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Thomas Bernhards pathologische Groteske Ist es eine Komoedie

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die Satzstruktur – durch Einschübe und der daraus r<strong>es</strong>ultierenden Überdehnung d<strong>es</strong> Hauptsatz<strong>es</strong> –<br />

Vorschub leistet. Was – in der Umständlichkeit und Formulierung „im Vorder- oder Hintergrund<br />

d<strong>es</strong> Medizinischen“ 7 (35) – zunächst <strong>eine</strong>n durchaus komischen Zug trägt, gewinnt unter der<br />

Annahme, hier handle <strong>es</strong> sich „um Sinnlichkeit <strong>eine</strong>r an der mündlichen Rede orientierten Sprache<br />

und rhetorischen Struktur“ (Eyckeler 253) und damit um den sprachlichen Ausdruck ein<strong>es</strong><br />

Intellekts, <strong>eine</strong> etwas beängstigende, auf sich anbahnenden Wahnsinn verweisende Komponente<br />

hinzu. Darin aber ist schon ein w<strong>es</strong>entlich<strong>es</strong> Indiz d<strong>es</strong> <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong> aufg<strong>es</strong>pürt: „Als modern<strong>es</strong><br />

Verständnis d<strong>es</strong> <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong>n [...] gilt die Kombination von anziehenden und abstoßenden, komischen<br />

und grauenerregenden, lächerlichen und tragischen Momenten in der Totalität der Welterfahrung“<br />

(B<strong>es</strong>t 14). Der (ambivalente) Satz wirkt in s<strong>eine</strong>r verschachtelten Form durchaus lächerlich,<br />

formuliert aber auf inhaltlicher Ebene ein existentiell<strong>es</strong>, fast tragisch<strong>es</strong> Problem: Werde die<br />

wissenschaftliche Arbeit nicht bald abg<strong>es</strong>chlossen, habe di<strong>es</strong> für den ohnehin überanstrengten Kopf<br />

d<strong>es</strong> Erzählers Konsequenzen, heißt <strong>es</strong>, und, wie g<strong>es</strong>agt, zeigt s<strong>eine</strong> ersten Auswirkungen schon im<br />

Aufbau d<strong>es</strong> Satz<strong>es</strong>. „Jedoch erst in der Text-L<strong>es</strong>er-Interaktion wird di<strong>es</strong>e Ambivalenz glaubhaft<br />

realisiert, insofern die inhaltsseitige Botschaft der Tragik und die formseitige Botschaft der Komik<br />

einander auszuschließen sch<strong>eine</strong>n“ (Huntemann 218).<br />

Wie der Erzähler ins Theater will, aber nicht gehen sollte, sollte er s<strong>eine</strong> <strong>pathologische</strong> Studie<br />

abschließen, will oder kann <strong>es</strong> aber offenbar nicht. 8 Mit di<strong>es</strong>em Chiasmus wird aber sofort ein<br />

weiterer Grundstein gelegt, worum <strong>es</strong> gehen soll: um ein Schwanken zwischen und Überschneiden<br />

oder Verschmelzen von je zwei entgegeng<strong>es</strong>etzten Möglichkeiten, allgem<strong>eine</strong>r um ein Problem d<strong>es</strong><br />

Entscheidens – oder genauer: Entscheiden-Könnens –, ja um das Ambige als Charakteristikum d<strong>es</strong><br />

<strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong>n schlechthin.<br />

Auch schon im ersten Satz entdeckt sich – mittels Wortkette Theater-Theater-Theaterb<strong>es</strong>uch – ein<br />

b<strong>es</strong>onder<strong>es</strong> rhetorisch<strong>es</strong> Prinzip: jen<strong>es</strong> der Rotation oder „Wiederholung von Reiz- und<br />

Empfindlichkeitswörtern in Situationen der Betroffenheit, der Verzweiflung, der Ratlosigkeit, aber<br />

auch als Zeichen ein<strong>es</strong> Zustand<strong>es</strong> der Irritation bzw. der Überreiztheit“ (Rossbacher 278). Im<br />

Verlauf der Erzählung entwickelt sich daraus rasch <strong>eine</strong> grot<strong>es</strong>ke Verzerrung; aus Wiederholung –<br />

per se schon <strong>eine</strong> Art Übertreibung – wird das Verfahren d<strong>es</strong> Übertreibens selbst. Welch zentrale<br />

Rolle <strong>es</strong> in der Poetik <strong>Bernhards</strong> spielt, beweist die noch Jahrzehnte später formulierte,<br />

autopoetologische Passage im Roman Auslöschung: „Um etwas begreiflich zu machen, müssen wir<br />

übertreiben [...], nur Übertreibung macht anschaulich“ (Bernhard Auslöschung 128). Und später<br />

7 Wobei di<strong>es</strong>er Satzteil an exponierter Stelle schon auf <strong>eine</strong> Schwierigkeit hinweist, die <strong>es</strong> später ausführlich zu<br />

untersuchen gilt: Jene d<strong>es</strong> Erzählers nämlich, verschiedene Ebenen auseinanderzuhalten, b<strong>es</strong>onders verschiedene<br />

Identitäten bzw. Realität und Wahn voneinander zu trennen.<br />

8 Nicht umsonst wirft er sich sein Versagen vor: „G<strong>es</strong>cheitert! G<strong>es</strong>cheitert!“ (35).

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