Volltext Prokla 105
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16. Jahrg.,ng· Nr.4 . Dezember 1996· KI0719F<br />
Zeitschrift<br />
fUr kritische<br />
Sozialwissenschaft<br />
PROKLA <strong>105</strong><br />
Fragmentierte<br />
Staatsbiirgerschaft<br />
ANTJE WIENER<br />
Editorial. fragmentierte St.,atsburgerschMI<br />
ANTlE WIENER<br />
(Staats)Burgerschalt ohne StaM. Ortsbezogene<br />
Partizipalionsmusteram Beispiel derEuropJ.i·<br />
schen Union<br />
lANE JENSON/SUSAN PHILLIPS<br />
Staatsburgerschaftsregime im Wandel oder:<br />
Ole Gleichberechtigung wird zu Markle<br />
getragen. Oas Beispiel Kanada<br />
ULRICH K. PREUSS/MICHELLE EVEHSON<br />
Konzeptionen von ·Burgerschafr in Europa<br />
KLAUS-DIETER TANGERMANN<br />
Po iitik in Oemokratien ohne demokratischen<br />
Souveran. Das Scheitern der demokratischen<br />
Konsolidierung in Mittelamerika<br />
ERIC HERSHBERG<br />
Demokratischer Ubergilllg und Sozialdemokra<br />
tie inSpanlen. Kritische Uberlegungen zur<br />
Konstruktion von Idealtypen<br />
SERGIO COSTA<br />
Medien. livilgesellschaft und . Kiez •. Kontexte<br />
des Aulbaus der politischen Olfentlichkelt in<br />
Brasilien<br />
Jahresreglster 1996<br />
WESTFAUSCHES DAMPFBOOT
jahriich<br />
Redaktion:<br />
herausgegeben von »Vereinigung der politischen<br />
Vollversamrnlung Redaktion der '7 ~;'001_,.;", wiihlt<br />
(geschdfl4uhrend),<br />
Klaus<br />
lie:rellcnen der<br />
der<br />
106<br />
\' K",jl'Ll" 107<br />
Numsein.<br />
an die Redaktion (Postfach) adressieren,<br />
vier Numrnern 'U'''"lHlUlIIWllg von mindc ..<br />
18-,<br />
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ISSN 0342-8176 3·929586·]5,0<br />
Diesel' Ausgabe<br />
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vorbehalten.
Antje Wiener: Editorial. Fragmentierte Staatsbiirgerschaft ................. ..488<br />
Antje Wiener: (Staats )Biirgerschaft ohne Staat. Ortsbezogene<br />
Partizipationsmuster am Beispiel der Europiiischen Union ................ ..497<br />
Jane Jenson, Susan Phillips: Staatsbiirgerschaftsregime im Wandeloder:<br />
Die Gleichberechtigung wird zu Markte getragen.<br />
Das Beispiel Kanada ........................................................................... 515<br />
Ulrich K. Preufi, Michelle Everson: Konzeptionen<br />
von 'Biirgerschafi' in Europa ................................................................ 543<br />
Klaus-Dieter Tangermann: Politik in Demokratien ohne<br />
demokratischen Souveriin. Das Scheitem der demokratischen<br />
Konsolidierung in Mittelamerika ......................................................... 565<br />
Eric Hershberg: Demokratischer Ubergang und Sozialdemokratie<br />
in Spanien. Kritische Uberlegungen zur Konstruktion<br />
von Idealtypen ......................................................................................... 595<br />
Sergio Costa: Medien, Zivilgesellschaft und »Kiez«. Kontexte des<br />
Aufbaus der politis chen Offentlichkeit in Brasilien ............................. 611<br />
Summaries ........................................................................................... 633<br />
Zu den Autoren .................................................................................... 634<br />
Themenfruherer Hefte ......................................................................... 635<br />
Gesamtinhalt des 26. Jahrgangs 1996 ..................................................... 644
Antje Wiener<br />
Fragmentierte Staatshiirgerschaft*<br />
Die Entwicklung von Staatsburgerschaft in ihrer heutigen Verwendung ist<br />
eng mit der Entstehung von Nationalstaaten verbunden, die Individuen<br />
konstitutionell in ein Gemeinwesen einbanden. Obwohl dieser EntwicklungsprozeB<br />
kontextabhangig verschieden verlief, laBt sich verallgemeinernd<br />
festhalten, daB er 'von oben' durch Staatspolitik und 'von unten'<br />
durch die Mobilisierung sozialer Krafte vorangetrieben wurde und in der<br />
Institutionalisierung staatsbUrgerlicher Rechte, Pflichten und Partizipationsstrukturen<br />
mundete (Tilly 1975, Turner 1990). Dieser ProzeB hat einerseits<br />
zu der Entstehung des Nationalstaates als einem der zentralen politischen<br />
Mythen der Moderne beigetragen (Anderson 1983), andererseits umfaBt<br />
er die Herausbildung von Institutionen, die Teil der politischen Organisation<br />
von Gesellschaften sind. Ais Ansatzpunkt fUr eine kritische Position<br />
in der Staatsburgerschaftsdebatte ist vor aHem die politische Bedeutung<br />
dieser Verknupfung von Mythos und Institutionenbildung wichtig.<br />
So wurde beispielsweise durch die diskursive Abbildung von Nation und<br />
Staat auf dasselbe Terrain nationale Identitat ZUlli zentralen Bestandteil des<br />
modernen Staatsbfugerschaftsdiskurses. Dieser Diskurs ist politisch in<br />
zweierlei Weise funktional: er wirkt innenpolitisch integrierend und au<br />
Benpolitisch konsolidierend. Der Erwerb der StaatsangehOrigkeit und der<br />
damit verknupfte Anspruch auf politische Partizipation und Reprasentation<br />
trag en zum integrativen Aspekt bei, wahrend die Basis nationaler Einheit<br />
die Reprasentation von Nationalstaaten im internationalen Staatensystem<br />
festigt. Die forcierte Abbildung von Nation und Staat auf dasselbe Terrain<br />
trug zur Konsolidierung der Idee eines Hobbes'schen internationalen Staaten<br />
systems bei, das durch die Politik zwischen Staaten innerhalb einer internationalen<br />
Staatengemeinschaft strukturiert wird.<br />
Generell dmckt Staatsbfugerschaft ZugehOrigkeit aus (Grawert 1973, Kaplan<br />
1992). ZugehOrigkeit meint einerseits einen legalen verfassungsmaBig verankerten<br />
Status und andererseits eine emotionale Bindung (Heater 1990, EversonJPreuss<br />
1995). Legale ZugehOrigkeit ist tiber die StaatsangehOrigkeit -<br />
* Anm. der PROKLA-Redaktion: Der Schwerpunkt dieses Heftes wurde maflgeblich von<br />
Antje Wiener konzipiert und organisiert. Wir danken ihr ganz herzlich fur ihr Engagement<br />
und die in dieses Heft investierte Arbeit.
Editorial: Fragmentierte Staatsbiirgerschaft 489<br />
--------~--------~~~--------------------------<br />
hiiufig als 'Nationalitat' bezeichnet - definiert und schlieBt Rechte und<br />
Pflichten von StaatsburgerInnen gegenuber dem Staat bzw. dem Gemeinwesen<br />
ein. Emotionale ZugehOrigkeit ist dagegen abhiingig von Identitat, die<br />
ebenfalls oft und miBverstandlich als Nationalitat verstanden wird. Dieses<br />
Modell von Staatsbiirgerschaft basiert auf dem Prinzip von Inklusion und Exklusion:<br />
StaatsangehOrige haben das Recht auf Zugang zu Partizipation, Nicht<br />
AngehOrige werden von diesem Recht ausgeschlossen.<br />
Trotz einer Vielzahl von Ansatzen zu dem sehr kontrovers diskutierten<br />
Konzept von Staatsburgerschaft, ist es moglich, eine minimale Definition<br />
anzugeben, die fUr eine Analyse des institutionsbildenden Aspekts von<br />
Staatsburgerschaft zentral ist. So definiert Staatsburgerschaft die Beziehung<br />
zwischen BurgerIn und politischer Gemeinschaft. 1m Prinzip ist diese<br />
Beziehung zwischen Individuum und souveraner Einheit durch die Geschichte<br />
hinweg vom griechischen Stadtstaat uber den Nationalstaat bis<br />
zum europaischen Protostaat einem grundlegenden Muster gefolgt und jede<br />
Arbeit uber Staatsburgerschaft muB sich in der einen oder anderen Form<br />
mit drei konstitutiven Elementen von Staatsburgerschaft befassen. Zu diesen<br />
zahlen (l) der Staat, (2) das Individuum und (3) die Staatsbiirgerschaflspraxis,<br />
die durch die Staatsburgerschaftspolitik des jeweiligen<br />
Staates einerseits und die Politik der BurgerInnen, Interessengruppen, Parteien,<br />
sozialen Bewegungen andererseits praktiziert wird.<br />
Die Kritik an Staatsbiirgerschaft als Konzept und als Politikfeld hat sich<br />
bisher vomehmlich an zwei Grundfragen orientiert: dem Recht auf gleiche<br />
Staatsburgerschaft und die Schaffung von Zugang zur Ausubung der mit<br />
der Staatsbiirgerschaft verbundenen Rechte. Kritische Arbeiten haben daher<br />
vor aHem die Frage der Inklusion von Frauen auf der Basis von gleichen<br />
politischen Rechten mit Manneml und des verbesserten Zugangs basierend<br />
auf sozialstaatlicher Gesetzgebung2 untersucht. Eine drittes Problem<br />
ergibt sich aus der Frage der ZugehOrigkeit. Feministische und antirassistische<br />
Arbeiten sowie die Entstehung post-nationaler Perspektiven<br />
machen deutlich, daB StaatsangehOrigkeit einen groBen Teil derjenigen<br />
ausschlieBt, die sich als BurgerInnen eines Staates empfinden.3<br />
Aufgrund dieser prozeBhaften und kontextabhangig verschiedenen Entwicklung<br />
und Konzeption von Staatsburgerschaft ist es, so haben diese und<br />
Susan Okin steHte zum Beispiel die Frage »can citizenship and political life be modified -<br />
while retaining the essentials of the participatory ideal - so as to be inclusive rather than<br />
exclusionary?« und antwortete selbst »1, in the company of a great many other feminist<br />
political theorists, answer »yes« to this question« (Okin 1992: 59).<br />
2 Fur geschlechtsspezifische Ansatze zu sozialen Rechten und Staatsburgerschaft, siehe u.a.<br />
Balbo (1992), Fraser/Gordon (1992), Jenson (1993), MeehaniSevenhuisen (1991), Nelson<br />
(1990), Siim (1993).<br />
3 Siehe z. B. Bakan/Stasiulis (1994), Lwanga (1994) und Yval-Davis (1991).
490 Antje Wiener<br />
andere Arbeiten4 gezeigt,<br />
neben der Gruppe der konstitutiven<br />
Elemente auch die historischen Dimensionen von Staatsburgerschaft zu berUcksichtigen.<br />
Diese drei historischen Dimensionen sind (1) Rechte, die die<br />
Beziehung zwischen Individuum und Staat betreffen, (2) Zugang, der den<br />
prozeBhaften,<br />
von Staatsburgerschaft regelt, d.h. die<br />
Frage, wie die Beziehung zwischen Individuum und Staat praktiziert wird,<br />
und (3) ZugehOrigkeit. Dieser letzte Aspekt bezieht sich auf gemeinsame<br />
soziokulturelle Erfahrungen und betont so die Bedeutung von Zugehi:irigkeit<br />
zu einer Gemeinschaft, sie ist also verschieden von dem Begriff der<br />
Staatsangeh6rigkeit. Die Essenz von StaatsbUrgerschaftspolitik basiert<br />
dann auf den drei Momenten Rechte, Zugang und Zugehi:irigkeit. Dabei<br />
umfassen Rechte die eher statischen, Zugang und Zugehi:irigkeit die dynamischen<br />
Aspekte von StaatsbUrgerschaft (Wiener 1995).<br />
StaatsbUrgerschaftspolitik wird einerseits kontextabhangig von AkteurInnen<br />
unterschiedlich praktiziert. Sie steht jedoch andererseits in einem<br />
balen Zusammenhang, denn mit der zunelunenden Interdependenz von<br />
Nationalstaaten haben sich supranational geteilte Wertvorstellungen wie<br />
z.E. allgemeine und freie Wahlen, Demokratie, gleicher Lohn fUr gleiche<br />
Arbeit u.a. herausgeschiilt. Sie wurden zum Teil in der Allgemeinen ErkHirung<br />
der Menschenrechte von 1948 formuliert und gelten seither im Zusammenhang<br />
mit den Verfassungen def Unterzeichnerstaaten.5<br />
Wahrend also supranational akzeptierte Werte wie das Recht auf Freiheit<br />
und Gleichheit den universellen Anspruch von Staatsburgerschaft konzeptionell<br />
reflektieren, schaffen gleichzeitig Konstruktionen national vermittelter<br />
Identitaten kontinuierlich Ungleichheiten. Staatsbiirgerschaftspolitik<br />
ist daher, zumindest seit in der Modeme Staat und Nation weitgehend<br />
territorial angeglichen wurden, immer Ausdruck einer immanenten<br />
Spannung zwischen universalem (supranational geteiltem) Postulat und<br />
partikularer (national verschiedener) Praxis. Die Konflikte entstanden vor<br />
aHem daraus, daB sich innerhalb des Territoriums von Nationalstaaten<br />
raumliche ZugehOrigkeit ganz unterschiedlich und als Spiegel multipler<br />
Identitaten clef BurgerInnen entwickelte.6 Diese Spannung hat seit Jahr-<br />
4 Als weitere Arbeiten, die die Prozeflhaftigkeit von Staatsbiirgerschaftspolitik als Strategie<br />
und Politikfeld betonen und an T.H. Marshalls bahnbrechendem Essay iiber »Staatsbiirgerschaft<br />
und soziale Klassen« (1950) oder an Habennas »Theorie des Kommunikativen<br />
Handelns« (1986) ankniipfen, siehe u.a. Garcia (1992; 1993); Giddens (1990); Held<br />
(1989,1991); Meehan (l993); Tumer(1986, 1990, 1993).<br />
5 Diese allgemeine Erkliirung stellt vor aHem fur eine nicht -staatsgebundene Debatte um Staatsbiirgerschaft<br />
eine wichtige rechtliche und nonnative Grundlage dar (Aron 1974, Bas 1994).<br />
6 Zu der Entwicklung des Konzepts von multipler Identitat als konzeptionelle Antwort auf<br />
die Ratlosigkeit der orthodox en MarxistInnen in den 80er lahren, siehe Laclau/Mouffe<br />
(1986); fiir die Konzeption von multiplen geschlechtsspezifischen Identitiiten, die gleichzeitig<br />
politisch-strategisch einsetzbar sind, siehe Butler (1990) und Hark (1995).
Editorial: Fragmentierte StaatshLlrgerschafl 491<br />
------~~--------~~~------------------------~<br />
hunderten zu Konflikten zwischen Interessengruppen der Zivilgesellschaft<br />
und staatlichen Organisationen gefiihrt. Ergebnisse dieser Auseinandersetzungen<br />
haben sich in veranderten institutionellen Arrangements widergedie<br />
sich sowohl auf staatliche<br />
wie auch auf die Bedeutung<br />
von Staatsbiirgerschaft selbst beziehen.<br />
Zentrales Strukturmerkmal der modernen Konzeption von Staatsburgerschaft<br />
bleibt bis heute die diskursive Uberschneidung von !dentitat und<br />
Nationalitat, obwohl dieser Diskurs und seine praktischen Auswirkungen<br />
bereits urn die Jahrhundertwende von del' Frauenbewegung und mit fortschreitender<br />
Industrialisierung auch von der ArbeiterInnenbewegung, die<br />
Geschlechter- bzw. Klassendifferenzen als ausschlaggebend fur defizitare<br />
staatsbiirgerliche Rechte anprangerten, in Frage gestellt wurde (Gerhard<br />
Turner 1990, Wobbe 1989) und insbesondere die Neuen Sozialen<br />
der 70er, 80er und 90er Jahre dazu beigetragen haben, das<br />
Konzept von staatsbfugerlicher »Gleichheit« zu dekonstruieren, indem sie<br />
Differenz und multiple Identitaten thematisierten (Butler 1990, Laclau/<br />
Mouffe 1986, Hark 1995). Wenn zutrifft, daB Identitat ein wesentlicher<br />
Bestandteil von Staatsbiirgerschaft ist und daB Staatsburgerschaft nicht<br />
gleich Nationalitat ist, dann mi.iBte Partizipation als ein Schliisselelement<br />
fUr die Konzeption von Zugehorigkeit untersucht werden.<br />
***<br />
Gegenwartig wird die Vorstellung einer Wechselbeziehung zwischen einer<br />
Gruppe von 'gleichen' StaatsbiirgerInnen und zentral organisierten Staaten<br />
in der Staatsburgerschaftsdebatte zunehmend dysfunktional. 1m Zuge von<br />
Globalisierungsprozessen verliert die nationalstaatliche Fixierung von<br />
Staatsbi.irgerschaft an Ausdrucks- und Einbindungskraft (Held 1991). Neue<br />
soziale Bewegungen haben Begriffe von Differenz und Identitatsschichten<br />
in die Debatte gebracht und Diskussionen um »Weltburgerschaft«<br />
(Habennas 1992: 660), »globale StaatsbUrgerschaft«<br />
siulis 1992: »kosmopolitische Burgerschaft« (Held 1991, Archibugi/<br />
Held 1995) oder Unionsbiirgerschaft werfen<br />
ein neues Licht auf das Verhaltnis von Staatsburgerschaft und<br />
indem sie den global en oder mehr unmittelbar supranationalen Raum als<br />
Bezug fur die Bedeutung von Staatsbiirgerschaft hervorheben. Andere ardaB<br />
mit der Krise des Fordismus auch das »Staatsbiirgerschaftsregime«<br />
in die Krise geraten sei (Jenson/Phillips in diesem Heft).<br />
In der Tat verliert das Konzept von Staatsbiirgerschaft in seiner traditionellen<br />
Funktion an Bedeutung. So zeigt z.E. der doppelte politische Effekt<br />
von Staatsburgerschaft deutliche Krisenerscheinungen. Dies manifestiert<br />
sich nicht zuletzt im Diskurswandel von Regierungsdokumenten (z.E. in<br />
den<br />
EU) die sich in den 90er Jahren mit dem
492 Antje Wiener<br />
Thema Staatsburgerschaft befassen. Der Regierungsdiskurs zur Verfassung<br />
von Staatsburgerschaft trifft in den 90er Jahren auf einen Diskurs der Differenz,<br />
del' das Produkt jahrzehntelanger Mobilisierung gegen die Nieht<br />
Gleichheit ist.<br />
So fordem z.B. IndianerInnen wie in den Hillen von Chiapas (Mexiko) und<br />
den »First Nations« in Kanada, die Akzeptanz von Differenz innerhalb des<br />
nationalen Diskurses. Sie beziehen sich dabei auf den Begriff der Nation,<br />
urn die Versehiedenheit von Nationen innerhalb eines sog. Nationalstaates<br />
hervorzuheben, in ihrer politischen Auswirkung zu benennen und politische<br />
Reprasentation einzufordem. Andererseits hat die politische Fragmentierung<br />
in Mittel- und Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion im<br />
Zuge der Reorganisierung kleinerer politischer Einheiten Nationalitat als<br />
entseheidendes Kriterium politiseher Organisation hervorgehoben. 1m<br />
Falle der EU, die die Unionshiirgerschaft bisher von der StaatsangehOrigkeit<br />
in einem Mitgliedstaat abhangig macht, wird einerseits Staats burgerschaft<br />
nieht frei von Nationalitat gedacht, andererseits legt die Diskursanalyse<br />
der Staatsburgersehaftspolitik nahe, daB die Unionsburgerschaft ohne<br />
das partizipatorische Element nicht durchsetzbar ware.<br />
Ais zentrales Problem bleibtjedoch, nicht nur in der EU, die Frage der politisehen<br />
Rechte versehiedener BurgerInnen. Wahrend soziale und kulturelle<br />
Eingliederung im Fall von Migration in der Regel moglieh sind<br />
(Brubaker 1989, BoeslWenzel 1995), bleiben den Zugewanderten politisehe<br />
Rechte (Zugang zu politischer Partizipation via aktiven und passiven<br />
Wahlrechts) oft verschlossen. Die gegenwartige Debatte in der europaischen<br />
Union maeht dies deutlieh (Bundnis '90/Griine 1993, Europaisches<br />
Parlament 1991, ARNE 1995).<br />
Konzeptionelle Vorschlage, die den Aspekt von Differenz aufnehmen, sind<br />
die »differenzierte StaatsbUrgerschaft« (Young 1989) und die »multikulturelle<br />
StaatsbUrgerschaft« (Kymlicka 1995). Problematisch bleibt bei diesen<br />
Ansatzen jedoeh die Definition von Identitaten, die nicht partizipatorisch,<br />
sondem askriptiv begriindet werden. Dagegen wird im Kontext der<br />
EU wie auch in Kanada u.a. das Konzept einer »ortsabhangigen Staatsburgerschaft«<br />
(Europaisches Parlament 1992, Jenson 1991) diskutiert. Das<br />
heiBt, politische Staatsburgerrechte werden nieht vom legalen Status<br />
(StaatsangehOrigkeitlNationalitat) abgeleitet, sondem auf partizipatoriseher<br />
Grundlage gewahrt. Diese partizipatorische Grundlage und ihr Einwirken<br />
auf die Hervorhebung verschiedener Identitaten, die sich jeweils sowohl<br />
akteursorientiert als auch strukturell bedingt in den politisehen Diskurs<br />
einbringen, hat sieh bisher als auBerst widerspenstig mr die Sozialforsehung<br />
erwiesen. Sie ist jedoeh, so argumentiert die Mehrzahl der Beitrage<br />
in diesem Heft, unabdingbar fur eine neue partizipatorisch begriindete<br />
Konzeption staatsburgerlieher Identitat.
Editorial: Fragmentierte StaatsbUrgerschaji 493<br />
------~~--------~~~--------------------------<br />
* * *<br />
In diesen jeweils unterschiedlichen Kontexten ist eine Spannung zwischen<br />
Identitiit und Nationalitat festzustellen, die dem Struktunnerkmal von Gleichheit<br />
im Sinne von modem gepragter nationaler Identitat als eines von zwei<br />
zentralen Elementen von Staatsbiirgerschaft widerspricht: die Definition von<br />
Identitiit Hillt sich kaum noch politisch uberzeugend von Nationalitat ableiten.<br />
Die Attribute von Identitiit lassen sich nicht definieren, sie werden erst, so zeigen<br />
es am eindrucksvollsten Studien uber soziale Bewegungen, durch Mobilisierung<br />
sichtbar gepragt (LaclaulMouffe 1985, Hark 1995, Jenson 1993).<br />
Angesichts dieser Turbulenzen stellt sich die Frage, ob die Staatsbiirgerschaftspraxis<br />
nach dem Ende des Kalten Krieges womoglich zu der Herausbildung<br />
neuer Staatsbiirgerschaftsregime fuhrt und welches die strukturellen<br />
und institutionellen Merkmale solcher Veranderungen waren.<br />
Staatsburgerschaft wurde in ihrer politischen und konzeptionellen Bedeutung<br />
in historischen Momenten der Turbulenz jeweils redefiniert. Der<br />
Staatsburgerschaftsdiskurs nach dem Ende des Kalten Krieges deutet auf<br />
Fragmentierung als neuem Struktunnerkmal der Staatsburgerschaftspraxis<br />
hin. Statt zentralstaatlich fonnulierter Staatsangehorigkeit wird der Blick<br />
auf partizipatorisch gebundene ZugehOrigkeit (Identitat) gelenkt. Wenn<br />
trotz und vennutlich gerade aufgrund def gegenwartigen, bedeutsamen politischen<br />
Veranderungen, Staatshiirgerschaft als Konzept und als Politikfeld<br />
nach wie vor von zentraler Bedeutung fUr politische Entscheidungsprozesse<br />
ist, dann stellen sich zwei Fragen: Erstens, wie durch die gegenwartigen<br />
Grenzverschiebungen die territorial vennittelte V orstellung einer<br />
homogenen staatshiirgerlichen Identitat zugunsten differenzierter, multipler<br />
Identitaten aufgebrochen wird, und zweitens, wie sich diese uber geographische,<br />
kulturelle und soziookonomische Raume vennittelte Identitat in<br />
ihrer Bedeutung fUr ein Gefuhl von ZugehOrigkeit institutionell und konzeptionell<br />
begreifen laBt.<br />
Wahrend sich die Sprache (Theorie) von Staatsburgerschaft traditionell auf<br />
den Nationalstaat und dementsprechend auf die legal definierte Nationalitat<br />
von Biirgerlnnen bezieht, deutet die gegenwartige Praxis (Diskurs) auf ein<br />
neues Verstandnis von Staatsburgerschaft hin, dem fragmentierte statt homogenisierte<br />
Identitaten zugrunde liegen. Mit der Feststellung, daB Identitat<br />
facettenreich und nicht homogen ist, stellt sich nicht nur ein konzeptioneHes<br />
Problem, auch die politische Funktion von StaatsbUrgerschaft wird<br />
in Frage gestellt. Welches sind die konzeptionellen und institutionellen<br />
Auswirkungen des Wandels im modemen Staatsbiirgerschaftsdiskurs? Gibt<br />
es Ansatze zu einer Neuformulierung der Beziehung zwischen BurgerIn<br />
und Staat? Und schlieBlich, gibt es erkennbare Struktunnerkmale dieses<br />
V eranderungsprozesses?
494 Antje Wiener<br />
Urn sich diesen moglichen Veranderungen der Staatsburgerschaftspraxis<br />
und entsprechend auch dem Konzept von Staatsburgerschaft anzunahem,<br />
sind Fallstudien wichtig. Es ist daher die Intention dieses Heftes, mit Studien<br />
in unterschiedlichen Kontexten, in denen jeweils das traditionelle Bild<br />
nationalstaatlich begrundeter Staatsburgerschaft in Frage gestellt wird,<br />
Staatsburgerschaftspraxis in eine politische Perspektive zu setzen. Statt<br />
zentralstaatlich formulierter StaatsangehOrigkeit (legaler Status) wird so<br />
der Blick frei fur die an partizipatorische gebundene Zugehorigkeit<br />
(Identitat). Wenn es zutrifft, daB Momente von Turbulenz zu einer Redefinition<br />
von Strukturmerkmalen beitragt, dann konnen Fallstudien zur<br />
Staatsburgerschaftspraxis in unterschiedlichen, turbulenten Kontexten zur<br />
Klarung beitragen.<br />
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1996 - 333 S. - OM 44,00 - 6s 321 - SFR 44,00<br />
ISBN 3-929586-67-3<br />
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Mit Beitragen von E. Altvater, J.-Y. earlier, H. Leuninger, K. Ndumbe,<br />
O. Neg! u.a.<br />
(einsprOche Band 5)<br />
1995 - 292 S. - OM 19,80 - 6s 145 - SFR 21,00 - ISBN 3-929586-57-6<br />
Veit-Michael Bader<br />
Rassismus,<br />
schaU.<br />
Soziologische und philosophische<br />
Oberlegungen<br />
(einsprOche Band 4)<br />
1995 - 181 S. - OM 25,00 - 6s 183 - SFR 26,30<br />
ISBN 3-929586-47-9<br />
lIElT I¥IKHA~U!ADER<br />
IlASSISMUS,<br />
~THNIZITAt<br />
IIURGERSCHAFT<br />
£OlIOLOGI5CHE<br />
UND PHILOSOPHlseliE<br />
UBERLEGUNGEN<br />
WEsnAUSCHES DAMPFBOOT<br />
oort<br />
Oorotheenstr. 26a' 48145 MOnster' Tel. 02 51/6 08 60 80<br />
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Wiener<br />
Staat<br />
Die Einfiihrung einer Unionsbiirgerschaft durch die Maastrichter Vertrage<br />
(Artikel 8 EG-Vertrag) von 1992 hat eine Vielzahl von Reaktionen hervorgerufen,<br />
die von juristischer Seite bis hin zu progressiven Nicht-Regierungs-Organisationen<br />
(NROs) reichen. Weitgehende Ubereinstimmung besteht<br />
in diesen Reaktionen dahingehend, daB der Staatsbiirgerschaftsartikel<br />
Mangel auf weist. Von dieser gemeinsamen Basis ausgehend, lassen sich<br />
dann zwei unterschiedliche Handlungsstrange feststellen. BeobachterInnen,<br />
die den konkreten Inhalt der Unionsbiirgerschaft untersuchen und mit<br />
den bekannten Typen formal etablierter nationaler Staatsbiirgerschaften<br />
vergleichen, heben vor aHem die Einschrankungen hervor, denen die Unionsbiirgerschaft<br />
als legales Konzept unterliegt.2 Davon unterscheiden sich<br />
die Debatten, in denen die Unionsbiirgerschaft als »Entwicklungskonzept«<br />
diskutiert wird. In letzterem Sinne sind beispielsweise die von NROs, Interessengruppen<br />
und sozialen Bewegungen ausgehenden V orschHige zu<br />
verstehen, die darauf abzielen, den Unionsbiirgerschaftsartikel in Richtung<br />
deutlicher ortsbezogener Biirgerlnnenrechte zu verandem.3<br />
Dieser Beitrag ist die iiberarbeitete und leicht veranderte Fassung eines Aufsatzes, der zuerst<br />
im Oxford International Review, Vol. VII, NO.3 (1996) S. 44-51 erschienen ist.<br />
2 Charakteristisch fiir diese Perspektive ist die Forderung von Kovar und Simon, daB die<br />
Untersuchung der Unionsbiirgerschaft auBerhalb der »Ieidenschaftlich« gefiihrten politischen<br />
Debatte stattfinden miisse, und deswegen allein juristische Studien deren Charakter<br />
gerecht werden konnten (Kovar/Simon 1994: 288). Weitere iiberwiegend juristische Ansatze<br />
finden sich u.a. bei O'Leary (1995), O'Keeffe/Twomey (1994), Closa (1992; 1995),<br />
Hailbronner (1995), Konig/Pechstein (1995).<br />
3 Der Ausdruck »developing concept« wird sowohl von der Europaischen Kommission<br />
(European Commission 1995: 7), als auch vom Europaischen Parlament verwendet<br />
(European Parliament 1996, 5). Forderungen nach einer ortsbezogenen Staatsbiirgerschaft<br />
wurden beispielsweise vom Antiracist Network for Equality in Europe (1995: 4) vorgetragen,<br />
das verlangte, daB Staatsbiirgerschaft an »every person holding the nationality of a<br />
Member State and every person residing within the territory of the European Union« verliehen<br />
werden solie. Ahnliche Forderungen sind vom Euro Citizen Action Service (1996:<br />
I) vorgelegt worden. Der ortsbezogene Ansatz zur Staatsbiirgerschaft ist von Jane Jenson<br />
im kanadischen Kontext diskutiert worden. Jenson nennt diesen Ansatz »place-sensitive«<br />
(Jenson 1992).<br />
PROKLA. Zeitschriftfor kritische Sozialwissenschaj;, Heft <strong>105</strong>,26. Jg. 1996, Nr.4, 497-513
498 Anlje Wiener<br />
Die Dnterscheidung zwischen diesen Debatten, bei denen es urn EinfluB<br />
auf die Politikfonnulierung geht, findet ihre Entsprechung in der wissenschaftlichen<br />
Diskussion, in der sich eine Dnterscheidung zwischen »minimalistischen«<br />
und »dynamischen« Ansiitzen zur Unionsbiirgerschaft abzuzeichnen<br />
beginnt. So verfolgen die MinimalistInnen einen fonnalen Ansatz,<br />
der sich auf die Beurteilung legaler Rechte in der ED konzentiert,<br />
wiihrend der dynamische Ansatz sich aus einer politikwissenschaftlichen<br />
Schule entwickelt hat, die neue Politikoptionen in Betracht zieht und diskutiert<br />
ob und wie (Staats)Biirgerschaft4 neu gedacht werden kann.5 Diese<br />
konstruktive Perspektive baut auf der Feststellung eines politis chen Spannungsverhiiltnisses<br />
auf, das aus den Mustem von EinschluB und AusschluB<br />
resultiert, die allen (Staats)Biirgerschaftspolitiken zugrundeliegen. Diese<br />
Muster, die sowohl im intemationalen Staatensystem wie auch in der nationalen<br />
Politik eine zentrale Rolle einnehmen, werden zunehmend von<br />
den ausgeschlossenen Gruppen kritisiert. Sie sind gegenwiirtig ein zentraler<br />
Bestandteil der politischen Steuerung von Migrationspolitik und sie<br />
stellen dariiberhinaus ein kontinuierliches Thema politischer Auseinandersetzungen<br />
dar. Die innen- und auBenpolitisch wichtige Abgrenzungspolitik<br />
steht also in einem Spannungsverhiiltnis zu nonnativ oder politischpartizipatorisch<br />
begriindeten F orderungen nach Rechten auf demokratische<br />
Partizipation. Konstruktive Ansiitze versuchen, dieses Spannungsverhiiltnis<br />
auf konzeptioneller Ebene in Angriff zu nehmen. 6<br />
Dieser Artikel untersucht im Ralnnen des dynamischen Ansatzes die konzeptionellen<br />
und politischen Implikationen, die sich aus der Anwesenheit<br />
von AngehOrigen von Drittstaaten (d.h. Personen, die sich innerhalb der<br />
ED niedergelassen haben, jedoch nicht StaatsangehOrige eines ED Mit-<br />
4 Ich verwende folgende deutsche Ubersetzungen von citizenship: (1) »Staatsbiirgerschaft«<br />
mit bezug auf das modeme, nationalstaatlich begriindete Konzept; (2) »(Staats)Biirgerschaft«<br />
mit bezug auf das klassische Konzept, das auf die republikanische Konzeption<br />
von Staatsbiirgerschaft in der griechischen polis zuriickgefuhrt wird; (3) »BiirgerInnenschaft«<br />
im Hinblick auf eine neu gedachte, ortsbezogene und historisch konstruierte Konzeption<br />
der beiden o.g. Konzepte.<br />
5 Elizabeth Meehan (1996) hat die Unterscheidung zwischen diesen zwei Denkschulen vorgeschlagen.<br />
6 Der dynamische Ansatz zur Staatsbiirgerschaft ist nicht nur in bezug auf die europaische<br />
Integration entwickelt worden. Er ist ebenfalls in einer Unterdisziplin der Intemationalen<br />
Beziehungen hinsichtlich einer entstehenden »globalen Gesellschaft« diskutiert worden.<br />
Beispiele fur ersteres finden sich bei Meehan (1993), Preuss (1995), Wiener (1995);<br />
Beispiele fur letzteres bei Kratochwil (1994), Linklater (1996), Archibugil Held (1995). -<br />
Die Urspriinge dieses Ansatzes liegen in friihen Studien zur Staatenbildung, vgl.<br />
beispielsweise Bendix (1964), Tilly (1975); aber auch zu Staatsbiirgerschaft und<br />
Wohlfahrtsstaat (Balbo 1992), Marshall (1950), Hemes (1987) sowie zu liberalfeministischen<br />
Kritiken an Sozialkontraktstheorien, beispielsweise Okin (1992), Pateman<br />
(1988), Young (1990) und anti-rassistischen Studien wie AnthiaslYuval-Davis (1992),<br />
BakaniStasiulis (1994).
(Staats)Biirgerschaji ohne Staat 499<br />
gliedslandes sind) rur die Unionsburgerschaft ergebenJ Die Wahl dieses<br />
Ansatzes beruht auf zwei Beobachtungen. Erstens der »inkrementalen«<br />
Dimension der EU8 ein evolutionares Konzept von BurgerInnenschaft<br />
am besten da Artikel 8e zu einem ausbaufahigen >"\.'-"'".0(01."<br />
der Unionsbilrgerschaft beitragt, besitzt er ein kreatives Potential).9 Der inkrementale<br />
Charakter der EU ist vorwiegend im<br />
mit der<br />
Wirtschaftsintegration diskutiert worden. Diese beruht auf der fortschreitenden<br />
Verwirklichung des freien Guterverkehrs und der Freizugigkeit von<br />
Dienstieistungen, Kapitalverkehr und Personen innerhalb der EU. IO Zweitens<br />
stell en zunehmende Migrationsbewegungen und steigendes Interesse<br />
an Auslandserfahrungen (insbesondere unter jungen Menschen) - in vielerlei<br />
Hinsicht eine beabsichtigte Konsequenz europaischer Staatsburgerschaftspolitik<br />
- die Mitwirkungsstrukturen der polity und deren institutionelle<br />
Auspragungen vor neue Herausforderungen. Dies hat Auswirkungen<br />
auf neu entstehende institutionellen Beziehungen zwischen den<br />
BurgerInnen und den Gemeinschaften, in denen sie sich bewegen, leben<br />
und arbeiten. ll Falls beide Beobachtungen zutreffend sind, wird die Uni-<br />
7 O'Keeffe weist darauf hin, daB diese Personenegruppe Schatzungen zufolge zwischen<br />
acht und dreizehn Millionen Menschen umfasst (O'Keeffe 1994: 104). Ich bin mir bewuBt,<br />
daB sich anderen innerhalb der EU lebenden Gruppen andersgeartete, aber doch<br />
iihnliche Probleme stellen. Hierbei denke ich etwa an die »transnationals« (d.h. Kinder,<br />
die mit ihren Eltern in einen Mitgliedsstaat gezogen sind, dessen Staatsangeharigkeit sic<br />
nieht besitzen, sich aber dann als Erwachsene nieht in ihrem Herkunftsland haben registrieren<br />
lassen). In diesem konzeptionell orientierten Aufsatz gehe ich nur auf die Probleme<br />
einer einzelnen Gruppe ein, urn an diesem Beispiel, die politisehen Spannungen aufzuzeigen,<br />
die in Verbindung mit einer zukiinftigen Unionsbiirgerschaftspolitik auftreten<br />
kannen. Der Ausdruck »transnationals« stammt von Helen Wallace.<br />
8 Diese »inkrementale» Dimension kann am besten anhand der vieldiskutierten »ErweiterungslVertiefungsproblematik«<br />
erklart werden. »Erweiterung« bezieht sieh auf den Prozess<br />
der Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten, wahrend sich »Vertiefung« iiber die Konstitutionalisierung<br />
neuer Institutionen der Euro-Polity definiert (vgl. Wessels 1991).<br />
9 Manfred Degen und Lode van Outrive, die beide maBgeblichen Anteil an den Diskussionen<br />
und der Ausfonnulierung der Unionsbiirgerschaftspolitik hatten, haben wiederholt<br />
auf die Bedeutung dieses Artikels hingewiesen (vgl. Degen 1993). Artikel 8e des EG<br />
Vertrages bestimmt daB »[t]he Commission shall report to the European Parliament, to the<br />
Council and to the Economic and Social Committee before 31 December 1993 and then<br />
every three years on the application of the provisions of this Part. This report shall take<br />
account of the development of the Union« (meine Hervorhebungen).<br />
10 Vgl. beispielsweise den dynamischen Policy Entwurf des Weissbuches der Kommission:<br />
»Completing the Internal Market« (COM(85) 310 final, Brussels, 14 June 1985).<br />
11 Freiziigigkeit fiir Arbeitnehmerlnnen (und ihre Familien) wurde hergestellt, urn eine gro-<br />
13ere F1exibilitat auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen. Freiziigigkeit von Akademikerlnnen<br />
und Studentlnnen hatte die Konstruktion eines Zugeharigkeitsgefuhls zur Europaischen<br />
Gemeinschaft zum Zie!. Sie wurde durch Programme, die auf den Adonnino-Bericht folgten,<br />
angeregt (»A People's Europe«, Bulletin of the European Communities, Supp!. 7,<br />
J 985). Eine eingehende Darstellung der Verbindungen zwischen diesen Initiativen und<br />
der Unionsbiirgerschaftspolitik findet sich bei Wiener (1995). Als Kommissionsvorschlag<br />
zur Lasung des »demokratischen Defizits«, das durch die zunehmenden innergemein-
500 Antje Wiener<br />
onsburgerschaft nicht nur zu Debatten uber deren Verwirklichung in den<br />
Mitgliedsstaaten fiihren.12 Sie wird auch zum Gegenstand eines stetigen<br />
politischen Spannungsverhaltnisses zwischen den politischen Partizipationsrechten,<br />
die den Unionsburgerlnnen zuteil werden und denen, die von<br />
Drittstaatsangehorigen in Anspruch genommen werden konnen. Die Burgerschaftspolitik<br />
in der EU muJ3 deswegen ein inharentes politisches Problem<br />
lasen.<br />
Urn dieses Problem angehen zu konnen, schlagt dieser Artikel vor, den dynamischen<br />
Ansatz zur Unionsburgerschaft zu verfolgen. 13 Ich argumentiere,<br />
daB die Spannungsverhaltnisse innerhalb der Staatsburgerschaft, sowie<br />
deren Herkunft und mogliche Losungsmuster am besten erfasst werden<br />
konnen, wenn man Staatsburgerschaft als eine »Praxis« versteht. 14 Dieser<br />
Artikel gibt eine Zusammenfassung des dynamischen Ansatzes, urn dann<br />
aufzuzeigen, wie Staatsburgerschaftspraxis in einem bestimmten historischen<br />
Kontext dazu beitragen kann, das Staatsburgerschaftskonzept neu zu<br />
uberdenken. Ein solches Konzept konnte durch institutionelle Innovationen<br />
politische Mitwirkungsrechte an DrittstaatsangehOrige verleihen, indem es<br />
diese auf das Aufenthaltsrecht bezieht. 1m ersten Abschnitt des Aufsatzes<br />
wird der Begriff der Staatsbiirgerschaftspraxis definiert. 1m zweiten Abschnitt<br />
wird die Staatsburgerschaftspraxis, verstanden als Rechte, Zugang<br />
und Zugehorigkeit, auf die EU angewandt und untersucht wie der Anspruch<br />
der AngehOrigen von Drittlanderu auf politische Mitwirkung auf<br />
einer konzeptionellen Ebene angegangen werden kann.<br />
Staatshiirgerschaftspraxis: Rechte, Zugang, Zl.I.gehorigkeit<br />
1m weitesten Sinne beschreibt (Staats)Burgerschaft das Verhaltnis zwischen<br />
Individuum und politi scher Gemeinschaft. Das Konzept definiert<br />
den Anspruch auf Teilhabe an einer politischen Gemeinschaft (Staat), die<br />
von der Gemeinschaft (Volk) dazu ermachtigt ist, als Souveran Hoheitsinteressen<br />
gegenuber anderen StaatenlGemeinschaften wie auch gegenuber<br />
den BurgerInnen zu vertreten. Dieses Modell einer Beziehung zwischen<br />
zwei Einheiten, also def BurgerIn einerseits, and dem Souveran (Monarchln/Stadt/Nationalstaat)<br />
andererseits, unterliegt dem heute dominanten<br />
Gedanken moderner StaatsbUrgerschaft. 15 Aus diesen Ansatzen folgen drei<br />
sehaftlichen Migrationsbewegen verscharft wurde vgl. den Bericht »Voting rights in local<br />
elections for Community nationals«, Bulletin of the European Community, Supp!. 7,<br />
1986.<br />
12 Als Beispiel fur derartige Probleme bei der Umsetzung der Bestimmungen zur Teilnahme<br />
von Unionsburgerlnnen an Gemeindewahlen in Frankreieh, vgl. McMahon (1995).<br />
13 Fur einen weiteren minimalistischen Ansatz, vgl. Peers (1996).<br />
14 leh habe diesen Ansatz in Wiener (1995) entwickelt.<br />
15 Evans und Oliveira wei sen daraufhin, daB Staatsburgerschaft »a concept denoting the le-
(Staats)Burgerschqfi ohne Staat 501<br />
notwendige Elemente fur eine Konzeptionalisierung von (Staats)Burgerschaft:<br />
BurgerIn, Staat/Gemeinschaft und das Verhiiltnis zwischen beiden.<br />
16<br />
Da jegliche Untersuchung von Staatsbilrgerschaft auf die eine oder andere<br />
Weise auf diese drei Elemente Bezug nehmen muB, konnen diese als konstituierende<br />
Elemente der Staatsbilrgerschaft bezeichnet werden. Wiihrend<br />
die ersten beiden Elemente, BilrgerIn und Staat/Gemeinschaft, insbesondere<br />
von klassischen Ansatzen zur Staatsbilrgerschaft hervorgehoben worden<br />
sind, ist das dritte, beziehungsabhangige Element, bislang vemachHissigt<br />
worden. (Staats)Bilrgerschaftstheorie bietet nicht die notwendigen Werkzeuge,<br />
urn Staatsbilrgerschaft als historisch konstruierten Prozess oder als<br />
konstitutive Praxis zu untersuchen. Diese Ahistorizitiit tragt zu der fortlaufenden<br />
Auseinandersetzung ilber das Konzept von (Staats)Bilrgerschaft<br />
bei. 17 AuBerdem wird zunehmend akzeptiert, daB (Staats )Bilrgerschaft<br />
nicht allein auf der Basis formaler Kriterien behandelt werden kann (Kratochwil<br />
1994; Habermas 1992).<br />
Die mangelhafte Erfassung des Verhaltnisses zwischen BilrgerIn und Staat<br />
als relevante, wenn nicht sagar ausschlaggebende historische Dimension<br />
von (Staats)Bilrgerschaft ist ein bisher ungelOstes Problem fur die meisten<br />
(Staats)Bilrgerschaftsforscherlnnen geblieben, obwohl die grundlegende<br />
Bedeutung dieser Beziehung fur den ProzeB modemer Staatenbildung<br />
weithin anerkannt ist. Ich schlage eine Anniiherung an dieses Verhaltnis<br />
anhand des Konzepts von »Staatsbilrgerschafispraxis« vor. 18 Staatsbilrgerschaftspraxis<br />
wird als das Set derjenigen Handlungen verstanden, die zur<br />
Verleihung von Bilrgerlnnenrechten, zur Schaffung von Zugang und zur<br />
Entwicklung von Zugehi:irigkeit zu einer Gemeinschaft beitragen. Diese<br />
Praxis schlieBt sowohl Auseinandersetzungen zwischen gesellschaftligal<br />
consequences, which attach to the existence of a special connection between a defined<br />
category of individuals and a state« ist und deswegen im wesentlichen »a provision which<br />
is made for participation by a defined category of individuals in the life of a state«<br />
(Evans/Jessurun d'Oliveira 1989: 2). Vgl. ebenfalls Turners Feststellung von »[t]wo parallel<br />
movements whereby a state is transfonned into a nation at the same time that subjects<br />
are transformed into citizens« (Turner 1990: 208).<br />
16 Ahnliche Elemente sind von Charles Tilly als grundlegende Kriterien der Staatenbildung<br />
identifiziert worden. Er bemerkt daB »[i]n its simplest version the problem [of statemaking]<br />
has only three elements. First, there is the population which carries on some<br />
collective political life - if only by virtue of being nominally subject to the same<br />
central authority. Second, there is a governmental organisation which exercises control<br />
over the rincipal concentrated means of coercion within the popUlation. Third, there are<br />
routinised relations between the governmental organisation and the population« (Tilly<br />
1975: 32).<br />
17 Tillys Bemerkung, daB »no standard definition of citizenship has yet gained scholarly<br />
consensus«, ist in diesem Sinne zu verstehen (Tilly 1995: 5). Vgl. ebenfalls Held (1991),<br />
KymlickalNorman (1994) und Turner (1993) fur ahnliche Beobachtungen.<br />
18 2ur Entwicklung dieses Konzepts siehe Wiener (1995: Kapitel 3).
502 Antje Wiener<br />
chen Kraften wie auch den GestaltungsprozeB von Politik (policy-making)<br />
innerhalb der Institutionen der Polity ein. 19<br />
Ein wesentlicher Aspekt von Staatsbiirgerschaftspraxis daB sie den<br />
konstitutierenden Elementen def Staatsburgerschaft Dynamik verleiht.<br />
Staatsbiirgerschaft ist kein statisches Konzept. Das Zusammenwirken der<br />
konstitutiven Elemente iiber Zeit und Raum verleiht dem Konzept eine historische<br />
Dimension und damit ein dynamisches Moment. Der Charakter<br />
der drei konstutiven Elemente hat sich mit der Zeit gewandelt: Der<br />
Staat bzw. die Gemeinschaft hat sich mit der Etablierung neuer Institutionen<br />
vedindert. Erfolgreiche Auseinandersetzungen um Biirgerrechte<br />
haben zu deren Ausweitung auf neue Gruppen von BiirgerInnen gefiihrt,<br />
wahrend andere als Nichtstaatsbiirgerlnnen ausgeschlossen blieben. (3)<br />
Politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Wandel haben die Bildung<br />
neuer Institutionen initiiert bzw. bestehende institutionelle Mechanismen<br />
zur Regelung des Verhaltnisses von BurgerIn und Staat/Gemeinschaft<br />
umgestaltet. Somit hat Staatsbiirgerschaftspraxis in ihrer Erscheinungsforrn<br />
als Kampfum Biirgerrechte einerseits und in Verbindung damit<br />
als staatliche Politik andererseits zum Wandel politischer Organisation innerhalb<br />
und zwischen Gemeinschaften beigetragen. Staatsbiirgerschaftspraxis<br />
schlieBt deswegen historische Veranderbarkeit ein.<br />
Historische Studien zur Staatsbiirgerschaftspraxis, die diese Veranderbarkeit<br />
ernst nahmen, haben drei Elemente der Staatsbiirgerschaft aufgezeigt.<br />
Das erste Element betrifft Rechte, d.h. die gesetzlich geregelten Beziehungen<br />
zwischen Individuum und Staat/Gemeinschaft.20 Es schlieBt mehrere<br />
Arten von Rechten ein, beispielsweise biirgerliche, politische und soziale<br />
Rechte. 21<br />
Das zweite Element der Staatsbiirgerschaft betrifft Forrnen des Zugangs.<br />
Es gibt AufschluB fiber die Bedingungen, unter denen das Verhaltnis zwi-<br />
19 Konflikthafte Prozesse als Teil der Institutionenbildung im modemen Nationalstaat wie<br />
auch in der europiiischen Polity werden u.a. in Tillys Arbeit zur Staatenbildung (Tilly<br />
1975) und Tarrows Analyse der »Europeanisation of conflict« betont (Tarrow 1995). Im<br />
vorliegenden Aufsatz argumentiere ich, daB diese Prozesse ebenfalls eine grundlegende<br />
Bedeutung fur einen dynamischen (Staats)Burgerschaftsbegriffhaben.<br />
20 Held entwickel! diese Perspektive weiler, indem er konstatiert, daB »[ c ]itizenship rights<br />
are entitlements. Such entitlements are public and social [ ... ] They are 'of right' and can<br />
only be abrogated by the state under clearly delimited circumstances« (Held 1995: 20).<br />
21 Diese Perspektive, die (Staats)Biirgerschaft als inkrementale Erweiterung von Rechten<br />
sieht, ist vor allem mit T.H. Marshall verbunden, def Biirgerschaft in drei Phasen der Etablierung<br />
ziviler, politischer und sozialer Biirgerrechte unterteilt hat (Marshall 1950: 10).<br />
Dabei schlieBen zivile Rechte das Freiheitsrecht der Person, Redefreiheit, Gedankenfreiheit<br />
und Religionsfreiheit, Privateigentum und Vertragsfreiheit ein. Politische Rechte beinhalten<br />
das Mitwirkungsrecht an der Ausiibung politi scher Macht. Soziale Rechte umfassen<br />
das Recht auf ein MindestmaB an sozialer Wohlfahrt und Sicherheit, Teilhabe am gesellschaftlichen<br />
Erbe und die M6glichkeit, ein zivilisiertes Leben fiihren zu k6nnen (ebd.:<br />
10-11).
~~_ta_a_~~)_B_ur~g~er_~_ch_a~~_o_h_n_e_S_ta_a_t _____________________________________ 503<br />
schen BiirgerInnen und Staat/Gemeinschaft wird. Es wird traditionell<br />
vorwiegend juristisch als Zugang zu einem spezifischen Hoheitsgebiet,<br />
mit anderen Worten, als StaatsangehOrigkeit, definiert. Diese minimalistische<br />
Definition von Zugang regelt den Zugang zu bzw. den AusschluB<br />
von politischen Territorien. Das Konzept der Staatsbiirgerschaftsist<br />
jedoch von einem anderen Zugangsbegriffs abgeleitet. Dieser<br />
Begriff von Zugang ist nicht auf territorial definierte, politische Grenzen<br />
reduziert, sondem schlieBt auch<br />
und okonomisch definierte<br />
Kriterien, iiber die Zugang etabliert werden kann, ein. 22 Dieser Zugangsist<br />
besonders von kritisch-feministischen, sozialdemokratisch gepragten<br />
und anti-rassistischen Arbeiten entwickelt die den ausschlieBenden<br />
Charakter politi scher Staatsbiirgerschaft kritisieren. In solchen<br />
Kritiken wird hervorgehoben, daB lediglich die Verleihung von<br />
Rechten keine ausreichende Garantie dafur bietet, daB diese auch in Anspruch<br />
genommen werden konnen, wenn die Mittel zur Ausiibung dieser<br />
Rechte wie zum Beispiel sozialpolitische Einrichtungen (Schule, Trans-<br />
Sozialversicherung) fehlen.<br />
Das dritte historische Element ist die ZugehOrigkeit zu einer Gemeinschaft.<br />
Es besteht zum einen aus den rechtlichen Bindungen an ein souveranes<br />
Gemeinwesen, die sich zur Zeit entweder auf das ius solis oder das ius<br />
sanguis (Boden bzw. Blutsrecht) stiitzen und zum anderen in identitatsbezogenen<br />
Bindungen an eine Gemeinschaft, die sich durch eine bestimmte<br />
Identitat ausdriicken.23<br />
Zusammenfassend laBt sich festhalten, daB ein dynamischer Ansatz damit beginnt,<br />
die dreiteilige Konstruktion von Rechten, Zugang und ZugehOrigkeit als<br />
Essenz der Staatsbiirgerschafi zu verstehen. Wahrend es zwar moglich ist, diese<br />
Elemente gesondert zu betrachten, ist es wichtig, zu beachten, daB sie<br />
stets zueinander in Beziehung stehen und sich wechselseitig beeinfluBen.<br />
Diese drei Elemente ergeben einen prozeBorientierten, dynamischen Biirgerschaftsbegriff<br />
und werden deshalb als die historischen Dimensionnen<br />
von Biirgerschaft betrachtet. Sie fugen dem Konzept der idealen (Staats)<br />
Biirgerschaft eine kontextbezogene Bedeutung hinzu. Dadurch ermoglichen<br />
sie einen Blick auf (Staats)Biirgerschaft als Praxis. Schaubild 1 stellt<br />
dieses dreiteilige Model der Staatsbfugerschaftspraxis dar.<br />
22 Diese Perspektive wird von Brubaker hervorgehoben: »[i]ndeed political territory as we<br />
know it today - bounded territory to which access is controlled by the state - presupposes<br />
membership. It presupposes some way of distinguishing those who have free access to the<br />
territory from those who do not, those who belong to the state from those who do not«<br />
(Brubaker 1992: 22).<br />
23 Liberale Perspektiven zur Identitat finden sich insbesondere in Youngs Konzept der<br />
»differentiated citizenship« (Young 1990), aber auch bei KymlickaINom1an (1994). Als<br />
holistischen Ansatz zu Identitat und Staatsbiirgerschaft vgl. Habennas (1992).
504 Antje Wiener<br />
Dieses Modell verdelltlic:ht, daB sich Rechte und L..U,5CU'5"'JlHV5m,H1'I."m,11<br />
nicht nur aus der<br />
kulturell oder sozial definierter Riiume bestimmt wird, Diese Riiume iibersich<br />
teilweise und stellen damit die<br />
gezogenen<br />
Schaubild 1:<br />
Rechte<br />
sozial<br />
Identitat durch<br />
III<br />
- wirtschaftlichen<br />
Raumen<br />
- kulturellen<br />
- allgemeine Steuerpflicht<br />
- Militarpflicht<br />
(in/out) - Nationalitat<br />
Grenzen in Frage, Politisches Wahlrecht und okonomisch bedingte Steuerpflicht<br />
beziehen sich beispielsweise haufig aufunterschiedliche geographische<br />
Grenzen, Grenzen sind daher wesentlich fur die Definition von StaatsbUrgerschaftspraxis.<br />
ZugehOrigkeitsgefuhl hangt immer von Grenzziehungsprozessen<br />
ab, die das Gebiet der »zugehorigen« BiirgerInnen markieren.24 ZusammengefaBt<br />
liiBt sich dann festhalten, daB Abgrenzungsprozesse innerhalb<br />
und zwischen (National)staaten grundlegend fur den Prozess nationaler<br />
Identifikation sind,25 der ZugehOrigkeitsaspekt der Staatsbiirgerschaft<br />
doch auch von gesellschaftlich konstruierten Grenzen beeinfluBt wird,<br />
und ZugehOrigkeit folgen jedoch in def<br />
oftmals unterschiedlichen strategischen Mustem: Grenzen treten sowohl<br />
24 Kratochwil bemerkt, »[i]t is perhaps best to conceive of citizenship as a space within a<br />
discourse on politics that institutionalised identities and differences by drawing boundaries,<br />
both in terms of membership and in terms of the actual political practices that are connected<br />
with this membership. An explication of the concept, therefore, is not governed by<br />
the atemporal criteria of adequacy or correspondence. It necessarily becomes historical,<br />
requiring an examination of the genealogy of the concept and its temporary reconciliations«<br />
(Kratochwil 1994: 486).<br />
25 Cohens Studie problematisiert beispielsweise die »Frontiers of Identity« als grenziibergreifende<br />
Schranken (Cohen 1994),
(Staats)Burgerschaft ohne Staat 505<br />
~~--~--~--------------------------------------<br />
als sichtbare, wie auch als unsichtbare Institutionen von Einschlussen und<br />
Ausschlussen auf. Sichtbare Grenzen finden ihre institutionelle Manifestierung<br />
in Einreiseregelungen in ein bestimmtes Land (bei der Einreise auf<br />
dem Luft- oder Seeweg muB man eine Grenze uberschreiten, einen<br />
Grenzposten einen Reisepass vorweisen)0 Unsichtbare Grenzen<br />
auBem sich als<br />
zu einem Land oder zu einer bestimmten<br />
die ZoBo ethnisch oder klassenbedingt<br />
definiert ist Zahlreiche Studien haben<br />
daB diese<br />
unsichtbaren Grenzen oft eine vollstandige<br />
verhindemo Die<br />
Notwendigkeit, zwischen diesen beiden Arten von Grenzen zu unterscheiden,<br />
ist deswegen eine Pramisse dynamischer Ansatze zur Staatsburgerschaft<br />
Der erste Grenztypus ist in bezug auf eine Gemeinschaft innerhalb<br />
eines eingegrenzten Raumes definiert Er ist durch politische Burgerrechte<br />
undloder Zugang zu politischer Partizipation definierto Der<br />
zweite Grenztypus beruht auf weit subtileren EinschluB- und AusschluBmechanismen,<br />
die zutreffender als ZugehOrigkeitsgefUhl zu einer Gemeinschaft<br />
verstanden werden konneno Dieses GefUhl basiert auf tatsachlich<br />
praktiziertem EinschluJ3 uber soziale oder burgerliche Rechte, deren Erwerb<br />
aber auch mit AusschlieBungsprozessen einhergehen kanno Die Auswei<br />
tung der Sozialpolitik hat beispielsweise in vie len europaischen Landem<br />
Immigrantlnnen ungeachtet des anhaltenden Ausschlusses von politischen<br />
Partizipationsrechten den Zugang zu Sozialleistungen ennoglicht<br />
Die Grenzen innerhalb des politis chen Raumes, die beispielsweise im eingeschranktem<br />
Wahlrecht ihren Ausdruck finden, sind nicht notwendigerweise<br />
deckungsgleich mit den Grenzen soziookonomisch oder kulturell<br />
definierter Raumeo ZugehOrigkeit nimmt also unterschiedliche Ausdrucksfonnen<br />
an, denn sie steht im Wechselverhaltnis mit unterschiedlich<br />
verlaufenden Prozessen der Grenzziehungo Da derartige Trennungslinien<br />
oft nicht mit territorial definierten Grenzen zusammenfallen, fOrdem sie<br />
die Entstehung multipler<br />
die Burger und NichtbUrger<br />
chermaBen betreffen, jedoch unterschiedlich politisch mobilisierto26<br />
Auf der Grundlage der oben skizzierten dekonstruktiven Annaherung an<br />
eine historische Definition von<br />
werde ich mich mit der EU<br />
als Fallbeispiel fUr eine historisch neue Situierung von (Staats)Burgerschaft<br />
beschaftigeno Dabei steht die zunehmende Bedeutung unsichtbarer<br />
Grenzen innerhalb politi scher Gemeinwesen im Zentrumo Sie sind grundlegend<br />
fur das Verstandnis der problematischen Situation von BfugerInnen<br />
aus Drittstaaten in der EU<br />
26 Ein zunehmendes Interesse fur derartige Grenzen spiegel! sich in einer Reihe jtingerer<br />
Studien tiber Migration, Multikulturalismus und Staatsbtirgerschaft wider (vgL beispielsweise<br />
AnthiaslYuval-Davis (1992), Bakan/Stasiulis (1994), Bas (1993), Jenson (1995),<br />
KymlickaINonnan (1994), Young (1990), Yuval-Davis (1993).
506 Antje Wiener<br />
in del' un)p~iis(:hen Union<br />
Die Unionsbiirgerschaft muB von der nationalen<br />
unterschieden<br />
werden. Jede<br />
genieBt in erster Linie nationale<br />
Rechte in einem bestimmten Mitgliedsstaat und in zweiter Linie zusatzliche<br />
Rechte in allen<br />
Die Bezugnahme auf<br />
Rechte allein reicht jedoch nicht aus, urn den Charakter dieser neuen supranationalen<br />
zu erfassen. Meehan hat<br />
stellt daB eine Unionsbiirgerschaft bereits vor deren Aufnahme in den Uniexistierte.<br />
Sie rekonstruierte den entstehenden europaischen<br />
von Biirgerschaft, indem sie die sich wandelnde Bedeutung von<br />
»citizenship« tiber einen Zeitraum hinweg zusammenfaBte. Aus<br />
einem Vergleich dieser Bedeutungen mit dem Biirgerschaftstypus der EU<br />
sie, »that it is not meaningless to of European ""'''''-''''''''1-'<br />
at the coexistence of national and European "'H.1L"1li)Jll1jJ'"<br />
1993: xii).<br />
W orin nun der Inhalt dieser europaischen Wie entwickelte<br />
er sich, und was ist seine politische Bedeutung im Rahmen der Unionsbiirgerschaft?<br />
Dies sind Fragen, die gestellt werden miissen, wenn die politische<br />
Sprengkraft dieser oft als rein formal bezeichneten Biirgerschaft bestimmt<br />
werden solI. Der folgende Abschnitt gibt eine kurze Zusammenfassung einer<br />
Fallstudie, die diesen Fragen nachgegangen ist, wieder.<br />
Die Geschichte der Biirgerschaftspraxis in der EG/EU begann in den siebziger<br />
Jahren, als von EG Politikerlnnen die Notwendigkeit einer europaischen<br />
Identitat angemahnt wurde. Debatten iiber eine solche Identitat<br />
fuhrten zum Ziel »besonderer Rechte« fur GemeinschaftsbiirgerInnen, 80-<br />
wie zum Aufbau einer »Passunion«. Beide Vorhaben zielten darauf ab, eine<br />
Identitat zu schaffen, die auf einem ZugehOrigkeitsgefuhl beruhte. Das<br />
zweiteilige historische Element der ZugehOrigkeit war somit Bestandteil<br />
der sich entwickelnden Staatsbiirgerschaftspraxis. Zunachst wurde der policy-Gegenstand<br />
der besonderen Rechte als mogliche juristische Regelung<br />
von Fragen der Mitgliedschaft mit Blick auf die Entwicklung einer europaischen<br />
Identitat<br />
wahrend der policy-Gegenstand der Passunion,<br />
die den Biirgerlnnen die<br />
eines gemeinsamen Passes iiber offene<br />
interne Grenzen hinweg ermoglichen sollte, auf die Schaffung eines<br />
ZugehOrigkeitgefuhls abzielte (identitatsbezogene Bindungen). Der nachste<br />
Abschnitt der Unionsbiirgerschaftspolitk in den achtziger Jahren stand im<br />
Zeichen einer Entwicklungsphase der Gemeinschaft, in welcher die Ermoglichung<br />
einer zunehmenden grenziiberschreitenden Mobilitat von Arbeiter-BiirgerInnen<br />
als Voraussetzung fur wirtschaftliche Flexibilitat angesehen<br />
wurde. Die Freiziigigkeit verschiirfte die Diskrepanz zwischen 80-<br />
zialer und politischer Gleichheit zwischen »Auslandern« und »Staatsange-
(Staats)Burgerschaft ohne Staat 507<br />
hOrigen«. Die<br />
Konnnission formulierte dies toIgellde:rmtaJ.:Ien:<br />
»[t]his situation - seemingly incompatible with the idea of European Union - has given rise to<br />
two conflicting positions. [One is that] foreign residents are campaigning for voting rights in<br />
the municipality or residence since they have the same duties and obligations as national residents.<br />
[The other is that] member States are refusing to drop nationality as the essential criterion<br />
for granting the right to vote.« (Bulletin of the European Communities, Supp!. 7, 1986: 6)<br />
Ein zunehmendes Offentliches BewuBtsein eines »demokratischen Defisowohl<br />
im instititutionell<br />
als auch im normativ substantiellen<br />
stellten die Frage der Partizipation in den V ordergrund der<br />
EG-Biirgerschaftspolitik. Der Konflikt zwischen funktional angelegten<br />
Bediirfnissen der Wirtschaftsintegration und normativen<br />
und Gleichheitsforderungen fUhrte zu VorschHigen,<br />
onsmoglichkeiten zu verbessem, einen einheitlichen Pass einzufUhren<br />
Ratsbeschluss OJ EC, No. C 19.9.8 sowie zur Verabschiedung der<br />
»Connnunity Charter of Fundamental Rights for W orkersK 27 F orderungen<br />
nach verbesserten Mitwirkungsmoglichkeiten, sowohl in politi scher als<br />
auch in sozio-okonomischer wurden im geanderten politischen<br />
Kontext der neunziger Jahre verstarkt geauBert. Sie fUhrten zur Aufnahme<br />
politi scher Biirgerrechte in Artikel 8 EG-Vertrag, der Herstellung von<br />
Freizugigkeit von Personen und der Niederlassungsfreiheit, nicht nur fUr<br />
ArbeitnehmerInnen und deren Familien, sondem auch fUr andere Personen,<br />
die die Bedingungen der wirtschaftliehen Sieherheit und der Nationalitat<br />
erfUllten.<br />
Ohne dies im Detail weiterzuverfolgen, kann festgehalten werden, daB die<br />
Unionsbfugerschaft mehr als lediglich eine Ansannniung formaler Rechte<br />
bedeutet. Vielmehr laBt sich feststellen, daB die sich entwickelnde Biirgerschaftspraxis<br />
Rechte, Zugang und ZugehOdgkeit, historische Elemente, die<br />
veranderbar sind, in bestinnnter Weise konstruiert hat (Meehan 1993;<br />
Wiener 1995). Die Untersuchung europaischer Biirgerschaftpraxis aus 80-<br />
zialgesehichtlicher Perspektive fuhrt zur Problematisierung def Identitat als<br />
eines der drei historischen Elemente von<br />
tierte Identitaten schaff en<br />
Wahrend die EG/EU Politik auf<br />
beide Arten von ""'UFo"'CXV"Fo"',-,n<br />
deutung von den Entseheidungstragerlnnen zuerst anvisiert.<br />
Eine soIche Identitat wurde jedoch weder als nationale Identitat verstandie<br />
EG gemaB deren Nationalitat noeh zielte sie<br />
darauf ab, nationale Identitat dureh eine europaische zu ersetzen. Und aus<br />
def diskursiv differenzierten Staatsbiirgerschaftspraxis damber hinaus,<br />
daB sich die Schaffung von ZugehOrigkeit zur EG/EU in bezug auf die<br />
27 Vgl. COM(89) 568 final, die beim Treffen des Europaischen Rates in Strassburg (8.-9.<br />
Dezember 1989) angenommen wurde.
508 Anlje Wiener<br />
wirtschaftliche und politische Partizipation von Individuen herausbildete.<br />
Zu diesem Prozess gehOrten folgende zentrale Aspekte: (1) die Moglichkeit<br />
der Uberschreitung nationalstaatlicher Grenzen innerhalb der EG/EU<br />
durch ArbeitnehmerInnen, (2) die Grenziiberschreitung von Reisenden, die<br />
an Binnengrenzen den Grenzposten lediglich mit dem ungeOffueten Pass<br />
winkten (die sogenannte »Bangemann wave«), (3) der wissenschaftliche<br />
Austausch von ForscherInnen und StudentInnen, (4) die gemeinsame Wahl<br />
des europaischen Parlaments durch alle UnionsbiirgerInnen, (5) geteilte<br />
Regierungsverantwortung auflokaler Ebene.<br />
ZugehOrigkeit wurde also in der Tat schrittweise und gruppenweise geschaffen<br />
und von einem Bereich auf den nachsten ausgedehnt. Wahrend<br />
die friiheren Bestrebungen, eine europaische Identitiit uber besondere<br />
Rechte zu schaffen, auf dem AusschluBprinzip basierte, da diese Rechte<br />
ausschlieBlich durch Unionsbiirger beansprucht werden konnten, kann die<br />
Entwicklung der Staatsbiirgerschaftspolitik in den letzten zwanzig Iahren<br />
treffender als eine Politik, die auf die verschiedenen Gruppen innerhalb der<br />
EGIEU ausgerichtet war, charakterisiert werden. Es kann in der Tat festgestellt<br />
werden, daB Staatsbiirgerschaftspolitik nicht eine auf besonderen<br />
Rechten basierende, einheitliche europaische Identitat, sondem eine VielfaIt<br />
spezialisierter Rechte hervorgerufen hat, die somit zum Auftreten<br />
multipler Identitaten innerhalb eines gemeinsamen europaischen Rahmens<br />
beigetragen hat.<br />
Dieser kurze Uberblick uber die sich entwickelnde europaische Biirgerschaftspraxis<br />
baut auf der Beobachtung auf, daB die Dynamik der Staatsburgerschaftspolitik<br />
in einen zweifachen Rahmen von Wirtschaft und<br />
Polity eingebettet ist. Sie stUtzt sich auf die Errichtung des Binnenmarktes<br />
und auf Fragen der demokratischen Mitwirkung. Diese beiden Prozesse<br />
haben sich jedoch nicht im Gleichschritt fortentwickelt. Wahrend<br />
auslandische EU-Burger in einer Gemeinde an wirtschaftlichen, gesellschaftlichen<br />
und kuIturellen Aktivitaten teilhaben konnen, sind ihre politischen<br />
Partizipationsrechte stark eingeschrankt. Es darf deswegen<br />
nicht uberraschen, daB Studien zur europaischen Staatsburgerschaft eine<br />
Fragmentierung der Burgerschaftspraxis aufzeigen: Es ist fUr Unionsburger<br />
moglich, in einer Gemeinde eines bestimmten Mitgliedstaates zu<br />
wahlen und sich zur Wahl zu stellen, Krankenversicherungsbeitrage zu<br />
leisten, Sozialleistungen zu empfangen und ihren LebensunterhaIt zu<br />
verdienen, wahrend sie gleichzeitig in einem anderen Mitgliedsstaat an<br />
regional en und national en Wahlen teilnehmen und sich zur Wahl stell en<br />
konnen, Einkommensteuer bezahlen und die StaatsangehOrigkeit besitzen.28<br />
Schaubild 2 zeigt, wie die Staatsbiirgerschaftspolitik zur Erkla-<br />
28 Koslowski hiilt es fur sinnvoll, die )}segmentierte Biirgerschaft« in der EU mit den Verei-
(Staats)BiirgerschaJt ohne Staat 509<br />
~~~~--~--------------------------------------<br />
in der<br />
Schaubild 2:<br />
Recht auf:<br />
Wahlen<br />
Aufenthalt<br />
Niederlassung<br />
Petition<br />
zu:<br />
(a)<br />
EinwohnerIn,<br />
MigrantIn<br />
(iii) SteuerzahlerIn<br />
(b) legal<br />
(i) Nationalitat<br />
(ii) Ort<br />
Wenn wir der konzeptionellen Perspektive von Staatsburgerschaft, die in<br />
diesem Aufsatz gewahlt wurde, folgen, konnen die politischen Spannungen,<br />
die in der EU durch das ungleiche Verhaltnis zwischen politischen<br />
Rechten und einer Vorstellung von ZugehOrigkeit hervorgerufen werden,<br />
erklart werden. Die Einruhrung politischer Rechte rur Unions bUrger bedeutete<br />
die Institutionalisierung einer sich schrittweise entwickelnden<br />
Konzeption von ZugehOrigkeit als europeanness, die auf den fragmentierten<br />
Mitwirkungsmustem auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen<br />
Bereichen des Euro-Alltags aufbaute.29 Unionsburger sind nun - indirekt<br />
uber deren mitgliedsstaatliche Institutionen - an die<br />
gebunden.<br />
Diese bringen nicht Rechte in dem Umfang<br />
mit in dem sie sonst Bestandteil demokratischer Verfassungen<br />
sind. Die MinimalistInnen haben darauf wiederholt und zu Recht hingewiesen.<br />
Tatsachlich hat also die neue Festlegung<br />
Rechte mit den Maastrichter<br />
nicht nur positive, sondem auch<br />
nigten Staaten zu vergleichen (Koslowski 1994).<br />
29 Arbeiten, die sich dem entstehenden Stil politi scher Mobilisierung auf unterschiedlichen<br />
Ebenen der Eum-Polity widmen, finden sich vor aHem in Beitragen zum Thema Regieren<br />
im Mehrebenensystem (»multi-Ievel govemance«), beispielsweise bei Hooghe (1995),<br />
Bomberg (1996), Hooghe/Marks (1996).
510 Anlje Wiener<br />
negative Implikationen. Einerseits geniessen ehemalige Euro-AuslanderInnen<br />
inzwischen das gleiche Gemeindewahlrecht wie ihre MitbfugerInnen.<br />
Andererseits muB jedoch eine neuartige Diskriminierung zwischen UnionsbiirgerInnen<br />
und Nicht-UnionsbfugerInnen, die sich innerhalb der EU<br />
aufhalten und arbeiten, festgestellt werden (vgl. Schiesser 1995: 24).<br />
Wenn wir uns Schaubild 2 zuwenden, ergeben sich einige Anregungen fur<br />
das Hauptanliegen dieses Aufsatzes, namlich die Rekonzeptionalisierung<br />
der Unionsbfugerschaft dahingehend, Politikoptionen und -moglichkeiten<br />
(und/oder Einschriinkungen) aufzuzeigen, die sich :fur AngehOrige von<br />
Drittstaaten aus dieser neuen Geschichte der (Staats)Bfugerschaft ergeben.<br />
Erstens konnte diese Bfugerschaft auch AngehOrigen von Drittstaaten zuganglich<br />
gemacht werden, indem eine ortsbezogene Option als eine Voraussetzung<br />
der Unionsbfugerschaft in Betracht gezogen wird. Sie konnte<br />
Wahlrecht und Wahlbarkeit in Gemeindewahlen und Freiziigigkeit uber die<br />
Binnengrenzen der Union hinweg, einschlieBen, ohne sich jedoch in dem<br />
politisch sensiblen Thema der doppelten Staatsbfugerschaft zu verstrikken.<br />
30 Diese Ansicht wird vom europaischen Parlament und einer ganzen<br />
Reihe von Bfugerrechtsorganisationen geteilt. Bislang haben Bedenken der<br />
Mitgliedsstaaten in bezug auf eine mogliche Harmonisierung der Asyl- und<br />
Einwanderungsgesetzgebung eine derartige Ausweitung der Unionsbfugerschaft<br />
auf AngehOrige von Drittstaaten verhindert (vgl. Hailbronner 1995).<br />
Wenn jedoch liberal-demokratische Prinzipien die Grundlage der Polity<br />
darstellen, und wenn die Globalisierung von Miirkten weiter fortschreitet,<br />
dann wird ein Staatsbfugerschaftskonzept, das politische Rechte auf der<br />
Basis der Nationalitat und nicht auf der Basis ortsbezogener wirtschaftlicher<br />
und gesellschaftlicher Mitwirkungsfaktoren erteilt, eine Quelle politischer<br />
Spannungen bleiben.<br />
Die Einrichtung der Unionsbiirgerschaft als Institution innerhalb der Euro-Polity<br />
stellt einen ersten Schritt in Richtung einer Aufiosung dieser<br />
Spannungen dar. Das Dilemma politischen Ausschlusses ist auf der EU<br />
Ebene identifiziert und analysiert worden;31 neuartige politische Rechte<br />
sind an AngehOrige eines Mitgliedsstaates, die in einem anderen Mitgliedsstaat<br />
leben, verliehen worden. Wahrend der Artikel zur Unionsbfugerschaft<br />
zweifellos die Bedingungen der politischen Mitwirkung fur<br />
UnionsbfugerInnen verbessert, hat er jedoch gleichzeitig Anteil an der<br />
relativen Verschlechterung des politischen Status von EU-EinwohnerInnen,<br />
die nicht StaatsangehOrige eines Mitgliedstaates sind. Die dadurch ge-<br />
30 O'Keeffe stellt fest, »Union citizenship could be conferred on third country nationals lawfully<br />
resident in the Union. It would be made subject to the satisfaction of certain criteria,<br />
modelled on those required in nationallaw« (O'Keeffe 1994: IDS; vgl. auch McMahon<br />
1995).<br />
31 Zum »c1osure/disclosure« Konzept vgl. Brubaker (1989), Soysal (1994) und Bos (1993).
(Staats)Burgerschaft ohne Staat<br />
~~~~--~--------------------------------------<br />
schaffene Situation ist auf normativ-demokratischer Basis nicht vertretbar<br />
und und politisch instabil.<br />
1m Zuge des Inkrafttretens des Unionsvertrages im November 1993 wurden<br />
diese Personen ihrer in gesellschaftlichen,<br />
kulturellen und wirtschaftlichen Raumen und ihrer oft<br />
Arbeits-<br />
und<br />
uber Nacht zu »DrittauslanderInnen« gemacht.<br />
Sie genies sen in ihren Aufenthaltsorten weniger politische Rechte<br />
als StaatsangehOrige eines anderen Mitgliedsstaates, die dort das<br />
Recht zu wahlen und zu werden, in Anspruch nehmen konnen.<br />
Solange politische Biirgerrechte auf einer Nationalitatsbasis verliehen werwerden<br />
derartige Dilemmata von EinschluB und AusschluB daraus<br />
folgende Spannungen) fortbestehen. Urn diese Spannung in Angriff zu<br />
nellmen, wurde in diesem Aufsatz vorgeschlagen, den Begriff der Staatsburgerschaft<br />
radikal zu hinterfragen, das Konzept mit Bezug auf seine konstitutiven<br />
Elemente historisch zu rekonstruieren und Burgerschaft in Richtung<br />
auf die ortsbezogene Definition<br />
Burgerrechte konzeptionell<br />
neu zu uberdenken.<br />
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Die Neue<br />
Gesellschaft<br />
Frankfurter<br />
Refte<br />
DIE NEUE GESELLSCHAFT/FRANKFURTER HEFTE erscheint monatlich.<br />
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GESELLSCHAFT/FRANKFURTER HEI
Jane D.<br />
»Kanadierlnnen konnen sich nicht auf eine gemeinsame Religion oder Ethnizitat oder auf<br />
Jahrhunderte von Mythen und Legenden beziehen, urn eine einfache Antwort auf die Frage<br />
nach der national en ldentitat zu bekommen ... die Offentliche Krankenversicherung hat den ...<br />
en011llen Vorteil eines konkreten, praktischen Beispiels gemeinschaftlichen Staatsbiirgerrechts.«<br />
(Valpy 1996)2<br />
»Der Gesundheitsminister [von Ontario] Jim Wilson sagte bei Anhiirungen in Toronto, daB er<br />
nicht die Absicht habe, die quietschenden Rader 'besonderer Interessen', die von den Krankenversicherungs(provisionen)<br />
des Gesetzes betroffen waren, zu olen. 'Die Regierung wird<br />
nicht denen, die am lautesten sehreien, eine Sonderbehandlung zukommen lassen .. .' Roxanne<br />
Felice sehreit nieht, aber sie findet, daB def Staat ihr trotzdem zuhoren sollte. Sie g!aubt nicht,<br />
daB ihr gemeinnUtziger Sozialdienst, den sie in Niagara Falls !eitet, eine besondere Interessengruppe<br />
ist, befurchtet aber, daB er als solehe angesehen wird. 'Ich glaube, Gruppen werden oft<br />
als besondere lnteressengruppe abgestempelt, aber ich denke, daB Leute Gruppen bilden, wei!<br />
sie iiffentliche Interessen haben.'« (Campbell 1996: Dl)<br />
Warum rufen Kurzungen und Reform des kanadischen Krankenversicherungssystems<br />
Bedrohungen nationaler Identitat und Auseinandersetzungen<br />
uber staatsburgerliche Teilhaberechte hervor? Warum stehen die Grundlagen<br />
von Staatsburgerschaft - nationale Identitat, soziale Rechte, Demokratie<br />
- in dem Moment zur Debatte, da Bundesregierung und Provinzen<br />
anfangen, die Finanzierungsweise und die Schliessung von Krankenhausem<br />
zu diskutieren? Diese Fragen sollen mittels einer Analyse der gegenwi:irtigen<br />
Veranderungen des kanadischen Staatsbfugerschaftsregimes<br />
beantwortet werden. Die ausgewahlten aber typischen Zitate der<br />
kanadischen »Nationalzeitung« sollen daher als<br />
der Untersuchung<br />
dienen.<br />
Die im zweiten Zitat erwahnten Offentlichen AnhOrungen sind von der<br />
konservativen Regierung Ontarios im Januar 1996 organisiert worden. Die<br />
Regierung sah sich nach einer vehementen Kritik der Opposition gegen die<br />
Dieses Papier wurde auf der Konferenz zu Social and Political Citizenship in a World of<br />
Migration, im Rahmen des European Forum am Europaisehen Universitatsinstitut in Florenz,<br />
Italien, 22.-24. Februar 1996 vorgestellt.<br />
2 Dies sind die Worte eines Okonomen, Lars Osberg, die Valpy zustimmend zitiert.<br />
PROKLA. Zeitschrififur kritische Sozialwissenschaft. H~ft <strong>105</strong>, 26. Jg. 1996, Nr.4, 515-542
516 Jane Jenson, Susan Phillips<br />
Omnibus Bill die im November 1995 verabschiedet worden war,<br />
zu dieser Aktion gezwungen. Dieses Gesetz war<br />
».oo dazu bestimmt, der Regierung Flexibilitat im Umgang mit Ontarios hartnackigem Haushaltsdefizit<br />
zu verleihen. Es sah vor, Queen's Park [die Provinzregierung] zu ermachtigen,<br />
Arzten vorzuschreiben, wo sie praktizieren konnten, sowie die Schliessung von Krankenhausern<br />
einzuleiten. Gemeinden sollten das Recht zur Erhebung neuer Steuern sowie zur Angleichung<br />
von Lizenzgebiihren erhalten. Auflerdem war die Deregulierung von Medikamentenpreisen<br />
... geplant.« (Campbell 1996: 01)<br />
- Liste beabsichtigte die<br />
unljs3,tzllCDle Umgestaltung der Gewalten einzuleiten: zwischen Regle;rulllg~;ebenlen,<br />
zwischen Staat und BfugerInnen und zwischen Offentlichem<br />
und Sektor. Auf def Basis solcher »Flexibilitat« milJ3te die<br />
Regierung bei einer ganzen Reihe von Eingriffen die Legislative nicht<br />
mehr konsultieren. Mehr als 1200 Zeuglnnen hatten sich rur die AnhOrungen<br />
lassen, nur 367 wurden zugelassen.<br />
Obwohl dieser Vorfall nur eine von 10 kanadischen Provinzen betrifft, ist<br />
er beispielhaft rur die Veranderungen des Staatsburgerschaftsregimes, die<br />
in den 90er Jahren im ganzen Land stattfanden. Vor zwei Jahrzehnten war<br />
die Situation eine ganz andere. Das kanadische Staatsbilrgerschaftsregime,<br />
wie es sich in der Nachkriegszeit herausgebildet hatte, umfaBte Mitte der<br />
70er Jahre landesweite Institutionen, die die BurgerInnen als individuelle<br />
»KanadierInnen« ansprach und damit rur einige kurze Dekaden ganz Ka··<br />
nada zu einem einzigen politischen Raum mit dem sich die BilrgerInnen<br />
identifizieren konnten.3 Gleichzeitig gab es jedoch auch eine programmatische<br />
Anerkennung besonderer Kategorien von BilrgerInnen und<br />
damit eine Legitimitat rur die intermediaren Verbande der Zivilgesellschaft,<br />
die diese besonderen Interessen reprasentierten.4<br />
Die Herausbildung dieses Regimes begann bereits in den Kriegsjahren.<br />
Seine ausgereifteste Form erreichte es mit der Charter of Rights and Freedoms,<br />
die 1982 in die Verfassung eingerugt wurde (Campbell 1996:<br />
Das Staatsburgerschaftsregime wurde in verschiedener Weise institutionalisiert,<br />
am deutlichsten durch die Verfassung und die zugehOrigen Dokumente<br />
wie den Citizenship Act. Jedoch haben auch die staatliche Burokratie,<br />
beratende fOderale und andere Institutionen<br />
insbesondere das Parteiensystem diskursiv und praktisch zu diesem<br />
Regime beigetragen.<br />
Obwohl die Normen des Regimes definitiv institutionalisiert und durch eine<br />
Reihe von Verbands- und Staatspraktiken materialisiert waren, blieben<br />
3 Dem ging ein Staatsbiirgerschaftsregime voraus, das sich als eines von »InselcGemeinschaften«<br />
beschreiben liiBt, siehe Jenson (1991).<br />
4 M.a.W., kanadische Politik driickte we it weniger Befiirchtungen vor dem »mischief of<br />
faction« aus als zooB. in den USA vorherrschen. Siehe dazu Cohen/Rogers (1995).
StaatsbUrgerschaJtsregime im Wandel 517<br />
Sle me<br />
Die Definitionen von Nation und ge:sarntl~:anadischer<br />
Identitat wurden zumindest seit den 60er Jahren von den nationalistischen<br />
..., ../->,•••, .•• Volkem AuBerdem<br />
vrnnnlPrll1nlYP,.., und die traditionelle Rechte die aktive<br />
Rolle des Staates ab,<br />
Nichtsdestotrotz es tiber eine Reihe von Jahrzehnten einen bemerkenswerten<br />
Konsens uber die Konstruktion der<br />
also<br />
iiber die Normen und die das Verhaltnis von Staat und Geselldie<br />
von Ein- und Ausschluss und die Grenzen des<br />
Nationalen regulierten, Diesen Konsens gibt es inzwischen nicht mehr. Er<br />
ist durch die<br />
iiber die okonomische Umund<br />
die<br />
mung des<br />
Raums infolge nationalistischer Auseinandersetzungen<br />
aufgebrochen worden. Die Politik des Neoliberalismus, die im Staat wie<br />
in der<br />
fest verankert 1st, liefert viele der<br />
mit denen Staatsbiirgerschaft heute neu konstituiert wird.<br />
Diese Veranderung des kanadischen Staatsburgerschaftsregimes steht im<br />
IVlJ.W.,l[.HUU" des vorliegenden Aufsatzes. Das Regime, dag sieh naeh dem<br />
Zweiten Weltkrieg herausgebildet hatte, war dureh eine breite und koharente<br />
institutionelle Verbindung zwischen Staat und BurgerInnen gepragt.<br />
Als Reaktion auf die okonomischen und politisehen Bedingungen des spaten<br />
zwanzigsten Jahrhunderts wurde dieses Regime abgebaut und neu konstituiert.<br />
Statt Gleichberechtigung wird jetzt die Starkung von marktwirtsehaftliehen<br />
Strukturen angestrebt. Damit reduziert sich der Raum erhebin<br />
dem BiirgerInnen gemeinsam, sozial und politisch handeln kennen.<br />
Die Anerkennung der Legitimitat und Notwendigkeit von intermediaren<br />
Verbanden, welche die Kluft zwischen den formalen Staatsburgerschaftsrechten<br />
und dem tatsachlichem Zugang zu denselben verringem sollen,<br />
nimmt deutlich abo wurde die breit geteilte<br />
daB def Staat eine aktive Rolle bei der Uberwindung dieser Kluft<br />
sollte, durch die waehsende Unterstiitzung fur neoliberale Definitionen von<br />
Staat und<br />
Trotzdem bleiben in dieser<br />
noch andauemden Rekonfiguration des Staatsburgersehaftsregimes die Positionen<br />
interessanterweise offen, denn demokratisehe Staatsbiirgerrechte<br />
sind immer noch ein bedeutendes und mobilisierendes Konzept innerhalb<br />
der Zivilgesellsehaft. Ein Beispiel dafur ist Frank Gue, ein Sprecher der<br />
Coalition Burlington Inc., einer Gruppe, deren fiskalischer Konservatismus<br />
sie eigentlich zu narurlichen Verbundeten der Regierung machen<br />
sollte. »Reform«, erklarte er Mitgliedem des Provinzparlaments im<br />
Hinblick auf Bill 26, »ist effektiv, wenn sie mit dem Yolk, nicht fur es gemacht<br />
wird« 1996, D3).
518 Jane Jenson, Susan Phillips<br />
1. Stllatsbi.i.rll:en;chaft:sn~gilme: Raum und Stabilitat und Wandel<br />
Die Arbeit historischer Soziologlnnen hat von den Untersuchungen Marshalls<br />
am Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu der jilngsten »Interessenexplosion«,<br />
die von und Norman (1994: 352) beschrieben<br />
gezeigt, daB eine soziale Konstruktion die ilber<br />
Raum und Zeit variiert. Wie viele<br />
Marshall eingeschlossen,<br />
bemerkt war die von ihm dargestellte Geschichte der Zunahme zipolitischer<br />
und sozialer Rechte britische Geschichte.5 Andere Lander<br />
hatten eine andere Geschichte. Eine zweite Lehre Marshalls ist die Idee<br />
vom zeitlichen Wandel der Staatsbilrgerschaft. Seine Geschichte handelt<br />
von neuen die werden, und von neuen die Zugang<br />
zur Staatsbilrgerschaft erreichen, sowie von Definitionen von Gemeinschaft,<br />
die sich mit der Zeit verandem.<br />
Mit diesen beiden Einsichten Marshalls als Grundlage steht das Konzept<br />
von Staatsbilrgerschaft auf zwei - theoretischen - Beinen. Erstens ist<br />
Staatsbilrgerschaft eine historische Konstruktion, ihre Form daher veriinderbar.<br />
Von den Formen cler Staatsbilrgerschaft sind dann auch die besonderen<br />
politischem Auseinandersetzungen, Entwicklungsprozesse und InstitutionengefUge<br />
wie auch die zeitlich bestimrnte Erlangung von Rechten<br />
beeinfluBt. Da die Idee der Staatsbilrgerschaft parallel mit den modemen<br />
Staaten entstand, ist der Raum, in dem diese Auseinandersetzungen ausgetrag<br />
en sowie Institutionen und Rechte etabliert wurden, bis heute in nationalen<br />
Grenzen eingebunden. Insofem konnen wir von Staatsbilrgerschaftsregimen<br />
genauso wie von W ohlfahrtsstaatsregimen sprechen; das Staatsbilrgerschaftsregime<br />
formt die institutionellen Arrangements, die Regeln<br />
und die Konzeptionen, die im Hinblick auf gegenwiirtige Policy-Entscheiclungen,<br />
Staatsausgaben und Problemdefinitionen von Staaten und<br />
BilrgerInnen sowie fUr die Forderungen der BilrgerInnen einfluBreich<br />
sind.6<br />
Ein Staatsbilrgerschaftsregime beinhaltet die Repriisentation von IdentiHiten,<br />
der »nationalen« wie auch derjenigen der »Modellbilrgerln« und der<br />
»Nicht-Burger/in«. Es enthiilt zusiitzlich Repriisentationen def gewohnli-<br />
5 Marshall selbs! hat dies sehr deutlich gemacht, siehe z. B. Marshall (1965:91). Die weitverbreitete<br />
Ansicht, daB er die von ihm dargestellte Entwicklung als eine allgemeine Geschichte<br />
der »Modernisierung« ansah, ist eher denen zu verdanken, die ihn popular machen<br />
wollten. Siehe z. B. Lipsets Einfiihrung in die Anchor Collection (Marshall, 1965),<br />
die Marshall in die Modemisierungsliteratur einordnet.<br />
6 Diese Definition ist eine modifizierte Version der Definition des Wohlfahrtsstaatsregimes<br />
in Esping-Anderson (1990:80). Obwohl wir die Definition Esping-Andersens iibemommen<br />
haben, ist es wichtig darauf zu verweisen, daB unser Aufsatz eine Fallstudie ist und<br />
keine Festlegung von Regimetypen anstrebt. Der Vergleich mehrerer Typen von Regimen<br />
war dagegen der Ausgangspunkt von Esping-Andersons Analyse.
Staatsbiirgerschaftsregime 1m Wandel 519<br />
----~--~--~------------------------------------<br />
chen und sozialen Verhaltnisse zwischen und innerhalb dieser<br />
Kategorien, wie auch der Grenzen des<br />
und des<br />
»Privaten«.7<br />
Diese Reprasentation von Identitaten und sozialen Verhaltnissen stell en die<br />
Grundlage von Anspruchen der BurgerInnen dar. Durch die Reprasentation<br />
ihrer Identitat k6nnen Gruppen und Individuen sich selbst und andere sowie<br />
die Interessen verstehen. Dabei auch der Staat eine<br />
wichtige Rolle, da er die Macht hat, BurgerInnen im allgemeinen wie auch<br />
unter besondearen Kategorien anzuerkennen. Auf dieser Basis kann def<br />
Staat dann die Anspriiehe von BurgerInnen verhandeln.<br />
Das zweite theoretisehe Standbein des Staatsburgersehaftsregimes baut auf<br />
den Vorstellungen uber Stabilitat und Wandel sozialer Verhaltnisse<br />
wie sie insbesondere von der Regulationsschule entwickelt wurden. Ohne<br />
diesen Ansatz im Detail zu beschreiben, geniigt es festzustellen, daB RegulationistInnen<br />
von einer gewissen Stabilitat sozialer, okonomiseher und<br />
politischer Grundverhaltnisse ausgehen, die uns erlauben, von der Existenz<br />
von Regimen zu spree hen. Mit dem Eintreten einer Krise - die grundsatzlich<br />
als eine Zunahme der immer prasenten Widerspruche eines Regimes<br />
definiert wird - kann es zu einem tiefgreifenden Wandel und einer Neuorientierung<br />
kommen. Ordnungs- und Legitimationsprinzipien konnen dabei<br />
zusammenbreehen und andere Konzeptualisierungen ermoglichen. Inhalt,<br />
Richtung und die langfristige Stabilitat einer solchen Bewegung sind jedoch<br />
nicht von vomherein festgelegt, sondem das Produkt konkreter Auseinandersetzungen<br />
an bestimmten Orten (Lipietz 1987, Boyer 1986, Jenson<br />
1989a).<br />
Dementsprechend konnen auch Staatsburgerschaftsregime nur als Festschreibung<br />
dnes allgemeineren Modells von Staatsburgerschaft an bestimmten<br />
Orten und im Wechselverhaltnis mit einer allgemeinen Regulationsweise<br />
existieren. Genauso, wie wir von »Fordismus« nur abstrakt sprechen<br />
k6nnen und die jeweilige Form des Fordismus zu verschiedenen<br />
Zeitpunkten bestimmen mussen, nimmt auch ein allgemeines Modell von<br />
Nachkriegsstaatsbiirgerschaft in jedem einzelnen Fall untersehiedliche<br />
Formen an. 8 Jedes Staatsburgerschaftsregime entsteht aus den politisehen<br />
Zusammenhangen eines nationalen Staates heraus.9<br />
7 Ausfuhrlich werden diese Argumente in Brodie/Jenson (1988: Kapitel I) und Jenson<br />
(I 989b ) entwickelt.<br />
8 Zur Variabilitat des »Fordismus« und der spezifischen Charakteristika von Kanadas<br />
durchlassigem Fordismus, siehe Jenson (I 989a),<br />
9 Offensichtlich stellt die Entstehung supranationaler politi scher Einheiten mit Staatsburgerschaftsvorgaben,<br />
wie zum Beispiel die Europiiische Union mit dem Maastrichter Vertrag<br />
diese Behauptung zukunftig in Frage (Meehan 1993, Wiener 1995). Daruber hinaus<br />
sind Menschenrechtsbewegungen und andere transnationale Krafte dabei, ein alternatives<br />
Modell von Mitgliedschaft hervorzubringen.
520 Jane Jenson, Susan Phillips<br />
Als stabil kann man ein Regime uc"",,,,uVvU, in dem der offiziell erkHirte<br />
und der erwartete Status so daB die def<br />
durch den Staat<br />
a~rp01mp:n im GroBteil von Westeuropa<br />
existierte eine<br />
Dieses<br />
dell war »sozialdemokratisiert«. Re:prilsent~ltl war urn und durch klasseribezo!~ellie<br />
Akteure V'5U'''0'V' Eine urn die Produktion zentrierte Politik<br />
war bestimmend fur die Praxis der sozialdemokratischen Nordischen Uinder<br />
wie auch fur die Lander Soziale<br />
Rechte fUr die die in den meisten Landem durch<br />
wurde. Die Rechte anderer<br />
von BurgerInnen existierten als eine<br />
von dieser<br />
Grundform. Andere Lebenssituationen wurden auf diese Grundform bezogen:<br />
so es Renten rur »alte« Arbeiter; Arbeitslosengeld fUr<br />
»ohne Arbeit«; und fUr die und<br />
Arbeiter«.<br />
die nicht auf die entlohnte Arbeit bezogen wurden<br />
(Kinder gebaren und aufziehen zum Beispiel) wurden entweder durch ein<br />
getrenntes - und unterbewertetes - Programm oder als Zuschlag fUr die<br />
»Familien von Arbeitem« eingestuft. Dieses kam in die Krise, als<br />
es nicht Hinger m6g1ich war, aIle Widerspriiche aufzufangen, die daraus redaB<br />
der entlohnte (mannliche) Arbeiter nicht mehr als<br />
Staatsburgerschaftsnom1 konnte. Sowohl okonomische Umstrukturierungen<br />
als auch die Forderungen neuer Gruppen nach<br />
trugen<br />
zu einer Verschiebung der verschiedenen Repdisentationen beL Das<br />
wurde daher in den letzten beiden Jahrzehnten<br />
gnmasatZ!H;nen Umgestaltung - der »Krise des Fordismus« -<br />
U11\-,~a·C"'l'vl1 verandert.<br />
verandert sich ein Staatsburgerschaftsregime weder noch<br />
VUlvlJLllV~. In Zeiten okonomischer und fYV1.H"'YH'vl<br />
otr.,lrtnrlPn.no- def Rolle des<br />
die Definitionen des »Nationalen« wie<br />
verschieben. 10 uc
Staatsbiirgerschaftsregime im Wandel 521<br />
Die theoretische Annahme der<br />
daB das<br />
dieser Auseinandersetzungen um neue ldentitaten und<br />
nie im voraus festliegt. Wahrend man einerseits erwarten daB die historisch<br />
geschaffenen<br />
und das institutionalisierte<br />
Einflu13 auf die Entwicklungsrichtung haben ist es andererdaB<br />
die Krisenpolitik desselben Entverlauft.<br />
Umbruch und<br />
sind HRI;.(U"ll.<br />
Daher konnen nur Fallstudien daruber AufschluB geben, ob und wie sich<br />
moglicherweise allgemeine Muster herauskristallisieren. Ais<br />
dazu prasentiert dieser Aufsatz den Zerfall des kanadischen U",«""VCH!',""<br />
der<br />
2. Die von<br />
Grob verallgemeinernd kann man sagen, daB<br />
ein<br />
stem von Einschlu13 und Ausschlu13 etabliert. Sie definiert Grenzen, indem<br />
sie den Staatsburgerschaftsstatus der Eingeschlossenen anerkennt und ihn<br />
den Ausgeschlossenen verweigert. Diese Feststellung von innen und auBen<br />
fuhrt direkt zu zwei weiteren Dimensionen von Staatsburgerschaft: Staatsbiirgerschaft<br />
als Zuschreibung von Rechten und Staatsbiirgerschaft als<br />
Grundlage des Gefuhls von ZugehOrigkeit zu einer besonderen Gemeinschaft<br />
(KymlickaINorrnan, 1994:352). Einige Studien zur Staatsbiirgerschaft<br />
haben EinschluB und Ausschlu13 auf die politische Grenze del' Nationalitat<br />
bezogen (BurgerIn eines<br />
12 Abgrenzungen sind jedoch<br />
nie auf nationale Grenzen eingeschrankt geblieben. Interne Abgrenzungen<br />
haben schon citizens, Personen, die aIle Burgerrechte inne hatten,<br />
von nationals mit eingeschrankten Rechten, also einer Art »zweiter<br />
Klasse Burgerln«<br />
13 Diese internen Unterschiede zeigen, wie<br />
11 Diese drei Dimensionen von Staatsbiirgerschaft sind von Wiener (1995) iibemommen.<br />
12 Dies ist ein Element von Staatsbiirgerschaft, das Brubaker (1992) anspricht und dabei<br />
grundsatzlich die beiden Konzepte von Staatsbiirgerschaft und Nationalitiit als iiberlappend<br />
darstellt. SoysaJ (1994) konzentriert ihre Studie aueh auf Nationalitat, jedoch mit der<br />
Intention, die Durchlassigkeit von Staatsbiirgerschaftsregimen gegeniiber Nicht-Biirgerlnnen<br />
in Landem mit Gastarbeiterlnnen zu demonstrieren.<br />
13 Verschiedene Untersuchungen haben die rechtliche Dimension von Staatsbiirgerschaft<br />
noeh weiter spezifiziert, um so das AusmaB von Ungleichheit oder eine Hierarchie von<br />
Rechten innerhalb desselben Staatsbiirgerschaftsregimes zu bestimmen. Die Grundfrage<br />
ist dabei, welche Biirgerlnnen haben Zugang zu welchen Rechten. Auch der reale Zugang<br />
zu dem verfassungsmassig definierten Ideal >>universeller Rechte« wurde untersucht. So<br />
zeigten z. B. Studien zu Staatsbiirgerschaft und Geschlecht die ungleiche Verteilung sozialer<br />
Staatsburgerschaftsrechte durch Wohlfahrtsstaatsregime, die den miinnlichen Erniihrer<br />
als Modellbiirger betrachteten (Hemes 1987). Es resultieren auch Unterschiede<br />
daraus, daB einige Sozialprogramme als Staatsbiirgerschaftsrechte definiert wurden, wahrend<br />
andere Programme ehef als Hilfe oder WohlfahrtsmaBnahme betrachtet wurden<br />
(Nelson 1990),
522 Jane Jenson, Susan Phillips<br />
die verschiedenen Formen der<br />
von<br />
sind.<br />
Viele<br />
tiber die Identitatsdimension von<br />
gehen von der Annahme aus, daB die Staatsburgersehaftspraxis ein GefUhl<br />
von unter den auslOst, als eine<br />
Art von Dankbarkeit. Tatsaehlieh wurde seit dem 19. Jahrhundert vielfach<br />
angenommen, daB die Ausdehnung politischer und mehr noeh sozialer<br />
Reehte, die in der Staatsburgersehaft eingeschlossen sind, den revolutionaren<br />
Drang der Arbeiterklasse beruhigen wiirde. Die Begriindung von Identitat<br />
erfolgt hier iiber Reehte: Zugang zu Rechten wird ein GefUhl von ZugehOrigkeit<br />
schaffen. 14<br />
Eine solche Formulierung jedoeh zu um den Inhalt staatsbiirgerlicher<br />
Identitat zu beschreiben.Wie erkennen wir eine BiirgerIn? Wie<br />
sieht eine ModellstaatsburgerIn in unterschiedlichen Staatsbiirgersehaftsregimen<br />
aus? Was ist die Modellbeziehung zwischen Biirgerlnnen und<br />
Staat? Das Schweigen iiber solche Fragen ist zweifellos auf drei Tendenzen<br />
zuriiekzufUhren: Staatsbiirgerschaft gilt als nationenbildend, daher<br />
wird angenommen, daB eine »nationale« Identitat aus der Ausdehnung<br />
von Reehten resultiert; »universelle« Forderungen des Staatsbilrgerschaftsdiskurses<br />
werden fUr die Realitat gehalten, ohne daB man sich Reehensehaft<br />
darilber ablegt, daB BilrgerInnen zweiter-Klasse existieren<br />
konnten; und eine »gesellschaftszentrierte« Staatstheorie verstellt den<br />
Blick auf mogliche »Interessen des Staates« an besonderen Reprasentationen<br />
staatsbilrgerlicher Identitaten. 15 Wenn wir zu verstehen beginnen,<br />
daB Staatsbilrgerschaft weit mehr als eine Abgrenzung zwischen NationalbiirgerInnen<br />
und nicht-NationalbilrgerInnen bedeutet, daB Unterschiede<br />
zwischen BilrgerInnen bestehen und daB staatliehe Institutionen<br />
an der Politik der Anerkennung sind, dann milssen<br />
wir uns fragen, unter welehen Umstanden der Staat die Reprasentation<br />
seiner BilrgerInnen andern und wann sieh staatsbilrgerliche Ansprilche<br />
verandern.<br />
14 Genau diese FOlmulierung wurde von den Institutionen der Europaischen Union angewandt,<br />
die seit den 70er Jahren explizit an einem Konzept fur eine gemeinsame Staatsbiirgerschaft<br />
als die Union stiitzender Strategie gearbeitet haben (Wiener 1995: Kapite13).<br />
15 Sozialdemokraten verschiedener Couleur haben am ehesten Staatsbiirgerschaftspolitik als<br />
eine »politische Auseinandersetzung« angesehen, die nonnalerweise von der organisierten<br />
Arbeiterlnnenklasse gefuhrt wird. Aber klassische MarxistInnen, die wenig Interesse<br />
an »Staatsbiirgerschaft« gezeigt haben und den Staat als »bestes politisches Gehiiuse fur<br />
den Kapitaiismus« betrachtet haben, sahen Rechte lediglich als Belange der biirgerlichen<br />
Gesellschaft. Zwar wurden einige Korrektive dieser Sichtweise angeboten, denoch gibt es<br />
relativ wenig Reflexionen zu der Frage warum der Staat daran interessiert sein kiinnte,<br />
seine Anerkennung bestimmter Identitaten zu veriindem.
Staatsburgerschaftsregime im Wandel 523<br />
1m vorliegenden Aufsatz suchen wir nach der Art und Weise, in der staatliche<br />
Institutionen - sowohl intendiert als auch nicht-intendiert - eine Politik<br />
der Anerkennung betreiben. Tatsachlich beinhaltet die staatliche Festlegung<br />
von Rechten und Zugangen, daB der Staat an der Reprasentation von<br />
BfugerInnen untereinander teilhat. Staatliche Institutionen haben jedoch<br />
nie die Macht, diese Identitaten zu »etablieren«. Ansprtiche auf Anerkennung<br />
werden in der Zivilgesellschaft gebildet, oft in Form von Forderungen<br />
nach veranderten Machtverhaltnissen. Der Staat kann solche Ansprtiche<br />
anerkennen und dadurch einige Identitaten festigen, aber die Identitat<br />
bleibt Besitz der AnspruchstellerIn und wird durch eine kollektive Politik<br />
geschaffen (vgl. Jenson 1991).16<br />
In Kanada, wie auch in vielen anderen Landern, ist das Staatsburgerschaftsregime<br />
in der Krise und wird unter Druck umstrukturiert. Die neuen<br />
Bedingungen sind deutlich andere als in Marshalls Welt, die die bertihmten<br />
dreifachen Rechte etabliert hatte. Sie sind sogar verschieden von der Welt,<br />
in der soziale Bewegungen eine differenzierte Staatsbiirgerschaft zu schaffen<br />
versuchten. Mehr als ein Jahrzehnt neokonservativ gepragter Politik hat<br />
neue Definitionsangebote fUr eine marktorientierte und individualisierte<br />
Staatsbfugerschaft hervorgebracht.<br />
3. Gleichberechtigte Staatsbiirgerschaft:<br />
Anerkennung von Kategorien, Offnen von Zugang<br />
Das kanadische Staatsburgerschaftsregime war ein integrierter Teil des<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg vorherrschenden Entwicklungsmodells.<br />
Wie bei zahlreichen anderen Industrielandern auch war das kanadische<br />
Modell ein fordistisches, allerdings eines, das ungewohnlich offen gegenuber<br />
den Auswirkungen der international en Wirtschaft war. AuBerdem<br />
war es weniger sozialdemokratisiert als viele europaische Staatsburgerschaftsregime<br />
(Jenson 1989a). Die besondere Pragung dieses Modells<br />
ist auf einen Wandel der Machtverhaltnisse zwischen Bund und<br />
Provinzen zurtickzuflihren. Als Ergebnis der Finanzkrise der Provinzen<br />
in den 30er Jahren und den Anforderungen der Kriegsmobilisierung<br />
konnte die bundesstaatliche Ebene in Wirtschaft und Gesellschaft weit<br />
mehr Autoritat als je zuvor gewinnen. Daher war sie in der Lage, den kanadischen<br />
W ohlfahrtsstaat einschlieBlich des Staatsbfugerschaftsregimes<br />
zu formen sowie neue soziale Rechte zu etablieren, was in zwei Schuben<br />
16 Dies wird hier hervorgehoben, da es in der kanadischen Politikwissenschaft eine starke<br />
Tendenz gibt, die gegenwiirtige Spannbreite der Anspriiche von AkteurInnen an staatliche<br />
Politik fast ausschlieBlich auf das Handeln von Staatsinstitutionen zuriickzufiihren. Siehe<br />
z. B. Cairns (1995: 182, 190,202), der die gegenwiirtige Art von Identitiitspolitik auf die<br />
Charta zuriickfiihrt. Die These von Pals (1993: 279) ist, daB der Staat durch das Innenministerium<br />
die Gruppenidentitiiten schafft, indem er die Gruppen unterstiitzt.
524 Jane Jenson, Susan Phillips<br />
in einem zu del' 40er Jahre und einem weiteren in den<br />
60er lahren.17<br />
Die<br />
Regelung del' kanadischen Staatsbiirgerschaft im »Citizen-<br />
Act« von 1946 fiel in die ersten Jahre des fordistischen Entwicklungsmodells.<br />
18 Die Turbulenzen der okonomischen und<br />
Bedingungen<br />
zu den AnstoB zu der eines<br />
der das Staatsburgerschaftsregime uber die<br />
nachsten vier Dekaden hinweg bestimmte (Bourque/Duchastel LE.)<br />
BefUrchtungen uber mangelnde von aus<br />
schen Staaten sowie die<br />
UnterstUtzung fur den Krieg zu<br />
bildeten die Basis fur eine neue staatliche<br />
die<br />
»Staatsbiirgerschaftsabteilung«<br />
branch), die schlieBlich im Innenministerium<br />
angesiedelt wurde. 1944 wurde dieser neuen Abteilung ein<br />
Sammelsurium von Kompetenzen ubertragen, einschlieBlich der<br />
weiblicher Teilnahme an den Kriegsanstrengungen und »Fitnessprogrammen<br />
mit Volkstanz«. Die<br />
war jedoch das Staatsburgerschaftsausbildungsprogramm<br />
(Pal 1993: 75-76).<br />
In der Nachkriegsjahren wurde die Sorge urn Loyalitat durch Identitat ersetzt.<br />
Zur EinfUhrung des Staatsburgerschaftsgesetzes sagte der Innenminister,<br />
daB dieses Gesetz »einen Gemeinschaftsstatus fur alle Menschen in<br />
diesem Lande bring en def sie als KanadierInnen zusammenhalt«<br />
1993: 79). Diese Identitat zu schaff en und die Staatsburgerschaft auszuformen,<br />
lag jedoch nicht allein in der Verantwortung des Staates. Diese<br />
Aufgabe wurde geteilt, bzw. »ausgelagert«. Schon 1951 vergab die Abtei-<br />
Gelder an freiwillige Organisationen fur Programme im Staatsbfugerschaftsbereich<br />
1993: 85). Diese Teilung der Verantwortung war eine<br />
.~",'~""_ Foige der Gesellschaftssicht der StaatsbUrgerschaftsabteilung.<br />
»Die [StaatsbiirgerschaftsJAbteilung hat wiederholt deutlich gemacht, daB ihr Konzept von<br />
Staatsbiirgerschaft auf einem Pankanadismus aufbaut, der eine gemeinsame »kanadische« Geschichte<br />
beinhaltete, einige aJte Vomrteile ausraumte und ntichtem seine Verantwortung einzuschatzen<br />
vermochte .... die Abteilung operierte in der Tat mit einem eigentiimlich organischen<br />
Verstandnis von Gesellschaft: ihre Mission war es, den Gmppen zu helfen, die Individuen<br />
in einer Gemeinschaft miteinander zu verkniipfen, die sich iiber ihre Aufgabe, eine verantwortliche,<br />
demokratische Regiemng zu unterstli!zen im klaren war.« (Pal 1993: 85-86)<br />
17 Jedoch blieb der Fiideralismus die zentrale politische Institution in Kanada. Allerdings<br />
gaben die nationalen Institutionen, die in der Ara von Kanadas durchlassigem Fordismus<br />
etabliert wurden, den Kanadierlnnen dieselben sozialen und iikonomischen Rechte und<br />
Vergiinstigungen, ohne Rticksicht auf ihren Wohnort. Dies war aufgrund eines Finanztransfers<br />
miiglich, obwohl die Provinzen die Hoheit tiber zahlreiche Sozial- und Arbeitsbereiche<br />
sowie den Ausbildungs- und den Gesundheitssektor hatten. Verhandlungen und<br />
Vertrage zwischen dem Bund und den Provinzen wurden zum Herzstiick dieses Modells.<br />
18 Wie Tilly (1989) gezeigt hat, gingen Staatswerdung und Krieg historisch Hand in Hand.<br />
Das Kanada der 40er Jahre stellt darin keine Ausnahme dar.
Staatsbiirgerschaflsregime im Wandel 525<br />
----~--~--~------------------------------------<br />
Daher waren die<br />
des<br />
mes auch nicht einfach als liberale zu be2~el(;nnen:<br />
lichkeit existierte und der Staat hatte seinen Platz als Ausdruck und Garant<br />
dieser Gemeinschaftlichkeit. j 9 Auch war die ",,,,i-"-,.,',,,,,,'" d,-um_'''-''~~Fi''~<br />
em 5"dU"W'-
526 Jane Jenson, Susan Phillips<br />
Rechte kanadischer Staatsburgerlnnen noch deutlicher von denen in den<br />
USA (Noel et al. 1993: 185-86).<br />
Der Diskurs von Gleichberechtigung und sozialer Gerechtigkeit war uberzeugend<br />
und fuhrte zu einer ganzen Reihe von VorschHigen: von der Parteienfinanzierung<br />
bis zur KrankenfUrsorge. Eine breite Vielfalt von Institutionen<br />
beteiligte sich den StaatsburgerInnen Zugang zum Staat zu<br />
verschaffen. Dabei waren nicht<br />
sondem Organisationen die<br />
In den 40er Jahren und dann wieder in den 60em gewannen<br />
die Gewerkschaften an Bedeutung und erreichten das kollektive VertreuUF,''''-'VHL<br />
fUr ihre gegenuber Arbeitgebem und Staat. Die Parteien<br />
veranderten ihre Gestalt und entwickelten elaboriertere Methoden der<br />
intemen Diskussion und der Auswahl ihres Fuhrungspersonals. SchlieBlich<br />
organisierte sich auch die New Democratic als Vertretung der Interessen<br />
von ArbeiterInnen und ihren Organisationen. In den 80er lahren<br />
brachte die nationalistische Bewegung Quebecs, gefolgt von der englischkanadischen<br />
nationalistischen Bewegung, Parteien und Verbande hervor.<br />
Frauen in Quebec grundeten in den 60er lahren einen Dachverband, um fUr<br />
Frieden und gegen Atomwaffen zu arbeiten.<br />
Die Sorge um dne »kanadische« Identitat bliihte. Teilweise war dies auf die<br />
Quebecer NationalistInnen zurUckzufuhren, die das ubrige Kanada mit der<br />
Frage konfi'ontierte, was die Existenz zweier Sprachgruppen fUr die Definition<br />
des Landes bedeutete. Ergebnisse dieser Herausfordemng waren der Official<br />
Languages Act (1969) und die Erarbeitung einer multikulturellen PaUtik<br />
(1971), sowie ein neues Interesse an der Staatsburgerschaftsabteilung des<br />
Innenministeriums, die die Verantwortung fUr multikulturelle Programme<br />
und fUr die Official Language Minority Groups (Anm.d.D.: Gmppen, deren<br />
Sprache als eine Minoritatensprache anerkannt ist) erhie1t.<br />
Die Herausforderung bestand jedach nicht lediglich in der Sprache. Die<br />
Strategie der Quebecer NationalistInnen war es, den Staat fUr ihr EntlC~:lUngisprOl
Staatsburgerschaftsregime im Wandel 527<br />
----~~~--~------------------------------------<br />
war. Angesichts des wachsenden Einflusses der USA in Wirtschaft und<br />
Kultur wamten sowohl die Linke als auch die daB Kanada einen<br />
Verlust von Souveriinitat und Identitat riskiere<br />
Nur ein der aktiv eine okonomische ~>A'~W."'"~<br />
nadischer<br />
scher »Besonderheit« verfolge, konne diese Kplirnhl<br />
okonomischer und Autonomie abwehren.<br />
Nationalistische Bewegungen haben diese Themen in die<br />
getragen,<br />
aber dieser Diskurs wurde mittels verschiedener Kommissionen zur<br />
Zukunft Kanadas auch in den staatlichen Institutionen gefuhrt. Insbesondere<br />
die Commission on and Biculturalism war eine wichtige<br />
QueUe neuer Ideen. Das emeute Aufleben def Sozialdemokratie mit der<br />
der NDP Democratic Party) 1961 zwang die Liberalen,<br />
uber ihre<br />
nachzudenken. Wahrend dessen ging die<br />
stadtische Linke - angefuhrt von einer Leitfigur des kanadischen Nachkriegsintemationalismus,<br />
Lester B. Pearson, und danach von Pierre Trudeau<br />
auf die Liberalen zu. Der progressive Diskurs sozialer<br />
erlangte so eine sHirkere Position innerhalb der Liberalen Partei.21<br />
Die Refonn des Wahlsystems und der Parteienfinanzierung wurde durch<br />
das Ziel einer gleichen Behandlung aller Parteien durch die Medien sowie<br />
durch die Anerkennung der Tatsache, daB die Ressourcen der verschiedenen<br />
sozialen Gruppen recht ungleich waren, bestimmt. Nachdem das<br />
Wahlsystem erstmals 1974 von allen Parteien anerkannt<br />
konnte in der Folge der Zugang der Parteien zu den Medien reguliert, die<br />
Wahlkampffinanzierung der reichsten Parteien begrenzt und Offentliche<br />
Gelder fur die weniger bemittelten Kandidaten bereitgestellt werden<br />
(Paltiel 1970). Auch wurden Gesetze zur Regulierung des Verhaltens von<br />
professionellen Lobbyistlnnen fonnuliert 1993: 1<br />
~U5U"5 und fairer Wettbewerb wurden als ein integraler<br />
Bestandteil der Demokratie Die der<br />
Staatsburgerschaftsrechte erforderten sowohl<br />
auch<br />
staatliche<br />
fur diese<br />
Zugang zu ihren Rechten<br />
Zusatzlich erhohte der Staat<br />
Organisationen. So erweiterte die<br />
des Innenministeriums<br />
ihre identitatsbildenden Aktivitaten in den fruhen 70er Jahreno<br />
Sie finanzierte verstarkt die<br />
sierten, deren Identitat durch die staatliche Politik ",,",'V"',",""<br />
inbesondere multikulturelle und Official<br />
21 Kanada's »Makler-Parteien« (wie die Liberalen) umfallten immer ein breites Spektrum<br />
von Positionen. Daher is! bei ihnen VOT aHem das interne Kraftegleichgewicht wichtig.
528 Jane Jenson, Susan Phillips<br />
Das Ministerium unterstUtzte auch<br />
Frauen- und<br />
Bernard<br />
verantwortlicher Beamter<br />
»hauptsachlich durch Programme, die die Partizipation unterstiitzten und das Gefiihl sozialer<br />
Ungleichheit minderten, ein Gefiihl kanadischer Staatsbiirgerschaft zu entwickeln und zu verstiirken«<br />
(zit n. Pal, 1993: I 09).<br />
1974 wurde das »Women's als des Ministeriurns<br />
geschaffen. Ziel des<br />
()',..
Staatsbiirgerschaftsregime im Wandel 529<br />
erhielten neue soziale und okonomische Rechte<br />
und es wurden<br />
'"''','SUIle',ll fUr einen<br />
Macht<br />
unternommen.<br />
Der Diskurs dieses n.'"'!,;WL1""<br />
FreedomSK Einerseits stattete sie die<br />
mit e"'>CU1.H"QH
530 Jane Jenson, Susan Phillips<br />
U"'t;Ullll, nicht nur<br />
zu<br />
sondern auch die UHOctfJ11WC!fJ'v" der sozialen und okonomischen<br />
Staatsbiirgerschaft tiber eine Sozialreform neu zu definieren, wurde er von<br />
den verschiedensten die Interessen<br />
angegriffen.<br />
In den 90er Jahren der Staat damber ob es sinnvoll<br />
war, weiterhin seine Kritikerlnnen zu finanzieren.<br />
kann die gektirzte<br />
Unterstiitzung der intermediiiren Institutionen nicht nur als Konsequenz<br />
eines schlau gewordenen Staates, der sich von seinen nervenden<br />
KritikerInnen trennen<br />
werden. Das Staatsbtirgerschaftswurde<br />
rekonstituiert. Die<br />
ver-<br />
H1C"HUUVH'~H, stattdessen wurde die<br />
flir die Harten des Lebens individualisiert. In einer iihnlichen<br />
Weise veriinderte sich der Diskurs tiber den Zugang zu indem<br />
die Reprasentation buchstablich zu Markte getragen wurde.<br />
4. Die des VerhiHtnisses von Staat nnd Gesellschaft<br />
Die Krise des fordistischen Entwicklungsmodells, die in allen entwickelten<br />
IndustrieUindern in der Mitte der 70er Jahre eintrat, traf Kanada in besonderer<br />
Weise, da es sich hier sowohl urn eine hochindustrialisierte Wirtschaft<br />
als auch urn eine umfangreiche Rohstoffproduktion handelte. Die<br />
Erkenntnis der Ernsthaftigkeit der Krise und die Entwicklung einer<br />
schen Gegenstrategie wurde aber bis spat in die 80er Jahre hinausgeschoben<br />
(Noel et al. 1993).<br />
Da die politische Regulation innerhalb des Nachkriegsmodells vor aHem<br />
die Institutionen des Foderalismus beeinfluBt manifestierte sich die<br />
Krise des Fordismus auch als Verfassungskrise (Jenson 1989a). Verfas<br />
"CU'5"Ii-'V'HH~ war das Gebiet, auf dem der groBte Teil der aktuellen Debatten<br />
tiber die wirtschaftliche<br />
wurde. Ein<br />
Wandel konnte nur schwer<br />
da er das Handeln von<br />
Regierungen voraussetzte. Und schliel3lich ist eine<br />
auch<br />
eine auBerst umstandliche<br />
in der Wirtschafts- und So<br />
daB die<br />
werteten die<br />
auf<br />
resultierte die Zunahme i:iffentlicher
StaatsbiirgerschaJtsregime im Wandel 531<br />
»Anhorungen« und neuer Formen von »Partnerschaften« in der Ausruhrung<br />
Programme Obwohl beides als Ausdehnung<br />
des Raumes Aktivitat angesehen werden ist<br />
es sie in ihrem jeweiligen Kontext zu betrachten: sie wurden beide<br />
durch institutionelle Aktivitaten des Staates oder der Parteien<br />
wodurch ihre Rolle als<br />
fUr organisierte Interessen<br />
wurde.<br />
Das veranderte Verhiiltnis von Staat und Gesellschaft wirkte sich in einer<br />
der Unterstutzung von Gruppen, die benachteiligte Interessen<br />
reprasentieren, aus. Es wurden nun weniger Kategorien von Staatsburgednnen<br />
als untersrutzungswurdig anerkannt und die Mittel zur Durchsetzung<br />
ihrer Belange wurden gekurzt. Am deutlichsten war hier die zunehmende<br />
Veranderung des Women's State im Jahre 1995. Auch wurde die<br />
aH.'5".vn der »advocacy-groups« BfugerInnen gegenuber dem Staat zu reprasentieren,<br />
in Frage gestellt. Schliel3lich wurden auch soziale Dienstleistungen<br />
und Programme umstrukturiert. Sie waren nun weniger von 80-<br />
zialer Gerechtigkeit und dem Pan-Kanadismus gepragt. Stattdessen wurden<br />
sie dezentralisiert, was vermutlich viele verschiedene Formen von ZugehOrigkeit<br />
und unterschiedliche Leistungsniveaus produzieren wird. Berucksichtigt<br />
man diese Zusammenhiinge, dann wird auch klar (was schon das<br />
Zitat am Anfang des Papiers andeutete), daB die Kurzungen in der Gesundheitsrursorge<br />
auch die Definition der Nation in Frage stellen.<br />
Institutioneller Wandel<br />
Der institutionelle Wandel ilmerhalb def Bundesregierung hat die Zahl der anerkannten<br />
Interessengruppen vermindert und zur SchlieBung verschiedener<br />
kritisch orientierter Zentren So begann man die Abteilung der Regierung,<br />
die am weitestgehenden in die Staatsbiirgerschaftspolitik und die<br />
Entwicklung von sozialen Programmen involviert war, abzubauen. Nachdem<br />
1993 Kim Campbell das Amt der Premierministerin angetreten<br />
wurden viele Programme des Innenministeriums aufgegeben oder in anderen<br />
Abteilungen so daB sie nicht mehr ihrer ursprunglichen<br />
Intension werden konnten. AuBerdem waren viele<br />
gesellschaftliche Interessen nicht mehr im Kabinett reprasentiert. Unter<br />
dem Deckmantel uberschUssige Regierungsausgaben zu kiirzen, wurde der<br />
Umfang des Kabinetts unter Campbell auf 25 und unter der liberal en Regierung<br />
von Jean Chretien auf 23<br />
wahrend es unter<br />
Mulroney eine Hochstzahl von 40 Mitgliedern gab, die u.a. lugendliche,<br />
Seniorlnnen und kleine Betriebe reprasentierten.23<br />
23 Unter Chretien wurden die fruheren Ministerien flir Multikulturalismus und Frauen fusioniert<br />
und nur noch von einem »Staatssekretiir« vertreten.
532 Jane Jenson, Susan Phillips<br />
Ebenso<br />
"""UH'vU, die zwischen<br />
schaft und Staat<br />
1992 wurden sowohl der »Economic<br />
Council of Canada« wie auch der »Science '-./U'UU"H", beides beratende<br />
der wurde dies mit<br />
dem<br />
Aktivitaten vermeiden und somit die Offentlichen Leistillgelegt.<br />
Das Parlament und die politischen Parteien haben ebenfalls zur Veranderung<br />
der Institutionen beigetragen. So hat wiihrend des letzten Jahrzehnts<br />
die<br />
von Kanadas »Maklerparteien« abgenommen<br />
und aus Unzufriedenheit haben sich viele Menschen Interessengruppen zudie<br />
zu den durchfiihaW'fi.ULUIH<br />
von 1988 noch in der Auseinandersetzung urn<br />
"'UU.~'''M'F, 1992 war es den Parteien moglich, die Debatte zu dominieren<br />
et al. 1996, Hiebert 1m Verfassungsreferendum wurde<br />
das von der Regierung vorgelegte Dokument nach einer Kampagne, in der<br />
sich insbesondere das »National Action Committee on the Status of Women«<br />
(NAC) engagierte, abgelehnt (Pal/Seidle 1993). Die Referendumsniederlage<br />
wurde weitgehend als eine Niederlage von »Eliten« interpretiert,<br />
auf welche die Liberale Partei im Wahlkampf von 1993 mit dem<br />
Versprechen reagierte, die Rolle des Parlaments zu sUirken und mit mehr<br />
Offenheit und zu regieren (Liberal Party 1993: 92).<br />
lronischerweise wurde die rechtspopulistische Reform Party zur Nutzniesserin<br />
dieser Politikverdrossenheit und des versUirkten Gewichts der Rolle<br />
des Parlaments. Diese PopulistInnen<br />
daB die<br />
time Reprasentationsform die direkte Verbindung zwischen den Individuen<br />
und ihren Abgeordneten ist. Diese »advocacy-groups« werden in dem Diskurs<br />
der Partei<br />
es seien keine »echten KanadierInnen«.<br />
Die Kritik an den »besonderen Interessen« hat bis weit tiber die Abgeordneten<br />
der Reformpartei hinaus Widerhall Tatsachlich scheint der<br />
Konflikt zwischen den »advocacy-groups« und den gewahlten<br />
neten, eine »Wir oder sie« Mentalitat hervorgerufen zu haben. Parteien und<br />
Parlament versuchen die<br />
zu monopolisieren. So verfiel z.B.<br />
auch der Bericht der Royal Commission on Electoral Reform and<br />
HW'H~.'US (RCERPF), deren die Starkung der<br />
Fiihigkeiten der politischen Parteien war, in die Sprache der besonderen<br />
Interessen. Die RCERPF war eine starke Verfechterin def<br />
Offentlicher<br />
und staatlicher um eine faire<br />
24 So lagerte die Bundesregierung z.B. 1992 die Organisation von iiffentlichen Anhorungen<br />
iiber die Verfassung und 1994 tiber den Staatshaushalt in private Forschungsinstitute aus.
Staatsbiirgerschaflsregime im Wandel 533<br />
----~--~--~------------------------------------<br />
zu sichem. Der<br />
U
534 Jane Jenson, Susan Phillips<br />
digt.26 Diese Kfuzungen hielten auch an, als 1993 die Liberalen den Konservativen<br />
in der Regierung folgten.<br />
Die zweite wichtige Institution des Women's State, das CACSW (Canadian<br />
Advisory Council on the Status of Woman), wurde 1973 als eine unabhangige<br />
Beratungsstelle gegriindet, die nur gegeniiber dem zustandigen Ministerium<br />
verantwortlich war. Die Starke der Beratungsstelle lag in ihrer unabhangigen<br />
Forschungskapazitat, obwohl diese auf der Basis eines minimalen<br />
Haushalts operierte (Burt 1995: 375).<br />
Ein entscheidender Vorfall ereignete sich 1981 als das Ministerium das<br />
CACSW dazu zwang, eine Konferenz iiber die Regierungsvorschlage zur<br />
Verfassungsreform abzusagen, da eine zu kritische Haltung beffuchtet<br />
wurde. Wahrend dieser Vorfall die Frauenbewegung mobilisierte, blieb<br />
unter dem Strich ein groBer Verlust fur das CACSW (Kome 1983). Innerhalb<br />
des Staates galt das Council nur noch als Vertreter der Frauenbewegu'ng.<br />
Gleichzeitig hatte es aber nicht die volle UnterstUtzung der Frauenbewegung,<br />
die dem Council vorwarf, durch Selbstzensur eine Wiederholung<br />
von 1981 vermeiden zu wollen (Findlay 1988: 90, Burt 1995).<br />
Der Women's State wurde 1995 ohne groBe Offentlichkeit faktisch abgeschafft.<br />
Women's Program und Status of Women wurden zusammengeschlossen,<br />
das CACSW aufgelOst. Die Regierung erklarte diese Entscheidungen<br />
in vielfaItiger Weise. Die wichtigste Rechtfertigung war eine Effizienzsteigerung<br />
und Kostensenkung durch die Vermeidung von Doppelangeboten.<br />
Tatsachlich gab es aber kaum Uberlappungen auBer der Tatsache,<br />
daB aIle drei Institutionen das Wort »Women« im Titel trugen.27 Viel Geld<br />
wurde durch diese Reorganisation auch nicht gespart.<br />
AngrifJe auf die Kapazitiit und Glaubwurdigkeit der »advocacy-groups«<br />
Der Wandel im Staatsbfugerschaftsregime manifestierte sich auch im direkten<br />
Angriff auf die Glaubwiirdigkeit und die Organisationsbasis der<br />
»advocacy-groups«. Ein erster Schritt war die Reduzierung der direkten<br />
Finanzierung. 1986-87 begann die konservative Regierung Stipendien und<br />
Beitrage selektiv zu kiirzen.28 Oft wurde damit die offentliche Reaktion<br />
auf diese Aktionen getestet.<br />
26 Vor all em wurde die Grundfinanzierung zugunsten der Projektfinanzierung gekiirzt. 1m<br />
Resultat wurden die Mittel rur NAC halbiert (Philips 1991: 196-205).<br />
27 Die drei Korperschaften waren rur sehr unterschied1iche Funktionen zustandig. Das Women's<br />
Program war rur Stipendien zustandig, das CACSW widmete sich hauptsachlich<br />
der Forschung und Status of Women war rur die Entwicklung von politischen Konzepten<br />
und rur die Koordination zustandig.<br />
28 Eine Gruppe unterlag jedoch nicht den Kiirzungen. Die Tories finanzierten weiterhin<br />
Verbande sprachlicher Minderheiten und multikulturelle Gruppen, wahrend sie Frauen<br />
und Eingeborenenverbiinden die Gelder strichen (Phillips 1991).
Staatsburgerschaftsregime im Wandel 535<br />
----~~~--~------------------------------------<br />
Mit der Reorganisierung und Reduzierung der<br />
begann lediglich<br />
der Angriff auf die Legitimitat und die Glaubwiirdigkeit Gruppen, die benachteiligte<br />
Interessen vertreten. Die Reprasentation selbst wurde in Frage gestellt:<br />
K6nnen die Gruppen tatsachlich beanspruchen, daB sie jemanden reprasentiefen?<br />
Die Konservativen starteten diesen Prozess, und die Liberalen haben ihn<br />
dann noch beschleunigt. Die Initiative ist sowohl unter Politikerlnnen def<br />
Regierung als auch der oppositionellen Reformpartei popular und sie hat<br />
auch Untersiiitzung durch die Medien erfahren. Dabei beschaftigte sich die<br />
Debatte jedoch nicht mit »LobbyistInnen« im allgemeinen oder wirtschaftlichen<br />
sondern lediglich mit den »advocacy-groups«.<br />
5. Die Neudefinition von Regierung durch »Partnerschaften«<br />
Die Rede von der »Partnerschaft« wurde in den friihen 90er Jahren unter<br />
den Konservativen zu einem Modewort fiir eine neue Form des Regierens<br />
und die Liberalen behielten es bei. Offentlich-private Partnerschaften 8011-<br />
ten eine Alternative zu staatlichen Programmen und Dien8tleistungen darstellen.<br />
1m Kontext 6konomischer Einschrankungen war dabei die Kostenreduktion<br />
ein wichtiges, jedoch nicht das einzige Ziel dieser Partnerschaften.<br />
Sie sollten auch die Qualitat der Serviceleistungen verbessem, da die<br />
partnerschaftlichen Organisationen die Bediirfnisse der KlientInnen, mit<br />
denen sie in kontinuierlicher Verbindung stehen, oft besser erkennen und<br />
daher auch flexibler auf sie reagieren k6nnen.29 Zusatzlich erlauben Partnerschaften<br />
lokale Unterschiede in der Art der bereitgestellten Dienstleistungen<br />
und sowie ihre lokale Kontrolle. Sie sind daher mit dem Riickzug<br />
von nationalen Standards kompatibel.<br />
Wirkliche Partnerschaften beinhalten allerdings auch eine Teilung der<br />
Macht. Die ersten Erfahrungen weisen jedoch darauf hin, daB sich die kanadischen<br />
Regierungen eher halbherzig auf solche Beziehungen einlieBen<br />
und daB sie vor aHem nicht gewillt waren, mit ihren PartnerInnen Macht zu<br />
teilen. Stattdessen bevorzugten sie den iiblichen top-down Ansatz. Viele<br />
der sogenannten Partnerschaften sind lediglich Vertrage, in denen der Staat<br />
aHe Regeln festlegt. Trotzdem fuhlen sich viele Organisationen des sog.<br />
»Dritten Sektors« des nicht-kommerziellen, gemeinniitzigen jJl.'~\.o',vll".<br />
der neben dem Staats- und dem<br />
Sektor existiert) davon<br />
angezogen, entweder, wei! sie das Projektgeld als Ersatz fur den Verlust<br />
der Grundlagenfinanzierung ben6tigen, oder weil sich der Staat von<br />
bestimmten Dienstleistungen zUrUckgezogen hat.<br />
Diese Partnerschaften konnen die Natur der »Partner« aus dem Dritten<br />
Sektor andern; dies gilt insbesondere fur soziale Bewegungen. Die Ori-<br />
29 Fur eine Diskussion dieser Vorteile und die Durchfuhrung von Partnerschaften, siehe Salamon<br />
(1995: Ill), Seidle (1995: 145) und Kernaghan (1993: 57-76).
536<br />
Jane Jenson, Susan Phillips<br />
der neuen sozialen<br />
nicht an bestimmte Orte<br />
terschiedliche soziale<br />
stimmten Gemeinden<br />
kann in erne formalisierte und<br />
hen 1994:<br />
anl2:es:trebt,m Partnerschaften kreieren eine Hierarchie von<br />
"HH),;'vH, die sich exklusiv<br />
beschfanken am oberen Ende<br />
und die sich auf die<br />
IJV,uu"""" Veran-<br />
1l10'U"""VIIU",HO, wenn def Staat weiterhin die Machts-<br />
In Anbetracht des okonomischen Drucks entsteht noch ein weiteres Problem.<br />
Oft nachdem eine Partnerschaft o-P(Jriinrl,~t<br />
zum Vertrag betrachtlich b"'l'~UH,"<br />
daB solche<br />
wurden,<br />
die die Lucken fullen konnten, zeigt die Erfahrung in den USA, daB<br />
die Reaktion eher in der<br />
der Leistungen liegt. Die Organisationen<br />
beginnen,<br />
zu erheben sowie andere Einzu<br />
so daB sie mehr und mehr in die Privatwirtschaft<br />
werden. Zusatzlich beginnen kommerzielle Unternehmen diese<br />
Nischen auszutesten, oft mit dem<br />
daB die<br />
tionen nach und nach verschwinden 1995:<br />
Bisher sind die kanadischen<br />
davon ausgegangen, daB die<br />
nicht kommerziellen<br />
nicht nur eine ausreichende Infrastruktur<br />
sondern auch die Teilnahme an staatlich initiierten Partwurden.<br />
In Wirklichkeit haben diese<br />
be~(rerlzte J:iWlgetS und<br />
Und an,geiHclhts def andauernden auf ihre sind<br />
viele<br />
die die Infrastruktur fur solche Partnerschaften bieten<br />
KOltlnten, zumindest nicht zu den<br />
des Staates an einer Beteiligung<br />
interessiert.<br />
Vor aHem sind aber die nach denen die<br />
renlUH;n-Dflvalcen Partnerschaften erfolgen und<br />
als bei direkten staatlichen Leistungen. Dies kann sowohl
Staatsburgerschaflsregime im Wandel 537<br />
----~~~~~------------------------------------<br />
auch negative Konsequenzen haben. Wiihrend vom Staat erwartet wird und<br />
er auch am besten dazu geeignet ist, standardisierte Dienstleistungen uber<br />
weite geographische Regionen hinweg zu garantieren, sind die meisten<br />
freiwilligen Organisationen partikular und bieten Dienstleistungen an, die<br />
auf ihre spezifische Basis zugeschnitten sind. Sie sind daruberhinaus geographisch<br />
ungleichmiillig verteilt.30 Wahrend staatliche Institutionen den<br />
gleichen Zugang fUr alle ausgewiesenen NutzniesserInnen betonen muss en,<br />
operieren freiwillige Organisationen haufig auf einer »first-come firstserved«<br />
Basis. Daher tragen Partnerschaften, selbst wenn sie oft die effektiveren<br />
Mittel fUr die Bereitstellung von Dienstleistungen haben, zu einer<br />
zunehmenden Abkehr von dem Pan-Kanadismus bei, der ein zentrales<br />
Element des Staatshiirgerschaftsregimes der Nachkriegszeit war. Falls Kanada<br />
diesen Weg weiter verfolgt, hatte dies weitreichende Auswirkungen<br />
auf die Zivilgesellschaft.<br />
6. Die Restrukturierung des Foderalismus<br />
SchlieBlich ist das alte fOderale Modell, das auf der Intervention der Bundesregierung<br />
in die Sozialpolitik beruhte, von Grund auf umgestaltet worden.<br />
Der Haushalt von 1995 enthalt einen neuen Superblock, den Canada<br />
Health and Social Transfer (CHST), der eine Reihe alterer Programme ersetzt.<br />
Die gleichzeitige Streichung von 6 Mrd CA$ BundeszuschUssen uber<br />
einen Zeitraum von zwei Iahren - eine Kfuzung von 37% - markiert einen<br />
signifikanten Ruckgang derjenigen bundesstaatlichen Ausgaben, die wahrend<br />
der fordistischen Nachkriegsperiode aktiv zur Sicherung gleicher Lebensbedingungen<br />
fUr die Individuen wie auch fUr die Regionen beigetragen<br />
hatten. Die Idee des CHST ist vor allem eine Stabilisierung und Reduzierung<br />
der Bundesausgaben aber auch das Angebot gr6Berer Flexibilitat an<br />
die Provinzen, zu einer Zeit, in der die nationaler Einheit durch das Selbststandigkeitsreferendum<br />
in Quebec in Frage gestellt wird.<br />
Unter dem Imperativ des Defizitabbaus hatte die ursprungliche Planung<br />
des neuen Transferprogramms eine jiihrliche Abnahme der Zahlungen vorgesehen,<br />
was auf eine komplette Aufl6sung in 10 bis 15 Iahren hinausgelaufen<br />
ware. Damit ware auch die Fahigkeit der Bundesregierung, nationale<br />
Standards fUr Medicare zu setzen, Kanadas beliebtestes und die Nation<br />
definierendes Programm, in Frage gestellt worden.31 Die kanadische<br />
Offentlichkeit war jedoch nicht bereit, den Verlust nationaler Standards bei<br />
30 FUr eine detailliertere Diskussion des Unterschiedes zwischen der Bereitstellung von<br />
Dienstleistungen durch den Staat und den sog. dritten Sektor, siehe SmithILipsky (1993:<br />
127-46) und HalllReed (1995: 4-5).<br />
31 FUr eine Diskussion Uber die Gestaltung des CHST und die Antwort der Bundesregierung<br />
auf Offentliche Kritik, siehe Phillips (1995).
538 Jane Jenson, Susan Phillips<br />
def Krankenversicherung hinzunehmen, Die heftige Kritik ruhrte zu einem<br />
ausweichenden Verhalten der Regierung Chretien: sie versprach, stabile<br />
Transferzahlungen beizubehalten, wahrend sie den Provinzen aber gleichzeitig<br />
eine groBere Flexibilitat im Design sozialer Programme gewahren<br />
wollte.<br />
Zur selben als die Transfers rur die Sozialprogramme geklirzt<br />
stockte man die Haushaltstitel rur die regionale Angleichung auf. Damit<br />
wird die Botschaft<br />
daB »regionale Angleichung unser<br />
stes Sozialprogramm ist« und »wir ein Yolk sind, das zwar groBere regionale<br />
Ungleichheiten ablehnt, aber die Ungleichheit zwischen den Individuen<br />
akzeptiert« (Banting 1995: 5, 8). Diskussionen uber die Umverteilung<br />
von Einkommen und den unterschiedlichen individuellen W ohlstand<br />
konnten dann in Zukunft auf die lokale Ebene begrenzt werden. Mit der<br />
konnte »Kanada«<br />
selbst als ein relevantes Konzept die Geltung verlieren (Banting, 1995: 10).<br />
Mit der zunehmenden Verlagerung der Sozialprogramme auf die 10kale<br />
Ebene werden auch andere Identitaten und Gemeinschaften produziert.<br />
Allerdings sind die Moglichkeiten fiir kollektive Aktion, die essentiell rur<br />
die Konstruktion von Identitaten sind, auf der lokalen Ebene begrenzt. Es<br />
konnte zunehmend schwieriger werden, gesamtgesellsehaftliche Konzeptionen<br />
beizubehalten, so daB die Individualisierung der Staatsburgersehaft<br />
komplett wurde.<br />
Anhand dieser Entwicklungen erkennt man eine neue, negative Bewertung<br />
der Interessengruppen als legitimer und zentraler Institutionen innerhalb<br />
des Staatsburgerschaftsregimes. 1m Rahmen einer neokonservativen Politik<br />
wird versucht, die Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft neu zu<br />
strukturieren. Es wird nieht mehr als staatliche Aufgabe angesehen, den<br />
Gruppenzusammenhalt zur Starkung von Individuen zu untersrutzen. Die<br />
Verantwortung zur Schaffung von Solidaritat und zur Unterstutzung der<br />
Benachteiligten bei der Wahrnehmung ihrer Rechte ist nieht mehr Bestandteil<br />
des Staatsburgersehaftsregimes. Die Individuen sollen sich selbst<br />
helfen durch Referenden, Petitionen und wahrend Offentlicher Anhorungen<br />
zusatzlich zu den Wahlen. Die offentliche<br />
kollektiver Interessen<br />
muB ein Produkt harter, wettbewerbsfahiger Kompetenz von Organisation<br />
bei def Mobilisierung von Geld und UnterstUtzung auf dem<br />
der Ideen sein.<br />
Bedeutet dies nun das Ende einer »breiten« Zivilgesellsehaft und eine<br />
neue Ara des atomisierten Individuallsmus? Gibt es in dem sich neu herausbildenden<br />
Staatsburgersehaftsregime noch einen Ort fUr organisierte<br />
Interessen? Die Anwort auf diese Fragen lautet Nein. In einer Zeit abnehmender<br />
staatlicher Intervention verwandeln sich die organisierten<br />
Gruppen in Dienstleisterlnnen und reprasentieren den Staat innerhalb der
_~_a_at_sb_u~·rg~e_~_c_ha~~_~_~~g_im_e_i_m_~_a_n_d_el ________________________________ 539<br />
Zivilgesellsehaft. Interessenvertretung ist vielleicht out, aber Dienstlei<br />
U.'.Uy..,VH sind in.<br />
Die Endresultate der Neustrukturierung sind noch nicht auch gibt<br />
es keinen sanften UbergangsprozeB. Stattdessen wird eine Reihe von Widerspruchen<br />
sichtbar. Die abnehmende Prasenz des Staates bedeutet, daB<br />
viele Dienstleistungen, die einmal direkt gewahrt wurden, jetzt in einen<br />
Sektor gemeinniitziger und freiwilliger Organisationen umgeleitet werden.<br />
Und wie die jiingsten Veranderungen des Finanzausgleiehs zwischen dem<br />
Bund und den Provinzen zeigen, wird ihre Finanzierung den Provinzen<br />
aufgebiirdet. Die Ara der nationalen Standards und der gesamtkanadischen<br />
Dienstleistungen ist am Verschwinden, indem die Bundesregierung ihre<br />
Teilnahme an den Programmen und Institutionen reduziert, die das Entwicklungsmodell<br />
der Nachkriegszeit auszeichneten. In ihrem Bemiihen,<br />
mit dieser Last umzugehen, verlagem die Provinzregierungen ihrerseits<br />
diese Dienstleistungen in die lokalen Gemeinden.<br />
Die Umleitung von Dienstleistungen bedeutet jedoch auch, daB der Staat<br />
mehr denn je auf den »Dritten Sektor« angewiesen 1St. Allerdings maehen<br />
die Diskurse und Praktiken, die die Vertretung der Benachteiligten als<br />
Ausdruck »besonderer Interessen« delegitimieren, den entsprechenden<br />
Gruppen die Arbeit nicht leieht. Sie waren immer Vertreter, die intervenieren,<br />
urn Programme und Policies zu fordem, die sie als notwendig eraehten.<br />
Zusatzlieh sind diese Gruppen auch die Basis fur ziviles Engagement;<br />
sie tragen zu individueller Partizipation und zur Entwicklung der Zivilgesellschaft<br />
bei. Sie k6nnen nieht einfach ihre Aktivitaten aufspalten, urn die<br />
einfachen DienstleisterInnen zu werden, die sich die Regierung anscheinend<br />
wiinscht. Zusatzlich bedrohen Mittelkiirzungen ihre Existenz. Der<br />
Anti-Interessen Diskurs und der Eifer beim Abbau sogenannter »6ffent<br />
Heher T6pfe« k6nnten die Fahigkeit des Dritten Sektors, seine neue Rolle<br />
wahrzunehmen, untergraben. Die gegenwartige Annahme der Regierung,<br />
daB die Gruppen auf die Regiemngsprioritaten reagieren werden und in<br />
dem MaBe, wie die staatlichen MaBnahmen abgebaut werden, berdt sind,<br />
die Uberreste aufzusammeln, k6nnte sieh als falseh erweisen.<br />
Wichtige Entscheidungsbefugnisse und Dienstleistungen sind in die lokalen<br />
Gemeinden verlagert worden. Doch auch diese Gemeinden sind gesehwacht.<br />
Wissenschaftlerlnnen mit so untersehiedlichen Orientierungen<br />
wie Margit Mayer (1991) und Christopher Lasch (1995) haben die waehsende<br />
Fragmentierung urbaner Kulturen festgestellt. Dies ist nicht nur in<br />
polarisierten Beschaftigungs- und Klassenstrukturen beobaehtbar, sondem
540 Jane Jenson, Susan Phillips<br />
auch m emer zunehmenden des urbanen Raums, Ohne integec)gr:apllis(;he<br />
Gemeinden und ohne<br />
die<br />
sozialverankerte Gemeinschaften organisieren,<br />
daB<br />
viele Individuen ihre<br />
sowohl zur<br />
zum Staat verlieren.<br />
Ein letzter besteht daB mit der Verdrangung oder Schwader<br />
intermediaren Institutionen zwischen individuellen<br />
nen und Staat, ein gr6Berer Druck auf die Regierung in einer offenen<br />
und kooperativen Weise zu reagieren. Die ganze Staatsmaschinerie wird<br />
reduziert und eher auf die als auf die der<br />
taatsclUrlgerlrulen orientiert. Ein mit einem dramatisch<br />
Staat<br />
kombinierter Populismus k6nnte fatale Effekte hervorbringen.<br />
Eine Auf16sung dieser<br />
1st noch nicht in Sicht. Auch wenn<br />
der Staat und die sozialen Krafte enthusiastisch versuchen, die Institutionen<br />
des existierenden Staatsbtirgerschaftsregimes immer weiter ab:z:utJau.en,<br />
bleibt doch bei vielen<br />
Skepsis und auch Nostalgie fur<br />
die Inhalte des Nachkriegsregimes. Die Staatsbiirgerschaftspolitik ist so zu<br />
einem Bestandteil der Uiglichen Politik geworden. Daher wird auch das<br />
neue Staatsbtirgerschaftsregime, das noch im Werden ist, durch die noch<br />
andauemden Debatten tiber eine Reform der Sozialpolitik, tiber die Wirtschaftspolitik,<br />
tiber die Machtverteilung zwischen dem Bund und den Provinzen<br />
und tiber das Fortbestehen eines einheitlichen Landes erst noch geformt<br />
werden.<br />
Aus dem Englischen tibersetzt von Antje Wiener<br />
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Michelle Everson<br />
von<br />
Ein wichtiger Schritt auf dem Wege der Umwandlung der Europaischen<br />
Gemeinschaften in die Europaische Union durch den 'Vertrag tiber die Europaische<br />
Union' (Maastricht-Vertrag) vom 7. Februar 1992 ist die EinfUhrung<br />
der UnionsbUrgerschaft durch die Artikel Sff EGV. Obwohl die durch<br />
diese Regelungen neu hinzutretenden Unionsrechte der AngehOrigen der<br />
EU-Mitgliedstaaten nicht annahemd so ausgeformt sind wie die jeweiligen<br />
nationalen Grundrechtskataloge, ist doch die Unionsburgerschaft unabhangig<br />
von dem Umfang der augenblicklich daran geknupften Rechte insofem<br />
von erheblicher Bedeutung, als sie einen Beitrag zu 'einer immer engeren<br />
Union der Volker Europas leisten solI'. In unserem Projekt solI erforscht<br />
werden, welchen Gehalt das in den Art. Sff EGV eingefUhrte Institut der<br />
Unionsburgerschaft haben konnte.<br />
Obwohl der Begriff 'Unionsbfugerschaft' ein Rechtsterminus der Gemeinschaft<br />
ist, gibt es doch keinen einheitlichen europaischen Begriff fUr diesen<br />
Status. Der Begriffsinhalt von Burgerschaft, citizenship, citoyennete, cittadinanza<br />
usw. ergibt sich vielmehr erst aus den jeweiligen nationalen<br />
Rechtsordnungen und politischen Kulturen der Mitgliedsstaaten. Wir nehmen<br />
an, daB der Begriff einer europaischen Burgerschaft im wesentlichen<br />
auf den rechtlichen, politischen und kulturellen Traditionen der EU-Mitgliedsstaaten<br />
gegrundet sein wird. Das Forschungsprojekt richtet sich<br />
lich auf eine ausfUhrliche Analyse der Bedeutung des Begriffs der 'Burgerschaft'<br />
(citizenship, citoyennete, cittadinanza) in den fUr die Untersuchung<br />
ausgewahlten Landem Belgien, Deutschland, Frankreich, GroBbritannien<br />
und Italien.<br />
Dabei wird ein Begriff von 'Burgerschaft' zugrundegelegt, der es<br />
licht, die uber den rechtstechnischen Gebrauch hinausgehende umfassendere<br />
sozio-politische und -kulturelle Bedeutung dieses Status zu erfassen.<br />
Wir machen die Annahme, daB der Begriff 'Burgerschaft'<br />
(citizenship usw.) eine weitere Bedeutung hat als der formale juristische<br />
* Der Aufsatz is! eine gekurzte Fassung des 1995 bei der DFG eingereichten Projektantrags,<br />
»Concepts, Foundations and Limits of European Citizenship«. Das Projekt is! am<br />
Zentrum fur Europaische Rechtspolitik (ZERP) an der Universitat Bremen angesiedelt<br />
und lauft seit September 1995.<br />
PROKLA. Zeitschrififiir lo-itische Sozialwissenschaft. Hefi <strong>105</strong>.26. Jg. 1996. Nr. 4. 543-563
544 Ulrich K, Preufl, Michelle Everson<br />
wie wir<br />
tersctlie(ilH:he:r, aber eventuell auch inselbst<br />
konkurrierenden<br />
"'v~""''''UH<br />
inwieweit diese<br />
bar sind und ob sich daraus in der<br />
einstimmend<br />
Praktiken herleiten<br />
und<br />
meinwesen werden k6nnen.<br />
soil schliel3lich die Antwort<br />
VjJ(U"',ilI"'il Bur-<br />
Ge-<br />
Begriff und Theorie des<br />
oder der Burgerschaft - im<br />
den werden beide Begriffe synonym verwendet - haben in den letzten<br />
fUnf Jahren weltweit eine beispiellose Aufmerksamkeit<br />
Ein<br />
kurzlich erschienener Rezensionsartikel (KymlickalNorman unter<br />
dem zuversichtlichen Titel Die Riickkehr des Burgers weist allein in seiner<br />
Literaturliste von fast ausschlieBlich englischsprachigen Titein fiber<br />
einhundert VerOffentlichungen fiberwiegend aus den letzten zehn Jahren<br />
auf. Nach der 1950 erschienenen wegweisenden Arbeit von T.H.<br />
die im engsten<br />
mit der<br />
schen Wohlfahrtsstaates entstanden war<br />
Wesentliche zum Thema gesagt worden zu sein. Seine<br />
sich seit dem 18. Jahrhundert bis zur<br />
in sukzessiver<br />
historischer zunehmend vervollkommnet indem<br />
""".
Konzeptionen von 'Biirgerschafl' in Europa 545<br />
--~--------~--~----~--------------------------<br />
zwischen liberalen und kornmunitaristischen<br />
die zweite im wesentlichen die Positionen widie<br />
vor aHem in den USA und in GroBbritannien im Zu!sa:mrnellh~mg<br />
mit einer neokonservativen Kritik des W ohlfahrtsstaates entwickelt worden<br />
die dritte auf das tatsachliche oder jedenfalls<br />
oft verkundete Ende des<br />
def naeh traditionellem<br />
Verstandnis die wesentliche<br />
der<br />
sion des Burgerstatus und untersueht vor aHem dessen<br />
weite.<br />
Vorab sei<br />
daB sich die LVIJ-;,.,llU,", nicht auf das Thema<br />
der Staatsangehi:irigkeit bezieht. Zwar setzt der<br />
sowohl in der Union wie auch in deren die<br />
Staatsangehi:irigkeit in einem def<br />
bzw. in dem betreffenden<br />
Mitgliedsstaat voraus, so daB Staatsangehi:irigkeit und Burgerschaft in<br />
der Regel ineins fallen. Irnmerhin gibt es immer noch<br />
in<br />
denen jemand zwar nieht eines Staates, aber doch dessen Staats angehi:iriger<br />
so z.E. im Fane der aller Burgerrechte. Umgekehrt<br />
hat es in der jakobinischen Phase der franzosischen Revolution mehrere<br />
Hille gegeben, in denen einzelnen Personen, die nach Auffassung der<br />
Revolutionare den universalistischen Geist der Revolution besonders hervorragend<br />
verkorperten, das franzosische Burgerrecht zuerkannt<br />
ohne daJ3 diese Personen damit franzosische Staatsangehorige wurden.<br />
Reute finden wir den Fall einer Nieht-Ubereinstimmung von Burgerschaft<br />
und StaatsangehOrigkeit insbesondere in der EU, die in Art. 8b und 8c des<br />
EGV Unionsburgem, d.h. StaatsangehOrigen eines Mitgliedsstaates, mit<br />
Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat, dessen StaatsangehOrigkeit sie nicht besitzen,<br />
bestimmte Biirgerrechte dieses W ohnsitzstaates StaatsangehOrigkeit<br />
und haben das Merkmal der eines<br />
Individuums im Staate gemein, betrachten diese aber aus verschiedenen<br />
Perspektiven und haben daher auch unterschiedliche Funktionen: erstere<br />
betont die vor aHem im intemationalen Recht bedeutsame staatliche Personalhoheit<br />
und grenzt damit den Personenkreis nach auJ3en fur die ein<br />
Staat Verantwortung hat. Letztere betrachtet das Bundel von<br />
Rechten und die der StaatsangehOrige als Glied und Teilnehmer<br />
der inneren des Staates hat. Sie ist daher untrennbar auf den Charakter<br />
der innerstaatliehen<br />
insbesondere ihre<br />
timitat bezogen. Die StaatsangehOrigkeit definiert die Rechte und pflichten<br />
der Individuen als Unterworfene def<br />
wahrend der<br />
status das Individuum in seiner Eigensehaft als Trager und Gestalter staat<br />
Heher Herrschaft thematisiert (vgl. zur Diskussion der keineswegs einheitlichen<br />
Definition von StaatsangehOrigkeit Makerov 1962: de Groot
546 Ulrich K. Preuj3, Michelle Everson<br />
1989: 1 Off; Wiessner 1989: 19ff, 28ff; Koslowski 1994). Da sich unser<br />
Projekt nur mit dieser zweiten, inneren Dimension der Mitgliedschaft im<br />
Staate befaBt, wird hier vergleichende Literatur zu Erwerb, Verlust und Inhalt<br />
der StaatsangehOrigkeit in den EU-Staaten nicht beriicksichtigt.<br />
Biirgerstatus und politische Philosophie<br />
KymlickaINorman bemerken, daB 'das Konzept der Staatsbiirgerschaft die<br />
Forderungen nach Gerechtigkeit und nach GemeinschaftszugehOrigkeit zu<br />
integrieren scheint' und so zum zentralen Punkt fur die herrschende Debatte<br />
geworden ist, die seit dem Ende der siebziger Jahre zwischen liberalen und<br />
kommunitaristischen Philosophen gefiihrt wurde (z.B. Rawls 1971; Walzer<br />
1983). Aus kommunitaristischer Sicht ist der Bfugerstatus zunachst ein Status<br />
der ZugehOrigkeit und der Mitgliedschaft, der auf einem besonders intensiven<br />
Grad sozialer Solidaritat zwischen dem Einzelnen und der jeweiligen<br />
Gemeinschaft aufbaue (Walzer 1983; Sandel1992; Miller 1992). Der entgegengesetzte<br />
Ansatz, der der liberalen Tradition folgt, legt weniger Gewicht<br />
auf soziale Solidaritat als auf die Rechte des einzelnen Individuums. Nach<br />
ihm leitet sich das Wesen des Bfugerstatus aus dem kooperativen Handeln<br />
freier moralischer Akteure ab, die mit gleichen Rechten und Anspriichen<br />
ausgestattet sind. Es ist hier mehr die wechselseitige Anerkennung gleicher<br />
Rechte, nicht die Existenz bestimmter vorausliegender moralischer Werte,<br />
welche die Teilnehmer bindet und ihre Gemeinschaft konstituiert (vgl. Kymlicka<br />
1992; Dworkin 1992).<br />
In letzter Zeit aber haben sich sowohl Kommunitaristen als auch Liberale<br />
eher auf die aktive Rolle des einzelnen Staatsbiirgers konzentriert. Diese<br />
Wendung auBert sich in dem emeuerten Interesse am Begriff der zivilen<br />
Gesellschaft (CoheniArato 1991; Klingsberg 1992; Seligman 1993; Keane<br />
1988; Taylor 1991). Dies hat vermutlich das Interesse an einer Neuuntersuchung<br />
der Urspriinge des Bfugerstatus in den Stadtstaaten der Antike ausge16st.<br />
Es besteht allgemeine Ubereinstimmung dariiber, daB eine 'erste<br />
Bfugerschaft' (Riesenberg 1992) in der koinonia politike des antiken Griechen1and<br />
und der civitas des vor-imperialen Rom gefunden werden kann,<br />
deren Merkmale in den GroBstaaten der Modeme nicht zu finden sind,<br />
vielleicht aber durchaus auch fUr unsere Gegenwart attraktive Elemente<br />
enthalten konnten (eine Auswahl: Klingsberg 1992; Cohen/Arato 1988;<br />
Keane 1988; Heater 1990). Daher sind Autoren, die sich mit der Zivilgesellschaft<br />
befassen, hauptsachlich damit beschaftigt, die mehr 'flieBende'<br />
Beziehung zwischen dem modemen Staatsbfuger und dem modemen Staat<br />
wiederherzustellen, so daB jeder einzelne Bfuger wieder wirklich in der<br />
Lage ware, ganz genuin einen mehr 'personlichen' Beitrag innerhalb der<br />
national en politischen Ordnung zu leisten.
Konzeptionen von 'Biirgerschafl' in Europa 547<br />
In ahnlicher Weise zeigt sich in der amerikanischen Literatur zum Thema<br />
'citizenship' wieder ein verstarktes Interesse an den Verantwortlichkeiten,<br />
die das Individuum gegenuber der Gesellschaft hat, und am Begriff der<br />
(staats-)bUrgerlichen Tugend (Pangle 1987; Macedo Galston 199<br />
Diese Idee hat nun den Atlantik uberquert und taucht in europaischen Studien<br />
in Form der emeuten<br />
eines einstmals hochst unmodemen<br />
namlich 'Pflicht' 1993; Selboume 1994) auf. In Europa<br />
wie in den USA hat die emeute Einfuhrung solcher Begriffe die von Marshall<br />
dominierte Nachkriegsorthodoxie in Frage gestellt, derzufolge Staatsburgerschaft<br />
das passive Erhalten von Rechten von Seiten des<br />
Staates seL<br />
Programme<br />
In jungster Zeit wurde diese Nachkriegsorthodoxie in Sachen Burgerstatus<br />
von einer Gruppe von Autoren die ihre Aufmerksamkeit weniger<br />
auf den Begriff der Gemeinschaft als vielmehr auf das Konzept des Individuums<br />
gerichtet hat. Ihren deutlichsten Ausdruck fand sie in der 'Wohlfahrtsdebatte'<br />
in Grol3britannien (eine kritische Analyse bei Jordan 1989;<br />
Roche 1992). 1m Kem geht es dabei um die Frage, ob soziale Rechte zum<br />
Begriff des Burgerstatus gebOren oder, im Gegenteil, mit ihm im Grunde<br />
unvereinbar sind. Obwohl Wohlfahrtsrechte auch im Rahmen der liberalen<br />
Tradition eine Rechtfertigung finden konnen 197 werden sie allgemein<br />
als kommunitaristische Instrumente wahrgenommen, die das Individuum<br />
innerhalb einer bestimmten Gesellschaft starken oder unterhalten<br />
(Jones 1990; Gray 1993). Dieses kommunitaristische Element im Begriff<br />
der Staatsburgerschaft wird von jenen Autoren in Frage gestellt, die auf<br />
den Widerspruch zwischen freier Marktwirtschaft und Wohlfahrtsrechten<br />
hinweisen und behaupten, daB W ohlfahrtsanspruche spontane Marktstrukturen<br />
nur verfalschen und dem Individuum die natiirlichen Mittel des<br />
personlichen Ausdrucks absprechen wiirden (Mead 1986; Novak et al<br />
1987; Hindess 1993).<br />
Staatsburgerschajt und Nationalstaat<br />
Die dritte Richtung in der Literatur befal3t sich mit der Beziehung des<br />
Burgerstatus zum Nationalstaat. Insbesondere geht es um die Frage, ob<br />
der der Burgerschaft begrifflich oder zumindest aus politischer<br />
Notwendigkeit an die Existenz des Nationalstaates gebunden sei (Arendt<br />
1973; Aron vgL auch Habermas 1994; Dahrendorf 1994). Seit einiger<br />
Zeit begrunden freilich Migrationsbewegungen sowie zunehmende<br />
okonomische und politische Interdependenzen Zweifel an der Fahigkeit<br />
des Nationalstaates, als die primare Einheit zu funktionieren, die den
548 Ulrich K. Preuj3, Michelle Everson<br />
und die damit verbundenen Rechte !",
Konzeptionen von 'Biirgerschaft' in Europa 549<br />
fried/Pierson<br />
immer die Kon-<br />
"-VUH'~H, dann sind auch der<br />
enge Grenzen<br />
Zunehmend muB der der Wohl-<br />
demisse der intemationalen<br />
Generell mag sich die Tendenz neI'aU:SSt(;Heu,<br />
des Nationalstaates im<br />
a"'Olav,,,,,, als Reaktion<br />
darauf konnte den universe lIen Menschenrechten eine<br />
Ein ahnliches<br />
,,"L115"1'''11 Literatur<br />
entwickelte ~~~>A~"l"'<br />
Up'H~'AHO Union<br />
Die<br />
des<br />
des Instituts der<br />
im<br />
Maastrichter unmittelbar aktuell geworden. Vor der Analyse der<br />
einzelnen damit verbundenen Rechte stellt sich die we1chen Chavorausgesetzte<br />
VIJ
550 Ulrich K. Preuj3, Michelle Everson<br />
Zusarnmenfassend laSt sich festhalten, daB diese vier Untersuchungsrichtungen<br />
auf zwei Erkenntnissen basieren, die vennutlich einen Teil der ErdafUr<br />
enthalten, warum sich in der Nachkriegsliteratur kein klar<br />
urnrissener Begriff von Biirgerschaft durchgesetzt hat (Heater 1990). Zum<br />
einen findet sich die verbreitete notwendigerweise kommunitaristische)<br />
Annahme, daB der Burgerstatus auf der Verbindung des Individuums<br />
mit spezifischen Gemeinschaften beruht Walzer 1983; Sandel<br />
Miller 1992; vgl. aber auch Mouffe 1993; Habermas 1994). Das zweite ist<br />
der nonnative Charakter del' Biirgel'schaft. Burgerschaft ist mehr eine Vision<br />
als eine analytische Kategorie. Beim Vel'standnis des Begriffs der Biirgerschaft<br />
geht es im wesentlichen darum, wie nach dem GefUhl del' Mitgliedel'<br />
einer spezifischen Gemeinschaft diese Gemeinschaft organisiert<br />
sein sollte 1992; Taylor 1991; Hindess 1993; Clarke 1994).<br />
Beide Erkenntnisse fUhren zu def SchluBfolgerung, daB es eine universell<br />
giiltige Definition von Bul'gerschaft nicht geben kann. Wenn Biirgerschaft<br />
primar die<br />
die zwischen einem Individuum und seiner<br />
oder ihrer eigenen Gemeinschaft aufrechterhalten werden (oder umgeund<br />
wenn Gemeinschaften verschieden sind, dann konnen auch diese<br />
Beziehungen von Gemeinschaft zu Gemeinschaft oder Gesellschaft zu<br />
Gesellschaft nur verschieden sein. Und wenn man einen mehr liberalen<br />
Ansatz des Begriffs verfoigt, so wird man sehr bald finden, daB verschiedene<br />
Personen verschiedene Vorstellungen damber haben, wie ihr eigenes<br />
Leben und das Leben ihrer Mitburger verbessert werden konnte, und<br />
folglich auch verschiedene Konzepte von Biirgerschaft benutzen, um verschiedene<br />
Ziele zu verfolgen. In jedem Falle wird man sich einem Pluralismus<br />
von Konzepten von Burgerschaft gegenilbersehen (Blackburn<br />
1993).<br />
Wie ist das Konzept 'Europaische Burgerschaft' zu<br />
HU •• b:n"'""'UHh~LA"" unseres Projekts besteht die mogliche Bebesser<br />
gesagt den Bereich moglicher Bedeutungen) einer europaischen<br />
Biirgerschaft zu klaren. Wir machen dabei die<br />
daB<br />
die Bedeutung, welche ein europaischer Bilrgerstatus fUr den gegenwartig<br />
stattfindenden IntegrationsprozeB in erster Linie durch die Konzepte<br />
bestimmt die sich in den nationalen Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft<br />
entwickelt haben. Weiterhin wir davon aus, daB die Konzepte<br />
von Biirgerschaft in den Mitgliedsstaaten der<br />
Union nicht<br />
gleich sind; vielmehr nehmen wir an, daB verschiedene historische Erfahrungen,<br />
Rechtssysteme, religiose und kulturelle Traditionen, Wirtschaftsbedingungen<br />
usw. eine betrachtliche Vielfalt nationaler Konzepte von
Konzeptionen von 'Biirgerschaft'in Europa 551<br />
--~--------~--~----~--------------------------<br />
Biirgerschaft hervorgebracht haben. Wiihrend die erste Annahme zur Zeit<br />
weder verifiziert noch falsifiziert werden kann, weil sie sich auf eine zukiinftige<br />
Entwicklung bezieht, ist die zweite falsifizierbar und daher Gegenstand<br />
unserer Untersuchung. Unsere Hypothese weicht geringfiigig von<br />
dem Konzept eines europaischen Konstitutionalismus ab, das der Europaische<br />
Gerichtshof vertritt, der die 'allen Mitgliedsstaaten gemeinsamen konstitutionellen<br />
Traditionen' betont. Ebenso haben wir auch eine gewisse<br />
Skepsis gegeniiber der Annahme, daB ein gemeinsamer Fundus europaischer,<br />
konstitutioneller Prinzipien existiert, die die Grundlage eines gemeinsamen<br />
europaischen Verfassungsrechts bilden, wie es von Haberle<br />
angenommen wird (Haberle 1991: 71ff; skeptischer dazu Ipsen 1987). Die<br />
Untersuchung dient der Uberpriifung jener Thesen in bezug auf den Status<br />
der Burgerschaft. Ais Ergebnis der Forschung erwarten wir dariiber hinaus<br />
auch ein griindlicheres Wissen uber die Spannweite der Bedeutungen, die<br />
die gegenwiirtigen rechtlichen und politischen Diskussionen uber den Begriff<br />
der Burgerschaft (und uber die eng damit verbundene Thematik einer<br />
europaischen Verfassung) beeinflussen.<br />
Ein analytischer Rahmen<br />
Zur Identifizierung der Vielzahl moglicher Sinngehalte von Biirgerschaft<br />
in den von uns ausgewahlten Mitgliedsstaaten der EU mussen wir den<br />
Raum definieren, innerhalb dessen wir sie aufzufinden vermuten. Wir gehen<br />
davon aus, daB 'Biirgerschaft' zu den grundsatzlich urnstrittenen politischen<br />
Konzepten gehOrt (Sommers 1994) und daB seine spezifische Bedeutung<br />
innerhalb der nationalen Gesellschaften in enger Anlehnung an<br />
ideologische Gegensatze und sozial-okonomische, religiose oder kulturelle<br />
Spaltungen variieren diirfte. Daher sind wir darauf vorbereitet, einer Vielzahl<br />
von (konkurrierenden) Biirgerschaftsbegriffen auch innerhalb der untersuchten<br />
Mitgliedstaaten zu begegnen. Doch die dem Projekt zugrundeliegende<br />
Hypothese ist die, daB sich in jedem der nationalen Mitgliedsstaaten<br />
der Gemeinschaft - d.h. in den fiinf Liindem, urn die es hier geht -<br />
ein vorherrschendes Konzept von Biirgerschaft herausgebildet hat, das einen<br />
dominierenden EinfluB sowohl auf die Rechtsordnung als auch·auf die<br />
politischen und sozialen Praxisformen hat, die sich auf das Konzept der<br />
Biirgerschaft beziehen.<br />
In einer vergroberten Fassung konnen wir versuchen, das Universurn moglicher<br />
Biirgerschaftskonzepte in einer Matrix einzufangen, die auf der Abszisse<br />
zwischen einem kommunitaristischen und einem individualistischenlliberalen<br />
Verstiindnis unterscheidet und auf der Ordinate danach<br />
differenziert, ob in einem Biirgerschaftsbegriff der Status der Mitgliedschaft<br />
logisch und normativ V orrang vor den damit verknupften Rechten
552 Ulrich K Preuj3, Michelle Everson<br />
diese also aus<br />
Rechte und nonnativ dem Status der lVtltgllle
_K_on_Z-,ep,---t_io_n_en_v_o_n_'B_u_"r=--ge_~_sc_h-"afl_t'_in_E_u_r--'op'-a ______________ 553<br />
male diametral entgegengesetzte Extrem eines<br />
das auf innere<br />
Verbundenheit al:> von Verbindlichkeit verzichtet z.B.<br />
def kaufliche Erwerb des Status der<br />
Dissoziative Beziehungen von<br />
von Burgerschaft<br />
unterscheiden sich entsprechend ihren Gegenbegriffen, auf die sie sich<br />
mehr oder ausdrucklich beziehen, und gegen die sie mehr oder<br />
weniger bewuBt abgegrenzt werden. Wir sprechen von der dissoziativen<br />
Funktion des Begriffs der<br />
wenn er in einer extrem 'asymmetrischen'<br />
Beziehung zu einem anderen Status steht Konzept der<br />
'asymmetrischen Gegenbegriffe' siehe Koselleck 1989: 21 Zwei Versionen<br />
dieser<br />
sind vorstellbar: nach der ersten<br />
Version wird die positive Bedeutung der Staatsbfugerschaft gegenuber<br />
dem Hintergrund dnes extrem negativen und veriichtlichen Status hervorgehoben.<br />
Nach der zweiten, entgegengesetzten Version wird<br />
dadurch entwertet, daB sie al:> negative Folie fur die Hervorhebung anderer,<br />
al:> wertvoll geschiitzter sozialer RoBen dient. Ein Beispiel fur die erste<br />
Version ist die Gegenuberstellung von 'Burgem' und Aristokraten, die im<br />
Westeuropa des 18. und 19. Jahrhunderts von grundlegender politischer<br />
Bedeutung war. Das beruhmte Gegensatzpaar 'citoyen-bourgeois' ist ein<br />
anderes Beispiel. Ein Beispiel fur die zweite Version war die Entwertung<br />
des 'Burgers' gegenuber dem 'Genossen' in den kommunistischen Gesellschaften.<br />
Interessanter als diese Extremfane, die hauptsachlich heuristischen<br />
Zwecken dienen, sind natlirlich die Grenzfalle, die mehr unsere zeitgenossischen<br />
Verfassungsstaaten betreffen. Hier enthullen Gegenuberstellungen<br />
wie 'Burger-Oberhaupt der FamilielFamilienmitglied', 'Burger<br />
FraulHausfrau', 'Burger/ Arbeiter/ Angestellter/Untemehmer', 'Burger-Kunde',<br />
'Burger-Kunstler' etc. spezifische Vorstellungen von Burgerschaft, das<br />
uns dabei helfen konnten, ihren kulturellen Zusammenhang besser zu verstehen.<br />
Assoziative Beziehungen von Burgerschaft. Zum Verstiindnis des Begriffs<br />
gehOren nicht nur die Gegenbegriffe und die in ihnen ausgedruckte Bezieder<br />
sondem auch die d.h. die<br />
sso'zza~tlOneI1. die das Konzept der Burgerschaft im geschichtlichen Verlauf<br />
in verschiedenen Gesellschaften eingegangen sein konnte. Prominentes<br />
Beispiel ist die Metamorphose yom Staatsuntertan zum Staats burger. In<br />
einigen Fallen konnen wir sogar die Uberfuhrung einer zuvor dissoziativen<br />
Beziehung in eine assoziative beobachten, wie Z.B. in dem nach dem 2.<br />
w(~m:ne:g in Deutschland erfundenen Begriff des 'Burgers in Uniform',<br />
oder auch in Begriffen wie<br />
oder 'Wirtschaftsburger'<br />
(economic citizen). Es gibt auch Falle, in denen eine assoziative<br />
Beziehung dadurch hergestellt wird, daB die in dem Konzept der<br />
Burgerschaft verk6rperten Werte in eine ihr ursprunglich feme Sphare
554 Ulrich K. PreufJ, Michelle Everson<br />
transferiert werden. Der 'akademische konnte ein solcher Fall sein.<br />
Ein solcher Transfer enthullt dann moglicherweise mittelbar wesentliche<br />
Einsichten D.ber die innersten Elemente der<br />
Ausschluj3 und Einschluj3. Diese Dimension thematisiert die Attribute von<br />
Personen, welche sie bzw. den Status der<br />
Bilrgerschaft zu eriangen. Das offenkundigste Beispiel einer<br />
fikation ist natilrlich der Ausschlul3 des Sklaven vom Bilrgerstatus in der<br />
griechischen Das Thema der Sklaverei, d.h. der AusschluB von Menschen<br />
von der Kategorie des Person-Seins und, daraus folgend, vom Status<br />
der Bilrgerschaft, hat aber auch in der Geschichte der Vereinigten Staaten<br />
seit ihrer eine Schlusse1rolle gespielt (Shklar 1991). Auch in der<br />
franzosischen Revolution spielte diese Frage eine Rolle. Ein kaum UTP'nll~pr<br />
sichtbarer Fall des ausschlieBenden Charakters der Burgerschaft ist der<br />
mindere Status von Frauen bis in das 20. Jahrhundert hinein (Lother<br />
Spree 1994). Heute besitzt freilich in den EU-Staaten jeder Erwachsene<br />
unabhangig von sozialem Status, Religion, Geschlecht oder politischer<br />
Meinung den Burgerschaftsstatus. Dennoch ist die hier vorgeschlagene<br />
Unterscheidung ausschlieBend/einschlieBend historisch nicht uberholt.<br />
Denn angesichts der Umwandlung Europas aus einem Auswanderer- in einen<br />
Einwandererkontinent gewinnt die heute noch geltende AusschlieBung<br />
von AusHindem vom Bilrgerstatus eine neuartige Bedeutung, die, so unsere<br />
Hypothese, in den verschiedenen Mitgliedstaaten keineswegs dieselbe sein<br />
dilrfte. Unabhangig von dies em aktuellen AusschlieBungsmechanismus<br />
konnen auch vergangene und vielleicht nur unter traumatischen gesellschaftlichen<br />
Bedingungen uberwundene Ausschlusse einen wichtigen EinfluB<br />
auf das gegenwartige Verstandnis der Kategorie der Bilrgerschaft haben<br />
(sehr eindringlich fUr die USA Shklar 1991).<br />
Staatliche und gesellschaftliche Konzepte von Biirgerschaft. Konzepte von<br />
Bilrgerschaft konnen entlang der<br />
staatlich - gesellschaftlich<br />
unterschieden werden. 1m Rahmen einer staatlichen Konzeption dient der<br />
Status def Biirgerschaft in erster Linie dem Zweck, eine Beziehung zwischen<br />
Staat und Individuum sicherzustellen, in der Gehorsam gegen Schutz<br />
getauscht wird. Idealtypisch liegt eine vertikale Beziehung zwischen Staat<br />
und Individuum VOf, in welcher sich das Individuum in einem ilberwiegend<br />
passiven Status der SUbjektion befindet. 1m Rahmen einer gesellschaftlichen<br />
Konzeption verkorpert sich in dem Begriff der Burgerschaft das Bestreben,<br />
einen Raum zu definieren, in dem das Individuum gegen das Eindringen<br />
politischer Macht geschiltzt ist. Burgerschaft schUtzt nach diesem<br />
Verstandnis die unabhangige SteHung des Individuums in einer Welt primar<br />
horizontaler sozialer Beziehungen wie dem Markt, freiwilliger Verhande<br />
oder der Familie. Hier konnen wir verschiedenen, im Status der<br />
Bilrgerschaft ausgedriickten Bedeutungen von Unabhiingigkeit begegnen,
_~_on_z~ep_n_o_ne_n_v_on __ ~_ur~g_e~_sc_h~afi~t'_in_E_u_r~op_a ____________________________ 555<br />
wie z.B. einer mehr passiv-privatistischen (Deutschland im 19. Jh.), einer<br />
aktiv-privatistischen (anglo-amerikanische Konzeption) oder einer aktivrepublikanischen<br />
(Frankreich, Niederlande).<br />
Physische und symbolische Grenzen der Burgerschaft. Ais ein weiteres bedeutsames<br />
Element der Definition von Biirgerschaft betrachten wir den Charakter<br />
der Grenzen, die Biirger von Nicht-Biirgem abgrenzen; dabei unterscheiden<br />
wir zwischen physischen und symbolischen Grenzen. Der modeme<br />
Staat begrenzt seine Autoritat und Souveranitat entlang physischer Grenzen,<br />
und seine Forderung nach Gehorsam basiert (mit wenigen Ausnahmen) auf<br />
der physischen Kontrolle seines Territoriums (Conze 1990; Ruggie 1993). Die<br />
physischen Grenzen seiner Autoritat sind ein wichtiges Mittel der Herstellung<br />
einer kohiirenten sozialen Ordnung. Nicht-territoriale Institutionen wie die<br />
katholische Kirche, die Kommunistische Partei oder eine Nationale Befreiungsbewegung<br />
mit kaum weniger Kontrolle fiber ihre jeweiligen Mitglieder<br />
ziehen dagegen symbolische Grenzen zur auBerhalb liegenden Welt. Ahnlich<br />
k6nnen wir einerseits Konzepte von Biirgerschaft beobachten, die mehr die<br />
fiberwiegend physischen, sichtbaren Grenzen dieses Status fur soziale und<br />
politische Integration betonen, und andererseits jene, die auf weniger leicht<br />
identifizierbare, ungreifbarere Grenzen abstellen. Die Unterscheidung zwischen<br />
ius soli und ius sanguinis spiegelt diesen Gegensatz sehr treffend. Natiirlich<br />
gibt es kompliziertere Fiille, zum Beispiel den britischen Fall und<br />
wahrscheinlich auch den aller europaischen Lander, die eine koloniale Vergangenheit<br />
mit besonderen Verbindungen zu ihren friiheren EinfluBbereichen<br />
und deren Einwohnem haben. Eine unserer Hypothesen mit Bezug auf die<br />
Unterscheidung physisch-symbolisch ist die, daB die beiden Elemente zwei<br />
unterschiedliche Modi sozialer Integration darstellen und daB diese wiederum<br />
denjeweiligen GehaIt verschiedener Konzeptionen von Biirgerschaft pragen.<br />
Rechte versus ursprilngliche ZugehOrigkeit. Konzepte von Biirgerschaft<br />
k6nnen danach unterschieden werden, ob sie hauptsachlich durch die dem<br />
Biirgerstatus zugewiesenen Rechte definiert werden oder durch Beziehungen,<br />
die solchen Rechten vorausliegen und das Individuum mit dem Staat<br />
verbinden. Wir kennzeichnen diese Unterscheidung mit dem Gegensatzpaar<br />
Rechte vs. urspriingliche ZugehOrigkeit. 1m ersten Fall k6nnte die<br />
Zuweisung von Rechten die Entstehung einer Gemeinschaft zur Foige haben;<br />
im zweiten Fall erfordert der Begriff umgekehrt, daB bereits eine Gemeinschaft<br />
zwischen dem Individuum und dem Staat als Voraussetzung<br />
dafiir besteht, daB dem Individuum bestimmte Rechte zuerkannt werden<br />
konnen. Mit gewissen Modifikationen, die hier unerortert bleiben, ist diese<br />
Unterscheidung die gleiche wie die bekannte zwischen Liberalismus und<br />
Kommunitarismus.<br />
Reprasentation kollektiver Werte!Interessen vs. Verfolgung von Eigeninteressen.<br />
Bedeutsam ist auch, ob der Biirgerstatus primar ein Element ist,
556 Ulrich K. Preufi, Michelle Everson<br />
das auf die<br />
bestimmter kollektiver Werte<br />
oder ob er ein Instrument in den Hiinden<br />
von Individuen die damit ihre Zwecke verfolgen konnen.<br />
1m modernen Verfassungsstaat ist es die Aktivbiirgerschaft, die durch<br />
die<br />
Rechte alle Bewohner eines Territoriums<br />
rechtlich bindet.<br />
relativ hoher Anteile von<br />
in EU-Landern kann es zu einer be-<br />
Diskrepanz zwischen der Zahl derjenigen, die die<br />
Autoritat zu binden haben und die kommen.<br />
Sie liiBt sich vielleicht nm, in an Bmke's Theorie der 'virtuellen<br />
Funktion des<br />
rbtirgc:rsc:hatt insgesamt) iiberbriikken<br />
bzw. rechtfertigen. Er dUffte dann vermutlich nicht nur ein Status von<br />
Rechten, sondern auch von Pflichten und Verantwortlichkeiten sein. Oder<br />
wird, ganz im Gegenteil, Burgerschaft als eine Art personliches<br />
UH.'UU"H, als ein Potential betrachtet und auch benutzt, das es einer Person<br />
ermoglicht, ihre oder seine Interessen effizienter zu<br />
1st der Status<br />
der Burgerschaft mit anderen Worten vorwiegend ein reprasentativer<br />
Status oder ein Status zum Schutz und zur F6rderung des<br />
chen Selbstinteresses, der Selbstentfaltung oder der der personlichen IdentiUit?<br />
Die Antwort durfte einen gewissen EinfluB auf den Charakter der demokratischen<br />
Kultur<br />
Land haben und damit zum Verstandnis<br />
des politischen und kulturellen Kontextes des Begriffs der<br />
beitragen.<br />
Anrechte und Angebote. Der Gedanke, daB Burgerschaft ein Guthaben sein<br />
das dem Individuum Lebenschancen die ihm sonst nicht<br />
zm Verrugung<br />
der von Dahrendorf vorgeschlagenen Unterzwischen<br />
Anrechten und Angeboten zugrunde<br />
3 Dahrendorf Anrechte bieten Individuen einen norin<br />
diesem Sinne sind z.B. legale An<br />
Anrechte. Angebote umfassen die<br />
und Vielfalt materieller und immaterieller nach denen die Individuen<br />
streben. Wenn wir diese<br />
der<br />
schaft in<br />
setzen, so wird ""'cvHHU'OU<br />
nem Inhaber Zugang sowohl zu Anrechten als auch zu Angeboten<br />
Unsere daB von sich je nach<br />
dem<br />
unterscheiden: je mehr Anrechte der Biir-<br />
,,,p'n"~p,.. Angebote werden real in der Gesell-<br />
Diese Aussage ist eine V ersiaU""l'UIO"'''OllUHb<br />
von Sicherheit gegen Freiheit. In dem<br />
wird es mithin um die Antwort auf die Frage ob<br />
l-i:ii,..O",'rcj·"t,1C den Individuen den auf Anrechte
Konzeptionen von 'Burgerschaft'in Europa 557<br />
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~--<br />
indem er den<br />
GroBteil des ge~;ellsctlatjthchen<br />
nicht verbundenen V er - und Zuteilurlgsmc;chanisnlen<br />
"-'''h'~'"''L den zu- und verteilenden Kraften des<br />
wie zum<br />
der Familie oder<br />
anderen Gemeinschaften. Daher stellt in dieser Dimension die V"",",HUH5<br />
des der dar.<br />
SchlieBlich<br />
un<br />
Jjul~gelrscllatt auf<br />
sen sowohl die Nation wie auch def Status als<br />
Akt<br />
den<br />
den Staat aktiv zu formen und an der Ausseiner<br />
Autoritat teilzunehmen. Ein eher<br />
VersUindlllS<br />
von<br />
kann in verschiedenen Version en vorkommen: es<br />
k6nnte z.E. an einen in der dann ethnisch bestimmten<br />
Nationbegriff<br />
sich in einem mehr kulturellen<br />
wie dem des deutschen 1993a;<br />
annehmen. Es sei<br />
schen<br />
den Lander im<br />
nicht aber eine HHY!","""'- Realitat.<br />
werden sollen,<br />
Methoden der<br />
zu lesen<br />
nellen Methoden rechtlicher Int",.,..,·",tq<br />
um die genaue rechtliche LYI..'U'-"H!.U'I-'.<br />
zu bestimmen. Doeh k6nnen unserer ",-,U
558 Ulrich K. Michelle Everson<br />
vollstandig verstanden werden. Daher muB sich die m emem<br />
zweiten Schritt den zuwenden, die die<br />
stische Profession sowie jene Krafte der Zivilgesellschaft, die die Offentliche<br />
Diskussion in einer demokratischen Gesellschaft konstituieren,<br />
pragend zum Verstandnis des Begriffs beigetragen haben. Reehtliehe<br />
Interpretation erweitert sich hin zur 'offenen Gesellsehaft der Verfastpr,wp·tprI<br />
. In einem dritten Sehritt wird die Untersuehung um die<br />
Analyse der sozialen und kulturellen Zusammenhiinge der Rechtstexte<br />
und ihrer Interpretation angereiehert. Die Analyse der sozialen Zusammenhange<br />
konzentriert sieh auf die soziale Funktion, die der Status der<br />
Burgerschaft in einer bestimmten Gesellsehaft ausubt einem Land<br />
kann sie fUr das wirtschaftliche Leben eine wichtige Rolle spiden, z.E.<br />
fur den Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen, wahrend sie in einem<br />
anderen Land primar als ein Element der symbolischen Reproduktion der<br />
Gesellschaft dienen konnte). Da wir eine Antwort auf die Frage finden<br />
ob die in den EU-Mitgliedsstaaten vorherrschenden Konzepte<br />
der Burgerschaft miteinander vereinbar sind, ist fUr das Projekt die kulturelle<br />
Dimension einer gegebenen Verfassung und rechtlichen Ordnung<br />
von besonderer Bedeutung, wei! es die Kultur einer bestimmten Gesellschaft<br />
die die (verschiedenen und oft umstrittenen) politischen Begriffe<br />
formt, das kollektive Erinnerungsvermogen pragt, die beherrschende Rolle<br />
im ProzeB der Konstitution von Bedeutung spielt und damit die Besonderheit<br />
einer Gemeinschaft zum Ausdruck bringt und aufrechterhalt. Der kulturelle<br />
Zusammenhang der rechtlichen Texte bietet m.a.W. den symbolischen<br />
Rahmen fUr ihr richtiges Verstehen. Die Untersuchung betritt dabei<br />
das Feld der politischen Semantik und ihrer spezifischen Mehrdeutigkeiten,<br />
die u.a. auch den flieBenden und unbestimmten Charakter des<br />
Begriffs der Burgerschaft erkHiren (zu den methodischen Problemen der<br />
Semantik Koselleck Koselleck 1989: Dabei<br />
kommt es uns darauf an, nicht nur das bei den<br />
und kulturellen<br />
EHten vorherrschende Verstandnis von Burgerschaft zu !U~'!Hl!l£'l"!'''l!,<br />
sondem auch<br />
das bei den breiten Massen vorherrschend<br />
weil des demokratischen Charakters der Staaten<br />
dieses MassenbewuBtsein uber das ob und ggf. den Charakter einer europaischen<br />
Burgerschaft bestimmen durfte.<br />
Daraus folgt, daB das Material der Untersuchung nicht auf offizielle<br />
sche Texte (Verfassungen, Gesetze,<br />
und deren<br />
tionen durch die Profession beschrankt sondem auch<br />
rungen<br />
die von den unterschiedlichsten Teilnehmem des Offentlich-politischen<br />
Diskurses stammen und das kollektive BewuBtsein<br />
publizistische Debatten, literarische Werke, Stereotype in der<br />
Massenkultur, Schlagworte in der<br />
Auseinandersetzung u.a.
Konzeptionen von 'Burgerschafl'in Europa 559<br />
konnen ergiebige fur die Analyse des in del' Gesellschaft herrsehenden<br />
von Burgersehaft sein. Natiirlieh kann die Studie nieht<br />
aIle diese Materialien in allen untersuchten Landem untersuchen. Dies ist<br />
aber auch nieht wlinsehenswert. Es kann angenommen daB die<br />
versehiedenen Spharen die<br />
von kollektivem Wissen nieht<br />
liberal!<br />
beeinflussen, und daB sie aufgrund geS,chl.ehl:11c!l1er<br />
Besonderheiten verschiedene Rollen in den einzelnen<br />
spielen. Es wird von dem jeweiligen Land<br />
welehe Art von<br />
Quellen fur das Ziel del' Studie am ergiebigsten 1St.<br />
Die Auswahl der zu untersuchenden Lander<br />
Die Untersuchung solI sich auf die Lander<br />
Deutschland, Italien und Belgien erstreeken. Begrenzte Ressourcen und<br />
Probleme del' Randhabbarkeit sprechen dagegen, samtliche (in nachster<br />
Zukunft 15) Mitgliedsstaaten einzubeziehen. Daher muB die getroffene<br />
Auswahl hinlanglich reprasentativ fur die Unterschiedlichkeit der Mitgliedsstaaten<br />
und ihrer politischen Kulturen sein. Zwei Kriterien haben die<br />
Auswahl geleitet: zum einen der EinfluB, den die einzelnen Mitgliedsstaaten<br />
aufgrund ihres wirtschaftlichen und politisehen Gewichts auf die Entwicklung<br />
der Union haben konnten. Wir machen dabei die Annahme, daB<br />
der EinfluB del' politischen und rechtlichen Kultur eines Mitgliedsstaates<br />
auf die Entwicklung einer europaischen Burgerschaft zum groBten Teil<br />
seiner jeweiligen wirtschaftlichen und politischen SteHung entsprechen<br />
wird. Dies ist mehr oder weniger ein quantitatives Kriterium.<br />
Das zweite Kriterium ist mehr qualitativer Natur und behandelt die besondere<br />
Rolle der Mitgliedsstaaten im Zusammenhang ihrer Geschichte als<br />
Nationalstaaten. Rier machen wir die<br />
daB die historischen Eider<br />
zu Nationalstaaten<br />
UH'\'H~."''''''''v~ V erstandnis von Burgerschaft ge<br />
,-"'F;""""""" wahrscheinlich einen gewichtigen<br />
mit den Anforderungen<br />
haben. Es hat sicherlich keinen<br />
historischen 'Standardweg' zur Nationalstaatlichkeit gegeben, der als MaBstab<br />
fUr die Entwicklung aller Mitgliedsstaaten dienen konnte. Jeder einzelne<br />
der europaischen Nationalstaaten hat seine ureigene<br />
durchgemacht, so daB jeder als<br />
geeignet ware. Die (yptrntt",_<br />
ne Auswahl muB ausreichend verschiedenartige Falle<br />
urn elne<br />
breite Spanne von Varianten abzudecken. Daher sind<br />
deren Prozesse der Nationalstaatsbildung einige auffallende Merkmale<br />
die einen spezifischen EinfluB auf die Evolution einer Unionshaben<br />
die geeignetsten Kandidaten.
560 Ulrich K. Preufi, Michelle Everson<br />
ist nicht nur Zentrum des Commonwealth und damit auch<br />
historisch mit der !-,V''''''_W.'H 'iSCHu,'UC>,VH multi-nationaler und -ethnischer<br />
!-,Vj,U"'''H''l Einheiten vertraut, sondem umfaBt auch als rein<br />
Nationalstaat eine Mehrheit von<br />
so daB gein l'\..UUL"CI,}<br />
die fur eine eUlrorllw,cl1le<br />
bedeutsam sein k6nnen. Unter allen<br />
ten kommt Frankreich dem<br />
beruhenden Sta,atsbuI'gel:naltlOn<br />
man von<br />
Beide Besonderheiten lassen eine is",;""'U""-'<br />
V!-,'U~'"U"H Staaten besondere Hirbung des deutschen<br />
be~(fltts erwarten. Italien ist ebenfalls ein unter den euro-<br />
"VA"'!'''''''"'''',1, hatte aber anders als die keinen<br />
von der<br />
bedeutsamen Begriffvon Nation. Bemerkenswert<br />
ist fur dieses Land auch die historische Tradition der italienischen<br />
des Mittelalters. AuBerdem ist Haiien ein<br />
klassisches Auswandererland - alles in aHem sind dies<br />
die ein<br />
sehr eigentUmliches Profil des der Bfugerschafi erwarten lassen.<br />
Belgien schlieBlich wird allein des zweiten Kriteriums in die<br />
Untersuchung einbezogen. Das Land ist ein bi-nationaler, fOderal<br />
sierter Staat im um seme Es ist ein fUr die Existenz<br />
eines Staates, dessen Kohiirenz nicht auf<br />
beruht und dessen von """E,A'''''''''WU<br />
der EU von besonderem Interesse 1St.<br />
In den letzten Jahren ist die<br />
zunehmend von den Volkem III<br />
hat die ob und wie das Institut der UH'V"WU"Hi'i'"<br />
tatsachlich zur<br />
emes eUlro]:)lW;ch.en<br />
k6nnte, eine enorme gewonnen. Dieses davon aus,<br />
daB die noch zu entwickelnde Institution der<br />
auf den<br />
einzelnen Traditionen der<br />
basieren wird. Es ist zu<br />
daB in den divers en national en tle:gnlttc:n<br />
und cittadinanza<br />
uu/v""""""", sondem auch ge<br />
HR'"l""ll'''ll. Sollte es sich aber erge-
Konzeptionen von 'Bargerschaft' in Europa 561<br />
daB die verschiedenen K.cmzep[e<br />
ennete und cittadinanza nicht mit einander KOmrlatl<br />
Erkenntis: eine an die<br />
Formen werden mussen, um individuelle<br />
einander zu binden.<br />
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aus dem Franzosischen von<br />
J. Lossos und R. Johannes<br />
313 Seiten, Fadenheftung,<br />
Leinen, Schutzumschlag<br />
ISBN 3-924245-30-4<br />
DM 68,~/oS 503,~/SFr 69,80<br />
»Eine hochst aufschluBreiche und wohltuende Lektiire fUr jene, die sich<br />
von der Hektik einer<br />
wollen und uU,,",,'vH<br />
omrp,'nT zu den<br />
einer demokratisch verfaBten Gesellschaft<br />
W. Koisser, Vertreter des Hohen der UN in<br />
Deutschland bis 1993<br />
1963 . 21309 . Tel: 04131148379 . Fax: 48336
Als in den 80er Jahren die<br />
im sudlichen Amerika zusamwurde<br />
auch in Mittelamerika -<br />
aus anderen Motiven<br />
- die Stunde der Demokratie eingelautet. Das Militar zog sich von der<br />
Buhne zUrUck und die mittelamerikanischen Ubergiinge zur<br />
Demokratie werden seitdem allgemein als gelungen angesehen. Von einer<br />
Demokratien kann aber immer noch keine Rede<br />
sein. Breite Bev61kerungskreise scheinen die neuen Regimes als Fremdaru-zunelillnen,<br />
der auf Desinteresse und sogar Ablehnung st6Bt.<br />
Die in den Transitionen eingefiihrten institutionellen und normativen Re-<br />
_, __.___.___ der Demokratie korrespondieren kaum mit den politischen Artikulationsformen,<br />
die sich in den Gesellschaften auBerhalb des<br />
staatlich-institutionellen Rahmens traditionell<br />
haben. Die<br />
Artikulation eines erheblichen Teils gesellschaftlicher Kollektivinteressen<br />
findet in mehr oder weniger unmittelbaren politischen Handlungsformen<br />
mit stark kollektiv-partizipatorischen Elementen statt.<br />
Die<br />
auf zentralstaatlicher Ebene Implc:m1em:leIle »'I
566<br />
da sie sich nicht auf die<br />
schaftlichen Interessen beziehen.<br />
Klaus-Dieter Tangermann<br />
der<br />
1.<br />
Nachdem die Sandinisten in Nicaragua 1979 die Diktatur der Somozas beund<br />
ein revolutionares Regime errichtet verschwanden ab<br />
"'U1U"'", der gOer Jahre die Militarregimes in der ganzen Region. Die nahezu<br />
zeitgleiche der Demokratie in Honduras und El<br />
Salvador hatte nlcht zuletzt exteme Grilnde. Von der damaligen USunter<br />
Prasident Reagan wurde das Regime der Sandinisten als<br />
eine Bedrohung fur die Stabilitat in der Region angesehen, und so initiierte<br />
die US-Regierung - ahnlich wie sie es nach der kubanischen Revolution<br />
mit der kontinentalen »Allianz fur den Fortschritt« getan hatte - eine regionale<br />
Anstrengung fur mehr Demokratie und erreichte in den drei Landem<br />
den baldigen Ruckzug der Militars von derpolitischen Buhne.3<br />
Nach der Wahlniederlage der Sandinisten 1990 wurde in Nicaragua ein<br />
ahnliches demokratisches Regime errichtet wie in den Nachbarlandem.<br />
Damit bestehen seit 1990 in ganz Mittelamerika liberale Demokratien.<br />
Obwohl alle Lander uber gleiche politische Regimes verfugen, ist der Zustand<br />
dieser Demokratien sehr unterschiedlich. Die vier (relativ) neuen<br />
Demokratien, Guatemala, Honduras, El Salvador und Nicaragua, gehoren<br />
2 Mit Mittelamerika sind hier im tradition ellen Verstiindnis die funf Lander Guatemala,<br />
Honduras, EJ Salvador, Nicaragua und Costa Rica gemeint.<br />
3 Obgleich im Fall von EJ Salvador kein Zweifel an der Rolle der USA als treibender Kraft<br />
hinter dem Ruckzug der Militars von der poJitischen Buhne besteht, heWt das jedoch keineswegs,<br />
dafl allein iiuflere Faktoren die Einfuhrung der Demokratie bewirkt haben. 1m<br />
Falle Guatemalas scheinen beispielsweise externe und interne Gmnde gleichermaflen<br />
wirksam gewesen zu sein. Die Interessen der US-Regierung, in EI Salvador eine demo<br />
Iaatische Regierung mit dem Ziel zu etablieren, der US-amerikanischen Unterslulzung der<br />
salvadorianischen Streitkrafte einen Anschein von Legitimation zu verschaffen, zugleich<br />
der Ausstrahlung des nicaraguanischen Beispiels zu begegnen sowie mit der Abl6sung<br />
der MiJitars in Honduras eine bessere Legitimation fur die Fuhrung des Contra-Kriegs gegen<br />
Nicaragua zu erreichen, verband sich mit dem Interesse der guatemaltekischen Militars,<br />
wieder Wirtschafts- und Militiirhilfe aus den USA zu erhalten, wozu ebenfalls die<br />
Einfuhrung der Demokratie angebracht war (Flora/Torres-Rivas 1989: 40). Damber hinaus<br />
m6gen weitere endogene Grunde eine Rolle gespielt haben, die Lechner als Faktoren<br />
fur den Ruckzug der Militiirs in Sudamerika nennt: Die soziale Integration durch den<br />
Mark! fand in Mittelamerika kaum statt und so stellte die Demokratie den Versuch dar,<br />
eine politische Integration zu bewerkstelligen, die mit den repressiven Methoden der Militiirherrschaft<br />
besonders ab Mitte der 70er Jahre nieht mehr gelang (Lechner 1993: 70;<br />
1994: 34). Insgesamt ist aber weitgehend unstrittig, dafl endogene Ursachen in Mittelamerika<br />
vergleichsweise weniger relevant waren als bei der Wiedererrichtung der sudamerikanischen<br />
Demolaatien. Die mittelamerikanischen Demolaatien der 80er Jahre sind eher<br />
verhangt denn erstritten worden. Die Einfuhrung der Demokratie fand dann auch - anders als in<br />
Sudamerika - weitgehend unter Ausschlufl der oppositionellen demolaatischen Bewegungen<br />
der jeweiligen Lander statt (Torres-Rivas] 990a; 1990b; Lungo 1993; Samour 1994).
PoUlik in Demokratien ohne demokratischen Souveran 567<br />
nach »Freedom House« in die mittlere Gruppe der politischen Systeme,<br />
werden also weder den 76 »freien«, noch den 53 »nicht freien«, sondem<br />
der Gruppe der 62 »teilweise freien« Lander zugeordnet. Sie sind als nicht<br />
konsolidiert zu betrachten. Nur im Fall Costa Rica kann man von einer gefestigten<br />
Demokratie sprechen. Sie grundet sich auf eine langere demokratische<br />
Tradition, eine gerechtere Einkommensverteilung, einen hOheren<br />
Lebensstandard und eine hOhere Zustimmung in der Bevolkerung. Warum<br />
ist es bislang nicht gelungen, in den anderen Landem Mittelamerikas die<br />
Demokratie zu konsolidieren? Wo liegen die Schwierigkeiten?<br />
Zunachst solI bei der Verfolgung dieser Fragen auf einige wichtige Untersuchungen<br />
eingegangen werden (Kap. 2). Da diese Interpretationsversuche<br />
meines Erachtens viele wichtige Fragen gar nicht beruhren, folgt die Auflistung<br />
einiger politischer Faktoren, die mir fur das Studium des Themas<br />
von Bedeutung zu sein scheinen, aber in den vorliegenden Studien kaum<br />
vorkommen (Kap. 3). Auch zum Thema der Parteien erscheint es mir notwendig,<br />
einige erganzende Bemerkungen zu machen und die Frage nach<br />
ihrer Reprasentativitat und Integrationsfunktion zu stellen (Kap. 4). Mit der<br />
anschlieBenden Darstellung der geringen Akzeptanz, die die politischen<br />
Regimes einschlieI31ich der Parteien in der Bevolkerung finden (Kap. 5),<br />
stoJ3en wir auf das eigentliche Problem fur die Konsolidierung der demokratischen<br />
Regimes: Die Bevolkerung lehnt bloB symbolische politische<br />
Handlungsoptionen ab und artikuliert sich in anderen politischen Handlungsformen<br />
(Kap. 6). AbschlieBend werden nicht-symbolische Handlungsoptionen<br />
vorgestellt, die in einem komplementaren Verhiiltnis zu den<br />
reprasentativ-parlamentarischen stehen (Kap. 7).<br />
2. Theoretische ru, ... ", .. ". nnd ihre Grenzen<br />
Die vorliegenden theoretischen Annaherungen an Mittelamerikas neue<br />
Demokratien kreisen - grob zusammengefaBt - um drei hauptsachliche Fragerichtungen.<br />
Da ist zunachst die aus der Modemisierungstheorie bekannte<br />
makrosoziologisch orientierte Grundfrage: Welches sind die Voraussetzungen,<br />
die in einer Gesellschaft erfullt sein mussen, damit Demokratie<br />
moglich wird? Hierbei werden die Chancen fur die Entstehung und die Festigung<br />
der Demokratie in Abhangigkeit yom Entwicklungsstand des jeweiligen<br />
Landes gesehen, wobei der wirtschaftlichen Entwicklung das entscheidende<br />
Gewicht beigemessen wird. Dieser makrosoziologische Ansatz<br />
tragt deutlich deterministische Zuge.<br />
Den zweiten Komplex bildet die Untersuchung der Transformationsprozesse,<br />
d.h. der Modalitaten der institutionellen und normativen Ubergange<br />
yom autoritaren zum demokratischen Regime. Die Fragerichtung versteht<br />
sich als Gegensatz zur »makrohistorischen komparativen Soziologie«, der
568 Klaus-Dieter Tangermann<br />
in dem<br />
akteurszentrierten<br />
auf der staatlichen Ebene und dem<br />
~~'JM'_H~'H Handeln der Akteure. Die demokratische dieser<br />
oder Scheitem der<br />
die sich den Problemen def L'LVl1"'YH~H"-l<br />
ses Thema wurde in<br />
daB trotz der als<br />
Institutionen- und<br />
sind.<br />
2.1 MnlriPJeni,',ip,'UHO'st,npr,wptiw<br />
YCL,I.HI.CM "- weitverbreitet unter Demokratie ein bestimmtes Inein<br />
Regelsystem, kurz<br />
Methode verstanden sie als eine<br />
die<br />
und<br />
. Demnach wird Demokratie<br />
or2lUs:setzUllgt::n erreicht sind. 6<br />
In seiner klassischen Studie »Political Man« von 1959<br />
den<br />
fur die Demokratie und kommt zu dem<br />
4 So Schmitter (1993: 3), Linz/Stepan (1996: 14f); zur Kritik siehe O'Donnell (1996).<br />
5 »Die demokratische Methode ist di~jenige der Institutionen zur politiseher<br />
Entscheidungen, bei welcher einzelne die Entsc11ei(juflgslJefillgrlis<br />
Konkurrenzkampfes urn die Stimmen des Volkes erwerben.<br />
diglich, daB das Volk die<br />
hat, die Manner, die es beherrschen soil en, zu akoder<br />
abzulehnen. Demokratie ist die Herrschaft des Politikers« (Schumpeter<br />
428,452), Dazu Haberrnas: »Diese sozialtechnische unterstellt<br />
die Demokratie als ein Modell, das sich yom realen ProzeB ihres<br />
Urablosen<br />
und,<br />
eingerechnet, auf beliebige<br />
H"t",rrn", 1977:<br />
6 Dieses institutionen- norrnenzentrierte Demokratieverstandnis benennt als<br />
rahmen explizit die liberale Demokratie und schlieBt umfassendere oder iiberhaupt<br />
Demokratievorstellungen ausdriicklich aus, darunter auch solche, die nehen den individuellen<br />
kollektive Rechte, besonders wirtschaftliche und soziale, sHirker in den Vordergrund<br />
stellen (beispielhaft: Diamond, Linz, Lipset 1990: 3).
Politik in Demokratien ohne demokratischen Souveriin 569<br />
--------------------------------------------------<br />
diese hauptsachlich in der wirtschaftlichen Entwicklung zu sehen seien. Er<br />
hatte diese anhand von vier Indikatoren untersucht: Reichtum, Industrialisierung,<br />
Verstadterung und Erziehung. Damals stellte er fest, daB in den<br />
demokratischen Landem diese vier Faktoren samtlich haher entwickelt waren<br />
als in den nicht-demokratischen (Lipset 1993: 45). Er kehrte dann die<br />
Interpretation seiner Ergebnisse urn und definierte so die Entwicklung dieser<br />
vier Faktoren als Bedingung fur die Demokratie. Noch 35 Jahre spater<br />
findet er seine Ergebnisse von 1959 durch neue Entwicklungen bestatigt<br />
(Lipset et al. 1994: 49). Als wichtigster MaBstab fur Demokratie gilt in der<br />
neuen Untersuchung weiterhin das Pro-Kopf-Einkommen (ebd.: 13). Ahnlich<br />
dem Vorgehen in der Studie von 1959 schlieBt Lipset aus der Feststellung,<br />
derzufolge die entwickelten Lander demokratischer seien, daB Lander<br />
mit geringer kapitalistischer Entwicklung kaum Chancen auf demokratische<br />
Entwicklung aufweisen (ebd.: 16). Auf Mittelamerika bezogen<br />
ware daraus zu folgem, daB die Chancen auf eine gefestigte Demokratie<br />
angesichts der gegebenen wirtschaftlichen Entwicklung schlecht srunden.<br />
2.2 Ubergiinge zur Demokratie<br />
Vergleichbare Korrelationen von wirtschaftlicher Entwicklung und Demokratie<br />
werden haufig aufgestellt - z.B. Diamond/LinzlLipset (1990: 9ff)<br />
oder Diamond (1992: 106) - und manche Autoren halten derartige Postulate<br />
gar fur inzwischen durchgesetzt. 7 Wenngleich auch die empirische<br />
Feststellung nicht zu bestreiten ist, daB wirtschaftlich entwickelte Lander<br />
haufiger iiber demokratische Regimes verfugen als gering entwickelte und<br />
auch der UrnkehrschluB belegbar ist, so auBem andere Autoren Zweifel, ob<br />
auf der allgemeinen Ebene von V oraussetzungen iiberhaupt Aussagen iiber<br />
Demokratie zu machen sind.<br />
Mit der Betrachtung der Transitionsprozesse wendet sich das Interesse den<br />
Einzelheiten der historischen Umbriiche zu. Wie in den modemisierungs-<br />
7 So schreibt Johannes Berger in dem der Modemisierungstheorie gewidmeten Heft des »Leviathan«<br />
zur sogenannten Lipset-These (»Democracy is related to the state oj economic development.<br />
The more well-to-do a nation, the greater the chances that it will sustain democracy«):<br />
»Wenn ich recht sehe, darf diese Annahme heute im wesentlichen als bestiitigt gelten«<br />
(Berger 1996a: 11; 1996b: 57). Tatsiichlich jedoch kann von einer einhelligen Auffassung<br />
fiber die Art des Zusammenhangs von wirtschaftlicher Entwicklung und Demokratie keine<br />
Rede sein, im Gegenteil. 1mmer after werden allgemeine Aussagen fiber eine solche<br />
Beziehung fur untauglich gehaiten. Die AuBerungen zum Thema werden differenzierter<br />
(Karl 1990; Karl/Schmitter 1991) oder bestreiten gar jeglichen Zusammenhang. So fragt<br />
Tetzlaff: »1st Demokratie eine Foige oder eine Voraussetzung fur wirtschaftliches<br />
Wachstum und gesamtgesellschaftliche Entwicklung? Die Antwort der vergleichenden<br />
Sozialforschung lautet: Es gibt keine eindeutige Korrelation zwischen den beiden Gra<br />
Ben« (Tetzlaff 1992: 12) und Beyme stellt fest: »1nzwischen ist die Einsicht gewachsen,<br />
daB es keine fixierbaren Priirequisiten der Demokratie gibt« (Beyme 1994: 153).
570 Klaus-Dieter Tangermann<br />
theoretischen Ansatzen ist auch hier ein komparatistischer Ansatz dominant,<br />
der um vorwiegend institutionenbezogene generalisierungsfahige Indikatoren<br />
bemuht ist. Anders aber als in der Modemisierungstheorie erscheinen<br />
hier die politischen Akteure als die relevanten Faktoren fur die<br />
Chance der Errichtung demokratischer Regimes. Der Perspektivwechsel<br />
von der Diskussion allgemeiner V orbedingungen hin zum Blick auf den<br />
konkreten Ablauf des Umbaus autoritarer Regimes und auf die Akteure<br />
stellt einen Fortschritt in der Analyse der konstitutiven Faktoren der Demokratie<br />
dar (Schmitter 1993: 3f; Bos 1994: <strong>105</strong>), wie ebenso die Annahme,<br />
daB den Spezifika des jeweiligen Ubergangs eine pragende Bedeutung<br />
fur die Gestaltung der Demokratie zukommt.<br />
Aber die stark staatskonzentrierte Perspektive, mit der der Institutionenund<br />
Wertewandel im Verlauf des demokratischen Aufbaus betrachtet<br />
wird8, beeinfluBt das BUd vom politischen Akteur. Als ein solcher gilt nUf,<br />
wer am institutionellen und normativen Wandel teilnimmt, also in cler Regel<br />
am staatlichen Handeln beteiligt ist (Bos 1994). Der Blick auf die institutionell<br />
handelnden Eliten nimmt den politischen Akteur nur zur Halfte<br />
wahr. Die ubersehene andere Halfte besteht in den nicht-institutionellen<br />
Kraften.9 Wichtige - etwa kollektive - Akteure von pragender Bedeutung<br />
fur die Demokratie befinden sich auBerhalb des staatlich induzierten und<br />
untersuchten Transitionsbereichs. Die Beschdinkung auf die staatliche<br />
Sphare erschwert die Wahrnehmung solcher Krafte, die fur die Konsolidierung<br />
von groBer Bedeutung sein konnen.<br />
2.3 Problerne der Konsolidierung<br />
Aus der Untersuchung der Transitionsprozesse lassen sich offenbar keine<br />
hinreichenden Kriterien fur die Chancen einer demokratischen Konsolidierung<br />
entwickeln. Die ungeklarten Fragen lauten: Wo liegen die gesellschaftlichen<br />
Hindemisse fur die Konsolidierung? Und: Verfugen die Lander<br />
Mittelamerikas tiber die Moglichkeiten, ihre demokratischen<br />
8 Einer der wichtigsten Transitionsforscher, Przeworski, merkt selbstkritisch an, aufgrund<br />
der Fixierung auf den Staat den Zusammenhang zwischen den nunmehr umgebauten politisehen<br />
Systemen und der Demokratie nieht gesehen zu haben. »Beim zweiten Thema<br />
(neoliberale Staatszerst6rung, KDT) haben wir iiber die Demokratisierungsprozesse gesproehen,<br />
ohne das Verhaltnis von Staat und Demokratie zu erkennen. Ieh erinnere mieh,<br />
als Guillermo (O'Donnell, KDT) iiber dieses Problem zu spreehen begann, erschrak ieh<br />
und daehte: wir haben 15 Jahre iiber nichts anderes als den Staat geredet und hinter dem<br />
Wort 'Staat' ist er versehwunden. Immerhin haben wir 15 Jahre nm iiber die Transitionen<br />
und die Demokratie gesprochen. Wenn wir dieses Verhaltnis untersuchen, so kommen wir<br />
heute, wie ich glaube, zu folgendem Schlull: Es gibt keine Demokratie ohne Staat«<br />
(Alarcon, O'Donnell, Przeworski 1994: <strong>105</strong>).<br />
9 Die Transitionsvereinbarungen in Nicaragua wurden beispielsweise erheblich von den grollen<br />
Streikbewegungen beeinflullt, die auf die Wahlniederlage der Sandinisten folgten (Rios 1995).
Politik in Demokratien ohne demokratischen Souveran 571<br />
--------------------------------------------------<br />
Regimes zu konsolidieren und worin bestehen diese? Welche sozialen<br />
Akteure kommen in Frage?<br />
Seit Beginn def 90er Jahre rUcken diese Fragen in den Vordergrund und<br />
damit auch die Untersuchung der gesellschaftlichen Konstellationen in den<br />
jeweiligen Uindem. Vor aHem die nicht-mittelamerikanische Diskussion<br />
bleibt dabei weiterhin der definitorischen Anstrengung urn allgemeingiiltige<br />
Kriterien verhaftet, die fur die demokratische Konsolidierung V oraussetzung<br />
seien. 10 Thematisiert werden vor aHem die einer Konsolidierung<br />
hinderlichen Elemente wie institutionelle Mangel, autoritare Relikte, iiberkommene<br />
Strukturen. Demgegeniiber bleiben die einer demokratischen<br />
Konsolidierung fOrderlichen Faktoren - gesellschaftliche Akteure, Traditionen,<br />
kulturelle Gegebenheiten, an denen angekniipft werden k6nntebemerkenswerterweise<br />
bis zum heutigen Tag jenseits der Betrachtung. Das<br />
mag am liberaldemokratischen Demokratieverstandnis mit seiner Institutionenorientiertheit<br />
liegen, von dem die meisten der nicht aus der Region<br />
stammenden Untersuchungen durchdrungen sind (Bas 1994: 101). Die liberale<br />
Demokratieforschung tut sich offensichtlich schwer mit der Anerkennung<br />
der Bedeutung nicht-institutioneller Faktoren fur die Konsolidierung<br />
demokratischer Regimes, denn sie kann sie nur funktional in bezug<br />
auf die Funktionsfahigkeit der institutionellen Instrumente der Demokratie<br />
wiirdigen.<br />
3. Al1sgangspunkte fUr die Demokratisienmgsdiskussion<br />
Die bisher referierten Ergebnisse zeigen eine auffallige Diskrepanz zu den<br />
Beitragen aus Mittelamerika selbst, die eine intensivere Beschaftigung mit<br />
denjeweiligen gesellschaftlichen Konstellationen in den einzelnen Uindem<br />
aufweisen. Allerdings beziehen sich die wichtigsten dieser Beitrage ihrerseits<br />
kaum auf die allgemeine demokratietheoretische Diskussion auBerhalb<br />
Mittelamerikas. Angesichts des kommunikativen Grabens zwischen<br />
10 Schmitter (1993: 3), Linz/Stepan (1996: 14f), O'Donnell (1996). Letzterer legt beispielsweise<br />
die Dahlsche Polyarchie-Definition zugrunde, in der sieben Kriterien angefuhrt<br />
werden (Dahl 1992: 268); »1. Wahl des politischen Personals, 2. freie und gerechte Wahlen,<br />
3. umfassendes aktives Wahlrecht, 4. passives Wahlrecht, 5. Redefreiheit, 6. freie Infonnationsmoglichkeit,<br />
7. Versammlungsfreiheit.« O'Donnell erganzt diese Kriterien<br />
noch urn einige weitere (O'Donnell 1996: 35). Linz und Stepan dagegen fonnulieren als<br />
Kriterien fur Konsolidierung zunachst ein funktionierendes Institutionengefuge und dartiber<br />
hinaus: »1. freie und lebendige zivile Gesellschaft, 2. relativ unabhangige politische<br />
Gesellschaft, 3. Rechtsstaatlichkeit, 4. der demokratischen Regierung dienende staatliche<br />
Btirokratie und 5. institutionalisierte okonomische Sphiire« (Linz/Stepan 1996: 17). Die<br />
meisten dieser Faktoren erwahnt auch Karl, erganzt sie urn das Kriterium eines zivilen<br />
Befehls tiber die Streitkrafte, und nimmt dariiber hinaus die Frage nach den gesellschaftlichen<br />
Hemmnissen der Konsolidierung mit auf (Karl 1990: 2). Eine Untersuchung des gesellschaftlichen<br />
Demokratiepotentials in den jeweiligen Landem und ihre Einbeziehung in<br />
die demokratietheoretische Diskussion scheint bislang nicht angestellt worden zu sein.
572 Klaus-Dieter Tangermann<br />
der mittelamerikanischen und der U'-U,J",''''!;'VHU.
Politik in Demola'atien ohne demokratischen Souveran 573<br />
krafte,<br />
standteile eines demokratischen Staatswesens<br />
blieben<br />
der beherrschende EinfluB der<br />
Polizeien sowie auf die<br />
nol1tJor'"pr Akteure zum demokratischen wovon der GroBteil der<br />
aU"b"~v'HV"'''';'H blieb,13 Die Transitionen der 80er Jahre waren<br />
def Gesellschaft gel'lctltet<br />
W"'''!J.UiJl,", def 5"',,'vl!~'-'HaH!'''!J',",H<br />
iJV,,,UVH um eine<br />
sind von<br />
den autoritaren Demokratien unterbunden worden, In El Salvador und<br />
Guatemala hat diese Art von autoritar HHV"~AH~HU'," Demokratie nicht<br />
zur<br />
sondem zur Polarisierung, nicht zur Beendigung,<br />
sondem eher zur<br />
des<br />
In El Salvador hat der zw61f Jahre wahrende<br />
schlieBlich das<br />
autoritare Modell def gOer Jahre zum Einsturz gebracht und ein neues auf<br />
die<br />
gesetzt So hat keine graduelle Erweiterung der Demosondem<br />
erst der Bruch mit dem autoritaren demokratischen<br />
fur einen freigesetzt. die kathartische<br />
eines solchen tiefen Einschnitts fur einen demokratischen Neubebemerkt<br />
Merkl:<br />
zu erzeugen, der die Entwicklung der Demokratie<br />
in der Zukunft beflugelt, ist<br />
viel eher ein schreckliches Ereignis erforderlich<br />
wie ein Krieg, eine ausliindische Intervention oder eine<br />
Revolution mit anschlie-<br />
Bendem Zusammenbruch eines autoritiiren Systems ein gradueller Ubergang« (Merkl<br />
1994: 83-84),<br />
Das Ende der autoritaren und das Fundament einer neuen Demokratie in El<br />
Salvador ist mit dem FriedensschluB zwischen und FMLN im<br />
Januar 1992 worden und wird der Friedensschlu13<br />
in Guatemala 1996 eine ahnliche Funktion haben, Erst vom<br />
tiber das Friedensabkommen an die<br />
ub,erg,egalng1en und in Honduras der Umin<br />
einen litarstlitzj:lUnlkt ein Aufmarschgebiet antisandi-<br />
. nistischen Contra vonstatten.<br />
13 BendellKrennerich 1996. Auf den AusschluB der Opposition bei den Ubergangen der<br />
80er Jahre wei sen fast alle mittelamerikanischen Autoren hin, siehe etwa Torres-Rivas<br />
1990a, ] 990b; Lungo 1993; Samour 1994. In der theoretischen Debatte wurden die Demokratjen<br />
del' 80er Jahre aJs beschrankte Demola'atien, Demokratien von geringer Intensitat<br />
(Torres-Rivas) oder aJs Fassadendemokratien, (Solorzano) bezeichnet.
574 Klaus-Dieter Tangermann<br />
beiden Uindem einen nennenswerten EinfluB zu erlangen. Der Guerilla<br />
wurde - und von dieser vermittelt auch der zivilen Opposition - eine gewisse<br />
Mitgestaltungskompetenz zugebilligt.<br />
Damit ist nieht gesagt, daB es den bis dahin oppositionellen gesellschaftlichen<br />
Kraften bisher gelungen ware, an den politischen Entscheidungen in<br />
umfangreichem MaJ3 teilzunehmen. Zwar sind nach 1992 in EI Salvadorin<br />
Honduras schon in den 80er Jahren - zwei flir die Demokratie konstitutive<br />
Elemente eingeflihrt worden, ein Offentlieher Raum, in dem der repressions-<br />
und angstfreie politisehe Diskurs moglich wird, und - langsam - die<br />
Schaffung einer Rechtsstaatlichkeit, die diesen Raum zu sehiitzen vermag.<br />
Doch ist hervorzuheben, daB diese Elemente unter Bedingungen der Ausnahmesituation<br />
militarischer Befriedungen unter Aufsicht der Vereinten<br />
Nationen erstritten wurden, die Ausdruek eines temporar veranderten politischen<br />
Krafteverhiiltnisses waren. 14 Wieweit durch die mittlerweile eingetretene<br />
Normalisierung der Bedingungen auch wieder traditionelle<br />
Krafteverhiiltnisse in den Vordergrund treten, bleibt abzuwarten. Aufgrund<br />
der Bedingungen ihrer Einflihrung sind Rechtsstaatlichkeit, Offentlicher<br />
Raum und andere demokratische Fortschritte keineswegs so unangefochten,<br />
wie sie scheinen mogen. Nicht nur in El Salvador, sondem auch<br />
in Guatemala und in Honduras wirkt sieh die Tatsache, daB auch die Errichtung<br />
der zweiten Demokratie nicht auf den Triumph einer gesellschaftlichen<br />
Bewegung gegriindet ist, negativ auf den demokratischen Gehalt<br />
und die Stabilitat der Institutionen und Normen aus.<br />
3.2 Reichweite der zweiten Demokratisierungen<br />
Die Demokratien Mittelamerikas - mit Ausnahme Costa Ricas - zeichnen<br />
sich durch ihre geringe gesellschaftliche Tiefe aus. Die demokratischen<br />
Veranderungen beschriinken sich auf die staatliehe Sphare im engeren Sinne<br />
und haben auf der Ebene der Institutionen (saubere Wahlen, Parteienkonkurrenz,<br />
Regierungswechsel, Justizreform usw.) und auf der der Normen<br />
(reale Gewaltenteilung, Menschenrechte, Meinungs- und Versammlungsfreiheit<br />
usw.) stattgefunden. Andere gesellschaftliche Bereiche wurden<br />
dagegen kaum oder nicht erfaBt. Mechanismen der Konsultation oder<br />
gar Moglichkeiten der Partizipation am politis chen Entscheidungsprozel3<br />
gibt es flir nicht-parlamentarische Organisationen bislang nicht. Demgemail<br />
fehlen institutionelle Wege zur Losung sozialer Konflikte, was eine<br />
14 In EI Salvador war das Instrument der zivilen EinfluBnahme der »Foro de Concertaci6n<br />
Econ6mica y Social«, der in den Friedensverhandlungen auf Druck der FMLN eingerichtet<br />
worden war; in Guatemala die »Asamblea de la Sociedad Civii« und in Nicaragua geschah<br />
dies im Rahmen der Verhandlungen urn die Ubergabe der Regierungsgewalt von<br />
den Sandinisten an die konservative Priisidentin Chamorro. Aile drei Versuche zielten auf eine<br />
Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Verhandlungen tiber den Aufbau des neuen Regimes.
PoUlik in Demokratien ohne demokratischen Souveran 575<br />
--------------------------------------------------<br />
hiiufig gewalWitige Austragung der Konflikte nach sich zieht und die Gesellschaften<br />
enonn polarisiert. 1m Mangel an Vennittlungsmechanismen<br />
von Gesellschaft und Staat setzt sich die tiberkommene Abdriingung cler<br />
Gesellschaft von der politischen Sphiire fort. Die integrative Kraft des demokratischen<br />
Institutionen- und Nonnengefuges ist entsprechend gering.<br />
Das einzige Instrument zur Herstellung der politischen Integration bleiben<br />
die Wahlen.<br />
3.3 Neuerrichtung statt Wiedererrichtung der Demokratie<br />
In den meisten Studien tiber lateinamerikanische Transitionen werden sudamerikanische<br />
Erfahrungen mit der Wiedererrichtung der Demokratie reflektiert.<br />
Dementsprechend bezeichnet Konsolidierung dort einen ProzeB,<br />
der sich weitgehend auf eine bestehende gesellschaftliche Akzeptanz des<br />
demokratischen Institutionen- und Regelwerks stiltzen kann. In Mittelamerika<br />
bezeichnet Konsolidierung dagegen einen muhseligeren ProzeB. Es<br />
geht hier nieht um die Wieder-, sondem die Neuerrichtung der Demokratie.<br />
Der Ruckgriff auf eine - durch die autoritaren Regimes nur unterbrochene<br />
- historische Akzeptanz des demokratischen Regimes ist hier ausgeschlossen.<br />
Wird das ubersehen, werden die Schwierigkeiten fur die Konsolidierung<br />
der Demokratie leicht unterschiitzt.<br />
3.4 Die politischen Regimes<br />
Nach den von aill3eren Interessen induzierten Regimewechseln war besonders<br />
auBerhalb Mittelamerikas die Neigung verbreitet, eine effektive Reprasentativitat<br />
schon dann als gegeben zu unterstellen, als die ersten sauberen Wahlen<br />
abgehalten worden waren, also ab Anfang der 80er Jahre. Jedoch hat das<br />
reprasentative Prinzip in den meisten Landem Mittelamerikas kaum eine<br />
Tradition. Wenn in Darstellungen dies em eine Funktionsfahigkeit in Analogie<br />
zu den entwickelten Demokratien unterstellt wird, ist eines der zentralen<br />
Probleme bereits ausgeklammert: die mangelnde Reprasentativitat<br />
der Parteien und des politischen Systems insgesamt. Angesichts der langen<br />
autoritaren Vorgeschichte ist hier die Frage ob die gewahlten<br />
Kandidaten tatsachlich den Wahlerwillen reprasentieren, also reprasentativ<br />
sind. In einigen Uindem etwa ist gerade diese Gleichsetzung v611ig unberechtigt,<br />
so in Guatemala und bis 1994 auch in EI Salvador.<br />
Auch die Annahme, die Parlamente fungierten als Ort def tiber die Parteien<br />
vennittelten EinfluBnahme gesellschaftlicher Interessen auf die Politik def<br />
Exekutive, fuhrt in die lITe. Wie in den meisten lateinamerikanischen Landem<br />
errullen auch in Mittelamerika die Parlamente diese Funktion nur unzureichend.<br />
Es handelt sich um zentralistische Prasidialdemokratien, in denen<br />
der vom V olk direkt gewahlte Prasident mit der Autoritat ausgestattet
576<br />
Klaus-Dieter Tangermann<br />
Politik<br />
Parlamente<br />
Exekutive von der ~~.,.,'u,~u<br />
Die<br />
des von<br />
ten Wahlerwillens ist somit Wesensbestandteil dieser ,-,V'H"''''<br />
Die Parteien haben auf die von Ihnen an die Macht<br />
noch nicht einmal<br />
dies em Fall auch fur die 0v,e",c,,,-v<br />
nahme Costa Rica zutrifft<br />
O'Donnell 1994:<br />
zug auf<br />
und Parlamentarismus weisen den Institutionen<br />
Partei und Parlament Funktionen zu, die diese nicht ausfullen konnen.<br />
3.5 Demokratien ohne demokratischen Souveriin<br />
Die schwache Priisenz des .\'t~'nt'ohiirapr<<br />
Die Beschrankung fur die demokratische L'l..UU"'JlRUI"l im<br />
Fehlen eines demokratischen Souveriins. Die<br />
ist im Besitz der<br />
formalen doch ein GmBteil von ihr<br />
tiber keine VV,HU""""<br />
in modemen Demokratien in<br />
EinfluBnahme<br />
nlcht vom einzelnen sondem von Verbanden als den v",,,,,.,,,,,,eVH Subausgegangen<br />
wird, muB dennoch das einzelne<br />
es nur in organisierter Form einfluBfahig werden<br />
gen die es als erst J\.VH"',HU'lvl<br />
um seine Interessen in kollektive Formen umsetzen zu konnen.<br />
Diese<br />
bestehen nicht nur aus dem formalen<br />
sondem auch aus der individuellen zur Artikulation<br />
der<br />
Verbandsorientiertheit der Demokratien<br />
Die<br />
als Fundament fUr eine funktionierende<br />
Demokratie hat dreierlei zur<br />
a. den P",-,vllw",aa,l,<br />
fentliche und c. materielle Mlndestbe(imgl<br />
und informative<br />
einschlieBen. Es ist vor aHem tliese letztere<br />
die fUr die<br />
in Mittelamerika nicht erfullt<br />
ist. Es handelt sich um<br />
in denen ein erheblicher Bein<br />
denen mehr als zwei Drittel der<br />
15 Am Beispiel Guatemalas bezeichnet Galvez das Priisidialregime als »Quelle der Unregierbarkeit«<br />
(Galvez 1995: 32),
Politik in Demokratien ohne demokratischen Souveriin 577<br />
gar in extremer Armut<br />
here<br />
Wle Gesundheit und<br />
stehen. 16 Die bloJ3e<br />
fur die arme<br />
, wei! es ihnen nicht nur an<br />
»Gutem und materiellen fehIt, sondem weil sie dariiber hinaus insofem politisch<br />
machtlos sind, als sie nicht die psychologisch-kulturellen Bedingungen verfligen, urn eine<br />
Selbstwahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Lage zu entwickeln und dementsprechend die<br />
organisierte poIitische Verteidigung ihrer eigenen Interessen zu betreiben«, stellt Torres-Rivas<br />
fest und fragt weiler: »Welche staatsburgerlichen Eigenschaften konnen unter {jP1C"rI·1{Yf,n<br />
riellen und kulturellen Gegebenheiten entstehen oder werden, welche ""liticr-i,P<br />
mokratie kann man damit aufbauen?« (Torres-Rivas 138).<br />
Diese mittelamerikanischen die als
578 Klaus-Dieter Tangermann<br />
gegebenen Demokratien politisch handlungsunfahige Staatsbiirger. Die<br />
mittelamerikanischen Demokratien sind weitgehend Demokratien ohne<br />
Staatsbiirger.] 9 Daher besteht wenig Grund zur Hoffnung auf eine Konsolidierung<br />
der Demokratie, wahrscheinlicher ist das Gegenteil.<br />
4. Die Parteien<br />
Vertretung und Vermittlung gesellschaftlicher Interessen in der staatlichen<br />
Sphare ist in Mittelamerika exklusiv den Parteien vorbehalten. Die Parteien<br />
tragen auf diese Weise zur politischen Integration bei - doch aufgrund dieses<br />
institutionellen Kanalisierungsmonopols gesellschaftlicher Interessen<br />
behindem sie sie zugleich. Eine Reprasentation nicht-parteiformig organisierter<br />
kollektiver Interessen ist innerhalb des institutionellen Systems der<br />
Demokratien nicht vorgesehen, sondem wird in den vorpolitischen Raum<br />
abgedrangt, in der Regel auf die StraBe. Nicht-parteiformige Organe der<br />
Zivilgesellschaft bleiben von der politischen Mitgestaltung ausgeschlossen.<br />
Die Reprasentativitat der Parteien ist in den meisten Fallen gering, auch<br />
handelt es sich nicht urn Mitgliederparteien. Ihre Funktion ist eher eine von<br />
'Wahlstirnmen-Sarnmelstellen' (Offe 1980: 32). Nur in wenigen Ausnahmen<br />
sind die Parteien Mittelamerikas politischer Ausdruck breiter gesellschaftlicher<br />
Stromungen, in der Mehrheit handelt es sich urn Klientelparteien<br />
(Rojas 1995: 122). Zum Fortbestand dieses Zustands haben die langen<br />
Verbote oppositioneller Parteien unter den Militarregimes beigetragen,<br />
mit denen das reprasentierte politische Spektrum stets eng begrenzt gehalten<br />
wurde. In den wenigen Fallen der Zulassung oppositioneller Parteien<br />
taten - besonders im El Salvador der 70er Jahre - die Wahlfalschungen ein<br />
ubriges, urn die Distanz der Burger zum Parteiensystem insgesamt zu fordemo<br />
Oppositionelle Interessen wurden so irnmer mehr im illegalen oder<br />
halblegalen Raum, aber nieht durch Parteien, organisiert. Das wirkt heute<br />
noch in schwachen Parteistrukturen nacho Das Parteiensystem kann die ihm<br />
Rolle der politischen Reprasentation verschiedener gesellsehaftlieher<br />
Sektoren gegenuber dem Staat nur unzulanglich erfiillen (vgl.<br />
Maihold 1994: 212ff).<br />
Die Krise der mittelamerikanisehen Parteien hat zum anderen mit ihrer<br />
schwachen Stellung im Prasidialsystem zu tun. Die Parlamentsparteien<br />
sind deswegen in der Mitgestaltung der Regierungspolitik nicht sehr aktiv<br />
und spielen bei der Losung nationaler Probleme kaum eine Rolle. Viele<br />
von Ihnen konzentrieren statt dessen Interesse und Aktivitaten starker auf<br />
den Staatsapparat und seine Ressoureen mit dem Ziel der Befriedigung ihrer<br />
Partikularinteressen (Torres-Rivas 1990b: 58ff; O'Donnell 1994: 20).<br />
19 O'Donnell spricht von »Demokratien mit Staatsbiirgerschaften von geringer Intensitat«<br />
(O'Donnell 1993: 75ff).
Politik in Demokratien ohne demokratischen Souveran 579<br />
--------------------------------------------------<br />
Weit verbreitete Phanomene wie Korruption und Nepotismus durch die<br />
Parteien innerhalb der staatlichen Institutionen haben in ihrer Funktionsbeschneidung<br />
in Prasidialdemokratien eine ihrer Wurzeln.<br />
Torres-Rivas macht fUr die 'Unregierbarkeit' einiger Gesellschaften, etwa<br />
der Nicaraguas, einen 'ParteienexzeI3' dieser klientelistischen Notabelnparteien<br />
verantwortlich, in dem diese sich in »parteipolitischem Kannibalismus<br />
und gegenseitiger Selbstzerfleischung« ergehen (Torres-Rivas 1994:<br />
63).20 Selbst in der stabilsten Demokratie Mittelamerikas, in Costa Rica,<br />
haben die Parteien Schwierigkeiten, eine politische Kontinuitat tiber die<br />
Wahlperioden hinaus aufrechtzuerhalten (Rojas 1995: 123).<br />
Aus der mittelamerikanischen Parteienlandschaft heben sich jedoch zwei<br />
Parteien abo Die beiden aus der Guerilla hervorgegangenen Linksparteien<br />
FSLN (Nicaragua) und FMLN (El Salvador) sind Mitgiiederparteien21 , deren<br />
Anhang vorwiegend den verarrnten unteren Bevolkerungsschichten<br />
entstammt. Beide Parteien, die zugleich tiber bestimmenden EinfluI3 in den<br />
groBten Gewerkschaften in ihren Uindem verfugen, haben die Vertretung<br />
der Interessen dieser Schichten auf ihre Fahnen geschrieben.<br />
FSLN und FMLN erklaren, eine moglichst breite Einbeziehung der Bevolkerung<br />
in die politis chen Entscheidungen anzustreben. Grundsatzlich solI<br />
die Beteiligung der Burger nicht auf die Parteien beschrankt bleiben, sondem<br />
weitere gesellschaftliche Organisationen umfassen. Sie solI tiber den<br />
Rahmen der liberalen Parteiendemokratie hinausgehen und auf die Aufhebung<br />
der Trennung zwischen Gesellschaft und politi scher Sphare Zlelen.22<br />
20 Beispiel Nicaragua: Zu den Prasidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen 1996<br />
traten 33 Parteien an. Urn das Prasidentenamt bewarben sich 23 Kandidaten. Nahezu jede<br />
politische Striimung trat in mehrere Parteien aufgespalten und diese wiederum mit eigenem<br />
Prasidentschaftskandidaten an. Die Grunde fUr diese Zersplitterung wiederholen sich<br />
in ganz Mittelamerika: Sie liegen erstens im Partikularinteresse des jeweiligen Wirtschaftsclan-<br />
bzw. Sippenchefs, staatliche Pfrilnde fUr die eigene Klientel zu nutzen; in<br />
Verfolgung dieses Ziels sind Parteispaltungen nichts Uniibliches. Zweitens liegen sie im<br />
Mangel an Bereitschaft zu Kooperation und Unterordnung vor aHem in der Eroberung der<br />
Spitzenposition, der deutlich machistische Zuge trag!. Nicaraguas Konservative haben<br />
sich allein aus diesem Grund in den letzten Jahren mehrfach gespalten. Ebenso ist die<br />
Bildung einer politischen Mitte aus mehreren Parteien an ebendiesem Verhalten gescheitert.<br />
21 Die FSLN hat 336.000 Mitglieder, wie die Einschreibungskampagne im Frilhjahr 1995<br />
ergab. Damit ist sie eine der griiBten Parteien Lateinamerikas (Nicaragua hat eine Beviilkerung<br />
von knapp viereinhalb Millionen). Die FMLN ist erheblich kleiner.<br />
22 »Demokratie heiBt nicht nur Wahlen. Es ist sehr viel mehr. Fur einen Revolutionar, einen<br />
Sandinisten bedeutet es Beteiligung des Volkes an den politischen, wirtschaftlichen, sozialen<br />
und und kulturellen Angelegenheiten. Je mehr die Beviilkerung daran teilnimmt,<br />
urn so demokratischer sind diese Angelegenheiten. Die Demokratie beginnt im wirtschaftlichen<br />
Bereich, wenn die sozialen Ungleichheiten aufhiiren zu bestehen, wenn die<br />
Arbeiter und Bauem ihr Lebensniveau verbessem. Dann entsteht die wirkliche Demokratie,<br />
vorher nicht. Sind diese Ziele erst einmal erreicht, dehnt sie sich sofort auf andere Be-
580 Klaus-Dieter Tangermann<br />
In der Praxis ist dieses Modell schon bald ~c;""H"Wvl<br />
den Wahlen 1984 zum<br />
gen und auch die FMLN hat sich ihrer<br />
sche EI Salvadors ab 1992 umorientiert.<br />
der Inchen.<br />
Dieses Festhalten bewirkte<br />
Die diskutierte Alternative bestand im Wechsel zu einer<br />
E>'VHV'''~~'H Politik mit dem das Wahlerreservoir der poum<br />
damit die Wahlchancen zu verbessern, Die<br />
1990 hatte daB sich die rechm:nautomatisch<br />
in eine elektorale umsetzt. Diese<br />
in beiden Parteien und konstitutierte sich fortan als<br />
eine<br />
dieser Interessen im Rahmen des<br />
selbst wenn es sich um die der<br />
Mehrheit<br />
sich an der Politik def FSLN seit ihrem Machtverlust 1990.<br />
kann sie als oppositionelle<br />
Partei die Interessen ihrer Klientel nicht oder nur geringfiigig durchsetzen<br />
und ist zu<br />
gezwungen. Dadurch gerat sie wiederholt mit<br />
der<br />
ihrer Wahlerbasis in Konflikt und sieht sich dem<br />
Vorwurf des 'Verrats' ausgesetzt. Um sich ihrer sozialen Basis zu versiverleiht<br />
sie deren durch Aktionen<br />
als zweischneidig da diese sich ge-<br />
Arbeit und damit gegen demokratisch zustandegekOlTIlllenle<br />
Entscheidungen richten, Mit solchen Aktionen entwertet die<br />
FSLN var den ihrer Basis diese und untenniniert<br />
Arbeit. Enthalt so einerseits<br />
dieser Interessen<br />
reiche aus, erstreckt sich auf das Feld der Regierung: das Yolk beeinfluBt dann seine Regierung,<br />
bestimmt seine Regierung. In einer spateren Phase bedeutet Demokratie die Beteiligung<br />
der Arbeiter an der Leitung der Fabriken, Landwilischaftsbetriebe, Kooperativen<br />
und sozialen Einrichtungen. Zusammenfassend gesagt ist Demokratie die Einmischung<br />
der Massen in aBe Aspekte des gesellschaftlichen Lebens.« (Barricada, 24, 8. 1980) Diese<br />
radikale Demokratieauffassung vertrat noch ein Jahr nach dem Sieg Humberto Ortega, der<br />
sandinistische Verteidigungsminister. Die nicaraguanische Revolution hatte ein Demokratiekonzept<br />
wieder auf die Tagesordnung gerufen, das in seiner Radikalital in Amerika seil der kubanischen<br />
Revolution nicht mehr in Angriff genommen worden war (Tangennann 1981).<br />
23 In den Partido Democnitico (PD), in EI Salvador und in das Movimiento de Renovaci6n<br />
Sandinista (MRS) in Nicaragua, Das von beiden anvisierte Wahlerreservoir der Mitte ist<br />
sehr klein, dementsprechend auch die Wahlerbasis beider Parteien.<br />
24 Nach ihrer Wahlniederlage 1990 hat sie mehrfach zu diesem Mittel gegriffen und vor allem<br />
Managua tage-, manchmal wochenlang paralysiert (vgl. Rios 1995).
Politik in Demokratien ohne demokratischen Souveriin 581<br />
--------------------------------------------------<br />
ein hohes politisches Risiko fur die FSLN ais parlamentarischer Partei und<br />
erweist sich andererseits, daB dies innerhalb des parlamentarischen Rahmens<br />
ebenfalls nicht gelingt25, so offenbart sich ein Dilemma im Hinblick<br />
auf die Vertretung von Unterschichtsinteressen.<br />
1m Rahmen parlamentarischer Politik scheint eine soIche Interessenvertretung<br />
nur urn den Preis des Verlusts der sozialen Basis m6g1ich zu sein,<br />
wahrend die aul3erparlamentarische Interessensartikulation eine Gefahrdung<br />
fur die pariamentarischen Handiungsm6glichkeiten darstellt. Noch<br />
genieBen die graBen Parteien der Linken aufgrund ihres zweigleisigen<br />
Handelns eine relativ breite Zustimmung in der Bev6lkerung, doch steht<br />
auBer Frage, daB die parlamentarische Option - allein schon aus elektoralen<br />
GrUnden - die Oberhand gewinnen wird. Ais Foige davon findet eine Reprasentation<br />
von Unterschichtsinteressen durch die Linksparteien zunehmend<br />
in nur noch symbolischer Weise statt.<br />
In EI Salvador ist das nicht anders: Nach ihrer Integration in das parlamentarische<br />
System haben die beiden Linksparteien FMLN und PD angesichts<br />
des Fortbestehens uberkommener vordemokratischer Krafie die Verteidigung<br />
der Regierbarkeit des demokratischen Regimes zur obersten<br />
Prioritat deklariert, wie die ubrigen Parteien auch. FUr die beiden bislang<br />
stark an den Interessen ihrer Basis orientierten Parteien hat das zur Folge,<br />
daB statt der Verteidigung der Interessen ihrer sozialen Kliente1 nunmehr<br />
die Regierbarkeit des Landes zur Scheidelinie zwischen Freund und Feind<br />
wird. Der seit langem andauemde organisierte Protest gegen die Anpassungsund<br />
Stabilisierungspolitik der Regierung gilt ihnen daher nicht mehr als legitimes<br />
und parlamentarisch zu vertretendes Anliegen, sondem er<br />
})wird von der Regierung und der Linken als wichtiger Baustein der Unregierbarkeit aufgefaBt.<br />
In dieser Phase der Befriedung (gemeint ist 1993-94, KDT) und Errichtung der Demokratie<br />
wird die auch friiher iibliche gewerkschaftliche Mobilisierung von jenen Linken und Rechten<br />
abgelehnt, die die neue soziale und politische Ordnung zu stUtzen versuchen« (Guido Bejar<br />
1995: 166).26<br />
1m MaBe, wie diese Parteien zunehmend auf die Vertretung besonderer<br />
Interessen verzichten und die Bindung an ihre traditionelle soziale Basis<br />
25 Bobbio beschreibt sehr eindringlich die Unvertriiglichkeit von parlamentarischem Prinzip<br />
und der Repriisentation von Partikularinteressen (Bobbio 1988: 35-63).<br />
26 Besonders deutlich ist die Aufgabe des klientelbezogenen zugunsten des Gesamtinteresses<br />
in der Abwehr jener sozialen Bewegungen festzustellen, die die Erfullung der im<br />
Friedensabkommen - das ja die Grundlage der neuen Demokratie darstellt - vereinbarten<br />
staatlichen Leistungen wie Land, Kredite, Ausbildung oder Beschiiftigung einfordem. Die<br />
Proteste nehmen hiiufig militante Formen an. »Regierung und Oppositionsparteien haben<br />
diese Formen sozialen Ausdrucks als Bausteine der Unregierbarkeit und sogar der Destabilisierung<br />
der neuen 'demokratischen Ordnung' im Aufbau betrachtet. Angesichts dieser<br />
Probleme verlangen sie nach hOherer Effizienz der Polizei und nehmen zustimmend zur<br />
Kenntnis, daB sich die Streitkriifte ( ... ) an Sicherheitsaufgaben beteiligen, wovon sie durch das<br />
Friedensabkommen gerade ausgeschlossen worden waren« (Guido Bejar 1995: 168).
582 Klaus-Dieter Tangermann<br />
nur noch zu elektoralen Zwecken aktivieren, wandelt sich die ehemals postulierte<br />
Wahmehmung der Unterschichtsinteressen in deren bloBe symbolische<br />
Reprasentation. Fur diese Schichten bedeutet das umgekehrt, daB sie<br />
die Reprasentation ihrer Interessen in der politische Sphare, wie sie in den<br />
ersten Nachkriegsjahren in El Salvador von der FMLN und in den ersten<br />
Jahren nach dem Machtwechsel in Nicaragua von der FSLN wahrgenommen<br />
worden war, allmahlich verlieren.<br />
5. Demokratien oboe<br />
Bisher wurde die Frage der Demokratie in Mittelamerika anhand von Entstehungsfaktoren,<br />
Institutionen und Organisationen behandelt. 1m folgenden<br />
Kapitel soHen die Meinungen und Haltungen der Menschen vorgestellt<br />
werden, von denen die Festigung demokratischer Verhaltnisse letztlich abhangt.<br />
Damit sind im Unterschied zur Transitions- und Konsolidierungsforschung<br />
nicht die politischen Akteure und ihre mehr oder weniger demokratischen<br />
Auffassungen gemeint, sondem die Bevolkerung und ihre Halzu<br />
den demokratischen Regimes. Wie die folgenden Umfrageergebnisse<br />
belegen, ist das Vertrauen in die jungen Demokratien gering.<br />
In Nicaragua hat sich dieses Vertrauen nach der Transformation des sandinistischen<br />
Systems in eine liberale Demokratie (1990) drastisch verringert<br />
(eID-Gallup 1992: 5, llf). Ein Jahr nach dem Wechsel, 1991, war etwas uber<br />
die Halfte der Bevolkerung der Meinung, daB die Regierung ihre Interessen<br />
nicht vertrete; 1992 war dies bereits bei 72% def Fall und zwei Drittel waren<br />
der Ansicht, daB auch die Parteien sich nicht um die Losung der Probleme<br />
der Bevolkerung kUmmerten (I.E.N. 1993: 8). Der reprasentative Aspekt der<br />
Demokratie stieE auf komplette Ablehnung: 98% (1) der Befragten meinten,<br />
damit »wirkliche Demokratie« herrsche, masse »das Volk zu wichtigen<br />
Entscheidungen konsultiert und an der Problem16sung beteiligt werden«<br />
(I.E.N. 1993: 15; Delgado 1994: 308). Von einer Akzeptanz des parlamentarischen<br />
Reprasentationsprinzip ist hier nichts zu erkennen.<br />
In Guatemala bietet sich ein ahnliches Bild. Eine umfragengestUtzte Studie<br />
konstatiert eine »allgemeine Enttiiuschung im Hinblick auf die Instrumente<br />
der formalen Demokratie (und) noch mehr im Hinblick auf die politischen<br />
Institutionen und die staatlichen Organe.« Nur 11,4% der Befragten<br />
sehen im Wahlervotum einen geeigneten Mechanismus, die Probleme des<br />
Landes zu losen (Galvez 1995: 94ff). Von allen Landem Mittelamerikas<br />
weist Guatemala die hOchste Wahlabstinenz auf. Wahrend in den anderen<br />
Landem die jeweiligen Wahlbeteiligungen als ausreichende Legitimation<br />
angesehen werden, deutet die rund 70%ige Abstinenz in Guatemala darauf<br />
hin, daB hier das politische System nicht als legitime Interessenvertretung<br />
akzeptiert ist (Torres-Rivas 1991: 11; Jonas 1994). Diese Vermutung
PoUtik in Demokratien ohne demokratischen Souveriin 583<br />
----------------------------------------------------------<br />
scheint besonders deshalb berechtigt, weil die Abstinenz trotz Regierungsund<br />
sagar Regimewechseln nicht abgenomrnen, sondem im Gegenteil von<br />
Wahl zu WahI zugenamrnen hat.27<br />
Die Daten fUr EI Salvador sind nicht emuchtemd. Auch hier betrachtet<br />
eine Mehrheit der BUrger Wahlen, die ja imrnerhin das einzige Instrument<br />
der BUrger zur politischen EinfluBnahme darstellen, nicht als taugliches Instrument.<br />
54,9% meinen, diese verliefen nie oder nur selten sauber (Briones/<br />
Ramos 1995: 279). Die Institutionen komrnen nicht besser weg. Drei<br />
Funftel der Bevolkerung (60,2%) halten das Justizwesen fur »immer oder<br />
haufig ungerecht« und etwa ebensoviele (59,2%) lehnen Parteien ab, da sie<br />
ihre Interessen nicht vertreten sehen, und 43,6% haben kein Vertrauen in<br />
das Parlament. Knapp die Halfte (47,1 %) ist der Ansicht, die Regierung<br />
handele nie oder nur selten zum Wahle der Bevolkerung (eM.: 256f).<br />
Auf zwei Ergebnisse zu EI Salvador sei noch hingewiesen. Zum einen, daB<br />
negative Auffassungen bei den besser Informierten weiter verbreitet sind<br />
als bei den weniger Informierten. Das verweist auf den erstaunlichen Zusamrnenhang,<br />
daB »die hOchsten Indizes fUr Vertrauen an ebenso hohe Indizes<br />
von Unkenntnis uber die entsprechenden Instanzen gekntipft (sind).«<br />
Zustimmung und Vertrauen in die demokratischen Institutionen entspringen<br />
also eher der Unkenntnis als demokratischer Uberzeugung (ebd.:<br />
262). Zum anderen besteht eine vergleichbare Korrelation in bezug auf die<br />
Schulbildung. Je niedriger diese ist, desto weniger interessieren sich die<br />
Befragten fUr Politik, haben keine Meinung oder auBem sich nicht. Kritik<br />
am politischen System ist in dieser Bevolkerungsgruppe, die zugleich tiber<br />
die geringsten Einkommen verfugt, am wenigsten ausgepragt.<br />
Bemerkenswert sind diese Untersuchungen auch deshalb, wei! sie schichtspezifische<br />
Aussagen ermoglichen. Die untersten sozialen Gruppen sehen<br />
ihre bedriickendsten Probleme im wirtschaftlichen Bereich, gefolgt von 80-<br />
zialen Problemen, wahrend politische an letzter Stelle folgen (eM.: 266f).<br />
Das ist nicht uberraschend, wenn man in Rechnung stellt, daB sich an der<br />
wirtschaftlichen Not nach dem Friedensabkommen nicht8 gebessert hat,<br />
sondem eher das Gegenteil eintrat.28<br />
27 Die Wahlbeteiligung ist zwischen 1982 und 1991 von weniger als der Halfte der Wahlbev6lkerung<br />
auf weniger als ein Drittel zUriickgegangen (Torres-Rivas 1991: II, 14f). Bei<br />
den letzten Prasidentschaftswahlen lag die Wahlabstinenz (der Eingeschriebenen) in der<br />
ersten Runde (November 1995) bei 54%, in der zweiten Runde (Januar 1996) bei 63%.<br />
Nur rund 70% der Berechtigten hatten sich einschreiben lassen (envio 167: 23f). Von allen<br />
staatlichen Institutionen genieS! in Guatemala das Parlament die geringste Wertschiitzung,<br />
gefolgt vom Justizwesen und den Parteien, wahrend der Exekutive etwas mehr vertraut<br />
wird: Ganze 11,7% geben an. Vertrauen in das Parlament zu haben, 13.1 % in das Justizwesen,<br />
nur 13,9% vertrauen den politischen Parteien und 35,8% def Regierung<br />
(Galvez 1995: 102).<br />
28 Trotz der Befriedung der Region und der Einfuhrung der Demokratie mit dem Versprechen<br />
einer Besserung haben sich seither die soziookonomischen Bedingungen, die in den
584 Klaus-Dieter Tangermann<br />
1m einzigen Land mit vergleichsweise langer demokratischer<br />
Costa wird zwar das der staatlichen Institutionen erstaunlicherweise<br />
ahnlich beurteilt. Hier sind 59,3% der der<br />
Auffassung, die Parteien vertraten nicht die Interessen der<br />
sind der das Parlament verdiene nlcht das Vertrauen der Bev61-<br />
und 46% halten das Justizwesen fUr nlcht 29 Doch es<br />
einen entscheidenden Unterschied zu den Landern Mittelamerikas<br />
in der Bewertung der Wahlen und der Exekutive: 82,5% halten die Wahlen<br />
fUr sauber und 55,8% meinen, die Regierung »arbeite fUr das Wahl des<br />
Landes«. Die W ahlbeteiligung hier im Durchschnitt bei tiber 80%<br />
(Sojo 1995: 154ft).<br />
Zusammenfassend laBt sich sagen, daB die Bev6lkerung Mittelamerikas -<br />
mit Ausnahme Costa Ricas - die Institutionen und Handlungen der demokratischen<br />
Regimes mehrheitlich nicht fUr vertrauenswiirdig halt. Diese Ergebnisse<br />
beziehen sich auf das zentralstaatliche Institutionen- und NormengefUge<br />
und das Regierungshandeln. Die Bevolkerung sieht sich von diesen<br />
Instanzen nicht vertreten. Damit erweist sich die Reprasentation gesellschaftlicher<br />
Interessen in den demokratischen Institutionen als fehlgeschlagen.<br />
Die Funktionsweise der neuen Demokratien beruht offensichtlich<br />
weniger darauf, daB diese von demokratischen Individuen getragen ais von<br />
»apathischen« geduidet werden.<br />
Man kann annehmen, daB in Gesellschaften mit vergIeichbaren soziookonomischen<br />
Daten wie in Mittelamerika die Akzeptanz gleich welchen politischen<br />
Systems ebenfalls nicht sehr hoch sein wird. Hinzu kommt die geringe<br />
Neigung oder Fahigkeit der jungen Demokratien, die wirtschaftliche<br />
Lage der armen Bevolkerungsmehrheit zu verbessern, was eher die Enttiiuschung<br />
aIs die Zustimmung gefOrdert hat Ohne eine Verbesserung des Lebensniveaus<br />
ist eine demokratische Konsolidierung schwer vorstellbar.30<br />
70er Jahren zu den revolutionaren Auseinandersetzungen gefuhrt haben, nicht verbessert,<br />
sondem im Gegenteil in mancher Hinsicht sogar verschlechtert, wie in def Einkommensverteilung<br />
(siehe FuBnote 17).<br />
29 Hierin druckt sich eine neue Tendenz aus. Seit Beginn der 90er Jahre nehmen die negativen<br />
Urteile zu. Wahrend 1988 die Frage, ob das Justizwesen Vertrauen verdiene, noch<br />
von 43% bejaht wird, gilt das 1994 nur noch fur 27%. Ahnlich die Auffassung uber das<br />
Parlament: 1988 sind 28% der Meinung, es »tauge nichts«. 1994 hat sich deren Anzahl<br />
auf 41 % erhiiht (Sojo 1995: 159).<br />
30 Diese Aussage schein! von Meinungsumfragen insofem bestatigt zu werden, als selbst die<br />
tiefgreifenden politischen Veranderungen der letzten Jahre in der Halfte del' Beviilkerung<br />
offenbar keinen Eindruck hinterlassen haben. Die hier angefuhrten Daten stammen vom<br />
Anfang 1994, also zwei Jahre nach Beginn des Transformationsprozesses in El Salvador.<br />
Bereits drei Jahre zuvor, Anfang ] 991 und damit ein Jahr vor dem Friedensabkommen,<br />
waren nahezu die gleichen Ergebnisse ermittelt worden (Briones/Ramos 1995: 258f). So<br />
ist zu vermuten, daB der mittlerweile vier Jahre wahrende TransfOlmationsprozeB die<br />
Wahmehmung des politischen Systems nicht verandert hat, wie auch eine Umfrage von<br />
Ende 1995 belegt (IUDOP- UCA 1995). Auf die 1994 gestellte Frage, ob in EI Salvador
Politik in Demokratien ohne demokratischen Souveriin 585<br />
--------------------------------------------------<br />
Die Staaten Mittelamerikas haben das von der Modemisierungstheorie angegebene<br />
Einkommensniveau als Schwelle zur Moglichkeit von Demokratie<br />
inzwischen erreicht, doch als wichtiger fUr eine Stabilisierung der Demokratie<br />
erweisen sich Faktoren wie Verteilungsgerechtigkeit und die<br />
Schaffung institutioneller Reprasentationsmechanismen fUr die Unterschichtsinteressen.<br />
Die Umfragen haben gezeigt, daB die fur entwickelte<br />
Demokratien typische auf Wahlen beschrankte Reprasentation die Bevolkerung<br />
nicht anspricht.<br />
6. Akzeptanz nicht-delegativer Reprasentationsformen<br />
Erst wenn wir die Ebene des staatlichen Institutionen- und Normengefiiges<br />
und des Regierungshandelns verlassen und uns niedrigeren Politikebenen<br />
zuwenden, die statt symbolischen Handelns die Chance zur praktischen<br />
EinfluBname versprechen, finden wir eine weniger ablehnende Haltung zur<br />
Politik vor. Der Wechse1 von der zentralstaatlichen Politikebene zur dezentralen,<br />
lokalen oder gremialen beinhaltet zugleich eine andere Blickrichtung.<br />
Haben wir in der bisherigen Darstellung das Augenmerk auf die<br />
politischen Systeme und ihre Schwierigkeiten mit der demokratischen<br />
Konsolidierung gerichtet, sozusagen von oben geblickt, so schauen wir<br />
jetzt aus der anderen Richtung, niimlich von den politischen Handlungsformen<br />
her, in denen sich die Interessen besonders jenes Bevolkerungsteils<br />
ausdriicken, der sich von der zentralstaatlichen Politikebene ausgeschlossen<br />
fiihlt.<br />
Es ist insbesondere die Lokalpolitik, an die andere Politikerwartungen gerichtet<br />
werden. Bine ahnlich hohe Ablehnung wie die zentralen staatlichen<br />
Institutionen erfahren die lokalen nicht. Einige formelle staatliche Institutionen<br />
der Lokalpolitik erfreuen sich sogar einer deutlich hOheren Wertschatzung.<br />
Diese Anerkennung wachst ihnen im Unterschied zu den zentralstaatlich<br />
orientierten Institutionen aus dem Grund zu, weil sie die Artikulation<br />
partikularer Interessen in nicht-delegativer Form zulassen. Sie<br />
bieten direkte Partizipationsmoglichkeiten an und ermoglichen die Erfahrung<br />
eigener EinfluBnahme. Dasselbe gilt fiir informelle Institutionen der<br />
Zivilgesellschaft. In beiden Fallen handelt es sich urn unmittelbare Politikformen<br />
im Unterschied zum symbolischen politischen Handeln.<br />
Einer Studie fiber EI Salvador zufolge ist die Partizipation an lokaler institutioneller<br />
Politik auf dem Land fiberraschenderweise hoch, wahrend sie in<br />
groBeren Gemeinden (ab 40.000 Einwohner) sehr gering ist.31 In den<br />
Demokratie und wirkliche politische Freiheit bestehe oder ob aIIes so geblieben sei wie<br />
vor dem Friedensabkommen, antwortete knapp die Halfte (46%), es sei aIIes so wie friiher.<br />
42% meinten, es existiere Demokratie (BrioneslRamos 1995: 245).<br />
31 Die Untersuchung wurde 1994 im Auftrag des Bilros fur Wohnungs- und Stadtentwick-
586 Klaus-Dieter Tangermann<br />
SUidten ist demgegenuber eine hahere Beteiligung an der zentralstaatlichen<br />
PoUtik als auf dem Land ermittelt worden. Es zeigt sich hier im Vergleich<br />
mit den Haltungen zur zentralstaatlichen Politikebene ein umgekehrtes Resultat.<br />
Es laBt sich sagen, daB wo die eigene Beteiligung die Chance<br />
auf EinfluBnahme verspricht, d. h. vor aHem auf dem Land und in kleinen<br />
Gemeinden, die Partizipation vergleichsweise hoch ist. W 0 diese Chance<br />
nicht besteht, ist sie niedrig. Die Studie konstatiert eine enge Korrelation<br />
zwischen einer positiven Einschatzung der politischen Leistungen auf 10-<br />
kaler Ebene und einer positiven zur zentralstaatlichen die<br />
uber die Partizipationserfahrung auf der lokalen Ebene vermittelt ist (Seligson/Cordoba<br />
1995: 31) Das ist auBerordentlich bemerkenswert, besagt es<br />
doch nichts anderes, als daB die positive oder negative zur zentralstaatlichen<br />
Politik und den staatlichen Instanzen von der Bewertung der<br />
Politik auf der lokalen Ebene gepriigt ist.<br />
Ein erheblicher Bevolkerungsteil, namentlich der Unterschichten, bildet<br />
sich seine Meinung gegenuber dem demokratischen Regime und zur Demokratie<br />
uberhaupt auf lokaler Ebene, wobei dies urn so mehr der Fall ist,<br />
wo die Partizipation an der lokalen Politik hoch ist.32 Hier zeigt sich eine<br />
spezifische Konstitutionsvariante politischer Haltungen, die bislang fUr El<br />
Salvador nachgewiesen ist, aber - mit der eventuellen Ausnahme Costa Ricas<br />
- so iihnlich auch in den anderen Liindern Mittelamerikas angenommen<br />
werden muB: Die Haltung zum politischen System insgesamt konstituiert<br />
lung des USAID mit dem Ziel durchgefiihrt, die lokale Partizipation und die Haltung gegeniiber<br />
den Lokalverwaltungen zu ennitteln. Die zugrundeliegenden Meinungsumfragen<br />
wurden in allen funfLiindem Mittelamerikas angestellt. Unter Partizipation wird Teilnahme an<br />
Sitzungen der lokalen Regierungen verstanden. In einigen Uindern Mittelamerikas<br />
(Honduras, El Salvador, Nicaragua) finden mehnnals jiihrlich derartige Sitzungen als<br />
»cabildos abiertos« (offene Biirgerversamrnlungen der ganzen Gemeinde) statt. Die Beteiligung<br />
wiihrend zwiilf Monaten (1994-95) lag im mittelamerikanischen Durchschnitt<br />
bei 11,3%. In EI Salvador lag sie deutlich hiiher (Wahljahr 1994). Wahrend die Partizipation<br />
in vom Krieg nieht beriihrten Gebieten und in StMten allerdings sehr gering war, lag<br />
sie in landlichen Gebieten erheblich hOher und erreichte in den Gegenden, in denen die<br />
Unterstiitzung fur die FMLN am hiichsten ist, iiber 50% bei Frauen und mehr als zwei<br />
Drittel bei Mannern (SeligsorJCordoba 1995: 23ft).<br />
32 In der erwahnten Untersuchung wird keine Korrelation zwischen Partizipation als solcher<br />
und Unterstiitzung des politischen Systems hergestellt, aber eine solche zwischen Partizipation<br />
und positiver Leistung def Lokalregierung etabliert, wobei die Erfahrung von der<br />
Wirkung des eigenen Handelns von Bedeutung ist. In den Gegenden, in den en die Partizipation<br />
an der lokalen Politik am hiichsten ist - besonders Gebiete mit groBer FMLN<br />
Wahlerbasis - fallt die Bewertung der Leistungen der Lokalregierung am positivsten aus.<br />
An dieser Korrelation von Zufriedenheit mit den Leistungen der lokalen Politik und Unterstiitzung<br />
des politischen Systems, Toleranz und demokratischen Nonnen zeigt sich, daB<br />
eine positive Haltung zum System bei einem GroBteil der Biirgerlnnen dort wurzelt, wo<br />
ein unmittelbarer EinfluB auf politische Entscheidungen besteht. Die Partizipation ist in<br />
Mittelamerika nieht durchgangig gleich hoch. Sie is! auf lokaler Ebene in El Salvador hOher<br />
als in den Nachbarlandern (Seligson/Cordoba 1995: 26).
Politik in Demokratien ohne demola'atischen Souveriin 587<br />
sich nicht so sehr tiber die<br />
der zentralstaatlichen nnl1Tl',,·.n<br />
sondern nimmt den »Umweg« lokaler Politikerfahrung.<br />
Hinter dieser fur etablierte Demokratien eher untypischen<br />
der<br />
lokalen Politikebene kommt ein grundsatzliches Ph1inomen zum Vorschein:<br />
Anders als in konsolidierten Demokratien kommt in Mittelamerika<br />
der Ebene des<br />
Handelns kaum eine mtpm'"tl<br />
Funktion zu, statt dessen konstituieren bei der Mehrheit der Bevolkerung<br />
direktere Formen Erfahrung die Haltung zur zentralstaatlichen<br />
v014,hii1rp und bilden damit das Fundament fur die Akzeptanz oder<br />
£>L""'U'LH1!', der Regimes.<br />
Die direkte Politikform tendiert im Gegensatz zum atomisierenden Chasymbolischer<br />
Politik zu kollektiven Haltungen. 1m staatlich-institu<br />
UVlllo;oll\oll Rahmen erhalt diese Politikform einen besonderen Charakter.<br />
Wahrend namlich andere direkte Formen<br />
Interessensartikulation,<br />
etwa gewerkschaftliche, im Kern darin bestehen, Einzelinteressen zu<br />
kollektiven Partikularinteressen zu bundeln, geschieht im Rahmen staatlicher<br />
Institutionen wie der Lokalpolitik etwas anderes: In der Vermittlung<br />
unterschiedlicher Positionen bilden sich uberpartikulare Kompromisse und<br />
Haltungen heraus.33 Seligson und Cordoba haben entsprechende Ergebnisse<br />
ermittelt In Gegenden mit hoher Partizipation besteht eine Korrelation<br />
mit Indizes hoher Toleranz und anderen demokratischen Eigenschaften<br />
(Seligson/Cordoba 1995: 28f).<br />
Von den erwahnten Umfragen erscheinen mir besonders drei Aspekte von<br />
besonderer Bedeutung zu sein: Zunachst zeigen die Ergebnisse, in welch<br />
erstaunlich hohem MaBe die zentralstaatlichen Institutionen und das Regierungshandeln<br />
der demokratischen Regimes noch zehn Jahre nach ihrer Einfuhrung<br />
und funf Jahre nach der Befriedung der Region in der Bevolkerung<br />
auf Ablehnung stoBen. Zum anderen zeigen sie eine deutlich andere<br />
politische Einstellung def Burger, sobald es urn die Politikebene geht, die<br />
diesen uber symbolisches Handeln hinaus reale<br />
bietet.<br />
Dort ist besonders daB es diese Erfahrung<br />
en sind, die erheblich zur Konstitution der<br />
zur lokalen wie<br />
zur zentralstaatlichen Politikebene und die Entstehung demokratischer<br />
Haltungen fOrdem. Und schlieBlich die SchluBfolgerung, daB weder<br />
die zentralstaatlichen Institutionen und Normen, noch das wichtigste Instrument<br />
symbolischer<br />
an politischen Entscheidungen, die<br />
eine nennenswerte integrative Funktion haben. Damit setzt sich<br />
33 So auch Barber: Die Offentlichen Zwecke - wie er sie nennt - »werden buchstablich im<br />
Akt der Offentlichen Partizipation geformt und durch gemeinsame Beratung wie gemeinsames<br />
Handeln geschaffen, wobei eine besondere Rolle spielt, daB sich der Gehalt und die<br />
Richtung von Interessen andert, sobald sie partizipatorischen Prozessen dieser Art ausgesetzt<br />
sind« (Barber 1994: 148).
588 Klaus-Dieter Tangermann<br />
die soziale Spaltung der Gesellschaft unvennittelt auf der<br />
Ebene<br />
in die von Gesellschaft und politischer Entscheidungssphare<br />
fort. Die politische Integration der Gesellschaft scheint ohne Einbeziehung<br />
gesellschaftlich<br />
Reprasentations- und Partizipationsmechanismen<br />
nicht U~')ML''"'U<br />
7. ,>,,,,,.
PaUlik in Demakratien ohne demokratischen Souveriin 589<br />
Neben dieser institutionellen LU1\.a'!-'U'llLJll\. bestehen in Mittelamerika zahlreiche<br />
weitere lokalpolitische Ansatze, die nicht auf die institutionelle<br />
sondem auf ein »empowerment« der<br />
Bevolkerung<br />
von den staatliehen lokalen Instanzen abzielen.<br />
Dabei werden naeh einer Verstandigung tiber die<br />
Probleme<br />
in den Gemeinden entwickelt, deren<br />
tielle var aHem von der Zahl der Derart auf<br />
Partizipation gegmndete lokale Initiativen sind oftmals bald in der<br />
die institutionelle<br />
zu beeinflussen und diese auf eine stark<br />
UU'Ula't5'" zu stellen.35<br />
Die dritte Variante betrifft die sehr einfluBreichen kollektiven Interessens<br />
Organisationen, Arbeiterorganisationen, soziale Bewegungen<br />
die die Artikulationsinstanzen der Untersehiehten<br />
darstellen und unter denen die Zusammenschliisse von Kleinund<br />
Mittelbauem das gr6Bte Gewieht haben. Diese Organe bUndeln die<br />
vielen Einzel- zu Kollektivinteressen aufweitgehend partizipativer Grundlage.<br />
sind weder die lokalen<br />
Organe noch die Kollektivorganisationen<br />
auf den lokalen Raum beschrankt Beide verfugen tiber<br />
regionale oder auch nationale Koordinationen. Auf der Ebene dieser h6heren<br />
besteht die Moglichkeit direkter Partizipation<br />
nicht mehr und es werden delegative Politikformen notwendig. Die nichtaelleg,amre<br />
Partizipationsform stoBt hier schnell an ihre Grenzen und bleibt<br />
im wesentliehen auf die unteren organisatorisehen Ebenen besehrankt. Sie<br />
erweist sieh nieht nur als lokal, sondem aueh inhaltlieh beschriinkt, da die<br />
Begrenzheit des lokalen Rahmens fur die Behandlung damber hinausgehender<br />
allgemeiner Fragen nieht geeignet ist.<br />
Obgleich also aueh diese<br />
Politikformen nicht auf die<br />
delegative Reprasentation verziehten konnen, ist die der delegatiyen<br />
Form dennoeh eine andere bei der staatliehen symbolisehen<br />
sentation. 1m Unterschied zum<br />
des<br />
reprasentativen Systems, wo der Delegierte die »Interessen (der Repriisennaeh<br />
Gutdtinken kann« 1988:<br />
der Delegierte in diesen ~'j~~"'~"<br />
und in wesentlich<br />
MaBe tiber<br />
35 In Mittelamerika kommt den Munizipien traditionell eine geringe institutionelle Bedeutung<br />
zu. Die politischen Parteien verfUgen in der Regel tiber kein lokalpolitisches Konzept.<br />
Die zentralstaatliche Politik gegentiber den Munizipien tragt zumeist patemalistische<br />
Ztige und wird weitgehend ohne Einbeziehung der Bevolkerung implementiert. Die systematische<br />
Bedeutung des Lokalen als Ort fUr empowennent hat erst die Ende der 80er<br />
Jahre enstandene Kommunalbewegung entdeckt. Empowennent-orientierte Bewegungen<br />
haben sich inzwischen in ganz Mittelamerika gebildet und verfiigen tiber diverse Koordinationen<br />
(vgl. zu Nicaragua: Desarrollo Municipal 1996).
590 Klaus-Dieter Tangermann<br />
starkeren imperativen Druck Die delegative Reprasentation bewahrt<br />
auf diese Weise einen gewissen Anschein von Unmittelbarkeit.<br />
Diejenigen Koordinationsebenen allerdings, in denen die Notwendigkeit<br />
der Verhandlung und des Kompromisses<br />
vor aHem die nationalen<br />
und supranationalen, unterliegen derselben Gefahr des Legitimationsverlusts,<br />
die weiter vorn anhand der Linksparteien geschildert wurde.<br />
Hier sind die Reprasentationswege zu lang und eine Kontrolle durch die<br />
Reprasentierten ist kaum noch moglich. Als um so notwendiger erweist<br />
sich das Instrument der Rechenschaftslegung und die innerorganisatorische<br />
Demokratie (Rivera 1995: Tatsachlich ist in vielen dieser<br />
sationen und auch der Dachverbande eine Diskussion tiber interne Demokratie<br />
ausgebrochen.<br />
Wie im Bereich der Lokalpolitik, so kann aueh die<br />
Politikform<br />
der Interessenverbande nieht die parlamentarisch-reprasentative Politik<br />
ersetzen. Allerdings bildet sie die komplementare Politikform, die als<br />
politische Artikulationsform vor aHem der unteren Bevolkerungssehichten<br />
anzusehen ist.<br />
Literatur<br />
Alarcon, Victor, Guillenno O'Donnell, Adam Przeworski (1994): Democracia sustentable. In:<br />
Espacios, Nr. l,julio-septiembre. San Jose. (FLACSO Costa Rica). S. 104-107.<br />
Barber, Benjamin (1994): Starke Demokratie. Uber die Teilhabe am Politischen. Berlin<br />
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PROKLA 106<br />
Klassen uDd PoUtik in Deutschland<br />
In den gewerkschaftlichen Debatten gelten Linke vielfach als<br />
gestrige »Traditionalisten«, diejenigen, die nicht nur auf Kooperation<br />
mit dem Kapital, sondem gleich auf Co-Management setze dagegen als<br />
entschiedene »Modemisierer«. Bei den Untemehmem wird nicht nur<br />
der Flachentarifvertrag in Frage gestellt, sondem die Existenz der eigenen<br />
Verbande gleich mit. Das Verhaltnis von Lohnarbeit und<br />
scheint sich in Deutschland neu zu strukturieren. 1st dies alles nur eine<br />
Anpassung an die europaisch-nordamerikanische Nonnalitat oder drukken<br />
sich hier grundsatzliche Veranderungen aus? In Deutschland nehmen<br />
die Geldvennogen nicht nur immer schneller zu, die Politik unterwirft<br />
sich auch immer starker def ihrer Verwertung. Die Kehrseite<br />
des Reichtums ist die Offentliche Annut. Welche Rolle<br />
kann unter diesen Umstanden noch ein Sozialstaat<br />
auch der entwickelte deutsche<br />
die<br />
sion einer »Underclass«?
aus un serer<br />
Band 1<br />
MATTHIAS BOHLENDER<br />
Band 4<br />
BIRGIT PAULS<br />
1995.257 Seiten<br />
Gb, DM/sFr 74,-1 oS 540,<br />
ISBN 3-05-002656-1<br />
1996.353 Seiten<br />
Gb, DM 84,-1 oS 613,-1 sFr 76,<br />
ISBN 3-05-003013-5<br />
Band 2<br />
THOMAS MOHRS<br />
Weltstaat<br />
Hobbes' Sozialphilosophie -<br />
Soziobiologie - Realpolitik<br />
1995. XXXVI, 464 Seiten<br />
Gb, DM/sFr 84,-1 oS 613,-<br />
ISBN 3-05-002681-2<br />
Band 3<br />
SIDONIA BLATTLER<br />
Band 5<br />
RAJMUND OTTOW<br />
Probleme gesellschaftlicher<br />
Modernisierung im U~llU~''-'lJL'-'H<br />
1996. 459 Seiten<br />
Gb, DM/sFr 98,-1 oS 715,<br />
ISBN 3-05-003014-3<br />
1995.258 Seiten<br />
Gb, DM/sFr 84,-1 oS 613,<br />
ISBN 3-05-002892-0<br />
Ein Unternehmen del' VCH-Verlagsgruppe<br />
MlihlenstraBe 33-34· D-13187 Berlin
Eric<br />
Mittlerweile ist mehr als ein halbes Jahr vergangen, seit es der<br />
Wahlsieg der Volkspartei oder Partido Popular der spanischen Rechten<br />
erm6g1ichte, zum ersten Mal seit dem Ende der Franco-Ara eine Regierung<br />
zu stellen. Die Angelegenheit war<br />
als man vor den<br />
Wahlen am 3. April voraussehen konnte.<br />
Die vor der Wahl erhobenen Meinungsumfragen zeichneten die amtierende<br />
Spanische Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) nach mehr als einem Jahrzehnt<br />
an der Macht als durch und durch diskrediert aus. Sie war auf Grund<br />
einer Reihe weithin bekanntgewordener Skandale in ihrer Substanz angekratzt.<br />
Gleichwohl - nach der Stimmenauszahlung iiberrundeten Jose Maria<br />
Aznars Konservative Felipe Gonzalez und die PSOE mit lediglich einem<br />
Prozent der abgegebenen Stimmen. Zum bittersiiBen Ende seiner so triumphal<br />
begonnenen Kampagne wurde Aznar letztlich nur deshalb Premierminister,<br />
weil sich die PP mit jenen regional en Mitte-Rechts-Parteien, die<br />
Aznar wahrend der Wahlkampagne Offentlich verunglimpft hatte, zusammentat.<br />
In der Foige bildete sich eine ziemlich seltsame Koalition, in der<br />
sich die marktorientierten Europhilen der spanischen Peripherie mit den<br />
Erben eines denkbar rigiden insularen Zentralismus vereint fanden. Diese<br />
Allianz muB nicht unbedingt langer halten als jene friihere, die wahrend<br />
der Transitions- oder Ubergangsperiode vor sich hin gekrankelt hatte, das<br />
heiBt zwischen 1977 und 1982: dem Jahr, in dem Adolfo Suarez' Union<br />
des Demokratischen Zentrums (UeD) zerfiel, obwohl sie den Grundsatz<br />
reformistischen V orgehens gegeniiber den auf einen die ruptura,<br />
abzielenden Ambitionen def Opposition verankern konnte. Erst mit der<br />
Zeit wird sich zeigen, inwieweit die spanische Rechte - und zwar zum ersten<br />
Mal - dazu in der Lage ist, in Ubereinstimmung mit der Bev61kerung<br />
zu regieren.<br />
Der nachfolgende Beitrag ist die uberarbeitete Fassung eines Vortrags an der Universitat<br />
Princeton yom Friihjahr 1996. Ich mochte ·mich an dieser Stelle bei den Diskussionsteilnehmem<br />
fur Hinweise und bei Eduardo Subirats fur die Organisation der Gesprachsrunde<br />
bedanken.<br />
PROKLA. ZeitschrijUiir kritische Sozialwissenschaji, Heft <strong>105</strong>.26. Jg. 1996, NrA. 595-609
596 Eric Hershberg<br />
Auf den ersten Blick erscheint diese H~'J5""'"~'-'AL nlcht sehr wahrscheinauch<br />
wenn sich inzwischen die sozialen, ideologischen und ",-,,.;luna,."'u<br />
tJ""HU."F,'v", welche die spanische Gesellschaft in dem Jahrhundert vor<br />
General Francisco Francos Tod im Jahre 1975 heimgesucht hatten, verringert<br />
haben. Bei der Ehe zwischen del' PP und den<br />
handelt<br />
es sich um eine l'eine Zweckgemeinschaft. Das heiBt, man muB davon<br />
ausgehen, daB sieh der Verwirklichung einer die diesem Bundnis<br />
gr6Bere Stablitat verleihen<br />
Interessen widel'setzen. Bevor<br />
Wir die Moglichkeit einer Hingeren konservativen Regierungszeit<br />
ganz sollten wir uns in Erinnerung daB die letzten<br />
Jahre der spanischen Geschichte noch viel unwahrscheinliehere Entwicklungen<br />
gezeitigt haben. Und wahrend es unsicher ob eine langere, von einer<br />
rechtslastigen Regierung bestimmte Periode bedeutende<br />
entfaltet,<br />
HiJ3t die jfingste spanische Geschichte vermuten, daB dag Schicksal der neuen<br />
konservativen Regierung auch in den intellektuellen Kreisen jenseits der iberischen<br />
Halbinsel ein breites Echo finden wird.<br />
Dieser Essay will weniger die Zukunft voraussagen als vielmehr die neueren<br />
Trends und Veranderungen der spanischen Politik, wie sie sich dem<br />
auBenstehenden Beobachter darstellen, analysieren. Ob wir uns nun auf<br />
den akademischen Diskurs oder aber auf die Offendichen Debatten konzentrieren,<br />
unsere Vorstellungen vom politischen Wandel in Spanien bilden<br />
einen kritschen Bezugspunkt vieler intellektueller Zirkel - und zwar<br />
weltweit. Die hier dargestellte Geschichte dreht sich nur zum Teil um die<br />
spezifische Art der Entwicklungsprozesse in Spanien; vielmehr solI gleichzeitig<br />
gezeigt werden, inwiefem die Phanomene eines komplexen sozialen<br />
und politischen Wandels in bestimmte Kategorien gepreBt werden, die es<br />
gestatten, unterschiedliche Konstellationen zu vergleichen und die Erfahrung<br />
eines Landes als Beispiel fUr die Ereignisse in anderen Landem heranzuziehen.<br />
Bevor wir m.a.W. darangehen, die spanische Gegenwart - von<br />
der Zukunft ganz zu schweigen - zu analysieren, mussen wir uberprufen,<br />
ob nicht unsere Vorstellungen uber die jungste spanische Vergangenheit<br />
auf erstaunlich bruchigen<br />
beruhen.<br />
"."'..... u",,~,u del' sp:misdlen Geschichte<br />
Meine These ist kurz gesagt daB die Sozialwissenschaftler im Lauf der<br />
letzten beiden Jahrzehnte bei ihrer<br />
der spanischen Geschichte<br />
zwei ausarbeiteten, die nun zunehmend in einschlagigen<br />
Untersuchungen zum politischen und sozialen Wandel verwendet werden.<br />
Diese Idealtypen entstanden nicht v6llig losgelost von den Diskussionen<br />
in Spanien, und sie wirken selbstverstandlich ihrerseits auf die intemen<br />
Debatten uber das, was sich hier seit dem Tod Francos abgespielt hat, zu-
Demokratischer Ubergang und Sozialdemokratie in Spanien 597<br />
ruck. Gleichwohl uberrascht das Ausma13, in dem die Darstellungen der<br />
sp,mtSctlen Ereignisse sowohl die Offentlichen Debatten als auch die akademische<br />
Forschung in anderen<br />
in Lateinamerika und<br />
Osteuropa, beeinfluBt haben. Nimmt man nur den Fall der fiiiheren Sowjetunion,<br />
so darf man ohne zu ubertreiben<br />
daB innerhalb der<br />
letzten fUnfzehn Jahre kein einziges Land fUr das begriffliche Instrumentarium<br />
der vergleichenden Politikwissenschaft als akademischer DiszigroBere<br />
Bedeutung erlangt hat als Spanien.<br />
Da nun das Konzept der »Idealtypen« zwar den Sozialwissenschaftlern doch<br />
nicht unbedingt dem interessierten Laien bekannt sein dfufte, ist eine Definition<br />
angesagt. Der von Max Weber verwendete Begriff bezieht sich auf einen<br />
heuristischen Kunstgriff, der es ermoglicht, zwischen verschiedenen<br />
Spielarten ein und desselben Phanomens zu unterscheiden. Nimmt man<br />
zum Beispiel seine Untersuchungen der Herrschaftsfonnen, so unterscheidet<br />
Weber zwischen charismatischen, bUrokratischen und despotischen<br />
Formen der Herrschaft. Es handelt sich dabei urn analytische Abstraktionen,<br />
urn kUnstlich<br />
theoretische Kategorien, die eher die Charakteristika<br />
»idealer« denn »realer« faIle festhalten. Das heil3t, man wird<br />
keine einzige reine Form dieser oder jener Herrschaft auffinden. Gleichwohl<br />
ist es hilfreich, auf einen standardisierten, einen »idealen Typ«, rekurrieren<br />
zu k6nnen, an dem der empirische Fall gemessen werden kann.<br />
Die vergleichende Sozialwissenschaft greift regelmaBig auf Idealtypen zuruck.<br />
Wir sprechen zum Beispiel von pluraIer, korporativer oder direkter<br />
Demokratie oder von fordistischen, tayloristischen oder postfordistischen<br />
Systemen der industriellen Produktion. Wir unterscheiden dictablandas<br />
und dictaduras, das hei13t abgemilderte und rigide Formen der Diktatur.<br />
Derartige Unterscheidungen konnen sehr nlitzlich sein, wobei man freilich<br />
nicht unterschlagen darf, daB eine korrekte theoretische Verwendung dieser<br />
Kategorien den besonderen Fall keinesfalls in allen Einzelaspekten mit<br />
den Merkmalen des »Idealtyps« identifiziert: In einer pluralistischen Demokratie<br />
finden sich korporativistische Elemente und solche direkter Demokratie,<br />
und eine »milde« Diktatur oder dictablanda kann zeitweilig<br />
ziemlich brutal vorgehen.<br />
Welches nun sind die heiden Idealtypen, die das postfranquistische<br />
en hervorgebracht hat? Zum einem stellte uns Spanien einen »idealen« Typus<br />
der Transition vom Autoritarismus zur liberalen Demokratie zur VerfUgung.<br />
Zum anderen schenkte es uns den einer sozialdemokratischen<br />
Wirtschaftspolitik.<br />
Der ausgehandelte Ubergang zur Demokratie<br />
Die Ubergangsverhandlungen zur Demokratie fandel1 in Spanien etwa zwischen<br />
dem Ende des Jahres 1975 und Ende 1982 statt. Die beiden Daten
598 Eric Hershberg<br />
entsprechen dem Tod Francisco Francos auf der einen und dem friedlichen<br />
Machtwechsel von der Mitte-Rechts orientierten UCD zur PSOE nach deren<br />
erdrutschartigem Sieg im Oktober 1982 auf der anderen Seite.2 Die<br />
Bedeutung der spanischen Transition fiir die vergleichende Erforschung<br />
von Regimewechseln wurde erstmals an der Literatur zu Lateinamerika<br />
deutlich, die seit Mitte der 80er Jahre rapide anwuchs.<br />
Mir personlich hingegen trat die Breitenwirkung des spanischen Modells<br />
zum ersten Mal vor Augen, als ein obskures Magazin berichtete, Samuel<br />
Huntington, ein prominenter Konservativer der Harvard Faculty, habe das<br />
Modell dem siidafrikanischen Regime gegen Ende des letzten Jahrzehnts<br />
ans Herz gelegt.<br />
Seit 1989 erfreute sich der spanische Ubergang auch in Osteuropa weitverbreiteter<br />
Aufmerksamkeit. Hier waren die Beobachter an beidem interessiert:<br />
an der Leichtigkeit, mit der sich die Transition vollzogen hatte<br />
und an Spaniens anschlieBender Riickkehr in den wohlhabenderen Teil<br />
Westeuropas.<br />
Man sieht, der EinfluB der spanischen Transition iiberschreitet die akademische<br />
Sphare: Spanien stellte den politischen Eliten in vie len Teilen der<br />
Welt ein Modell fUr den Regimewechsel zur VerfUgung, an dem sie den<br />
Erfolg ihrer eigenen Politik messen konnten. Und tatsachlich warben die<br />
offiziellen Madrider Verlautbarungen auch mit der Anwendbarkeit des<br />
spanischen Modells auf andere Gesellschaften, die danach trachteten, das<br />
Erbe einer autoritaren Herrschaft zu iiberwinden. Volle zehn Jahre vor dem<br />
gegenwartigen Investionsboom in Lateinamerika schien die Demokratie<br />
def Hauptexportartikel in die friiheren Kolonien zu sein, die sich bald zusammen<br />
mit der madre patria unter dem Banner der Iberoamerikanischen<br />
Gemeinschaft Demokratischer Nationen vereint fanden.<br />
Dariiberhinaus lieferte Spaniens Transition das implizite Modell fUr Phillipe<br />
Schmitters und Guillenno O'Donnells klassischen sozialwissenschaftlichen<br />
Begriff der »paktierten« Ubergange yom Autoritarismus (vgl.<br />
Schmitter/O'Donnell/Whitehead Hrsg. 1986). Ein wenig vereinfacht lassen<br />
sich folgende zentrale Charakteristika dieser Transitionen festhalten:<br />
Es handelt sich erstens urn friedliche, von einer Elite gelenkte Vorgange.<br />
Die Reform geht vom existierenden Regime aus und verbreitet sich auf<br />
dem Weg von Verhandlungen zwischen den Autoritaten und der gema<br />
Bigten Opposition, so daB ein Fortschreiten des Prozesses durch implizite<br />
und explizite Vertrage garantiert wird. Der Ubergang ist nicht die Folge<br />
eines Regime-Zusammenbruchs oder einer Volkserhebung. Reformisti-<br />
2 In einem strengeren Sinn konnte man die Obergangsperiode auf den Zeitraum zwischen<br />
1975 bis 1979 beschranken, wobei die Periode zwischen 1979 und 1982 eine Zeit del'<br />
Konsolidierung darstellt. Allerdings handel! es sich letztlich urn eine technische Frage,<br />
die uns an dieser Stelle nicht zu interessieren braucht.
Demokratischer Ubergang und Sozialdemokratie in Spanien 599<br />
------------~~------------~--------------------<br />
sche EHten behaupten die Initiative gegenuber der demokratischen Opposition.<br />
Die durch Verhandlungen vermittelte Transition ermoglicht zum zweiten<br />
einen politischen Wettstreit zwischen Akteuren, die bereitwillig die demokratischen<br />
Spielregeln aheptieren - wobei einige dem alten System verbunden<br />
waren, andere zu ihm in Opposition standen.<br />
Drittens akzeptieren die Verhandlungspartner den V orrang des Marktes fur<br />
die Okonomie und respektieren, wahrend sie den Primat der zivilen Autoritat<br />
gegenuber den militarischen Institutionen wiederherstellen, die Kommandoabfolge<br />
innerhalb den der Diktatur verbundenen Streitkraften.<br />
An Schmitter und O'Donnell anknupfende Arbeiten fUgen dies em Ensemble<br />
von Merkmalen zwei weitere Elemente hinzu, die sich auf die Abfolge<br />
der Reformen beziehen: Zum einen war die politische Transition auf der<br />
Ebene des Nationalstaates in groben Ziigen vorgezeichnet, bevor man daran<br />
ging, die drangenden - und potentiell konflikthaften - Fragen der territorialen<br />
Organisation zu 1asen.3 Zum anderen konzentrierten sich die Ubergangsregierungen<br />
zunachst ganz entschieden darauf, das neue politische<br />
System zu konsolidieren. Erst dann versuchten sie, die Okonomie zu restrukturieren.<br />
Da dieser Idealtyp der Transition in der Wissenschaft weitgehend akzeptiert<br />
wird, muB man darauf hinweisen, daB keine der Schliisselvariablen<br />
vollstandig der standardisierten Darstellung der spanischen Transition<br />
entspricht: Autoritare Regimes konnen (wie in Rumanien) zusammenbrechen;<br />
iiber das wiinschenswerte Modell der okonomischen Organisation<br />
mag (wie in Portugal) fundamentale Uneinigkeit herrschen; die territorialen<br />
Grenzen konnen (wie in der Tschechoslowakei) nicht erst spater,<br />
sondern schon zu Beginn des Regimewechsels zur Diskussion stehen;<br />
oder die Regierungen konnen (wie in groBen Teilen Osteuropas)<br />
versuchen, eine politische Transformation zu vollenden, wahrend sie<br />
Programme zur okonomischen Restrukturierung durchfiihren. Eine umfangreiche<br />
akademische Literatur - von den praktischen Problemen vieler<br />
Staaten ganz zu schweigen - laBt kaum daran wie bedeutsam die<br />
genannten Unterschiede sind.<br />
Wahrend die spanische Transition einen Idealtyp in der Weberschen Bedeutung<br />
des W ortes hervorbrachte, reprasentierte sie in einem davon sehr<br />
verschiedenen normativen Sinn zugleich einen idealen Ubergang. Allgemein<br />
gesagt: die spanische Transition war erfolgreich. Nach vier Jahrzehnten<br />
einer anachronistischen und oft brutal en Regierung, zeigte sich das<br />
3 Der »Staat der autonomen Gemeinschaften« (estado de las autonomias), unter dem das<br />
quasi-fi:iderale spanische Staatswesen bekannt wurde, wurde in der Periode der demokratisch<br />
en Konsolidierung entworfen und in Kraft gesetzt.
600 Eric Hershberg<br />
Letzt auf dem intemationalen Pm"kett rean:ges>ehelll~S<br />
IVlltC,.!1P·(j der Gemeinschaft ak-<br />
Dies ist ein entscheidender auf den wir zUrUckkommen werden -<br />
LJ'~'UtlU1~;C;;H der<br />
Transition in eine lineare<br />
Publikum<br />
bekannt wurden, Doch bevor wir uns diesem Problem<br />
wollen wir uns mit dem zweiten befassen: dem der<br />
Sozialdemokratie.<br />
Sozialdemokratie im Zeitalter der<br />
Das von den Sozialisten zwischen 1982 und 1995<br />
fUhrte soziookonomische und<br />
ist der zweite entscheidende<br />
haben soIL Um unsere<br />
zur Politik der spanischen<br />
Sozialdemokratie und dem intemationalen Echo auf diese Politik darzulegen,<br />
miissen wir auf zwei miteinander verklammerte Phanomene rekurrieren:<br />
Das erste beinhaltet die<br />
mit denen sich die Sozialisten<br />
konfrontiert sahen, als sie in an die Macht das<br />
zweite dreht sich urn die Ubereinstimmungen zwischenjenen Herausforderungen<br />
und den Aufgaben, vor die sich die in anderen Uindem entstehenden<br />
neuen Demokratien gestellt sehen.<br />
Die PSOE Sozialistische beerbte einen »Wohlfahrtsstaat«,<br />
der gemessen an europaischen Standards<br />
UY"'''F,'_LH'''L'''''' war und einen<br />
hohen Grad sozialer<br />
he it aufwies. Die Partei kam mit dem Mandat an die die Modemivoranzutreiben<br />
- '-'1_"''''''''', so wie es war, zu "'L"'V~"''''''''< Zum<br />
Teil erreichte sie ihr indem sie die ;yvuu"""",<br />
wel-<br />
charakterisiert hatte. Doch zugleich erbte die PSOE eine<br />
die im<br />
mit den<br />
Nachbam erschreckend wenig kon-<br />
"01.1£1."'111')0; war. Schmerzhafte MaBnahmen waren Gleichwohl<br />
muHten Gonzalez und seine Mitstreiter wie etwa in"", ..""","", erst von<br />
den Finanzmarkten oder - wie so viele Linke und<br />
- vom IWF<br />
Wie sich der Minidas<br />
zu tun, was def Inohne<br />
erst darauf zu warten, daB er<br />
getan<br />
es auch tun wiirde.
Demokratischer Ubergang und Sozialdemokratie in Spanien 60]<br />
------------~~~--------------~---------------------<br />
Das erste das ieh hier bezieht sleh also dardaB<br />
die PSOE sich zweierlei beugen ihrem als<br />
aueh der<br />
die okonomischen Reformen aggressiv zu forciereno<br />
Zum zweiten will ich an dieser Stelle auf die in Zeiten einsehneidender<br />
okonomischer Restriktionen an die Macht<br />
demokratisehen RelUlllllLJUIHUl\.CI<br />
verweisen - ein<br />
das wahrend der 80er Jahre relativ<br />
auftrat. Lateinamerika ist reich an und 08t- und sogar<br />
Sudeuropa den Trend.<br />
Den Regierungen stehen verschiedene<br />
mit der skizzierten<br />
Situation<br />
In einer stark vereinfaehten Perspektive bieten<br />
sieh Ihnen meines Eraehtens vier<br />
Bei der ersten handelt es sich um den Neoliberalismus: Er reduziert drastiseh<br />
die Rolle des Staates in def liberalisiert den beschneidet<br />
die Sozialausgaben, demontiert die Gewerkschaften,<br />
die industrielle Produktion und ermuntert in der Hoffnung auf<br />
"IJQLH"""" und Investitionen die<br />
bzw. verschafft<br />
ihr neue Freiraume. Wenn slch die Neoliberalen uberhaupt um die<br />
Verteilung der Fruchte des Wachstums dann nach dem Motto<br />
des beruhmten »trickle down«-Effekts: »Wenn es den Reichen besser geht,<br />
dann fallen auch fUr die Armen ein paar Kriimel yom Tisch«.<br />
Die zweite Option kann man als populistisch etikettieren. Sie kennt viele<br />
Unterarten, die sich fast alle im einen oder anderen Ereignis der jllngsten<br />
lateinamerikanischen Geschichte spiegeln. Das auf den Populismus setzende,<br />
alltagliche Verstandnis der Dinge - das sich wie alles Alltagsverstandnis<br />
zugleich aus einer guten Portion weiser Einsicht aber eben auch aus<br />
alWiglichen Stereotypen speist - besteht darin, die durch Umverteilung der<br />
Einkommen erreichte kurzfristige Befriedigung einfach gegen ein langandauemdes,<br />
durch<br />
Ineffektivitat und Verschwendung erzeugtes<br />
Leiden einzutauschen.<br />
Eine dritte die gleichfalls zuweilen populistische Zl1ge umfaBt<br />
das, was ich als »Durchwursteln« bezeichnen mochte: Eine schwache<br />
vermeidet es, sich mit den fundamental en seien sie nun<br />
okonomischer oder<br />
Art, zu befassen und versucht schlicht irgendwie<br />
durchzukommen. Darin bestand nicht zuletzt die Methode der<br />
UCD unter Suarez und seinen Nachfolgem: sie fUhrte zunachst eine gema<br />
J3igte Steuerreform durch, um die Offentlichen Finanzen zu stabilisieren<br />
und trug letztlich doch zur VergroBerung des Defizits indem sie dieser<br />
finanzielle W ohltaten zukommen lieB.<br />
Eine zunehmend lebhaftere Diskussion rankt sich um eine vierte, urn die<br />
von Jose Maria Maravall, Luiz C. Bresser Pereira und Adam Przeworski<br />
als Sozialdemokratische Option bezeichnete<br />
die die<br />
Autoren ausdrucklich mit der Regierungszeit der spanischen Sozialisten in
602 Eric Hershberg<br />
Verbindung bring en (Maravall/Bresser Pereira/Przeworski 1993). Dieses<br />
vierte Modell begegnet der Krise mit soziookonomischen und soziopolitischen<br />
Methoden, die beide eng miteinander verquickt sind. So erscheint<br />
das sozialdemokratische Modell in soziookonomischer Perspektive als einerseits<br />
wachstumsorientiert und marktfreundlich, d.h. offen fur Privatisierungen<br />
und die Offnung der Markte, auf der anderen Seite aber setzt es<br />
mit seiner Ausweitung der wohlfahrtstaatlichen Regulierung auch auf<br />
Umverteilung. Letztere zeigt sich besonders im Gesundheits- und Erziehungswesen,<br />
in Transferzahlungen, die den Benachteiligten zugute kommen,<br />
und in den Versuchen, regionale Ungleichgewichte zu reduzieren.<br />
Die soziopolitische Dimension des sozialdemokratischen Modells besteht<br />
in der Verpflichtung zu umsichtigem Vorgehen und deliberativer Demokratie,<br />
wobei zivilgesellschaftlich organisierten Akteuren ausdrUcklich eine<br />
partizipatorische Funktion zugestanden wird. Darilberhinaus werden in einigen<br />
Fallen die kulturelle Modemisierung, individuelle Freiheiten und der<br />
Pluralismus als Teil des »Modemisierungsprojekts« begriffen.<br />
1m Zeitalter der Globalisierung ist nichts entmutigender fur eine fortschrittliche<br />
Reformpolitik, als unter dem Druck der Notwendigkeit die<br />
Wirtschaft konkurrenzfahiger machen zu miissen und dabei ihrem historischen<br />
Erbe treu bleiben zu wollen. Die spanische Sozialdemokratie wird<br />
zunehmend als das seltene Beispiel fUr eine Modemisierungspolitik dargestellt,<br />
die mehr als ein Jahrzehnt und vier allgemeine Wahlen uberstand<br />
und von einem Wahlerblock untersrutzt wurde, der sich aus der Arbeiterund<br />
Mittelklasse rekrutierte und ihr zunachst an die Macht verholfen hatte.<br />
Und ausgerechnet dieser zweite »Idealtyp« - aufgefaBt in einem, um es<br />
noch einmal zu wiederholen, zugJeich analytischen wie normativen Sinn -<br />
wird nun als ein potentiell weltweit giiltiges Paradigma gehandelt.<br />
Uber sein gemeinsam mit Bresser und Przeworski verfaBtes Buch hinausgehend<br />
wird Maravall in Ki.irze eine langere Arbeit verOffentlichen, in der<br />
er die Uberschneidungen del' politischen und der 6konomischen Transitionsprozesse<br />
vergleicht. Dabei zeigt ef, daB die PSOE ein in demokratiewie<br />
modemisierungtheoretischer Hinsicht gleichermaBen bemerkenswertes<br />
Projekt begrilndete.4 Ahnlich argumentieren Nancy Bermeo und Jose<br />
Garcia Duran in ihrem Buch Votingfor Reform, das den politischen Unterbau<br />
des PSOE-Experiments hervorhebt (vgl. Bermeo/Dunin 1994).<br />
Die Zukunft von Demokratie und wirtschaftlichem Wohlstand in den Liindem<br />
des ehemaligen Warschauer Pakts im Blick, befurchtet Adam Przeworski<br />
(1992), daB der Osten zum Sliden werden k6nnte. Przeworski bedauert,<br />
daB es wahrscheinlich nur wenigen Landem gelingen werde, dem<br />
spanischen Vorbild zu folgen. Hingegen iibertragt William Smith in seiner<br />
4 Die Studie Maravalls wird demnachst bei der Oxford University Press erscheinen.
Demokratischer Ubergang und Sozialdemokratie in Spanien 603<br />
------------~~--------------~---------------------<br />
ehrgeizigen zweibandigen Diskussion verschiedener lateinamerikanischer<br />
Fallbeispiele das Argument auf diesen Subkontinent, indem er die sozialdemokratische,<br />
mit Felipe Gonzalez verbundene Losung der Modernisierungsfragen<br />
lobt und, trotz der okonomischen und politischen Hindernisse,<br />
die einer Wiederholung des spanischen Experiments entgegenstehen, ein<br />
entsprechendes Echo in der westlichen Welt einklagt (vgl. Smith in<br />
SmithiAcuiiaiGamarra 1994 sowie Smith 1993). Laurence Whitehead<br />
schlieBlich bemerkt in einer iiberzeugenden allgemeinen Darstellung der<br />
komparativen politikwissenschaftlichen Literatur, »Spanien erscheine sehr<br />
haufig als exemplarischer Fall, mit dem die anderen verglichen, an dem sie<br />
implizit gemessen und dem gegeniiber sie im GroBen und Ganzen als defizitar<br />
beurteilt werden« (vgl. Whitehead 1994).<br />
In politischen Kreisen hingegen ist man optimistischer. Kein Geringerer als<br />
Fernando Hemique Cardoso vertrat die Auffassung, mit der brasilianischen<br />
Krise konne am besten eine sozialdemokratische Politik fertigwerden, was<br />
ihr schlieBlich schon in Spanien gelungen sei; und iihnlich auBerten sich<br />
fiihrende Mitglieder der chilenischen Sozialistischen Partei und der regierenden<br />
»Concertacion :fur Demokratie«.<br />
Der entscheidende, auf die Sozialdemokratie und die politische Transition<br />
bezogene Punkt ist der, daB Spanien das empirische Referenzmodell :fur<br />
einen idealtypischen Umgang mit jenen grundlegenden Problemen bereitgestellt<br />
hat, mit denen sich eine ganze Reihe gegenwiirtiger Gesellschaften<br />
konfrontiert sehen.<br />
2. Was geschah tatsachlich in Spanien?<br />
Entsprechen die wirklichen Ereignisse in Spanien der idealtypisch ausgehandelten<br />
Transition, und markiert die Regierungsperiode der PSOE einen<br />
sozialdemokratischen Umgang mit den Entwicklungsproblemen, mit denen<br />
sich die Semiperipherie am Ende des 20. Jahrhunderts konfrontiert sieht?<br />
In beiden Fallen ist die Sache viel verwickeIter als die akademische Literatur<br />
oder der Offentliche Diskurs durchscheinen lassen.<br />
Wenden wir uns zunachst der Transition zu. Eine Rekonstruktion dessen,<br />
was Ende der 70er Jahre geschah, nahert sich in vielfacher Hinsicht den gewohnten<br />
stilisierten Deutungen. In der Tat beriihrt ja jeder der fiinf Charakterziige<br />
der idealtypisch ausgehandelten Transitionen die Dynamik der politischen<br />
Veranderungen in Spanien. Von den legitimen Erben des Franco<br />
Regimes in Gang gesetzt, integrierte der Reformprozess die Gegner der Diktatur<br />
auf eine Art, die die Kontinuitat des okonomischen Modells und die<br />
Integritat der militarischen Institutionen garantierte. Auch entspricht die<br />
Reihenfolge der Aufgaben, vor die sich die Ubergangsregierungen gestellt<br />
sahen, dem von der Literatur iibermittelten idealtypischen Abfolgemodell.
604<br />
Eric Hershberg<br />
Nichtsdestoweniger<br />
die Linse der<br />
Transitions-Litemtur ;';"'JIV'vlll~H'dl V'o.,U
Demokratischer Ubergang und Sozialdemokratie in Spanien 605<br />
------------~~------------~---------------------<br />
Trotz bedeutender Verbesserungen in der Gesundheitsvorsorge und bei den<br />
Renten hat die wirtschaftliche Ungleichheit wahrend der zwolfjahrigen<br />
Regierungszeit der PSOE zugenommen. Zurn groBen Teil hat das chronisch<br />
hohe Niveau der Arbeitslosigkeit schuld an diesem entmutigenden<br />
Rekord. Die Arbeitslosenrate, die, als die PSOE an die Macht kam, mit<br />
steigender Tendenz bei etwa 14% lag, erreichte mit nahezu 23% der Arbeitskrafte<br />
ihren Hochststand und uberschritt nach einer bescheidenen<br />
Verbesserung neuerlich die 20%-Grenze - ein Niveau, das sich in absehbarer<br />
Zeit wohl kaurn verbessem wird. Und auch wenn Verfechter der sozialdemokratischen<br />
Sache den beachtlichen Anstieg der sozialstaatlichen<br />
Ausgaben unter den Sozialisten hervorheben, ist dieser Trend nur teilweise<br />
Ausdruck gewachsener gesellschaftlicher Anspruche. Denn der groBte Teil<br />
des Anstiegs jener Ausgaben verdankt sich schlicht und einfach den unvermeidlich<br />
steigenden Kosten der Arbeitslosigkeit.<br />
Noch bedeutsamer ist die Frage, ob die PSOE ihre soziopolitische Modernisierungskoalition<br />
tatsachlich mit dem Ziel schmiedete, UnterstUtzung bei<br />
der spanischen Wirtschaft zu finden und die okonomische Wettbewerbsfahigkeit<br />
auf den intemationalen Markten anzukurbeln. Auf alle Falle hatten<br />
sich Ende der 80er Jahre die Beziehungen zwischen der Regierung und der<br />
Arbeiterschaft so sehr verschlechtert, daB sich die Fuhrer der beiden wichtigsten<br />
Gewerkschaftsfoderationen zusammenschlossen, urn den regressiyen<br />
Charakter der Regierungspolitik anzuprangem und implizit der Vereinigten<br />
Linken, der Izquierda Unida (IV), beizupflichten - einem gleichermaBen<br />
schwachen Wahlblindnis, das aus den Resten der mehr oder weniger<br />
abgewirtschafteten PCE hervorgegangen war. Die Popularitat der Gewerkschaftsposition<br />
wurde yom Erfolg des Generalstreiks im Dezember<br />
1988 bekraftigt, den die Gewerkschaften ausriefen, urn die Regierung zu<br />
zwingen, ihre j-ungsten MaBnahmen zurUckzunehmen, die den Arbeitsmarkt<br />
deregulieren und den Untemehmem ermoglichen sollten, Arbeiter<br />
auf Zeit einzustellen, und die femer im privaten Sektor eine Lehrlingsausbildung<br />
fur arbeitslose Jugendliche auf niedrigem Lohnniveau subventionieren<br />
sollten.<br />
Bald nachdem die PSOE die Amter ubemommen hatte, bahnten sich<br />
schwerwiegende Konflikte zwischen der Regierung und der organisierten<br />
Arbeit an. Entschiedener als ihre zentristischen Vorganger begannen die<br />
Sozialisten mit der Verwirklichung eines ehrgeizigen Programms, mit dem<br />
nicht konkurrenzfahige Betriebe stillgelegt und die betroffenenen Arbeiter<br />
und Gemeinden durch zeitlich befristete Subventionen und Umschulungsprogramme<br />
entschiidigen werden sollten. Allerdings zeigten sich die<br />
Arbeiter nicht bereit, uber Streitfragen zu verhandeln, deren Losung von<br />
staatlichen Technokraten vorgegeben worden war. Die bevorstehende Umstrukturierung<br />
per Dekret produzierte »im Zeitraurn zwischen 1983 bis
606 Eric Hershberg<br />
1988 mehr Streiks, mehr durch Streiks verlorene Arbeitsstunden und mehr<br />
Streikteilnehmer als in anderen Fiinfjahresperiode seit dem Bfugerkrieg«<br />
(Wozniak 1991).<br />
DaB die Verselbstandigung der Regierung gegenuber den Anspruchen ihrer<br />
Wahler den Bereich der Wirtschaftspolitik uberschritt, wird besonders an<br />
der Abkehr der PSOE von ihrer ihrer oppositionellen Haltung gegenuber<br />
Spaniens Mitgliedschaft in der NATO deutlich. Neutralistische und antimilitaristische<br />
GefUhle und Ansichten waren in der spanischen Offentlichkeit<br />
tief verwurzelt, und Gonzalez' Versprechen, unverzuglich ein Referendum<br />
abzuhalten, urn Spaniens Verhaltnis zur Atlantischen Allianz zu<br />
bestimmen, gehorte 1982 zu den populareren Programmpunkten der<br />
schen Plattform der PSOE. Bei der Amtsubernahme allerdings anderte die<br />
Regierung ihre Position zugungsten einer standigen spanischen Beteiligung<br />
an dem von den USA dominierten Bundnis. Da sie ein Referendum indes<br />
nicht ganz umgehen konnte, griff die Partei zunachst zur Verzogerung und<br />
dann, in Bruskierung der breiten Volksbewegung, die sich fonniert hatte,<br />
um auf ein »Nein«-Votum zu drangen, zur Manipulation der den Wahl ern<br />
vorgelegten Frage. 1m Wissen um die von den Meinungsumfragen vorhergesagte<br />
mehrheitliche Unterstiitzung eines spanischen Ruckzugs aus der<br />
Allianz, kippte Gonzalez das Referendum zugunsten der Regierung, indem<br />
er am V orabend der Abstimmung zu verstehen gab, daB er zurucktreten<br />
und eine politische Krise provozieren wurde, falls seine Position nicht<br />
durchkame.<br />
Nach einem ahnlichen Muster gestrickte Vorkommnisse wiederholten<br />
sich in den 80er Jahren - und auch noch in den fruhen 90ern, als es der<br />
Regierung gelang, trotz organisierter, zivilgesellschaftlicher Proteste in<br />
verschiedenen Politikbereichen weitreichende neoliberale Reformen<br />
durchzusetzen. In jedem einzelnen FallS wurde die Position der Regierung<br />
durch das Fehlen uberzeugender parteipolitischer Alternativen zu<br />
den Sozialisten gestarkt - eine verzogernde Wirkung des oben diskutierten<br />
Transitionsmodells.<br />
1981 war Suarez' Mitte-Rechts-Koalition ohne auf WiederhersteHung<br />
zerbrochen; die rechte Volksallianz oder Alianza Popular, aus der<br />
spater die PP hervorging, erschien den Wahlern, von etwa einem Drittel<br />
abgesehen, bis zum Urnengang von 1996 nicht akzeptabel; und die eurokommunistische<br />
Linke hatte sich durch interne Streitigkeiten und durch ihre<br />
Unfahigkeit dezimiert, eine in sich stimmige Vision fUr die Rolle der<br />
Linken in einer konsolidierten Demokratie zu entwerfen. Gleichzeitig stei-<br />
5 Unter den Beispielen finden sich die Friedensbewegung und der Militardienst, die Studenten<br />
und die Reform der sekundaren und der hiiheren Ausbildung, die Bauemproteste und<br />
die Agrarpolitik, Menschenrechtsgruppen und die »Antiterrorismus«-Gesetzgebung usw.
Demokratischer Ubergang und Sozialdemokratie in Spanien 607<br />
gerten regional verankerte Parteien ihren Stimmenanteil bei den landesweiten<br />
Wahlen und schmalerten auf diese Weise die Aussichten der Opposition,<br />
den Sozialisten regierungsfahige Mehrheiten entgegenzusetzen.<br />
Dieses politische Vakuum hatte letzteren im Jahre 1982 ennoglicht, zehn<br />
Millionen Stimmen auf sich zu vereinen, und es blieb - verscharft durch<br />
ein Wahlsystem, das die groBen Parteien mit einem uberproportionalen<br />
Anteil an Sitzen in den Cortes belohnte - die zentrale Trumpfkarte der<br />
PSOE wahrend ihrer zwolfjahrigen Herrschaft.<br />
Als einzige Partei mit einer uberzeugenden regierungsfahigen Mehrheit<br />
hatte die PSOE wenig Veranlassung, die auf zivilgesellsehaftlieher Ebene<br />
organisierten Akteure in spiirbarem Umfang einzubeziehen. Die Parteimitgliedschaft<br />
belief sieh in den 80er Jahren im Durehschnitt auf nieht mehr<br />
als 100.000, und eine der filhrenden wissensehaftlichen Autoritaten im Bereich<br />
der spanischen Politik, Richard Gunther, schatzt, daB ein gutes Drittel<br />
dieser Personen Regierungspositionen besetzen. Die PSOE war also nicht<br />
wenig erfolgreich, vor aHem wenn sich der Erfolg an den vier aufeinanderfolgenden<br />
Siegen bei den allgemeinen Wahlen bemiBt. Gleichwohl gab sie<br />
nicht das Beispiel einer wiederbelebten Sozialdemokratie ab, sondern<br />
spielte jene Rolle, die Otto Kirchheimer dreiBig Jahre zuvor der integrativen,<br />
der »catch-all«-Partei zugesprochen hatte, einer Organisation, »die durch ihre<br />
Rolle innerhalb des Wahlsystems ... jene begrenzte politische Partizipation<br />
und Integration der breiten Masse erreicht, die das Funktionieren der offiziellen<br />
politischen Institutionen verlangt« (Kirchheimer 1966).<br />
3. SchluJlfolgerungen<br />
Ich habe mit dies em Essay nicht gegen die Verwendung von Idealtypen argumentieren<br />
und auch ihre Brauchbarkeit als Bausteine vergleichender<br />
Forschung nicht in Frage stellen wollen. Ferner ging es mir nicht darum,<br />
dem spanischen Experiment des politischen und sozialen Wandels jegliche<br />
Bedeutung filr die in anderen Teilen der Welt ablaufenden Transfonnationsprozesse<br />
abzusprechen. Ganz im Gegenteil. Gleichwohl sollte man<br />
nicht vergessen, daB Idealtypen eine stilisierte Version der Tatsachen wiedergeben,<br />
daB sie diese mit anderen Worten notwendiger Weise so stark<br />
vereinfachen, daB man all die komplexen Zusammenhange, die einen konkreten<br />
Fall ausmachen, aus den Augen zu verlieren droht. In diesem Sinn<br />
sind Idealtypen Abstraktionen, die sich in der Praxis verwirklichen oder<br />
aber nicht, die jedoch keinesfalls die empirischen Untersuchungen der<br />
weiligen Ereignisse ersetzen konnen. Ignoriert man das, wird die komparative<br />
Analyse durch einen schiefen Ausgangspunkt verzerrt.<br />
Daruberhinaus ist auch das Verstandnis des Falls, der den Idealtyp generiert,<br />
das heiBt der Erfahrungen Spaniens mit der politischen Transition
608 Eric Hershberg<br />
------------------------------------------------------<br />
und der UUlUW'>', fur Entwurden<br />
ironischerweise durch das Interesdas<br />
dem Land in zunehmendem MaBe von<br />
entg":ge:ng:ebra(~ht wurde - seien es nun nordamerikanische Sozialwissenschaftler<br />
oder lateinamerikanische<br />
Und wei! in diesem Fall die<br />
wie<br />
zu einem gewissen Grad selbst davon iiberzeugt, daB ihre<br />
genheit der stilisierten, von den meisten Offentlichen Diskursen und der<br />
akademischen Litemtur<br />
der Ereignisse ent-<br />
Letztere ist freilich nicht ganz aber die verbleibende Unmit<br />
dem Zweifel<br />
icbltS(lestovverlig,~r wird gerade da sich das Land von neuem am<br />
Rand einer moglichen Transition bewegt, recht selten daliiber '-''''''''-''CLlvL<br />
ob denn die vergangenen zwanzig Jahre tatsachlich so sehr auf Konsens<br />
so und und sozialdemokratisch waren.<br />
Auch darfman in den kommenden Jahren keine neuaufgelegte Debatte<br />
iiber diese erwarten, die gerade deshalb so heikel wei! sie<br />
an demokratische Grundprinzipien ruhren und wei! die wichtigsten Akteure<br />
immer noch um die Macht konkurrieren.<br />
Diesem Schweigen zum Trotz sollte man sich damn erinnem, daB es bestenfalls<br />
riskant ist, sich auf der Basis dnes<br />
Verstandnisses<br />
entfemter und vermeintlich erfolgversprechender Vorbilder auf einen<br />
TransformationsprozeB einzulassen. Sollten wir daher in runf Jahren auf<br />
den Versuch der Partido Popular<br />
neue Rezepte zur Wiederbelebung<br />
der wirtschaftlichen<br />
sowie der Modernisierung<br />
des W ohfahrtsstaats, der<br />
des Wiihlerverhaltens<br />
und weiterer, augenblicklich schwer zu definierender demokratischer Ziele<br />
so sollten wir das nicht ohne eine gewisse Skepsis tun. 1st<br />
doch die Wirklichkeit urn so vieles<br />
und konfliktreicher als die<br />
idealisierenden Darstellungen der "'-''"v'Fi'U'''''', die in oder auBerhalb einer<br />
bestimmten Gesellschaft zirkulieren.<br />
Aus dem Amerikanischen iibersetzt von Susanne Dittberner<br />
Literatur<br />
Bermeo, Nancy & und Jose Garcia Duran (1994): Spain: Dual Transition Implemented by<br />
Two Parties, in: Haggard, Stephen & Stephen B. Webb (Hg.): Voting for Reform, Oxford<br />
]994.<br />
Kirchheimer, Otto (1966): »The Transformation of the West European Party System« in Lapalombara,<br />
Joseph & Myron Weiner Hrsg.: Political Parties and Political Development,<br />
Princeton University Press, Princeton 1966,
Demokratischer Ubergang and Sozialdemolo-alie in Spanien 609<br />
Maravall, Jose Maria; Luiz Carlos Bresser Pereira & Adam Przeworski (1993): Economic<br />
Reforms in New Democracies: A Social Demokratic Approach, Cambridge University Press<br />
19930<br />
Przeworski, Adam (1992): Wird del' 'Osten' zum 'Sliden'? in: <strong>Prokla</strong>, Zeitschrifi fiir kritische<br />
SozialwissenschaJt, Heft 86, 220 Jgo NL 1, Marz 1992, S089-970<br />
Schmitter, Phillipe; Guillenno O'Donnell & Laurence Whitehead (Hrsgo) (1986): Transitions<br />
from Authoritarian Ruk Prospects for Democracy, 4 vols, The John Hopkins University<br />
Presso<br />
Smith, William Co (1993): Neoliberale Restrukturierung und die neuen Demokratien in Lateinamerika<br />
in: Prokh Zeitschrififiir kritische SozialwissenschaJt, Heft 90,230 Jgo, NrJ,<br />
Miirz 1993, So72-930<br />
Smith, William Co; Carlos Acuna & Eduardo GamaJTa (Hrsgo) (1994): Democracy, Adjustment<br />
and Structural Reform in Latin America, Transaction Publisherso<br />
Wozniak, Lynn (1991): »Industrial Modernization and Working Class Protest in Socialist<br />
Spain«, Kellog Institute Working Paper, Nr. ]65, Oktober 199L<br />
PROKLA 107<br />
Verkehr und Mobilitat<br />
Fast uberan ist fast alles zu kaufen: Transportkosten fallen kaum noch<br />
ins Gewicht Oder es wird dafUr gesorgt, daB sie nicht ins Gewicht fallen,<br />
wie mit der EinfUhrung eines 20Schifffahrtsregisterso Beschleunigter<br />
Verkehr und verbilligter Transport erweitem nicht nur die Konsummoglichkeiten<br />
(fUr diejenigen, die zahlen konnen), auch die Produktion<br />
kennt (bald) keine Grenzen mehr. Verscmnutzte Luft und verstopfte<br />
StraBen sind nur eine der Kehrseiten dieser Entwicklung. Die<br />
Zerstorung regionaler Okonomien eine andere. Revolutioniert wurde in<br />
den letzten Jahrzehnten aber nicht nur der materieller Guter,<br />
revolutioniert wurde auch der weltweite Transport von Infonnation tiber<br />
die elektronischen Netzeo Und uber die werden nicht nur Nachrichten,<br />
sondem auch jede spekulativer geschickt. Nachdem<br />
der Kapitalismus keine raumlichen Grenzen kennt, schickt er sich<br />
an, auch die zeitlichen zu sprengen. Welches sind die sozialen, v,~''''v''''<br />
schen und okonomischen Konsequenzen dieser<br />
sind die Gewinner und wer sind die Verlierer in diesel' "","V'o''''',<br />
Welt ohne Grenzen?
Alex Demirovic<br />
DEMOKRATIE<br />
UND HERRSCHAFT<br />
Aspekte kritischer<br />
Gesellschaftstheorie<br />
Alex Demirovic<br />
Demokratie und Herrschaft<br />
Aspekte kritischer Gesellschaftstheorie<br />
(Theorie und Geschichte der bOrgerlichen<br />
Gesellschaft Band 14)<br />
1996 - ca. 350 S. - ca. DM 68,00 - 6s 496<br />
SFR 68,00 - ISBN 3-929586-83-5<br />
•<br />
Politische Konflikte sind in hohem MaBe zu Deutungskonflikten um die Demokratie<br />
geworden. Alex Demirovic vertritt in den Aufsatzen des vorliegenden<br />
Bandes die Ansicht, daB Gesellschaftskritik sich nicht naiv gegenOber<br />
demokratietheoretischen Problemen machen darf. Demokratie und<br />
Demokratietheorie sind vielmehr selbst auf ihr emanzipatorisches Potential<br />
hin zu OberprOfen.<br />
Volker WeI/hOner<br />
"Wirtschaftswunder" - Weltmarkt - Westdeutscher<br />
Fordismus<br />
Der Fall Volkswagen<br />
(Theorie und Geschichte der bOrgerlichen Gesellschaft Band 12)<br />
1996 - gebunden - 391 S. - DM 88,00 - 6s 642 - SFR 88,00<br />
ISBN 3-929586-71-1<br />
Am Beispiel des Volkswagenwerks rekonstruiert Volker Well honer den endgOltigen<br />
Durchbruch der fordistischen Massenproduktion in der westdeutschen<br />
Automobilindustrie. Er interpretiert die Erfolgsgeschichte des Katers vor dem<br />
Hintergrund des deutschen Wirtschaftswunders. Dabei zeigt sich, daB die<br />
spektakularen Wachstumsraten jener Zeit untrennbar mit der Verbreitung amerikanischer<br />
Produktionskonzepte in der westdeutschen Industrie verknOpft<br />
waren.<br />
WESTFAuSCHES DAMPFBOOT •<br />
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Sergio Costa<br />
Die Feststellung, daB in den zeitgen6ssischen Demokratien Offentliche<br />
Kommunikationsformen zu einem zentralen Instrument der politischen Legitimationsvermittlung<br />
wurden, ist mittlerweile trivial. Ebenfalls banal<br />
scheint die Behauptung zu sein, daB klientelistisch gepriigte Loyalitiitsbindung<br />
en in der politis chen Landschaft Lateinamerikas noch (vor)herrschen.<br />
Spannend ist jedoch die Frage, wie in den »neuen Demokratien« Lateinamerikas<br />
traditionelle politische Praktiken und massenmediale Instrumente<br />
der Loyalitiitsbeschaffung zusammenwirken und den Politikalltag zu einer<br />
Collage widersinniger Fragmente machen. Diesem Fragenkomplex soIl<br />
hier anhand des brasilianischen Beispieles nachgegangen werden.<br />
1. Die kollektiven Akteure in del' modemen<br />
Innerhalb verschiedener Denktraditionen wurde die Rolle der Offentlichkeit<br />
in demokratischen Gesellschaften untersucht und entsprechend differenziert<br />
geschildert (vgl. als Uberblick Benhabib 1992). In der gegenwiirtigen<br />
demokratietheoretischen Debatte stehen vor aHem ein funktionalistisches<br />
und ein diskurstheoretisches Konzept von Offentlichkeit im Mittelpunkt.<br />
In dem funktionalistischen Mode1l2 wird Offentlichkeit als ein interrnediiires<br />
System aufgefaBt,<br />
Dieser Beitrag beruht auf einem Abschnitt meiner unter Betreuung von Prof, Renate Rott<br />
an der FU-Berlin abgeschlossenen Dissertation. Fur kritische Bemerkungen danke ieh der<br />
PROKLA-Redaktion, den Mitgliedem des von Prof A Honneth geleiteten wissensehaftlichen<br />
Colloquiums sowie Ursula Ferdinand und Christoph Wichtmann.<br />
2 Obwohl dieses Offentlichkeitskonzept von der Systemtheorie gepragt wird, wei sen ihre<br />
Vertreter - anders als Luhmann (vgl. Gerhards 1993,23) - dem politischen System eine<br />
Sonderstellung zu: Diesem wird »sowohl eine ubergeordnete Stelle als Problemadressat<br />
als auch eine Sonderstellung als Problem16sungssystem« zugeschrieben (ebd.). D,h., dafl<br />
das politische System seine Steuerungsfunktion aufrechterhalt. Die Bezeichnung »funktionalistiseh«<br />
wurde hier aus praktischen Erwagungen gewahlt, wird aber dem vorgestellten<br />
Modell nicht vollkommen gerecht, denn es handel! sich eigentlich urn ein Mischkonzept,<br />
das Zuge verschiedener theoretischer Ansatze tragI,<br />
PROKLA. Zeitschriftfiir kritische Sozialwissenschaji, Heft <strong>105</strong>.26. Jg. 1996. Nt. 4, 611-631
612 Sergio Costa<br />
Funktion in der Aufnahme<br />
bestimmter Themen und<br />
sowie in der<br />
der aus dieser<br />
entstehenden Offentlichen In
Medien. ZivilgeselischaJt und »Kiez«: politische Offentlichkeit in Brasilien 613<br />
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Themen kann den Stimmenverlust von darstel~<br />
die hinter diesen von der<br />
nicht weiterbearbeiteten Proble-<br />
»lrltelreSserlaJ2;gr'c;g,ttl()l1«, die urn<br />
werden - nicht trennscharf - die Akteure der<br />
»Interessenartikulation«<br />
die unmittelbaren EinfluB auf die<br />
Exekutive nehmen wollen. Zu diesen Akteuren werden sowohl die Interessengruppen<br />
und Verbande als auch soziale<br />
und<br />
1m zu den anderen Akteuren der »Interessenartikulation« wei sen<br />
die Protestakteure ein<br />
auf und<br />
tiber eine<br />
Ressourcenbasis: Wahrend den Verbanden und In-<br />
)rgallllsa1'lOllSllaa(:ht) zur VerfUr<br />
die Prourn<br />
politische<br />
'-'UCO",.lH.dUU'''!'>C,U zu beeinflussen<br />
1990, 27, Anm.<br />
Normativ wird den Protestakteuren jedoch kein differenzierter Gehalt zu<br />
Sie zahlen zu den strategisch handelnden »Ultll::ntJJctlkeltsdie<br />
ausgehend von ihren Interessen tiber die<br />
Medien ein >mnterhaltungs- und orientierungsbedurftiges Publikum« zu erreichen<br />
7). Dabei werden die typischen Ausdrucksformen<br />
der Protestbewegungen Protestaktionen und Kundgebungen) konzeptionel!<br />
mit Instrumenten einer symbolischen Politik gleichgesetzt, die Ereignisse<br />
fur die Medien inszeniert. Beide Erscheinungen werden als Pseudoereignisse<br />
die im Rahmen des »news managements«<br />
u.a. durch ihren Schaueffekt einen Nachrichtenwert erzeugen sallen<br />
(Pfetsch<br />
In der<br />
von Habermas entwickelten diskurstheoretischen<br />
bekreuzen<br />
sich in der iJv"~u""",,,H '-' Ll"".HH.Hkeit<br />
»die kommunikative<br />
Macht mit der Hmu~~'u""r<br />
der Medienmacht zur<br />
von Massen<br />
Nachfrage und 'compliance' gegenuber systemischen<br />
ven« (Habermas 1990, 45). Habermas also uber den<br />
denten um i:iffentliche Aufmerksamkeit def im geschilderten<br />
funktionalistischen Modell als Offentlichkeit schlechthin gilt, und recherchiert<br />
die Herkunft def die in die gelangen.<br />
3 Hier beziehe ich mich nicht auf die Studie »Strukturwandel der Offentlichkeit«, die den<br />
Zerfall def biirgerlichen Offentlichkeit beschreibt, sondem auf jiingere Beitrage von Habennas,<br />
welche die Aufrechterhaltung einer »politisch fungierenden Offentlichkeit« behandeln<br />
(Habennas 1990).
614 Sergio Costa<br />
Dabei stellt er fest, daB es hinter dem Kampf um Medienprasenz eine tiefere<br />
Ebene gibt, die mit der »Erzeugung legitimer Macht« zusammenhangt.<br />
Die Habermassche Konzeption der politischen Offentlichkeit steht in Zusammenhang<br />
mit seiner Antwort auf die Frage, wie gesellschaftliche Ordnung<br />
ohne »Transzendenz und Tradition«, also in einem sakularisierten<br />
Kontext, uberhaupt m6glich ist. Habermas erkennt die bindende Kraft der<br />
systemischen Steuerung, er erfaBt jedoch auch einen zweiten Bereich, die<br />
Lebenswelt, die durch verstandigungsorientierte Handlungen gekennzeichnet<br />
i81.4 Daraus resultiert das Bild einer politis chen Offentlichkeit, die nicht<br />
zur bloBen Buhne strategisch handelnder Akteure degradiert wird, sondem<br />
»eine Mischung von systemischen Steuerungsversuchen einerseits und lebensweltlicher,<br />
autonomer Willensbildung mundiger Privatleute andererseits<br />
i5t« (ROdel u.a. 1989, 161). Mit anderen Worten: Die Offentlichkeit<br />
besteht nicht nur aus Diskursen, die lediglich den 6konomischen und administrativen<br />
Machtanspruch partikularer Gruppen verdecken, sondem in<br />
sie flieBen auch im Alltag kristallisierte Kommunikationsstrome ein, die<br />
gesamtgesellschaftlich relevante Fragen aufwerfen.<br />
1m diskurstheoretischen Modell besteht die normative Bedeutung def politischen<br />
Offentlichkeit darin, zwischen dies en in der Lebenswelt generierten<br />
Impulsen und den Korperschaften, die die politische Willensbildung institutionell<br />
artikulieren, als Vermittlungsinstanz zu fungieren. 5 Wenn die<br />
Kommunikationsstrome, die aus den »Mikrobereichen def Alltagspraxis«<br />
entstehen, die Grenzen der »autonomen Offentlichkeiten«6 extrapolieren,<br />
k6nnen sie in die demokratisch verfaBten BeschluBgremien hineinfliessen und<br />
die dort getroffenen Entscheidungen pragen. Die flussige kommunikative<br />
Macht wird also »im Modus der Belagerung«7 ausgeubt: »Sie wirkt auf die<br />
Pramissen der Urteils- und Entscheidungsprozesse des politischen Systems<br />
ohne Eroberungsabsicht ein« (Habermas 1992a, 208).<br />
4 Nach Rodel u.a. (1989, 158!) »entdiimonisiert« Habermas mit dem dualen Modell System/Lebenswelt<br />
die formale Rationalitat. Ohne den Rekurs auf kontrafaktische Potentia Ie<br />
kann man sich nun einen politisehen Ausweg aus der Entfremdung vorstellen, die mit der<br />
Verbreitung formaler Rationalitat zusammenhangt: Es gibt noch eine Instanz, die nieht<br />
»kolonisiert« wurde, namlieh die Lebenswelt. Einer emanzipatorisehen Politik geht es<br />
dann nieht mehr, wie bei der klassischen kritisehen Theorie, um eine »Unterordnung der<br />
Zweckrationalitiit«, sondern lediglich darum, einen institutionellen »Sicherheitszaun«<br />
zwischen System und Lebenswelt zu erriehten.<br />
5 Aufgrund der Fragestellung meines Beitrags wird lediglich die Offentliehkeit als gesellschaftliehe<br />
Vermittlungsinstanz dargestellt, und nieht das Reehtssystem, das im diskurstheoretischen<br />
Demokratieverstandnis im Vordergrund steh!.<br />
6 »Autonom« nennt Habennas (1985, 422) Offentiichkeiten, »die nicht vom politisehen System<br />
zu Zweeken der Legitimationsbesehaffung erzeugt und ausgehalten werden«.<br />
7 Das Bild der Belagerung wird in Habermas (1992c, 429f!) durch das Schleusenmodell ersetzt<br />
sukzessive institutionelle Schleusen mtern die Kommunikationsstrome, die sich von<br />
der Peripherie in die Entscheidungszentren hineinbewegen.
Medien, Zivilgesellschaji und »Kiez«: politische OJ!entlichkeit in Brasilien 615<br />
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Die demokratisch institutionalisierten Verfahren sollen darur sorgen, daB die<br />
spontane Meinungsbildung auf den verschiedenen Entscheidungsebenen<br />
gewurdigt wird, Somit wird<br />
gesichert, daB die sozialintegrative<br />
Kraft der SolidarWit, die den lebensweltlichen Kommunikationsimpulsen<br />
innewohnt, den (systemischen) Ressourcen, die den »Integrations- und<br />
Steuerungsbedarf« (Habermas 1992b, 23) modemer Gesellschaft befriedigen,<br />
namlich Geld und administrative Macht, entgegenwirkt.<br />
Sorgen die rechtsstaatlichen Garantien darur, daB die Kommunikationsstrome,<br />
die im Rahmen verstandigungsorientierter Interaktionen generiert wurden, in<br />
die Entscheidungsebene einflieBen, so bleibt noch die Frage nach der gesellschaftlichen<br />
Basis einer solchen spontanen lebensweltlich verankerten Meinungsbildung<br />
offen. Hierbei rUckt die Zivilgesellschaft in den Vordergrund. In<br />
diesem Kontext sind damit unterschiedliche freiwillig organisierte ZusammenschlUsse<br />
(Vereine, Initiativen etc.) gemeint, »die die Resonanz, die die<br />
gesellschaftlichen Problemlagen in den privaten Lebensbereichen finden,<br />
aufnehmen, kondensieren und lautverstarkend an die politische Offentlichkeit<br />
weiterleiten« (Habermas 1992c, 443, Herv. S.C.).<br />
Den zivilgeseHschaftlichen Akteuren kommt in diesem Konstrukt eine Doppelrolle<br />
zu. Die »Kondensierung« der im Alltag auftretenden Problemlagen<br />
entspricht der defensiven Dimension dieser Akteure. Dabei handelt es sich<br />
urn die Aufrechterhaltung und die Erweiterung der »kommunikativen Infrastruktur<br />
der Lebenswelt« bzw. urn die Herstellung von autonomen Offentlichkeiten.<br />
Mit der »Weiterleitung« der im Rahmen von alltaglichen<br />
Praktiken thematisierten Probleme schaltet sich die offensive Dimension<br />
zivilgesellschaftlicher Akteure ein. Dabei geht es urn den Versuch,<br />
»Beitrage zu Problemlosungen zu liefem, neue lnformationen beizusteuem, Werle anders zu<br />
interpretieren, gute Griinde zu mobilisieren, schlechte zu denunzieren, um so einen breitenwirksamen<br />
Stimmungsumschwung herbeizufiihren, die Parameter der verfallten politischen<br />
Willensbildung zu verandem und zugunsten bestimmter Politiken Druck auf Parlamente, Gerichte<br />
und Regierungen auszuiiben« (Habelmas 1992c, 448).8<br />
2. Die<br />
Politische Aspekte<br />
Schon aus den bahnbrechenden klassischen Studien (Oliveira Vianna<br />
1942; Freyre 1936), die die Konturen einer brasilianischen »Sozialpsychologie«<br />
nachzeichnen, geht ein wesentliches Merkmal der brasilianischen<br />
8 lndem Habermas die sozialen Bewegungen generell als zweidimensionale (defensiv/offensive)<br />
Akteure betrachtet, nimmt er offenbar die Kritik von Cohen und Arato (1992,<br />
531 ft) auf. Noch in seiner Theorie des kommunikativen Handelns schrieb Habermas<br />
(1981, 575ft) ihnen (mit Ausnahme der Frauenbewegung) lediglich einen defensiven<br />
Charakter zu.
616 Sergio Costa<br />
Offenltlil~h1~eit<br />
hervor: die iih,'r"fr"I
Medien, ZivilgesellschaJt und !!Kiez«: politische OjJentlichkeit in Brasilien 617<br />
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Normen werden die Teilnehmer der politis chen Gemeinschaft<br />
sondem tiber die Familien, die Freundschaftskreise etc., in denen sich der<br />
VollgenuB der »Staatsburgerrechte« realisiert - oder eben nicht.<br />
Doch mit dieser politischen Integrationsform offensichtlich Umstande<br />
zusammen, die es erschweren, daB die Offentlichkeit ihre 1m demokratischen<br />
Kontext zugeschriebenen Funktionen erfullen kann, namlich als<br />
Arena zu fungieren, in der es zu einer mehr oder weniger freien Willensbildung<br />
kommt und die dann als Legitimation der politischen Ordnung<br />
dienen kann. Hier zeigen sich mindestens drei miteinander zusammenhan-<br />
Problembereiche, und zwar:<br />
1) Ungleiche Intensitaten politischer Integration. Es wird ersichtlich, daB<br />
in einem Kontext, in dem Art und AusmaB des Zugangs zu Offentlichen<br />
Gutem (von staatlichen Leistungen bis hin zu der Gewahrleistung der Verfassungsrechte<br />
durch den Justiz-, Polizeiapparat etc.) von personlichen Beziehungen<br />
abhangt, nur eine auBerst hierarchisierte Form der Staatsbfugerschaft<br />
entstehen kann. Diejenigen, die keine Beziehungen zu einfluBreichen<br />
Personen oder Institutionen haben, konnen nur partiell (qualitativ und<br />
quantitativ betraehtet) die geltenden Verfassungsrechte in Anspruch nehmen.<br />
D.h. es gibt Bevolkerungsgruppen, die sich selbst nicht als Burger<br />
bzw. als Mitglied einer auf allgemein geltenden Normen beruhenden politisehen<br />
Gemeinschaft wahmehmen, und die damber hinaus die Legitimitat<br />
dieser Normen nicht anerkennen konnen. Diese Gruppen leben in einer,<br />
wie es Prandi (1992, 84) nennt, »vorethischen Welt«. Damit meint der<br />
Autor einen Kontext, in dem die rasante Urbanisierung zu einem Verlust<br />
tradierter Werte und Normen fuhrte: Die religiosen Normen, die historisch<br />
als ethische Referenz fUr diese Bevolkerungsgruppen gaiten, haben bereits<br />
ihre bindende Kraft verloren, ohne daB an deren Stelle sozial tragfahige sakularisierte<br />
Werte und ein entsprechender Normenkodex getreten waren.<br />
2) Zerstorung der Legitimationsgrundlage der Verfassungsordnung. Werden<br />
die universell geltenden Normen einer Logik der personlichen Bezieuntergeordnet,<br />
so wird ungewiB, auf welcher<br />
(schrift-<br />
Heh fixierte Normen oder Logik der Beziehung) die sozialen Interaktionen<br />
uberhaupt erfolgen sollen. So muB bei jeder Offentlichen Kontaktaufnahme<br />
das zweckrnaBige Verhalten erst herausgefunden werden, da dieses nicht<br />
unbedingt mit den Vorschriften iibereinstimmt. Dadurch geraten aber Pramissen<br />
der Verfassungsordnung in Gefahr, namlich der Glaube an die Effektivitat<br />
des vorschriftsgemaBen Handelns und die Erwartung, daB sich<br />
die Gesamtheit der Gesellschaftsmitglieder an diese Normen halt.<br />
Santos (1993, 108ft) zufolge entspricht der Zerfall der universellen Normen<br />
einem Entzug jeglicher positiver symbolischer Bedeutung, die die Gesellschaft<br />
dem Offentlichen Raum im zuschreibt. Dies kann zu ei-
618 Sergio Costa<br />
nem Ruckzug ins Private fuhren, aber auch die<br />
kleiner sozialer<br />
(Verbrecherbanden, Korruptionsnetzwerke usw.) hervorrufen,<br />
die das Strafgesetzbuch ignorieren und nach ihren Ehrenkodexen<br />
handeln.<br />
3) Unausgewogenheit zwischen Partizipation und In einer<br />
umfassenden Studie uber PoUtik und Gesellschaft in Lateinamerika geht<br />
auch Alain Touraine (1989) auf die<br />
der Beziehungsloyalitat filr<br />
die Konstituierung des lateinamerikanischen Offentlichen Raumes ein. Hier<br />
werden einige Aspekte seiner Argumentation wiedergegeben, die die brasilianische<br />
Realitat, so wie ich meine, treffend beschreiben. Touraine zufoJge<br />
HiBt sich die Dynamik der politischen Offentlichkeit in Lateinamerika<br />
nicht durch das europaische Muster einer Parteienkonkurrenz erklaren, in<br />
der die politischen Akteure (Parteien, Fraktionen, Einzelpolitiker etc.) zwischen<br />
sozialen Interessen und einem Staat vermitteln, dessen politische<br />
Amtsinhaber periodisch neugewahlt werden. Ebensowenig eignet sich das<br />
amerikanische Demokratiemodell, in dem Interessengruppen auf dem po Iitischen<br />
Markt konkurrieren und sich somit gegenseitig begrenzen. Fur Lateinamerika<br />
zeigt sich eher, daB die machtigen okonomischen Gruppen<br />
kaum versuchen, uber die Offentlichkeit einen entsprechenden EinfluB auf<br />
die politischen Entscheidungen zu nehmen. Statt des sen werden die Interessen<br />
unmittelbar uber Amtsinhaber innerhalb des Staatsapparates vertreten,<br />
indem die okonomischen Gruppen Einzelpolitiker bestechen, Behorden<br />
»feudalisieren« und sie fUr die Umsetzung bestimmter Zwecke ausnutzen<br />
(vgl. O'Donnell, 1993).<br />
Die Parteien haben in dies em Kontext keine Inhalte einer organischen<br />
Ideologie, auf die sich die innerparteilichen Diskurse und Handlungen beziehen.<br />
Die politischen Akteure sti1tzen sich vielmehr auf die Familienund<br />
Freundschaftsnetzwerke, die an die Stelle der fragil organisierten 80-<br />
zialen Akteure treten. In einem solchen Offentlichen Raum, so Touraine,<br />
rucken Kategorien wie Ehre, Loyalitat, Verrat, affektive Praferenzen statt<br />
strategischer Koalitionen und politischem KalkUl ins Zentrum der politischen<br />
Sprache bzw. des politischen Handelns. Damit ist Politik nicht nur<br />
eine Frage von »Interessen«, sondem auch eine von »Leidenschaften«. In<br />
diesem Politikverstandnis gibt es keinen Raum fUr die »Kalte« und die<br />
»didaktischen« Diskurse, die die europaische Politik kennzeichnen: Man redet<br />
eher von den im Alltag erlebten Harten und Beklemmungen, von Freude und<br />
Trauer, von konkret existierenden Gemeinschaften und Menschen.<br />
Dieser »expressiven Erscheinungsform der Politik«, so Touraine (1989,<br />
178), entspricht ein Muster des kollektiven Handelns, das mit zwar explosiven,<br />
aber episodischen Sozialerschutterungen einhergeht, als ob »die<br />
Leidenschaften eher kurze und gewaltsame Dramen als langfristig organi-
Medien, Zivilgesellschaji und »Kiez«: politische OjJentlichkeil in Brasilien 619<br />
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siertes Handeln erzeugen k6nnten«. Ein politisches<br />
das nicht<br />
von reflektionsgestutzten Urteilen ausgeht, sondern lediglich von Betrof<br />
Emp6rung und diffusen gemeinschaftlichen ZugehOrigkeitsgefuhkann<br />
zwar in spektakulare Massendemonstrationen miinden, aber keine<br />
Dauerakteure entstehen lassen, die zu einer sinnvollen Teilnahme am<br />
WillensbildungsprozeB fahig sind. Somit kann die verfllissigte gesellschaftliche<br />
die bei diesen episodischen Mobilisierungsprozesl'-V'HH.",<br />
nicht kontinuierlich auf die Domane der Politik<br />
einwirken.<br />
Die Medienlandscha[t<br />
Nachdem der Horfunk liber mehrere Jahrzehnte seine Vormachtstellung als<br />
wichtigstes und verbreitetstes Massenmedium Brasiliens aufrechterhalten<br />
konnte, macht ihm das F ernsehen derzeit diese hegemoniale Stelle streitig.<br />
Inzwischen erreicht das Fernsehen - je nach Region - bis zu 92% der Brasilianer.<br />
Der Empfang und die die beim Femsehen verbracht<br />
stehen in umgekehrter Proportion zu dem Einkommensniveau: Je armer die<br />
Bevblkerungsgruppe ist, desto mehr und after wird ferngesehen (Miceli<br />
1989,23).<br />
1m Bereich der Printmedien ist dagegen eine positive Wechselbeziehung<br />
zwischen Einkommen und Verbreitung von Zeitungen bzw. Zeitschriften<br />
zu beobachten: Stuft man die brasilianische Bevblkerung in fiinf Einkommensklassen<br />
ein, so erreichen die Zeitungen 87% der obersten und nur<br />
16% der untersten Bevblkerungsschicht. Die Leserdichte (Anzahl der Zeitungsexemplare<br />
pro 1000 Einwohner) liegt bei 57 - ein im Vergleich mit<br />
Deutschland (350), den USA (268) aber auch Mexiko (120) oder Venezuela<br />
(186) bescheidener Koeffizient (Wilke 1992, 97ft).<br />
Besteht in der Zeitschriftenproduktion eine eindeutige Besitzkonzentration<br />
(ein einziger VerJag gibt neun der zehn auflagenstarksten Zeitschriften<br />
hemus - ebd., 104), so existieren auf dem Zeitungsmarkt mehrere wichtige<br />
Organe, die im Besitz verschiedener Unternehmensgruppen sind und unterschiedliche<br />
reprasentieren. Doch unter den uberregionalen<br />
Zeitungen laBt sich eine Tendenz zur Oligopolbildung erkennen: Den vier<br />
groBten Organ en gehOrt liber die Halfte des Vermbgens bzw. des Umsatzes<br />
der insgesamt etwa 300 brasilianischen Tageszeitungen (Silva 1986, 41;<br />
Michahelles/Leite 1994,566).<br />
Kein anderer Medienbereich weist aber eine soIche<br />
auf, wie<br />
sie im Bereich des Fernsehens herrscht. Vierll privatrechtlich organisierte<br />
11 Die Privatnetze haben eine Einschaltquote von insgesamt 98%. Die Entstehung neuer TV<br />
Fomlen - wie »community TV«, »Iocal relay stations« und »subscription TV« - tragt nieht<br />
graB dazu bei, die Machtballung im F emsehbereich abzubauen, denn die neuen Anstalten bie-
620 Sergio Costa<br />
Femsehnetze kontrollieren fast den gesamten Markt, dabei erreicht Rede<br />
Globo, das machtigste Medienuntemehmen Brasiliens und das viertgroBte<br />
der durchschnittliche Einschaltquoten von tiber 70%. Der EinfluB<br />
von Rede Globo auf die Meinungsbildung in Brasilien wird allgemein als<br />
»gewaltig« (Michahelles/Leite bezeichnet: Nach einer 1988 durchgefUhrten<br />
Umfrage halten 80% cler Brasilianer Rede Globo fUr die einfluBreichste<br />
brasilianische<br />
noch vor dem Staatsprasidenten, der<br />
Kirche und dem NationalkongreB (Wilke 1992, 125). Rede Globo ist sich<br />
seiner gesellschaftlichen Macht bewuBt und spielt eine entsprechend bedeutende<br />
Rolle. Wahrend des<br />
wahlt das Medienuntemehmen<br />
seine Kandidaten aus und favorisiert diese in ihrer Berichterstattung. Das<br />
augenfalligste und meistzitierte steHte die Unterstlitzung des Kandidaten<br />
Collor dar, der 1989 dank zahlreicher TV-Auftritte als »welltrained<br />
television perforrner« (Flynn 1993, 357; vgl. auch Lima 1993) in<br />
wenigen Monaten von einem unbedeutenden Provinzpolitiker zum Staatsprasidenten<br />
aufstieg.<br />
1m Vergleich zurn Femsehwesen herrscht im Horfunkbereich eine viel dezentralisiertere<br />
Besitzstruktur. Jedoch kann auch die Radiolandschaft nicht als ein<br />
freier Markt bezeichnet werden, da auch hier politische Praferenzen eine<br />
wichtige Rolle spielen. Die Konzessionen fUr den Betrieb von Radiosendem<br />
(sowie Femsehanstalten) werden von der Regierung meistens aufgrund<br />
politi scher Kriterien erteilt. Das inhaltliche und technische<br />
eines Lizenzantrages wird kaum berucksichtigt, maBgebend ist die politische<br />
Loyalitat zur Regierung, die die Antragsteller versprechen. 12<br />
3. Der Autbau der in Brasilien<br />
Nach der gerade erfolgten Schilderung scheinen in der von Medienriesen<br />
beherrschten brasilianische Offentlichkeit traditionell-populistische Formen<br />
der Loyalitatsbeschaffung mit medialen Manipulationsstrategien der<br />
politischen Massenpraferenzen zusammenspielen. Allerdings gibt es auch<br />
ten auch nur die Programme der graBten Netze an (AmarallGuimaraes 1994,37),<br />
121m Jahre 1987 war der damalige Prasident Samey Protagonist eines der skandalasesten<br />
MiBbrauche des Vorrechts def Exekutive, tiber die Konzession von Radio- bzw, Femsehsendem<br />
zu entscheiden. Durch eine generase Erteilung von Lizenzen gelang es ihm, eine<br />
positive Stellungnahme des Nationalkongresses fur die Verlangerung seiner Amtszeit ftir<br />
ein weiteres Jahr zu erhalten. Von den 91 Parlamentariern (16,3% der Parlamentsmitglieder!),<br />
die in der Regierung Sarney eine Betriebslizenz ftir eine Radio- bzw. TV -Anstalt<br />
erhielten, stimmten 82 der verlangerten Amtszeit zu (Motter 1994, 94ff). Die 1988 gebilligte<br />
Verfassung anderte zwar die bis dahin geJtenden Lizenznormen, jedoch nieht grundsatzlich,<br />
Dem neuen Verfassungstext zufolge miissen die neuen Konzessionen bzw, ihre<br />
Verliingerung vom NationalkongreB in Einklang mit einem aus Vertretem der »liviIgesellschaft«<br />
zusammengesetzten Kommunikationsrat erteilt werden. Diesem Rat wird aIlerdings<br />
lediglich eine Beratungsfunktion und keine BeschluBkompetenz zugewiesen<br />
(Herscovici 1995, 26).
Medien, Zivilgesellschaji und »Kiez«: politische 6.fJentlichkeit in Brasilien 621<br />
neuere<br />
schaft und im Rahmen der »kleinen '-'!!'-'!HHvlli'-"!<br />
emer<br />
im Medienbereich<br />
der Massenmedien in Rahder<br />
U'!!vll.l!!\.Hl'>.vH in Brasilien sind zwei Entt''',''"'V'"nrr<br />
eines neuen Journalismus: In den U'~V~'F>V' als<br />
Jtarreg;llllies in den Redaktionen der<br />
ihre eiseme<br />
Zensur« ubten und die L,"HUJ.lO'd!<br />
hterstlthmg zwangen, erlebte die »altemative Presse« ihre Bllitezeit. Es entstanden<br />
zahlreiche De Coojornal, Em<br />
Versus<br />
ihrer im Vergleich mit den etablierten<br />
kleinen von den Militars weniger kontrolliert wurden.<br />
In ihrer Mehrzahl erschienen sie wochentlich und wurden in den Kiosken,<br />
aber auch im Handverkauf vertrieben. Eine neue Redaktionsstruktur<br />
- zumeist selbstverwaltete Kollektive von Joumalisten - und vomehmlich<br />
ein neuer Stil kennzeichneten diese Organe. Sie brachten »eine andere<br />
und eine gewagte Thematisierung von Anklagen, l::mtmvstlt1"~lerung<br />
und neue politische Projekte« (Festa 1986, 17) ein.<br />
Ais Ende der siebziger Jahre die »demokratische Offnung« begann, konnte<br />
allerdings kaum eines dieser altemativen Organe uberleben. Sie starben<br />
allmahlich aus finanziellen und organisatorischen Grunden aus. Der Stil<br />
dieser Blatter uberlebte da er die joumalistische Kultur Brasiliens<br />
hatte. Nach del' Lockerung der Pressezensur wurde<br />
1978 nicht nur das Personal der altemativen Blatter in die etablierten Organe<br />
einige dieser Zeitungen versuchten den kritischen<br />
Joumalismus der »Altemativen« fortzusetzen.<br />
Die heute<br />
Brasiliens Folha de Sao Paulo verkorvon<br />
Joumalismus mit der i'i"""H.,,,.'.UHur<br />
nach mehr Demokratie und<br />
1m JJV.""~"""H<br />
ProzeJ3 unmittelbar in Einklang zu am deutlichsten. Durch ihr entschiedenes<br />
Engagement fur die Forderung nach der Direktwahl des StaatspnlSl(lenten<br />
1984 erwarb die das Vertrauen der liberalen und Iinken<br />
Intellektuellen und konnte in Jahren ihre<br />
Naeh der Erfolgsstory der Folha machten sich die anderen wichtigen<br />
Presseorgane auch auf die Sue he nach offensiveren Kommunikationsformen.<br />
Dabei wurde neben der Umgestaltung del' graphischen Profile ein<br />
j oumalistischer Stil gefOrdert, der nach dem V orbild des amerikanischen
622 Sergio Costa<br />
J oumalismus die eigenstandigen Recherchen fordert 1991,<br />
Damit wurde die Presse zu einem aktiven »Akteur«, der Korruptionsaffaren,<br />
heimliche Vereinbarungen und politische Machtmil3brauche aufdeckt<br />
und denunziert. Derzeit lassen sich dieses 10umalismus<br />
eindeutig auch in den wochentlichen Nachrichtenmagazinen und nicht<br />
zuletzt im TV-Joumalismus erkennen.<br />
2) Die Heterogenitat der iiber die Massenmedien vermittelten ideologischen<br />
Inhalte. Berucksichtigt man die monopolisierte Besitzstruktur der<br />
brasilianischen Massenmedien - besonders des Femsehsektors -, so konnte<br />
man eine unproblematische Durchsetzung der Machtanspruche der Medieninhaber<br />
vermuten. Vorausgesetzt wird dabei, daB die massenmedialen<br />
Botschaften eine geradlinige Resultante aus dem Konzept der Medieneigentumer<br />
und der Nachfrage ihres Zielpublikums sind. Doch die<br />
der Kulturindustrie ist auch, so die These von Miceli (1989, 27ft), durch<br />
die Polarisierung in der »Verteilung des schulischen und kulturellen Kapitals«<br />
gepragt, die die hierachisierte brasilianische Gesellschaft kennzeichnet.<br />
Eine uberqualifizierte Elite von Intellektuellen (Publizisten, Politologen,<br />
Soziologen, Schriftsteller, Kunstler, etc.), die in ihrem spezifischen<br />
Berufszweig keine Beschaftigung finden, fungiert als Kulturproduzent in<br />
einem hochtechnisierten und professionalisierten Mediensektor. 1m Gegensatz<br />
zu dieser intellektuellen Gruppe, die das Massenkulturangebot gestaltet,<br />
stehen die Konsumenten der Kulturindustrie, insbesondere der TV<br />
Sendungen, die uberwiegend eine geringe Schulbildung besitzen.<br />
Diese Kulturproduzenten weisen ein linksorientiertes weltanschauliches<br />
Profil auf, das fur die Intellektuellen und Kunstler in Brasilien typisch ist.<br />
Nach Miceli sind progressive, sozial engagierte und kosmopolitische Ansprilche<br />
konstitutive Elemente ihres Weltbildes, was sich notwendigerweise<br />
im Werk dieser Kulturproduzenten reflektiert. Die relative Autonomie<br />
dieser Intellektuellen in den jeweiligen Medien, also die Freiheit der Kulturproduzenten,<br />
das massenmediale Angebot mit ihrer Weltanschauung zu<br />
farben, wird folgendermaBen erklart:<br />
»[Sie] beherrschen die technischen Sprachen der elektronischen und der Printmedien, die erfolgreichsten<br />
Botschaften und Kulturgiiter, wie beispielsweise die soap operas und Femsehserien,<br />
und die inhaltlichen und graphischen Umgestaltungskonzepte der wichtigsten Zeitungen<br />
und Zeitschriften. In ihren Arbeiten lassen sich diese Professionellen von einer Diagnose der<br />
brasilianischen Gesellschaft leiten, die sich auf eine Fulle von Akteuren und sozialen Erfahrungen<br />
bezieht« (ebd., 31 ).13<br />
13 Die Selbsteinschatzung der brasilianischen loumalisten stimmt weitgehend mit der Darstellung<br />
Micelis uberein. Einer jiingeren - und im brasilianischen Kontext innovativen -<br />
Untersuchung zufolge behauptet nur ein im Vergleich mit ihren amerikanischen Berufskollegen<br />
kleiner Anteil der brasilianischen Journalisten, daB ihre Arbeit von den Vorgesetzten<br />
kontrolliert wird (Cardoso 1995, 133). Ferner schreiben sie sich selbst den Lesem
Medien, Zivilgesellschaji und »KieZ(
624 Costa<br />
etablierten Formen der<br />
dieser<br />
t>ewegUllgE:n fUr<br />
die Transformation der iJVUU.,,,LL,,U Konstellationo An dieser Stelle soH nun<br />
lediglich versucht werden, die<br />
Akteure<br />
beim Aufbau einer nryrr-opre'n<br />
verdeutlicheno Die l'VJllU;'''LJL''H KPlTT'lUP<br />
1) Erzeugung von GegenojJentlichkeit: 16 Noeh wahrend der Militarherrsehaft<br />
gab es Organisationen, die sieh darauf spezialisiert systematisch<br />
Informationen zu einem<br />
auszuwerten und die der offiziellen<br />
der gesellschaftlichen Realitat Die katholische<br />
Kirehe leistete verschiedenen Initiativen dieser Art Beistando Der<br />
katholisehe Klerus und andere Institutionen waren beispielsweise die Initiatoren<br />
des bekannten Buchprojektes »Tortura Nunca Mais« (Nie wieder<br />
Folter), das zu einer Bastion des Widerstandes gegen die Verletzung def<br />
Menschenrechte und def Aufdeckung der von den Militars verlibten Verbrechen<br />
wurde 1987)0 Ebenfalls innerhalb der Kirehe bildeten sieh<br />
Arbeitsgruppen heraus, wie das 1972 gegriindete Indianerkomitee (CIMI)<br />
und die 1975 gegrlindete Kommission fur Landprobleme (CPT), die durch<br />
ihren Kontakt mit den Indianem bzwo mit Gebieten, in denen unklare<br />
Landbesitzverhaltnisse vorherrschen, Informationen uber verdeckte Konflikte<br />
(IndianeriGoldsucher, Landbesetzer/GroBgrundbesitzer etco) in die<br />
Offentlichkeit bringeno Weder die Presse noeh die BehOrden hatten de<br />
facto bis zu def Entstehung dieser Gruppen ihre Aufmerksamkeit auf diese<br />
Regionen und die dort herrschenden Konfliktfelder gerichtet Cava<br />
1989, 151ff; SchUrger, 1994, 244ff}<br />
Ebenfalls durch die der katholisehen Kirehe entstand 1981<br />
das IBASE (brasilianisches Institut fUr soziale und wirtschaftliche<br />
sen), ein das statistische Daten und soziale Informationen zu bestimmten<br />
Sachfragen zusammenstellt<br />
1995, 10)0 Verschiedene<br />
soziale Bewegungen berufen sich auf diese urn ihre Forderungen<br />
und Argumentationsstrategien zu fonnuliereno<br />
Abseits def Kirche stellen DIEESE (Abteilung fUr soziale und wirtschaftliche<br />
Studien und Statistiken) und DIAP (Abteilung fUr<br />
Beratung) Beispiele von Initiativen dar, die seit ihrem Entstehen eine<br />
wachsende Offentliche Bedeutung gewonnen habeno Beide Initiativen wurden<br />
von einem Pool von Gewerkschaften auf die Beine DIEESE<br />
wertet Wirtschaftsstatistiken aus, die die Gewerkschaften ihren Lohnver-<br />
16 Der Begriff GegenOffentlichkeit (bzwo Gegendiagnose) wird hier wie bei Rueht (1988,<br />
291) im Sinne »einer tiber Einzelfragen hinausgehenden Opposition zu 'etablierten' Fachpositionen<br />
und Offentlichkeitsstrukturen« verwendet
Medien, Zivilgesellschaji und ))Kiez«: politische OjJentlichkeit in Brasilien 625<br />
----~~~--~------~----~~--------------------<br />
legen, DIAP kontrolliert die<br />
Betatigung<br />
def Abgeordneten und unterstiitzt Gewerkschaften und soziale Bewegungen<br />
bei ihrem Umgang mit V'-U"W~"''"'HULW'.''''U<br />
Neben diesen landesweiten Organisationen gibt es noch eine Vielzahl kleinerer<br />
die auf der lokalen Ebene<br />
Relevanz besitzen. Das Verdienst all dieser<br />
besteht<br />
Informationen zu die sonst UP'-""'o""o,.,<br />
Informationen dienen auch der etablierten<br />
der GegenOffentlichkeit beruft, urn offizielle Informationen und '-''''",HU''',''<br />
zu uberpriifen. Dadurch erwerben diese Institutionen ein zunehmendes soziales<br />
Gewicht und wachsenden<br />
EinfluI3. Mit ihnen treten<br />
aber auch deren Offentliche Vertreter ins Licht der<br />
Sie werden<br />
zu prominenten Personlichkeiten, auf die das Ansehen und die Reputation<br />
der Organisation ubertragen werden. Ihnen gelingt es neue Themen<br />
in die Offentliche Debatte<br />
da ihre AUJ3erungen<br />
unmittelbar von der Presse aufgenommen als wtirden sie per se einen<br />
»Nachrichtenwert« besitzen.<br />
2) Die Erweiterung der ofJentlich diskutierten Problembereiche: Die Herausbildung<br />
von kollektiven Akteuren entspricht normalerweise einer thematischen<br />
Erweiterung des Offentlichen Diskurses, da die neuen Akteure<br />
die Offentliche Aufmerksamkeit auf neue Problemlagen lenken bzw. neue<br />
Ansichten iiber gesellschaftlich bereits erfaJ3te Probleme hervorbringen. In<br />
der jiingsten brasilianischen Geschichte loste die Entstehung Bewegungen<br />
eine breite Offentliche Diskussion uber Fragen aus, die noch<br />
nicht als gesamtgesellschaftlich relevant wahrgenommen worden waren.<br />
Die Offentliche Behandlung dieser Themen fiihrte nicht selten zu<br />
schen bzw. staatlichen Interventionen im betreffenden Bereich.<br />
Die Anliegen der Frauenbewegung sind<br />
Bewegungen neue Themenschwerpunkte in die<br />
konnen. Fragen, wie Gewalt gegen Kindertagesstatten, LHL}naU,snisverhutung<br />
und Sexualitat galten nach var zwanzig Jahren als<br />
und damit als Offentliche Tabuthemen. def Jahre<br />
gen wurden diese Probleme bereits in die<br />
zahlreicher<br />
Parteien und Kandidaten mit Nachdruck aufgenommen und erhielten dadurch<br />
Offentliche Bedeutung. Diese schnelle politische Wende so Alvarez<br />
(1989), neb en der zunehmenden<br />
Fragen auf intemationaler Ebene dem Offentlichen Druck der brasilianischen<br />
Frauenbewegung zu verdanken.<br />
Die Schwarzenbewegung, die ebenfalls in den siebziger Jahren wiederauflebte,<br />
zeigt, daB die Entstehung neuer sozialer Akteure die Aufnahme neuartiger<br />
Problemlagen in die Offentliche Thematisierung befordem kann.
626 Sergio Costa<br />
Dies geht unmiBverstandlich aus der Untersuchung von Andrews (1993)<br />
hervor. In Anbetracht der jungsten Geschichte def brasilianischen Schwarzenbewegung<br />
zeigt der Autor wie diese »forced the issues of racial discrimination<br />
and inequality on to the national political agenda and provoked<br />
a society-wide debate on how to deal with them« 170,<br />
Herv. S.c.).<br />
Als drittes Beispiel laBt sich die Oko!ogiebewegung nennen, die auch Anfang<br />
der siebziger Jahren entstand. Sie konnte im Hinblick auf die Sensibilisierung<br />
der Offentlichkeit fur ihre Botschaften einige Erfolge verbuchen.<br />
Der in puncto Umweltschutz fortschrittliche Charakter der 1988 entstandenen<br />
Verfassung ist zu einem groBen Teil der Okologiebewegung zu verdanken<br />
(ViolalNickel1994).<br />
Die landesweit organisierte Landlosenbewegung versucht ebenfalls, durch<br />
spektakulare Aktionen (Landbesetzungen, StraBensperren usw.) die Gesellschaft<br />
von der Wichtigkeit ihres Protests bzw. der Richtigkeit ihrer Forderungen<br />
zu uberzeugen und damber hinaus Druck auf die Entscheidungstrager<br />
auszuuben (Navarro 1994).<br />
3) Forderung der in der Lebenswelt verankerten Kommunikationsmoglichkeiten:<br />
Wahrscheinlich wiirden nur noch sehr wenige Sozialwissenschaftler<br />
die These vertreten, nach der die sozialen Bewegungen Keimzellen sind, in<br />
denen horizontale Beziehungsmuster herrschen und postmaterialistische<br />
Lebensforrnen kultiviert werden. Dieser noch Anfang der achtziger Jahre<br />
in Lateinamerika sehr verbreiteten Ansicht zufolge wurden sich die in den<br />
Bewegungsmilieus geforderten Werte und Umgangsfonnen allmahlich auf<br />
die gesamtgesellschaftlichen Beziehungen iibertragen und somit die Fundamente<br />
der herrschenden autoritaren politischen Kultur untergraben<br />
(Evers 1984). Mehrere Untersuchungen haben indessen gezeigt, daB die in<br />
Lateinamerika aufgetretenen sozialen Bewegungen aufgrund ihrer zyklischen<br />
Dynamik Jediglich in wenig en Phasen ihrer Geschichte - wenn uberhaupt<br />
- alternative Organisationsmuster aufweisen. 1m iibrigen Zeitraum<br />
reproduzieren sie jene biirokratischen und hierarehisierten Umgangs- und<br />
Organisationsformen, die in der Gesellschaft iiberwiegen (Bosehi 1987,<br />
60). AuBerdem - so wird herausgestellt - umfassen diese Bewegungen einen<br />
so geringen Anteil an der Bev61kerung, daB es auBerst unrealistiseh<br />
ware, mit der Verallgemeinerung del' bei ihnen angeblich kultivierten Sitten<br />
und Werte zu rechnen (Vigevani 1989, <strong>105</strong>).<br />
Hier soil nieht versueht werden, die erstgenannte enthusiastisehe These zu<br />
rehabilitieren. Es soli lediglich darauf aufmerksam gemacht daB<br />
Transformationen in der »kommunikativen Infrastruktur der Lebenswelt«<br />
mit dem Aufkommen neuer Vereinigungen (soziale Bewegungen, Biirgerinitiativen,<br />
christliehe Basisgemeinden, Mutterclubs etc.) zusammenhan-
Medlen, Zivilgesellschaji und »Kiez(c politische OjJentlichkeit in Brasilien 627<br />
gen. Anhand "on kollektiven Aktionen entstehen neue Treffpunkte und<br />
alternative Interaktionsraume, in denen sieh die Teilnehmer uber im Alltag<br />
auftretende Problerne austausehen konnen. Somit werden die Kommunikationsmogliehkeiten<br />
gefOrdert, die sieh inhaltlieh und raumlieh auf die Lebenswelt<br />
beziehen.<br />
Jeder zivilgesellsehaftliehe Akteur fOrdert also lebensweltliehe Kommunikationsformen.<br />
Diese Eigensehaft entsprieht der oben erwahnten defensiven<br />
Dimension dieser Akteure und driickt ihre Hihigkeit aus, als erster Resonanzboden<br />
fur die in ihrem Lebensbereieh wahrgenommenen gesellsehaftliehen<br />
Probleme zu fungieren.<br />
Aufrechterhaltung und Erweiterung der »kleinen« OjJentlichkeiten<br />
Gerhards und Neidhart (1990, 20ft) besehreiben im AnschluB an Goffman<br />
und Luhmann die »einfachen Interaktionssysteme«, die derjenigen Offentlichkeitsebene<br />
mit dem geringsten strukturellen Verfestigungsgrad entsprechen.<br />
Dabei handelt es sich um zufallige Zusammentreffen von Menschen,<br />
die miteinander kommunizieren: im Lebensmittelgeschaft, ImbiB<br />
etc. Die Autoren behaupten, daB diesen Interaktionen aufgrund ihrer Voraussetzungslosigkeit<br />
eine »hohe Offenheit und Umweltsensibilitat« innewohnen.<br />
Dennoch schreiben die Verfasser diesen nicht organisierten (oder<br />
kleinen) Offentlichkeiten eine untergeordnete politische Rolle zu, denn die<br />
unsystematische Themensammlung und die Diskontinuitat der Themenfuhrung,<br />
die dabei vorherrschen, begunstigen die Generierung von Meinungen<br />
auf dieser Ebene nicht.<br />
1m brasilianischen Kontext scheint es allerdings, daB diesen kleinen Offentlichkeiten<br />
eine relevante politische Bedeutung zukommt. Dies geht aus<br />
mehreren Untersuchungen hervor. Dabei handelt es sich vornehmlich urn<br />
Fallstudien, die aus einer urbananthropologischen Perpektive Sozialisationsprozesse<br />
und Organisationsmuster der stadtischen Bevolkerung - VOfnehmlich<br />
der in Randbezirken lebenden Bevolkerungsgruppen - darstellen<br />
(vgl. u.a. Caldeira 1984; Magnani 1984; Sader 1988; Zaluar 1985).<br />
In seiner Studie uber Freizeitgestaltung in der Peripherie Sao Paulos geht<br />
Magnani (1984) auf die geographisch ausgegrenzten Sozialraume ein, die<br />
sich im Rahmen der Wohnorte herausbilden und stellt fest, daB dabei nicht<br />
bloB zufallige und unstetige Interaktionen stattfinden, sondem Beziehungen,<br />
die sieh in ein komplexes Sozialgefuge einordnen lassen. Diese Sozialraume,<br />
die Magnani »peda
628 Sergio Costa<br />
Der wird raumlich von bestimmten definiert:<br />
»die Offentliche Telefonzelle, die einige Kneipen und Geschafte,<br />
die 'Buzio-Stelle',l7 der Umbanda-Hof und die Kirche, der FuBballplatz<br />
und vielleicht ein Tanzsalon«<br />
137). An diesen Orten werden<br />
Informationen und HH"WAU~;VH au:sg
Medien, Zivilgesellschaji und »Kiez«. politische Offentlichkeit in Brasilien 629<br />
funktionalistische ",.. VH"-',U<br />
der Massenmedien neben der<br />
W"","Ul\.·\\ die<br />
daB sich die brasilianische<br />
fentlichkeit irnmer mehr als ein intennediares System konsolidiert, das<br />
Themen und<br />
verarbeitet und an die Burger und an<br />
das System weitervermittelt Aus der diskurstheoretischen Per-<br />
Qn"',T1IVP heraus scheint die sich im Aufbau befindende brasilianische<br />
fentlichkeit zunehmend befahigt, dem ihr in jenem<br />
nen demokratischen gerecht zu werden. Dieser Uiuft darauf hinaus,<br />
daB die<br />
uber die Manipulationsversuche hinweg als Resonanzboden<br />
uber den die an der Lebenswelt kondensielien<br />
Kornmunikationsstrome in die demokratisch verfaBten JUI;;,""'.HUJJ"l"llU"H<br />
""'·rr·d·'l-A~'''n Entscheidungen zu beeinflussen.<br />
Hier werden die<br />
kritischer Massenmedien, die Ausdehnung<br />
der Zivilgesellschaft und die<br />
kleiner '-"''''''''''_,,<br />
keiten als Begrundung fur die These herangezogen, daB die in den eigenen<br />
Lebensbereichen wahrgenornmenen Probleme de facto in die Offentlichkeit<br />
getragen werden (konnen).<br />
Diese Transformationsprozesse def brasilianischen Offentlichkeit fuhren<br />
gewiB nicht unmittelbar zu der Aufhebung klientelistischer Netzwerke und<br />
ihrer verborgenen EinfluBnahme auf die PoUtik. Doch schrittweise verandem<br />
sich die Mechanismen der Legitimationsgewinnung: Die Legitimation<br />
politischer Herrschaft basiert irnmer weniger auf der traditionellen Verteilung<br />
der Regierungsposten unter den Eliten bzw. der klientelistischen Distribution<br />
Offentlicher Gutter zugunsten armer Bevolkerungsgruppen, sie<br />
stellt zunehmend ein Bemuhen urn publizistische Uberzeugung und<br />
gesellschaftliche<br />
dar.<br />
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Pobreza, Sao Paulo.
Forum theoreli5ch orientierler und Diskussion zu der Dritten Welt<br />
PERI PH ERIE versteht sich als Forum der Diskussion uber<br />
die<br />
zwischen den Industrielandern und der "Dritten Welt« sowie Ober<br />
die Solidaritat mit<br />
Unser Interesse richtet sich<br />
insbesondere auf:<br />
rnh,,,,.
Universitat ,-",.,,,,,,,, ... , Fakultat fur<br />
Social<br />
Internationale<br />
and Social Servi.ce Work<br />
13.-15. Marz in Bielefeld<br />
Vor dem gesellschaftlicher mit ihren<br />
Tendenzen der Segregation und Individualisierung hat die Frage nach "Social<br />
sowie sozialen Burgerrechten in den Diskussionen uber die Perwohlfahrtsstaatlicher<br />
Politik auf intemationaler Ebene wachsende<br />
Beachtung<br />
Die damit implizierte Verlagerung des theoretischen<br />
Schwerpunktes von "Arbeit" auf hat erhebliche fur die<br />
Soziale Arbeit, die einer grundlegenden Analyse bedurfen.<br />
Nicht nur im Hinblick auf eine kritische Uberprufung theoretischer Konzeptionen<br />
sozialer Arbeit, sondem auch fur die Entwicklung und Neuorientierung der<br />
Theorie sozialer Dienstleistungsarbeit wird davon ausgegangen, daB die Diskussion<br />
uber Social Citizenship und soziale Biirgerrechte eine produktive Herausforderung<br />
darstellt.<br />
Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Fachtagung<br />
"Social Citizenship and Social Service Work" ist die erste ihrer Art in Europa.<br />
Ihr Ziel ist es, die intemationale Diskussion mit ihren verschiedenen analytischen<br />
Zugangen und theoretischen Ansatzen fur eine Theorie sozialer Dienstleistungen<br />
fruchtbar zu machen. Dazu sollen die verschiedenen Aspekte des<br />
Verhiiltnisses von "Social Citizenship" und Sozialer Arbeit auf systematischer,<br />
organisationeller, professioneller sowie politischer Ebene identifiziert und diskutiert<br />
werden.<br />
Fuhrende Vertreter verschiedener aus den<br />
Staaten, Grof3britannien und der Bundesrepublik werden zum Thema referiereno<br />
Die Tagung wird in englischer Sprache dUJrchgeJ:u<br />
Nahere Informationen:<br />
Prof. Dr.Dr. h.c. Hans-Uwe Otto/Dr. Andreas Schaarschuch<br />
Universitat Bielefeld, Fakultat fur Padagogik, AG 8, Postfach 100131,<br />
33501 Bielefeld, Tel. 0521-106-4375, Fax. 0521-106-6028,<br />
E-mail: andreas.scharschuch@post.uni-bielefeld.de
634<br />
Zu den Autodnnen<br />
Sergio Costa ist Soziologe und arbeitet an del' UFSC Mestrado em Sociologia, c.P. 476,<br />
88040-900 Florianopolis, SC, Brasilien.<br />
Michelle Everson ist luristin am Department of Law, European University Institute, Florenz.<br />
Eric Hershberg ist Soziologe und arbeitet am Social Science Research Council, 810 7th Ave,<br />
New York, NY 10019 USA.<br />
Jane Jenson ist Politikwissenschaftlerin am Departement de Science Politi que, Universite de<br />
Montreal CP 6128, suce. centre-ville Montreal, Canada H3C 317.<br />
Susan D. Phillips ist Politikwissenschaftlerin an del' School of Public Administration, Carleton<br />
University, 1225 Colonel By Drive, Ottawa, Canada Kl S 5B6.<br />
Ulrich K. Preuj3 ist Jurist und lehrt am Faehbereich Politische Wissenschaft der FU Berlin,<br />
lhnestr. 2 J, J 4 I 95 Berlin.<br />
Klaus-Dieter Tangermann is! Politikwissenschaftler und lebt in Jenaerstr. 11, 10717 Berlin.<br />
Antje Wiener ist Politikwissensehaftlerin am Sussex European Institute, University of Sussex,<br />
A 62, Falmer, Brighton BNl 9QN, UK.
4<br />
Antje Wiener: Citizenship without State. This paper addresses the conceptual challenge to<br />
citizenship in the aftermath of Maastricht and discusses citizenship in a non-state. It argues<br />
that Union citizenship will not only lead to debates over the application of the citizenship<br />
provisions in the EU Member States, but it will also remain a subject of continuous political<br />
tension over rights to participation. The paper advances a socially constructive perspective on<br />
citizenship as a contextualised practice which entails the construction of rights, access and<br />
belonging as the historical elements of citizenship.<br />
Jalle Jellsoll, Susall Phillips: Redesignillg the Citizenship Regime. The article presents a<br />
conceptualisation of 'citizenship regime' created out of a neo-institutionalist approach to<br />
political economy and then uses the concept to examine changes in the Canadian citizenship<br />
regime over time. The basic proposition is that if the postwar years were marked by regimelike<br />
discursive and practical coherence in a wide range of institutional connections between<br />
state and citizens, states' and citizens' responses to the economic and political conditions of the<br />
late 20th century are dismantling and reconstituting citizenship, so that the postwar regime<br />
exists no more.<br />
Ulrich K. Preufi, Michelle Everson: Concepts of Citizenship in Europe. The paper poses<br />
the concept of Union citizenship as problematic and discusses possible conceptual changes to<br />
the concept of citizenship. Its goal is to clarify the historical, sociological, cultural, legal and<br />
political contexts which provide the frameworks for particular meanings of citizenship in<br />
selected Member States of the EU. To that end it starts from the hypothesis that the term<br />
'citizenship' CBiirgerschaft', 'citoyennete', ' cittadinanza') has a broader meaning than the<br />
strictly legal term 'nationality'. It largely follows an approach which focuses on the social<br />
character of (political) language.<br />
Klaus-Dieter Tangermann: Politics in Democracies without a democratic sovereign. In<br />
the last years the consolidation of the central American democracies did not succeed because<br />
the usual symbolic forms of political behaviour in consolidated democracies did not<br />
correspond to the traditional participatory modes of political articulations in Central America.<br />
Without the institutional recognition of these forms of participation representation of the<br />
interests of the poor majorities remain excluded from the sphere of political decision.<br />
Eric Hershberg: Democratic Transition and Social Democracy in Spain. The author<br />
argues that the Spanish transition from authoritarianism to liberal democracy as well as the so<br />
called social democratic approach to modernization have been stylized into ideal types in the<br />
Weberian sense of the term. The Spanish model has garnered widespread attention. Its<br />
influence transcends the academic sphere, as Spain has provided political elites across the<br />
world with a model of regime change, especially in Latin America and Eastern Europe, where<br />
observers are intrigued both by the facility with which transition took place and by Spain's<br />
reencounter with the prosperous zones of Western Europe. These idealizations are confronted<br />
with the real costs of Spains transition and the democratic deficits of the Spanish Socialists<br />
management of crisis.<br />
Sergio Costa: Media, civil society and neighbourhood in Brazil. Although clientele<br />
oriented loyalities dominate the mass medias, there is a process of transformation in the<br />
structures of brazilian public. Neighbourhood-based »small public« has an important function<br />
in this process. Media are of increasing importance for the gaining of political legitimacy.
Karl Marx Gesellschaft e.V.<br />
Ein1adung zum wissenschaftlichen<br />
Kritik uod lie~gelll§tanl[1S~(olllsntutiOn<br />
14.-16.3.1997 in Oer-Erkenschwick<br />
1m Zentrum des Colloquiums steht die Frage, in welchem Verhaltnis die von<br />
Marx beanspruchte »Kritik« der Kategorien der klassischen politischen Okonomie<br />
zu seiner eigenen Darstellung kapitalistischer Produktionsverhaltnisse<br />
steht.<br />
Anmeldung bei: Diethard Behrens, Wielandstr. 39,60318 Frankfurt/M.<br />
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<strong>Prokla</strong> 104 * Universitat 1996) Bultmann Standortgerechte Dienstleistungshochschule *<br />
Pasternack Osthochschulen * Politische Orientierung von Studierenden * Oberndaifer Studentische<br />
Politik oder politische Studentinnen * Thiirmer-Rohr Nonnale und nicht-nonnale Diskurse *<br />
Krippendorfldee der Universitat * Spear Entdemokratisierung der hOheren Bildung in den USA * Fischer<br />
Think Tanks und Politikberatung in den USA<br />
PROKLA 103 * Vom Gelde (Jl.mi 1996) Guttmann Transfonnation des Finanzkapitals * Heine/Herr<br />
Money makes the World Go Round * Rojas Elektronisches Geld im globalen Datennetz * Altvater<br />
Globale Finanzinnovationen, privates Computergeld und sozialisierte Schulden * Werner Geldwasche<br />
* Narr/Roth Demokratie und Sozialismus (Teil 2)<br />
PROKLA 102 * :lUI' politiscilen Okonomie des Wassel's (Mar;;: 1996) Albrecht Krieg urn Wasser? *<br />
Biennann Mensch und Meer * Guy/Marvin Privatisierung der Wasserversorgung in England * Dombrowsky/GottschalkiMazouz<br />
Wasserverteilungskonflikte im lordanbecken * Ziebura Globalisierter<br />
Kapitalismus: chancenJose Linke? * Hopf Ethnozentrismus und Okozentrismus * Bode Der franzosische<br />
Herbst und die Krise der Linken<br />
PROKLA 101 * Kapitalistisclie Kllltliren (Dez.1995) Eisenstadt Japan und die VieIfalt kultureller<br />
Programme der Moderne * Lee Singapur: ein »konfuzianischer Kapitalismus«? * Hopfmann Transformation<br />
und Weltmarktintegration Osteuropas * Radice GroBbritannien: Niedergang der Nation, Erfolg<br />
des Kapitalismus? * Kassler Tradition und Reproduktion * Hornbostel/Hausmann Neue Volkspolizisten<br />
oder Schandi zum Anfassen? * Garg Replik auf Scherrer (in Nr. 100) * Autorenregister Nr. 1-100<br />
PROKLA 100 * Ortsoestimmung (Sept.1995) Lorek 25 Jahre PROKLA * Zeuner »Probleme des<br />
Klassenkampfs« im Betrieb * O'Connor Kapital, Arbeit und Biirokratie im Zeitalter des Nationalismus<br />
* lngrao/Rossanda Die neuen Widerspriiche * Nan-/Roth Demokratie und Sozialismus * Scherrer Diskursanalytische<br />
Kritik der Regulationstheorie " Miiller-Plantenberg Vom Soziologen zum Staatsprasidenten:<br />
F.H.Cardoso<br />
PROKLA 99 * Verteihmgsfragen (Juni 1995) Vesper Steuem, Staatsausgaben, Umverteilung "<br />
Schamann Alters- u. geschlechtsspezifische Verteilung der Arbeitseinkommen * GanjJmann/McArthur<br />
Arbeitslosigkeit und Einkommensverteilung * Wahl Geschlecht und Arbeitsmarkt " Barrry 1st soziale<br />
Gerechtigkeit eine Illusion? * Gordon Die Mainstream-Okonomie und die Wirtschaftspolitik * Schmidt<br />
Von der Standortkonkurrenz zur intemationalen Regulation? * Boris Das Scheitern neoliberaler Politik<br />
in Mexiko (1982-1994)<br />
PROKLA 98 * Italienische Verhaltnisse (Miirz 1995) Ginsborg Die italienische Krise * Piantini<br />
Forza Italia und PDS * D'Amato/Schieder Lega Nord * Violante Mafia * Cazzola Von der ersten zur<br />
zweiten Republik * Rieser Italienische Gewerkschaften * Sales Norden und Sliden * Kammerer Pasolini<br />
und die italienische Krise * Przeworski Transfonnation in Osteuropa<br />
PROKLA 97 * Netzwerke zwischen Staat und Markt (Dez. 1994) Altvater Operationsfeld Weltmarkt<br />
* Lechner Marktgesellschaft und die Veranderung von Politikll1ustern * Messner Fallstricke und<br />
Grenzen der Netzwerksteuerung * Zaschke lnternationale Sozialpolitik als Netzwerkpolitik? * Walk;<br />
Brunnengraber Nicht-Regierungsorganisationen und Netzwerke * Lang Geschlechterforschung, Postmoderne<br />
und die Wissenschaft von der Politik<br />
PROKLA 96 * Fllmlamentalismus um! neue Religiositiit<br />
Identitat * Niethammer Konjunkturen und Konkurrenzen<br />
1994) Schmidt Die Sehnsucht nach<br />
Identitat * Thiessen Kapitalismus<br />
als Religion * Elkins Rent-Seeking. Die politische Theorie des neoklassischen Fundamentalismus *<br />
Patterson Der neue Puritanismus * Lukes Fiinf Fabeln tiber Menschenrechte * Avineri Die Riickkehr<br />
zum Islam * LohaufJ Fundamentalismus und modeme Identitat * Wellhaner Wirtschaftliche Sachzwange<br />
der Weimarer Republik
PROKLA 95 * Intemationale Institutionen 50 Jahre naen Bretton Woods (Juni 1994) Altvater<br />
Die Ordnung rationaler Weltbeherrschung * Bntclaneier Nichtstaatliche Umweltorganisationen " Albrecht<br />
Weltordnung und Vereinte Nationen * Hugler Sicherheitsstrukturen nach dem Ende des Ost<br />
WestKonfliktes * Aguirre Die Politik der Militarintervention * Gabellrak, Somalia, JugosJawien *<br />
Scherrer Kritik am neorealistischen Paradigma intemationaler Beziehungen * Narr Zur Rechtstheorie<br />
von Habermas und Luhmann (Teilll)<br />
PROKLA 94 * Politik in Deutschland (Miirz 1994) Hubner Zur politischen Okonomie des doppelten<br />
Deutschland * Fischer Zuwanderung und Sozialstaat * Young Asynchronitaten der deutsch-deutschen<br />
Frauenbewegung * Berlit (K)eine Verfassung fur Deutschland? * Narr lur Rechtstheorie von Habermas<br />
und Luhmann (TeiJ I) * Hahn Allgemeine G1eichgewichtstheorie und die Transformation zentral<br />
geplanter Wil1schaften * Stark Rekombiniertes Eigentum im osteuropaischen Kapitalismus * Schabakker<br />
Zur Aktualitiit Sraffas<br />
PROKLA 93 * Frauen ill del" Okollomie (Dezember 1993) Elson Feministische Entwicklungsokonomie<br />
* Maier Geschlechtsspezifische Konstruktion der Wirtschaftswissenschaft * Hickel Joan Robinson<br />
* Schmidt Mechanisierung und Geschlechterverhaltnis * Schwarzkopf Soziale Konstruktion der<br />
Qualifikation * Pfau-Effinger Geschlechteremanzipation und Arbeitsmarktintegration * Wehling<br />
Postindustrialismus als okologische Utopie?<br />
PROKLA 92 * Die Linke in Europa (September 1993) Denitch Lemen aus Jugoslawiens Tod * Lipietz<br />
Politische Okologie und Arbeiterbewegung * Rossanda!Natoli Was ist los in Italien? * M. Mayer<br />
Die deutsche Neue Linke im Spiegel der USA * Amin AuBenansicht der europiiischen Linken * Schunter-Kleemann<br />
Geschlechterdifferenz in der Debatte zm europiiischen Union? * Rattger EG-metropolitane<br />
Integration * Demirovic Intellektuelle und kritische Gesellschaftstheorie heute.<br />
PROKLA 91 * »Neues Delltschland« (JUDi 1993) Ganfimann Einigung als Angleichung? * Berger<br />
Sozialstruktmelle Umbruchsdynamiken * Herz Politische Kultur im neuen Staat * Muller Oer Mythos<br />
vom faulen Ossi * Schlegelmilch Deutsche Lebensalter * Kadritzke Ein neuer Expertentyp? * Bonder!<br />
Rattger!Ziebura Vereinheitlichung und Fraktionierung in der Weltgesellschaft<br />
PROKLA 90 * Regionalisierung des Weltmarkts (Miirz 1993) Holloway Globales Kapital und nationaler<br />
Staat * Picciolo Krise des intemationalen Staats * Jiihner Migration - Asyl - Auslanderfeindlichkeit<br />
* Knieper Staat und Nationalstaat * Smith Neoliberalismus in Slidamerika * Dieter Asiatischpazifischer<br />
Wirtschaftsraum * Dussel Peters Jr. lur NAFT A<br />
PROKLA 89 * Osteufopiiische Metamorphosen (DezemiJer 1992) Burawoy!Krotow Ubergang vom<br />
Sozialismus zum Kapitalismus in der fruheren Sowjetunion * Hubner Okonomische Theorie und ostemopiiische<br />
Transformation * Wittkowky Altemativen zu Schocktherapie und Verschuldung * Tittenbrun<br />
Der polnische Weg zum Kapitalismus * Ganfimann Oer nationale Sozialstaat und die deutschdeutsche<br />
Solidaritat * Bergmann Modemes Menschenopfer * Hermann Oer Fotus von Erlangen.<br />
PROKLA 88 * Chaos und Selbstorganisatioll (SeptemiJer 1992) Miiller: »Katastrophen«, »Chaos«<br />
und »Selbstorganisation« * Rojas Chaos als naturwissenschaftliches Paradigma * Mirowski Die Bedeutung<br />
eines Dollars * Gill Metaphem der Gentechnologie * Becker!Jahn!Wehling Konzepttransfer und<br />
Wissenschaftsdynamik * LohaufJ Toulmins »Kosmopolis« * O'Connor Die Okonomie der 90er Jahre *<br />
Keil Replik auf O'Connor * Ibrahim Islamistischer Fundamentalismus.<br />
PROKLA 87 * Nationalismlls am Elide des 20. Jahrhunderts (Jllili 1992): Kadritzke Wiederkehr<br />
des Nationalismus * Lodovico Konstruktion des Nationalen * Janigro Scheitem des »Jugoslawismus«<br />
* Stalting Angst, Agression und nationale Denkform * Gellner Nationalismus in Osteuropa * Magas<br />
Erwiderung auf Gellner * Haferkamp Giddens Theorie des Nationalstaats * MoujJe/Walzer<br />
»Communitarians« * Narr Communitarians: lahnlose Kritik * Ottow »Freundschaft« in der burgerlichen<br />
Gesellschaft * Mayer Aufstand in Los Angeles.<br />
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(1/96) @ Beitrage von H.-J. Kleinsteuber, Ursula Maier-Rabler, Rudi<br />
Schmiede, Uwe Afemann, Michael Paetau u.a. e Weitere Themen: Gleichstellungspolitik<br />
I Ethik Iinternationaies I Hochschulpolitik<br />
.. Jenseits des Sozialstaats (2/96) e Beitrage von H.-J. Urban, Oskar Negt, H.-J. Bieling,<br />
w.-o. Narr, Armin Stickler und Christoph Spehr. 0 Weitere Themen: Bioethik I Hochschulpolitik<br />
Iinformationsgeselischaft I BSE<br />
" Wissenschaft (3/96) Die Zurichtung der Wissenschaft auf den<br />
Markt .. Beitrage von u.a.. H. Ackermann, H. Kuni, P. Kolditz, J. Hanisch, P. Dippoldsmann"<br />
Weitere Themen: Oiskussion des Historisch-Kritischen Worterbuch des Marxismus<br />
I Hochschulpolitik I Wirtschafts- und Wahrungsunion<br />
.. Patriarchatsforschul1g (4/96, erscheint im November) • Beitrage von A. Heiliger, L<br />
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des Wasscrs<br />
PROKLA-Redaktion: Zurpolitischen des Wassers ................... 2<br />
Ulrich Albrecht: Krieg um Wasser? ............................................................ 5<br />
Frank Biermann: Mensch und Meer. Zur sozialen Aneignung der Ozeane .. 17<br />
Simon Simon Marvin: Wasser als Ware. Die<br />
der Wasserversorgung in GroBbritannien ................................................. 37<br />
Ines<br />
Niels Gottschalk, Nadia Mazouz: Recht auf Wasser?<br />
Verteilungskonflikte im Jordanbecken ..................................................... 63<br />
Gilbert Ziebura: Globalisierter<br />
chancenlose Linke?<br />
Eine Problemskizze ................................................................................... 85<br />
Wulf Hop! Ethnozentrismus und Okonomismus. Die »Leistungsgesellschaft«<br />
als Deutungsmuster fur soziale Ausgrenzung ................... 107<br />
Ingo Bode: Wege zur Solidaritat. Der franzosische Herbst und die<br />
Krise der Linken ...................................................................................... 131<br />
103: Vom<br />
PROKLA-Redaktion: Vom Gelde ........................................................... 162<br />
Robert Guttmann: Die Transformation des Finanzkapitals ..................... 165<br />
Michael Heine, Hansjorg Herr: Money Makes the World Go Round<br />
Ober die Verselbstandiglmg der Geldsphare und andere MiBverstandnisse 197<br />
Raul Rojas: Elektronisches Geld im globalen Datennetz ........................ 227<br />
Elmar Altvater: Globale Finanzinnovationen, privates<br />
Computergeld und sozialisierte Schulden ............................................... 241<br />
Thomas Achim Werner: Geldwasche - die okonomische Dimension<br />
unbekannter Gefahren ............................................................................. 259<br />
Wolf-Dieter Narr, Roland Roth: Wider die verhiingnisvolle neue<br />
Bescheidenheit:<br />
ohne Alternative (Teil 2) ... aber:<br />
Haben wir sozialistischen Theoretiker etwas auf def Pfanne? ................ 283<br />
104: Universitiit<br />
PROKLA-Redaktion: Die Universitaten: »Im Kern verrottet«<br />
oder das was wir derzeit haben? ................................................... 3 18<br />
Torsten Bultmann: Die standortgerechte Dienstleistungshochschule ..... 329<br />
Peer Pasternack: Osthochschulen ........................................................... 357<br />
Alex Demirovic: Die politische Metapher links und<br />
die politischen Orientierungen von Studierenden ................................... 371<br />
Ralf Oberndorfer: Studentische Politik oder politische StudentInnen? ... 395
645<br />
Christina Thiirmer-Rohr: NOffi1ale und nicht-normale Diskurse.<br />
Zur der Universitiit ......................................................................... 415<br />
Ekkehart<br />
Wiener: Editorial. Fragmentierte .................... .488<br />
Antje Wiener: (Staats)Burgerschaft ohne Staat. Ortsbezogene<br />
UdeJl/Juuvmnuu,,,,,,, am Beispiel der Union ................... .497<br />
Susan Phillips: Staatsburgerschaftsregime im Wandel<br />
- oder: Die wird zu Markte getragen.<br />
Das Beispiel Kanada ............................................................................... 515<br />
Ulrich K. Preuj3, Michelle Everson: Konzeptionen von<br />
in Europa .......................................................................... 543<br />
Klaus-Dieter Tanger/nann: Politik in Demokratien ohne<br />
demokratischen Souveriin. Das Scheitem der demokratischen<br />
Konsolidierung in Mittelamerika ............................................................ 565<br />
Eric Hershberg: Demokratischer Ubergang und Sozialdemokratie in<br />
Spanien. Kritische Uberlegungen zur Konstruktion von Idealtypen ....... 595<br />
Sergio Costa: Medien, Zivilgesellschaft und »Kiez«. Kontexte des<br />
Aufbaus der politischen Offentlichkeit in Brasilien ................................ 611<br />
Ulrich: Krieg urn Wasser? ........................................................... 5<br />
Elmar: Globale<br />
~W" ,..,~"~ und sozialisierte Schulden ............................................... 241<br />
KIPrn117nn Frank: Mensch und Meer. Zur sozialen der Ozeane . 17<br />
lngo: zur Solidaritiit. Der franzosische Herbst und<br />
die Krise der Linken ................................................................................ 131<br />
Ull,rrtUfm. Torsten: Die standortgerechte Dienstleistungshochschule .... 329<br />
Costa, Sergio: Medien,<br />
und »Kiez«. Kontexte des<br />
Aufbaus def politischen in Brasilien ................................ 611<br />
Alex: Die politische Metapher »links« und die<br />
pVJLH"''''''''U UfilemtlerUnj:l;en von Studierenden ......................................... 371<br />
In,,,hr'nwNn) lnes/ Gottschalk, Niels/ Mazouz, Nadia:<br />
Recht auf Wasser? Verteilungskonflikte im Jordanbecken ....................... 63
646<br />
Fischer, Frank: Die Agenda der Elite. Amerikanische Think Tanks<br />
und die Strategien der Politikberatung ................................................... .463<br />
Guttmann, Robert: Die Transfonnation des Finanzkapitals .................... 165<br />
Guy, Simon/Marvin, Simon: Wasser als Ware. Die Privatisierung<br />
der Wasserversorgung in GroBbritannien ................................................. 37<br />
Heine, Michael/ Herr, Hansjorg: Money Makes the World Go Round<br />
Uber die Verselbstandigung def Geldsphare und andere MiBverstandnisse 197<br />
Hershberg, Eric: Demokratischer Ubergang und Sozialdemokratie in<br />
Spanien. Kritische Uberlegungen zur Konstruktion von Idealtypen ....... 595<br />
Hop/, Wulf. Ethnozentrismus und Okonomismus. Die »Leistungsgesellschaft«<br />
als Deutungsmuster :fur soziale Ausgrenzung ................... lO7<br />
Jenson, Jane / Phillips, Susan: Staatsbiirgerschaftsregime im Wandeloder:<br />
Die Gleichberechtigung wird zu Markte getragen.<br />
Das Beispiel Kanada ............................................................................... 515<br />
Krippendorf, Ekkehart: Die Idee der Universitat .................................... 431<br />
Narr, Wolf-Dieter/Roth, Roland: Wider die verhangnisvolle neue<br />
Bescheidenheit: Kapitalismus ohne Alternative (Teil 2) ... aber:<br />
Haben wir sozialistischen Theoretiker etwas auf der Pfanne ................... 283<br />
Oberndorfer, Ralf. Studentische Politik oder politische StudentInnen? .395<br />
Pasternack, Peer: Osthochschulen .......................................................... 357<br />
Preuj3, Ulrich K.I Everson, Michelle: Konzeptionen von<br />
'Biirgerschaft' in Europa .......................................................................... 543<br />
PROKLA-Redaktion: Die Universitaten: »Im Kern verrottet«<br />
oder das Beste, was wir derzeit haben? ................................................... 318<br />
PROKLA-Redaktion: Vom Gelde ........................................................... 162<br />
PROKLA-Redaktion: Zur politischen Okol1omie des Wassers ................... 2<br />
Rojas, Raul: Elektronisches Geld im globaJen Datel1netz ....................... 227<br />
Spear, Bruce: Die Forschungsuniversitat, der freie Markt und die<br />
Entdemokratisierung der hOheren Bildung in den USA .......................... 441<br />
Tangermann, Klaus-Dieter: Politik in Demokratien ohne<br />
demokratischen Souveran. Das Scheitern der demokratischen<br />
Konsolidierung in Mittelamerika ............................................................ 565<br />
Thiirmer-Rohr, Christina: Normale und nicht-normale Diskurse.<br />
Zur Lage der Universitat ......................................................................... 415<br />
Werner, Thomas Achim: Geldwasche - die okonomische Dimension<br />
unbekal1nter Gefahren ............................................................................. 259<br />
Wiener, Antje: (Staats )Biirgerschaft ohne Staat. Ortsbezogene<br />
Partizipationsmuster am Beispiel der Europaischen Union ................... .497<br />
Wiener, Antje: Editorial. Fragmentierte Staatsbiirgerschaft ................... .488<br />
Ziebura, Gilbert: Globalisierter Kapitalismus: chancenlose Linke?<br />
Eine Problemskizze ................................................................................... 85