IFFOnZeit Nr.1, 2009

IFFOnZeit Nr.1, 2009 IFFOnZeit Nr.1, 2009

06.11.2013 Aufrufe

Mechthild Oechsle-Grauvogel Vereinbarkeit von Beruf und Familie prägt: der Mann als Macher und Entscheider, stark, zielstrebig erfolgreich, nach Macht und Ansehen strebend“ (BMFSFJ 2007: 27, Zitat gekürzt). Es sind aber nicht nur gesellschaftliche Erwartungen und die Ansprüche einer jüngeren Frauengeneration an eine partnerschaftliche Arbeitsteilung, die die Einstellungen und Lebensentwürfe der jüngeren Männergeneration prägen. Viele Studien belegen Wünsche nach aktiverer Vaterschaft, die sich aber nur bedingt in Verhalten umsetzen. Noch immer sind männliche Lebensläufe primär durch Erwerbsarbeit strukturiert, berufliches Engagement von Männern nimmt mit der Familiengründung eher zu, der Modus der Erwerbsbeteilung von Vätern ändert sich kaum. Veränderungen im Geschlechterverhältnis und im Bereich privater Lebensführung sind jedoch nur ein, wenn auch zentraler Faktor, der die bisherige Organisation von Familie als dysfunktional erscheinen lässt und die Frage der Vereinbarkeit für Frauen und zunehmend auch für Männer neu aufwirft. Auch von der Seite des Arbeitsmarktes geraten die bisherigen Muster von Vereinbarkeit unter Druck. 2.3. Strukturwandel von Arbeit: Deregulierung, Entgrenzung und Subjektivierung von Arbeit Die Deregulierung von Beschäftigungsverhältnissen (Erosion des Normalarbeitsverhältnisses) führt zusammen mit Strukturverschiebungen zugunsten des tertiären Sektors zu einer Labilisierung der männlichen Ernährerposition. Die Integration in den Arbeitsmarkt ist für beide Geschlechter langwieriger und unsicherer geworden und zwei Verdiener sichern heute eine Familie sehr viel besser als einer. Strukturveränderungen in der Organisation von Arbeit führen zu einer weitgehenden Entgrenzung von Arbeit – in räumlichen, zeitlichen, sozialen und qualifikatorischen Dimensionen: Flexible und häufig auch längere Arbeitszeiten, die ständige Erreichbarkeit durch die neuen Kommunikationstechnologien, wechselnde Arbeitsorte, projektförmiges Arbeiten und die Notwendigkeit lebenslangen Lernens lösen die bisherigen räumlichen und zeitlichen Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben auf. Die Lebensbereiche überlappen sich mehr als früher, die Anforderungen und Belastungen steigen in beiden Bereichen und die Balance von Arbeit und Leben wird zu einer Anforderung für immer mehr Beschäftigte. Die Organisation der Erwerbsarbeit setzt auf flachere Hierarchien, auf die Selbstorganisation von Arbeitsabläufen und die Selbstverantwortung der Beschäftigten; ihre Subjektivität, Kreativität, Selbständigkeit und Motivation wird zu einem wichtigen Produktivitätsfaktor. Subjektivierung von Arbeit ist hier das Stichwort. Berufliche Arbeit wird damit für viele Beschäftigte interessanter und herausfordernder, sie bietet Spielräume für Selbstverwirklichung, fordert aber auch mehr an Zeit, Energie, Commitment. Eine ergebnisorientierte Leistungsbewertung in vielen Bereichen führt zu einem Verlust standardisierter Kriterien der Leistungserbringung und gerade in anspruchsvollen und komplexen Arbeitssituationen zu einem „Arbeiten ohne Ende“. 42 % aller Beschäftigten stehen praktisch immer oder häufig unter Zeit- und Leistungsdruck und für 42 % aller Beschäftigten ist das Verhältnis von Beruf und privatem Leben nicht oder nur in geringem Maße ausgewogen. Dieser Wandel in der Arbeitswelt führt dazu, dass es für viele Beschäftigte schwieriger wird, zu einer tragfähigen Balance zwischen Erwerbsarbeit und privater Lebensführung zu kommen – dies gilt nicht mehr nur für Frauen, sondern zunehmend auch für Männer. Und die Kosten einer misslungenen Balance schlagen nicht nur auf der Seite 1. Jg., Nr. 1, 2009 46

Mechthild Oechsle-Grauvogel Vereinbarkeit von Beruf und Familie der privaten Lebensführung zu Buche, sondern sie werden zunehmend auch zu einem Kostenfaktor für private und öffentliche Arbeitgeber – Fehltage, krankheitsbedingte Ausfälle, Verlust an Produktivkraft durch innere Kündigungen etc. 2.4. Demographischer Wandel “Kinder kriegen die Leute sowieso…“ (Konrad Adenauer 1957) Diese Selbstverständlichkeit, auf die die Familienpolitik in den 1960er Jahren noch setzen konnte, ist dahin. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen und in einem individuellen Nutzenkalkül wägen Frauen und Männer Kosten und Risiken einer Familiengründung ab und die individuell getroffenen Entscheidungen summieren sich in der Folge zu einem gravierenden gesellschaftlichen Problem – dem demographischen Wandel. Es ist sicher nicht übertrieben, wenn man das demographische Argument, vor allem den Rückgang der Geburtenrate, als wesentliche Schubkraft für die Resonanz des Familienthemas betrachtet. Politisch wie in den Unternehmen birgt der demographische Wandel eine erhebliche Brisanz und führt dazu, dass nicht nur in der Politik, sondern auch in den Unternehmen sich ein Bewusstseinswandel vollzieht. Von besonderer Bedeutung ist der Zusammenhang zwischen Geburtenrate und Frauenerwerbsquote. International vergleichende Forschung hat gezeigt, dass die Geburtenrate in Ländern mit hoher Frauenerwerbstätigkeit und ausgebauten Angeboten zur Kinderbetreuung am höchsten ist, während Länder mit niedrigerer Frauenerwerbstätigkeit und einer stark auf die Familie zugeschnittenen Kinderbetreuungsstruktur die niedrigsten Geburtenraten aufweisen (Eichhorst/Thode 2004). Wir müssen also umdenken: Familie, der private Lebensbereich ist nicht gefährdet durch die Erwerbstätigkeit der Mütter, sondern die Erwerbstätigkeit der Mütter zwingt zur Reorganisation des Institutionengeflechts rund um die Familie (Krüger 2008). Länder wie Schweden und Frankreich, die Familie und Erwerbsarbeit neu miteinander verzahnt haben und Vereinbarkeit durch Infrastruktur, Transferleistungen und Zeitpolitik besser ermöglichen, haben deutlich höhere Geburtenraten als Deutschland. Zwar ist der Rückgang der Geburtenrate in allen europäischen Staaten seit Mitte des letzten Jahrhunderts zu beobachten, er wird aber deutlich modifiziert durch die länderspezifische Ausgestaltung von Familienpolitik, die im europäische Vergleich recht unterschiedliche Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie setzt. Nicht nur für die Familienpolitik, auch in den Unternehmen führt der demographische Wandel zu einem Umdenken. Schon jetzt ist ein Mangel an qualifizierten Fachund Führungskräften absehbar und qualifizierte Frauen sind hier ein wichtiges Potential an Humankapital, das es verstärkt zu nutzen gilt. Kürzere Unterbrechungszeiten durch Elternzeit sind deshalb im Interesse von Unternehmen. Wie Arbeitgeberrankings zeigen, spielt Familienfreundlichkeit ein zunehmend wichtiges Motiv bei der Arbeitgeberwahl und entsprechende Angebote von Unternehmensseite können ein Wettbewerbsvorteil bei Mitarbeiterrekrutierung und -bindung sein. 2.5. Familie und ihre Leistungen: Produktion von Humanvermögen und alltägliche Herstellungsleistung Das demographische Argument ist sicher wichtig, aber es reduziert das Problem auf die Dimension der rein quantitativen Nachwuchssicherung. Wir müssen unsere Analyse um eine qualitative Perspektive ergänzen und uns fragen, was die beschriebenen Veränderungen für Familie und ihre Leistungsfähigkeit bedeuten. Es geht also um die quali- 1. Jg., Nr. 1, 2009 47

Mechthild Oechsle-Grauvogel<br />

Vereinbarkeit von Beruf und Familie<br />

prägt: der Mann als Macher und Entscheider, stark, zielstrebig erfolgreich, nach Macht und<br />

Ansehen strebend“ (BMFSFJ 2007: 27, Zitat gekürzt).<br />

Es sind aber nicht nur gesellschaftliche Erwartungen und die Ansprüche einer<br />

jüngeren Frauengeneration an eine partnerschaftliche Arbeitsteilung, die die Einstellungen<br />

und Lebensentwürfe der jüngeren Männergeneration prägen. Viele Studien belegen<br />

Wünsche nach aktiverer Vaterschaft, die sich aber nur bedingt in Verhalten umsetzen.<br />

Noch immer sind männliche Lebensläufe primär durch Erwerbsarbeit strukturiert, berufliches<br />

Engagement von Männern nimmt mit der Familiengründung eher zu, der Modus<br />

der Erwerbsbeteilung von Vätern ändert sich kaum.<br />

Veränderungen im Geschlechterverhältnis und im Bereich privater Lebensführung<br />

sind jedoch nur ein, wenn auch zentraler Faktor, der die bisherige Organisation von<br />

Familie als dysfunktional erscheinen lässt und die Frage der Vereinbarkeit für Frauen und<br />

zunehmend auch für Männer neu aufwirft. Auch von der Seite des Arbeitsmarktes geraten<br />

die bisherigen Muster von Vereinbarkeit unter Druck.<br />

2.3. Strukturwandel von Arbeit: Deregulierung, Entgrenzung und Subjektivierung<br />

von Arbeit<br />

Die Deregulierung von Beschäftigungsverhältnissen (Erosion des Normalarbeitsverhältnisses)<br />

führt zusammen mit Strukturverschiebungen zugunsten des tertiären Sektors<br />

zu einer Labilisierung der männlichen Ernährerposition. Die Integration in den Arbeitsmarkt<br />

ist für beide Geschlechter langwieriger und unsicherer geworden und zwei Verdiener<br />

sichern heute eine Familie sehr viel besser als einer.<br />

Strukturveränderungen in der Organisation von Arbeit führen zu einer weitgehenden<br />

Entgrenzung von Arbeit – in räumlichen, zeitlichen, sozialen und qualifikatorischen<br />

Dimensionen: Flexible und häufig auch längere Arbeitszeiten, die ständige Erreichbarkeit<br />

durch die neuen Kommunikationstechnologien, wechselnde Arbeitsorte, projektförmiges<br />

Arbeiten und die Notwendigkeit lebenslangen Lernens lösen die bisherigen räumlichen<br />

und zeitlichen Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben auf. Die Lebensbereiche überlappen<br />

sich mehr als früher, die Anforderungen und Belastungen steigen in beiden Bereichen<br />

und die Balance von Arbeit und Leben wird zu einer Anforderung für immer mehr<br />

Beschäftigte.<br />

Die Organisation der Erwerbsarbeit setzt auf flachere Hierarchien, auf die Selbstorganisation<br />

von Arbeitsabläufen und die Selbstverantwortung der Beschäftigten; ihre<br />

Subjektivität, Kreativität, Selbständigkeit und Motivation wird zu einem wichtigen Produktivitätsfaktor.<br />

Subjektivierung von Arbeit ist hier das Stichwort. Berufliche Arbeit wird<br />

damit für viele Beschäftigte interessanter und herausfordernder, sie bietet Spielräume für<br />

Selbstverwirklichung, fordert aber auch mehr an Zeit, Energie, Commitment. Eine ergebnisorientierte<br />

Leistungsbewertung in vielen Bereichen führt zu einem Verlust standardisierter<br />

Kriterien der Leistungserbringung und gerade in anspruchsvollen und komplexen<br />

Arbeitssituationen zu einem „Arbeiten ohne Ende“. 42 % aller Beschäftigten stehen praktisch<br />

immer oder häufig unter Zeit- und Leistungsdruck und für 42 % aller Beschäftigten<br />

ist das Verhältnis von Beruf und privatem Leben nicht oder nur in geringem Maße<br />

ausgewogen.<br />

Dieser Wandel in der Arbeitswelt führt dazu, dass es für viele Beschäftigte schwieriger<br />

wird, zu einer tragfähigen Balance zwischen Erwerbsarbeit und privater Lebensführung<br />

zu kommen – dies gilt nicht mehr nur für Frauen, sondern zunehmend auch für<br />

Männer. Und die Kosten einer misslungenen Balance schlagen nicht nur auf der Seite<br />

1. Jg., Nr. 1, <strong>2009</strong><br />

46

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!