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Thomas Bernhards pathologische Groteske Ist es eine Komoedie

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heißt <strong>es</strong> auch dort: „Das Geheimnis d<strong>es</strong> großen Kunstwerks ist die Übertreibung, habe ich zu<br />

Gambetti g<strong>es</strong>agt, das Geheimnis d<strong>es</strong> großen Philosophierens ist <strong>es</strong> auch, die Übertreibungskunst ist<br />

überhaupt das Geist<strong>es</strong>geheimnis“ (Bernhard Auslöschung 612). Di<strong>es</strong>e Technik wird nicht umsonst<br />

immer wieder als <strong>eine</strong> der für <strong>Bernhards</strong> g<strong>es</strong>amt<strong>es</strong> Werk W<strong>es</strong>entlichen betont, 9 erscheint zugleich<br />

auch – als „lächerliche Übertreibung d<strong>es</strong> Wirklichen“ (Petsch 38) – als Merkmal d<strong>es</strong> <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong>n.<br />

Di<strong>es</strong>e Übertreibung findet sich also in di<strong>es</strong>em Text; da ist gleich zu Anfang die übertreibende<br />

Climax „ich weiß, warum ich nicht mehr ins Theater gegangen bin, ich verachte das Theater, ich<br />

hasse die Schauspieler, das Theater ist <strong>eine</strong> einzige perfide Ungezogenheit, <strong>eine</strong> ungezogene<br />

Perfidie“ (35), die in <strong>eine</strong>m komischen, chiastischen Wortspiel endet; da ist die – durch<br />

(kapitalisierte) Redundanz – lächerlich wirkende Einteilung der Theaterstudie in „Erster Abschnitt<br />

DIE SCHAUSPIELER, zweiter Abschnitt DIE SCHAUPSPIELER IN DEN SCHAUSPIELERN,<br />

dritter Abschnitt DIE SCHAUSPIELER IN DEN SCHAUSPIELERN DER SCHAUSPIELER,<br />

usf.“ (36); da ist die ebenso lächerliche Erklärung, wie viele Schritte mit welchen Schuhen einzelne<br />

Wege erfordern: „‚Hier gehe ich jeden Tag die gleiche Anzahl von Schritten, das heißt’, sagte er,<br />

,‚‚mit di<strong>es</strong>en Schuhen gehe ich von der Meierei bis zum Parlament, bis zum Gartenzaun genau<br />

dreihundertachtundzwanzig Schritte. In den Spangenschuhen gehe ich dreihundertzehn. Und zum<br />

Schweizertrakt [...] gehe ich genau vierhundertvierzehn Schritte mit di<strong>es</strong>en Schuhen,<br />

dreihundertneunundzwanzig mit den Spangenschuhen’“ (39); <strong>eine</strong> letzte Steigerung bildet den<br />

Schluss der Erzählung: „‚Und wenn Sie glauben, daß <strong>es</strong> in den Strafanstalten ein Vergnügen ist, so<br />

irren Sie sich! Die ganze Welt ist <strong>eine</strong> einzige Jurisprudenz. Die ganze Welt ist ein Zuchthaus. Und<br />

heute abend [...] wird in dem Theater da drüben, ob sie <strong>es</strong> glauben oder nicht, <strong>eine</strong> Komödie<br />

g<strong>es</strong>pielt’“ (42). Nicht nur entwickelt sich aus der Strafanstalt die Welt, die von der Jurisprudenz<br />

zum Zuchthaus wird; vielmehr scheint der Gipfel erst zu sein, dass im Theater dennoch – also trotz<br />

Frauenmord und der Welt als Gefängnis – <strong>eine</strong> Komödie g<strong>es</strong>pielt wird.<br />

In den Kreis der Übertreibung gehört ein ander<strong>es</strong> Phänomen, dass insb<strong>es</strong>ondere in <strong>Bernhards</strong><br />

Romanen stark ausgeprägt ist, 10 aber auch hier – wenn auch nur andeutungsweise – zu finden ist:<br />

jen<strong>es</strong> der Invektive, der Schmährede. An <strong>eine</strong>r Stelle behauptet der Erzähler, „hinter allen di<strong>es</strong>en<br />

9 So schreibt z.B. Franz Eyckeler: „Um nun das Widersinnige deutlich hervortreten, den absurden Hintergrund d<strong>es</strong><br />

Daseins durchsch<strong>eine</strong>n zu lassen, wählt Bernhard in fast jeder Hinsicht das Verfahren der Übertreibung. Die Redundanz<br />

d<strong>es</strong> jeweils Ausg<strong>es</strong>agten, die Wiederholung und Variation der rhetorischen Figuren, der Motive und Themen innerhalb<br />

von Romanen und Erzählungen und in intertextueller Hinsicht, die Verlagerung menschlicher Existenzprobleme und<br />

ihrer Reflexion in künstliche, da nur bedingt an der sogenannten äußeren Realität orientierte Welten verfolgen alle das<br />

Ziel, die Dinge möglichst klar, scharf umrissen und augenfällig hervortreten zu lassen, indem einzelne Aspekte<br />

überdeutlich herausgemeißelt werden“ (Eyckeler 237).<br />

10 So schimpft der Kunstkritiker Reger in „Alte Meister“ etwa: „Heidegger war ein philosophischer Marktschreier, der<br />

nur G<strong>es</strong>tohlen<strong>es</strong> auf den Markt getragen hat, all<strong>es</strong> von Heidegger ist aus zweiter Hand, er war und ist der Prototyp d<strong>es</strong><br />

Nachdenkers, dem zum Selbstdenken all<strong>es</strong>, aber auch wirklich all<strong>es</strong> gefehlt hat“ (Bernhard Alte Meister 89f.). Ähnliche<br />

(seitenlange) Invektiven finden sich in <strong>Bernhards</strong> Werk u.a. auch zu Stifter und Goethe.

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