Skulptur des Monats Juni 2013 Ölausgiesser - Skulpturhalle
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<strong>Skulptur</strong> <strong>des</strong> <strong>Monats</strong> <strong>Juni</strong> <strong>2013</strong><br />
sh 164<br />
<strong>Ölausgiesser</strong><br />
Original<br />
Datierung: römische Marmorkopie nach einem<br />
griechischen Werk aus der Zeit um<br />
360 v.Chr.<br />
Material: Marmor<br />
Fundort: Rom<br />
Standort: München Glyptothek (Inv. 302)<br />
Höhe: 204 cm (bis zur erhobenen Hand);<br />
182,5 cm (bis zum Scheitel)<br />
Abguss<br />
Ankauf: zwischen 1893 und 1907<br />
Inv.-Nr.: SH 164<br />
Material: Gips, patiniert<br />
An unserem Abguss <strong>des</strong> sog. <strong>Ölausgiesser</strong>s in der<br />
Münchner Glyptothek sind der rechte Arm und die<br />
linke Hand ergänzt, aber das Handlungsmotiv dieser<br />
Statue, wäre auch ohne die Ergänzungen und<br />
ohne den fehlenden Gegenstand in der hochgehaltenen<br />
Rechten klar ersichtlich: Der Athlet ist im<br />
Begriff aus einem Salbgefäss Öl auf den Handteller<br />
seiner vorgestreckten Linken zu giessen, um damit<br />
zu Reinigungszwecken seinen Körper einzuölen<br />
(Abb. 3).<br />
Der nackte Athlet ist muskulös und doch schlank.<br />
Die Modellierung deutet nicht nur die Muskeln<br />
sondern auch Sehnen und Knochen an. Der Jüngling<br />
steht im breiten Stand da. Das linke Standbein<br />
trägt aber nicht die alleinige Last <strong>des</strong> Körpers; ein<br />
Teil der Kräfte lastet auch auf dem leicht nach<br />
vorne gestellten und fest auf dem Boden ruhenden<br />
rechten Spielbein. Dieser etwas sperrige<br />
Stand ist situationsgebunden und durch die Handlung<br />
begründet: Ein typischer Wesenszug für die<br />
Komposition stehender Männerstatuen <strong>des</strong> 2. Viertels<br />
<strong>des</strong> 4. Jhs.v.Chr. Die Komposition hat nichts<br />
Posenhaftes wie bei den Werken aus dem späteren<br />
4. Jahrhundert, so dass der <strong>Ölausgiesser</strong> nicht –<br />
was dennoch schon mehrfach vorgeschlagen<br />
wurde – in die Zeit <strong>des</strong> Lysipp datiert werden darf.<br />
Typisch für die Zeitstufe, in der diese Originalschöpfung<br />
erstanden ist, ist auch der Tatbestand, dass<br />
der Blick <strong>des</strong> Mannes der vorgehaltenen Hand gilt;<br />
der Athlet ist konzentriert mit seinem Tun beschäftigt<br />
und nimmt nichts Äusseres wahr. Diese Geschlossenheit<br />
nach Innen und Isoliertheit gegen<br />
Aussen stehen im Kontrast zu den zahlreichen sich<br />
reinigenden Athleten auf klassischen Vasenbildern,<br />
die gerne in Gruppen und gegenseitiger<br />
Kommunikation in der Palästra gezeigt werden. In<br />
der Vasengattung sind komplexere Kontexte möglich<br />
und die gemalten Bilder sind entsprechend<br />
erzählfreudiger als grossformatige Statuen, die<br />
meistens «isoliert» im Freien gestanden haben. Unsere<br />
Statue wird keinen bestimmten Sportler dargestellt<br />
haben, wie etwa einen Sieger in Olympia,<br />
sondern wahrscheinlich in einer Palästra eine idealtypische<br />
Szene verkörpert haben. Die Körperpflege<br />
ist eindeutig in diesem Kontext zu verorten.<br />
Auch die Grösse – der <strong>Ölausgiesser</strong> ist mit rund 190<br />
cm Körpergrösse für griechische Verhältnisse leicht<br />
überlebensgross – schliesst einen Sterblichen eindeutig<br />
aus.
Der Münchner <strong>Ölausgiesser</strong> ist eine römische Kopie<br />
nach einem griechischen Original, das auch<br />
noch in acht weiteren, Replikenfragmenten überliefert<br />
ist. Da die Münchner Kopie die vollständigste<br />
ist (nur der rechte Arm und die linke Hand, die<br />
an unserem Abguss auf die neuzeitlichen, mittlerweile<br />
aber wieder abgenommenen Ergänzungen<br />
zurückgehen, fehlen) fassen die Archäologen die<br />
entsprechende Replikengruppe unter dem sog.<br />
‹Typus München› zusammen. Mit diesem Typus<br />
eng verwandt ist ein weiterer Öleingiesser-Typus,<br />
der in der namensgebenden Replik in Florenz (Palazzo<br />
Pitti) sowie in zwei weiteren Kopien in Dresden<br />
(Albertinum, Abb. 2) und Rom (Museo Capitolino)<br />
überliefert ist. Der ‹<strong>Ölausgiesser</strong> Pitti› vollführt<br />
genau die Handlung, ist aber in seiner Körperstruktur<br />
massiger als der relativ schlanke <strong>Ölausgiesser</strong><br />
vom Typus ‹München›. Die kompositorische Übereinstimmung<br />
und die Unterschiede im Körperbau<br />
können damit erklärt werden, dass der eine der<br />
beiden Typen in römischer Zeit in Anlehnung an<br />
den anderen geschaffen worden wäre. Wie so oft<br />
haben römische Werkstätten bei der Herstellung<br />
von Marmorkopien zum Zwecke von Raumausstattungen<br />
in gegebenen Fällen gerne entsprechende<br />
Vorlagen auch variiert, um mit bewussten Anpassungen<br />
Pendants zuschaffen, die bei einer<br />
paarweisen Aufstellung, z.B. links und rechts eines<br />
Eingangs oder Fensternische, den gewünschten<br />
«Rahmungseffekt» brachten. Es spricht alles dafür,<br />
dass der massigere <strong>Ölausgiesser</strong> eine solche römische<br />
Ergänzung <strong>des</strong> ursprünglichen leichteren <strong>Ölausgiesser</strong>s<br />
(Typus München) ist. Während der Ursprüngliche<br />
einen Leichtathleten darstellt, verkörpert<br />
der römische bewusst einen Schwerathleten:<br />
Auf der Stütze der Dresdner Kopie sind bezeichnenderweise<br />
mit einem umgehängten Boxerriemen<br />
typische Attribute eines Faustkämpfers zu<br />
sehen. Eine paarweise Aufstellung wäre eine passende<br />
Ausschmückung eines Saals in einer römischen<br />
Thermenanlage, denn hier wurde nicht nur<br />
gebadet und Körperpflege betrieben, sondern<br />
hier trafen sich Athleten aller Disziplinen zu sportlichen<br />
Trainings, analog zum griechischen Gymnasion,<br />
wo beidermassen Leicht- wie Schwerathleten<br />
zusammentrafen.<br />
Abb. 2: <strong>Ölausgiesser</strong> in Dresden<br />
Abb. 3: ZeichnerischeRekonstruktion<br />
<strong>des</strong> Motivs<br />
Tomas Lochman<br />
Auswahl an Literatur:<br />
• Barbara Vierneisel-Schlörb, Klassische <strong>Skulptur</strong>en. Glyptothek München. Katalog der <strong>Skulptur</strong>en II<br />
(1979) 340ff. Nr. 29 mit Abb. auf S. 309-314<br />
• Ernst Berger – Brigitte Müller-Huber – Lukas Thommen, Der Entwurf <strong>des</strong> Künstlers (Ausstellungskatalog<br />
Antikenmuseum Basel, 1992) 42-45 Nr. 9-A Abb. 42-48; Beiheft Abb. 240f., 243-245<br />
• Federico Rausa, L’immagine del vincitore. L’atleta nella statuaria greca dall’età arcaica<br />
all’ellenismo (1994) 136. 213 Abb. 24. 40<br />
• Raimund Wünsche – Florian Knauß, Lockender Lorbeer (Ausstellungskatalog Staatliche Antikensammlungen<br />
und Glyptothek München 2004) 327 Abb. 30.10a-b; 490 Kat.-Nr. 175