Der Dokumentationsband als PDF - Kirche im Aufbruch ...
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Offenbar braucht es erst die Infragestellung<br />
von Gewordenem und Besitzständen, damit die<br />
Organisation in Wallung – und Bewegung – gerät.<br />
Was mir in den Diskussionen auffällt, ist die<br />
starke Färbung des Tonfalls in Richtung Kränkung,<br />
sowohl bei Pfarrerinnen und Pfarrern, die sich in<br />
ihrer Arbeit nicht wertgeschätzt sehen, <strong>als</strong> auch<br />
bei Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen anderer<br />
kirchlicher Berufsgruppen. Zum Teil sehe ich das<br />
<strong>im</strong> Impulspapier begründet. Da wird aus der<br />
„Schlüsselfigur“ 1 , die Pfarrerinnen und Pfarrer in<br />
den Augen der <strong>Kirche</strong>nmitglieder für den Kontakt<br />
zur <strong>Kirche</strong> darstellen, <strong>im</strong> Impulspapier der<br />
„Schlüsselberuf“ 2 des Pfarrers / der Pfarrerin. Das<br />
düpiert Vertreter / Vertreterinnen anderer Berufsgruppen<br />
innerhalb der <strong>Kirche</strong> ebenso wie die<br />
unexplizierte Übernahme des Professionsgedankens<br />
für den Pfarrberuf, der automatisch<br />
alle anderen Berufe <strong>im</strong> kirchlichen Kontext einschließlich<br />
Diakoninnen und Diakonen zu Semiprofessionellen<br />
macht. 3<br />
Auffallend ist <strong>im</strong> Impulspapier die beinah<br />
völlige Abwesenheit einer Erwähnung von Seelsorge.<br />
Seelsorge <strong>als</strong> D<strong>im</strong>ension kirchlichen, nicht<br />
nur pastoralen Handelns, wird nicht entfaltet.<br />
Wohl ist Seelsorge bei Isolde Karle der Profession<br />
des Pfarrberufs <strong>im</strong>plizit gedacht. Sie umfasst m. E.<br />
aber weit mehr <strong>als</strong> „Takt“, „Höflichkeit“ 4 und Stilsicherheit,<br />
mehr auch <strong>als</strong> nur „seelsorgerliches<br />
Einfühlungsvermögen“ 5 .<br />
Seelsorge <strong>als</strong> Haltung möchte ich stark verkürzt<br />
entfalten, da ich mir von einer entsprechenden<br />
Grundhaltung eine konstruktive Weiterarbeit an<br />
den sehr bedenkenswerten Impulsen verspreche.<br />
Wenn die gemeinsame Aufgabe lautet: Kommunikation<br />
des Evangeliums in der Welt des 21.<br />
Jahrhunderts, dann ist Seelsorge eine Weise dieser<br />
Kommunikation und geschieht in vielerlei<br />
Ausformungen und an unterschiedlichen Orten,<br />
<strong>im</strong>mer in Relation zu einem Gegenüber. Dieses ist<br />
der / die ganz Andere / Fremde. Wer sich <strong>im</strong> Raum<br />
der Seelsorge trifft, ist je Gottes geliebtes Geschöpf,<br />
in aller Bruchstückhaftigkeit der Lebensgestaltung<br />
und -entwürfe gerechtfertigt, und mit<br />
einer ihm / ihr selbst nicht verfügbaren Potenzialität<br />
begabt. Seelsorge sieht das Gegenüber in<br />
seiner / ihrer Kontextualität, <strong>als</strong> leib-seelische<br />
Ganzheit, systemisch verflochten, best<strong>im</strong>mt von<br />
Lebenslagen, lebensweltlich sich interpretierend.<br />
Zu einer seelsorglichen Haltung gehört<br />
.Respekt und Achtsamkeit dem / der anderen<br />
.gegenüber mit ihren Lebens-, Glaubens- und<br />
Deutungsmustern. Die Begegnung kann in der<br />
Unverfügbarkeit des schöpferischen und erneuernden<br />
Wirkens des Heiligen Geistes die Entwicklung<br />
von Perspektiven, vielleicht sogar denkbaren<br />
neuen Schritten eröffnen. Es ereignet sich zukunftsoffene<br />
Begegnung. Die Begegnung verändert<br />
die daran Beteiligten, denn sie wirft zum<br />
einen <strong>im</strong> Licht des Evangeliums Fragen und Anfragen<br />
auf und stellt infrage, zum andern vergewissert<br />
sie auf dem Grund des Glaubens.<br />
Wie gesagt: stark verkürzt. Diese Haltung<br />
wünsche ich mir für den Prozess. Keine Weltvergessenheit<br />
nach außen und nach innen. Genaues<br />
Hinsehen, Achtsamkeit und präzises Aufeinander-<br />
Hören. Den anderen, auch Berufsgruppen und<br />
organisatorische Ausprägungen innerhalb, <strong>als</strong><br />
den ganz Anderen / Fremden mit Respekt begegnen,<br />
fragen und sich anfragen lassen, offen sein<br />
für das Unverfügbare. Im besten Sinn voneinander<br />
lernen. Zukunftsoffen.<br />
Dazu braucht es viel mehr Begegnung von viel<br />
mehr Menschen über Berufs- und Landeskirchenund<br />
ganz andere Grenzen hinweg. Das wünsche<br />
ich mir für den weiteren Prozess. Deshalb freue<br />
ich mich auf diesen Kongress und nehme ihn in<br />
diesem Sinn <strong>als</strong> ermutigenden Auftakt.<br />
1<br />
Isolde Karle, <strong>Der</strong> Pfarrberuf <strong>als</strong> Profession, S. 53.<br />
2<br />
Impulspapier, S. 71.<br />
3<br />
Karle, a. a. O., S. 49.<br />
4<br />
ebd., S. 26.<br />
5<br />
Impulspapier, S. 71.<br />
49