Kollegi Nr. 10 vom März 2011 - Kantonale Mittelschule Uri
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Neugier auf die gemeinsame Vielfalt<br />
Von Sarah Weber<br />
„Übersetzer sind verwegene Kämpfer, die den Turm von Babel angreifen“<br />
Albert Camus, französischer Erzähler und Dramatiker (1913-1960)<br />
Na, dann los, verwegene Kämpfer,<br />
greifen wir Babels Sprachenlabyrinth<br />
an und setzen wir auf universale<br />
Verständigung: Attacke!<br />
Schnell die Aufgabe zum Übersetzen<br />
in Googles Übersetzungsmaschine<br />
eingetippt, die Beine hochgelagert<br />
und ein sicherer Griff zur<br />
Kaffeetasse hin. Es lebe das Zeitalter<br />
des Internets! Prost, Camus!<br />
Füttern wir Googles Übersetzungsprogramm<br />
mit folgendem<br />
Aphorismus von Lichtenberg:<br />
„Ist es nicht sonderbar, dass eine<br />
wörtliche Übersetzung fast immer<br />
eine schlechte ist? Und doch<br />
lässt sich alles gut übersetzen.<br />
Man sieht hieraus, wie viel es sagen<br />
will, eine Sprache ganz verstehen;<br />
es heißt, das Volk ganz<br />
kennen, das sie spricht.“<br />
Georg Christoph Lichtenberg (1742-99),<br />
deutscher Aphoristiker und Physiker<br />
Das übersetzt Google folgendermassen<br />
ins Englische:<br />
Is not it strange that a literal translation<br />
is almost always a bad? And<br />
yet everything can be translated<br />
well. We see from this how much it<br />
wants to say, understand a language<br />
completely; there is to know<br />
all the people who speak.”<br />
Hmm, wir wollen ja nicht kleinlich<br />
sein, sondern es bei der ungefähren<br />
wörtlichen Übersetzung<br />
belassen und stilistische Fehler<br />
nicht mitzählen. Aber ist es von<br />
Google nicht ein wenig übertrieben,<br />
statt von einer schlechten<br />
Übersetzung, wie Lichtenberg das<br />
in seinem Aphorismus oben ausdrückt,<br />
eventuell gar von „a bad“,<br />
von einem Bösen zu sprechen?<br />
Und dann die Forderung, „there<br />
ist to know all the people who<br />
speak“, also alle Leute kennen zu<br />
müssen, welche sprechen, um eine<br />
Sprache komplett zu verstehen!<br />
Nun, bevor wir uns selber auf<br />
die Übersetzungsaufgabe einlassen,<br />
versuchen wir es lieber zunächst<br />
noch mit einem Test in<br />
Französisch und Italienisch:<br />
N‘est-il pas étrange que la traduction<br />
littérale est presque<br />
toujours un mal? Et pourtant,<br />
Der Turmbau zu Babel von Pieter Brueghel, 1563<br />
tout peut se traduire ainsi. On<br />
voit par là combien il veut dire,<br />
comprendre une langue complètement;<br />
il est de connaître<br />
tous les gens qui parlent.“<br />
Non è strano che una traduzione<br />
letterale è quasi sempre un<br />
male? E tuttavia tutto può essere<br />
tradotto bene. Vediamo da<br />
questo quanto si vuole dire, capire<br />
un linguaggio completamente;.<br />
Che c‘è da sapere tutte<br />
le persone che parlano.“<br />
Absolut das gleiche Resultat, und<br />
noch eindeutiger als im Englischen!<br />
„Un mal“ ist im Französischen ein<br />
Übel, da gibt es keine Missverständnisse,<br />
sonst müsste, wenn<br />
schon wörtlich, aber schlecht übersetzt,<br />
„une mauvaise“ stehen für<br />
„une mauvaise traduction“. Wörtliche<br />
Übersetzungen, wie Google<br />
sie macht, scheinen wirklich nicht<br />
aufzugehen. Die Frage ist dann<br />
nur, welche Alternative zur maschinellen<br />
wörtlichen Übersetzung<br />
anstrengender ist: Alle Leute einer<br />
Kultur kennenlernen um eine<br />
Sprache ganz zu verstehen, wie<br />
es die Googleübersetzungen oben<br />
vorschlagen? Nein, das ist ganz<br />
bestimmt keine Option. Dann also<br />
doch lieber Lichtenbergs Vorschlag<br />
annehmen, in die fremde Kultur<br />
selber eintauchen, das heisst in deren<br />
Denkweisen und Vorstellungswelten,<br />
um die Feinheiten von Gemeinsamkeiten<br />
und Unterschieden<br />
zu unserer eigenen Kultur selber<br />
zu erspüren. Aber wie geht das?<br />
Wirkliches Übersetzen bedeutet,<br />
sich auf Fremdes einzulassen.<br />
Nämlich dem Anderen auf Du und<br />
Du zu begegnen. Aber um sich<br />
auf Fremdes wirklich einlassen<br />
zu können, braucht es Mut, was<br />
Camus mit seinem Bild <strong>vom</strong> Angriff<br />
auf den vielsprachigen Turm<br />
von Babel so plastisch beschreibt.<br />
Und es braucht Beharrlichkeit. Und<br />
Unerschrockenheit. Und Wissen.<br />
Und Neugier auf die gemeinsame<br />
Vielfalt: Denn lerne ich mich und<br />
meine Kultur nicht gerade dann<br />
am besten kennen, wenn ich das<br />
Fremde erfahren möchte? Diejenigen<br />
Schülerinnen und Schüler,<br />
welche sich einmal eine fremdsprachige<br />
Lektüre detailliert zu eigen<br />
gemacht haben, wissen das. Diejenigen<br />
Schülerinnen und Schüler,<br />
welche einen vierwöchigen Stage<br />
erlebt haben, wissen das. Diejenigen<br />
Schülerinnen und Schüler,<br />
welche je einen komplexen Text<br />
mit Sorgfalt und Detailliebe übersetzt<br />
haben, wissen das. Es leben<br />
die verwegenen Kämpfer!<br />
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