Abschlussbericht - Praxislabor - Technische Universität Darmstadt
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en also schon deshalb als überwunden anzusehen, weil wir nun in einer „vernünftigen“ und säkularen<br />
Welt leben. Gerade diese Assoziation erscheint uns als gefährlich. Rassismus kann, wie bereits im ersten<br />
Kapitel ausführlich beschrieben, geradezu als eine „Ausgeburt der Vernunft“ verstanden werden; er<br />
lässt sich geschichtlich von der Zeit der Aufklärung nicht trennen. Der Bedarf für rassistisches Wissen<br />
kam historisch erst mit der Frage auf, wie man seine Kolonialpolitik legitimieren könnte. Und die vernünftigen<br />
Naturwissenschaften mussten von Anfang an dazu herhalten, die Trennung nach wertvolleren<br />
und weniger wertvollen Menschen vorzunehmen. 62 So gesehen kann man Rassismus schlecht in<br />
eine vorwissenschaftliche Zeit zurückverlagern.<br />
Eine Variante solch einer Denkweise ist: Rassismus sei heute deshalb keine Gefahr mehr, da er sich als<br />
naturwissenschaftlich falsch erwiesen habe. In dieser Argumentation waren nicht die Nationalsozialisten<br />
die ersten Rassisten, sondern all jene, die vor der Zeit der Entdeckung der Evolutionstheorie lebten.<br />
Bevor der Mensch von Darwin von seinem hohen Sockel geholt wurde und in die Reihe mit den<br />
Affen gestellt wurde, sei er danach noch eingebildet gewesen und hätte sich selbst als Krönung und<br />
Herr der Schöpfung angesehen. Das habe dann wohl auch zu der falschen Vorstellung geführt, es gäbe<br />
besonders hervorstechende Völker (ersichtlich an der Hautfarbe), die natürlicherweise die anderen beherrschen<br />
sollten. Heute aber würde der Mensch naturwissenschaftlich nicht mehr prinzipiell anders<br />
als ein etwas ungewöhnliches Tier betrachtet. Da er biologisch in ein natürliches System eingeordnet<br />
sei, gäbe es nach dieser Denkweise auch das Problem des Rassismus der Menschen untereinander nur<br />
noch in den Köpfen von Unwissenden und Verwirrten.<br />
Es trifft zu, dass die Anwendung des Darwinismus auf die Selektionseinheit „Nation“ oder „Volk“ weder<br />
von Darwin beabsichtigt noch logisch zulässig ist. Es gibt jedoch triftige Gründe anzunehmen, dass<br />
die Biologie keine große Kraft hat, ihrer Instrumentalisierung zu machtpolitischen Zwecken zu widerstehen.<br />
Man sehe sich nur ein Biologieschulbuch von 1940 an. Gerade die Schulbiologie wurde zur Zeit<br />
des „dritten Reiches“ als Kernfach gestärkt und zur Indoktrinierung verwendet. Da gab es offenbar<br />
kaum einen Lehrer, dem die offensichtlichen Fehler in der Argumentation aufgefallen wären. Ihre naturwissenschaftliche<br />
Ausbildung nützte diesen Lehrkräften also wenig.<br />
Biologie dient auch heute der Verbreitung eines bestimmten aktuell politisch erwünschten „Weltbildes“.<br />
63 Auch heute würde bei entsprechendem „Bedarf“ die Naturwissenschaft Biologie wieder „Argumente“<br />
für den Rassismus finden. Einige Genetiker stehen unserer Ansicht nach schon in den Startlöchern<br />
64 . So ist in der kritischen Rezension eines amerikanischen Fachbuchs von 2004 mit dem bezeichnenden<br />
Titel „Rasse: die Realität menschlicher Differenzen“ das Problem treffend formuliert:<br />
„(…) the authors do not conceptually differentiate between the idea of race and the materiality of human<br />
biological variation.(…) Here then is a scary thought. If (the author) does not get the difference (…) maybe<br />
the majority of nonexperts also do not get the difference.“ 65<br />
Es wäre also gut daran getan, diesen Unterschied im Unterricht klar herauszuarbeiten.<br />
62<br />
63<br />
64<br />
65<br />
Vgl, z.B. Immanuel Kant: Von den verschiedenen Racen der Menschen, 1775, S.440<br />
online unter http://www.ikp.uni-bonn.de/kant/aa02/Inhalt2.html<br />
z.B: Propagieren von Verhütungsmitteln und Serienimpfung.<br />
Zur Übersicht über die aktuellen Denkweisen in der Genetik siehe z.B.: Müller-Will, S. und Rheinberger, H.-J. Races and Genomics. Old<br />
Wine in New Bottles? NTM Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 16 (2008) 363 -386<br />
(„…Die Autoren unterscheiden nicht konzeptionell zwischen der Idee der Rasse und der Materialität menschlicher biologischer Variationen.<br />
(…) Hier kommt nun ein beängstigender Gedanke auf. Wenn (der Autor) den Unterschied nicht versteht (…), dann versteht vielleicht<br />
auch die Mehrheit der Nichtexperten den Unterschied nicht.“)<br />
Goodman A., Review des Buches: Race:The Reality of Human Difference, by V. Sarich and F. Miele, in: American Journal of Physical<br />
Anthropology 128: 914-917 (2005)<br />
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