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Thomas Bernhards pathologische Groteske Ist es eine Komoedie

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konfligierender Erinnerungen, Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse“ (Fiedler 284), und zwar – und<br />

das ist auffällig – zunächst akustisch oder als akustische Halluzination, die „wie eigene<br />

Erinnerungen [ersch<strong>eine</strong>n] oder gleichzeitig ablaufende Mitdenk-Proz<strong>es</strong>se eigener alternativer<br />

Persönlichkeiten, die häufig versuchen, auf das aktuelle Handeln zielgerichtet Einfluss zu nehmen“<br />

(Fiedler 206): Plötzlich wird er ang<strong>es</strong>prochen – oder wird sein Mitdenk-Proz<strong>es</strong>s laut – und in dem<br />

Augenblick, als ihm bewusst wird, lange nicht mehr mit jemandem kommuniziert zu haben. Die<br />

Worte d<strong>es</strong> Frauenmörders sind dabei nichts ander<strong>es</strong> als „Wörter, mit denen wir [und auch der<br />

Erzähler] aus Verlassenheit im Gehirn hantieren“ wie auch „Wörter, an die wir uns anklammern,<br />

weil wir aus Ohnmacht verrückt, und aus Verrücktheit verzweifelt sind“ (beide Bernhard Büchner-<br />

Preis). Gegen sein Frieren hilft nun am b<strong>es</strong>ten Bewegung (der Spaziergang), gegen den Hunger<br />

ind<strong>es</strong> Ablenkung (das G<strong>es</strong>präch). Insg<strong>es</strong>amt ergibt sich mit Beginn der Theatervorstellung auch die<br />

– doppelsinnige – Vorstellung d<strong>es</strong> Frauenmörders. Kurioserweise folgt di<strong>es</strong>e noch dem Drehbuch<br />

der Theaterstudie, die der Erzähler in s<strong>eine</strong>m Kopf herumträgt: Erst treffen sich die Schauspieler;<br />

im nächsten Schritt entpuppt sich <strong>eine</strong> Schauspielerin im Schauspieler; dann der Mörder in der<br />

Schauspielerin im Schauspieler. Zu Bühnenexz<strong>es</strong>sen, zur Übertreibung also gerät – wie oben zu<br />

sehen war – neben der Sprache insb<strong>es</strong>ondere der Spazierweg; und am Ende schließlich erfolgt auf<br />

die Frage „ALSO, WAS IST DAS THEATER?“ (36) die lapidare Antwort „‚Tatsächlich <strong>eine</strong><br />

Komödie’“ (42). 22 Nimmt man die erst allmähliche Konturierung d<strong>es</strong> Frauenmörders, die mit der<br />

Entpuppung einhergeht, sowie die schon ang<strong>es</strong>prochene G<strong>es</strong>taltwerdung im Nachvollzug der<br />

Sprache hinzu, so erscheint der Frauenmörder tatsächlich als Ausdruck ein<strong>es</strong> wahnhaften Geist<strong>es</strong>,<br />

jen<strong>es</strong> d<strong>es</strong> Erzählers nämlich; der Satz „Ich habe nichts zu verlieren!“ (37) gewinnt dadurch weiter<br />

an Klarheit: Es ist die all<strong>es</strong> auslösende Aufforderung d<strong>es</strong> Erzählers an sich selbst, die unterdrückte<br />

Teilidentität zuzulassen. Und das zu <strong>eine</strong>m Zeitpunkt, an dem „niemand mehr in das Theater<br />

hinein[geht]“ (37) und also k<strong>eine</strong> eventuellen Beobachter mehr vorhanden sind (und auf dem<br />

ganzen Weg dann nie von anderen Menschen oder Begegnungen die Rede ist, als sei der Erzähler<br />

vollauf b<strong>es</strong>chäftigt oder als bewege sich all<strong>es</strong> nurmehr noch im Kopfe d<strong>es</strong>selben).<br />

Ebenfalls zur Diagnose der DIS zählt – auch wenn sich beide Identitäten teilweise gegenseitig<br />

wahrnehmen – die Amn<strong>es</strong>ie, „[e]ine Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu<br />

erinnern, die zu umfassend ist, um durch gewöhnliche Verg<strong>es</strong>slichkeit erklärt zu werden“ (Fiedler<br />

186). Di<strong>es</strong><strong>es</strong> Verg<strong>es</strong>sen – hier innerhalb d<strong>es</strong> Wahns und genauer definiert als „Erinnerungslücken<br />

[...] bezüglich d<strong>es</strong> Fühlens und Denkens der anderen Persönlichkeiten“ (Fiedler 179) – nimmt in der<br />

22 Nimmt man wiederum an, die Teilidentität habe Einsicht in die Gedanken der Primäridentität, lässt sich das Wissen,<br />

was denn g<strong>es</strong>pielt werde, leicht klären: Immerhin b<strong>es</strong>aß der theaterversierte Erzähler <strong>eine</strong> Eintrittskarte, auf der <strong>eine</strong><br />

Titelnennung d<strong>es</strong> Stück<strong>es</strong> angenommen werden darf. Doch darüber hinaus kommt der Entscheidung für die Komödie<br />

<strong>eine</strong> weitere Bedeutung zu, wie eingangs schon angedeutet wurde und noch zu sehen sein wird.

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