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Thomas Bernhards pathologische Groteske Ist es eine Komoedie

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schaltenden ars combinatoria d<strong>es</strong> Betrachters zu subsumieren, die sich im Medium Sprache erst<br />

niederschlägt.“ (Eyckeler 245)<br />

Danach b<strong>es</strong>itzt der Frauenmörder – offenbar nach Otto Weiningers G<strong>es</strong>chlechtertheorie<br />

konstruiert 13 – doch <strong>eine</strong> männliche Stimme (er wird sofort als „Mann“ (37) bezeichnet) und<br />

darüber auch kurz darauf als Mann g<strong>es</strong>ehen. Dann treten allmählich die weiblichen Anteile über die<br />

Kleidung in den Vordergrund; erst die „Frauenhalbschuhe“ (37), dann der „Frauenhut“ (41),<br />

schließlich der „Frauenmantel“ (41). Dadurch offenbart sich das Spiel mit der Perspektive (zunächst<br />

auf die männlichen, dann die weiblichen Elemente) und – erneut – der Verlust von eindeutiger<br />

Identität (eindeutig als Mann oder Frau): „Im Grunde gibt <strong>es</strong>, in <strong>eine</strong>m extremen Verständnis d<strong>es</strong><br />

grot<strong>es</strong>ken Motivs, k<strong>eine</strong> individuellen Körper. Der grot<strong>es</strong>ke Körper b<strong>es</strong>teht aus Einbrüchen und<br />

Erhebungen, die schon den Keim ein<strong>es</strong> anderen Körpers darstellen“ (Bachtin 359). Und <strong>es</strong> zeigt<br />

sich, dass die Rede d<strong>es</strong> Frauenmörders – der ja sofort s<strong>eine</strong> Schuhe thematisiert, als der Erzähler sie<br />

bemerkt: „‚Ja, [...] jetzt mögen Sie sich Gedanken machen“ (38) – erst die ars combinatoria im<br />

Erzähler weckt und ihn über die scheinbar verrückte Sprache erst für das Äußerliche empfindlich<br />

macht. Vielleicht kann man gar sagen, dass die Sprache hier erst das Äußere erzeugt: „Der grot<strong>es</strong>ke<br />

Körper ist [...] ein werdender. Er ist nie fertig und abg<strong>es</strong>chlossen, er ist immer im Entstehen<br />

begriffen und erzeugt selbst stets <strong>eine</strong>n weiteren Körper“ (Bachtin 358). Charakteristisch für die<br />

grot<strong>es</strong>ke Figur jedenfalls ist die B<strong>es</strong>chäftigung „mit s<strong>eine</strong>m Aufbau in sich selbst“ (Petsch 31), wie<br />

<strong>es</strong> hier durchexerziert wird. Zudem stellt das <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong> „die vertrauten Normen und G<strong>es</strong>etze in<br />

Frage“ (B<strong>es</strong>t 15), hier allein schon durch die Tatsache ein<strong>es</strong> in Frauenkleidern steckenden Mann<strong>es</strong>.<br />

Ebenso enttäuscht das <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong> aber auch <strong>eine</strong>n b<strong>es</strong>timmten Erwartungshorizont. Es verlangt, „daß<br />

erstens <strong>eine</strong> b<strong>es</strong>timmte Weise, wie die Welt oder der Mensch ist, erwartet wird, und daß zweitens<br />

di<strong>es</strong>e Erwartung scheitert, so daß die Weltorientierung versagt und die Welt unheimlich wird“<br />

(Pietzcker 87). Der Erzähler erwartet – g<strong>es</strong>ellschaftlich und durch Erfahrung konditioniert – auf die<br />

tiefe Stimme hin, die fragt, „wie spät <strong>es</strong> sei“ (37), <strong>eine</strong>n Mann, der sich äußerlich aber immer mehr<br />

zur Frau entwickelt und unheimlicherweise letzlich gar ein Frauenmörder ist, der sich scheinbar –<br />

aus <strong>eine</strong>m Jagdritual oder Schuldkomplex heraus? – mit Trophäen sein<strong>es</strong> Opfers behängt hat; oder<br />

„als hätte nun ihn selbst jene Weiblichkeit überwältigt, deren personale Repräsentantin er damals<br />

aus s<strong>eine</strong>m Leben eliminieren wollte“ (Mittermayer 36); oder als wolle er di<strong>es</strong>e Frau jetzt gar sein.<br />

13 „Also Mann und Weib sind wie zwei Substanzen, die in verschiedenem Mischungsverhältnis, ohne daß je der<br />

Koeffizient <strong>eine</strong>r Substanz Null wird, auf die lebenden Individuen verteilt sind“ (Weininger 19).

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