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Abschlussbericht - Praxislabor - Technische Universität Darmstadt

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„Die Redensarten über die verschiedenen Nationen kennt doch jeder: Polen klauen Autos, Italiener kommen<br />

zu spät etc.“ - „Hinter jedem Spruch steckt ein Körnchen Wahrheit!“<br />

Natürlich kann man aus Allem einen Scherz machen, vielleicht auch um anfängliche Distanzen zwischen<br />

Schülerinnen und Schülern und Lehrerinnen und Lehrern zu überwinden. Jedoch muss jeder<br />

stark darauf achten, wie er es sagt, welche Empfindungen, Gedanken und Gründe er dafür hat, genau<br />

diesen „Scherz“ auszusprechen. Viel wichtiger als der Witz ist es, zu bedenken, wie der Angesprochene<br />

das Gesagte aufnehmen wird: wird er sich beleidigt oder gar provoziert fühlen? Es geht beim Thema<br />

Rassismus nicht nur darum, wie etwas gemeint ist, sondern in erster Linie darum wie es sich beim<br />

Empfänger anfühlt. Das wird meist nicht rückgemeldet in rassistischen Scherzen. So offen sollte die<br />

Atmosphäre aber sein, dass es möglich wird, auch offensichtlich unbeabsichtigte Kränkungen zu thematisieren.<br />

Es geht dabei gar nicht darum, ob diese Aussagen konkret tatsächlich etwas Richtiges beinhalten. Nur<br />

weil jemand einer bestimmten Nation angehört, heißt nicht, dass er auch diese Klischees erfüllt. Kein<br />

Mensch, egal welche Staatsangehörigkeit er besitzt, darf mit diesen Vorurteilen behaftet werden. Die<br />

Äußerung zeigt nach unserer Ansicht deutlich, dass Menschen offenbar leicht versucht sind, vom Einzelfall<br />

abzusehen um ihre Identität zu sichern indem sie sich abgrenzt von „denen da“.<br />

Deshalb ist es z.B. wichtig, dass Lehrkräfte beim Durchgehen der Klassenliste die Schülerinnen und<br />

Schüler nicht anhand ihrer ausländischen Namen oder ihres Herkunftslandes beurteilen und ihnen<br />

nicht gewisse Eigenschaften bereits vor dem ersten Kontakt mit der Klasse auferlegen. Sie sind hier<br />

auch Vorbilder. Die Lebensgeschichte eines jeden Einzelnen ernst zu nehmen ist nützlich für das gegenseitige<br />

Verstehen. Manchmal mag auch Wissen über „die Kultur“ der anderen nützlich sein um bestimmte<br />

Haltungen zu verstehen. Sie sollten aber immer individuell nachgefragt werden.<br />

Wie oben ausführlich diskutiert, liegt unserer Ansicht nach ein großes Problem darin, dass die äußerst<br />

wichtige Identität jedes Menschen besonders dann ein Gefühl der Entscheidungssicherheit bietet, wenn<br />

sie unhinterfragt als „natürlich“ und selbstverständlich erscheint. Jedes Vergleichen und Relativieren<br />

der eigenen Standpunkte irritiert daher viele Menschen zunächst und verringert die Sicherheit des eigenen<br />

Selbstgefühls. Der Austausch über zentrale Wertvorstellungen muss also in einer so vertrauensvollen<br />

Atmosphäre ablaufen, dass nicht nur fremde Ansichten, sondern auch die eigenen vorsichtig in<br />

Frage gestellt werden können.<br />

Sonst wird aus dem „Mainstream der Toleranz“, in dem jeder seine „Kultur“ ruhig behalten soll schnell<br />

ein Einsperren in eine bestimmte unveränderbare Verhaltensweise und gerade das Gegenteil von Toleranz.<br />

Wenn „der Marokkaner“ im Politikunterricht zu einer bestimmten Frage Stellung nehmen soll und bereits<br />

so angesprochen wird, dann kann er sich kaum noch kritisch zu „seinem“ Land äußern, besonders<br />

dann nicht, wenn sie ihm als Identifikationsgrundlage dienen soll. Die kritische Sicht auf die eigene<br />

Kultur und die aktuelle Lage, in der er sich befindet muss aber Jedem zugestanden, ja sollte sogar gefördert<br />

werden. Zwischen den Stühlen zu sitzen ist für Jugendliche Migranten sicher oft ein unbequemer<br />

Platz aber auch ein durchaus vertrauter. Es sei hier daran erinnert, was Moritz Heimann 78 schrieb:<br />

„Zwischen den Stühlen zu sitzen ist in Wahrheit der anständigste Platz, den es gibt.“<br />

78<br />

19.07. 1868 – 22.9.1925, jüdischstämmiger Schriftsteller, und beliebter Essayist und einflussreicher Lektor des Berliner S. Fischer – Verlags<br />

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