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Thomas Bernhards pathologische Groteske Ist es eine Komoedie

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grauenerregenden Inhalts; in der Übertreibung, die zugleich komisch wie hilfos, da selbstlaufendausweglos<br />

erscheint; die Invektive als Lustigmachen und gleichzeitig<strong>es</strong> Schockieren (d<strong>es</strong><br />

Betroffenen); in der lächerlichen G<strong>es</strong>talt d<strong>es</strong> grausamen Frauenmörders; im lächerlichen<br />

Umherlaufen, das aber auch tragisch-hilfos und wie jen<strong>es</strong> Eing<strong>es</strong>perrter wirkt; schließlich im<br />

munteren Zerreiben <strong>eine</strong>r Theaterkarte, ohne wirklich vom Theater loszukommen: die Studie will<br />

g<strong>es</strong>chrieben werden, der Frauenmörder ind<strong>es</strong> lässt sich über kaum ein ander<strong>es</strong> Thema aus. So<br />

g<strong>es</strong>ehen kann die g<strong>es</strong>amte Erzählung zurecht als Muster für das <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong> gelten.<br />

„Die G<strong>es</strong>taltungen d<strong>es</strong> <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong>n sind [aber auch] ein Spiel mit dem Absurden“ (Kayser 202), das<br />

sich „im Zwi<strong>es</strong>palt zwischen menschlicher Erwartung und dem, was sich ihr widersetzt“ (Pietzcker<br />

89) manif<strong>es</strong>tiert. Dabei ist das <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong> <strong>eine</strong> Technik, dem Absurden zum Ausdruck zu verhelfen –<br />

auch über Ausdruck von Ekel, ist das Absurde doch das „oft von Ekel begleitete Gefühl der<br />

Bezugslosigkeit, der Entfremdung und der Isolation in <strong>eine</strong>m Raum der absoluten Sinnleere“<br />

(Norbert Lennartz). Auch der Erzähler in <strong>Ist</strong> <strong>es</strong> <strong>eine</strong> Komödie? <strong>Ist</strong> <strong>es</strong> <strong>eine</strong> Tragödie? ekelt sich: „Er<br />

ging sehr rasch, <strong>es</strong> war mir fast unerträglich, ihm dabei zuzuschauen, der Gedanke, daß der Mann<br />

Frauenhalbschuhe anhat, verursachte mir Übelkeit“ (38f.). Doch während das <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong> – wie in der<br />

anarchischen Gebärde schon zu sehen war – <strong>eine</strong>n b<strong>es</strong>timmten (konventionalisierten) Sinn angreift,<br />

behauptet das Absurde Sinnlosigkeit. Die kommt insb<strong>es</strong>ondere in drei Momenten der Erzählung zur<br />

Geltung: Zum Umgang mit s<strong>eine</strong>r vollendeten Studie bemerkt der Erzähler erstens – hier schon ein<br />

wenig verrückt wirkend –: „<strong>Ist</strong> sie fertig, verbrennst du sie, weil <strong>es</strong> sinnlos ist, sie zu<br />

veröffentlichen, du li<strong>es</strong>t sie durch und verbrennst sie. Veröffentlichung ist lächerlich, verfehlter<br />

Zweck!“ (36). 16 Wobei hier mit den Adjektiven „sinnlos“ und „lächerlich“ für di<strong>es</strong>e Untersuchung<br />

w<strong>es</strong>entliche autopoetologische Äußerungen gefallen sind; aus der Abfolge von sinnlos zu lächerlich<br />

ergibt sich auch der Weg d<strong>es</strong> Absurden hin zum <strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong>n, wie – zweitens – auch bei der Frage d<strong>es</strong><br />

Frauenmörders nach der Uhrzeit zu sehen ist. Di<strong>es</strong>e Frage entpuppt sich als „Trick“ (40), heißt <strong>es</strong><br />

später: „‚Übrigens’, sagte der Mann, ‚habe ich, das ist die Wahrheit, m<strong>eine</strong> Uhr nicht verloren, ich<br />

verliere m<strong>eine</strong> Uhr nicht. Hier, sehen Sie, ist m<strong>eine</strong> Uhr’, sagte er und hielt mir sein Handgelenk<br />

vors G<strong>es</strong>icht, so daß ich s<strong>eine</strong> Uhr sehen konnte“ (40). Damit erweist sich die Zeitfrage zunächst als<br />

absurd, das ist völlig sinnlos 17 ; auf <strong>eine</strong>r anderen Ebene allerdings erscheint sie grot<strong>es</strong>k und damit<br />

mit <strong>eine</strong>m anderen Sinn versehen als erwartet: Die Frage erst ermöglicht den Spaziergang und<br />

16 Doch ist di<strong>es</strong> ein bei Bernhard oft artikulierter Gedanke und zugleich Ausdruck <strong>eine</strong>r Sprachskepis: „Schriften sind<br />

zu vernichtende Schriften“ (Bernhard Ortler 172), denn „nicht der Verstand ist <strong>es</strong> [...], den man zu Papier bringt, die<br />

Lächerlichkeit [!] ist <strong>es</strong>, die Unfähigkeit, die Niedertracht“ (Bernhard Watten 66). Und so schlägt der Arzt in Watten<br />

denselben Weg ein: „Di<strong>es</strong>er Gedanke, was mit all di<strong>es</strong>en Papieren zu g<strong>es</strong>chehen hat, denke ich, während ich aufwache.<br />

[...].Verbrennen“ (Bernhard Watten 66).<br />

17 Oder auch als nichtig; nimmt man hier Jean Pauls F<strong>es</strong>tstellung hinzu, „das Lächerliche b<strong>es</strong>teht in der plötzlichen<br />

Auflösung der Erwartung von etwas Ernsten in ein lächerlich<strong>es</strong> Nichts“ (Paul 102), so läßt sich im Übrigen noch einmal<br />

– anhand der Enttäuschung <strong>eine</strong>r Erwartung! – die Brücke schlagen vom Absurden hin zum Lächerlich-<strong>Grot<strong>es</strong>ke</strong>n.

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