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Ausgabe Mai 2006 - Adipositas - bei der NÖGKK

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Nr. 44 / <strong>Mai</strong> <strong>2006</strong><br />

ADIPOSITAS<br />

1. Einleitung<br />

<strong>Adipositas</strong> ist als eine chronische Krankheit mit eingeschränkter Lebensqualität und<br />

hohem Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko zu bewerten, die eine langfristige Betreuung<br />

erfor<strong>der</strong>t (WHO, 2000). Mit zunehmen<strong>der</strong> Häufigkeit <strong>der</strong> <strong>Adipositas</strong> sind Versorgungsengpässe<br />

und Kostenanstiege in den Gesundheitssystemen zu erwarten.<br />

Die <strong>NÖGKK</strong> möchte das Bewusstsein für das Gesundheitsproblem <strong>Adipositas</strong><br />

stärken und krankheitsspezifische Empfehlungen und Informationen zur Prävention<br />

und Therapie <strong>der</strong> <strong>Adipositas</strong> geben.<br />

Laufend wird von <strong>der</strong> <strong>NÖGKK</strong> ein umfangreiches Gesundheitsför<strong>der</strong>ungs- und<br />

Präventionsprogramm (zB Schlank ohne Diät, Aqua-Fit, Nordic Walking) angeboten.<br />

Informationen zu diesen Themen finden Sie auch auf <strong>der</strong> Homepage <strong>der</strong> <strong>NÖGKK</strong><br />

unter www.noegkk.at unter dem Channel Vorsorge.<br />

2. Definition und Klassifikation<br />

2.1 Definition von Übergewicht<br />

<strong>Adipositas</strong> ist definiert als eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung<br />

des Körperfetts. Berechnungsgrundlage für die Gewichtsklassifikation ist <strong>der</strong> Body-<br />

Mass-Index (BMI). Der BMI berechnet sich aus Körpergewicht (in kg) dividiert durch<br />

das Quadrat <strong>der</strong> Körpergröße (in m). Übergewicht ist definiert als BMI > 25 kg/m²,<br />

<strong>Adipositas</strong> als BMI > 30 kg/m².<br />

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- 2 -<br />

Tabelle: Gewichtsklassifikation <strong>bei</strong> Erwachsenen anhand des BMI<br />

Kategorie<br />

BMI<br />

Untergewicht < 18,5 niedrig<br />

Risiko für<br />

Begleiterkrankungen<br />

Normalgewicht 18,5 – 24,9 durchschnittlich<br />

Übergewicht<br />

Präadipositas<br />

<strong>Adipositas</strong> Grad I<br />

<strong>Adipositas</strong> Grad II<br />

<strong>Adipositas</strong> Grad III<br />

> 25,0<br />

25 – 29,9<br />

30 – 34,9<br />

35 – 39,9<br />

> 40,0<br />

gering erhöht<br />

erhöht<br />

hoch<br />

sehr hoch<br />

2.2 Definition <strong>der</strong> Fettverteilung<br />

Neben dem Ausmaß des Übergewichts, welches über den BMI erfasst wird, bestimmt<br />

das Fettverteilungsmuster das metabolische und kardiovaskuläre Gesundheitsrisiko.<br />

Ein einfaches Maß zur Beurteilung <strong>der</strong> Fettverteilung ist die Schätzung<br />

<strong>der</strong> intraabdominalen/viszeralen Fettmasse durch Messung des Taillenumfangs. Bei<br />

einem Taillenumfang > 88 cm <strong>bei</strong> Frauen bzw. > 102 cm <strong>bei</strong> Männern liegt eine abdominelle<br />

<strong>Adipositas</strong> vor. Bei Personen mit BMI > 25 kg/m² sollte stets <strong>der</strong> Taillenumfang<br />

gemessen werden.<br />

Wie wird <strong>der</strong> Bauchumfang gemessen:<br />

‣ Zeitpunkt: am Morgen vor dem Frühstück<br />

‣ wie: im Stehen unbekleidet vor dem Spiegel<br />

‣ wo: an <strong>der</strong> Stelle des größten Bauchumfanges. Meist zwischen dem unteren<br />

Rippenbogen und dem Beckenkamm (Nabelhöhe) – jedoch sollte je<strong>der</strong> seine<br />

individuelle Stelle suchen und sich merken.<br />

Der Bauchumfang sollte in Mittellage gemessen werden, dennoch empfiehlt es sich,<br />

den Umfang auch <strong>bei</strong> ganz eingezogenem und hinausgestrecktem Bauch zu<br />

ermitteln. Wird die Differenz zwischen Ausatmen und Einatmen größer, ist das ein<br />

Zeichen dafür, dass man auf dem richtigen Weg ist!<br />

Man unterscheidet:<br />

‣ gynoide Fettverteilung: subkutan, ist schwer metabolisch mobilisierbar<br />

‣ androide Fettverteilung: viszeral, ist leicht metabolisch aktivierbar und stellt das<br />

größere Risikopotential dar<br />

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- 3 -<br />

Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass es einen gewissen Prozentsatz von Männern<br />

mit gynoi<strong>der</strong> bzw. Frauen mit androi<strong>der</strong> Fettverteilung gibt, die dann auch das kardiovaskuläre<br />

Risiko des jeweiligen Fettverteilungstyps tragen.<br />

Tabelle: Taillenumfang und Risiko für adipositas-assoziierte Komplikationen<br />

Risiko für<br />

Taillenumfang (cm)<br />

metabolische Komplikationen Männer Frauen<br />

erhöht > 94 > 80<br />

deutlich erhöht > 102 > 88<br />

3. Verbreitung <strong>der</strong> <strong>Adipositas</strong><br />

In Österreich ist die Prävalenz <strong>der</strong> <strong>Adipositas</strong> zwischen 1991 und 2000 von 8,5 auf<br />

11,5 Prozent gestiegen. Die <strong>Adipositas</strong>prävalenz lässt einen Anstieg Richtung Osten<br />

beobachten (Tirol und Vorarlberg haben den niedrigsten Anteil).<br />

Europaweit sind bis zu 20 % <strong>der</strong> Männer und bis zu 25 % <strong>der</strong> Frauen adipös. Laut<br />

WHO sind weltweit <strong>der</strong>zeit 1,1 Milliarden Menschen übergewichtig, genau so viele<br />

wie Hunger leiden!!!<br />

Grundsätzlich steigt <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong> <strong>Adipositas</strong> mit zunehmendem Alter. Im Durchschnitt<br />

nehmen Personen in Industrielän<strong>der</strong>n zwischen dem 20. und 60. Lebensjahr<br />

ca. 20 kg Gewicht zu. Es ist auch zu berücksichtigen, dass bestimmte ethnische<br />

Gruppen vermehrt zu <strong>Adipositas</strong> tendieren. Ebenso neigen sozial benachteiligte<br />

Gesellschaftsschichten, hier wie<strong>der</strong>um bevorzugt die weibliche Bevölkerung, zur<br />

<strong>Adipositas</strong>.<br />

In den letzten Jahren zeigte sich zusätzlich auch ein unaufhaltsamer Trend zu einer<br />

schon in sehr frühen Jahren beginnenden <strong>Adipositas</strong>. Immer mehr Kin<strong>der</strong> und<br />

Jugendliche leiden an morbi<strong>der</strong> <strong>Adipositas</strong>. Ca. 15 % aller österreichischen Schulkin<strong>der</strong><br />

sind übergewichtig, die Prävalenz adipöser Jugendlicher wird von Experten<br />

auf 3 – 5 % geschätzt. Hier spielen die genetische Prädisposition und Errungenschaften<br />

<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen zivilisierten Welt, wie stundenlanges Sitzen vor dem Fernseher<br />

o<strong>der</strong> Computer, das Konsumieren von hochkalorischen Snacks kombiniert mit<br />

geringer körperlicher Aktivität eine bedeutende Rolle. Häufig stellen die Eltern das<br />

Vorbild für dieses Ess- und Freizeitverhalten dar und durch die beruflich bedingte<br />

./4


- 4 -<br />

Abwesenheit <strong>der</strong> Eltern fällt die Kontrolle über das Ernährungsverhalten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

weg.<br />

Aus folgenden Gründen ist es notwendig die juvenile <strong>Adipositas</strong> zu bekämpfen: das<br />

weiße Fettgewebe (Speicher- und Baufett) bildet sich nur bis zum 14. Lebensjahr, ab<br />

diesem Zeitpunkt teilen sich die Adipozyten nicht mehr. Dieser Umstand erklärt,<br />

warum es so schwierig ist, während <strong>der</strong> ersten Lebensjahre angesammeltes Fett<br />

wie<strong>der</strong> abzubauen. Nach dem vierzehnten Lebensjahr kann mit strenger Diät nur<br />

eine Größenabnahme <strong>der</strong> Adipozyten erreicht werden, jedoch keine Reduktion <strong>der</strong><br />

absoluten Zahl.<br />

Laut einer Umfrage unter SchülerInnen essen 18 % <strong>der</strong> 11- bis 15jährigen an Schultagen<br />

unregelmäßig und 3 % nehmen nie drei Mahlzeiten täglich zu sich.<br />

Im Kindes- und Jugendalter sollte die Bestimmung von Übergewicht und <strong>Adipositas</strong><br />

anhand geschlechtsspezifischer Altersperzentilen für den BMI erfolgen. Ab dem Alter<br />

von 18 Jahren entsprechen die risikobezogenen Grenzwerte jenen von Erwachsenen.<br />

Von Experten wird die Verwendung des 90. bzw. des 97. alters- und geschlechtsspezifischen<br />

Perzentils als Grenzwert zur Definition von Übergewicht bzw.<br />

<strong>Adipositas</strong> herangezogen.<br />

Bei Vorliegen einer <strong>Adipositas</strong> sollte eine ausführliche körperliche Untersuchung sowie<br />

adäquate präventive o<strong>der</strong> therapeutische Maßnahmen durchgeführt werden.<br />

Anamnese:<br />

‣ Dokumentation von Größe und Gewicht <strong>der</strong> Familienmitglie<strong>der</strong> zur Beurteilung<br />

des Risikos des Fortbestehens <strong>der</strong> <strong>Adipositas</strong>.<br />

‣ Frage nach <strong>Adipositas</strong>–relevanten Erkrankungen in <strong>der</strong> Familie (Diabetes mellitus<br />

Typ 2, Hypertonie, Herzinfarkt, Arteriosklerose, Hyperurikämie).<br />

Labordiagnostik:<br />

Gesamtcholesterin, LDL, Triglyceride, NBZ, TSH<br />

Weitere Diagnostik:<br />

Immer: systolischer und diastolischer Blutdruck mit entsprechen<strong>der</strong> Manschettenbreite.<br />

Getreu dem Motto „Wir vorsorgen Sie!“ ist es <strong>der</strong> <strong>NÖGKK</strong> ein Anliegen, Personen die<br />

zu <strong>Adipositas</strong> neigen zu informieren und zu betreuen, um schwerwiegende <strong>Adipositas</strong><br />

assoziierte Gesundheitsbeeinträchtigungen wenn möglich gar nicht entstehen zu<br />

lassen. In diesem Bereich sind wir auf die tatkräftige Unterstützung unserer nie<strong>der</strong>gelassenen<br />

Vertragspartner angewiesen, um eine flächendeckende Beratung bzw.<br />

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- 5 -<br />

Therapie <strong>der</strong> Bevölkerung zu erreichen. Nur so sind die Folgeerkrankungen zu<br />

minimieren, die notwendigen Therapiekosten zu reduzieren und damit die längerfristige<br />

Finanzierung unseres Gesundheitssystems nach dem heute gültigen hohen<br />

Standard sicher zu stellen.<br />

4. Ursachen <strong>der</strong> <strong>Adipositas</strong><br />

‣ familiäre Disposition, genetische Ursachen<br />

‣ mo<strong>der</strong>ner Lebensstil (zB Bewegungsmangel, Fehlernährung)<br />

‣ Essstörungen (zB Binge Eating Disor<strong>der</strong>)<br />

‣ endokrine Erkrankungen (zB Hypothyreose, Cushing-Syndrom)<br />

‣ Medikamente (zB manche Antidepressiva, Neuroleptika, Antidiabetika, Glukokortikoide,<br />

Betablocker)<br />

‣ an<strong>der</strong>e Ursachen (zB Immobilisierung, Schwangerschaft, bestimmte Operationen,<br />

Nikotinverzicht)<br />

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass <strong>der</strong> Körper ein hochintelligentes System<br />

zur Körpergewichtsregulation besitzt. Als sogenannter „Setpoint“ wird das individuelle,<br />

biologisch ideale Körpergewicht bezeichnet. Die Grundlage <strong>der</strong> „Setpoint<br />

Theorie“ ist die Homöostase. Dies bezeichnet einen Zustand des Körpers, <strong>der</strong> nicht<br />

so leicht verän<strong>der</strong>t werden soll bzw. kann, da er durch physiologische Mechanismen<br />

den Energieverbrauch regelt und dadurch indirekt das Körpergewicht stabilisiert.<br />

Würde dieses System nicht funktionieren, würde schon ein Kalorienplus o<strong>der</strong> -minus<br />

von täglich nur 50 kcal am Tag in einer Gewichtszunahme bzw. -abnahme resultieren.<br />

Durch diesen eben genannten Mechanismus ist es allerdings auch sehr schwierig,<br />

eine gewollte Gewichtsabnahme zu erreichen: wird dem Körper weniger Energie<br />

zugeführt als benötigt, reagiert er nicht sofort mit einer Gewichtsabnahme, son<strong>der</strong>n<br />

reduziert zuerst einmal den Energiebedarf. Wird jedoch durch konsequentes sportliches<br />

Training <strong>der</strong> Stoffwechsel hoch gehalten und so ein tägliches Energiedefizit<br />

erreicht, erfolgt eine Gewichtsabnahme. Wird dieses neue Körpergewicht für mindestens<br />

drei bis sechs Monate gehalten, akzeptiert <strong>der</strong> Körper dieses als neuen<br />

„Setpoint“ und versucht fortan dieses Gewicht konstant zu halten. Werden vor Ablauf<br />

dieser Zeitspanne die Ernährung und sportliche Betätigung nicht mehr so strikt eingehalten,<br />

kommt es wie<strong>der</strong> zu einer schnellen Gewichtszunahme eben auf das<br />

frühere „Setpoint-Gewichtsniveau“ (<strong>bei</strong> Diäten oft auch als „Jojo-Effekt“ beschrieben).<br />

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- 6 -<br />

4.1 Komorbiditäten und Komplikationen von Übergewicht/<strong>Adipositas</strong><br />

‣ metabolisches Syndrom: Definition laut WHO: Kombination von Diabetes mellitus<br />

Typ 2 o<strong>der</strong> vermin<strong>der</strong>te Glucosetoleranz bzw. Insulinresistenz kombiniert mit zwei<br />

o<strong>der</strong> mehr <strong>der</strong> folgenden Komponenten: Stammbetonte <strong>Adipositas</strong> (Bauchumfang<br />

<strong>bei</strong>m Mann > 102 cm, <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Frau > 88 cm), Hypertonie, Dyslipidämie (HDL < 1;<br />

Triglyceride > 1,7 mmol/l o<strong>der</strong> >150 mg/dl), Mikroalbuminurie<br />

‣ prinzipiell Anstieg von Gesamtcholesterin, LDL, Apoprotein-B und Triglyceride <strong>bei</strong><br />

Abnahme vom HDL<br />

‣ Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels (zB Insulinresistenz, gestörte Glukosetoleranz,<br />

Hyperglykämie, Diabetes mellitus Typ 2, Gestationsdiabetes)<br />

‣ an<strong>der</strong>e metabolische Störungen (zB Hyperurikämie, Störungen <strong>der</strong> Hämostase)<br />

‣ arterielle Hypertonie<br />

‣ kardiovaskuläre Erkrankungen (zB koronare Herzkrankheit, Schlaganfall, Herzinsuffizienz,<br />

erhöhte Thromboseneigung sowie Anstieg von Fibrinogen und<br />

Plasminogen Activator Inhibitor-1)<br />

‣ Karzinome (zB Endometrium, Zervix, Ovarien, Brust, Prostata, Niere, Kolon)<br />

‣ Demenz (<strong>bei</strong> einem BMI über 30 ist das Risiko an Demenz zu erkranken um 74 %<br />

erhöht)<br />

‣ hormonelle Störungen (zB Hyperandrogenämie, Polycystisches Ovar-Syndrom,<br />

erniedrigter Testosteron-Spiegel <strong>bei</strong> Männern): das viszerale Fettgewebe ist<br />

metabolisch hoch aktiv. Leptin und an<strong>der</strong>e Faktoren wie etwa IL-6, TNF-a, IGF<br />

und Adiponectin werden von Adipozyten freigesetzt und sind in die Entwicklung<br />

von <strong>Adipositas</strong> und Insulinresistenz involviert. Leptin (griechisch für dünn) ist ein<br />

Polypetid, welches sich über den Blutweg durch die Blut-Hirnschranke im Liquor<br />

verteilt. Dort beeinflusst es das Essverhalten (ruft ein Sättigungsverhalten hervor)<br />

und die Thermogenese. Von Leptinrezeptoren gibt es zwei Formen: eine kurze<br />

und ein längliche Form. Im Hypothalamus sind die länglichen Rezeptoren vertreten,<br />

welche Signale-vermittelnd wirken und die Nahrungsaufnahme regulieren.<br />

Zusätzlich wird unter dem Einfluss von Leptin in den insulinproduzierenden Zellen<br />

<strong>der</strong> Bauchspeicheldrüse vermehrt das Protein SOCS3 produziert, welches die<br />

Aktivierung des Insulingens und damit die Insulinbildung unterdrückt. Dieser Mechanismus<br />

könnte die Ursache für die häufige Entstehung von Diabetes mellitus<br />

<strong>bei</strong> Übergewichtigen sein. Nach <strong>der</strong>zeitigen Stand <strong>der</strong> Wissenschaft ist noch nicht<br />

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- 7 -<br />

komplett geklärt, welche genauen hormonellen Wirkungen das Fettgewebe ausübt.<br />

‣ pulmonale Komplikationen (zB Dyspnoe, Hypoventilations- und Schlafapnoe-<br />

Syndrom)<br />

‣ gastrointestinale Erkrankungen (zB Cholecystolithiasis, akute und chronische<br />

Cholezystitiden, nicht-alkoholische Fettleberhepatitis, Refluxkrankheit)<br />

‣ degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates (zB Arthrosen, Wirbelsäulensyndrome)<br />

‣ erhöhtes Operations- und Narkoserisiko<br />

‣ psychosoziale Konsequenzen inkl. erhöhter Depressivität und Ängstlichkeit,<br />

soziale Diskriminierung, Selbstwertmin<strong>der</strong>ung<br />

4.2 Vorteile einer Gewichtsreduzierung<br />

Eine Vielzahl von Studien hat die Vorteile selbst einer mo<strong>der</strong>aten Gewichtssenkung<br />

dokumentiert. Die Vorteile einer Gewichtsreduzierung um 10 kg sind:<br />

Mortalität:<br />

‣ Senkung <strong>der</strong> Gesamtmortalität um > 20 %<br />

‣ Senkung des Diabetes-assoziierten Mortalitätsrisikos um > 30 %<br />

‣ Senkung <strong>der</strong> <strong>Adipositas</strong>-assoziierten Karzinomtodesfälle um > 40%<br />

Blutdruck:<br />

‣ Senkung des Blutdrucks <strong>bei</strong> Patienten mit Hypertonie durch eine Gewichtsreduktion<br />

von 10 kg um 7 mmHg systolisch und 3 mmHg diastolisch<br />

‣ Gewichtsabnahme durch ein Gewichtsreduktionsprogramm verringert das<br />

Hypertonierisiko<br />

Diabetes mellitus Typ 2:<br />

‣ Senkung des HbA1c um 1 - 3 % <strong>bei</strong> adipösen Typ 2-Diabetikern durch eine Gewichtsabnahme<br />

von 5 - 10 kg<br />

‣ Abnahme <strong>der</strong> Nüchternglukose um 30 bis 40 mg/dl pro 10 kg Gewichtsreduktion<br />

‣ Senkung des relativen Risikos für die Konversion von gestörter Glukosetoleranz<br />

zum Diabetes mellitus Typ 2 durch eine Gewichtsreduktion von 3,5 - 5,5 kg um<br />

58 %<br />

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- 8 -<br />

Lipide:<br />

Eine Reduktion des Körpergewichts um 10 kg geht einher mit<br />

‣ Senkung des Gesamtcholesterins um durchschnittlich 10 %<br />

‣ Senkung des LDL-Cholesterins um 15 %<br />

‣ Erhöhung des HDL-Cholesterins um 8 %<br />

‣ Senkung <strong>der</strong> Triglyceride um 30 % jeweils in Abhängigkeit vom Ausgangswert<br />

4.3 Nachteile einer Gewichtsreduzierung<br />

Bei Gewichtsabnahme besteht ein erhöhtes Risiko für Gallensteinerkrankungen. Die<br />

Gallensteinbildung ist umso häufiger, je schneller und ausgeprägter die Gewichtsabnahme<br />

ist.<br />

Im Zusammenhang mit Gewichtsreduktion kann es zu einer Abnahme <strong>der</strong> Knochendichte<br />

kommen. Bei Frauen, die nach dem 50. Lebensjahr eine Gewichtsabnahme<br />

begannen, wurde eine erhöhte Inzidenz von Hüftfrakturen festgestellt. (Der Einfluss<br />

von Gewichtsschwankungen auf die Knochendichte gilt als noch nicht ausreichend<br />

untersucht).<br />

5. Indikationen zur <strong>Adipositas</strong>therapie<br />

Eine Indikation zur konservativen Therapie <strong>bei</strong> <strong>Adipositas</strong> besteht <strong>bei</strong><br />

‣ BMI > 30<br />

‣ BMI zwischen 25 und 29,9 und gleichzeitiges Vorliegen<br />

‣ von übergewichtsbedingten Gesundheitsstörungen (zB Hypertonie,<br />

Diabetes mellitus Typ 2)<br />

‣ eines abdominalen Fettverteilungsmusters o<strong>der</strong><br />

‣ von Erkrankungen, die durch Übergewicht verschlimmert werden<br />

(Arthrose)<br />

‣ psychosozialen Leidensdruck<br />

Die Therapie <strong>der</strong> <strong>Adipositas</strong> erfor<strong>der</strong>t eine langfristige Intervention, dies erfor<strong>der</strong>t<br />

eine hohe Motivation von Seiten <strong>der</strong> Betroffenen wie auch <strong>der</strong> behandelnden Ärzte.<br />

Realistische Ziele sollten gesetzt werden: Crash-Diäten mit anschließendem „Jojo-<br />

Effekt“ sind zu vermeiden.<br />

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- 9 -<br />

6. Therapie <strong>der</strong> <strong>Adipositas</strong><br />

Lebensstilän<strong>der</strong>ung: Durch langfristige Ernährungsumstellung und Bewegungstherapie<br />

kann die Energiebilanz in Richtung eines mäßigen Defizits verän<strong>der</strong>t<br />

werden. Eine kalorienreduzierte Mischkost besteht zu 50 - 55 % aus Kohlehydraten,<br />

zu 20 % aus Eiweiß und zu 15 – 20 % aus Fett. Das Energiedefizit sollte täglich<br />

500 – 800 kcal betragen, womit eine Senkung des Ausgangsgewichtes um 5 – 10 %<br />

innerhalb von 6 Monaten zu erreichen ist.<br />

Prinzipiell sind Lebensmittel mit einer niedrigen Energiedichte (hoher Wasser- und<br />

Ballaststoffgehalt, niedriger Fettgehalt) <strong>der</strong> Vorzug zu geben.<br />

6.1 Reduktionsdiäten<br />

Diese <strong>bei</strong>nhalten einen Energiegehalt von 700 - 1000 kcal pro Tag und sollten mindestens<br />

25 %, höchstens jedoch 50 % Eiweiß enthalten. Der Fettgehalt am Gesamtbrennwert<br />

darf 30 % nicht überschreiten. Der Ballaststoffgehalt soll zwischen 10 –<br />

30 g pro Tag liegen. Vitamine, Mineralien und Spurenelemente müssen substituiert<br />

werden.<br />

Extrem hypokalorische Diäten dürfen nur unter ärztlicher Aufsicht angewendet werden.<br />

Sie enthalten nur 450 - 700 kcal pro Tag und sollten aus mindestens 50 g Eiweiß,<br />

45 g Kohlehydraten und 7 g Fett bestehen. Bei dieser Diätform müssen Vitamine<br />

und Spurenelemente substituiert werden. Diese Diätform darf nur für 6 - 12<br />

Wochen eingehalten werden und dies auch nur <strong>bei</strong> Hochrisikopatienten, <strong>bei</strong> denen<br />

aus medizinischen Gründen eine schnelle Gewichtsabnahme unabdingbar erscheint,<br />

vorrangig <strong>bei</strong> Patienten mit einem BMI > 30.<br />

Grundsätzlich muss <strong>bei</strong> allen Diätformen darauf geachtet werden, dass langfristig<br />

kein Defizit von Makro (Proteine, Kohlenhydrate und Fette) und Mikronährstoffen<br />

(Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente) entsteht. Hier ist beson<strong>der</strong>s eine abwechslungsreiche<br />

Mischkost anzuraten.<br />

6.2 Bewegungstherapie<br />

Diese sollte als wesentliches Element einer jeden angestrebten Gewichtsreduktion<br />

sein. Es ist ein Kalorienverbrauch von ca. 2500 kcal pro Woche durch die sportliche<br />

Betätigung anzustreben. Das Trainingspensum sollte langsam gesteigert werden bis<br />

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- 10 -<br />

idealerweise 3 bis 5 Einheiten in <strong>der</strong> Woche mit jeweils 30 bis 60 Minuten Dauer<br />

erreicht werden. Nicht gelenksbelastende Ausdauersportarten wie Radfahren,<br />

Schwimmen, Nordic Walking sind empfehlenswert. Entgegen früherer Annahme ist<br />

jedoch auch Krafttraining nicht zu vernachlässigen. Hier wird <strong>der</strong> Abnahme <strong>der</strong> fettfreien<br />

Masse durch die Kalorienreduktion entgegengewirkt. Zusätzlich steigert Krafttraining<br />

den Grundumsatz auch nach dem Training (bis zu 24 Stunden) deutlich, sodass<br />

hier ein zusätzlicher Kalorienverbrauch erreicht wird, welcher die Gewichtsabnahme<br />

unterstützt.<br />

Ein weiterer weit verbreiteter Irrglaube ist die Annahme, im sogenannten „Fettstoffwechselbereich“<br />

trainieren zu müssen: Relativ gesehen (= prozentuell) verbrennt<br />

man umso mehr Fett, je weniger intensiv die körperliche Belastung ist, jedoch ist aufgrund<br />

des niedrigen Energieumsatzes die absolute Menge an verbranntem Fett gering.<br />

Dies bedeutet, dass in Ruhe in erster Linie Fette als Energielieferant herangezogen<br />

werden.<br />

Je intensiver die Belastung wird, desto weniger trägt Fett prozentuell zur Energiegewinnung<br />

<strong>bei</strong> und es wird gegenläufig immer mehr Glukose verbrannt (primär aus<br />

den muskulären Glykogenspeichern) aber auch aus dem Blut (Blutglukose). Dafür<br />

steigt aber <strong>der</strong> Kalorienverbrauch mit zunehmen<strong>der</strong> Belastung.<br />

Das bedeutet, dass <strong>bei</strong> einer höheren Intensität <strong>der</strong> Belastung <strong>der</strong> geringere relative<br />

(= prozentuelle) Anteil <strong>der</strong> Fettverbrennung an <strong>der</strong> Energiegewinnung einer größeren<br />

absoluten Menge an verbranntem Fett entsprechen kann, als es <strong>bei</strong>m postulierten<br />

„Fettverbrennungstraining“ <strong>der</strong> Fall ist!<br />

Abgesehen davon wird insgesamt mehr Energie verbraucht, was letztendlich für die<br />

Gewichtsreduktion entscheidend ist.<br />

Zum besseren Verständnis zwei Beispiele aus <strong>der</strong> Praxis:<br />

‣ Langsames Laufen mit „Fettverbrennungspuls“: Herzfrequenz ca. 60 % <strong>der</strong><br />

maximalen Herzfrequenz (zB 110 - 130/min). Das bedeutet ungefähr 70 – 80 %<br />

Fettverbrennung, 20 – 30 % Glukoseverbrennung. Der Energieumsatz beträgt<br />

ca. 8 Kilokalorien pro Minute, somit kommen ca. 6 kcal pro Minute aus <strong>der</strong> Verbrennung<br />

freier Fettsäuren.<br />

‣ Laufen mit mittlerer Geschwindigkeit: Herzfrequenz 75 - 80 % <strong>der</strong> max. HF<br />

(zB 140 - 160/min). Hier haben wir einen deutlich höheren Energieumsatz<br />

(ca. 17 kcal/min), wo<strong>bei</strong> die Energie zu ungefähr gleichen Anteilen aus Fett-<br />

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- 11 -<br />

verbrennung und Glukoseverbrennung bereitgestellt wird. In diesem Fall werden<br />

ca. 8 - 9 „Fettkalorien“ pro Minute verbraucht.<br />

Das bedeutet, dass in diesem Fall durch den höheren Kalorienverbrauch im gleichen<br />

Zeitraum um ein Viertel bis ein Drittel mehr Fett verbrannt wird!<br />

7. Medikamentöse Unterstützung zur Gewichtsreduktion<br />

(Anmerkung <strong>der</strong> <strong>NÖGKK</strong>: Keine Krankenkassenleistung)<br />

7.1 Sibutramin (Reductil ® )<br />

Sibutramin ist ein Serotonin-, Noradrenalin- und in geringerem Ausmaß ein Dopamin-<br />

Wie<strong>der</strong>aufnahmehemmer. Reductil ® ist registriert für die Behandlung von Patienten<br />

mit einem BMI > 30kg/m² im Rahmen eines umfassenden Behandlungskonzeptes,<br />

sofern diese Patienten auf konventionelle, nicht medikamentöse Maßnahmen<br />

ungenügend angesprochen haben. Entsprechend seiner pharmakodynamischen<br />

Wirkung führt das Medikament zu einem Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz.<br />

Da auch das Risiko für Arrhythmien, Herzinsuffizienz, Schlaganfälle, intraoculäre<br />

Blutungen und Sehstörungen erhöht ist, muss die Indikationsstellung dementsprechend<br />

restriktiv erfolgen.<br />

Mit einer Behandlung durch Sibutramin konnten fast 20 % <strong>der</strong> Patienten ihr Gewicht<br />

um mehr als 10 % und 55 % <strong>der</strong> Patienten nur um 5 % reduzieren. Zudem konnte<br />

nach 6 - 9 Monaten keine weitere Gewichtsreduktion mehr erreicht werden, nach<br />

Studiendaten ist nach Absetzen <strong>der</strong> Medikation eine erneute Gewichtszunahme zu<br />

erwarten.<br />

7.2 Orlistat (Xenical ® )<br />

Orlistat ist ein Lipasehemmer, <strong>der</strong> die Fettverdauung im Darm stoppen soll. Die Substanz,<br />

die das entscheidende Enzym in <strong>der</strong> Fettverdauung (Lipase) hemmt, stammt<br />

aus dem Bodenbakterium Streptomyces toxytricini. Hierdurch wird erreicht, dass<br />

30 % des Fettes unverdaut den Magen-Darm-Trakt passieren, wenn 3 x tgl. jeweils<br />

eine Kapsel zu den Mahlzeiten eingenommen wird. Zu den Nebenwirkungen zählen<br />

Kopfschmerzen, Fettstühle, sowie ein Verlust an fettlöslichen Vitaminen. Zusätzlich<br />

wurde schon über aufgetretene Pankreatitiden, Cholecystitiden und Blutdruckerhöhungen<br />

berichtet.<br />

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- 12 -<br />

8. An<strong>der</strong>e Maßnahmen/Weiteres<br />

Eventuell kann nach starken Gewichtsverlusten die Indikation zur plastischen Korrektur<br />

von großen Fettschürzen gegeben sein. Hier treten leicht Dermatosen und<br />

Mykosen auf, welche die Teilnahme am normalen täglichen Leben (Schwimmbad)<br />

erschweren.<br />

8.1 Gastric-Banding-Operation<br />

Dieser rein restriktive Eingriff erfor<strong>der</strong>t eine prä- und postoperative intensive Betreuung<br />

des Patienten, <strong>der</strong> die dazu notwendige Bereitschaft mitbringen muss. Postoperativ<br />

muss das Ess- und Trinkverhalten entscheidend verän<strong>der</strong>t werden. Ebenso ist<br />

zu erwähnen, dass gerade <strong>der</strong> extrem übergewichtige Patient in die chirurgischen<br />

Maßnahmen hohe Erwartungen, oft unerfüllbare Hoffnungen setzt.<br />

Generell sollte dieser Wahleingriff erst <strong>bei</strong> Personen mit <strong>Adipositas</strong> Grad III (BMI<br />

> 40), <strong>bei</strong> denen konservative Behandlungsmethoden nachweislich nicht erfolgreich<br />

waren, o<strong>der</strong> <strong>bei</strong> Grad II (BMI > 35), <strong>bei</strong> bestehenden schwerwiegenden Begleiterkrankungen,<br />

in Erwägung gezogen werden.<br />

8.2 Liposuction<br />

Die Fettabsaugung ist kein geeignetes Verfahren eine generalisierte <strong>Adipositas</strong> zu<br />

behandeln.<br />

Info:<br />

Dr. Michael Lechner<br />

Telefon: 050899-6116<br />

E-<strong>Mai</strong>l: michael.lechner@noegkk.at<br />

Dr. Eva Göstel<br />

Telefon: 050899-6119<br />

E-<strong>Mai</strong>l: eva.goestel@noegkk.at<br />

./13


- 13 -<br />

Literatur<br />

1. Evidenzbasierte Leitlinie – „Prävention und Therapie <strong>der</strong> <strong>Adipositas</strong>“<br />

Deutsche <strong>Adipositas</strong> Gesellschaft 12/2004<br />

2. ärztemagazin 50/2001; DFP-Fortbildungsar<strong>bei</strong>t: „<strong>Adipositas</strong> – Ursachen, Risiko und Therapie“<br />

von Univ.-Prof. Dr. Bernhard Ludvik<br />

3. ärztemagazin 26/2004; 25. Juni 2004; DFP-approbiert; „<strong>Adipositas</strong>“ von Univ.-Prof. Dr. Bernhard<br />

Ludvik<br />

4. www.universimed.com/adipositas<br />

5. www.cardiovasc.de<br />

6. www.dr-walser.ch<br />

7. www.wikipedia.org/ wiki/<strong>Adipositas</strong><br />

8. Evidenzbasierte Leitlinie – „Chirurgische Therapie <strong>der</strong> extremen <strong>Adipositas</strong>“<br />

Deutsche Gesellschaft für Chirurgie <strong>der</strong> <strong>Adipositas</strong> 12/2005<br />

9. Curriculum Schweiz Med Forum Nr.39; 25. September 2002: „Sekundärfolgen <strong>der</strong> <strong>Adipositas</strong> und<br />

Therapieansätze“ von Prof. Dr. med. U. Keller<br />

10. ÄrzteWoche, DFP-Literaturstudium 15. Oktober 2005: „<strong>Adipositas</strong> im Kindes- und Jugendalter“<br />

von Prof. Dr. Siegfried Gallistl

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