Kollegi Nr. 10 vom März 2011 - Kantonale Mittelschule Uri
Kollegi Nr. 10 vom März 2011 - Kantonale Mittelschule Uri
Kollegi Nr. 10 vom März 2011 - Kantonale Mittelschule Uri
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Schule<br />
Lateiner wissen, was<br />
Übersetzen heisst.<br />
„ÜBERSETZEN“<br />
von Björn Infanger<br />
Spätestens seit dem biblischen Turmbau zu Babel und der darauf folgenden Sprachverwirrung<br />
ist es notwendig, Informationen zwischen zwei Parteien mündlich oder<br />
schriftlich zu übersetzen, wenn sie für beide verständlich sein sollen.<br />
Die Übersetzung der<br />
Europa<br />
Sprache existiert laut Wikipedia<br />
seit <strong>10</strong>0 000, die Schrift seit 5000<br />
Jahren. Wie genau diese Jahrzahlen<br />
sind, ist für unsere Breitengrade<br />
nicht von entscheidender Bedeutung.<br />
Spannend wird Sprachgeschichte<br />
und somit auch Übersetzung<br />
für den europäischen Raum<br />
mit den Phöniziern, die zu Beginn<br />
des 1. Jahrtausends v. Chr. in<br />
den Gebieten des heutigen Syriens<br />
und Libanons zu finden waren.<br />
Ihr Stammvater war laut<br />
Herodot, dem griechischen Historiker<br />
des 5. Jh. v. Chr., Phoinix,<br />
ein Bruder von Kadmos und Europa,<br />
was uns mitten in die griechische<br />
Mythologie transferiert:<br />
Da Göttervater Zeus, der dem holden<br />
Geschlecht eher selten abgeneigt<br />
war, eines Tages die schöne<br />
Europa auf einer Wiese spielen sah,<br />
verwandelte er sich in einen anmutigen<br />
Stier. Auf diesen setzte sich<br />
Europa, worauf der Stier mit seiner<br />
Eroberung nach Kreta schwamm<br />
– oder besser: übersetzte. Mit diesem<br />
Mythos wird in der Forschung<br />
heute der Kulturtransfer von Ost<br />
nach West, bzw. von Vorderasien<br />
nach Europa gleichgesetzt.<br />
Die Übersetzung der<br />
Buchstaben<br />
Damit geht der Mythos um die<br />
phönizischen Geschwister in die<br />
zweite Runde: Kadmos macht sich<br />
nun auf, seine entführte Schwester<br />
zu finden. Er setzt über nach<br />
Griechenland und gründet das<br />
berühmte (griechische) Theben.<br />
Kadmos, begleitet von Gephyräern<br />
(γέφυρα bedeutet im Griechischen<br />
Brücke – somit sind die Gephyräer<br />
etwa als „Brückenbauer“ (für<br />
die Buchstabenschrift?) zu deuten),<br />
bringt dabei in seinem Reise-<br />
Frühform des griechischen Alphabets.<br />
Archäologisches Nationalmuseum, Athen<br />
gepäck die Schrift mit nach Griechenland.<br />
Herodot schreibt dazu:<br />
„Diese Phönizier, die mit Kadmos<br />
ankamen und zu welchen auch<br />
die Gephyräer gehörten, brachten<br />
nun verschiedene Künste und insbesondere<br />
Buchstaben, die vorher<br />
– wie es mir scheint – bei den<br />
Hellenen nicht existiert hatten<br />
und die die Phönizier zuerst gebrauchten.<br />
Im Laufe der Zeit aber<br />
veränderten sie die Sprache inklusive<br />
ihre Buchstaben.“ (Hdt 5, 58)<br />
Die Forschung geht deshalb davon<br />
aus, dass die Schriftzeichen<br />
der Phönizier im Raum Boiotien<br />
und Eretria (nordwestlich, bzw.<br />
nördlich von Athen) durch Handelsbeziehungen<br />
mit den Phöniziern<br />
nach Griechenland transferiert<br />
worden sind. Dort habe dann ein<br />
eigentlicher Adaptor (Anpasser)<br />
die Schriftzeichen derart übersetzt,<br />
dass die Zeichen auf das<br />
Griechische angewendet werden<br />
konnten. Das westsemitische<br />
Sprachsystem der Phönizier kannte<br />
nämlich weder Vokale, noch die<br />
Konsonanten φ, θ und ξ, ψ. Dieser<br />
Adaptor soll auch die Regel erfunden<br />
haben, dass der erste Laut des<br />
Buchstabennamens dem phonetischen<br />
Zeichen – also dem Buchstaben<br />
selbst – entspricht. Der<br />
Beginn der Schriftlichkeit in Griechenland<br />
wird ins Jahr 776 v. Chr.<br />
angesetzt. In diesem Jahr wurden<br />
erstmals die Namen der Olympiasieger<br />
schriftlich festgehalten.<br />
6