Abschlussbericht - Praxislabor - Technische Universität Darmstadt

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06.11.2013 Aufrufe

en – und zwar unabhängig von und über die selektionsbedingten Auswirkungen auf individueller Ebene hinaus.“ 48 Wenn man die Leistungsunterschiede betrachtet, wird klar, warum es Schüler mit dieser Kombination nicht schaffen werden, die Realschule so gut abzuschließen, dass sie zur Oberstufe zugelassen werden und später eine akademische Laufbahn einschlagen können. Eine einheitliche Regelung, wie beispielsweise die generelle Einführung einer zweigliedrigen Haupt- und Realschule (ohne gleichzeitiges Angebot einer integrierten Gesamtschule) wie es in den neuen Bundesländern praktiziert wird, zeigt deutlich weniger Schulen mit schwierigem Milieu (nur ca. 4 %). Auf diesem Hintergrund sind die Beobachtungen an der Bertolt Brecht Schule zu interpretieren. 1.2 Das Thema Rassismus im Curriculum Zum Thema Rassismus ist im derzeitigen hessischen Lehrplan eine Diskussion aller Schüler und Schülerinnen über dessen aktuelle Relevanz nur im integrierten Gesamtschullehrplan vorgeschrieben. 49 Die Oberstufe aktualisiert das Thema Rassismus ausdrücklich laut Lehrplan nur im Fach Italienisch (?!). Das Gymnasium behandelt das Thema Evolution, in dem es auch um den Begriff der Rasse geht, erst in der Abschlussklasse (13.2). Nach dem in dieser Zeit aber die Abiturprüfungen im Vordergrund stehen, kann das Thema dann aber nach Auskunft einer Lehrkraft nicht mehr mit der nötigen Intensität bearbeitet werden. Dennoch sei hier ein aufschlussreiches Zitat angeführt aus dem neuen Lehrplan Biologie für G9 Oberstufe, in welchem das Thema Rassismus wie folgt vorkommt: "Da die Evolution ein noch fortdauerndes Geschehen ist, ergibt sich für den Menschen eine Mitverantwortung für die Zukunft. Typologische wurden durch dynamische Begriffe abgelöst, weshalb z.B. auch der Begriff der Rasse differenzierter zu sehen ist." Welches Bild von Rasse steckt in dieser Definition? Was genau soll hier „differenzierter“ bedeuten? Differenzierter als bisher? Das würde eine historische Betrachtung nötig machen, was von Biologielehrkräften selten umgesetzt wird. Und was heißt Mitverantwortung? Wieso „mit“? Wer ist sonst noch verantwortlich? Und verantwortlich wofür eigentlich konkret? Für die Zukunft? Aus dem Evolutionsgeschehen, das die Menschheit jahrtausendelang nicht bemerkt hat, weil es so langsam ist, wird eine „Dynamik“: Der Mensch ist nicht festgelegt. Er ist „geworden“ und geht „irgendwohin“. Aber wenn das biologisch gemeint ist, dann heißt es, der Mensch kann sich im Lauf von Jahrmillionen ein bisschen ändern, wenn der entsprechende Selektionsdruck vorherrscht. Ist das ein Konzept gegen Rassismus? Oder nur Floskeln, die praktisch gar nichts am biologistischen Standpunkt der rassischen Typenlehre ändern? Im Gegenteil: Ist es nicht sogar als Aufruf zur Eugenik zu lesen? Und wer soll dann entscheiden, was die richtigen zu fördernden Eigenschaften sind und wie der Selektionsdruck aussehen soll? Diese Anweisung für den Biologieunterricht streift einen kritischen Punkt der Rassismusproblematik. Hier wären Diskussionen über Werte in einer Gesellschaft vonnöten. Man sollte dieses Thema daher nach unserer Ansicht nicht alleine den Naturwissenschaftlern überlassen bzw. aufbürden. 48 ebenda, S.171 49 Laut Lehrplan findet sie im Fach Gesellschaftslehre in der 9. und 10. Klasse statt. Im Anhang findet sich eine Auflistung der Stellen an denen Rassismus thematisiert werden kann, auch als kleine Anregung zum fachübergreifenden Unterricht. 22

1.3 Besonderheiten der Bertolt - Brecht - Schule Offensichtlich ist die Brechtschule eine „multikulturelle“ Schule. Dies fällt schon beim ersten Besuch auf, es steht auch so oder so ähnlich im Schulprogramm. Die befragten Lehrkräfte sehen die Vielfalt durchweg als Chance und Bereicherung. Um konkrete Zahlen zu bekommen verglichen wir die Namenslisten der 11.-klässler mit jenen des Ludwig-Georg-Gymnasiums (LGG). Die Zählung ergab, dass an der BBS nur etwa halb so viele Schüler/innen mit eindeutig deutschen Namen lernen wie am LGG (43% gegenüber 21 %). 50 Diese Zahlen können so interpretiert werden, dass das LGG besonders wenige Migranten aufnimmt. Wir tendieren aber eher zum umgekehrten Schluss, dass an der Brecht-Schule besonders viele Schüler/innen mit Migrationshintergrund unterrichtet werden. Diese Sichtweise wird auch von der Schulleitung geteilt. Ein Grund dafür sind ihr zu Folge die zuliefernden Schulen. Diese „Schulen im Schulverbund“ sind vorwiegend integrierte, aber auch einige kooperative Gesamtschulen. Sie liegen nicht nur in Darmstadt, sondern auch im Landkreis (Gerhard Hauptmann – Schule in Griesheim oder die Hessenwaldschule in Weiterstadt). Schüler/innen, die sich darüber hinaus aus darmstädter Gymnasien bewerben, können meist nur zu einem geringen Teil aufgenommen werden. Integrierte Gesamtschulen haben nach Auskunft der Schulleiterin einen höheren Anteil an Migranten als Gymnasien, weil sie „Anlaufschwierigkeiten“ haben und z.B. querversetzt werden. Die BBS ist dann deren zweiter Anlauf auf das Abitur. Hinzu kommt, dass zu dem Einzugsgebiet der Zulieferschulen der Stadtteil Kranichstein gehört, der einen hohen Migrant/innenanteil hat. Es wurde uns auch berichtet, dass mitunter Schülerinnen aus anderen Schulen nach der 10. Klasse an die Brecht- Schule wechseln, weil sie einen Migrationshintergrund haben und weil sie sich von der Brecht- Schule in dieser Hinsicht eine besonders hohe Toleranz versprechen. Sie wissen, dass sie hier weniger auffallen, wenn sie ein Kopftuch tragen. Der BBS kommt in Hinsicht auf diesen großen Anteil an Migranten vielleicht auch die Aufgabe zu, besonders auf Themen wie Integration, Rassismus und Völkerverständigung Wert zu legen. Man könnte umgekehrt auch sagen, die Voraussetzungen diese Themen adäquat und lebensnah zu bearbeiten sind nirgends besser als hier. 2. Methode In der Zeit zwischen November 2008 und März 2009 wurden 5 Lehrkräfte der Bertolt - Brecht - Schule ausführlich interviewt. Die Auswahl erfolgte nicht zufällig, sondern war einerseits geleitet von bereits vorhandenen persönlichen Kontakten, andererseits aber auch von der Bereitschaft bestimmter Lehrkräfte zur Mitarbeit. Außerdem spielte eine Rolle, dass versucht wurde, gezielt Lehrkräfte zu befragen, die durch ihre Fächerkombination besondere Anknüpfungspunkte an das Thema haben (Ethik, Politik und Wirtschaft, Geschichte). 51 Parallel zur Durchführung der Einzelinterviews verschickten wir an alle Lehrkräfte, die per E-Mail erreichbar waren, spezifische Fragen zu den Fachgebieten Politik und Wirtschaft, bzw. Geschichte. Der Rücklauf war hier leider gering. Die so erhaltenen Antworten wurden auch aufgenommen in die allgemeine Auswertung. Die Interviews wurden als Leitfadeninterviews gestaltet, wobei der Leitfaden bei unterschiedlichen Lehrkräften aufgrund deren verschiedener Fächer- 50 Die Schüler/inneninterviews, die von der entsprechenden Projektgruppe durchgeführt wurden, ergaben hierzu interessante Details und stimmen in den ermittelten Zahlen gut mit unsren Daten überein (siehe dort). 51 Interessant wäre andererseits sicher auch gewesen, was Lehrkräfte zu diesem Thema denken, die es gerade nicht gewohnt sind, sich im Unterricht inhaltlich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Aufgrund der begrenzten Möglichkeiten in der kleinen Arbeitsgruppe beschränkten wir uns aber auf die uns nahe liegenden Fächer. 23

en – und zwar unabhängig von und über die selektionsbedingten Auswirkungen auf individueller Ebene<br />

hinaus.“ 48<br />

Wenn man die Leistungsunterschiede betrachtet, wird klar, warum es Schüler mit dieser Kombination<br />

nicht schaffen werden, die Realschule so gut abzuschließen, dass sie zur Oberstufe zugelassen werden<br />

und später eine akademische Laufbahn einschlagen können. Eine einheitliche Regelung, wie beispielsweise<br />

die generelle Einführung einer zweigliedrigen Haupt- und Realschule (ohne gleichzeitiges Angebot<br />

einer integrierten Gesamtschule) wie es in den neuen Bundesländern praktiziert wird, zeigt deutlich<br />

weniger Schulen mit schwierigem Milieu (nur ca. 4 %).<br />

Auf diesem Hintergrund sind die Beobachtungen an der Bertolt Brecht Schule zu interpretieren.<br />

1.2 Das Thema Rassismus im Curriculum<br />

Zum Thema Rassismus ist im derzeitigen hessischen Lehrplan eine Diskussion aller Schüler und Schülerinnen<br />

über dessen aktuelle Relevanz nur im integrierten Gesamtschullehrplan vorgeschrieben. 49 Die<br />

Oberstufe aktualisiert das Thema Rassismus ausdrücklich laut Lehrplan nur im Fach Italienisch (?!).<br />

Das Gymnasium behandelt das Thema Evolution, in dem es auch um den Begriff der Rasse geht, erst in<br />

der Abschlussklasse (13.2). Nach dem in dieser Zeit aber die Abiturprüfungen im Vordergrund stehen,<br />

kann das Thema dann aber nach Auskunft einer Lehrkraft nicht mehr mit der nötigen Intensität bearbeitet<br />

werden.<br />

Dennoch sei hier ein aufschlussreiches Zitat angeführt aus dem neuen Lehrplan Biologie für G9 Oberstufe,<br />

in welchem das Thema Rassismus wie folgt vorkommt:<br />

"Da die Evolution ein noch fortdauerndes Geschehen ist, ergibt sich für den Menschen eine Mitverantwortung<br />

für die Zukunft. Typologische wurden durch dynamische Begriffe abgelöst, weshalb z.B. auch<br />

der Begriff der Rasse differenzierter zu sehen ist."<br />

Welches Bild von Rasse steckt in dieser Definition? Was genau soll hier „differenzierter“ bedeuten? Differenzierter<br />

als bisher? Das würde eine historische Betrachtung nötig machen, was von Biologielehrkräften<br />

selten umgesetzt wird. Und was heißt Mitverantwortung? Wieso „mit“? Wer ist sonst noch verantwortlich?<br />

Und verantwortlich wofür eigentlich konkret? Für die Zukunft? Aus dem Evolutionsgeschehen,<br />

das die Menschheit jahrtausendelang nicht bemerkt hat, weil es so langsam ist, wird eine<br />

„Dynamik“: Der Mensch ist nicht festgelegt. Er ist „geworden“ und geht „irgendwohin“. Aber wenn das<br />

biologisch gemeint ist, dann heißt es, der Mensch kann sich im Lauf von Jahrmillionen ein bisschen<br />

ändern, wenn der entsprechende Selektionsdruck vorherrscht. Ist das ein Konzept gegen Rassismus?<br />

Oder nur Floskeln, die praktisch gar nichts am biologistischen Standpunkt der rassischen Typenlehre<br />

ändern? Im Gegenteil: Ist es nicht sogar als Aufruf zur Eugenik zu lesen? Und wer soll dann entscheiden,<br />

was die richtigen zu fördernden Eigenschaften sind und wie der Selektionsdruck aussehen soll?<br />

Diese Anweisung für den Biologieunterricht streift einen kritischen Punkt der Rassismusproblematik.<br />

Hier wären Diskussionen über Werte in einer Gesellschaft vonnöten. Man sollte dieses Thema daher<br />

nach unserer Ansicht nicht alleine den Naturwissenschaftlern überlassen bzw. aufbürden.<br />

48<br />

ebenda, S.171<br />

49<br />

Laut Lehrplan findet sie im Fach Gesellschaftslehre in der 9. und 10. Klasse statt. Im Anhang findet sich eine Auflistung der Stellen<br />

an denen Rassismus thematisiert werden kann, auch als kleine Anregung zum fachübergreifenden Unterricht.<br />

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