</strong> Art Center College of Design, Pasadena. Das Westfälische Landesmuseum für<br />

Kunst- und Kulturgeschichte zeigte 2006 eine Einzelausstellung ihrer gemeins<strong>am</strong>en Arbeiten<br />

mit Ingo Vetter, jüngste Ausstellungsbeteiligungen unter anderem: „S<strong>am</strong>e, s<strong>am</strong>e but different“<br />

(JET Berlin, 2007); „Walk!“ (Kunst<strong>am</strong>t Kreuzberg, 2007); „Shrinking Cities“ (Van Alen Institute,<br />

New York/USA und MOCAD, Detroit/USA, 2007); „Bin beschäftigt!“ (Gesellschaft für Aktuelle<br />

Kunst Bremen, 2006); „working-world.net“ (Museum Arbeitswelt, Steyr/A); „Von der Abwesenheit<br />

des Lagers“ (Kunsthaus Dresden, 2006); „Ear Appeal“ (Kunsthaus Exnergasse, Wien/A, 2006).<br />

ZOLGHADR, TIRDAD (geb. 1973 / San Francisco) - freiberuflicher Autor und Kurator in Berlin.<br />

Er schreibt für frieze, Parkett, Bidoun und andere Publikationen und ist <strong>Re</strong>dakteur der Zeitschrift<br />

Cabinet. Zolghadr kuratierte zahlreiche Veranstaltungen, u.a. die International Sharjah Biennial<br />

2005. Er ist Mitbegründer des Shahrzad Art & Design Collective und veröffentlichte seinen<br />

ersten Roman „Softcore“ bei Telegr<strong>am</strong> Books London (dt. Ausgabe bei Kiwi). Neben dem Schreiben<br />

und Kuratieren filmte und führte Zolghadr <strong>Re</strong>gie bei den Dokumentarfilmen „Tehran 1380“<br />

(mit Solmaz Shahbazi), wofür er 2002 den Förderpreis der Stadt Duisburg erhielt, und „Tropical<br />

Modernism“, der 2006 bei den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen Premiere hatte.<br />

STUDIERENDE AUS LEIPZIG:<br />

Engel, Jana; Heinze, Paul Philipp; Janitzky, Thomas; Lissmann, Friedrich; Töpfer, Axel (siehe S. 21)


FREITAG, 18. JANUAR 2008<br />

19.00 Uhr HAU EINS<br />

Democrazy/Trailer for a <strong>Re</strong>make of Gore Vidal’s Caligula –<br />

Videos und Lecture<br />

Francesco Vezzoli, Mailand<br />

19.00 bis 22.00 Uhr. Einlass alle 15 Min. HAU EINS<br />

Institut für Überlebensstrategien Abteilung Waschen und Sein –<br />

Performance<br />

Grotest Maru, Berlin<br />

20.00 Uhr HAU DREI<br />

Brickner Conference – Performance<br />

Jackson Pollock Bar, Freiburg<br />

20.45 Uhr HAU DREI<br />

Ein geglücktes Stück Stunde Null - Vortrag<br />

Uta Gerhardt, Heidelberg<br />

20.30 Uhr HAU ZWEI<br />

How Nancy Wished that Everthing Was an April Fool’s Joke<br />

<strong>Re</strong>gie: Rabih Mroué, Beirut<br />

anschl. Gespräch mit Carolin Emcke, Zeina Maasri und Christine Tohme<br />

21.00 Uhr HAU EINS<br />

Dälek, Newark / JON SPENCER’S Heavy Trash, New York – Konzerte<br />

anschl. Party mit Femmes with Fatal Breaks. WAU<br />

s<strong>am</strong>sTAG, 19. JANUAR 2008<br />

17.00 Uhr HAU EINS<br />

Thomas Tode präsentiert <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> Filme und Atrocity Pictures<br />

18.00 Uhr HAU DREI<br />

Softcore – Lesung<br />

Tirdad Zolghadr, Berlin<br />

19.00 Uhr HAU EINS<br />

Harun Farocki präsentiert seinen Film „Aufschub”<br />

anschl. Gespräch mit Harun Farocki und Thomas Tode<br />

19.00 Uhr HAU ZWEI<br />

We Are After All At War – Vortrag<br />

Richard Schechner, New York<br />

anschl. Gespräch mit Frédéric Moser und Philippe Schwinger, Berlin<br />

installationen<br />

Freitag von 18.30 bis 23.00 Uhr und S<strong>am</strong>stag von 16.30 bis 23.00 Uhr<br />

HAU EINS<br />

Travel Agency to the Future<br />

AES, Moskau/New York<br />

HAU zwEI<br />

PSYOP – Installation<br />

Christoph Büchel/Giovann Carmine, Basel/St. Gallen<br />

HAU EINS<br />

100 Jahre : 100 Sekunden – Videoloop/Audioloop<br />

Daniela Comani, Berlin<br />

HAU EINS<br />

Un/<strong>Re</strong>al Time – Videoinstallation<br />

Hasan Elahi, New York<br />

HAU EINS<br />

Brand America – Präsentation<br />

Evil Knievel, BUTTE<br />

HAU EINS<br />

Army of One – Präsentation<br />

Wonder Koch, St. Louis<br />

HAU EINS<br />

Theaterhunger, Weltdurst – Fliegen und Existenz.<br />

Ein filmisches Mosaik zu den Nachkriegsjahren.<br />

Janina Möbius/Berlin<br />

HAU zwEI<br />

Capitulation Project – Installation<br />

Frédéric Moser und Philippe Schwinger, Berlin<br />

HAU EINS<br />

U.S. GO HOME<br />

Annette Weisser, l.a./Berlin<br />

Positionen aus der Klasse für Medienkunst von Helmuth Mark an<br />

der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig<br />

Jana Engel, Paul Philipp Heinze, Thomas Janitzky, Friedrich Lissmann<br />

und Axel Töpfer<br />

19.00 bis 22.00 Uhr. Einlass alle 15 Min. HAU EINS<br />

Institut für Überlebensstrategien Abteilung Waschen und Sein –<br />

Performance<br />

Grotest Maru, Berlin<br />

20.00 Uhr HAU DREI<br />

Paradise 2 – Performance<br />

Rosa Casado, Madrid<br />

21.00 Uhr HAU EINS<br />

Born June 1948; <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> as <strong>Education</strong> – Vortrag und Gespräch<br />

Hans-Ulrich Gumbrecht, Stanford und Friedrich Kittler, Berlin<br />

21.00 Uhr HAU ZWEI<br />

How Nancy Wished that Everthing Was an April Fool’s Joke<br />

<strong>Re</strong>gie: Rabih Mroué, Beirut<br />

21.00 Uhr HAU DREI<br />

Figure and Ground – A live music and text broadcast<br />

Hassan Khan, Kairo<br />

22.00 Uhr HAU EINS<br />

Preisverleihung Videowettbewerb<br />

22.30 Uhr HAU ZWEI<br />

Manifest Destiny – Performance<br />

Pablo Helguera, New York<br />

23.00 Uhr HAU EINS<br />

The War on Democracy – Film von John Pilger, London (2007)<br />

23.00 Uhr HAU ZWEI<br />

SUPER700 featuring Ruth Fischer, Berlin – Konzert<br />

Kasse<br />

T. 030 - 259004 27<br />

täglich 12 – 19 Uhr<br />

HAU ZWEI HALLESCHES UFER 32 10963 BERLIN<br />

WWW.HEBBEL-AM-UFER.DE<br />

PREISE<br />

Tagesticket 18 €, erm. 10 €<br />

Kuratorin: Stefanie Wenner<br />

Produktionsleitung: Anna Mülter, Assistenz: Malgorzata Cwikla, Rahel Häseler<br />

<strong>Re</strong>daktion: Stefanie Wenner, Kirsten Hehmeyer<br />

Übersetzung Englisch - Deutsch: Lilian-Astrid Geese<br />

Hrsg. Hebbel <strong>am</strong> Ufer Januar 2008, Künstlerische Leitung: Matthias Lilienthal<br />

Gestaltung: Double Standards, Druck: Druckerei Henke<br />

Das Progr<strong>am</strong>m zum 100-jährigen Jubiläum des Hebbel-Theaters wird ermöglicht<br />

aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin<br />

Medienpartner:

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!