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Thomas Bernhards pathologische Groteske Ist es eine Komoedie

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Und die (Welt-)Orientierung steht nun zusätzlich mit der artikulierten Frage auf dem Spiel: „<strong>Ist</strong> <strong>es</strong><br />

<strong>eine</strong> Komödie? <strong>Ist</strong> <strong>es</strong> <strong>eine</strong> Tragödie?“ (38). 14<br />

Damit „gehört das <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong> unzweifelhaft zu jenen ästhetischen Erscheinungen, die wir zunächst<br />

mit <strong>eine</strong>m ‚negativen Vorzeichen’ versehen, d.h. die uns auf den ersten Blick abstoßen, auf die<br />

Dauer aber f<strong>es</strong>seln“ (Petsch 26); so ist der Frauenmörder über sein Verbrechen stark negativ<br />

konnotiert, was den Erzähler allerdings – mit dem etwas seltsamen, da zusammenhanglos<br />

wirkenden Kommentar „Ich habe nichts zu verlieren!“ (37) – nicht davon abschreckt, den<br />

mysteriösen Mann nach <strong>eine</strong>m langen Spaziergang zwischen Volksgarten, Meierei, Parlament und<br />

Schweizer Trakt bis zum Donaukanal zu begleiten. Er scheint – durch Äußer<strong>es</strong> wie Kriminell<strong>es</strong> –<br />

völlig gef<strong>es</strong>selt zu sein von der „anarchische[n] Komponente d<strong>es</strong> <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong>n [...], daß die grot<strong>es</strong>ken<br />

Werke in unserer patriarchalisch strukturierten G<strong>es</strong>ellschaft häufig von Sexualität und Verbrechen<br />

b<strong>es</strong>timmt sind“ (Kayser 96), reagiert er doch auf den Befehl: „‚Gehen Sie!’“ (42) „nicht sofort“<br />

(42). Der Weg ind<strong>es</strong> geht zunächst buchstäblich im Kreise, wie die Rede d<strong>es</strong> Frauenmörders immer<br />

wieder das Thema Theater an der Oberfläche umkreist. Als sich allerdings die unterschwelligen<br />

Andeutungen zunehmend zum Mordg<strong>es</strong>chehen verdichten, führt der Gang die beiden einsamen<br />

Außenseiter – die im Übrigen wie isoliert nebeneinander einherschreiten, redet der Mann doch nur<br />

und lauscht der Student fast ausschließlich – vom Zentrum (dem Burgtheater) in Richtung d<strong>es</strong> 20.<br />

Bezirk<strong>es</strong>, also an die Peripherie, gerade ebenso, wie das <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong> s<strong>eine</strong>n Ursprung als Ornament am<br />

Rande ein<strong>es</strong> Bild<strong>es</strong> hat.<br />

Wie oben schon anklang, beinhaltet das <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong> ein anarchisch<strong>es</strong> Element. Das kommt – neben<br />

G<strong>es</strong>chlechterambivalenz und Zerstörungs- und also Tötungslust beim Frauenmörder – auch am<br />

Erzähler zum Vorschein. Er will in s<strong>eine</strong>r Verachtung und in s<strong>eine</strong>m Hass ja <strong>eine</strong> Studie verfassen,<br />

„die dem Theater ein für allemal ins G<strong>es</strong>icht schlägt“ (35). So fühlt er „den größten Genuß“ (36),<br />

als er die Theaterkarte – als sei <strong>es</strong> Metapher für die Zerstörung d<strong>es</strong> Theaters selbst oder „<strong>eine</strong><br />

Tötung in effigie“ (Schmidt-Dengler 77) – zwischen den Fingern zerreibt. Damit sucht ein Ich sich<br />

„von <strong>eine</strong>r Autorität [zu befreien], die <strong>es</strong> bisher zumind<strong>es</strong>t teilweise noch anerkannte“ (Pietzcker<br />

96). Und wieder ist der Kern d<strong>es</strong> <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong>n erreicht, von dem die Betrachtung ihren Ausgang<br />

nahm: die Verbindung von Lachen 15 und Grauen, wie sie in all den bislang genannten Aspekten<br />

zum Ausdruck kommt: in der lächerlichen Verschachtelung d<strong>es</strong> ersten Satz<strong>es</strong> und sein<strong>es</strong> etwas<br />

14 Doch geht <strong>es</strong> bei Bernhard nicht so sehr um ein Entweder-oder, sondern mehr um ein Sowohl-als auch; das <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong><br />

ist ja kein heterogen<strong>es</strong> Nebeneinander, sondern <strong>eine</strong> Fusion aus Heterogenem. Daher ist die Entscheidung d<strong>es</strong><br />

Frauenmörders am Ende eher als Vervollkommnung zu sehen: Das Theater spielt <strong>eine</strong> Komödie im Gleichgewicht zur<br />

sich draußen simultan vollziehenden Darstellung <strong>eine</strong>r Tragödie.<br />

15 Vom Lachen ist ausdrücklich die Rede, als der Frauenmörder berichtet: „Ich bin sehr oft in di<strong>es</strong>em Theater gew<strong>es</strong>en,<br />

[...] ein<strong>es</strong> Tag<strong>es</strong> zum letzten Mal, wie jeder Mensch ein<strong>es</strong> Tag<strong>es</strong> zum letzten Mal in ein Theater geht, lachen Sie nicht!“<br />

(38).

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