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Thomas Bernhards pathologische Groteske Ist es eine Komoedie

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2<br />

Doch ist <strong>es</strong> zunächst nicht so sehr di<strong>es</strong>e willkürlich-dezisionistische Antwort – „die Findung der<br />

Entscheidung bleibt im Dunkeln“ (Schmidt-Dengler 78) –, die hier inter<strong>es</strong>sieren soll; von<br />

w<strong>es</strong>entlich größerer Bedeutung erscheint der (buchstäbliche) Weg dorthin, der aus <strong>eine</strong>m<br />

equilibristisch-artistischen Seiltanz 3 zwischen Komödie und Tragödie 4 , ja aus <strong>eine</strong>r Fusionierung<br />

beider Pole zu b<strong>es</strong>tehen scheint: „Wir haben <strong>es</strong> hier nicht mit Tragikomödie zu tun – in der <strong>es</strong> <strong>eine</strong><br />

klare Grenze bzw. <strong>eine</strong>n regelmäßigen Wechsel zwischen dem Komischen und dem Tragischen gibt<br />

[...] –, sondern mit der grot<strong>es</strong>ken Fusion beider Elemente“ (Thomson 108). Komische und tragische<br />

Gebärde verschmelzen also – und ergeben <strong>eine</strong> <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong>. Genau das wird zu sehen sein, dass<br />

nämlich <strong>Ist</strong> <strong>es</strong> <strong>eine</strong> Komödie? <strong>Ist</strong> <strong>es</strong> <strong>eine</strong> Tragödie? als Paradebeispiel für das Lächerlich-<strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong><br />

bei Bernhard stehen kann. 5 So liegt das Hauptaugenmerk di<strong>es</strong><strong>es</strong> Aufsatz<strong>es</strong> im Nachweis grot<strong>es</strong>ker<br />

Strukturen in Form und Inhalt. 6 In <strong>eine</strong>r Erweiterung der Perspektive soll anschließend die<br />

Verbindung zum Absurden herg<strong>es</strong>tellt werden. Am Ende unternimmt <strong>es</strong> di<strong>es</strong>er Aufsatz, die<br />

Erzählung unter <strong>eine</strong>m medizinischen G<strong>es</strong>ichtspunkt zu interpretieren, um den Text darüber mit<br />

dem Terminus der <strong>pathologische</strong>n <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong> näher zu kategorisieren. Zunächst aber, wie g<strong>es</strong>agt,<br />

einige formale Betrachtungen, denn, so Bernhard selbst: „Den Stoff im eigentlichen Sinn halte ich<br />

für ganz und gar sekundär“ (Dreissinger 109).<br />

II<br />

„Nachdem ich wochenlang nicht mehr in das Theater gegangen bin, habe ich g<strong>es</strong>tern in das Theater<br />

gehen wollen, aber schon zwei Stunden vor Beginn der Vorstellung habe ich, noch während m<strong>eine</strong>r<br />

wissenschaftlichen Arbeit und also in m<strong>eine</strong>m Zimmer, mir ist nicht ganz klargeworden, im Vorderoder<br />

Hintergrund d<strong>es</strong> Medizinischen, das ich endlich zum Abschluß bringen muß, weniger m<strong>eine</strong>r<br />

Eltern als m<strong>eine</strong>m überanstrengten Kopf zuliebe, gedacht, ob ich nicht doch auf den Theaterb<strong>es</strong>uch<br />

verzichten soll“ (35). Schon di<strong>es</strong>er erste Satz enthält im Kern, worum <strong>es</strong> der g<strong>es</strong>amten Erzählung<br />

geht: Er produziert <strong>eine</strong> Art Konfusion, in der sich der (erste) Erzähler zu befinden scheint, und der<br />

3 Hier fügt sich gut <strong>eine</strong> autopoetologische Bemerkung ein, die Bernhard in <strong>eine</strong>m s<strong>eine</strong>r Theaterstücke platzierte: „Die<br />

Equilibristik hat mich / zeitlebens inter<strong>es</strong>siert / Mein Talent ist einmal ein ganz ander<strong>es</strong> Talent gew<strong>es</strong>en / Ich hatte das<br />

größte Talent zum Equilibristen / [...] / Die Wahrheit ist im Equilibrismus / [...] / Mich hat zeitlebens die Methode d<strong>es</strong><br />

Equilibrismus inter<strong>es</strong>siert“ (Bernhard Immanuel Kant 333). Und in <strong>eine</strong>m Interview heißt <strong>es</strong>: „Es ist all<strong>es</strong> komisch.<br />

Genau wie bei m<strong>eine</strong>r Prosa darf man nie genau wissen: Soll man jetzt hellauf lachen oder doch nicht. Di<strong>es</strong>e<br />

Seiltanzerei ist erst das Vergnügen“ (Dreissinger 41).<br />

4<br />

Bernhard selbst formulierte in s<strong>eine</strong>r Dankrede bei der Verleihung d<strong>es</strong> Büchner-Preis<strong>es</strong> zum Leben als<br />

„Theatervorstellung“, was auch hier zutrifft: „Wir wissen nicht, handelt <strong>es</strong> sich um die Tragödie um der Komödie, oder<br />

um die Komödie um der Tragödie willen. Aber all<strong>es</strong> handelt von Fürchterlichkeit, von Erbärmlichkeit, von<br />

Unzurechnungsfähigkeit“ (Bernhard Büchner-Preis).<br />

5 Oder wie <strong>es</strong> andernorts heißt: „Am eh<strong>es</strong>ten reichte vielleicht noch der Terminus <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong> heran“ (Sorg 89).<br />

6 Innerhalb der ästhetischen Theorie b<strong>es</strong>teht allerdings „<strong>eine</strong> Vielfalt von Positionen“ (Rosen 877) hinsichtlich d<strong>es</strong><br />

<strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong>n; um dem „unabg<strong>es</strong>chlossenen Prozeß“ (Rosen 877) der Definition daher wenigstens einigermaßen Rechnung<br />

zu tragen, sollen zumind<strong>es</strong>t einige unterschiedliche Auffassungen hier Beachtung finden.

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