Abschlussbericht - Praxislabor - Technische Universität Darmstadt

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kombinationen leicht abgewandelt und auch offen gehandhabt wurde, wenn andere interessante Themen auftauchten. Es lässt sich schwer abschätzen, inwiefern die Äußerungen der Lehrkräfte, die im Interview auf Band mitgeschnitten wurden (bzw. schriftlich eingereicht wurden), völlig unverstellt die Meinungen wiedergeben können, die diese auch in Unterrichtssituationen vertreten. Es ist anzunehmen, dass gewisse Themen nicht gern angeschnitten werden bzw. einige Formen der Argumentation in diesen Situationen nicht offen geäußert werden können oder wollen. So vermutete eine Lehrkraft, dass die Schulleitung in gewisser Hinsicht wohl nicht so reden könne wie sie selbst. Wir haben versucht, Aussagen, die vorwiegend deshalb gemacht wurden, weil die Interviewer sie zu hören wünschen, zu erkennen und zu hinterfragen. Die von uns interviewten Lehrkräfte erscheinen uns allerdings in dieser Hinsicht wenig kompliziert. Entweder schienen sie gewohnt, diese Themen zu besprechen und hatten sich damit offenbar schon öfter beschäftigt oder aber sie äußerten, dass sie sich zu gewissen Themen nicht kompetent fühlten und verhielten sich dann entsprechend vorsichtig. Bei für uns undeutlichen Äußerungen haben wir nachgefragt und so die Gelegenheit zur Klärung gegeben. 3. Ergebnisse der Interviews und Befragungen 3.1 Psychologische Hintergründe rassistischen Verhaltens Die Psychologie des Rassismus und die Argumentationsfiguren dazu haben viele Facetten. Wir können sie nicht alle aufzählen. Sie sind an anderer Stelle ausführlich nachzulesen. Beispielhaft sei hier das Buch „Rassismus“ von Wolf D. Hund empfohlen. 52 Eine ausführliche Zusammenfassung der Literatur findet sich bei Karin Scherschel. 53 Die von uns befragten Lehrkräfte kannten und benannten einige solcher rassistischen Argumente. Es gehört dazu die beliebte Überlegung zum Sündenbock wie auch die der politischen Manipulation der Massen. Anstatt hier genauer auf die Hintergründe solcher allgemeiner Theorien einzugehen, widmen wir den Raum einem psychologisch- pädagogischen Thema, das uns gerade für den Umgang mit Jugendlichen besonders interessant erscheint. 3.1.1 Das Subjekt. Überlegungen zur Identitätsbildung in der Schule In der Schule steht unserer Ansicht nach ein bestimmter Vorgang im Mittelpunkt, den es lohnt, genauer zu beachten. Es ist dies der noch immer schlecht empirisch fassbare Vorgang der Bildung einer eigenen Identität im Jugendalter: die Herausbildung einer eigenen Persönlichkeit. Diese Entwicklung ist im Grunde zentral während der gesamten Schulzeit: die Bildung einer Persönlichkeit und Identität seines Selbst. Wie auch immer sie im Einzelnen und individuell verschieden abläuft, klar scheint, dass dabei die Sicht der Anderen auf die eigene Person eine zentrale Rolle spielt. Das Buch „Mörderische Identitäten“ von Amin Maalouf bringt in gut lesbarer Form die Brisanz dieses Thema zur Sprache. 54 Aus berufenem pädagogischem Mund kann man bei Klaus Mollenhauer entsprechend Kritisches dazu nachlesen. 55 Die nachfolgenden Überlegungen sind besonders inspiriert durch die Interviews und die Bücher 52 53 54 55 Wolf D. Hund: Rassismus: Die soziale Konstruktion natürlicher Ungleichheit,1999. Für genaue Literaturangaben siehe Literaturliste. Karin Scherschel: Rassismus als flexible symbolische Ressource. 2006 Amin Maalouf: Mörderische Identitäten, 2000 Klaus Mollenhauer: Vergessene Zusammenhänge: Über Kultur und Erziehung. 2003, S.155-173 24

„Identitäten“ von Rolf Eickelpasch und Claudia Radtke 56 sowie von „Identitätsformationen in Deutschland“ von Wolfgang Bergem. 57 a) Im „Mainstream der Toleranz“ Im Zusammenhang mit der Identitätsentwicklung in der Schule haben uns Lehrkräfte mitgeteilt, dass sie nicht denken, dass die Schülerinnen und Schüler ihre „wirkliche Identität" preisgeben. Das heißt hier unter anderem, dass sie nicht frei äußern, was sie über das Thema Rassismus, Ausländerfeindlichkeit etc. denken. „Die Schülerinnen und Schüler vertreten aufgeklärte, nicht - rassistische Meinungen, weil wir es von ihnen erwarten. Das ist dann sozusagen der „Mainstream der Toleranz“, der hier an der Schule herrscht.“ Andere Lehrkräfte äußerten sich ähnlich: „Es gibt sicherlich unterschwellig eine Minderheit, - die sich aber nicht äußert, weil sie hier vielleicht auch gegen den Mainstream der Toleranz, der hier an der Schule herrscht, vielleicht auch nicht die Courage hat -, die das für sich behält, was sie vielleicht wirklich denkt.“ „Diejenigen eventuell, die das sich im Einzelnen trauen zu äußern: puh, ich weiß nicht, wie die im politischen Unterricht bei uns das durchsetzen könnten, argumentativ durchsetzen könnten bei den Kolleginnen und Kollegen. Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Wie kommt man zu diesen Urteilen? Was ist das für eine Toleranz, die nicht zulässt, dass man offen ausspricht, was man denkt? Gibt es keinen Platz dafür im regulären Unterricht? Kann man seine Ängste, Bedenken und Argumente gar nicht erst vortragen, dann scheint es mit der Toleranz nicht ganz so weit her zu sein. Kulturwissenschaftler/innen gehen davon aus, dass besonders durch die Globalisierung als Verteidigungsreaktion eine Stärkung der ethnischen Identität erfolgt. So schreiben z.B. Wiesse und Joraschky: „Die nationale Identität spielt insofern eine zentrale Rolle, da ihre starke Position innerhalb des Landes die ethnische Identität stärkt und speist und zu deren Lebendigkeit und Kontinuität beiträgt. Für die Minangkabau trifft zu, was Hall (1984) als eine der unerwarteten Folgen der Globalisierung beschrieben hat, und zwar die Stärkung ethnischer Identität als Verteidigungsreaktion, in diesem Fall gegen Auflösung.“ 58 Dies gilt nicht nur für ganze Nationen oder Völkergruppen, die sich gegen Auflösung ihrer Nation stemmen, sondern auch für Minderheiten in anderen Ländern. Ob auch Schüler in irgendeiner speziellen Art diese Verteidigungsreaktion ausführen, ist uns nicht bekannt aber durchaus zu erwarten. Es gilt aber für alle nationalen Identitäten, egal ob Migrant(in) oder Deutsche(r): „>Real< ist eine Nation ausschließlich im Sinne einer mentalen Realität, d.h. im Bewusstsein ihrer Angehörigen. (…) Nationen konstruieren ein fiktives, imaginiertes >Wir< (…), das von der realen Differenz und Ungleichheit ihre Mitglieder abstrahiert.“ 59 Der Wunsch nach Homogenität ist geradezu das Ziel der mentalen Anstrengung, alles was offensichtlich ganz verschieden ist, in einen nationalen Topf zu werfen. Nur wenn alle gleich sind wirkt nämlich diese Gemeinschaft auch stabilisierend zurück auf die eigene Identität. Nur wenn ich es schaffe, von 56 57 58 59 Rolf Eickelpasch und Claudia Radtke: Identitäten, 2004 Wolfgang Bergem: Identitätsformationen in Deutschland, 2005 Wiesse und Joraschky, 2007: 157. Eickelpasch und Radtke, 2004: 68. 25

kombinationen leicht abgewandelt und auch offen gehandhabt wurde, wenn andere interessante Themen<br />

auftauchten.<br />

Es lässt sich schwer abschätzen, inwiefern die Äußerungen der Lehrkräfte, die im Interview auf Band<br />

mitgeschnitten wurden (bzw. schriftlich eingereicht wurden), völlig unverstellt die Meinungen wiedergeben<br />

können, die diese auch in Unterrichtssituationen vertreten. Es ist anzunehmen, dass gewisse<br />

Themen nicht gern angeschnitten werden bzw. einige Formen der Argumentation in diesen Situationen<br />

nicht offen geäußert werden können oder wollen. So vermutete eine Lehrkraft, dass die Schulleitung<br />

in gewisser Hinsicht wohl nicht so reden könne wie sie selbst. Wir haben versucht, Aussagen, die<br />

vorwiegend deshalb gemacht wurden, weil die Interviewer sie zu hören wünschen, zu erkennen und<br />

zu hinterfragen. Die von uns interviewten Lehrkräfte erscheinen uns allerdings in dieser Hinsicht wenig<br />

kompliziert. Entweder schienen sie gewohnt, diese Themen zu besprechen und hatten sich damit<br />

offenbar schon öfter beschäftigt oder aber sie äußerten, dass sie sich zu gewissen Themen nicht kompetent<br />

fühlten und verhielten sich dann entsprechend vorsichtig. Bei für uns undeutlichen Äußerungen<br />

haben wir nachgefragt und so die Gelegenheit zur Klärung gegeben.<br />

3. Ergebnisse der Interviews und Befragungen<br />

3.1 Psychologische Hintergründe rassistischen Verhaltens<br />

Die Psychologie des Rassismus und die Argumentationsfiguren dazu haben viele Facetten. Wir können<br />

sie nicht alle aufzählen. Sie sind an anderer Stelle ausführlich nachzulesen. Beispielhaft sei hier das<br />

Buch „Rassismus“ von Wolf D. Hund empfohlen. 52 Eine ausführliche Zusammenfassung der Literatur<br />

findet sich bei Karin Scherschel. 53<br />

Die von uns befragten Lehrkräfte kannten und benannten einige solcher rassistischen Argumente. Es<br />

gehört dazu die beliebte Überlegung zum Sündenbock wie auch die der politischen Manipulation der<br />

Massen. Anstatt hier genauer auf die Hintergründe solcher allgemeiner Theorien einzugehen, widmen<br />

wir den Raum einem psychologisch- pädagogischen Thema, das uns gerade für den Umgang mit Jugendlichen<br />

besonders interessant erscheint.<br />

3.1.1 Das Subjekt. Überlegungen zur Identitätsbildung in der Schule<br />

In der Schule steht unserer Ansicht nach ein bestimmter Vorgang im Mittelpunkt, den es lohnt, genauer<br />

zu beachten. Es ist dies der noch immer schlecht empirisch fassbare Vorgang der Bildung einer eigenen<br />

Identität im Jugendalter: die Herausbildung einer eigenen Persönlichkeit. Diese Entwicklung ist im<br />

Grunde zentral während der gesamten Schulzeit: die Bildung einer Persönlichkeit und Identität seines<br />

Selbst. Wie auch immer sie im Einzelnen und individuell verschieden abläuft, klar scheint, dass dabei<br />

die Sicht der Anderen auf die eigene Person eine zentrale Rolle spielt. Das Buch „Mörderische Identitäten“<br />

von Amin Maalouf bringt in gut lesbarer Form die Brisanz dieses Thema zur Sprache. 54 Aus berufenem<br />

pädagogischem Mund kann man bei Klaus Mollenhauer entsprechend Kritisches dazu nachlesen.<br />

55 Die nachfolgenden Überlegungen sind besonders inspiriert durch die Interviews und die Bücher<br />

52<br />

53<br />

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55<br />

Wolf D. Hund: Rassismus: Die soziale Konstruktion natürlicher Ungleichheit,1999. Für genaue Literaturangaben siehe Literaturliste.<br />

Karin Scherschel: Rassismus als flexible symbolische Ressource. 2006<br />

Amin Maalouf: Mörderische Identitäten, 2000<br />

Klaus Mollenhauer: Vergessene Zusammenhänge: Über Kultur und Erziehung. 2003, S.155-173<br />

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