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Amtsblatt - Mittweida

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<strong>Mittweida</strong>er Stadtnachrichten Seite 20 08. August 2012<br />

Heimat- und Geschichtsverein<br />

Da hat vor hundert Jahren noch keiner d´ran gedacht<br />

Dass 80 Jahre später das Königliche Amtsgericht<br />

am alten Rathausplatz wieder zum neuen<br />

Rathaus ausgebaut würde, dass von einer Firma<br />

„Telecom“ die ganze Stadt ungegraben werden<br />

könnte, um neue Fernsprechanschlüsse zu<br />

schaffen und dass die „Bundespost“ hundert<br />

Jahre später wiederholt wegen mangelnder<br />

Dienstleistungen in die Kritik geraten würde.<br />

Damals, anno 1912, verlieh seine Majestät der<br />

König dem Oberamtsrichter Bauer, Vorstand<br />

des Amtsgerichtes, den Rang „Oberjustizrat“.<br />

Vom 15. Juli bis 15. September herrschten<br />

Gerichtsferien, und es wurden nur „Feriensachen“<br />

behandelt. Davon können die heutigen<br />

Ganoven nur träumen.<br />

Doch entschieden wurden immer noch geringere<br />

Straf-, Arrest-, Meß-, Markt- und Wechselsachen,<br />

Miet- und Baustreitigkeiten. Und der<br />

Gerichtsvollstrecker versteigerte noch unwiderruflich<br />

unter anderen sieben Grammaphone, 194<br />

Edisonwalzen, drei Nähmaschinen und fünf<br />

Wringmaschinen. Hätte er doch nur bis 2012<br />

damit gewartet!<br />

Auch 60 Flaschen Wein wurden versteigert.<br />

Ein Spitzbube aus Hohenstein-Ernstthal verübte<br />

im <strong>Mittweida</strong>er Stadtbad mehrere Einbrüche und<br />

konnte ermittelt werden. Jahre zuvor saß schon<br />

einmal ein ertappter Spitzbube aus Ernstthal bei<br />

uns ein, er hieß Karl May.<br />

Vom Schwanenteich weg wurden 22 junge<br />

Enten gestohlen. Wiederholter Missbrauch der<br />

Feueralarm-Anlage ist zu verzeichnen.<br />

Dafür drohte ebenfalls Gefängnisstrafe. Den<br />

Tätern bescheinigte man „eine große Portion<br />

Rohheit und niedrige Gesinnung“.<br />

In <strong>Mittweida</strong> bestand auch zusätzlich eine freiwillige<br />

Schutzmannschaft. Gewählter Oberanführer<br />

war der Steinbildhauer Böttger und sein<br />

Stellvertreter der Gerbereibesitzer Zschocke.<br />

Eine solche Truppe gibt es 2012 (leider) nicht<br />

mehr.<br />

Vom August 1912 bis Ende März 1913 wurde am<br />

<strong>Mittweida</strong>er Fernsprechnetz gebaut.<br />

Einige Monate vorher angemeldete neue<br />

Anschlüsse erhielten vorrangig Geschäftsleute.<br />

Die Spar- und Kreditbank besaß den Anschluß<br />

Nr. 23, die Buchdruckerei Billig Nr. 39, der Pferdehändler<br />

Römer in Altmittweida Nr. 60. Die<br />

dortige Gaststätte „Reichskrone“ eröffnete mit<br />

Nr. 100 die Reihe der dreistelligen Nummern. In<br />

Chemnitz gab es bereits vierstellige.<br />

Die Ehefrau eines höheren Chemnitzer Beamten<br />

musste 80 Mark Strafe zahlen, da sie wegen<br />

langem Warten einer Fernsprechgehilfin „Frechheit“<br />

vorgeworfen hatte. Ihre Berufung gegen<br />

das Urteil wurde verworfen.<br />

In unserer Tageszeitung stand: „An jedem Telefongespräch<br />

sind drei Nervenbündel beteiligt:<br />

der Rufer, die Telephonistin und der Angerufene“.<br />

Durch die Wahrung der Selbstbeherrschung<br />

würde gewissermaßen ein Akt der Nächstenliebe<br />

ausgeübt. Diese wird wohl auch noch heute<br />

benötigt.<br />

Damals im Jahr 1912 kritisierten viele <strong>Mittweida</strong>er<br />

eine mangelhafte Zustellung der Briefpost aus<br />

Berlin. Die zwischen 20 und 22 Uhr in Berlin<br />

abgefertigte Post erreichte den Empfänger in<br />

<strong>Mittweida</strong> wiederholt erst am nächsten Tag nach<br />

10 Uhr.<br />

Das hätte jedoch schon morgens mit der ersten<br />

Austragung erfolgen müssen. Die <strong>Mittweida</strong>er<br />

Post kam von Berlin über Leipzig, Werdau,<br />

Zwickau, Chemnitz mit dem Riesaer Zug hier an.<br />

Oftmals blieb der für <strong>Mittweida</strong> bestimmte Postsack<br />

in Chemnitz liegen. 13 bis 14 Stunden<br />

Dauer für die Post von Berlin nach <strong>Mittweida</strong><br />

wurden als ein Zustand bezeichnet, der dem<br />

damaligen Verkehr keineswegs entspräche,<br />

Doch das <strong>Mittweida</strong>er Postamt trug daran keine<br />

Schuld.<br />

Wie gut, dass 2012 alles viel besser geworden<br />

ist, wenn auch mit dem Wegfall der meisten<br />

Briefkästen, Wegnahme der Zweigpostämter<br />

und durch Schließungen gestörte Öffnungszeiten<br />

des Hauptpostamtes. In den USA gab es<br />

1912 bereits seit langem das Brieftelegramm, in<br />

Deutschland noch nicht.<br />

Der Postscheckverkehr dagegen war schon<br />

ausgedehnt. Das Gesamtguthaben der etwa<br />

68500 Kontoinhaber betrug im Sommer 1912<br />

etwa 140 Millionen Mark.<br />

Noch weitere Vergleiche jener Zeit vor hundert<br />

Jahren mit der heutigen sind für jedermann<br />

möglich und erlaubt.<br />

Horst Kühnert (Heimat- und Geschichtsverein<br />

<strong>Mittweida</strong>)<br />

Quellennachweis:<br />

Jahrgang 1912<br />

„<strong>Mittweida</strong>er Tageblatt“,<br />

<strong>Mittweida</strong> im Internet:<br />

www.mittweida.de<br />

C<br />

M<br />

Y<br />

K

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