06.11.2013 Aufrufe

ORSON HYDE

ORSON HYDE

ORSON HYDE

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>ORSON</strong> <strong>HYDE</strong><br />

Eine kurze Biographie<br />

Donald Q. Cannon<br />

Associate Dean of Religious Education Brigham Young Universität<br />

Orson Hyde wurde am 8. Januar 1805 in Oxford im US Staat Connecticut geboren. Er<br />

wurde im selben Jahr und in demselben Gebiet der Vereinigten Staaten geboren wie Joseph<br />

Smith, der Gründer der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Viele der Führer<br />

in der Frühzeit der Mormonenkirche kamen aus Neu England. Es war das Saatbeet des<br />

Mormonismus.1<br />

Als Hyde noch Kind war, starb seine Mutter und er mußte, so wie der zweite Führer der<br />

Kirche, Brigham Young, mutterlos aufwachsen. Nicht lange danach, als er zwölf Jahre alt war,<br />

starb sein Vater ebenfalls. Vielleicht hat der Verlust seiner Eltern ihn dazu gezwungen,<br />

Selbstvertrauen und Unabhängigkeit zu entwickeln, die für ihn sehr charakteristisch wurden.<br />

2<br />

Im Alter von vierzehn Jahren zog er mit seinem Pflegevater Nathan Wheeler und dessen<br />

Familie nach Ohio. Nachdem Hyde vier Jahre lang auf dem Hof der Familie Wheeler<br />

gearbeitet hatte, fand er Arbeit im Laden von Gilbert und Whitney in Kirtland.<br />

Im Jahre 1827, während einer Zeltversammlung der Methodisten, wurde er zu deren<br />

Glauben bekehrt und zum Lehrer bei den Methodisten ernannt. Später schloß er sich der<br />

Glaubensgemeinschaft der Campbelliten an, einer Wiederherstellungsbewegung, die sich die<br />

Wiederherstellung des neutestament-lichen Christentums als Ziel gesetzt hatten und der auch<br />

Sidney Rigdon angehörte. Hyde diente später als Pastor der Gemeinden in den umliegenden<br />

Ortschaften Orson Hyde lernte 1830 den Mormonismus und das Buch Mormon kennen, als<br />

einige deren Missionare in dem Gebiet, wo er wohnte, zu den Indianern predigte.<br />

Nachdem er es gelesen hatte, erklärte er, das Buch Mormon sei erdichtet. Die<br />

Campbelitten forderten ihn auf, gegen das Buch Mormon zu predigen. Aber dieser Auftrag,<br />

sein Gebet und Studium führten ihn dazu, an das Buch zu glauben und sich zum<br />

Mormonismus zu bekehren. Auf diese Weise wurde er durch das Buch Mormon zum<br />

Mormonismus gebracht und schloß sich damit hunderten von anderen an, die durch diese<br />

heilige Schrift bekehrt worden waren. 4<br />

- 1 -


Sidney Rigdon, bereits ein Mormone, taufte Orson Hyde am 30. Oktober 1831 und<br />

ordinierte ihn gleichzeitig zum Amt eines Ältesten. Am 1. November 1831 empfing Hyde,<br />

zusammen mit drei Anderen, eine Offenbarung durch Joseph Smith. Ein Auszug aus dieser<br />

Offenbarung, auf ihn Bezug nehmend, folgt:<br />

Mein Knecht Orson Hyde wurde mit seiner Ordinierung berufen, das immerwährende Evangelium durch<br />

den Geist des lebendigen Gottes zu verkündigen - von Volk zu Volk und von Land zu Land, in den<br />

Zusammenkünften der Schlechten, in ihren Synagogen, daß er mit ihnen darüber rede und ihnen all heilige<br />

Schrift erläutere. (LuB 68:1)<br />

Obwohl das Wort "Synagoge" auch anderswo im Buch Lehre und Bündnisse und im<br />

Buch Mormon verwendet wird, ist sein Gebrauch in einer Offenbarung für Orson Hyde<br />

bemerkenswert. Da er dazu bestimmt war, unter den Juden eine wichtige Aufgabe zu<br />

verrichten, sind die Worte "in ihren Synagogen" vielleicht eine Andeutung seiner zukünftigen<br />

Aufgabe und nicht nur ein allgemeiner Hinweis auf ein Kirchengebäude.<br />

Im Frühjahr des Jahres 1832 trat Orson Hyde seine erste Mission an. Sein erster<br />

Mitarbeiter war der jüngere Bruder Joseph Smiths, Samuel Smith. Im ganzen erfüllte er<br />

mindestens zwölf Missionen.<br />

Diese beiden Ältesten legten in den Staaten Pennsylvanien, New York, Connecticut,<br />

Rhode Island, Massachusetts, New Hampshire und Maine 4800 km zurück und das meistens<br />

zu Fuß. Diese Mission brachte viele Enttäuschungen mit sich, besonders weil seine Lehren<br />

von Mitgliedern seiner eigenen Familie abgelehnt wurden. Hyde war ganz besonders darüber<br />

enttäuscht, daß sein Bruder Ashael das Evangelium nicht annahm. Seine Enttäuschung<br />

kommt in diesen Worten zum Ausdruck:<br />

"Diese war eine der mühsamsten und schwierigsten Missionen, die jemals in der Kirche erfüllt wurden.<br />

Wir wurden oftmals abgewiesen." 5<br />

Dennoch war seine Mission in vieler Hinsicht erfolgreich. Samuel Smith und Orson<br />

Hyde eröffneten die Missionsarbeit im Staate Maine, tauften mehr als sechzig Personen, und<br />

gründeten vier Gemeinden der Kirche: eine in Maine, zwei in Massachusetts und eine in<br />

Pennsylvanien. 6<br />

In diesen ersten Jahren seiner Mitgliedschaft in der Mormonenkirche entwickelte Orson<br />

Hyde einen guten Ruf als Gelehrter und Lehrer des Evangeliums. Die Mitglieder sahen in<br />

ihm einen der überzeugendsten und interessantesten Sprecher in der ganzen Kirche. Er<br />

- 2 -


verbrachte so viel Zeit mit der Bibel, daß er später sagte, er habe die Bibel in drei Sprachen,<br />

nämlich englisch, deutsch und hebräisch, auswendig gelernt. leider scheint es dafür wenig<br />

Beweise zu geben. Man muß Orson glauben. 7<br />

Im Jahre 1834 hatte Orson Hyde eine einzigartige Gelegenheit: Er wurde berufen, mit<br />

dem Zionslager, einer militärischen Einheit zu marschieren, die organisiert worden war, um<br />

das Land im Landkreis Jackson, im Staate Missouri, von dem die Heiligen vertrieben worden<br />

waren, wieder zurückzugewinnen. Hyde rekrutierte Truppen und sammelte Geld in den<br />

Staaten Pennsylvanien und New York für diesen Marsch. Sobald die Truppen rekrutiert und<br />

das Geld gesammelt waren, marschierte das Zionslager fast 1600 Kilometer von Ohio nach<br />

Missouri. Orson Hyde marschierte mit. Als es offensichtlich wurde, daß es ihnen nicht<br />

möglich sein würde, ihr Land in Missouri zurückzugewinnen, wurden zwecks Verhandlungen<br />

Repräsentanten zu der staatlichen Regierung von Missouri gesandt. Joseph Smith wählte<br />

Parley P. Pratt und Orson Hyde als Verhandlungspartner mit Gouverneur Dunklin. Hyde<br />

stellte fest, daß Dunklin nicht helfen wollte, weil er einen Bürgerkrieg befürchtete. Zu guter<br />

letzt wurde das Zionslager aufgelöst, und die Mitglieder gingen nach dem Staate Ohio zurück.<br />

Obwohl das Zionslager nicht in der Lage war, das Eigentum der Heiligen in Missouri<br />

zurückzugewinnen, erfüllte es eine wichtige Aufgabe: Es unterzog diejenigen, die später<br />

Kirchenführer werden sollten, einer Prüfung und traf unter ihnen eine Auswahl. Orson Hyde<br />

hat seine Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit ausgeführt und wurde später ein wichtiger<br />

Kirchenführer.8<br />

Während der nächsten beiden Jahre ereigneten sich zwei sehr wichtige Dinge im Leben<br />

Orson Hydes. Am 4. September 1834 heiratete er Marinda Nancy Johnson, die aus der<br />

berühmten Familie von John Johnson aus Hiram im Staate Ohio stammte. Am 15. Februar<br />

1835 wurde er als einer der ursprünglichen Zwölf Apostel berufen. Dieses zweite Ereignis<br />

war der Anlaß für Hyde, den Rest seines Lebens der Kirche zu dienen. 9<br />

Ein wichtiger Teil dieses Dienstes war die Berufung als einer der ersten beiden Apostel-<br />

Missionare nach Großbritannien in den Jahren 1837-38. Hyde erlebte die Erfolge und auch<br />

die Mißerfolge dieser wichtigen Missionsbemühungen. Zum Beispiel war er unter denen, die<br />

von bösen Geistern in Preston angegriffen wurde. Er trug ebenfalls dazu bei, zahllose<br />

britische Mitglieder zu bekehren und zu taufen. 10<br />

Die Ereignisse der Jahre 1838 und 39 in Missouri waren der Anlaß für eine atypische und<br />

unglückliche Ära im leben Orson Hydes: er wurde nämlich Opfer einer Abfallsflut. Hyde ließ<br />

sich durch den Abfall anderer, wie zum Beispiel der Drei Zeugen, beeinflußen. Er war<br />

ebenfalls durch die intensiven Verfolgungen in Missouri entmutigt. In diesem Zustand des<br />

Abfallens verlor er seinen Glauben an Joseph Smith und unterschrieb eine von Thomas B.<br />

Marsh verfaßte eidesstattliche Erklärung, in der falsche Anklagen von Bürgern von Missouri<br />

gegen die Mormonen bestätigt und dadurch Kirchenmitglieder in Missouri gefährdet wurden.<br />

Diese bedauerliche Handlungsweise führte zum Kirchenausschluß Hydes am 16. Januar 1839.<br />

Glücklicherweise erlangte er seinen Glauben wieder, bat um Wiederaufnahme in die Kirche,<br />

ein Ansinnen, dem auch stattgegeben wurde, und er wurde sogar wieder als Mitglied des<br />

Kollegiums der Zwölf aufgenommen. Dies wurde in der Generalkonferenz im Oktober 1839<br />

bestätigt. 11<br />

Eine der wichtigsten Aufgaben seines Lebens erfüllte er in den Jahren 1840 - 1842. Ich<br />

meine damit seine Mission nach Europa und dem Nahen Osten, während der er das Heilige<br />

- 3 -


Land für die Sammlung der Juden weihte. Da dieses Thema ausführlich von Professor Tobler<br />

und Professor Van Orden abgehandelt wird, werde ich bis auf einen Punkt nicht weiter<br />

darauf eingehen.<br />

Eine sehr interessante Frage im Zusammenhang mit seiner Mission nach Palästina betrifft<br />

Orson Hydes Abstammung. War er Jude? Myrtle Hyde, die Familienhistorikerin und<br />

Genealogin der Familie Hyde, behandelt diese interessante Frage in einer Abhandlung, die sie<br />

1985 schrieb. 12<br />

Sie erklärt, daß viele Heilige der letzten Tage fragen, ob Hyde Jude war oder nicht. Sie<br />

erwarten ein Ja. Die knappe Antwort der Frau Hyde ist, daß wir es nicht wissen. Ihre<br />

ausführliche Antwort ist aber viel komplizierter. Diese vollständigere Antwort, erfordert die<br />

Überprüfung der geschichtlichen Quellen der Heiligen der Letzten Tage.<br />

In der History of the Church, Band 4, Seite 375, ist ein Brief Orson Hydes an den<br />

Rabbiner, Dr. Hirschell. Hyde schrieb diesen Brief bei einem Zwischenaufenthalt in London<br />

als er auf dem Wege nach Jerusalem war, um das Land für die Rückkehr der Juden zu weihen.<br />

Der Adressat des verfaßten Briefes war der Rabbiner Hirschell, Präsident der Hebräischen<br />

Gesellschaft von England. Im entscheidenden Teil des Briefs schreibt er:<br />

Vor ungefähr neun Jahren [also im Jahre 1832], legte ein junger Mann, den ich erst kurz vorher<br />

kennengelernt hatte [Joseph Smith], der voll von Weisheit und Erkenntnis war -- und dem der Allmächtige<br />

viele Geheimnisse anvertraut hatte, seine Hände auf mein Haupt und sagte diese bemerkenswerten Worte:<br />

"zur rechten Zeit sollst du nach Jerusalem gehen, dem Land deiner Väter, und ein Wächter des Hauses Israel<br />

sein."<br />

Den zweiten Punkt, auf den Frau Hyde hinwies, finden wir in der Comprehensive History<br />

of the Church, von B. H. Roberts. Im Band 2, auf Seite 45 steht: "Ältester Hyde war anscheinend<br />

ein Nachkomme des Stammes Juda." Die Quellenangabe ist derselbe Brief, der in der History of<br />

the Church angegeben ist. Myrtle Hyde stellt fest, daß Roberts diese Feststellung mit dem<br />

Wort "anscheinend" wiedergibt.<br />

Joseph Fielding Smith schreibt in seinem Buch Wichtiges aus der Kirchengeschichte<br />

(Essentials of Church History), daß Apostel Hyde von dem Hause Juda kam." (Ausgabe von<br />

1971, Seite 259). Seine Quelle ist wiederum der Brief an den Rabbiner Hirschell. Der Apostel<br />

LeGrand Richards schrieb in seinem Buch Israel Do You Know?, daß der Apostel Orson<br />

Hyde "ein Nachkomme von Juda sei." (Ausgabe von 1973, S. 194).<br />

Eine andere wichtige Quelle für Heilige der Letzten Tage ist der Patriarchalische Segen -<br />

ein Segen, zu dem jedes würdige Mitglied berechtigt ist. Patriarchalische Segen helfen im<br />

allgemeinen mit Fragen in Bezug auf jemandes Abstammung, weil sie normalerweise eine<br />

Aussage bezüglich der Abstammungslinie enthalten. Im Falle von Hyde gibt es allerdings ein<br />

Problem. Der erste Segen ist verloren gegangen; in dem zweiten ist keine Abstammungslinie<br />

enthalten.<br />

Als Genealogin der Familie Hyde, hat Frau Hyde dreiviertel der Abstammungslinien von<br />

Orson Hyde auf Einwanderer nach New England zurückgeführt. Ein jeder von ihnen war<br />

englischer Abstammung; keiner von ihnen war jüdisch. Wir sollten jedoch festhalten, daß ein<br />

Viertel der Vorfahren unbekannt sind.<br />

Einer der Hauptbeweise seitens Hydes, der gegen seine jüdische Abstammung spricht, ist<br />

eine Feststellung in einem Buch, das im Jahre 1842 veröffentlicht wurde. Auf seiner<br />

Rückreise von Jerusalem arbeitete er in Regensburg an einem Buch mit dem Titel Ein Ruf aus<br />

- 4 -


der Wüste, eine Stimme aus dem Schoose der Erde (A Cry from the Wilderness, A Voice<br />

from the Dust of the Earth) und veröffentlichte es später in Frankfurt. In diesem Buch<br />

schreibt Hyde über sich: "Ich bin kein Jude, noch bin ich der Sohn eines Juden; aber ein Freund der<br />

Juden."<br />

Myrtle Hyde steht sich widersprechenden Beweisen gegenüber und gibt daher eine<br />

vorläufige, aber genaue Antwort: "wir wissen es nicht." Die Abstammung Hydes verbleibt<br />

daher ungewiss.<br />

Nach seiner Rückkehr nach Nauvoo fing er 1843 an in Vielehe zu leben. Seine erste<br />

Frau, Marinda, gab ihre Zustimmung zu seiner Eheschließung mit Martha R. Browett und<br />

Mary Ann Price. Dadurch nahm er an einem der bekanntesten, aber am wenigsten<br />

verstandenen frühen Bräuche des Mormonismus teil.13<br />

Als andere Heilige aus Nauvoo vertrieben wurden, blieb Orson Hyde zurück um die<br />

Vollendung und Einweihung des Nauvoo Tempels zu beaufsichtigen. Diese Einweihung fand<br />

am 30. April 1846 statt. Diese Vollendung und Einweihung des Tempels nach dem Wegzug<br />

der Mormonen von Nauvoo, ist Beweis für die ewige Bedeutung der Tempel für die Heiligen<br />

der Letzten Tage. 14<br />

Während der Zeit, in der Hyde in Nauvoo verblieb, und die Mormonenpioniere auf den<br />

Steppen lowas waren, schrieb er mehrere Briefe an Brigham Young. Der Schriftwechsel<br />

zwischen Hyde und Young hatte einige Jahre vorher begonnen und wurde bis zum Tode<br />

Präsident Young's im Jahre 1877 fortgesetzt. Dieser Schriftwechsel ist aus mehreren Gründen<br />

sehr bedeutsam. Er ist Beweis ihrer Freundschaft und ihrer Zusammenarbeit. Er zeigt<br />

ebenfalls Hydes Einfluß auf Brigham Young. Schließlich verschafft er uns Einblicke in die<br />

Persönlichkeit von Orson Hyde. Hier einige kurze Auszüge, um diesen letzten Punkt zu<br />

illustrieren. Als er sich nach seiner Übertretung in Missouri außerhalb der Kirche befand,<br />

schrieb er einen Brief, in dem er um Vergebung bat. Das folgende Beispiel ist aus diesem<br />

Brief:<br />

Die strafende Hand des Herrn hat für mich das getan, was, so meine ich, sonst nichts hätte tun können.<br />

Wenn die Kirche mich als einen Pfarrer oder als einen Soldaten oder einen Türhüter haben möchte, so kann<br />

sie mich haben. Ich brauche Dir nicht zu schreiben, daß ich buchstäblich gestorben und von den Toten<br />

auferstanden bin, seit ich in Far West verloren war. Ich werde aber mehr darüber sagen, wenn ich Dich wieder<br />

persönlich treffe. Behalte diesen Teil bitte für Dich.<br />

Brigham, wirst Du mir vergeben? Wird die Kirche mir vergeben? Wenn ja, wird Gott mir auch vergeben.<br />

(Orson Hyde an Brigham Young, 30. März 1839, New Franklin, Missouri, LOS Church<br />

Archives, Satt Lake City .)15<br />

Er versuchte nicht, über Schwierigkeiten zu klagen, die das Leben der Pioniere in den<br />

Grenzgebieten mit sich brachte, aber seine Gefühle kamen dennoch zum Ausdruck, wie der<br />

folgende Brief zeigt.<br />

Ich schaffte es in zwölf Tagen vom Steilufer nach hier zu reisen. Aber, oh<br />

weh! auf einem Pferd über die Prärie zu reisen, der kalte Wind bläst einem 450 Meilen lang ins Gesicht,<br />

Ich will nichts darüber sagen, noch wie sehr mir von den Waden bis hinauf zum höchsten Ehrensitz im Sattel<br />

alles wund war.<br />

(Orson Hyde an Brigham Young, 28. Dezember 1847, St. Louis, Missouri, LDS Archives.)<br />

Seine farbenprächtige Persönlichkeit kommt in dieser Aussage in einem Brief zum<br />

Ausdruck, wo er sagt, was mit Pferdedieben in lowa getan werden sollte.<br />

- 5 -


Etwas muß mit diesen Männer getan werden, und zwar sehr bald oder wir werden in die Luft gejagt,<br />

bevor wir unseren Marsch in die Berge antreten können. Wir haben gesehen, wie sich Soldaten und Pferde zu<br />

diesem Zweck versammelt haben. Was soll mit diesen Männern geschehen? Sollen wir sie alle oder einige von<br />

ihnen verhaften und festhalten bis wir nach Missouri kommen und sie entsprechend benachrichtigen; oder sollen<br />

wir ihre Schwänze hinter ihren Ohren abschneiden und sie nach Hause schicken?<br />

(Orson Hyde an Brigham Young, 14. März 1848, Miller's Valley, lowa, LOS Archives.)<br />

Hyde gab Brigham Young oftmals politischen Rat, selbst wenn er nicht darum gebeten<br />

worden war. In einem Kommentar über Utah als zukünftigen Bundesstaat schrieb er z.B.<br />

1849:<br />

So sehr wir es wünschen, daß die Frage der Sklaverei gelöst wird, und so viel uns auch daran liegt, daß<br />

diese Regierung unvergängliche Gesetze auf dem Gebiet der bürgerlicher Gesetzgebung erläßt, so können wir<br />

doch nicht sehen, daß unsere Union des Salzsees und der Bevölkerung auf der westlichen Seite der Berge, zu<br />

wünschenswerten Ergebnissen mittels Gründung einer staatlichen Regierung beitragen würde.<br />

(Orson Hyde an Brigham Young, 12. Juni 1849, Kanesville, lowa, LDS Archives.)<br />

Er brachte seine Treue zur Kirche mit den folgenden Worten zum Ausdruck:<br />

Ich bin Orson und schreibe im allgemeinen so wie ich denke. Ich habe dennoch keine andere Gefühle in<br />

mir als vollkommene Loyalität gegenüber den Authoritäten der Kirche und des Gottesreiches.<br />

(Orson Hyde an Brigham Young, 26. April 1850, Kanesville, lowa, LDS Archives.)<br />

Nachdem Orson Hyde Nauvoo verlassen und im Missouriflußtal angekommen war,<br />

wurde er auf eine zweite Mission nach England berufen. Ein Grund für diese Berufung war<br />

die Untersuchung des ungehörigen Verhaltens von Reuben Hedlock, der die Joint Stock<br />

Company (Gemeinsame Aktien Gesellschaft), die für die Auswanderung der Heiligen der<br />

Letzten Tage verantwortlich war, nicht sauber verwaltet hatte. Während seiner Mission nach<br />

England diente der Apostel Hyde als Herausgeber des Millennial Star, der bedeutendsten<br />

ausländischen Kirchenzeitschrift. In seinem ersten Leitartikel erklärte er, warum drei Apostel<br />

(Orson Hyde, Parley P. Pratt und John Taylor) nach England gekommen waren, nämlich um<br />

die Probleme mit der Auswanderungsgesellschaft zu lösen. Während seines viermonatlichen<br />

Dienstes als Herausgeber schrieb er die meisten Artikel und Kommentare im Millennial Star.<br />

Dies war die letzte Überseemission Orson Hyde's, und sie war sehr erfolgreich. 16<br />

Nach Rückkehr von seiner zweiten Mission nach Großbritannien trug Orson Hyde zum<br />

Auszug der Mormonenpioniere dadurch bei, daß er über die Heiligen in lowa präsidierte. Sein<br />

Hauptquartier war in Kanesville, heute Council Bluffs, in dem Missouriflußtal, das nach dem<br />

"Freund der Mormonen," Thomas L. Kane, benannt worden war. Dort, im Heim von Orson<br />

Hyde, wurde Brigham Young zum ersten Mal einstimmig als Präsident der Kirche anerkannt.<br />

Es war in der Tat Orson Hyde, der vorschlug, daß Brigham Young als Präsident der Kirche<br />

anerkannt werden sollte. In der gleichen Versammlung wurde Orson Hyde das älteste<br />

Mitglied des Rates der Zwölf und Präsident. Er hielt dieses Amt dreißig Jahre lang inne,<br />

länger als irgend jemand anders in dieser letzten Evangeliumszeit. Zusätzlich zu seinen<br />

kirchlichen Pflichten hatte Orson Hyde zahlreiche zeitliche Pflichten zu erfüllen. Er war für<br />

den Verkauf und die Verteilung von Grundstücken zuständig, für den Bau öffentlicher<br />

Gebäude, für die Ausrüstung von Pionierkompanien nach dem Westen, und ebenfalls für die<br />

Handhabung der Durchreisenden, die nicht Mormonen waren, wie zum Beispiel alle die, die<br />

wegen des Goldrausches nach Kalifornien wollten. Er war in anderen Worten die höchste<br />

- 6 -


Autorität sowohl zeitlichen als auch kirchlichen Angelegenheiten in Kanesville. 17<br />

Eine der interessantesten Dimensionen seiner Tätigkeiten in Kanesville hatte mit der<br />

Veröffentlichung der Mormonenzeitung Frontier Guardian zu tun. Sie wurde in den Jahren<br />

1849 bis 1852 herausgegeben, im ganzen etwa einhundert Ausgaben. Der Frontier Guardian<br />

war eine richtiggehende Zeitung, obwohl sie in einer kleinen Grenzstadt herausgegeben<br />

wurde. Sie wurde halbmonatlich unter dem vollständigen Titel The Frontier Guardian und<br />

lowa Sentinel herausgegeben. Der Name Orson Hydes erscheint als Herausgeber und<br />

Eigentümer. Der Guardian hatte Agenturen in verschiedenen Städten in den Vereinigten<br />

Staaten und war daher kein unbedeutendes Unternehmen. 18<br />

Wie es in jener Zeit üblich war, druckte der Frontier Guardian Artikel aus anderen<br />

Zeitungen, und zwar aus den Vereinigten Staaten und aus Übersee, besonders aus Europa, ab.<br />

In dem Guardian waren Artikel aus anderen Kirchenveröffentlichungen, wie z.B. der<br />

Millennial Star in England, und nicht-mormonische Zeitungen wie dem New York Atlas.19<br />

Orson Hyde's Vorliebe für religiöse Themen wird durch die große Anzahl an Artikeln<br />

belegt, die er über den religiösen Glauben der Mormonen druckte. Oftmals druckte er Artikel<br />

von Times and Seasons ab, einer Zeitung in Nauvoo, die in den 1840ger Jahren während des<br />

Aufenthalts der Heiligen in Nauvoo veröffentlicht worden waren. Die Ausgabe vom<br />

Mittwoch, dem 6. April 1850, enthielt zum Beispiel einen Artikel unter dem Titel: "Sind der<br />

Vater und der Sohn Zwei Getrennte Persönlichkeiten?" Der recht lange Artikel wird in<br />

diesem Absatz zusammengefasst:<br />

Wir zögern nicht, diese Frage mit "ja" zu beantworten. Alle Offenbarungen, sowohl in alter und in neuer<br />

Zeit, die je etwas darüber zu sagen hatten, haben den Vater und den Sohn als zwei getrennte Wesen<br />

dargestellt.<br />

Dieses große Interesse an der Religion hat jedoch nicht Nachrichten, die auf staatlicher,<br />

nationaler oder selbst internationaler Ebene von Interesse waren ausgeschlossen. Am<br />

Mittwoch, den 6. März 1850, zum Beispiel, nahm er einen ins einzelne gehenden Bericht über<br />

die Debatten im Kongress bezüglich der Zulassung Kaliforniens als Bundesstaat,<br />

einschließlich der von Henry Clay vorgeschlagenen Resolutionen, auf.<br />

Von persönlichem Interesse für den Apostel Hyde sind die Entwicklungen im Nahen<br />

Osten. Dies wird durch einen Artikel mit dem Titel "Juden, Judäa und Christentum," gezeigt,<br />

der auf der Titelseite der Ausgabe vom Mittwoch, dem 20. März 1850 erschien. Eine<br />

Schlüsselpassage lautet darin: "Die Juden befinden sich in einer sehr günstigen Lage, nämlich das<br />

verheißene Land wieder für sich in Besitz zu nehmen."<br />

Wie zu erwarten enthielt der Guardian viele Geschichten bezüglich der Ereignisse in<br />

Utah. Am Mittwoch, den 23. Januar 1850, zum Beispiel, veröffentlichte er die Geschichte<br />

vom Seemövenwunder, als die Seemöven auf wundersame Weise die Ernten der Heiligen<br />

retteten, indem sie im Frühjahr 1848 Horden von Heuschrecken verschlangen.<br />

Lokale Nachrichten wurden ebenfalls mit eingeschlossen. Die Ausgabe vom 23. Januar<br />

1850 enthielt eine Geschichte von einer Sägemühle in Kanesville, die von dem Mormonen,<br />

Amos Jackson, betrieben wurde. Jackson hatte jahrelang daran gearbeitet, eine Sägemühle zu<br />

entwickeln, die zum großen Teil durch das Gewicht des zu sägenden Baumstammes<br />

angetrieben wurde, und nicht durch Dampf- oder Wasserkraft.<br />

Alles in allem, der Frontier Guardian demonstrierte die Fähigkeiten des Apostels Hyde als<br />

Journalist und Unternehmer. Er war ein sehr fähiger Herausgeber einer Zeitung und auch<br />

- 7 -


Kirchenführer in einer wichtigen Grenzstadt.<br />

Nachdem Orson Hyde Kanesville verlassen hatte und nach Utah kam, engagierte er sich<br />

sehr für die Kolonisierung dieses neuen Landes. Die Kolonisierung Hyde's beschränkte sich<br />

auf drei Gebiete: Wyoming, Nevada und den Sanpete Bezirk in der Mitte Utahs. Durch seine<br />

Arbeit in diesen Gebieten half der Apostel Hyde dem "großen amerikanischen Kolonisator ,"<br />

Brigham Young in sehr beachtlichem Maße. Es war Brigham Youngs Praktik, Apostel in<br />

abgelegene Gebiete zu senden, um dort zu präsidieren. Brigham sandte z.B. Amasa Lyman<br />

und Charles C. Rich nach San Bernardino in Kalifornien. Obwohl Brigham Young and Orson<br />

Hyde nicht immer gleicher Meinung waren, trugen sie doch beide dazu bei den Westen zu<br />

kolonisieren.<br />

Die Kolonisierungsbemühungen in Wyoming sollten die Grundlage für die Einwanderung<br />

der Mormonen und die Missionsarbeit bilden. Ferner sollten sie auch als Basis für eine<br />

Raststätte für den Transport und die Post dienen. Man machte auch Versuche um<br />

herauszufinden, ob Getreide auf einer Höhe von 2.200 Metern über dem Meeresspiegel<br />

wachsen würde. Hyde und andere suchten sich eine Stelle für ihre Ansiedlung aus, die ca. 18<br />

Kilometer in südwestlicher Richtung von Fort Brigder entfernt war. Sie nannten die<br />

Ansiedlung Fort Supply. Die extrem kalten Winter verlangten ihren Tribut bei den Ansiedlern<br />

als auch bei den Tieren. Ein Nebenprodukt der Kolonisierung Wyomings war die<br />

Missionsarbeit unter den Indianern. 20<br />

Anfang 1855 wurde Orson Hyde berufen, die Carson Valley Mission im westlichen Teil<br />

Nevadas, in der Nähe des heutigen Reno, zu leiten. Mormonische Ansiedler waren schon seit<br />

geraumer Zeit in diesem Gebiet. In der Tat waren die Mormonenansiedlungen im Carson<br />

Valley die ersten festen Ansiedlungen in Nevada. Als Orson Hyde 1855 dort ankam, war er<br />

beauftragt, das Oberhaupt der Kirche in diesem Teil Nevadas zu sein und die<br />

Angelegenheiten der Kirche zu regeln. 21<br />

Eine seiner Haupterrungenschaften in der Frühzeit der Ansiedlung war eine<br />

Baumfällaktion und der Bau einer Sägemühle. Beim Überqueren der Sierra-Nevada Berge<br />

verlor Hyde in einem Schneesturm fast sein Leben, was den rauhen Charakter dieser Berge<br />

zeigt. Aufgrund des Utahkrieges wurden Hyde und die Ansiedler nach Utah zurückgerufen.<br />

Deshalb wurde die Carson Valley Mission 1857 geschlossen. 22<br />

Am Ende der 1850er Jahre ordnete Brigham Young an, daß die Apostel in den entfernt<br />

gelegenen Gebieten unter den Heiligen leben sollten, um die Heiligen dort zeitlich und geistig<br />

zu stärken. Als Teil dieser neuen Richtlinie berief Brigham Young Orson Hyde, über den<br />

Sanpete-Sevier Distrikt zu präsidieren. Es gab in diesem Gebiet beträchtliche Schwierigkeiten<br />

mit den Indianern und Hyde wurde beauftragt, diese Probleme zu lösen und auch die Kirche<br />

geistig zu leiten. 23<br />

Hyde baute sein erstes Haus in Manti, einer der ältesten Ansiedlungen in diesem Gebiet.<br />

Später baute er ein Haus in Spring City, einige Meilen nördlich von Manti. Dieses Haus steht<br />

noch heute. Es ist ein großes, zweistöckiges Gebäude, das er aus einheimischem Kalkstein<br />

gebaut hatte. Er bestellte ebenfalls seine Felder, während er in Spring City wohnte.<br />

Während dieser Jahre in Spring City verbrachte Orson Hyde einen großen Teil seiner<br />

Zeit damit, die Probleme mit den Indianer zu lösen. Es gab oftmals Aufstände unter den Ute,<br />

Paiute und San Pitch Indianern. Die Indianeraufstände in den 1860ern im Sanpete Bezirk<br />

waren ein Teil eines größeren allgemeinen Konflikts, der als der Black Hawk Krieg<br />

- 8 -


ezeichnet wird. Der Häuptling der Ute Indianer, Black Hawk, war durch die Einwanderung<br />

der weißen Ansiedler in ihre Heimat sehr bestürzt und hielt 1863 mit anderen<br />

Indianerhäuptlingen eine Ratsversammlung, um über ihr Vorgehen zu entscheiden. Die Utes,<br />

Navajos, Paiutes und San Pitch Indianer nahmen dann auch daran teil. 1865 tätigten sie<br />

verschiedene Angriffe auf Ansiedlungen im Sanpete Bezirk. Die Indianer, die von ihrem Land<br />

vertrieben und von Krankheit heimgesucht worden waren, rächten sich an den<br />

mormonischen Ansiedlern, die für diese Ungerechtigkeit verantwortlich waren. Ungefähr<br />

fünfzig der mormonischen Ansiedler wurden getötet. Einige Dörfer in Südutah, wie Richfield<br />

und Circleville, wurden im Lauf des Krieges aufgegeben. 25<br />

Orson Hyde war besonders bedrückt, als die Indianer das Fort Ephraim im Oktober<br />

1865 angriffen, wobei fünf der Ansiedler getötet wurden. Durch dieses Ereignis wurde er<br />

dazu bewegt, die Heiligen anzuweisen, sich besser zu bewaffnen und Befestigungen zu<br />

errichten. Dies half bis zu einem gewissen Grad, aber die Indianer griffen immer noch an.<br />

1869 wurde endlich eine Friedenskonferenz im Fort Ephraim abgehalten, an der Orson<br />

Hyde, Bischof Johnson, Bischof Peterson und zwei der Indianerhäuptlinge, Black Hawk und<br />

Tam-a-rits, teilnahmen. Die getroffene Vereinbarung half, die Anzahl der Indianerangriffe<br />

gegen die Ansiedler zu vermindern. Schließlich kam Frieden in dieses Gebiet. 26<br />

Obwohl Apostel Hyde ein Mitglied des Rates der Zwölf war, diente er, während er in<br />

Spring City wohnte, ebenfalls als Präsident des Sanpete Pfahles. In dieser Rolle arbeitete er<br />

nicht nur auf seinem Hof und an den Beziehungen mit den Indianern, sondern arbeitete auch<br />

daran, die Geistigkeit der Heiligen in seinem Pfahl zu erhöhen. Er überwachte die<br />

Gemeinden, hielt Konferenzen und sprach oftmals zu den Heiligen. Ein Thema, das er<br />

besonders betonte, war das Familiengebet.27<br />

Als er im Sanpete Bezirk predigte, war er ein sehr erfahrener Prediger. Er hatte Hunderte<br />

von Ansprachen zu vielen verschiedenen Themen gegeben. Hier sind einige kurze Auszüge<br />

aus diesen Predigten:<br />

Gott<br />

Denkt daran, daß Gott, unser Himmlischer Vater, vielleicht auch einmal ein Kind war, ein irdischer<br />

Mensch wie wir, und er stieg Schritt für Schritt auf der Waage des Fortschritts, in der Schule des Aufstiegs<br />

auf; er ging vorwärts und<br />

überwandt, bis Er an dem Punkt angekommen ist, wo Er jetzt ist. 28<br />

Engel<br />

. . . Engel werden in dem Werk der letzten Tage teilnehmen. Was werden sie tun? Der Erretter sagte:<br />

"Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun<br />

die Leute schi iefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg." Er ließ sie beide<br />

wachsen bis zur Ernte; dann wird er "den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in<br />

Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune." Der Acker ist die Welt. Wer sind<br />

die Arbeiter? Die Engel sind die Arbeiter. 29<br />

Viele Wohnungen<br />

- 9 -


. . . "Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen." Der Glanz der Sonne ist anders als der Glanz<br />

des Mondes, anders als der Glanz der Sterne; denn auch die Gestirne unterscheiden sich durch ihren Glanz.<br />

So ist auch mit der Auferstehung der Toten. (1. Kor. 15:41-42)<br />

Die Kinder dieser Welt, die die Dunkelheit mehr lieben als das Licht, werden sich letzten<br />

Endes als Bewohner jener Planeten wiederfinden, die sich in der äußersten Dunkelheit<br />

bewegen; sie haben ein Heim, das ihrem Charakter und ihrer Veranlagung angepasst ist.<br />

Die inspirierten Apostel und Propheten, zusammen mit den Märtyrern Jesu, und all den<br />

Reinen und Geheiligten, werden eine Herrlichkeit der Sonne gleich ererben . . . 30<br />

Verfassung<br />

Nun möchte ich einige Worte in Bezug auf die Verfassung der Vereinigten Staaten sagen. Unser Volk<br />

mißt der Verfassung der Vereinigten Staaten große Heiligkeit zu; das ist richtig und gut. Die Verfassung ist<br />

gut genug, genau so wie irgendetwas anderes, das den Zweck seiner Erschaffung erfüllt, wenn dieser Zweck gut<br />

ist. 31<br />

Mit den Jahren wurde die Familie Orson Hydes sehr groß. Da er die Vielehe praktizierte,<br />

hatte er neun Frauen und war der Vater von 32 Kindern, das jüngste geboren 1874, nur vier<br />

Jahre vor seinem Tod. 32<br />

In seinem Leben diente Hyde der Kirche mit Leib und Seele. Der erste Tempel in Utah,<br />

der St. George Tempel, wurde vor seinem Tod fertiggestellt. Orson sprach anläßlich der<br />

Einweihung dieses heiligen Gebäudes am 5. April 1877. Während dieser Ansprache gab er<br />

Zeugnis von der göttlichen Berufung Brigham Youngs und wiederholte sein Zeugnis von der<br />

"Verwandlung" Brigham Youngs in Nauvoo im Jahre 1844. Orson Hyde unterstützte<br />

Brigham Young immer voll und ganz. 33<br />

Während seiner letzten Lebensjahre litt er am Rheumatismus und anderen<br />

Alterserscheinungen. Er gab seine letzte Ansprache am 3. November 1878 in Mount Pleasant<br />

im Sanpete Bezirk. Orson Hyde starb am amerikanischen Erntedankfest, Donnerstag, den 28.<br />

November 1878. Die Beerdigung fand am 1. Dezember 1878 statt, und er wurde im Friedhof<br />

von Spring City begraben. Heute steht ein eindrucksvolles Denkmal an seinem Grab, und<br />

ehrt diesen großen Mann. 34 Seine Größe kann am besten verstanden werden, wenn man<br />

bedenkt, was er zum Aufbau der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage geleistet<br />

hat.<br />

In jungen Jahren bestand sein Hauptbeitrag in der Verkündigung des Evangeliums und<br />

dem Bringen von Seelen zu Christus. In seinen späteren Jahren trug er dazu bei, ein Zuhause<br />

für die zahllosen Bekehrten zum Mormonismus zu schaffen, und den amerikanischen West<br />

zu kolonisieren. Orson Hyde war wahrlich einer der Riesen in der Frühzeit der<br />

Mormonenkirche.<br />

ANMERKUNGEN<br />

- 10 -


1. Howard H. Barron, Orson Hyde: Missionary, Apostle, Colonizer (Bountiful, Utah: Horizon<br />

Publishers, 1977), S.15. Hiernach wird darauf als Barron, Hyde Bezug genommen; Milton<br />

V. Backman, Jr., "The New England Background to the Restoration," Regional Studies in<br />

Latter-day Saint Church History: New England, ed., Donald Q. Cannon (Provo, Utah:<br />

Department of Church History and Doctrine, 1988), p. 33.<br />

2. Barron, Hyde , S. 16; Leonard J. Arrington, Brigham Young: American Moses (New York:<br />

Alfred A. Knopf, 1988), Seiten 11-12.<br />

3. Barron, Hyde , S. 17-21.<br />

4. Ebenda., S. 22-24; Leonard J. Arrington and Davis Bitton, The Mormon Experience: A<br />

History of the Latter-day Saints (New York: Alfred A. Knopf, 1979), S. 31-34.<br />

5. Barron, Hyde , S. 27-37; Marvin S. Hill, "A Historical Study of the Life of Orson Hyde,<br />

Early Mormon Missionary and Apostle from 1805-1852," M.A. thesis, Brigham Young<br />

University, 1955, S. 17. Hiernach wird darauf Bezug genommen als Hill. Das Zitat ist von<br />

"History of Orson Hyde," Millennial Star, 1864, S. 774.<br />

6. Barron, Hyde , S. 37.<br />

7. Ebenda, Seiten 40-41.<br />

8. Roger D. Launius, Zions Camp (Independence, Missouri: Herald Publishing House, 1984,<br />

Seiten 39-47, 113-115.<br />

9. Barron, Hyde , Seiten 53-55; Hill, S. 29.<br />

10. Barron, Hyde , Seiten 87-98; James R. Moss, "The Gospel Restored to England," Truth<br />

Will Prevail (Cambridge, England: Corporation of the President of the Church of Jesus<br />

Christ of Latter-day Saints -- Cambridge University Press, 1987),S.77.<br />

11. Barron, Hyde , Seiten 103-109, Hili, Seiten 37-41.<br />

12. Myrtle Stevens Hyde, "Was Orson Hyde a Jew?" 26.August 1985, nicht veröffentlichter<br />

Artikel.<br />

13. Barron, Hyde , Seite 143; Zu einem allgemeinen Studium der Vielehe siehe Richard S.<br />

Van Wagoner, Mormon PoIygamy: A History (Salt Lake City: Signature Books, 1986.)<br />

14. Ebenda, Seiten 163-165.<br />

15. Eine Abschrift dieser Briefe befinden sich im Besitz des Verfassers. Die Originale<br />

befinden sich im Archiv der LDS Church in Salt Lake City, Utah. Der Tag der<br />

Veröffentlichung eines jeden Briefes steht in Klammern nach jedem Brief.<br />

16. Barron, Hyde , Seiten 168-177.<br />

17. Richard E. Bennet, Mormons at the Missouri, 1848-1852 (Norman, Oklahoma: University<br />

of Oklahoma Press, 1987), Seiten 215-227.<br />

18. Barron, Hyde , Seite 184.<br />

19. The Frontier Guardian im Original befindet sich im LDS Church Archive. Die<br />

- 11 -


Kommentare und Auszüge, die folgen, stammen von den Seiten der Originalausgabe.<br />

Daher ist das Datum eines jeden Zitats im Text die einzige Quellenangabe.<br />

20. Barron, Hyde , Seiten 199-200.<br />

21. Barron, Hyde , Seiten 205-211; Effie Mack, Here is Nevada: A Historv of the State<br />

(Sparks, Nevada: Western Printing and Publishing, 1965), Seiten 61-65. Hiernach wird<br />

darauf Bezug genommen als Nevada.<br />

22. Nevada, Seiten 61-65.<br />

23. Barron, Hyde , Seite 220.<br />

24. Ebenda, Seiten 220-221; Cindy Rice, "Spring City: A Look at a Nineteenth-Century<br />

Mormon Village," Utah Historical Quarterly, Summer 1975):260--27;.<br />

25. Richard D. Poll, et. al., eds., Utah's History (Provo, Utah: Brigham Young University<br />

Press, 1978), S. 365; Warren Metcalf, " A Precacrious Balance: The Northern Utes and<br />

the Black Hawk War ," Utah Historical Quarter!y (Winter 1989):24-35. Für einen<br />

ausgezeichnete Analyse der Mormonen-lndianerpolitik siehe zwei Artikel von Howard A.<br />

Christy. "Open Hand and Mailed Fist: Mormon Indian Relations in Utah, 1847-52, Utah<br />

Historical Quarterly (Summer 1978):216-235; "The Walker War: Defense and<br />

Conciliation as Strategy, Utah Historical Quarterly (Fall 1979): 395-420.<br />

26. Barron, Hyde , Seiten 229-236, 242.<br />

27. Ebenda, Seiten 221, 239.<br />

28. Ebenda, Sei te 254.<br />

29. Ebenda, Sei te 255.<br />

30. Ebenda, Seite 260.<br />

31. Ebenda, Seite 268.<br />

32. Ebenda, Seite 244.<br />

33. Ebenda, Seiten 246-247.<br />

34. Ebenda, Seiten 249-252. Das große, moderne Denkmal wurde 1939 errichtet. Es befindet<br />

sich in der Nähe der östlichen Grenze des Friedhofs in Spring City.<br />

- 12 -


Orson Hydes Weihungsgebet<br />

für die Rückkehr der Juden nach Palästina<br />

von Bruce A. Van Orden<br />

Außerplanmäßiger Professor für Kirchengeschichte und Lehre Brigham Young Universität<br />

Orson Hyde, einer der zwölf Apostel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten<br />

Tage, schrieb im Herbst 1840: "Vor ungefähr acht Jahren gab Joseph Smith, ein Prophet und Diener<br />

des Allerhöchsten Gottes, mir die Verheißung, daß ich eines Tages nach der Stadt Jerusalem gehen würde, um<br />

ein Wächter des Hauses Israel zu sein und dort ein Werk zu vollbringen, das die Sammlun dieser Menschen<br />

in großem Maße beschleunigen würde." 1 Auf diese Weise erhielt Orson Hyde 1832 in Kirtland,<br />

Ohio, in den Vereinigten Staaten von Amerika, die erste Andeutung, daß er eine besondere<br />

Aufgabe unter den Juden haben würde. Der Älteste Hyde bestätigte in einem Brief an einen<br />

Rabbiner in London 1841 die ursprüngliche Prophezeiung von Joseph Smith auf sein Haupt. 2<br />

Im März 1840, während er sich von Malaria 3 erholte, lag er im Bett und dachte über den<br />

apostolischen Dienst nach, der seiner wartete. Seine Kollegen im Rat der Zwölf hatten sich<br />

bereits auf ihre verschiedenen Missionen nach Großbritannien begeben und erwarteten, daß<br />

er sich bald nach seiner Genesung mit ihnen dort treffen würde. Während er im Bett lag, so<br />

sagte Orson, "sah ich eine Vision des Herrn, wie Wolken des Lichts am Himmel." Ihm wurden die<br />

Städte London, Amsterdam, Konstantinopel und Jerusalem gezeigt. Der Geist sagte zu ihm:<br />

"Hier sind viele Kinder Abrahams, die ich in dem Land sammeln will, das ich ihren Vätern gab, und hier<br />

ist auch dein Missionsfeld." Orson wurde in dieser Vision ebenfalls ermahnt, von den<br />

Kirchenführern und dem Governeur des Staates Illinois Dokumente zu erlangen, die ihm in<br />

seinem geistlichen Wirken in diesen Städten helfen würden. Es wurde ihm gesagt, daß diese<br />

monumentale Mission die Augen zahlloser Juden öffnen, und es ihnen ermöglichen würde,<br />

die Absichten Gottes zu erkennen. 4<br />

Anscheinend ging Ältester Hyde sofort wegen dieser Vision zu Joseph Smith und<br />

überzeugte den Propheten von deren Realität und erinnerte ihn auch weiterhin an seine<br />

Prophezeiung von 1832 in bezug auf Orson Hyde's Wirken unter den Juden, denn Joseph<br />

Smith berief Hyde einige Wochen später, in der Konferenz am 6. April, auf solch eine<br />

Mission:<br />

Die jüdische Nation ist schon sehr lange unter den Heiden zerstreut; und wir sind der festen Meinung,<br />

daß die Zeit des Beginns der Rückkehr in das Heilige Land schon gekommen ist. . . . Wir haben, nach dem<br />

Rat des Heiligen Geistes, den Ältesten Orson Hyde, . . . einen treuen Diener Jesu Christi, berufen, unser<br />

Vertreter und Repräsentant in fremden Ländern zu sein und die Städte London, Amsterdam,<br />

Konstantinopel und Jerusalem, und andere Orte, wie er es für notwendig erachtet, zu besuchen, um mit den<br />

Priestern, Herrschern und Ältesten der Juden zu verhandeln. 5<br />

In der gleichen Konferenz frohlockte Orson in längeren Ausführungen über seine frühere Berufung von<br />

Joseph Smith und die Vision, die er vor kurzem gehabt hatte. Ihm folgte der Älteste John E. Page, ein<br />

anderer Apostel, der nicht mit den anderen Mitgliedern der Zwölf nach England gegangen war. Page "sprach<br />

sehr überzeugend über die Mission des Ältesten Hyde, die Sammlung der Juden und die Wiederherstellung des<br />

Hauses Israel; er bewies mit wenigen Worten, aber dennoch sehr überzeugend [aus den Schriften], daß diese<br />

- 13 -


Dinge sich erfüllen würden, und daß die Zeit der Erfüllung fast gekommen war " 6<br />

Danach stimmte die Konferenz ab, den Ältesten Page als den Mitarbeiter des Ältesten Hyde nach<br />

Europa und Palästina zu berufen, und gab beiden die entsprechenden Papiere. Später im gleichen Monat<br />

erhielten beide Apostel ebenfalls einen Empfehlungsbrief von Governeur Thomas Carlin vom Staat Illinois.7<br />

Während des Sommers 1840 zogen die Ältesten Hyde und Page östlich und erbaten auf ihrem Wege<br />

Spenden für ihre Mission. Unterwegs predigten und tauften sie und stärkten die Gemeinden. Der Älteste<br />

Page, der für sich den Ruf eines überzeugenden Missionars erarbeitet hatte, war offensichtlich mehr darauf<br />

bedacht auf seiner Reise das Evangelium zu predigen, als die Reise nach Palästina zu beschleunigen. 8 Hyde,<br />

der seinen Eifer nicht verloren hatte, die Juden in Europa und Palästina zu besuchen, verließ Page in<br />

Cincinnati und reiste östlich nach Philadelphia, wo er Kirchenarbeit verrichtete.<br />

Als Joseph Smith von der Verzögerung hörte, sandte er durch die Kirchenzeitschrift, die Times and<br />

Seasons den beiden Brüder diese Botschaft:<br />

Die Ältesten Orson Hyde und John E. Page werden davon unterrichtet, daß der Herr mit ihnen nicht<br />

zufrieden ist, weil sie ihre Mission verzögert haben, (Ältester John E. Page ganz besonders,) und sie werden<br />

von der Ersten Präsidentschaft gebeten, eilends ihre Reise zu ihrem Bestimmungsort anzutreten. 9<br />

Die Botschaft überzeugte Orson davon, nicht auf Page zu warten und am 13. Februar 1841 nach<br />

Liverpool zu segeln. Er hoffte immer noch, daß Page sich ihm in England anschließen würde. (Obwohl es<br />

Page noch weiter von Kirchenbeamten nahegelegt wurde, sich Orson Hyde anzuschließen, gab er seine Mission<br />

auf, kehrte niemals ganz und gar nach Nauvoo zurück, und 1846 gehörte er nicht mehr zum Kollegium der<br />

Zwölf und hatte die Kirche verlassen.)<br />

Orson arbeitete vom 3. März bis zum 20. Juni 1841 in England. Er stellte fest, wie sehr die Kirche seit<br />

seiner Mission von 1837-38 gewachsen war. Er nahm an einer größeren Konferenz in Manchester mit seinen<br />

apostolischen Brüdern teil, und ging nach London, um dort einige Juden zu treffen. Er versuchte den<br />

präsidierenden Rabbiner der jüdischen Gemeinde in London, Dr .Solomon Hirschell, zu besuchen, der aber<br />

verletzt worden war und keine Besucher empfing. Der Älteste Hyde schrieb ihm daraufhin einen längeren<br />

Brief. 10 Während er sich in London aufhielt, verfasste Orson ebenfalls eine Broschüre, die er in deutsch<br />

veröffentlichen wollte. Dieses Ziel erreichte er später. Der Titel dieses ersten fremdsprachigen Traktats in der<br />

Geschichte der Kirche war "Ein Ruf aus der Wüste" ("A Cry in the Wilderness").<br />

Als er von dem Ältesten Page nichts hörte und nicht in der Lage war einen anderen Begleiter zu finden,<br />

begann Orson Hyde seine Reise nach Jerusalem, die oft sehr einsam und sehr furchterregend war. Es war seine<br />

Absicht auf seiner Reise in den wichtigen europäischen Städten Halt zu machen, um einige jüdische Beamte<br />

zu besuchen und in Deutschland zu verweilen, um die deutsche Sprache zu lernen. In Holland besuchte er<br />

Rotterdam, Den Haag und Amsterdam, dabei verteilte er ein Traktat, das er geschrieben hatte, "An<br />

Address to the Hebrews" (Eine Botschaft an die Hebräer). Als er die verschiedenen deutschen Länder und<br />

die Donau erreicht hatte, wurde er dort aufgehalten, während österreichische Beamte seine Papiere überprüften.<br />

Er lernte genügend deutsch, um sich unterhalten zu können. Diese Kenntnisse kamen ihm auf seinen Reisen<br />

im Nahen Osten und auch während seines Aufenthaltes in Deutschland zu gute. 11<br />

Nach Erhalt seiner Einreisebewilligung verließ Orson Deutschland, segelte die Donau hinunter bis zum<br />

Schwarzen Meer, dann nach Konstantinopel, mit dem Schiff nach Smyrna in der Türkei, über das Mittelmeer<br />

nach Beirut, und endlich nach Jaffa in Palästina, wo er am 19. Oktober 1841 ankam. Die Reise von<br />

Smyrna nach Beirut dauerte unerwarterterweise neunzehn Tage, und alle Passagiere hatten nichts zu essen.<br />

Alle, einschließlich Orson, waren gezwungen Schnecken zu essen, die sie zwischen Felsen auf unbewohnten<br />

Inseln fanden. Orson litt ebenfalls unter der großen Hitze. Für die Reise von Jaffa bis Jerusalem bezahlte der<br />

Älteste Hyde einer bewaffneten Gruppe von Engländern, die ihm erlaubten mit ihnen zu reisen, damit er<br />

- 14 -


unterwegs nicht erschlagen und beraubt würde. 12<br />

Endlich, am 21. Oktober, erreichte Orson Hyde sein lang ersehntes Ziel, die heilige Stadt Jerusalem. Er<br />

schrieb:<br />

"Ich sah vor mir die Stadt und seine Umgebung, die Berge und Hügel, die sie umgaben, und dachte an<br />

die Wunder, die sich hier in diesem Land, wo Propheten gesteinigt und der Erlöser von Sündern gekreuzigt<br />

worden waren, ereignet hatten. Ein Sturm von Gefühlen erfüllte meine Brust, ein Sturm, der sich erst nach<br />

dem Vergießen vieler Tränen stillte." 13<br />

Jerusalem, immer noch die größte Stadt in Palästina, einem relativ unwichtigem Teil des ottomanischen<br />

Reiches von 1517 bis 1917, war in einem allgemeinen Zustand des Verfalls. Dieser Verfall folgte der<br />

wohlwollenden Regierung von Suleiman I, die 1566 endete. "Palästina war ein verfallenes Land,<br />

vernachlässigt, verarmt, gesetzlos, verkommen." 14 Beständiger Krieg zwischen arabischen Scheiks verursachte<br />

eine sinnlose Zerstörung von Bäumen und Ernten. Fast niemand in Jerusalem lebte außerhalb jer<br />

Stadtmauern, weil es einfach zu gefährlich war. Nachts herrschten die Räuber und Plünderer. "Die türkische<br />

Garnison schloß abends die Tore und öffneten sie morgens. Niemand ging im Dunkeln hinaus." 15<br />

Obwohl der allgemeinen Verfall Jerusalems und Palästinas schon dreihundert Jahre vor der Ankunft<br />

Orson Hydes 1841 begonnen hatte, gab es tatsächlich positive Zeichen der Verbesserung in der heiligen Stadt,<br />

selbst im Vergleich zum vergangenen Jahrzehnt. Jerusalem, mit einer Bevölkerung von fast 20,000, von denen<br />

ungefähr 7 000 Juden waren, wurde seit 1831 von dem ägyptischen General Ibrahim, Sohn des berühmten<br />

Mohammed Ali von Kairo, verwaltet. Obwohl er die Wehrpflicht einführte und hohe Steuern erhob, hatte<br />

Ibrahim in Jerusalem die relative Sicherheit wiederhergestellt. Zum ersten Mal in vielen Generationen, konnte<br />

man am Tage ungestört durch das Land reisen, das jetzt auch Besucher aus dem Westen willkommen hieß.<br />

Zum ersten Mal gab es sogar westliche Konsulate in Jerusalem. Das religiöse Leben der Juden nahm wieder an<br />

Wichtigkeit zu. 16<br />

Ältester Hyde betrat die Stadt durch das westliche Tor. Er hatte einen Einführungsbrief von dem<br />

amerkanischen Konsul in Jaffa an einen Mr. Whiting, einen Missionar aus Amerika (wahrscheinlich<br />

episkopal). Whiting verwies Orson in freundlicher Weise an ein Kloster, das als Herberge diente. Orson hatte<br />

sich gerade in seinem Quartier niedergelassen, als er von zwei amerikanischen Missionaren besucht wurde, die<br />

sehr darauf bedacht waren, mit jemandem zu sprechen, der vor kurzem in den Vereinigten Staaten gewesen<br />

war. Hyde erklärte in wenigen Worten, warum er nach Jerusalem gekommen war und bat darum, sich von<br />

den Strapazen seiner Reise auszuruhen. Am nächsten Tag war es dem Ältesten Hyde möglich, den Zweck<br />

seiner Reise und die Geschichte von dem Entstehen der Heiligen der Letzte Tage im Einzelnen zu<br />

beschreiben. Diese Herren hörten höflich zu, waren aber nicht weiter am Mormonismus interessiert, da sie<br />

fürchteten ihren eigenen Einfluß zu verlieren wenn sie Orson helfen würden, sich mit den führenden Juden der<br />

Stadt zu treffen. 17<br />

Ohne die Hilfe dieser Herren besuchte er einen Herrn Simon, einen der wenigen Juden in Jerusalem, der<br />

Christ geworden war, und der anglikanischen Kirche angehörte. Mr. Simon und seine Familie luden Hyde<br />

zum Abendessen ein. Sie zeigten Interesse an seiner Mission nach Palästina. Ihre Unterhaltung wurde durch<br />

den Eintritt eines anderen christlichen Geist-lichen unterbrochen. Orson gab diesem Mann eine Kopie des<br />

Artikels "Eine Botschaft an die Juden in Konstantinopel", den er geschrieben hatte. Der Älteste Hyde und<br />

der Geistliche hatten dann eine längere Diskussion über die Lehren der Mormonen. Orson forderte ihn letzten<br />

Endes ärgerlich auf, sich auf die richtige Art und Weise und mit der richtigen Vollmacht taufen zu lassen.<br />

Orson kam endlich zu dem Entschluß, daß jegliche Missionars-arbeit sowohl unter den Christen als auch<br />

unter den Juden in Jerusalem vergeblich war. 18<br />

- 15 -


Er verbrachte daher den Samstag, den jüdischen Sabbat, mit Spazierengehen, um die Stadt zu<br />

besichtigen und das Brauchtum kennenzulernen. Als er an historischen Stätten vorbeiging, dachte er über die<br />

Ereignisse nach, die im Alten und Neuen Testament beschrieben worden waren. Er war ganz besonders von<br />

dem Garten Gethsemane beeindruckt. "Dort nahm der Sohn der Jungfrau unsere Sünden auf sich, und trug<br />

unser Leid -- dort standen die Engel und erschauderten über das, was sie sahen und warteten auf den Befehl<br />

ihm zu helfen; aber so ein Befehl wurde niemals gegeben." 19 Nach einem Tag des Spazierengehens und des<br />

Meditierens, kam er zu folgendem Entschluß: "Die Bräuche und die Lebensweise der Menschen im Osten<br />

haben sich seit den Tagen des Heilandes nicht geändert. Alles, was der Reisende sieht, ist eine Illustration von<br />

Schriftstellen" 20<br />

Der Älteste Hyde dachte ebenfalls über die Vergangenheit und die Zukunft der Juden nach. Er dachte<br />

über ihre Nation in Palästina nach, die durch "politische Macht und Einfluß" verfallen war" und sagte:<br />

"[die Juden] werden gesammelt und aufgebaut; und, weiterhin, England ist nach der Weisheit und dem<br />

Walten des Himmels dazu bestimmt, den Arm politischer Macht auszustrecken und in vorderster Front<br />

dieses herrliche Unternehmen voranzutreiben. Der Herr erweckte Cyrus, um die Juden wiederherzustellen."<br />

Er erkannte ebenfalls, daß es einige europäische Juden gab, die Jerusalem als eine warmherzige und liebevolle<br />

Mutter anerkannten, das heißt "die frommeren und aufrichtigeren unter ihnen" 21<br />

Am Sonntagmorgen, den 24. Oktober 1841, erfüllte Orson Hyde den Zweck seiner Mission, und zwar<br />

das Heilige Land für die Rückkehr der Juden zu weihen. Er stand lange vor Sonnenaufgang auf und ging<br />

durch das Tor sobald es aufgemacht wurde, überquerte den Kidronbach und stieg den Ölberg hinauf. "Dort, in<br />

feierlicher Stille, mit Feder, Tinte und Papier, genauso wie ich es in der Vision gesehen hatte [in Illinois im<br />

Jahr vorher], richtete [ich] das folgende Gebet an ihn, der für immer und immer lebt" 22<br />

Der Höhepunkt des ganzen dreiundvierzigjährigen apostolischen Wirkens des Ältesten Hyde ist<br />

wahrscheinlich dieses eine Gebet. 23 Wenn man die Länge desselben betrachtet, hatte er es wahrscheinlich<br />

schon seit geraumer Zeit geschrieben. Und doch ist es ebenfalls offensichtlich, daß sein Meditieren in den letzten<br />

drei Tagen in Jerusalem den Inhalt des Gebets beeinflußte. Das Gebet ist ein Ausdruck echter Demut und<br />

Dankbarkeit für die Gnade Gottes, die ihn während dieser heiligen Pilgerfahrt beschützt hatte. Orson war<br />

ebenfalls sehr dankbar für die verschiedenen Geldspenden großzügiger Heiliger der Letzten Tage, die ihm diese<br />

Reise ermöglichten. Zusätzlich zum Gebet für Jerusalem, das Land Palästina, die Israeliten im allgemeinen,<br />

und die Juden ganz besonders, erbat Orson von Gott seine eigene Heiligung und das Wohl der Arbeiten der<br />

Brüder im Kollegium der Zwölf.<br />

Der Älteste Hyde und seine Kollegen in der Führerschaft der Heiligen der Letzten Tage verstanden die<br />

biblischen Prophezeiungen über Judah und Jerusalem sehr gut. 24<br />

Orson sagte in seinem Gebet: "Unter dem Schatten deines ausgestreckten Arms ist [dein Diener] sicher<br />

an diesem Ort angelangt, um dir dieses Land für die Zusammenführung der Zerstreuten und Übriggebliebenen<br />

Judas, wie dies die heiligen Propheten angekündigt haben, zu weihen -- damit die Stadt Jerusalem neu erstehe,<br />

nachdem sie so lange von den Heiden zertreten worden ist, und damit zur Ehre deines Namens ein Tempel<br />

erbaut werde."<br />

Sein Mitleid für die zerstreuten Juden und das verheerte Land Palästina sind aus diesem Auszug sehr<br />

offensichtlich: "Ihre Kinder sind unter die anderen Völker zerstreut, wie Schafe, die keinen Hirten haben, und<br />

sie sehen noch immer erwartungsvoll dem Tag entgegen, wo du erfüllst, was du ihnen verheißen hast. Einst hat<br />

dieses Land die reichsten Schätze der Natur hervorgebracht. Milch und Honig flossen darin. Seit es aber aus<br />

Mörderhand das Blut dessen empfangen hat, der ohne Sünde war, ist es öde und unfruchtbar geworden."<br />

Der Hauptteil des Gebets war eine Bitte für beides, die Wiederherstellung der Juden und die<br />

- 16 -


Fruchtbarkeit ihres Heimatlandes. In erstaunlicher und wunderbarer Weise ist dieses Gebet buchstäblich<br />

beantwortet worden.<br />

"Gib deshalb, o Herr, im Namen deines lieben Sohnes Jesu Christus, daß die Dürre und<br />

Unfruchtbarkeit dieses Landes ein Ende nehme, und laß Quellen lebendigen Wassers hervorbrechen, das<br />

dürstende Land zu erquicken. Laß den Weinstock und den Olivenbaum in voller Kraft Frucht bringen und<br />

den Feigenbaum blühen und gedeihen. Laß das Land überaus fruchtbar sein, wenn es wieder von seinen<br />

rechtmäßigen Erben bewohnt wird. Laß es wieder überfließen, um die verlorenen Söhne zu speisen, die in<br />

deiner Barmherzigkeit und mit Danksagung heimkehren. Laß aus den Wolken Kraft und Reichtum darauf<br />

regnen, und laß die Felder vor Fruchtbarkeit frohlocken. Laß die Herden sich vermehren, laß sie viele werden<br />

auf den Bergen und Hügeln. Und laß deine große Güte den Unglauben deines Volkes überwinden und<br />

ausrotten. Nimm ihnen das Herz aus Stein und gib ihnen ein Herz aus Fleisch, und möge die Sonne deines<br />

Wohlgefallens die kalten Nebel der Finsternis zerteilen, die ihnen die Luft düster gemacht haben. Wecke in<br />

ihnen die Absicht, sich nach deinem Wort in diesem Land zu sammeln. Laß sie kommen wie die Wolken<br />

und wie die Tauben an ihren Schlag. Laß die großen Schiffe der Nationen sie von den fernen Inseln<br />

heranbringen; laß Könige sie pflegen und Königinnen ihnen mit mütterlicher Fürsorge die Tränen der Trauer<br />

von den Augen wischen.<br />

Du hast, o Herr, das Herz des Cyrus bewegt, so daß er Jerusalem und seinen Kindern gnädig war. Laß<br />

es dir jetzt auch wohlgefallen, das Herz der Könige und die Mächte dieser Erde anzurühren, so daß sie mit<br />

einem freundlichen Auge auf dieses Land blicken, mit dem Wunsch, daß dein gerechter Wille hier geschehe.<br />

Laß sie wissen, daß es dir wohlgefällt, Israel wieder das Reich zu geben - Jerusalem zur Hauptstadt zu<br />

erheben und dieses Volk zu einer eigenen Nation und Regierung zu machen, mit David, deinem Diener, ja,<br />

einem Nachkommen aus den Lenden jenes David im Altertum, als ihrem König. "<br />

Orson fuhr fort für die Nation oder die Nationen zu beten, die den Juden in der Gründung ihres eigenen<br />

Staates helfen und sie danach beschützen würden. In den Augen der Heiligen der Letzten Tage von heute<br />

mögen die folgenden Worte mindestens teilweise erklären, warum die Vereinigten Staaten von Amerika, die<br />

dem Staate Israel fortwährend geholfen haben, trotz aller Fehler und den Sünden ihrer Bürger, von dem<br />

Allmächtigen auch weiterhin gesegnet sind:<br />

"Laß jene Nation oder jenes Volk, die zugunsten der Kinder Abrahams und bei der Aufrichtung<br />

Jerusalems eine tätige Hand regen, vor deinen Augen Gnade finden. Laß nicht zu, daß ihre Feinde sie überw<br />

inden, laß nicht Seuche noch Hungersnot über sie kommen, sondern lass die Herrlichkeit Israels sie<br />

überstrahlen und die Macht des Höchsten sie beschützen. Die Nation aber und das Reich, die dir in diesem<br />

herrlichen Werk nicht dienen wollen, müssen untergehen, nach deinem Wort - daß diese Völker verwüstet<br />

werden sollen."<br />

Der Älteste Hyde schloß sein Gebet mit der innigsten Bitte, daß das Werk der Heiligen der Letzten<br />

Tage auch weiterhin gedeihen möge. Im Jahre 1841 zählte die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten<br />

Tage ungefähr 15,000 verfolgte Mitglieder, in und um Nauvoo, Illinois, und in anderen vereinzelten Orten in<br />

den Vereinigten Staaten, Kanadas und Großbritanniens. 1991, 150 Jahre später, zählt sie fast acht<br />

Millionen Mitglieder in der ganzen Welt. Wenn man das bedenkt, kann man auch diesen Teil des Gebets als<br />

prophetisch erachten:<br />

"Erwache in der Majestät deiner Macht, und entblöße deinen Arm zum Segen deines Volkes. Vergebe<br />

ihre Fehler und lass ihre Sorge zur Freude werden. Gieße den Geist des Lichts und der Erkenntnis, der<br />

Gnade und Weisheit, in die Herzen seiner Propheten, und bekleide seine Priester mit Erlösung. Laß Licht<br />

und Erkenntnis durch das Reich der Dunkelheit hervorgehen, und möge alle die ehrlichen Herzens sind ihrer<br />

Flagge folgen, und mitgehen um den Bräutigam zu treffen.<br />

Laß eine besondere Segnung auf der Präsidentschaft deiner Kirche ruhen, denn die Pfeile des Widersachers<br />

- 17 -


sind auf sie gerichtet. Sei ihnen Sonne und Schild, ihr starker Turm und ihr Versteck; und zu einer Zeit des<br />

Kummers und der Gefahr sei du in der Nähe, um Beistand zu geben."<br />

Nach Beendigung des Gebets, häufte er Steine auf als ein Zeugnis und dies "im Einklang mit<br />

altertümlichem Gebrauch." Dann überquerte er das Tal und häufte auch hier Steine auf und zwar auf dem<br />

Berge wo einst der Tempel Salomons and der Temple des Herodes gestanden hatten. 25<br />

Einige Tage nach dem Gebet, segelte Orson Hyde von Jaffa nach Kairo, da er nicht in der Lage war ein<br />

Schiff zu bekommen das direkt nach Europa fuhr. Auf dem Schiffe pflegte er einen Herrn Gager, einen der<br />

jungen amerikanischen Missionare, die er in Jerusalem traf und der Gelbsucht hatte. Orson sorgte dafür, daß<br />

Gager in Kairo ärztliche Hilfe erhielt, leider vergeblich, Gager starb. Von Kairo buchte Hyde die Überfahrt<br />

nach Triest im nördlichen Italien. Wiederum war seine Reise sehr gefährlich geworden, und er kam guterletzt<br />

22 Tage später in Triest an. Ihm wurde es allerdings nicht erlaubt das Schiff für 28 Tage zu verlassen, da es<br />

unter Quarantäne war. Von Triest aus überquerte er die Alpen nach Regensburg an der Donau, wo er sein<br />

109 seitiges Buch "Ein Ruf aus der Wüste" übersetzte und veröffentlichte.<br />

Orson machte sich bald danach auf den Weg nach England, wo er einen Monat blieb, und mit der Hilfe<br />

von Parley P. Pratt, Herausgeber und Drucker des Millenial Star, einen Bericht von seiner Mission im<br />

Heiligen Land veröffentlichte und verkaufte. Im Dezember 1842 konnte er endlich seine Familie in Nauvoo<br />

wiedersehen, nachdem er eine der gefährlichsten Missionen in der Geschichte der Kirche, in der er nahezu 32<br />

000 Kilometer in fast drei Jahren gereist war, erfüllt hatte.<br />

Nachdem die Mormonen sich unter der Leitung des Nachfolgers Joseph Smiths, Brigham Young, in den<br />

1850er Jahren in Utah niedergelassen hatten, erachtete der neue Prophet es als ratsam, dem Heiligen Land<br />

einen weiteren apostolischen Besuch abzustatten. Präsident Young war der Ansicht, der Besuch Hydes nach<br />

Palästina hatte den Nachteil, daß er allein gegangen war, und nicht wie ursprünglich geplant, von dem<br />

Ältesten John E. Page begleitet wurde. Dadurch war die Regel, mindestens zwei Zeugen für einen solch<br />

feierlichen Anlaß zu haben, nicht befolgt worden.<br />

Darum sandte Brigham 1873 seinen ersten Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft, George A. Smith,<br />

mit den Aposteln Lorenzo Snow und Albert Carrington und andere wichtigen Kirchenbeamte nach Jerusalem,<br />

um Jerusalem und das Land Palästina nochmals für die Rückkehr der Juden zu weihen. Weitere apostolische<br />

Weihungen folgten 1898 von dem Ältesten Anthon H. Lund, 1902 von Francis M. Lyman, 1921 von<br />

David O. McKay, 1927 von James E. Talmage, und 1933 von John A. Widtsoe. 26<br />

Selbst mit diesen weiteren feierlichen Pilgerfahrten, betrachten Heilige der Letzten Tage heute überall die<br />

prophetische Weihung und das Gebet als die Weihung des Heiligen Landes. Die anderen waren nur das<br />

Tüpfelchen auf dem i.<br />

Genau 138 Jahre nachdem Orson Hyde sein jetzt so berühmtes Gebet ausgesprochen hatte, führte<br />

Präsident Spencer W. Kimball, Präsident der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, eine Gruppe<br />

von sieben Generalautoritäten der Kirche und tausende von anderen Kirchenmitgliedern zur Weihung des<br />

Orson Hyde Gedenkgartens auf den Ölberg in Jerusalem. 27<br />

Der Garten, zwei Hektar Parkanlage, liegt im Kidron Tal dem Tempelberg gegenüber in der Nähe des<br />

Gartens von Gethsemane und der Straße nach Jericho. Ein Amphitheater in einer Art Grotte gibt den<br />

Besuchern Aussicht auf die Altstadt und viele Sehenswürdigkeiten Jerusalems. Auszüge aus dem Gebet<br />

Orsons Hydes in englisch und hebräisch befinden sich auf großen Metallplatten. Der Garten ist das größte<br />

Stück Land, das zum Jerusalem Garten National Park gehört, einem Park von mehr als 240 Hektar der<br />

die Altstadt umgibt. In seinem Weihegebet sagte Präsident Kimball:<br />

"Schütze diesen Garten vor den Zerstörungen durch Kriege und Stürme und Plündereien irgendwelcher<br />

Art. Laß es einen Zufluchtsort sein, wo alle über die Herrlichkeit, die du in der Vergangenheit über<br />

- 18 -


Jerusalem ausgegossen hast, und die noch größere Herrlichkeit, die einst kommen wird, nachdenken können.<br />

Laß alle, die hierher kommen, deinen Geist und deinen Einfluß verspüren, und den Geist der heiligen<br />

Propheten, die dieses wunderschöne Land durchwanderten. "<br />

Der Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek, der Gastgeber bei der Einweihung des Hyde Gartens,<br />

erklärte: "Ein jeder der etwas von der Geschichte Jerusalems in verhältnismäßig neuerer Zeit weiß, kennt die<br />

Prophezeiung Orson Hydes." Bezugnehmend auf Teile der Prophezeiung, fügte Kollek hinzu, "Und jetzt sind<br />

die Juden wieder in Jerusalem. Wir haben politische Argumente, aber niemand bezweifelt, daß die Stadt heute<br />

schöner ist. Es ist besser eine vereinte Stadt zu haben, als eine Stadt die durch Stacheldraht, Minenfelder und<br />

Betonmauern geteilt ist. Als Stadtverwaltung ist es unsere Pflicht, alles in unserer Kraft stehende zu tun, um<br />

durch unsere eigenen Bemühungen, die innewohnende Schönheit Jerusalems herauszustellen." Er lud die<br />

Mormonen ein, ihre enge Beziehung mit den Juden, die Orson Hyde vor langer Zeit begonnen hat, auch<br />

weiterhin fortzusetzen. "Ich wünsche. . ., daß diese guten Beziehungen zwischen Ihnen und uns während der<br />

kommenden Jahrhunderte fortgesetzt werden mögen. Wir freuen uns schon darauf ."<br />

Jetzt hat die Kirche eine große Bildungsstätte in der Nähe des Orson Hyde Gedenkgartens erbaut, die als<br />

das Jerusalem Zentrum der Brigham Young Universität bekannt ist. Tausende von Heiligen der Letzten<br />

Tage machen jedes Jahr eine Pilgerfahrt nach Jerusalem und benutzen das Zentrum dabei als ihr<br />

Hauptquartier. Heute zeigen viele Mormonen ein starkes Interesse an den Problemen der heutigen Juden und<br />

ihrer heiligen Stadt. Es ist sehr angebracht, daß wir hier in Regensburg das 150jährige Jubiläum der Mission<br />

Orson Hydes gedenken.<br />

- 19 -


Anmerkungen<br />

1 "A Sketch of the Travels and Ministry of Elder Orson Hyde," eine autobiographische Broschüre, die<br />

ursprünglich von dem Verfasser 1869 veröffentlicht wurde. Sie war ebenfalls Teil einer Broschüre von Joseph<br />

S. Hyde, Orson Hyde: 1805-1878, die 1933 herausgegeben wurde. (Seite 4) Hiernach genannt "Sketches."<br />

2 History of the Church of Jesus Christ of Latter-day Saints, 7 Bände, 2. revidierte Ausgabe (Salt<br />

Lake City: Deseret Book Company, 1957) 4: 357. Hiernach HC<br />

3 Orson sagte später bezüglich dieser Krankheit "daß sie mehrere Monate andauerte und mich und<br />

meine Familie nahe an den Tod brachte. . . . [Ich war] fast nur noch ein Skelett." Millennial Star 26 (10<br />

Dezember 1864):792.<br />

4 Sketches, S. 5.<br />

5 Times and Seasons 1 (April 1840): 86.<br />

6 HC 4:106.<br />

7 Times and Seasons 1 (April 1840):87; "Sketches," Seite 6-7.<br />

8 Der Älteste Hyde berichtete, "Bruder Page ist ein Boanerges, der gut darauf<br />

vorbereitet ist die sektierischen Festungen und Burgen zu stürmen und Schrecken und<br />

Angst in den Befestigungen des Reiches Babilon zu verbreiten."<br />

9 Times and Seasons 2 (15. Januar 1841):287.<br />

10 HC. 4:374-78.<br />

11 HC. 4:384-88.<br />

12 "Sketches," Seiten 30-31.<br />

13 ebenda, Seite 8.<br />

14 Teddy Kollek und Moshe Pearlman, Jerusalem (Jerusalem: Steinmatzky's Agency Limited, 1968),<br />

Seite 204.<br />

15 ebenda, Seiten 227-28. Siehe ebenfalls Charles Gulston, Jerusalem : The Tragedy and The Triumph<br />

(Grand Rapids, Mi.: Zondervan Publishing House), Seite 206.<br />

16 Kollek und Pearlman, Jerusalem, Seiten 217-23; "Sketches," S. 16.<br />

17 ebenda, S. 8-11<br />

18 ebenda, Seiten 12-14.<br />

19 ebenda, Seite 16.<br />

20 ebenda, Seite 17.<br />

21 ebenda,Seiten14-15.<br />

22 ebenda, Seite 26.<br />

23 Das ganze Weihungsgebet ist ebenda zu finden, Seiten 26-29.<br />

24 Grant Revon Underwood, "The Millenarian World of Early Mormonism,"<br />

Dissertation, University of California Los Angelest 1988, Seiten 174-218.<br />

25 "Sketches," S. 29.<br />

26 Steven W. Baldridge, Grafting In: A History of the Latter-day Saints in the Holy<br />

Land (Jerusalem: The Jerusalem Branch, 1989, Seite 3-4.<br />

27 Ein Bericht dieser Weihung befindet sich im Ensign 9 (Dezember 1979):67-68.<br />

- 20 -


Orson Hydes Traktat<br />

Ein Ruf aus der Wüste,<br />

eine Stimme aus dem Schoose der Erde<br />

Dr. Peter Wöllauer, Neustadt/Donau<br />

1. Gliederung<br />

Das ganze Werk umfaßt 115 Seiten. Nach dem programmatischen Titelblatt folgt eine sehr ausführliche<br />

Vorrede von 8 Seiten Umfang. Dann erklärt Orson Hyde ausführlich auf eineinhalb Seiten den Namen der<br />

Kirche.<br />

Der danach folgende Hauptteil von 73 Seiten gliedert sich in 4 Kapitel:<br />

Das erste Kapitel behandelt die erste Vision Joseph Smiths, die Erscheinungen und Belehrungen des<br />

Engels Moronl und Aussehen und Zweck der goldenen Platten und des Urim und Thummlm.<br />

Das zweite Kapitel spricht über die Übersetzungsarbeit an den goldenen Platten und über die<br />

Randumstände dabei. Außerdem bietet es einen Überblick über den Inhalt des Buches Mormon.<br />

Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Bedeutung und Wiederherstellung des Priestertums.<br />

Das vierte und letzte Kapitel schließlich ist eine Darstellung der Lehren und Grundsätze der Kirche Jesu<br />

Christi der Heiligen der Letzten Tage an hand von sechzehn Artikeln.<br />

Unter der Überschrift "Einige gesammelte Gedanken" schließen sich auf 23 Selten Gedanken über das<br />

zweite Kommen Christi und ein Zeugnis über die Echtheit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten<br />

Tage an. Außerdem berichtet Orson Hyde noch in bewegten Worten die leidvolle Geschichte der Heiligen in<br />

den vorangegangenen Jahren.<br />

Zur Untermauerung der Glaubwürdigkeit des Buches schließt sich noch eine Art Beglaubigung der Person<br />

des Orson Hyde durch den Konsul der Vereinigten Staaten In Rotterdam an.<br />

Das Büchlein schließt mit einem sechsseitlgen Anhang, der die Umstände der Veröffentlichung des<br />

Werkes schildert und einige Erlebnisse des Autors während seiner Missionstätigkeit berichtet.<br />

2. Titelblatt<br />

Wie im neunzehnten Jahrhundert sehr häufig enthält das Titelblatt 1 neben dem Titel: "Ein Ruf aus der<br />

Wüste, eine Stimme aus dem Schoose der Erde", einen ausführlichen Untertitel, der den Inhalt des Werkes<br />

zusammenfaßt: "Kurzer Überblick des Ursprungs und der Lehre der Kirche 'Jesus Christ of Latter Day<br />

Saints' In Amerika, gekannt von Manchen unter der Benennung: 'Die Mormonen.'"<br />

Es ist anzunehmen, daß die Formulierung "Ein Ruf aus der Wüste" sich auf die sprichwörtliche<br />

Redewendung "Ein Rufer aus der Wüste" anspielen soll, die durch die Bibelübersetzung Luthers populär<br />

geworden ist.<br />

Der Ausdruck "Stimme aus dem Schoose der Erde" bezieht sich auf das Buch Mormon, das In der<br />

Erde gelegen war und nun zu den Menschen spricht, in Deutschland zunächst durch diese kleine Schrift<br />

Orson Hydes. Das Buch Mormon selbst lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht in deutscher Sprache vor, es<br />

- 21 -


wurde erst 1852 durch John Taylor in Hamburg veröffentlicht.<br />

Im Untertitel fällt auf, daß Orson Hyde es nicht wagte, den Namen der Kirche zu übersetzen. Die<br />

Gründe dafür legt er im Abschnitt "Erklärung" genau dar.<br />

Die kleingedruckte Aufforderung: "Lese, betrachte, bete und handle!" entspricht der<br />

Aufforderung am Ende des Buches Mormon [2], wie sie allen Interessierten bis heute als<br />

Schlüssel zur Erkenntnis angeboten wird. Sie wird sinngemäß in der Vorrede wiederholt.<br />

3. Vorrede<br />

Am Beginn beruft sich der Autor auf die göttliche Verpflichtung, die Wiederherstellung der Kirche Jesu<br />

Christi, die die Vorbereitung zum zweiten Kommen des Erlösers und den Auftakt zu seiner tausendjährigen<br />

Regierung auf Erden bildet, und somit ein neues Zeitalter einleitet, überall, und somit auch in Deutschland<br />

bekanntzumachen.<br />

Dann bringt er einiges über sich selbst: Gebürtiger Amerikaner, seit 11 Jahren (also seit 1831) Priester<br />

dieser Kirche (Andere Quellen bestätigen seine Ordinierung zum Hohepriester am 25. Oktober 1831 durch<br />

Oliver Cowdery anläßlich einer Konferenz in Orange, Cuyahoga county, Ohio 3 ).<br />

Anschließend räumt er der Entwicklung und Verfolgung der Kirche breiten Raum ein: Gründung am 1.<br />

April 1830, Später Verbesserung der Organisation, was zur Berufung von Propheten und Aposteln führte,<br />

die von Gott ernannt werden. Die Kirche wuchs besonders in Amerika und England von den 6<br />

Gründungsmitgliedern auf etwa 80 000 "Verbrüderten".<br />

Die Verfolgungen berichtet er mit demselben Argument, das auch Paulus verwendete 4 : Als Zeugnis für<br />

die Wahrhaftigkeit der Mitglieder und den großen Wert des Evangeliums, das solche Schwierigkeiten und<br />

Leiden erdulden läßt. Wir dürfen nicht vergessen, daß hier die Verfolgungen von 1838/39, das Massaker<br />

von Hauns Mill, die Vertreibung aus Missouri und die Inhaftierung von Joseph Smith, aus dem aktuellen<br />

Erleben, aus persönlicher Konfrontation geschildert wird. Dieser Abschnitt ist daher auch stark emotionell,<br />

dargestellt mit dem im neunzehnten Jahrhundert üblichen Pathos. Diese, um des Evangeliums Willen,<br />

erduldeten Grausamkeiten werden als Begründung für den Wert der Lehren der Kirche Jesu Christi<br />

herangezogen und sollen die Leser des Buches veranlassen, seine Aussagen mit Eifer und Ernsthaftigkeit zu<br />

prüfen. Nochmals betont der Autor, daß die Botschaft durch einen Engel und zum Wohle der Menschen<br />

gekommen ist, um die geistige Dunkelheit zu vertreiben.<br />

Die Vorrede schließt mit einem Gebet, mit einer Bitte um den Segen für das Büchlein, damit es die<br />

Vorurteile zunichte mache und die dargestellten Grundsätze in die Herzen der Völker dringen mögen.<br />

Datiert ist die Vorrede mit "Frankfurt, Im August 1842"<br />

4. Erklärung<br />

Nach dieser langen Vorrede, geht Hyde noch immer nicht direkt an die Sache heran, sondern gibt noch<br />

eine Erklärung zum Namen der Kirche ab.<br />

Zuerst meint er, daß das deutsche Wort "Heilige" den Mitgliedern eine "zu große Idee von Heiligkeit<br />

geben würde". Außerdem fühlt er sich nicht berechtigt, den Namen der Kirche zu ändern. Er ist durch<br />

Offenbarung gegeben worden [5].<br />

- 22 -


Weiters macht er auf den Unterschied des Begriffes "Heiliger" im allgemeinen Gebrauch und in der<br />

Heiligen Schrift aufmerksam und erläutert den Unterschied der früheren Heiligen zu den Heiligen der<br />

Letzten Tage.<br />

5. Kapitel 1<br />

Nach diesen umständlichen Einführungen, die durchaus der Art der Zeit entsprechen, kommt er endlich<br />

zur Sache: Er berichtet über die erste Vision von Joseph Smith und über das Hervorkommen des Buches<br />

Mormon. Am Ende des Kapitels gibt er als Quelle "die Schriften des Mr. Pratt" an. Es handelt sich dabei<br />

um eine ähnliche Schrift, die Parley P. Pratt in Schottland veröffentlicht und verwendet hatte.<br />

Er berichtet hier im wesentlichen dieselben Ereignisse, wie sie durch Joseph Smith selbst Im Jahre 1838<br />

niedergelegt wurden 6 und im Buch Köstliche Perle unter der Bezeichnung "Joseph Smith - Lebensgeschichte"<br />

zusammengefaßt sind.<br />

Im folgenden soll auf einige Unterschiede in den zwei Berichten eingegangen werden. Dabei wird der<br />

Bericht von Joseph Smith mit abgekürzt und der Bericht von Orson Hyde mit . Beide Berichte<br />

behandeln den frühen Lebensweg von Joseph Smith mit der Familie seiner Eltern. zählt alle<br />

Familienmitglieder auf, wo sich auf die Aussage beschränkt "zahlreiche Familie". alleine<br />

erwähnt die mangelhafte Bildung von Joseph Smith: "Er konnte ziemlich gut lesen, dafür schrieb er aber<br />

höchst nothdürftig und hatte nur geringe Kenntnisse von Redebildern". Dies ist der erste Hinweis darauf, daß<br />

das großartige literarische Werk, das Joseph Smith hinterlassen hat nicht seiner eigenen Bildung entspringen<br />

konnte, und somit göttlichen Ursprungs sein mußte.<br />

Beide Berichte gehen dann auf die Suche des vierzehnjährigen Joseph nach religiöser Wahrheit ein, doch<br />

geben sie einen gegenteiligen Anlaß dafür an. gibt als Anlaß "eine ungewöhnliche Erregung über das<br />

Thema Religion" an seinem Wohnort an, was ihn veranlaßte, sich mit der Frage nach der richtigen Religion<br />

zu befassen. dagegen gibt den Grund als inneren Drang Josephs an, nach dem ewigen Leben zu<br />

trachten und den richtigen Weg zu finden, was ihn erst in die religiösen Streitereien verwickelte. Beide stimmen<br />

darin überein, daß er durch die Widersprüche zwischen den Gemeinschaften und den Streit zwischen ihnen<br />

abgestoßen wurde und einer Lösung seines persönlichen Problems nicht näher gebracht wurde. fügt noch<br />

hinzu: "Die Natur hatte ihn mit einem starken, beurtheilenden Verstande begabt, und so sah er denn durch<br />

das Glas der Vernunft und des guten Sinnes mit Mitleid und Verachtung auf jene Religionssysteme hin,<br />

welche einander so entgegen gesetzt, und dennoch alle offenbar aus den Schriften der Wahrheit gezogen sind.<br />

Nachdem er sich zu seiner eigenen Genugthuung hinlänglich überzeugt hatte, daß Finsterniß die Erde<br />

bedeckte, und große Dunkelheit die Völker, da verließ ihn die Hoffnung, je eine Sekte oder Partei zu finden,<br />

die im Besitze der reinen Wahrheit wäre." hingegen erwähnt keine derartigen Gedanken der<br />

Überlegenheit und läßt auch nicht die Ansicht zu, daß Joseph zu einem definitiven Schluß bezüglich der<br />

Religionsgemeinschaften gekommen sei, sondern betont seine diesbezügliche Unsicherheit.<br />

Als nächstes behandeln beide Berichte die Wirkung, die das Lesen von Jakobus 1:5 in Joseph hervorrief.<br />

geht wesentlich auf das Gefühl ein:" Nie ist einem Menschen eine Schriftstelle mit mehr Gewalt ins<br />

Herz gedrungen als diese damals mir" 7 . dagegen betrachtet mehr die rationalen Komponenten:" Diese<br />

Stelle betrachtete er als eine Vollmacht zu einem feierlichen Aufrufe an seinen Erschaffer, um vor Ihm seine<br />

Bedürfnisse ausbreiten zu dürfen, mit sicherer Hoffnung zum gewissen Erfolge". Wieder stellt das<br />

anfängliche Zweifeln und das Ringen um einen Entschluß dar 8 , wohingegen den Entschluß Josephs,<br />

den himmlischen Vater nach der wahren Religion zu fragen, als geradlinigen, rein verstandesmäßIgen Schluß<br />

und Entschluß darstellt.<br />

In der Schilderung des Beginns des Gebetes im Wald bis zur Erscheinung der göttlichen Personen<br />

- 23 -


unterscheiden sich die beiden Berichte sehr wesentlich. berichtet: "Da machte der Widersacher<br />

verschiedene mächtige Versuche, den Eifer seines Gemüthes zu erkalten. Er umnachtete seinen Verstand mit<br />

Zweifeln, und führte seiner Seele allerlei unpassende Bilder vor, um ihn an der Erreichung des Gegenstandes<br />

seiner Bestrebungen zu hindern". hingegen sagt: ", da wurde ich auch schon von einer Gewalt gepackt,<br />

die mich gänzlich überwältigte und eine so erstaunliche Macht über mich hatte, daß sie mir die Zunge lähmte<br />

und ich nicht sprechen konnte. Dichte Finsternis zog sich um mich zusammen, und ich hatte eine Zeitlang das<br />

Gefühl, als sei ich plötzlicher Vernichtung anheimgegeben." 9 Es Ist unklar, warum diesen geistigen<br />

Kampf Josephs mit den Mächten der Finsternis so sehr abgeschwächt hat.<br />

Die Vision und das Gespräch mit dem Herrn schildert ziemlich ausführlich. erwähnt sie<br />

nur kurz und bringt den wesentlichen Punkt: Joseph soll sich keiner Kirche anschließen, er soll vom Herrn<br />

"mit besonderer Gunst beglückt" werden und in späterer Zeit soll ihm" die wahre Lehre Christi und die<br />

ganze Vollheit des Evangeliums geoffenbart werden."<br />

In der Folge berichtet , wie er seine neuen Erkenntnisse am selben Tag seiner Familie mitteilte und<br />

wie sich durch das Bekanntwerden seiner Vision Verfolgung gegen ihn erhob. Er sinnt etwas über diese<br />

Verfolgungen nach und schildert dann summarisch seinen Lebensweg bis 1823. 10 Spricht überhaupt<br />

nicht über die Familie. Die Verfolgungen erwähnt er erst summarisch in Kapitel 2. Vom Leben Josephs<br />

erwähnt er nur: " , verfiel er in die Fehler und Eitelkeiten der Welt, welche er später jedoch aufrichtig<br />

bereute."<br />

Daran schließt sich in bei den Berichten eine Schilderung der Nacht vom 21. zum 22. September 1823<br />

an. Ein göttlicher Bote, ein auferstandenes Wesen ist Joseph Smith erschienen, um ihm Belehrungen zu geben.<br />

Beide Berichte schildern, daß Joseph Smith im Gebet um Erkenntis seines Standes vor Gott bat und auch um<br />

die 1920 versprochene Kundgebung. Als Antwort erschien eine leuchtende Gestalt in einem hellen Licht.<br />

Darin stimmen beide Berichte überein, konzentrieren sich aber in der Schilderung der Gestalt des himmlischen<br />

Boten auf unterschiedliche Details, wobei ausführlicher ist. alleine schildert die Wirkung dieser<br />

Lichterscheinung auf Joseph: "Der erste Anblick war in Wahrheit, als ob das Haus in verzehrendem Feuer<br />

stünde. Das plötzliche Erscheinen dieses Lichtes hatte eine Wirkung, gleich der eines heftigen Stoßes, auf<br />

seinen Körper, die bis an dessen Extremitäten fühlbar war. Sein Gemüth jedoch fühlte sich sogleich mit Ruhe<br />

und Heiterkeit übergossen, und sein Zustand erhob sich zu einem Entzücken der Freude das jede<br />

Beschreibung übersteigt." Bei der Schilderung der Botschaft des himmlischen Wesens legen beide Berichte<br />

unterschiedliche Schwerpunkte:<br />

11<br />

1) Der Name des Boten lautet Moroni und er habe an Joseph einen Auftrag von Gott zu erteilen, der<br />

dazu führen würde, daß der Name Joseph Smith unter allen Völkern für gut oder böse gelten wird.<br />

2) Es ist ein Bericht auf Goldplatten verborgen, der über die früheren Bewohner Amerikas berichtet und<br />

die Fülle des Evangeliums Jesu Christi enthält<br />

3) Bei den Platten befinden sich zwei Steine namens Urim und Thummim, die den Besitzer zu einem<br />

Seher machen. Sie dienen zur Übersetzung des Berichtes.<br />

4) Der Engel zitiert Stellen aus der Bibel: Maleachi, Jesaja, Apostelgeschichte, Joel.<br />

- 24 -


5) Die Zeit der Fülle der Anderen (der Nicht juden) wird bald anbrechen<br />

6) Sobald Joseph die Platten erhalten wird, darf er sie und den Urim und Thummim niemandem zeigen<br />

7) Joseph erhielt eine Vision, In der er den Aufbewahrungsort der Platten sah<br />

8) Hinweis auf weitere Belehrungen Moronis<br />

<br />

1) Bote Gottes (kein Name), der die Botschaft bringt, daß der<br />

Bund des Herrn mit den alten Israeliten seiner Erfüllung nahe ist<br />

2) das Vorbereitungswerk für das zweite Kommen des Messias beginnt und die "Vollheit des<br />

Evangeliums wird mit Macht unter allen Nationen gepredigt"<br />

3) Vorbereitung des tausendjährigen Reiches allgemeinen Friedens und ungestörter Freude<br />

4) "Die amerikanischen Indier sind Trümmer des Hauses Israel"<br />

5) "Ihre Propheten waren beauftragt eine Geschichte über die unter ihnen statt findenden wichtigen<br />

Ereigniße zu führen."<br />

6) Als das Volk in Gottlosigkeit verfiel wurde der größte Theil<br />

vertilgt. Die Berichte auf Geheiß Gottes "durch einen Ihrer letzten Propheten schützend in den Schoos der<br />

Erde niedergelegt, um sie vor den Händen der Gottlosen zu bewahren."<br />

7) der Bericht enthält Offenbarungen, die zur Ergänzung des Evangeliums gehören und die Bezug zu den<br />

Ereignissen der letzten Tage haben.<br />

8) Wenn Joseph gläubig bleibt, soll er das Werkzeug zur Hervorbringung dieser helligen Dinge sein<br />

Im weiteren Verlauf der Schilderung läßt aus, wie Joseph auf Geheiß Moronis seinem Vater über<br />

die Geschehnisse der Nacht berichtete.<br />

Beide Berichte erzählen, daß Joseph den Ort aufsuchte, wo die Goldplatten vergraben waren. Bei der<br />

Schilderung der Ereignisse an diesem Ort sehen wir wieder große Unterschiede. spricht von einem Stein,<br />

den Joseph mit einem Stock weghebelte, worauf er die Platten nebst Urim und Thummim mit zugehörigem<br />

Brustschild in einer zementgebundenen Steinkiste sah und entnehmen wollte, woran ihn der Engel Moroni<br />

hinderte und ihm gebot sich in genau einem Jahr wieder zur Belehrung an dieser Stelle einzufinden.<br />

dagegen spricht von "Hinwegräumung mehrerer über einander gelegter Steine, die mit Maurerkitt<br />

verbunden waren". Daran schließt sich kurz die Schilderung einer Vision Josephs über die Heere und<br />

Verbündeten Satans und dann über etwa vier Seiten eine Belehrung und Prophezeiung durch Moronl, die bel<br />

fehlt mit Ausnahme der Verheißung, daß die Platten in vier Jahren In die Hände von Joseph Smith<br />

- 25 -


übergeben werden sollten.<br />

Das Kapitel schließt mit einer Beschreibung der Goldenen Platten einschließlich der darauf befindlichen<br />

Gravierungen und von Urlm und Thummim und von deren Gebrauch. Diese Beschreibung fehlt bel .<br />

6. Kapitel 2<br />

Am Beginn berichtet der Autor über die Wirkung der Erlebnisse von Joseph Smith in seiner Umgebung:<br />

Verleumdung, Spott, Gewalttätigkeit, aber auch das Verlangen, mehr darüber zu erfahren.<br />

Es folgt ein kurzer Bericht vom Umzug Josephs mit seiner Frau zu seinem Schwiegervater, wo er die<br />

Übersetzung des unversiegelten Teiles der goldenen Platten vornahm. Dies finden wir ähnlich auch bei .<br />

Ebenso ist in beiden Berichten ein Besuch Josephs bei einem Gelehrten in New York geschildert, dem er eine<br />

Abschrift einiger Zeichen von den goldnenen Platten zeigte.<br />

Dann folgt ein kurzer Abriß des Buches Mormon, wobei Orson Hyde die Geographie des Buches<br />

Mormon mit heutigen Bezeichnungen verband. Nach neuerer Erkenntnis Ist diese Zuordnung keineswegs<br />

gesichert. Er nimmt auch an, daß die "amerikanischen Indier" Insgesamt Nachkommen der Lamanlten<br />

seien, was nach archäologischen und anthropologischen Befunden sicher nicht richtig ist. Er interpretiert die<br />

"mounds", die archäologisch reichhaltigen Hügel, die in welten Gebieten Nordamerikas zu finden sind, als<br />

mit Erde bedeckte Haufen von in der Schlacht gefallenen Kriegern, von denen im Buch Mormon die Rede ist.<br />

Auch diese Ansicht ist durch spätere Untersuchungen unhaltbar geworden.<br />

Am Ende des Kapitels wird das Buch Mormon als Abkürzung der Berichte der Nephiten, verfaßt von<br />

Mormon und Moroni charakterisiert. Der Autor weist darauf hin, daß schon sechs Auflagen des Buches<br />

Mormon erschienen waren: "Drei große Ausgaben und eine vierte Stereotypen-Ausgabe ist bereits in den<br />

vereinigten Staaten Amerika's erschienen, so wie auch zwei derselben in England."<br />

Er weist dann auf die Absicht hin, anderssprachige Ausgaben zu veröffentlichen und wie sich sein<br />

deutsches Büchlein In dieses Bemühen einordnet: "Aller Wahrscheinlichkeit nach wird in Bälde eine deutsche<br />

Übersetzung herausgegeben werden so wie auch in der Sprache anderer Nationen. Eine Absicht dieses kleinen<br />

Werkes ist es deshalb, ihr den Weg zu bereiten, und ihr eine Einleitung zu geben."<br />

Dann berichtet der Autor das Ende des nephitischen Volkes und die Rolle Mormons und seines Sohnes<br />

Moroni bei der Vollendung und Bewahrung des Berichtes. Nochmals erwähnt er das Erscheinen des Engels<br />

des Herrn bei Joseph Smith, erwähnt aber mit keinem Wort die Identität dieses Engels mit dem antiken<br />

Propheten und Krieger Moroni.<br />

Zum Abschluß des Kapitels weist der Autor auf die Prophezeiungen Jesajas hin, die durch das<br />

Hervorkommen des Buches Mormon In neuem Licht erscheinen. Er weist besonders auf Jesaja 29 hin und<br />

zitiert Jesaja 37:31,32.<br />

7. Kapitel 3<br />

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Priestertum (Hyde sagt "Priester=Amt"). Zunächst definiert er<br />

das Priesteramt: "Macht und Gewalt ward dem Menschen durch Christus selbst verliehen, wodurch er<br />

bevollmächtigt ist, das Wort des Lebens zu predigen und zu erklären, und das Haus Gottes aufzubauen, zu<br />

organisieren und zu regieren in Sanftmuth und Reinheit, so wie auch alle Gebräuche, Ceremonien und<br />

Anordnungen der Kirche zu verrichten im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes." Danach<br />

warnt er vor jenen, die diese Vollmacht nicht wirklich besitzen, sondern sich nur anmaßen: "Deshalb wird er<br />

dem Volke von keinem Nutzen sein, sondern er wird selbes täuschen, und seine eigene Seele in die Falle<br />

- 26 -


ingen".<br />

Im folgenden wird die Wiederherstellung des Aaronischen Priestertums im Zusammenhang mit dem<br />

Wunsch nach der gültigen Taufe von Joseph Smith und Oliver Cowdry geschildert. Hier läßt er dann Oliver<br />

Cowdry selbst berichten, Indem er die auszugsweise Übersetzung eines Briefes an seinen Freund Richter I. N.<br />

W. Phelps einfügt. In diesem Brief berichtet Oliver Cowdry in teilweise sehr schwärmerischen Worten darüber,<br />

wie er und Joseph Smith durch einen himmlischen Boten die wahre Vollmacht des Priestertums erhalten<br />

haben.<br />

Danach zeigt Orson Hyde auf, daß somit die Priestertumsvollmacht in keiner Verbindung mit anderen<br />

Kirchen steht, besonders nicht mit der katholischen oder einer protestantischen, sondern daß sie direkt von<br />

Gott her stammt: ", so war der Grundstein unserer Kirche aus dem Steinbruche der Natur geholt, ohne zuvor<br />

unter dem polirenden Meißel irgend einer religiösen Sekte gelegen zu haben; und deshalb war er fähig, jegliche<br />

Gestalt anzunehmen, welche dem grossen Baumeister ihm zu geben gefiel." Wieder bezieht er sich darauf, daß<br />

dies eine Notwendigkeit für die Endzeit ist und zitiert Offenbarung 14:6,1 und 1:2 und 18:1. Der Herr ist<br />

gekommen um die Endzeit mittels seines Priestertums einzuleiten. Dazu verweist der Autor noch auf Danlei<br />

12:4. Er sieht die Morgendämmerung neuer Erkenntnisse, er fühlt sich am Beginn einer neuen Ära.<br />

8. Kapitel 4<br />

Dieses Kapitel ist der Darstellung der grundsätzlichen Lehren der Kirche gewidmet. In der Einleitung<br />

beruft sich Orson Hyde darauf, daß er dazu in der Lage sei, weil er durch seine Funktion in der Kirche ( er<br />

gehörte seit 1835 dem Rat der Zwölf Apostel an) die Gelegenheit und die Pflicht hatte, sich mit den<br />

Grundsätzen gründlich vertraut zu machen. Er meint auch, daß er durch diese Schilderung die Freundschaft<br />

der Menschen verlieren könne, war sich also der Brisanz dieser Lehrsätze voll bewußt.<br />

Er teilte die Themen in 16 Artikel auf:<br />

* Ueber die Gottheit<br />

*Ueber den Gebrauch und die Gültigkeit der Schriften des alten und neuen Testamentes in unserer<br />

Kirche<br />

* Ueber den Glauben<br />

* Ueber die Reue<br />

* Ueber die Taufe<br />

* Ueber die Konfirmation nach der Taufe durch Auflegung der Hände<br />

* Ueber das Sakrament des Brodes und Weines<br />

* Ueber das Sündenbekenntniß und die Behandlung gesetzwidriger Glieder<br />

* Behandlung der Kinder In Bezug auf die Kirche<br />

* Ueber die Offenbarungen und Befehle, welche Gott seiner Kirche gab, seit sie organisiert wurde. (1830)<br />

* Ueber den Unterhalt und die Lebensweise unserer Priester * Ueber die Taufe für die Todten<br />

* Ueber das Beten und über die Art der Anbetung * Ueber die Feiertage<br />

* Ueber die Fußwaschung<br />

* Ueber patriarchalische Segnung und ein Wort über Ehe<br />

Im Vergleich zu den dreizehn Glaubensartikel von Joseph Smith, die inzwischen kanonisiert sind,<br />

beschäftigt sich hier Orson Hyde teilweise mit anderen Themen. Die Artikel sind auch viel ausführlicher als<br />

- 27 -


die Glaubensartikel von Joseph Smith.<br />

8.1 Erster Artikel, Ueber die Gottheit<br />

Im Zentrum dieser Gedanken steht Jesus Christus und seine Rolle als Erlöser für die Lebenden und die<br />

Toten. Außerdem wird betont, daß wir Sterblichen die Möglichkeit haben, Gott ähnlich zu werden, was schon<br />

durch unser Aussehen als Abbilder Gottes als Ziel erkennbar ist. Die Körperlichkeit des Vaters wird nicht<br />

erwähnt: "Der Vater ist eine geistige Person voll von Herrlichkeit und Macht".<br />

8.2 Zweiter Artikel, Ueber den Gebrauch und die Gültigkeit der Schriften des alten und neuen<br />

Testamentes in unserer Kirche<br />

Die Bibel wird als eine Sammlung von Beispielen aufgefaßt, die uns helfen<br />

das Göttliche zu verstehen und zu leben. Die Vorschriften darin sind aber für uns heute nicht mehr<br />

bindend, wie sie es für die Juden in alter Zeit waren.<br />

Niemand hat das Recht, diesen Schriften etwas hinzuzufügen oder etwas davon wegzunehmen, außer der<br />

Herr selbst. Wir sollen wie ein kluger Geschäftsmann unseren gegenwärtigen Besitz verwenden, um ihn zu<br />

vermehren, also zu der Bibel die Dinge hinzunehmen, die Gott uns jetzt gibt.<br />

8.3 Dritter Artikel, Ueber den Glauben<br />

Hier beschreibt er den Glauben als grundsätzlichen Antrieb, der uns in allen Lebenslagen zum Handeln<br />

treibt, weil der Glaube "die Gewißheit ist, mit der wir unsichtbare Dinge zu erlangen hoffen". Er verwendet<br />

als Beispiele den Ackersmann, der in Hoffnung auf die Frucht pflügt, den Seemann, der in Hoffnung auf<br />

reiche Handelsgüter hinausfährt und den Kaufmann, der in der Hoffnung auf Besitzvermehrung kauft und<br />

verkauft. Der zweite Flügel, der den Menschen In die Höhe trägt ist aber die Arbeit. Glaube ohne Arbeit<br />

oder Arbeit ohne Glauben sind beide nutzlos und führen nirgendwohin, wie auch ein Vogel nicht mit einem<br />

Flügel alleine aufsteigen kann. Hier betont er also ein Charakteristikum der Kirche Gottes: Die Verbindung<br />

von Glauben und Tat, die schon auf dem Titelblatt angedeutet wurde. Weiters weist er auf die Wirkung des<br />

Heiligen Geistes hin, der nötig ist, damit der Prediger mit Macht spricht. Der Gegenstand dieses Glaubens<br />

muß Jesus Christus sein. Dies ist der erste Grundsatz des Glaubens, wie es auch im 4. Glaubensartikel von<br />

Joseph Smith heißt.<br />

8.4 Vierter Artikel, Ueber die Reue<br />

Als zweiten Grundsatz spricht er über die Reue (heute wird dies als Umkehr bezeichnet). Er erklärt die<br />

Notwendigkeit der Demut als Voraussetzung für die Reue. Dabei läßt er einen ganz vorsichtigen Angriff auf<br />

die etablierten Kirchen los, deren Führern er Stolz und Ehrsucht vorwirft. Außerdem bemängelt er die<br />

Verquickung von Staat und Kirche und prophezeit für die Endzeit eine Aufdeckung aller Mißstände. Er<br />

vergleicht die Situation mit einer Schneedecke, die alle häßlichen Stellen weiß verdeckt, aber nur bis sie in der<br />

Sonne dahinschmilzt. Diese Gedanken äußert er nur sehr vorsichtig und mit Vorbehalten, wahrscheinlich im<br />

Bewußtsein der Zensur, die sein Werk zu passieren hat, um veröffentlicht zu werden.<br />

Wer durch Demut seine Sünden erkennt und sich verpflichtet, Jesus Christus zu gehorchen und<br />

- 28 -


nachzufolgen ist reif für den nächsten Schritt, den er im folgenden Artikel behandelt.<br />

8.5 Fünfter Artikel, Ueber die Taufe<br />

Hier lehrt Orson Hyde die Notwendigkeit der Taufe durch Untertauchen für Menschen, die "zu den<br />

Jahren der Vernunft gekommen sind und selbst erkannt haben, daß sie gegen ihren Gott sündigten." Er<br />

vergleicht die Taufhandlung mit der Unterschrift eines Bankiers auf einer Schuldverschreibung: Das Blatt<br />

Papier erhält durch den Bankier seinen Wert, die Taufe durch die Vollmacht Jesu Christi. Im weiteren geht<br />

er auf die Taufe der Erde in der Sintflut ein, wodurch sie gereinigt wurde. Er blickt auch in die Zukunft,<br />

wenn die Erde im Feuer wieder gereinigt und der Aufenthalstort Christi und seiner Heiligen werden soll.<br />

Im weiteren Verlauf vergleicht er die Taufe in sehr geläufiger Weise mit Tod, Begräbnis und<br />

Auferstehung.<br />

Zum Schluß wendet er sich gegen die gängige Form der "Taufe", das Besprengen und illustriert das mit<br />

einer kleinen Anekdote über Indianermissionare, die von ihren Schützlingen der Inkonsequenz überführt<br />

wurden: In dem Bibelabschnitt, den die Missionare übersetzt hatten, war von Taufe durch Untertauchen die<br />

Rede, die Missionare wollten durch Besprengen taufen und verloren dadurch Ihre Glaubwürdigkeit.<br />

8.6 Sechster Artikel, Ueber die Konfirmation nach der Taufe durch Auflegung der Hände<br />

Folgerichtig wird als nächstes die Konfirmation behandelt. Es fällt auf, daß hier dem Täufling erst nach<br />

vollzogener Taufe erklärt wird, worum es sich bei der Konfirmation handelt und dann wird sie von Ältesten<br />

vollzogen.<br />

An die Beschreibung der heiligen Handlung schließen sich Gedanken über die Funktion des Priesterums<br />

als Vermittlung zwischen Gott und Mensch, wie sie ja bei der Konfirmation, der Übertragung der Gabe des<br />

Helligen Geistes augenfällig ist.<br />

8.7 Siebenter Artikel, Ueber das Sakrament des Brodes und Weines<br />

Hier erklärt er das Abendmahl und seine symbolische Bedeutung als Erinnerung an das Sühnopfer Jesu<br />

Christi und grenzt es von der Lehre der Transsubtantiation ab. Er spricht hier noch ausschließlich von Wein,<br />

obwohl die Offenbarung, die später zur alleinigen Verwendung von Wasser führte schon im August 1830<br />

gegeben worden war 12 .<br />

In diesem Zusammenhang kommt er auch auf den Sabbat zu sprechen: "In unserer Kirche ist dieß<br />

Sakrament an jedem ersten Tag der Woche gespendet, welcher gegenwärtig unser Sabbath ist". Er zeigt also<br />

an, daß der Tag des Sabbats im Prinzip wechseln kann.<br />

Er tritt der Kritik entgegen, daß das Abendmahl durch so häufigen Gebrauch in den Augen der<br />

Menschen entwertet werden könnte und unterstreicht seine Bedutung als Neuverpflichtung, Jesus Christus<br />

nachzufolgen: " Jene, welche an diesem Sakramente mit Glauben und Reinheit theilnehmen, empfangen<br />

- 29 -


geistige Kräfte und göttlichen Trost. Die öftere Wiederholung dieser göttlichen Anordnung betrachten wir als<br />

unausweichlich nothwendig, um die Kirche in beständigen gesunden Zustand und Wachsthume zu erhalten."<br />

8.8 Achter Artikel, Ueber das Sündenbekenntnis und die Behandlung gesetzwidriger Glieder<br />

Hier faßt Orson Hyde das im Rahmen der Umkehr notwendige Bekennen der Verfehlungen und das<br />

Gerichtswesen der Kirche zusammen. Er nennt zwei Instanzen: "die Kirche mit einem vorsitzenden Ältesten"<br />

für Streitigkeiten unter gewöhnlichen Umständen und "ein höheres Tribunal aus zwölf Hohenpriestern". Die<br />

Bedeutung von Offenbarung für die Entscheidungsfindung wird hervorgehoben.<br />

8.9 Neunter Artikel, Behandlung der Kinder in Bezug auf die Kirche<br />

Hier erwähnt der Autor die Verpflichtung aller Eltern in der Kirche, ihren Kindern die Grundsätze des<br />

Evangeliums beizubringen.<br />

Er gibt das Alter von acht Jahren als das Alter für die Taufe an und erwähnt, daß kleinere Kinder von<br />

den Ältesten gesegnet werden sollen.<br />

Zum Abschluß vermittelt er den Grundsatz, daß man nur sündigen kann, wenn man imstande ist, das<br />

Gesetz zu erkennen und zu begreifen. Daher brauchen kleine Kinder die Taufe nicht.<br />

8.10 Zehnter Artikel, Ueber die Offenbarungen und Befehle, welche Gott seiner Kirche gab, seit sie<br />

organisiert wurde (1830)<br />

Mit diesem Thema schneidet er bewußt einen Streitpunkt mit praktisch allen anderen Konfessionen an.<br />

Im Glauben an moderne Offenbarung sieht er einen wesentlichen Grund für die Verfolgung, die gegen die<br />

Kirche tobte.<br />

Die Offenbarungen haben viele Bibelstellen erhellt, die vorher unverständlich waren. Er versichert, daß in<br />

der Kirche Prophezeiungen, Offenbarungen, Visionen und Träume vorhanden sind, wodurch Gott sein Volk<br />

warnt und ermahnt. In diesem Zusammenhang erwähnt er auch die wirksame Krankensegnung, die ja auch<br />

nicht allgemein anerkannt wird. In diesem Rahmen zieht er einen Vergleich zwischen dem Volk Gottes in<br />

alter Zeit und den Kirchen der Gegenwart: Früher waren Träume, Prophezeiungen und Visionen<br />

hochgeschätzt und ihr Ausbleiben wurde beklagt. Heute wird so etwas als Anmaßung oder Narrheit völlig<br />

verdammt.<br />

8.11 Eilfter Artikel, Ueber den Unterhalt und die Lebensweise unserer Priester<br />

Als erstes betont Hyde: "In unserer Kirche gibt es keinen Priester, der eine Besoldung für sein Predigen<br />

bekäme, sondern sie sind alle von der Großmuth des Volkes abhängig, unter denen sie arbeiten." Dann<br />

betont er, daß es keine Amtstracht der Priester gibt, daß Priester verheiratet sein können und sollen, mit nur<br />

einer Frau, aber nach ihrem Tod wieder heiraten dürfen. Dies zeigt an, daß zu diesem Zeitpunkt die Vielehe<br />

noch nicht allgemein verkündet war. Dies geschah erst am 12. Juli 1843. Verwendung von Tabak wird als<br />

verboten erklärt.<br />

- 30 -


Der Rest des Artikels umfaßt ein Zitat aus moderner Offenbarung 13 , welches sich auf die Art bezieht,<br />

wie das Evangelium verkündet werden soll und was die Sorge der Prediger sein soll und was nicht.<br />

8.12 Zwölfter Artikel, Ueber die Taufe für die Todten<br />

Hyde weist darauf hin, daß es in der Schrift nur schwache Andeutungen darüber gibt, die erst durch die<br />

deutlichen modernen Offenbarungen auffallen. Dann erläutert er den Zweck dieser stellvertretenden Handlung,<br />

wobei er den Personenkreis einschränkt, wie es heute nicht mehr zutrifft: "Deßhalb hat es unserm<br />

himmlischen Vater gefallen, den Gliedern der Kirche das ausgezeichnete Vorrecht zu gewähren, daß sie<br />

getauft werden können, für ihre verstorbene Freunde, mit denen sie persönlich bekannt waren vor ihrem Tode."<br />

Wie tausende<br />

Missionare nach Ihm weist er zur Bestätigung auf 1. Korinther 15:29 hin.<br />

8.13 Dreizehnter Artikel, Ueber das Beten und über die Art der Anbetung<br />

In diesem Artikel weist der Autor auf die Notwendigkeit täglichen Gebetes allein und in Gemeinschaft<br />

hin. Danach spricht er über den Ablauf der sonntäglichen Gottesdienste: Zwei Stunden vormittags, die mit<br />

Gebet und Gesang eröffnet werden, "eine Rede an das Volk" und dann eventuell<br />

"Exhortationen"(Ermahnungen, Aufmunterungen) enthalten und mit mehreren Gesängen beschlossen werden.<br />

"Der Nachmittag wird mit Gesängen, Exhortationen, und mit Spendung der heiligen Sakramente, als<br />

Beicht, Abendmahl und Konfirmation, so wie auch mit Segnung der Kinder, und andern, den Umständen<br />

angemessenen Verrichtungen zugebracht."<br />

Eine Sonntagschule gibt es noch nicht, auch keine Versammlungen für Priesterschaft oder<br />

Hilfsorganisationen. Die Frauenhilfsvereinigung war gerade wenige Monate zuvor, am 17. März 1842<br />

gegründet worden und die Primarvereinigung wurde erst am 11. August 1878 ins Leben gerufen. Sie werden<br />

auch dann noch lange Jahre während der Woche geführt und nicht am Sonntag. Was unter "Beicht" zu<br />

verstehen ist, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich ein öffentliches Schuldbekenntnis der Mitglieder.<br />

8.14 Vierzehnter Artikel, Ueber die Feiertage<br />

Hier zieht der amerikanische Autor Vergleiche zwischen den Verhältnissen in seiner Heimat und in<br />

Europa. Er weist darauf hin, daß in USA Staat und Kirche völlig getrennt sind, daß aber die Gouverneure<br />

zu gewissen Fast- und Gebetstagen aufrufen, die aber zum Unterschied von Europa nicht bindend sind, aber<br />

dennoch allgemein gehalten werden. Dazu kommen noch weitere Tage, die von der Kirche festgesetzt werden:<br />

"Diesen Tagen werden von Zeit zu Zeit durch unsern vorsitzenden Aeltesten hinzugefügt, so wie es die<br />

Umstände veranlassen, wo denn unter Fasten und Beten dem Herrn Dank dargebracht wird für Seine uns<br />

überflüssig erwiesene Güte."<br />

Die Strenge der Sabbatheiligung durch völlige Einstellung von Arbeit und Handel und die Hingabe zum<br />

Herrn in Amerika wird hervorgehoben und dem Tag der Erholung und des Vergügens in Europa<br />

gegenübergestellt.<br />

8.15 Fünfzehnter Artikel, Ueber die Fußwaschung<br />

Es ist dies eine Verordnung, die heute in der Kirche nicht mehr in dieser Form durchgeführt wird. Sie ist<br />

in den heiligen Handlungen des Tempels aufgegangen.<br />

- 31 -


Orson Hyde unterscheidet zwei Arten der Fußwaschung: Die "private", die in kleinem Kreis als Zeichen<br />

der Demut durchgeführt wurde und die "offizielle", die eine heilige Handlung mit Konsequenzen ist. Sie wird<br />

von Präsidenten der Kirche vollzogen an Priestern, die zwei oder drei Jahre ihre reisende oder lokale Tätigkeit<br />

getreu ausgeführt haben. Dabei werden ihre Füße gewaschen und ihr Haupt und ihr Körper gesalbt. Der<br />

Vollzug dieser Handlung bedingt eine noch stärkere Verpflichtung, alles zu tun was ihnen aufgetragen wird,<br />

sei es zu reisen und zu predigen oder ein örtlicher Vorsteher zu sein.<br />

8.16 Sechzehnter Artikel, Ueber patriarchalische Segnung und ein Wort über die Ehe<br />

Hier wird die Funktion des Patriarchen als Ersatz für einen Vater dargestellt, der entweder verstorben<br />

ist oder die Vollmacht des Priestertums nicht hat. Jeder Vater soll vor seinem Tod seine Kinder segnen. ist<br />

dies nicht möglich spendet der berufene Patriarch diesen Segen, der sehr wichtig für die Mitglieder der Kirche<br />

ist. Heute kann nur ein berufener Patriarch einen patriarchalischen Segen spenden, der Vater hat andere<br />

Aufträge.<br />

Zum Schluß erwähnt Hyde noch, daß allen Personen in der Kirche das Heiraten erlaubt ist und weist<br />

darauf hin, daß die Eheschließung mit einem Nichtmitglied zwar nicht verboten ist, aber als Zeichen der<br />

Glaubensschwäche betrachtete wird.<br />

9. Einige gesammelte Gedanken<br />

Zuerst gibt Orson Hyde einige Gedanken über die Endzeit, die angebrochen ist und vergleicht sie mit der<br />

Zeit Noahs. Damals wie heute gibt es Boten, die die Absicht Gottes verkünden. Damals wie heute wird<br />

ihnen nicht geglaubt.<br />

Es schließen sich überlegungen über Reichtum und Armut und über die Aufnahme der Botschaft<br />

hauptsächlich durch die Armen der Erde an. Dann spricht er über das zweite Kommen Christi und die<br />

Reinigung der Erde, die dann von den Ungläubigen und der Macht Satans befreit sein wird.<br />

Danach geht er sehr ausführlich auf die Geschehnisse der vorangegangenen Jahre ein. Als Begründung für<br />

die Ansiedlung der Heiligen in Missouri nennt er die Prophezeiung im Buch Mormon, daß eine große Stadt<br />

erbaut werden soll durch das Volk, das ans Buch Mormon glaubt 14 . Als Grund für die Feindschaft der<br />

politischen und religiösen Führer Missouris wird die Angst angeführt, durch die wachsende Zahl der<br />

Mormonen aus der Macht gedrängt zu werden. Die politischen Führer nahmen an, daß sie bei einer Überzahl<br />

der Mormonen abgewählt würden und die Geistlichen fürchteten durch Verlust ihrer Kirchenmitglieder an die<br />

Mormonen ihren Einfluß zu verlieren.<br />

Dies führte zu einer Verleumdungskampagne, in der die Helligen beschuldigt wurden, die schwarzen<br />

Sklaven aufzuhetzen. Das wurde als Vorwand für grausame Verfolgung benutzt, der man nur durch<br />

Verleugnung der Religion entkommen konnte. Als Beispiel für die Verfolgungen zitiert er einen<br />

Augenzeugenbericht des Massakers von Hauns Mill, der von Joseph Young verfaßt worden war 15 : Am 30.<br />

Oktober 1838 überfiel ein Haufen von etwa 240 Bewaffneten die Siedlung von Hauns Mill, die 28 Männer<br />

zur Verteidigung aufbieten konnte. Dieser zahlenmäßige Unterschied führte zum Tod von 18 oder 19<br />

Personen, zur schweren Verletzung einer weitern Anzahl und zur Zerstörung der Siedlung und zum Raub<br />

von Einrichtung, Kleidung und Vieh.<br />

Auf diesen Bericht folgt ein kurzer Abriß der Vertreibung aus Mlssouri und der freundlichen Aufnahme<br />

der Flüchtlinge in Illinois.<br />

- 32 -


Weiters berichtet er von der Gründung der Stadt Nauvoo, einschließlich des Privilegs, eine eigene Miliz<br />

aufzustellen. In diesem Zusammenhang erwähnt er das Erscheinen eines Berichtes über die militanten<br />

Mormonen in einer Regensburger Zeitung. Dann widmet er sich dem Erfolg der Verkündigung in der<br />

Umgebung von Nauvoo: "und es war nicht selten zu sehen, daß fünfzig bis hundert Personen an einem Tag<br />

getauft wurden, um unserer Kirche einverleibt zu werden." In diesem Zusammenhang nimmt der Autor die<br />

Verfolgung als glaubensstärkende Kraft an. Weiters spricht er davon, daß 1500 Bekehrte aus England<br />

gekommen sind und daß sich etwa 10 000 auf die Auswanderung vorbereiteten.<br />

Dann gibt er Zeugnis über den göttlichen Auftrag und die göttliche Macht, die Joseph Smith zu seinem<br />

Werk befähigen. Weiters gibt er Zeugnis darüber, daß er durch die Macht Gottes geheilt wurde, als die Ärzte<br />

ihm nicht helfen konnten.<br />

Weiters teilt er uns mit, daß er beinahe drei Jahre von seiner Familie getrennt sei und sich sehr auf die<br />

Rückkehr freue. Als Zeit der Rückkehr aus dem nahen Osten nach Regensburg gibt er Februar an. In<br />

Regensburg hat er Englischunterricht erteilt und mit Hilfe eines Schülers das Buch verfaßt.<br />

Zum Schluß gibt er Zeugnis, daß es ihm auf seiner Reise an nichts gemangelt hat, obwohl er ohne Geld<br />

ausgegangen war. Den Schluß bildet ein kurzes Gebet, mit der Bitte aufrecht im Evangelium zu bleiben und<br />

nach dem Tode in die Ruhe des Herrn eingehen zu dürfen.<br />

10. Konsulatsbestätigung<br />

Hierbei handelt es sich um die Bestätigung des Konsulats der USA in Rotterdam, daß die Papiere von<br />

Orson Hyde in Ordnung sind und daß er von vertrauenswürdigen Personen geachtet und respektiert wird.<br />

Diese Abschrift ist datiert mit 24. Juni 1841<br />

11. Anhang<br />

Er schließt eine Warnung an Bayern an, daß es sich nichts Gutes tut, wenn es das Evangelium aussperrt.<br />

Weiters warnt er davor, die in diesem Buch dargestellten Lehren und Grundsätze zu verspotten und gibt<br />

Zeugnis von ihrer Göttlichkeit, wobei er aber auf die Unvollkommenheit in ihrem "Mechanismus" hinweist.<br />

Zum Abschluß kündigt er an, daß bald Prediger gesandt werden, "welche Deutsche von Geburt und<br />

Erziehung sind". Auch Orson Hyde äußert die Hoffnung, bald nach Deutschland wiederkehren zu können.<br />

12. Schlußfolgerung<br />

Dieses sehr frühe Werk ist auch heute noch weitgehend aktuell. Es zeigt, daß die Grundsätze des<br />

Evangeliums die vor 150 Jahren gelehrt worden sind, heute noch ebenso gelehrt werden.<br />

Auf der anderen Seite gibt es einen recht persönlichen Einblick in die Schwierigkeiten, mit denen die<br />

Kirche In dieser frühen Zeit zu kämpfen hatte und ist so ein wichtiges historisches Dokument.<br />

Obwohl Orson Hyde sich keineswegs In den Mittelpunkt seines Werkes gestellt hat, wirft dieses Buch<br />

doch ein Licht auf sein Leben, und natürlich ganz besonders auf seine Denkweise und seinen starken,<br />

unerschütterlichen Glauben.<br />

Es wäre vielleicht interessant, dieses Werk einem weiteren Kreis zugänglich zu machen.<br />

- 33 -


[1] Anhang 1, Titelblatt<br />

[2] Buch Mormon, Moroni 10:3-5<br />

[3] Jenson, Andrew. Latter-day Saint Biographical Encyclopedia, Deseret News, Salt Lake City, Vol.<br />

1, S. 81<br />

[4] Bibel, 2. Korintherbrief 11 [5] Lehre und Bündnisse 115:4<br />

[6] Histol'Y of the Chu rch, Vol.l chap. 1-5<br />

[7] Die Köstliche Perle, ~oseph Smith Lebensgeschichte, Vers 12 [8] ibid. Verse 12,13 [9] ibid. Verse<br />

15,16<br />

[10] ibid. Verse 20-29 [11] ibid. Verse 33-42<br />

[12] Lehre und Bündnisse 27<br />

[13] Lehre und Bündnisse 84:77-96, mit Auslassungen wiedergegeben [14] Buch Mormon 3. Nephi<br />

20:22;21:24<br />

[15] Anhang 2, Joseph Youngs Bericht von Haun's Mill<br />

- 34 -


Geht zu allen Völkern:<br />

Die internationale Ausbreitung des Mormonismus 1830-1855<br />

Douglas F. Tobler<br />

Der Herbst 1991 bietet uns eine ausgezeichnete Perspektive von der fortwährenden Internationalisation<br />

und der wachsenden gegenseitigen Abhängigkeit aller Nationen der Welt. Ereignisse der letzten drei Jahre in<br />

Europa, dem Mittelosten, und in letzter Zeit in der Sowjetunion, haben das Maß, in dem wir ein weltweites<br />

Gemeinwesen geworden sind, unterstrichen. Dies nicht nur in Hinsicht auf Industrialisierung, Technik and<br />

Kommunikationen, sondern auch in der allgemeinen Anerkennung unserer Ansprüche auf universale<br />

Menschenrechte und Freiheiten.<br />

Dieser machtvolle universale Zeitgeist ist ebenfalls an den letzten Entwicklungen in der Kirche Jesu<br />

Christi der Heiligen der Letzten Tage erkennbar. Mit der Präsidentschaft David O. McKays im Jahre 1951<br />

beginnend--er war selbst ein überzeugter Kosmopolit--und in letzter Zeit in der Person von Spencer W.<br />

Kimball, hat die internationale Verbreitung der Kirche neue Dringlichkeit und neue Dimensionen<br />

angenommen. Zum Beispiel wurden mit der Offenbarung im Jahre 1978, die den Schwarzen das Priestertum<br />

gab, neue Anfänge im schwarzen Afrika gemacht; ebenso gab es beachtliche Ausdehnungen in Zentral- und<br />

Südamerika. Jetzt gibt es Pfähle in Nigerien, Ghana und Zimbabwe. Und das ist erst der Anfang. Es gibt<br />

in der Tat allen Grund zu glauben, daß sobald die Apartheid hinter uns liegt, politische und soziale Unruhe<br />

endet, die Kirche Afrika und die Afrikaner besser verstehen lernt und daraus eine Lehre zieht, das<br />

Wachstum dort ganz dramatisch sein wird.<br />

Vergleichbare Erfolge sind in jüngerer Zeit in Zentral- und Osteuropa erzielt worden. Mit der<br />

Wiedervereinigung Deutschlands wird die Missionsarbeit hier, wie auch in der Tschechoslowakei, in vollem<br />

Maße durchgeführt. Neue Missionen sind in Polen, Bulgarien und Ungarn eröffnet worden, und es gibt einige<br />

Gemeinden in dem ehemaligen Jugoslawien. Wichtige humanitäre Arbeit wird in Rumänien und Bulgarien<br />

verrichtet, um diese Länder für die Missionsarbeit der Mormonen zu eröffnen. Was aber am wichtigsten ist,<br />

die Kirche ist in einigen Ländern der ehemaligen Sowjetunion--Russland, Ukraine und Belarus-- gegründet<br />

worden, und die Ereignisse dort, besonders seit dem fehlgeschlagenen Putschversuch im August, versprechen ein<br />

politisches Klima, in dem alle Kirchen wachsen können. Vielleicht sehen wir hier und auch anderswo eine<br />

geduldige göttliche Hand in dem menschlichen Wirken, die hilft, eine Atmosphäre der Freiheit zu schaffen, in<br />

der das Evangelium zu allen seinen Kindern gebracht werden kann.<br />

Vor einigen Jahren hat die Brigham Young Universität in Jerusalem, der Hauptstadt der Weltreligionen,<br />

ein wunderschönes akademisch-religiöses Zentrum eröffnet. Dies gab dem Mormonismus die notwendige<br />

Gegenwart, sowie einen Stützpunkt in der jüdischen und mohammedanischen Welt. Trotz der Bemühungen<br />

Orson Hydes steckt die Arbeit mit den Juden immer noch in den Kinderschuhen; mit den Mohammedanern<br />

hat sie überhaupt noch nicht begonnen. Der Geist des religiösen Oekumenismus, der in der jüdisch-christlichen<br />

Welt so bedeutsam geworden ist, hat jetzt auch angefangen, im Mormonismus Fuß zu fassen, um dadurch die<br />

Grundlage einer größeren Teilnahme und Verständigung nicht nur mit anderen Christen und Juden, sondern<br />

auch mit der weltweiten mohammedanischen Bevölkerung zu schaffen. Mormonen arbeiten überall mit guten<br />

Menschen zusammen um Hunger zu stillen, Seuchen auszumerzen, den Obdachlosen zu helfen und soziale<br />

Gerechtigkeit zu fördern.<br />

Die Brigham Young Universität ist ebenfalls sehr erfreut, mit der Universität Regensburg in dieser<br />

Konferenz zusammenzuarbeiten. Es ist in der Tat ein neuer Weg, ein kleiner Schritt in einer neuen Zeit für<br />

die Brigham Young Universität, sich in einer erweiterten Welt mehr zu betätigen.<br />

Es gibt ebenfalls ermutigende Signale in Ländern wie China, wo trotz politischer Unterdrückung mehr<br />

- 35 -


und mehr Chinesen in und außerhalb Chinas den Mormonismus kennenlernen und annehmen. Einige dieser<br />

Akademiker, Wissenschaftler, Vortragskünstler, Ärzte und Geschäftsleute werden zweifellos in Zukunft eine<br />

wichtige Rolle beim Aufbau der Kirche unter diesem Riesenvolk spielen. Andere Freunde der Kirche, wie<br />

Professor Su Ge, dem vor zwei Jahren ein Doktorgrad in amerikanischer Geschichte von der BYU verliehen<br />

wurde, können einflußreiche moderne Thomas L. Kanes' sein und Verständnis und Glaubwürdigkeit fördern,<br />

so daß viele Tausende durch sie die Botschaft hören können. Aber diese Internationalisierung ist mehr als<br />

geographisch. Sie ist auch intellektuell. Es gibt Beweise dafür, daß der Mormonismus jetzt anfängt das zu<br />

gewinnen, was er so dringend braucht, um mehr Fortschritt in einer immer zunehmenderen sekulären und<br />

skeptischen Welt zu gewinnen, nämlich von kritischen, unvoreingenommenen, gebildeten Menschen und<br />

Gelehrten als alternative und sachdienliche Weltanschauung anerkannt zu werden.<br />

Vor einigen Jahren unternahm Professor Ernst Benz, angesehener Historiker und Theologe in<br />

Marburg/Lahn, ein gründliches Studium des Mormonismus und der Kirche. In seinem Buch Urbild und<br />

Abbild., fordert er europäische Gelehrte auf, den Mormonismus und besonders dessen Gottesbegriff, ernst zu<br />

nehmen, da die diesbezügliche Lehre der Kirche der der urchristlichen Kirche am nächsten kommt. 1<br />

Aber mehr zusammenfassend und noch eindringlicher ist das Verständnis von Professor Rodney Stark,<br />

einem bekannten religiösen Soziologen der Universität Washington. Er schrieb 1984 in Review of Religion<br />

Research einen Artikel mit dem Titel "Der Aufgang eines neuen Weltglaubens", in welchem er seine<br />

akademischen Kollegen kritisierte, weil sie dem außergewöhnlichen "Wunder" des Wachstums der Mormonen,<br />

"einem der großen Ereignisse in der Religionsgeschichte", so wenig Beachtung schenkten. Mormonismus,<br />

behauptet er, ist eine "neue Religion". Mormonen "werden sehr bald eine weltweite Mitgliedschaft haben, die<br />

mit dem Islam, Buddhismus, dem Christentum, Hinduismus und anderen Hauptreligionen vergleichbar sein<br />

wird. . . In der Tat stehen sie heute an der Schwelle, die erste neue religiöse Glaubensbewegung zu werden, seit<br />

der Prophet Mohammed aus der Wüste kam." 2<br />

Wenn wir eine Wachstumsrate von 30% für jedes Jahrzehnt erwägen, dann war das Wachstum in den<br />

fünfziger Jahren 52%, in den sechziger Jahren 73%, und in den siebziger Jahren 58%. Stark schätzte, daß<br />

die Kirche eine Mitgliedschaft von 4 638 000 im Jahre 1980 und im Jahre 2080 63 415 000 haben würde.<br />

Falls aber eine Wachstumsrate von 50% beibehalten werden kann, wären es 265 259 000! 3<br />

In ähnlicher Weise kam die hochgeachtete amerikanische Historikerin Jan Shipps in ihrem Buch<br />

Mormonismus, das sie 1985 veröffentlichte und von dem ein Historiker der Columbia Universät behauptete,<br />

"daß es sehr wohl das aufsehenerregendste Buch sei, das jemals über den Mormonismus geschrieben worden<br />

war", 4 zu der bündigen aber eindrucksvollen Einsicht, daß der "Mormonismus eine neue religiöse Tradition"<br />

sei. 5<br />

Diesen Stimmen von Akademikern haben sich vor kurzem sehr positive und umfassende<br />

Dokumentarfilme über den Mormonismus in Japan und der Sowjetunion angeschlossen. Zwei der<br />

einflußreichsten amerikanischen Zeitschriften Time und Money enthielten in diesem Sommer Artikel über<br />

Utah und die Mormonen, in denen sie den positiven Einfluß des Mormonismus priesen, und das Provo-Orem<br />

Gebiet in Utah, das Kernland des Mormonismus, zumindest für 1991 den begehrtesten Ort nannten, in dem<br />

man in den Vereinigten staaten leben kann. 6<br />

In unserer sich schnell ändernden, ahistorischen Zeit besteht die Tendenz, diese Universalität und<br />

internationale Orientierung des Mormonismus als "neu" zu betrachten. Obwohl es stimmt, daß einige der<br />

Bekundigungen und besonders das Tempo "neu" sind, so möchte ich in diesem Essay erneut bestätigen, daß<br />

dieser Universalismus schon immer eines der hauptsächlichsten unterscheidenden Merkmale der Christenheit<br />

und der mormonischen Christenheit insbesondere, vom ersten Tag der Wiederherstellung an, gewesen ist.<br />

- 36 -


Ferner sollte man feststellen, daß dieser Universalismus in mehr als 150 Jahren des Bestehens des<br />

Mormonismus konstant geblieben ist und eine wesentliche Rolle in seinem weltweiten Erfolg gespielt hat.<br />

Genau gesagt bezieht sich die Botschaft des Mormonismus auf alle Menschen, auf alle Zeiten und auf alle<br />

Orte, und macht das tägliche Menschenleben und den menschlichen Zustand, selbst in Zeiten wenn andere<br />

Religionen für den Menschen als irrelevant erachtet werden, bedeutsam und kraftvoll. 7<br />

Die Betonung der Universialität und des Bestehens der Mormonenweltanschauung sollte uns nicht an die<br />

Änderungen binden, die im Mormonismus oder dessen amerikanischem Standort, vorgenommen worden sind.<br />

Ich bin mir bewußt, daß erfahrene Historiker, sowohl Mormonen wie Nicht-Mormonen, die amerikanische<br />

Natur des Mormonismus betont haben. Vor einigen Jahren schrieben zwei meiner Kollegen, die Professoren<br />

HilI und Allen, daß "die Geschichte des Mormonismus zweifellos amerikanische Geschichte repräsentiert,<br />

und gleichzeitig ein unvergleichbar amerikanisches Phänomen ist. Wir glauben, daß wenn man etwas<br />

Bedeutsames über den Mormonismus schreibt, man über Amerika schreibt . . . " 8<br />

Ich bin mir ebenfalls der Tatsache bewußt, daß die meisten europäischen Gelehrten und Journalisten, die<br />

im 19. und 20. Jahrhundert über den Mormonismus schrieben, ihn als eine typische, anglo-amerikanische,<br />

religiöse Abirrung betrachteten, der hoffnungslos hinter den mehr fortgeschrittenen europäischen kulturellen<br />

Normen steht. 9 Es gibt ebenfalls die zeitgenössische Ansicht einiger europäischer Mormonen, daß die<br />

Amerikaner in der Kirche einen zu großen Einfluß haben und kulturell tonangebend sind. Zweifellos ist es<br />

notwendig, diese Ansichten ernst zu nehmen und im Interesse des reinsten und wahrsten Universalismus, den<br />

Mormonismus von allem unangebrachten kulturellen Gepäck zu befreien. Aber trotzalledem glaube ich, daß<br />

die Kirche hauptsächlich durch göttliche Führung, all dies überlebt hat und noch überleben wird, daß sie eine<br />

immer größere Rolle spielen wird sowohl wegen ihres amerikanischen Standorts als auch wegen ihrer<br />

universalen Errettungsbotschaft, zusammen mit den universalen Ideen der Menschenwürde und Freiheit als<br />

Kinder Gottes, die für alle Menschen bestimmt ist. Außerdem sollten wir daran denken, daß Europa von<br />

Anbeginn dieses Vorgangs der internationalen Ausdehnung eine Hauptrolle gespielt hat.<br />

Von 1840 an wurde der Strom europäischer Bekehrter ein wesentlicher Teil der kollektiven Masse von<br />

Heiligen zuerst in Nauvoo und später im Great Basin Kingdom. sie waren durch die Botschaft und den<br />

göttlichen Geist angetrieben worden, sich dort zu sammeln. Sie bildeten die Grundlage und hatten den<br />

Glauben und taten alles, was die junge Kirche brauchte, um eines Tages die weltweite Ausbreitung des<br />

Mormonismus zu ermöglichen. Die Heiligen, die aus Europa kamen, waren für ihre Aufgaben sehr geeignet:<br />

Sie waren Bauern, Handwerker, Lehrer, Arbeiter, Hebammen, Geschäftsleute; sie hatten Berufe, die in der<br />

Pionierzeit sehr notwendig waren. Aber sie waren mehr als das: sie waren religiöse Sucher, die ein vollständiges<br />

Evangelium suchten, mit Aposteln und Propheten und den Gaben des Geistes. Ein protestantischer deutscher<br />

Gelehrter, Richard Lempp, klagte, daß die Sekten die frommsten und treuesten Christen in Deutschland für<br />

sich gewannen. 10 Sie trachteten besonders nach einem religiösen Glauben, der ihre großen Fragen im Leben<br />

beantworten und ihnen helfen würde, die Welt, in der sie lebten, zu verstehen.<br />

Die frühesten Offenbarungen an Joseph Smith wiederholten die Aufforderung Jesu an seine Apostel:<br />

"Dann sagte er zu ihnen: Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!<br />

Wer glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden" (Markus<br />

16:15-16). Das Buch Mormon sollte von den "Juden und Nicht juden" gelesen werden; beide sollten davon<br />

überzeugt werden, daß Jesus der Erretter ist. Abschnitt 4 der Lehre und Bündnisse gibt ganz klar und<br />

deutlich die Voraussetzungen für wirkungsvolle Missionsarbeit, und Abschnitt 1 erklärt den Hauptzweck<br />

der Wiederherstellung, nämlich "damit die Enden der Welt und vor Königen und Herrschern die Fülle meines<br />

Evangeliums durch die schwachen und einfachen Menschen verkündigt werde." (L.u.B. 1:23) In der Lehre<br />

und Bündnisse allein gibt es im ganzen 29 verschiedene Schriftstellen, in denen die weltweite Verkündigung<br />

- 37 -


der Evangeliumsbotschaft befohlen wird. Der Mormonismus war nichts anderes als eine universale<br />

Heilsbotschaft. Die Größe dieser Aufgabe versetzte die ersten Mormonen in Furcht.<br />

Dennoch haben Smith und seine Mitarbeiter ihre Aufgabe sehr ernst genommen und ein aktives<br />

Missionsprogramm begonnen. Zuerst im nachbarlichen, ländlichen Teil des Staates New York und dessen<br />

Umgebung, und dies bereits bevor die Kirche offiziell organisiert war. Schon im Jahre 1830 brachte ihre<br />

Begeisterung das Evangelium zu predigen sie in das naheliegende Kanada, wo sie einige Menschen bekehrten.<br />

Andere Kanadier und vor kurzem eingewanderte Engländer, wie die Fieldings, folgten. Sie waren sehr daran<br />

interessiert, daß ihre Verwandten in England auch von ihrem neugefundenen Glauben lernen sollten. Das<br />

veranlaßte die Eröffnung der ersten "fremden" Mission in England. 11<br />

Die Berichte von den außerordentlichen Erfolgen dieser ersten Missionare - Heber C. Kimball, Joseph<br />

Fielding und Orson Hyde und Gefährten - in Großbritannien sowie die unglaubliche Arbeit, die dort in den<br />

Jahren 1840-41 von den Aposteln unter der Leitung von Brigham Young geleistet wurde, ist so gut bekannt,<br />

daß sie hier nicht in Einzelheit wiederholt werden muß. Am Abschluß ihrer Mission in Großbritannien, die<br />

376 Tage gedauert hatte, gab Brigham Young den folgenden Bericht:<br />

Mit einem Herzen voller Dankbarkeit für Gott, meinen himmlischen Vater, dachte ich über seine Liebe<br />

nach, die er mir und meinen Brüdern von den Zwölf während des vergangenen Lebensjahres, das wir in<br />

England verbracht hatten, erwiesen hatte. Es schien wirklich wie ein Wunder, wenn wir den Gegensatz<br />

zwischen unserer Landung und unserer Abreise von Liverpool betrachten. Wir landeten im Frühjahr 1840<br />

als Fremdlinge in einem fremden Land und hatten kein Geld. Aber durch die Gnade Gottes haben wir viele<br />

Freunde gewonnen, in fast jeder größeren Stadt in dem Königreich Großbritannien Gemeinden gegründet,<br />

zwischen sieben und achttausend getauft, fünftausend Kopien des Buches Mormon, dreitausend Gesangbücher,<br />

zweitausendfünfhundert Kopien des Millenial Star, fünfzigtausend Traktate gedruckt, eintausend Seelen<br />

geholfen nach Zion auszuwandern, ein Reisebüro gegründet, das für die Heiligen eine große Segnung sein wird,<br />

und haben in die Herzen von Tausenden den Samen ewiger Wahrheit gestreut, der Frucht zur Ehre und dem<br />

Lobe Gottes hervorbringen wird. Dennoch hatten wir immer genug zu essen, zu trinken und uns zu kleiden:<br />

in all diesem erkenne ich die Hand Gottes. 12<br />

Wie wir hörten, gab Orson Hyde in seinem Buch Ein Ruf aus der Wüste, über den Erfolg in<br />

Großbritannien mit Bewunderung Ausdruck. Er hatte alle ihre Erwartungen übertroffen und muß zu ihrer<br />

Kühnheit und ihrem Optimismus beigetragen haben, daß "diese Botschaft, welche Gott uns gegeben hat, in<br />

allen Nationen unter dem Himmel zu verbreiten [ist]." 13<br />

Der Erfolg in Großbritannien war auch in den 1850er Jahren sehr bemerkenswert. Gemäß der offiziellen<br />

religiösen Volkszählung von 1851 gab es 32.894 Heilige der Letzten Tage in Großbritannien. Dies war die<br />

höchste Zahl bis in die 1960er Jahre. 14 Im Gegensatz dazu waren in 1850 11.380 Kirchenmitglieder in<br />

utah und weitere 15.531 in verschiedenen Teilen Nordamerikas. Es gab also in Großbritannien eintausend<br />

mehr Heilige als in Nordamerika! Gleichzeitig waren fast 7.000 britische Heilige in den 1840er Jahren<br />

ausgewandert. Weitere 12.972 folgten in den 1850er Jahren. Uber 65.000 Heilige wanderten im 19. und<br />

20. Jahrhundert von Großbritannien nach Amerika aus. 15<br />

Die Wichtigkeit dieses Missionswunders für die Kirche kann nicht genügend betont werden. Die Beiträge<br />

der britischen Heiligen zum Wachstum des Mormonismus in ihrem eigenen Land - sowohl vor und nach ihrer<br />

Auswanderung - und zum Aufbau Nauvoos und später dem Great Basin Kingdom übertreffen alle Maße.<br />

Ohne sie wäre es ein schwächeres Zion geworden, das viel langsamer gewachsen wäre. Sie brachten ihre<br />

Fähigkeiten als Bauern, Viehzüchter, Handwerker, Geschäftsleute, Künstler und Musiker mit sich.<br />

Außerdem waren viele von ihnen gebildet, kultiviert und voller Glauben und Hingabe. 16 Später kamen<br />

- 38 -


Bekehrte vom Kontinent zu dem Schmelztopf des Basin Kingdoms und wurden handfeste Pioniere, die ihren<br />

Teil dazu beitrugen, das Zion der Letzten Tage aufzubauen.<br />

Das britische Vorbild war auch aus anderen Gründen sehr wichtig, vor allem, um den Glauben in allen<br />

Teilen der Welt zu verbreiten. Großbritannien war Mitte des 19. Jahrhunderts die Supermacht der Welt, mit<br />

einem Einfluß, der die ganze Welt berührte. Großbritannien war ebenfalls der Geburtsort der Industriellen<br />

Revolution. Erastus Snow und andere Missionare vom Kontinent besuchten im Jahre 1851 die Ausstellung<br />

im Kristallpalast in London, wo eine industrielle und technologische Überlegenheit zur Schau gestellt wurde,<br />

die derzeit von keinem anderen Land übertroffen werden konnte. 17 Dieser Entwicklungsprozeß hat den<br />

Briten ebenfalls neue Quellen des Reichtums erschlossen, die letzten Endes die ganze Welt verändern würde.<br />

Die britischen Heiligen, obwohl man sie nicht reich nennen konnte, benutzten ihr Geld, um nicht nur die<br />

Missionsarbeit im eigenen Land zu fördern, sondern auch Veröffentlichungen in Skandinavien, Frankreich,<br />

Deutschland und der Schweiz zu finanzieren und auch um Heilige nach Zion zu senden. 18<br />

Die Briten waren ebenfalls sehr stolz auf ihr politisches System und die liberale Regierung und<br />

Gesellschaftsform, die sich um sie herum gebildet hatte. Im 19. Jahrhundert neigten daher die meisten<br />

Mormonen dazu, Wohlstand und Freiheit nach amerikanischen und britischen Maßen zu messen, und waren<br />

oftmals von den "rückständigen" Systemen, die sie auf dem Kontinent und anderen Teilen der Welt vorfanden,<br />

unangenehm berührt. 19<br />

Aus all diesen Gründen war Großbritannien der natürliche Ort, um dort in den 1840er Jahren einen<br />

Landeort für die Missionare in den Ländern des europäischen Kontinents und auch für das gesamte britische<br />

Weltreich aufzurichten. Daß in den 1840er Jahren nicht mehr auf dem Kontinent erreicht wurde, hatte auf<br />

der einen Seite mehr damit zu tun, daß Missionare wie James Howard 1840 in Hamburg, Orson Hyde<br />

1841 in Regensburg oder Johann Greenig 1843 in Hessen-Darmstadt sehr schlechte Erfahrungen gemacht<br />

hatten. Howard gab seine Mission auf, weil er in Hamburg zuviel Jubel, Trubel und Heiterkeit vorfand<br />

(anscheinend hat sich da nicht viel verändert!) und zwar, daß er entschied, "mit dem Predigen sofort<br />

aufzuhören." Er bezweifelte, daß irgendjemand zuhören würde, selbst "wenn alle [Mormonen] Prediger [in<br />

England] nach Hamburg kommen würden." 20 Howards Ängstlichkeit und Schüchternheit standen im<br />

grellen Kontrast mit der Kühnheit, dem Selbstvertrauen und der Wirksamkeit der Apostelmissionare, die ihm<br />

folgten.<br />

Hyde bemängelte die geschlossene, autoritäre Gesellschaftsform in Bayern, die ihn dazu zwang, sein Buch<br />

in Frankfurt am Main zu veröffentlichen. Er beklagte sich über politische Systeme<br />

"die aus dem Wesen seiner Regierungsform entspringen, welche da nicht duldet, daß seine Religion auf<br />

ihren eigenen Verdienste bestände, sondern welche es zu Schutz und Verteidigung mit dem starken Bollwerke<br />

menschlicher Gesetze umzogen hat." 21<br />

Greenig behauptete viel später in einem im Jahre 1889 geschriebenen Brief, daß er 1843 von Jedediah M.<br />

Grant von Philadelphia nach Deutschland gesandt worden war, wo er anscheinend eine Gemeinde in Hessen-<br />

Darmstadt gegründet haben soll. Aber mehr ist darüber nicht bekannt.<br />

Die frühen Bemühungen in Deutschland sind wohl auf die Liebe und die Achtung zurückzuführen, die<br />

Joseph Smith für die Deutschen und die deutsche Sprache hatte, ebenfalls für die Reformation, die Luther<br />

Bibel und die deutschstämmigen Amerikaner, die in Nauvoo wohnten, und für die eine deutsche Gemeinde<br />

gegründet worden war. Mit Ausnahme des ungewöhnlichen Erfolgs, den Addison Pratt und seine Mitarbeiter<br />

zwischen 1844 und 1849 in den Gesellschaftsinseln im Südpazifik hatten, wo sie 1200 Personen tauften, 22<br />

waren die 1840er Jahre für die Heiligen der Letzten Tage so turbulent und beschwerlich, daß sie weder die<br />

Zeit noch die Mittel zur Ausbreitung des Reiches hatten. Das Märtyrertum von Joseph und Hyrum Smith,<br />

- 39 -


Uneinigkeit in der Kirche, der Pionierzug nach dem Westen und der Aufbau der Kirche in Utah, verlangten<br />

fast all ihre Zeit, Energie und Hingabe.<br />

Aber 1849, nur zwei Jahre nach der Ankunft in Salt Lake City, waren sie in der Lage, mit<br />

beträchtlicher Energie einen neuen Vorstoß in die Welt vorzunehmen. Er wurde von Liverpool aus geleitet<br />

und hat die Kirche für immer auf dem europäischen Kontinent und in den meisten Teilen des britischen<br />

Weltreichs fest verankert. In den nächsten fünf Jahren konnten große und beweisbare Erfolge verzeichnet<br />

werden, wie in Skandinavien und der Schweiz, aber auch einige Mißerfolge, wie in Frankreich und Italien; es<br />

gab ebenfalls scheinbar kurzfristige Mißerfolge, die aber letzten Endes langfristige Erfolge wurden, wie im<br />

Falle Deutschlands.<br />

Das neue Missionarsprogramm wurde während der Generalkonferenz, die am 6. Oktober 1849 in Groß<br />

Salt Lake City abgehalten wurde, bekanntgegeben, und zwar mit der Berufung von 35 neuen Missionaren.<br />

Dies waren die ersten, die von den Felsengebirgen aus berufen worden waren. Die Ernsthaftigkeit dieses<br />

Bemühens wurde durch die Tatsache unterstrichen, daß vier Apostel diese Gruppe führen würden. John Taylor<br />

wurde nach Frankreich geschickt, Lorenzo Snow nach Italien, Erastus Snow nach Dänemark und Franklin<br />

D. Richards nach England. Einem jeden von ihnen wurde eine Anzahl Missionare zugeteilt. Addison Pratt<br />

wurde nach dem Südpazifik zurückgeschickt.<br />

In seiner Eröffnungsansprache gab Präsident Heber C. Kimball den Ansporn und erklärte gleichzeitig,<br />

warum jetzt die Zeit gekommen war, dies zu tun. "Wir sind hier", sagte er zu den versammelten Pionieren,<br />

"und sind gesund und haben genug zu essen, zu trinken und zu arbeiten, und ich prophezeie, daß Sie, solange<br />

Sie leben, niemals weniger haben werden." Dann sprach er, der zwölf Jahre vorher das Evangelium nach<br />

Großbritannien gebracht hatte, mit Begeisterung von seinem Lieblingsthema:<br />

Sollen wir auch nur einen Teil der Einwohner der Erde von dem fernhalten, was wir erhalten haben?<br />

Wie würden wir uns fühlen, wenn sie es erhalten hätten und es uns nicht geben würden? Wir wollen, daß<br />

dieses Volk mit uns ein Interesse daran hat, das Reich Gottes zu allen Nationen der Erde zu bringen. Die<br />

Zeit ist gekommen, daß einige der Zwölf und andere der Ältesten ausgehen müssen . . . . 23<br />

In der Nachmittagsversammlung bestätigte Brigham Young die universale Missionarspflicht. "Wir<br />

haben", berichtete er, "Lorenzo und Erastus Snow zu gewissen Missionen berufen; haben sie das Recht<br />

anderswo hinzugehen? Er beantwortete seine eigene rhetorische Frage mit einem lauten "Ja" und fügte hinzu:<br />

"Ich wünschte, sie würden das Tor zu einer jeden Nation der Erde öffnen. 24<br />

Die neuberufenen Missionare wußten, daß es nicht leicht sein würde. John Taylor, ein begabter Autor,<br />

Prediger und Polemiker sprach wahrscheinlich für sie alle, und zwar in einem Brief an Orson Hyde im März<br />

1850. Sie waren, so sagte er, nach "sechstägiger Benachrichtigung" abgereist und in Europa "mitten im<br />

Winter ohne Beutel und Tasche "angekommen, "und all dies um das Evangelium den Nationen zu bringen,<br />

die uns nicht kennen, mit deren Sprachen wir nicht bekannt sind, und die zu dieser Zeit in einen Mantel des<br />

Mysteriösen und des Aberglaubens gehüllt sind; dies ist eine Aufgabe, die nichts als ein "so spricht der Herr"<br />

einen Menschen dazu veranlassen könnte zu erfüllen. 25<br />

Der restliche Inhalt des Briefes von Taylor beschreibt sehr prosaisch die widersprüchlichen Mächte, wie<br />

die von Faust, im Herzen der Missionare. Auf der einen Seite waren sie ermutigt von den politischen<br />

Revolutionen zur Erringung der Freiheit, einschließlich der Freiheit der Religion, die kurz zuvor unter den<br />

Ländern auf dem Kontinent gewütet hatten, und von der sie annahmen, daß sie den Revolutionen folgen<br />

würden. Aber Taylor war ebenfalls zuversichtlich und realistisch von vielem, das selbst wirkliche politische<br />

Änderungen nicht ändern würden: "Die Throne [der Nationen die ihnen gehören] . . . erkranken immer noch<br />

das ganze System, und machen das Leben, die Person und das Eigentum unsicher,...; und wie steht es mit<br />

Engstirnigkeit, dem Aberglauben und der politischen Unsicherheit? Diese Nationen sind wahnsinnig."<br />

- 40 -


Taylor schrieb, es waren diese Nationen, zu denen sie gesandt worden waren, und er tröstete sich, "daß<br />

wir daher in der Stärke des Gottes Israels gehen; wir vertrauen ihm, wir lehnen uns auf seinen Arm, und alles<br />

ist gut." 26<br />

Die Arbeitsweise der Missionare, die zum Kontinent gesandt wurden, war der Arbeitsweise, die in<br />

Großbritannien so erfolgreich gewesen war, nachgebildet worden. Sie reisten ohne Geld, schrieben und<br />

übersetzten Traktate, und übersetzten und veröffentlichten das Buch Mormon. Wo möglich, besuchten sie<br />

Verwandte und Freunde. Aber auf dem Kontinent war dies nur sehr begrenzt möglich. Sie predigten in der<br />

Öffentlichkeit und auch in Privathäusern.<br />

Es gab in der Tat allen Grund dafür, optimistisch, ja, wenn nicht sogar euphorisch zu sein, wenn man<br />

daran dachte, daß man den europäische Kontinent im Jahre 1850 für den Mormonismus eröffnete. Die<br />

Revolution in Frankreich, die Louis Napoleon eventuell auf den Thron brachte, wurde im allgemeinen als ein<br />

liberaler Erfolg betrachtet, obwohl die späteren Ereignisse diesen Optimismus dämpften. Die Schweiz, die<br />

Niederlande und Dänemark hatten sich selbst eine neue liberale Verfassung gegeben. In Italien gab es starke<br />

liberale Bewegungen, ganz besonders in dem mehr fortschrittlichen Norden, wohin die Missionare zuerst<br />

gingen. Die Revolution von 1848 in Deutschland versäumte es, Einigkeit auf Grundlage einer liberalen<br />

Verfassung zu bringen, und war nicht in der Lage, Kirche und Staat zu trennen. Der bekannte<br />

Rechtsgelehrte Ernst Rudolf Huber schrieb:<br />

"Doch blieb die Frankfurter Reichsverfassung trotz ihres Scheiterns, auch im staatskirchenrechtlichen<br />

Bereich, als Modell des kirchenpolitischen Systems des Rechts -- und Kulturstaats von prägender<br />

Wirksamkeit für die mit der bürgerlichen Revolution einsetzenden modernen Verfassungsepoche." 27<br />

Das Beste, was der Kontinent den Missionaren zu bieten hatte, waren die Zustände im Dänemark von<br />

1850. Erastus Snow berichtete, daß zumindestens theoretisch, die dänische Krone und Verfassung das Recht<br />

erlaubten, anderer Meinung zu sein, und allen christlichen "Sekten" religiöse Freiheit gaben, während sie aber<br />

immer noch den lutherischen Glauben als den der Staatskirche anerkannten. Mit diesem Gedanken forderte<br />

Snow Peter Hanson, einen geborenen Dänen, der sich der Kirche in Amerika angeschlossen hatte, auf, ihm zu<br />

helfen, die Mission zu eröffnen, und die Verfassung ins Englische zu übersetzen, damit die Missionare genau<br />

wüßten, welche Rechte sie hatten. Es gab allerdings immer noch Ermöglichungs- oder Nebengesetze, die mit<br />

Andersdenkenden zu tun hatten, die noch nicht abgeklärt worden waren. Als Snow, dem üblichen Gebrauch<br />

folgend, eine Kopie des Buches Mormon an den dänischen König schickte, wurde es der frommeren<br />

Königsmutter übergeben. Dennoch versicherte ihm der Kultusminister, daß "die Regierung dazu geneigt war,<br />

ihnen zu erlauben, ihre Arbeit fortzusetzen, ohne ihnen Hindernisse in den Weg zu legen." 28<br />

Aber Snow schrieb:<br />

"Dänemark [er hätte irgendeinen anderen Staat nennen können] ist nicht England oder Amerika.<br />

Religiöse Freiheit ist nicht im Herzen des Volkes verankert Ein Mann nimmt sein Leben in seine Hände,<br />

wenn er reist und es [das Evangelium] verkündigt. Mit Ausnahme von Kopenhagen und den<br />

Haupthandelszentren, wissen die Menschen nicht, daß es existiert [das Gesetz der religiösen Freiheit.] 29<br />

Dann beschuldigte er die Pastoren und Priester, etwas was die Mormomen oftmals taten, und dies<br />

vielleicht ungerechterweise bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein, wegen ihres "unbegrenzten Einflusses"<br />

und auch dafür, daß sie die Landvölkerung in Unkenntnis des Gesetzes gehalten hatten. 30<br />

Nirgendwo auf dem Kontinent gewann der Mormonismus mehr Bekehrte als in Skandinavien. 1853,<br />

zum Beispiel, gab es 1.314 Taufen, die meisten davon in Dänemark, aber auch einige in Schweden und<br />

Norwegen. Der andrere Snow - Lorenzo - fand Italien, das fast ganz und gar für sein Predigen geschlossen<br />

war, unter starkem katholischen Einfluß, dies mit Ausnahme einiger weniger tapferer Waldenser in den<br />

- 41 -


nördlichen Piemont Tälern. 31 Hier wurden einige Familien getauft bevor Snow nach Malta, Gibraltar, der<br />

Schweiz und sogar nach Indien weiterreiste. Er hatte sogar vor, das türkische und russische Weltreich zu<br />

eröffnen. Im Dezember 1850 sandte Snow einen seiner italienischen Missionare, einen Engländer, T.B.H.<br />

Stenhouse, nach Genf in der Schweiz, um dort die Missionarsarbeit zu beginnen. Hier fanden sie ein viel<br />

fruchtbareres Feld. Die Anzahl der Bekehrten war größer, mit Ausnahme von Dänemark, und innerhalb<br />

von wenigen Monaten gab es Gemeinden in Genf und Lausanne. Von dort verbreitete sich ihre Botschaft nach<br />

dem deutsch-sprechenden Teil der Schweiz und sogar nach Süddeutschland. Trotz seiner Beredsamkeit und<br />

Hingabe und trotz der frühen Erfolge des englischen Missionars William Howell in den späten 1840er<br />

Jahren auf den Kanalinseln und in der Küstenstadt Boulogne sur Mer, unter Protestanten und unter englischsprechenden<br />

Bürgern, hatte John Taylors Versuch, den Mormonismus nach Frankreich zu bringen, nur<br />

geringen Erfolg. Die Kombination des starken katholischen und protestantischen Einflusses von seiten der<br />

Geistlichen, Regierungsbeamten und dem gewöhnlichen Volk, und die Feindseligkeit einer sekulären<br />

Intelligentsia machten es sehr schwierig für den Mormonismus, in den katholischen Ländern und Gebieten bis<br />

in das 20. Jahrhundert hinein Fuß zu fassen. Er war gerade angekommen und hatte sein Predigen<br />

bekanntgegeben, als er sich drei protestantischen Pastoren gegenüber fand, die alle durch die Berichte von den<br />

grausigen Erzählungen der "geistigen Weiberei" in Nauvoo, und zwar durch die Artikel des abgefallenen<br />

John C. Bennett, beeinflußt waren, und sich daher wohl als vorbereitet erachteten, alle Versuche, den<br />

Mormonismus in Frankreich aufzurichten, im Keim zu ersticken. Es sollte beiläufig gesagt werden, daß<br />

Gerüchte von der Vielehe der Mormonen in Amerika der Ankunft des Mormonismus auf dem europäischen<br />

Kontinent, selbst der öffentlichen Bekanntmachung in der Augustkonferenz 1852 in Salt Lake City<br />

vorausgingen, und dadurch die Einführung des Mormonismus mehr erschwerten, als es sonst der Fall gewesen<br />

wäre. 32 Die Vielehe war sicherlich für Europäer noch mehr als für die Amerikaner eine "Reliquie der<br />

Barbarei".<br />

Taylor und seine Mitarbeiter Curtis Bolton und John Pack, tauften einige wohlgebildete Franzosen in<br />

Paris, und gründeten Gemeinden in LeHavre, Calais, Paris und Boulogne. Außerdem übersetzten und<br />

veröffentlichten sie das Buch Mormon und verschiedene Traktate auf französisch, und begannen die<br />

Kirchenzeitschrift Etoile Du Deseret. 33<br />

Aber ihnen war nur bescheidener Erfolg beschieden. Trotz des revolutionären Rufes den Frankreich<br />

genoß, fand Taylor sowohl die Gesetze wie die Zivilbeamten bedrückend und die Furcht vor politischem<br />

Aufruhr sehr offensichtlich. "Es ist" schrieb er, "sehr schwierig wegen der Gesetze, die so streng sind, [zu<br />

missionieren]." Nachdem er mit Regierungsbeamten gesprochen hatte, um die Erlaubnis zu erhalten, in ganz<br />

Frankreich zu predigen, was er stark erhofft hatte, mußte er sehr enttäuscht sagen: "Aber anstelle davon<br />

haben sie es uns völlig verboten, irgendwo in dem Land zu predigen." 34 In Frankreich, sowie in den meisten<br />

Ländern auf dem europäischen Kontinent, glaubten Regierungsbeamte, daß religiöse Unterschiede und<br />

religiöser Pluralismus, soziale und politische Eintracht stören würden. Trotz all dem was in einigen Monaten<br />

erreicht worden war, schien die Arbeit in Frankreich nicht Fuß fassen zu wollen. Die Mission wurde zum<br />

ersten Mal im Jahre 1855 geschlossen.<br />

Beide, John Taylor und Lorenzo Snow hätten in einem mehr apokalyptischen Sinne denken können:<br />

diejenigen die vorbereitet sind, würden die Stimme hören und ihr gehorchen, wie es in Großbritannien und<br />

Skandinavien der Fall gewesen war. Außerdem gab es noch viele andere Nationen, denen die Botschaft vor<br />

dem zweiten Kommen Christi gebracht werden müsse. Es scheint ebenfalls, daß der Mangel an Erfolg der<br />

Mormonen in Frankreich ein für allemal Vorurteil unter den Mormonen gegen die Franzosen verursachte, das<br />

für viele Jahre die Missionsarbeit in diesem Lande behinderte. Taylor's Biograph, B.H. Roberts, drückte es<br />

wie folgt aus:<br />

- 42 -


"Die Franzosen sind wegen ihrer Gleichgültigkeit gegen Religion<br />

berüchtigt. Sie lieben die Freuden mehr als Gott; sie sind lebhaft, launenhaft, gedankenlos, fröhlich und<br />

intelligent. Sie sind alles andere als religiös." 35<br />

Wir wissen nicht genau, warum Taylor und G.P. Dykes im August 1851 Hamburg wählten, von wo<br />

aus sie ihre Missionsarbeit in Deutschland begannen. Es mag sein, weil Dykes einige Monate vorher zwei<br />

Deutsche im dänisch besetzten Holstein getauft hatte, und dazu seine bereits wohlentwickelte Liebe für die<br />

Deutschen. Es mag ebenfalls auf Grund des Rufes den Hamburg als eine liberale, internationale Hansestadt<br />

hatte, gewesen sein, die mit England und Skandinavien in enger Verbindung stand. Taylor und Dykes mögen<br />

ebenfalls gewußt haben, daß es im Norden Deutschlands eine starke, gläubige pietistische Tradition gab. 36<br />

Auf jeden Fall wurde dort in Hamburg die erste deutsche Mission und die erste Gemeinde gegründet. Dies<br />

war der Anfang einer festen Ansiedlung des Mormonismus in Deutschland. zwischen 1852-1855 folgte dieser<br />

eine zweite mehr erfolgreichere Welle des Missionswerks unter Daniel Carn in Hamburg; dem ersten Predigen<br />

in Württemberg, einem erfolglosen, ja herabwürdigenden Versuch dem König von Preußen, Friedrich Wilhelm<br />

IV. im Jahre 1853 Mormonismus zu lehren, folgte die kleine aber bedeutsame Bekehrung von Karl G.<br />

Maeser und seiner Familie in Sachsen. Auf diese Weise wurde der Mormonismus in diesem Teil - einem sehr<br />

fruchtbaren Feld - Deutschlands eingeführt. Wir werden ein jedes dieser Ereignisse später näher behandeln.<br />

Das Deutschland, in das die Mormonenmissionare 1851 eindrangen, war nicht nur durch eine politische<br />

Revolution und die darauffolgende Unterdrückung erschüttert, sondern war ebenfalls in einem Zustand<br />

sozialer, intellektueller und religiöser Unruhe. Wie ein neuzeitiger Historiker, James Sheehan, sagte, obwohl<br />

die meisten Historiker das 19. Jahrhundert als ein "vollkommen säkulares Alter erachteten, sahen die<br />

meisten Zeitgenossen Religion als eine außerordentlich wichtige kulturelle und politische Angelegenheit.<br />

Intellektuelle verteidigten oder griffen die Rolle der Religion im öffentlichen und privateen Leben, mit<br />

Heftigkeit an, während einfache Männer und Frauen fortfuhren, sich zur persönlichen Befriedigung und<br />

sozialen Identität von ihrem Glauben zu nähren. Trotz der unleugbaren Macht der Säkularisierung, spielte<br />

Religion eine wichtige Rolle in der Politik und Kultur des neunzehnten Jahrhunderts. " 37<br />

Gemäß Hugh McLeod waren die Katholiken in Deutschland und in anderen Teilen Europas im 19.<br />

Jahrhundert erfolgreicher als die Protestanten "gegensätzliche Ideologien im Zaum zu halten." 38 Protestanten<br />

waren vielmehr anfällig und defensiv, besonders da ihre Mitgliedszahlen sehr abnahmen und weil sie, im<br />

Gegensatz zum Katholizismus, keine Führer hatten wie den Papst. Ihr "natürlicher und notwendiger<br />

Verbündeter war der Staat". Er schrieb:<br />

"Der Kampf der Protestanten [in den meisten deutschen Ländern] gegen das neue Zeitalter [sowie andere<br />

Religionen, die ihre Ansprüche geltend machten] führte zu einer engeren Zusammenarbeit mit, und größerer<br />

Abhängigkeit von weltlichen Autoritäten. Nur mit Hilfe der Agenten der staatlichen Macht -- dem Zensor,<br />

dem Polizisten und dem Schulmeister -- konnten die protestantischen Kirchen ihre Gemeinden vor üblem<br />

Einfluß und ansteckenden Meinungen schützen." 39<br />

Mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV. von Preussen im Jahre 1840 und den züchtigenden<br />

Ereignisse der Revolution waren der Einfluß und die Macht der strenggläubigen Protestanten wesentlich<br />

vergrößert.<br />

Außerdem sahen die Verteidiger religiöser Strenggläubigkeit und der religiösen Liberalen, die die Freiheit<br />

der Religion und die Trennung von Kirche und Staat bevorzugten, wichtige Verbindungen zwischen<br />

politischem und sozialem Frieden und religiöser Strenggläubigkeit. In diesem Zusammenhang passen die<br />

Mormonen, mit anderen angloamerikanischen Sekten, in eine ganz klar liberale Mulde. Beide glaubten, wie<br />

Rudolf Haym es ausdrückte, daß "Liberalismus in der Kirche die Grundschule für den politischen<br />

- 43 -


Liberalismus ist." 40 Eine freie Kirche zu haben erforderte die Notwendigkeit eines freien Staates.<br />

"Fortschritt, Freiheit und Aufklärung waren untrennbar, anwendbar auf alle Aspekte des Lebens und gegen<br />

eine vereinte Front von Reaktionären, Tyrannen und Finsterlingen." 41<br />

Zur selben Zeit als die protestantische Strenggläubigkeit ihre Ansprüche wieder geltend machte, wurde sie<br />

auf der intellektuellen Front von einer Fülle von mächtigen weltlichen Bewegungen, einschließlich der<br />

Industrialisierung, Verstädterung und die Angriffe durch einflußreiche Denker wie David Friedrich Strauss,<br />

Feuerbach, Marx und die anderen Hegelianer, die den Glauben der Studenten und der Intellektuellen an die<br />

Gültigkeit der Bibel, den Historismus Jesu und selbst die Existenz Gottes untergruben, angegriffen. Mit der<br />

Zeit sickerte dieser Skeptizismus und Unglaube in die breiten Massen. Die Säkularisierung wurde in<br />

Deutschland wie auch sonstwo in Europa, eine zunehmend machtvolle und mitleidlose Bewegung im Aufbau<br />

einer modernen Weltanschauung, die für den Mormonismus ein zweischneidiges Schwert war. Auf der einen<br />

Seite half die Säkularisierung traditionelle Vorurteile zu entfernen und mehr Menschen neuen Ideen<br />

zugänglich zu machen; auf der anderen Seite, brachte sie einen wesentlichen Rückgang religiösen Glaubens mit<br />

sich. Diese Welt und ihre Interessen drückten Gott und die metaphysische Welt ganz und gar in den<br />

Hintergrund. Der große neuzeitliche deutsche Historiker Franz Schnabel beschreibt diese komplizierten,<br />

religiösen Zustände die in Deutschland bestanden, in dem letzten Kapitel seines autoritativen Buches Deutsche<br />

Geschichte im 19. Jahrhundert:<br />

"Der gläubige Protestantismus hat in der Tat weite Kreise des Volkes erfaßt, am offensichtlichsten in<br />

Württemberg und in Teilen Norddeutschlands. Trotzdem bleibt die Tatsache, daß [der] Liberalismus und<br />

Materalismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Gepräge gegeben, alles andere zurückgedrängt und<br />

dadurch die Säkularisierung des deutschen Kulturlebens entschieden haben. Es gelang dem Neupietismus und<br />

seinen Erweckungspredigern nicht, die Massen, die sie zu sammeln begonnen hatten, in einer großen<br />

christlichen Volksbewegung zu vereinen und dadurch den weiteren Gang der deutschen Geschichte zu<br />

bestimmen." 42<br />

Die wenigen tapferen Mormonenmissionare, die den Mormonismus in den frühen 1850er Jahren nach<br />

Deutschland brachten, hatten nicht den Vorteil dieses historischen Rückblicks. Sie hatten, wie John Taylor es<br />

sagte, für den Herrn einen Weg zu erledigen. Sie beabsichtigten, ihre Botschaft überall zu verbreiten, und<br />

Könige, Adlige, Intellektuelle, sowie das gewöhnliche Volk für ihre Heilsbotschaft zu interessieren. Aber sie<br />

hatten Erfolg, indem sie unter den gläubigen und suchenden Protestanten "einen aus jeder Familie und zwei<br />

aus jeder Stadt" gewannen. Es gab keine Massenbekehrungen, obwohl einige, wie Karl G. Maeser, einen<br />

enormen, langfristigen Einfluß auf Utah und den Mormonismus hatten. 43 Ebenfalls wurde Deutschland vor<br />

1960 eines der produktivsten Missionsfelder in der ganzen Welt, mit mehr Mitgliedern als in irgendeinem<br />

anderen Land, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten und Kanadas, und dies vor allem in den Jahren<br />

zwischen 1910 und 1960. 44 Deutsche Mormonen spielten daher beim Aufbau Zions in Amerika eine<br />

wichtige Rolle, auf die die spätere Ausbreitung aufgebaut war.<br />

Es war in diesem politischen, intellektuellen und sozialen Rahmen, in dem die Mormonen nach<br />

Deutschland kamen. Die Missionare gründeten nicht nur eine Mission, sondern predigten und tauften. Das<br />

gesprochene und geschriebene Wort war die Hauptmethode der Verkündigung der Botschaft. Bereits vor seiner<br />

Abreise von Paris hatte Taylor deutsch studiert und mit der Hilfe von George Viet, einem Deutschlehrer, der<br />

in Paris lebte und dort bekehrt worden war, einige Traktate übersetzt. 45<br />

Am 1. November 1851 veröffentlichten sie die erste Nummer von Zion's Panier, eine monatliche<br />

Zeitschrift, die, wie sie hofften, von vielen gelesen werden würde. In der Zeitschrift waren "Wahrheit, Kenntnis,<br />

Tugend und Glauben vereinigt". 46 Um irgendwelche etwaigen politischen Befürchtungen zu vermeiden,<br />

- 44 -


schrieben sie auf den ersten beiden Seiten, daß sie ganz und gar keine politischen Absichten verfolgten. "Es<br />

wird wohl nicht nöthig sein, hier anzuführen, daß wir nichts mit der Politik zu tun haben, da unsere<br />

allgemeinen Grundsätze in dieser Hinsicht, so wohl bekannt sind." Was die Zeitschrift vorhatte, war, einen<br />

Bericht zu geben<br />

"des Ursprungs, der Fortschritte, Einrichtung, Verfolgungen, des Glaubens, und der Lehre der Kirche<br />

Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage...damit unsere Leser von uns selbst erfahren mögen, wie unser<br />

religiöser Glaube beschaffen ist, und unsere wirkliche Stellung in jetziger Zeit." 47<br />

Zion's Panier hatte eine Lebensdauer von vier Monaten, ein Opfer ungenügender Finanzierung und der<br />

überwältigenden Kontrolle der Regierung. Aber Taylor und Dykes, mit Hilfe von Viet, Karl Mueller und<br />

Daniel Carn, und dem Vorbild in Paris folgend, - mit Hilfe einiger der besten Professoren in der Stadt<br />

Hamburg -, veröffentlichten die erste Ausgabe des Buches Mormon in deutsch, der fünften Sprache, in die es<br />

übersetzt worden war. 48 Damit französische und deutsche Leser das Buch gebrauchen konnten, wurde der<br />

Text so gesetzt, daß die beiden Sprachen auf gegenüberliegenden Seiten gedruckt waren. Es war das Produkt<br />

von Gelehrsamkeit und Inspiration. Taylor hat dabei eine Hauptrolle gespielt. In einem Brief an Orson Hyde<br />

schrieb er 1851:<br />

"Es ist außerordentlich schwierig für jemand ohne mich...oder jemand anders, der mit den Lehrpunkten<br />

gut vertraut ist...es [Das Buch Mormon] zu übersetzen. Sie wissen, daß man mehr als Worte kennen muß,<br />

um das Buch Mormon, die Bibel oder andere inspirierte Bücher zu übersetzen. " 49<br />

Das Buch Mormon erschien in deutsch im Mai 1852. Taylor war für eine Konferenz der französischen<br />

Mission bereits wieder am 18. Dezember 1851 in Paris. Danach reiste er nach England, wo er den<br />

neuberufenen Präsidenten der deutschen Mission, Daniel Carn, einem geborenen Deutschen, der sich der<br />

Kirche in Amerika angeschlossen, und der in Nauvoo als Bischof der deutschen Gemeinde gedient hatte, traf.<br />

Daniel Carn kam am 3. April 1852 in Hamburg an. Nachdem Dykes sechs Wochen später fortging, war<br />

Carn eine Zeitlang der einzige Missionar in Deutschland. Bis zum August hatte er zehn Personen getauft<br />

und hatte eine Gemeinde mit zwölf Mitgliedern; im November waren es schon 21. Er predigte ebenfalls in<br />

dem damals dänischen Schleswig, wo es eine kleine Gemeinde gab, und auch zum ersten Mal in Flensburg. In<br />

Hamburg waren "lange Artikel in den Zeitungen über den 'Mormonismus'." Den Lesern wurde gesagt, daß<br />

sie aufpassen sollten and daß die Mormonen "viele Frauen" hätten. Wie die meisten Missionare, vorher und<br />

seitdem, fand Carn die Bekehrten unter den Armen, obwohl er mit einem Adligen sprach, der den<br />

Mormonismus ablehnte, da er nicht pazifistisch war. 50 Aber recht bald kam er in Konflikt mit den<br />

Behörden in Hamburg und ein Modell, wie man die Mormonenmissionare im 19. Jahrhundert in den<br />

deutschen Ländern behandelte, begann zu erscheinen. Zwischen August 1852 und März 1853 wurde Carn<br />

acht mal vor die Hamburger Behörden gebracht -- entweder die Polizei oder den Senat. Obwohl er die<br />

Unterstützung des amerikanischen Konsuls Samuel Bromberg hatte, der kein Gesetz gegen Carns Predigen<br />

fand, wurde er aus Hamburg in das naheliegende Altona ausgewiesen, wo er recht bald eine andere Gemeinde<br />

gründete. Der Hamburger Senat, mit exekutiver wie rechtlicher Vollmacht, hatte, nachdem man die<br />

amerikanische Geschichte in Bezug auf die Mormonen gelesen hatte, sie als "gefährlich für das Wohlergehens<br />

ihrer Stadt" erachtet." 51<br />

Carn verbrachte einen beachtlichen Teil seiner Zeit vor seiner Ausweisung im Gericht, 52 um sich zu<br />

verteidigen. Dennoch war es ihm möglich, die deutsche Übersetzung Parley P. Pratts Stimme der Warnung<br />

und Orson Spencers feurige Verteidigung der Vielehe, Die Patriarchalische Ehe, zu veröffentlichen und sie<br />

den anderen Traktaten und Veröffentlichungen, die für die Missionarsarbeit in deutsch zu Verfügung<br />

standen, zuzufüger. 53<br />

- 45 -


Im Januar 1853 kamen fünf neue Missionare von Amerika in Hamburg an. Unter ihnen befanden sich<br />

Orson Spencer und Jacob Houtz, die nach Berlin weiterfuhren. Die anderen, George Mayer, George Reiser<br />

und Jacob Secrist arbeiteten eine Zeitlang in Hamburg, bevor sie woanders hin gesandt wurden. Mayer wurde<br />

der erste Missionar in der deutschsprachigen Schweiz. Reiser besuchte auf der Durchreise zu seinem<br />

Geburtsort in Württemberg Hessen-Darmstadt, wo es einige Personen gab die reges Interesse zeigten, aber sie<br />

verweigerten ihm die Erlaubnis zu predigen oder seine Bücher verkaufen. 54 Secrist besuchte in Preußen die<br />

Eltern eines Hamburger Mitglieds auf der Durchreise nach Sachsen Meiningen. Einige Wochen vorher hatten<br />

Carn, Reiser und Secrist eine Gemeinde mit 26 Mitgliedern in Boitzenburg in Mecklenburg gegründet, so daß<br />

bereits 1853 in verschiedened deutschen Ländern der Mormonismus eingeführt worden war. 55 Im August<br />

verließ die erste Gruppe von 17 deutschen Heiligen der Letzten Tage Hamburg, nach Liverpool unter der<br />

Leitung von Carn. Sie waren die erstern deutschen Heiligen der Letzten Tage, die nach Amerika<br />

auswanderten. Leider fielen 14 von den 17 vom Glauben ab, bevor sie in Salt Lake City ankamen. 56 Dies<br />

war der Anfang der Auswanderung deutscher Heiliger der Letzten Tage, die zwischen 1853 und 1958<br />

tausende von deutschen Mormonen zu dem Great Basin Kingdom bringen sollte.<br />

Weder Reiser noch Secrist waren in ihrer Arbeit erfolgreich, obwohl Reiser unter seinen schwäbischen<br />

Landsleuten war und in einem der frommsten Teile Deutschlands arbeitete. Er sandte eine Kopie der Stimme<br />

der Warnung an die Berater des Königs von Württenberg, erhielt aber weder eine Empfangsbestätigung noch<br />

eine Antwort. Nachdem er von allen Seiten abgelehnt worden war, wurde ihm gesagt, daß er länger als acht<br />

Tage bleiben könnte "wenn er so predigen würde wie sie". Reiser antwortete darauf: "Ich habe meine Frau,<br />

meine vier Kinder und die besten Menschen auf der Erde nicht verlassen, um meine Zeit mit dem Predigen<br />

ihres irreführenden Glaubens zu vergeuden." 57 Nach unbefriedigenden Vorstößen in andere Teile<br />

Deutschlands kehrten Secrist und Reiser nach Hamburg zurück und kamen zu dem Entschluß, daß sie in<br />

England bessere Dienste leisten könnten. Missionare, die ihm folgten, würden in Wüttemberg viel mehr<br />

Interesse, größere religiöse Freiheit und Bekehrte finden.<br />

Wenn man bedenkt, welche Erfahrungen die Mormonen mit den verschiedenen Regierungen vor 1852<br />

gemacht hatten, kann man sich sehr leicht vorstellen, wie erfreut und gespannt man in Salt Lake City war,<br />

als Brigham Young von seinem Repräsentanten in Washington, John T. Bernhisel, hörte, daß König Friedrich<br />

Wilhelm IV. Informationen über die Mormonen erbeten hatte. Der König war wegen seiner Frommheit, seiner<br />

Faszination mit dem Christentum und seinem Wunsch, Einheit unter den Christen zu fördern, bekannt oder<br />

verwünscht. 58 Sofort wurde eine Auswahl der besten Bücher über den Mormonismus von Liverpool an den<br />

preußischen Hof gesandt. Aber dies war nicht genug. Verschiedene Male vorher, in verschiedenen Ländern,<br />

hatten Missionare erfolglos versucht, Einlaß zu den Fürsten, den Adligen oder einflußreichen Menschen zu<br />

gewinnen. Alles war erfolglos. Es ist also kein Wunder, daß Brigham Young Orson Spencer, einen der<br />

gebildetsten Mormonen und den ersten Präsidenten der Universität Utah, mit einem deutschsprechenden<br />

Mitarbeiter, Jakob Houtz wegen einer persönlichen Audienz mit dem König nach Berlin schickte. Ihre<br />

Absicht war es, irgendwelche Fragen die er oder sein Kultusminister Karl Otto v. Raumer, einem bekannten<br />

Verteidiger der engen lutherischen Strenggläubigkeit in der Gesellschaft und den Schulen, der noch<br />

konservativer war als der König selbst, haben könnte, und im allgemeinen zu versuchen, einen so guten<br />

Eindruck zu machen, daß die Mormonen dort ihre Bekehrungsarbeit beginnen könnte, würden andere<br />

deutsche Länder vielleicht diesem Beispiel folgen. 59 Amerikanische Diplomaten in Hamburg und Berlin<br />

waren erstaunt über die Unverschämtheit der beiden Missionare, und wiesen sie auf die Verhaftung und<br />

Ausweisung früherer amerikanischer Besucher in Preußen und die Unfähigkeit und den Unwillen der<br />

amerikanischen Regierung hin, ihnen zu helfen. Obwohl sie ihre mißliche Lage erkannten, waren die beiden<br />

- 46 -


nicht von ihrem Plan abzubringen. Sie hofften, achtbar aufgenommen zu werden, denn der König selbst hatte<br />

die Information erbeten. Leider sollten sie bitter enttäuscht und desillusioniert werden. 60<br />

Spencer gab einen ins einzelne gehenden Bericht und schrieb, daß nachdem sie ihren Brief am Samstag,<br />

den 29, Januar 1853 überreicht hatten, in dem sie von Raumer um eine Audienz baten, sie am Montag eine<br />

Einladung zur Polizeistation erhielten, nicht zum königlichen Hof. Nach einer sorfgältigen Befragung, die<br />

solche Fragen enthielt wie "Warum sind Sie nach Berlin gekommen? Sind Sie Protestant oder Katholik? Wer<br />

ist Jesus Christus und wer ist dieser Joseph Smith? Wie unterscheidet sich ihre Religion von der lutherischen?<br />

Was für eine besondere Art der Eheschließung haben Sie?", erhielten sie das Urteil von dem Polizeigericht: sie<br />

mußten Preußen am nächsten Morgen verlassen und niemals zurückkehren. Die beiden Männer waren von<br />

dem Urteil bestürzt, aber nachdem sie darüber nachdachten, sahen sie keine andere Wahl. Sie kehrten nach<br />

London zurück, von wo sie Brigham Young von ihrem Mißerfolg benachrichtigten. 61<br />

Ihr Mißerfolg war in der Tat größer als sie es ahnten. Antipathie gegen Mormonen und den<br />

Mormonismus, wurde, gemäß umfassender preußischer Polizei- und Ministeriumsberichte, de rigeure für die<br />

preußischen -- und später andere deutsche -- Regierungsbeamten, Professoren, Pfarrer, Lehrer<br />

undJournalisten-- die alle ein Glied in der intellektuellen Kette waren. 62 Es war hier, wo der größte Teil der<br />

konventionellen Weisheit geformt wurde- - danach war der Eindruck vom Mormonismus sehr negativ.<br />

Desweiteren nahm von Raumer die Gelegenheit wahr, eine seiner früheren Verwaltungsanweisungen, die<br />

sogenannten Raumeerschen Erlasse von 1852 gegen fremde katholische Jesuitenpriester auf die Mormonen-<br />

Missionare auszudehnen. Man benutzte sie, um sie zu verfolgen, und zwar bis 1918 die Weimarer Republik<br />

kam. Einer der Kernsätze war:<br />

"So würde z.B. ein Einschreiten [verschiedener Minister oder Polizeiverwaltung] gegen die Missionaire<br />

indicirt sein, wenn dieselben bei Gelegenheit ihrer Predigten oder durch dieselben sich irgend eine politischbedenkliche<br />

und zu anderweitigen, die öffentliche Ruhe gefährdenden Exzessen führende Aufregung<br />

hervorrufen sollten." 63<br />

Es nimmt daher kein Wunder, daß Spencer mit seiner angloamerikanischen Perspektive dachte, daß<br />

Deutschland sich in eine tyrannische Dunkelheit zurückgezogen hatte, die der "des alten Ägypten<br />

gleichkam". 64<br />

Der Eindruck der Deutschen vom Mormonismus und den Mormonen war bereits in den frühen 1850er<br />

Jahren von anderen Personen und den Regierungsbehörden geformt worden. Reisende wie Jacob Schiel, ein<br />

deutscher Überlebender der unglücklichen Gunnison Expedition von 1853, oder der Romanschriftsteller<br />

Heinrich Balduin Möllhausen, waren den Mormonen sehr kritisch und unsympathisch gesonnen. 65<br />

Aber der einflußreichste Beitrag in der frühen Formierung eines anhaltenden deutschen Mormonenbildes<br />

erschien 1854 von der Feder des Moritz Busch, einem in Theologie geschulten Reporter und Völkerrechtler,<br />

der für die "photographische Genauigkeit" seiner literarischen Darstellungen berühmt war und als einer der<br />

Begleiter Bismarck's im französich-deutschen Krieg von 1870-71, einer sehr schmeichelnde Biographie des<br />

Eisernen Kanzlers hinterließ. 66<br />

Busch war nach seiner Teilnahme an dem 1848er Aufstand in Dresden im Jahre 1851 nach den<br />

U.S.A. ausgewandert. Während er im Westen bis zum Mississippi karn, war er von den Mormonen<br />

fasziniert und schrieb ein 83 seitiges Kapitel in dem 2. Band seiner Wanderungen zwischen Hudson und<br />

Mississippi, 1851-1852, das von dem geachteten Cotta'schen Verlag in Stuttgart herausgegeben wurde. 67<br />

Später schrieb er eine Geschichte der Mormonen, die 1855 veröffentlicht wurde und in einer zweiten<br />

Ausgabe 1869 erschien. Busch behauptet die Mormonen mit "unparteiischen Augen" beobachtet zu haben.<br />

Er nannte den Mormonismus "eines der größten Wunder der neunzehnten Jahrhunderts," und er bewunderte<br />

- 47 -


ihre Fähigkeit zu überleben - und mitten in all den Verfolgungen, die sie erleiden müssen, erfolgreich zu sein.<br />

"Sie haben mit einern Muthe und einer Ausdauer, die der heiligsten Sache würdig war, staunenswerte<br />

Beschwerden ertragen und unüberwindlich scheinende Hindernisse überwältigt." 68<br />

Sie hatten, so sagte er, schnellere Fortschritte gemacht als irgendeine andere Sekte -- selbst die in<br />

Amerika.<br />

Aber im Interesse seiner Verpflichtung zu "Objektivität," und vielleicht auch wegen seiner kritischen<br />

theologischen Schulung, gab es ebenfalls sehr viel über diese "monströseste Anomalie unseres Zeitalters" zu<br />

kritisieren. Theologisch ist der Mormonismus<br />

"die zur Karikatur gewordene Steigerung orthodox-protestantischer Buchstäblichkeit und andrerseits die<br />

Verdrehung der katholischen Doktrinen von Tradition und Priestertum, gemischt mit chiliastischen<br />

Träumereien, einige Brocken des Shaker Kathechismus, etliche den Baptisten abgelauschten Lehren und vor<br />

allem verquickt mit einem guten Theile Fanatismus und Pharisäismus." 69<br />

Busch war allgemein gesehen davon überzeugt, daß mit der Vielehe und einer"Theokratie [die], das<br />

eiserne Germanenthum [in sich] zwängen wollte, der Mormonismus niemals überleben würde." 70<br />

Es war höchstwahrscheinlich gerade diese Schmähschrift, die einer seiner sächsischen Landsleute, Karl G.<br />

Maeser, 1854 las und die ihn auf den Mormonismus aufmerksam machte. 71 Auf jeden Fall war der junge<br />

Schullehrer persönlich dem Christentum gegenüber so agnostisch und entmutigt eingestellt, und darüber was er<br />

seine Schüler über Religion lehren sollte, daß er an Präsidenten Daniel Tyler schrieb und mehr Information<br />

über den Mormonismus erbat. 72<br />

Der interessante Bericht von der Bekehrung Maesers zum Mormonismus im Jahre 1855 in Dresden ist<br />

Mormonen gut bekannt, aber leider nicht so sehr in deutschen akademischen Kreisen. Nach seiner Bekehrung<br />

erachteten er und sein Schwager, Eduard Schoenfeld, der ebenfalls Lehrer war, und ihre Frauen, die<br />

Schwestern waren, es als notwendig, Sachsen zu verlassen und zuerst nach England und später nach 1860<br />

nach Utah auszuwandern. Ehe er 1855 Deutschland verließ, hatte Maeser Gedichte und Artikel für eine<br />

neue Zeitschrift geschrieben, die von Tyler begonnen worden war und die man Der Darsteller nannte. 73<br />

Mormonismus lieferte viele der fehlenden Glieder in der Kette der Maeserschen Weltanschauung und in der von<br />

Wilhelm von Humboldt und Johann Pestalozzi beeinflußten Pädagogie. 74 Später diente er in Deutschland<br />

als Missionspräsident und gründete den Stern. Im Utah der Pioniere wurde er ein geistiger Riese, der auf das<br />

Bildungswesen einen großen Einfluß hatte. Als ein ganz außergewöhnlich begabter Lehrer wurde er von seinen<br />

Studenten, solange sie lebten, bewundert. Zuerst diente er als Hauslehrer -- wie er es auch schon früher in<br />

Dresden getan hatte - und wurde dann 1876 als Hauptlehrer in der einjährigen Brigham Young Akademie<br />

berufen, wo er für die nächsten 15 Jahre dessen Herz und Seele war. Danach wurde er Beauftragter für das<br />

Bildungswesen für die ganze Kirche, und predigte von der Wichtigkeit der Erziehung im Great Basin<br />

Kingdom bis zu seinem Tode im Jahre 1901. 75 Hunderttaussende, nun sind es Millionen, sind dadurch<br />

unter seinen Einfluß gekommen. Seine Grundsätze der Erziehung bilden immer noch die Grundlage der<br />

Brigham Young Universität und des gesamten Bildungssystems der Mormonen. Seine Leistungen kommen<br />

denen seiner jetzt berühmten Zeitgenossen in Deutschland gleich, aber er starb, ohne daß die meisten von ihnen<br />

ihn jemals kennenlernten.<br />

Von den vielen Anerkennungen, die ihm gezollt worden sind, kommt die berühmteste und vielleicht die<br />

genaueste von Präsident Heber J. Grant: "Wenn nichts mehr in Deutschland erreicht worden ist oder erreicht<br />

werden würde als die Bekehrung Karl G. Maesers, wäre die Kirche für alle Bemühungen und Ausgaben in<br />

dem Land mehr als belohnt. 76<br />

- 48 -


Ein viertel Jahrhundert nach seiner Entstehung hatte sich der Mormonismus auf diese Weise bis zum<br />

Jahre 1855 in einem Teil der Welt in kraftvoller, wenn auch nicht immer vollständig erfolgreicher Weise,<br />

verbreitet. Der Bericht im Millenial Star zu Beginn des Jahres gab eine gute Zusammenfassung was in dem<br />

Jahr in Europa erreicht worden war. In Großbritannien gab es 51 Distrikte, genannt Konferenzen, in denen<br />

es 702 Gemeinden gab, mit einer Gesamtzahl von 29.441 Mitgliedern, einschließlich 27 in Dublin, Irland.<br />

Außerdem hatte man ein robustes, wohlorganisiertes, subventioniertes Auswanderungsprogramm. In dem Jahr<br />

gab es 2.317 Taufen, 629 Auswanderungen und 1.396 Ausschließungen. 77<br />

Aus dem gleichen Bericht ergeht, daß es in Skandinavien 2.447 Mormonen gab, mit über 2.028 in<br />

Dänemark, 250 in Schweden, 189 in Norwegen und 5 in Island. Hier war die "Sammlung" ebenfalls gut<br />

vorgeschritten. 337 waren schon nach Utah abgereist. 78<br />

Die schweizerische und italienische Mission hatte man zusammen aufgeführt. Ihr Bericht beschrieb die<br />

vier Jahre ihres Bestehens vom September 1850 bis zum Dezember 1854. Während dieser Zeit gab es 422<br />

Taufen, 66 in Italien und der Rest in der Schweiz. Zürich hatte die meisten Mitglieder mit 124, gefolgt von<br />

Genf, Bern, Neuchatel und Vaud. 49 Heilige waren bereits ausgewandert, 77 waren ausgeschlossen worden.<br />

Die Gesamtmitgliedzahl Ende 1854 beider Länder war 299. 79<br />

Die französische Mission hatte 326 Mitglieder, aber die Missionsarbeit war nicht erfolgreich. In dem<br />

Jahr waren 63 französische Heilige ausgewandert. Die deutsche Mission hatte 1854 nur 56 Mitglieder; es<br />

gab 18 Taufen, 18 Auschließungen, und 18 Auswanderungen. 80<br />

Der statistische Bericht schloß mit den Statistiken für die Mission auf der Insel Malta, wo es drei<br />

Gemeinden und 40 Mitglieder gab und für die Mission in der britischen Kolonie von Gibraltar, wo Edward<br />

Stevenson über eine Gemeinde von 18 Mitgliedern präsidierte. 81<br />

Diese schwierigen Anfänge in Teilen Europas geben uns keinen vollen Bericht von der Ausbreitung des<br />

Mormonismus vor 1855. Addison Pratt und seine Mitarbeiter hatten ihre Missionsarbeit im französischen<br />

Polynesien fortgesetzt. Als Pratt 1852 von dort wegging, schätzte er, daß es dort 2.000 Mormonen gab. Bis<br />

Ende 1854 hatten sich 4.000 Personen der Kirche in Hawaii angeschlossen, die in 53 Gemeinde lebten. 82<br />

Missionare waren ebenfalls 1851 in Australien, wo 500 getauft worden waren. Viele von ihnen<br />

wanderten von 1853 an aus. 1854 wurden die ersten Bekehrten in Neuseeland getauft. In beiden Ländern<br />

würde es später starke Gemeinden von Heiligen der LetztenTage geben. 83<br />

Die Bemühungen, den Mormonismus in Lateinamerika aufzurichten, dies im Rahmen des weltweiten<br />

Vorstoßes der Mormonen in den frühen 1850er Jahren, war einer der interessanteren Versuche. Die<br />

Kirchenführer beriefen Apostel Parley P. Pratt, einen erfahrenen Missionar, brillianten Autoren, und einen<br />

ausgezeichneten Prediger "die Tore nach dem Niederen Kalifornien, den pazifischen Inseln und Südamerika<br />

zu eröffnen und dort das Evangelium zu verkünden." Er ließ sich in Chile nieder, wo Pratt sich sehr<br />

anstrengte, aber keinen Erfolg hatte. Er und seine Frau kamen 1852 zurück, ohne auch nur eine Person<br />

bekehrt zu haben. 84 Letzten Endes wurde aus diesem kurzfristigen Mißerfolg ein langfristiger Erfolg mit<br />

einer Kirchenmitgliedschaft in Süd- und Zentralamerika von nahezu 2 Millionen.<br />

Während dieser gleichen Jahre gab es im Millenial Star regelmäßig Berichte, daß die Missionare Indien,<br />

Burma, Siam [Thailand] und Hong Kong in China eröffnet hatten. Es gab bereits 1851 Gemeinden in<br />

Kalkutta, obwohl die Missionare dort 1849 und in Bombay 1852 angekommen waren. Aber sie blieben<br />

nicht lange bestehen. Immerhin, wie Lanier Britsch schrieb, hatten die dreizehn Missionare die zwischen 1853<br />

und 1855 dort arbeiteten, "einen großen Teil Indiens durchquert, ... hatten tausende von Meilen auf den<br />

staubigen oder schlammigen indischen und burmesischen Straßen hinter sich gelegt, ... hatten<br />

Evangeliumstraktate in fünf Sprachen, und das Buch Mormon in Urdu veröffentlicht, ... und, obwohl sie<br />

- 49 -


keine greifbaren Erfolge zu verzeichnen hatten" verrichteten sie eine Arbeit die man nur als "wahrhaftig<br />

heroisch" bezeichnen kann. 85<br />

Zum Schluß soll auch der Beginn des Mormonismus in Afrika erwähnt werden. Missionare organisierten<br />

offiziell eine Mission auf dem Kap der Guten Hoffnung am 23. Mai 1853. Als die ersten Missionare 1855<br />

von dort weggingen, hatte die Kirche in sechs Gemeinden 126 Mitglieder. Unter den Schwarzen wurde nicht<br />

gepredigt. Das kam erst ein Jahrhundert später. 86<br />

Zeitgenössische Heilige der Letzten Tage und auch andere interessierte Personen mögen von dem Ausmaß<br />

der Missionsarbeit in dem ersten viertel Jahrhundert des Bestehens der Kirche sehr erstaunt sein. Offensichtlich<br />

nahmen die Führer, wie die gewöhnlichen Mitglieder der Kirche, die Verantwortung, die Botschaft der ganzen<br />

Welt zu bringen, sehr ernst. Es gab natürlich die Mormonenmänner, die mit Glauben und Mut den<br />

Elementen und der Opposition weit von der Heimat trotzten, um dieses göttliche Mandat zu erfüllen. Aber<br />

dann gab es ebenfalls Frauen und Kinder zu Hause, die genau so überzeugt waren, Opfer brachten, damit<br />

ihre Ehemänner und Väter dienen konnten. Es gab ebenfalls örtliche Heilige - und Freunde - ohne die die<br />

Missionare nur sehr schwerlich hätten überleben können.<br />

Von unserer Perspektive aus, und vielleicht sogar von der der Missionare, sahen verschiedene dieser<br />

frühzeitigen Versuche in Europa, Asien, Lateinamerika und dem Mittleren Osten, wie Mißerfolge aus, wie<br />

wir es erwähnt haben. Die Missionare wie auch die Kirchenführer waren von den Ergebnissen sehr enttäuscht.<br />

Es gab zu wenig erfolgreiche Missionen wie die in Großbritannien, Skandinavien oder selbst der Schweiz und<br />

zuviele erfolglose Missionen wie die in Italien und Frankreich. Aber wenn wir nun eine Bilanz ziehen, fragen<br />

wir uns, was waren die Ergebnisse dieses ersten Hauptvorstoßes in die Welt? Steht dies in irgendeinem<br />

Zusammenhang mit den umfangreicheren und erfolgreicheren Bemühungen in unserer zeit, in der sich der<br />

Mormonismus bemüht "eine neue Weltreligion" zu werden und die säkulare Welt bekämpft?<br />

Erstens gehorchten die Missionare einem göttlichen Gebot, und die meisten fanden dadurch eine Stärkung<br />

ihres eigenen Glauben, des Glaubens ihrer Familie, und selbst deren Nachkommen. Damals wie heute sind<br />

von den meisten Missionaren sie selbst die wichtigsten Bekehrten. Diese erprobten Familien wurden Teil eines<br />

Felsen des Glaubens und der Hingabe im 19. Jahrhundert, auf dem das größere Kirchengebäude errichtet<br />

worden ist.<br />

Zweitens, Missionare und Bekehrte verbreiten die Lehren des Mormonismus in einer immer weiteren<br />

Sphäre unter Menschen, die noch nie etwas davon gehört haben. Es ist wahr, daß vieles, was in jenen Tagen<br />

von dem Mormonismus gesagt worden ist, schlecht informiert oder bösartig oder sogar eine Verleumdung war.<br />

Aber der Mormonismus wurde dadurch bekannt, und ohre Zweifel es gab viele mehr als Karl Maeser, deren<br />

Interesse durch die Widersprüche anti-mormonischer Verleumdungen erweckt wurde.<br />

Drittens, die neuen europäischen Bekehrten, besonders diejenigen die auswanderten, halfen, eine genügend<br />

große kollektive Masse an einem Ort zu schaffen, die in der Lage war, die Stürme dort zu bestehen. Sie half<br />

eine Gesellschaft aufzubauen und eine Nachkommenschaft, die später Achtung und sogar Verehrung<br />

verdienen würde, in ihrem Bemühen, in neue Gebiete vorzurücken, und dabei immer neuere Methoden zu<br />

verwenden, um den Massen der Welt ihre Botschaft zu bringen. Diese frühen Pioniere waren wahre Pioniere,<br />

nicht nur indem sie das Meer und die Steppen überquerten, sondern indem sie ein neues Land besiedelten und<br />

dort neue Städte bauten, und nicht nur halfen, Zion aufzubauen sondern auch Amerika, und es diesem<br />

Lande ermöglichten, seine historische Rolle zu erfüllen.<br />

Viertens, sie machten einen Anfang und dienten als würdige Vorbilder. Es dauerte lange Jahre bevor<br />

Orson Hydes Gebet in Jerusalem sich zu erfüllen begann, und bis jetzt haben nur sehr wenige Juden den<br />

Mormonismus angenommen, und noch weniger Mohammedaner. Dieser Riesenanteil der Bevölkerung der<br />

Welt hat überhaupt keine Ahnung vom Mormonismus. Wie schon gesagt, die gesamte frühere Sowjetunion,<br />

- 50 -


der größte Teil Indiens und Chinas, sowie eine Vielzahl anderer kleinerer Nationen, wissen fast überhaupt<br />

nichts vom Mormonismus.<br />

Außerdem gibt es Menschenmassen, die keiner Kirche angehören, Weltmenschen, Skeptiker und<br />

Intellektuelle im Westen und der ganzen Welt, die das Evangelium in ihren "Sprachen" kaum verstanden<br />

haben. Die Kirche sollte das Lernen dieser Sprache ernsthafter nehmen, als es in der Vergangenheit der Fall<br />

gewesen ist. Dies sind einige Probleme, die die Orson Hydes im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert zu<br />

lösen haben.<br />

- 51 -


Anmerkungen<br />

1. Das genaue Zitat von Benz lautet wie folgt: "Das mystische Verständnis der imago dei-Idee, der<br />

Selbstabbildung Gottes im Menschen durch die Zeugung und Geburt des Sohnes im Menschen, führt in<br />

seiner letzten Konsequenz auf den Gedanken der Vergottung des Menschen. Dieser Begriff ist aus der<br />

kirchlichen Dogmatik seit dem 5. und 6. Jahrhundert verschwunden und hat sich im römischkatholischen<br />

Westen in der Zeit der Alten Kirche nie durchgesetzt, er ist aber in der Tradition der<br />

christlichen Mystik aufgrund der Kontinuität der mystischen Erfahrung stets lebendig geblieben. Hier<br />

sollen jedoch nicht die europäischen Frommen zur Sprache kommen, die es gewagt haben, von der<br />

Vergottung des Menschen im christlichen Sinn der Erneuerung des Gottesbildes im Menschen zu<br />

sprechen, sondern die Vertreter einer amerikanischen Kirche, die den Gedanken der Vergottung aufgrund<br />

der Erfahrungen und Doktrinen ihres visionären Gründers zur Grundlage ihrer Anthropologie, ihrer<br />

Gemeinschaftsidee, ja sogar ihrer Gesellschaftsstruktur gemacht hat, die Kirche der Mormonen. Ich<br />

durchbreche damit ein europäisches Tabu, nämlich die in der europäischen Theologie auch nach einem<br />

halben Jahrhundert ökumenischer Bewegung immer noch weit verbreitete Regel: "Americana non<br />

leguntur,' und das spezifische Vorurteil der deutschen Theologie, als hätten die Deutschen die Theologie in<br />

Erbpacht genommen und als gäbe es eine amerikanische Theologie überhaupt nicht." "Der Mensch als<br />

Imago Dei," Urbild und Abbild: Der Mensch und die mystische Welt. (Leiden: E. T. Brill, 1974),<br />

491-492.<br />

2. "The Rise of a New World Faith," Review of Religious Research, Vol. 26 No. 1 (September, 1984),<br />

19-26.<br />

3. Ibid., 22<br />

4. Richard L. Bushman, ein Mormone, ist Gouverneur Morris Professor der amerikanischen Geschichte auf<br />

der Columbia Universität in New York City.<br />

5. Der Schlusssatz des Buches lautet: "When this theological conception ['eternal progression' toward godhood]<br />

is added to the peculiar understanding that Saints have of themselves and their Hebraic-Christianness,<br />

which grew out of their past as peculiar people, it becomes as clear as can be that, nomenclature<br />

notwithstanding, Mormonism is a new religious tradition." Mormonism: The Story of a New Reliaious<br />

Tradition (Chicago and<br />

Urbana, Illinois: University of Illinois Press, 1985), 149.<br />

6. Sally B. Donnelly, "Mixing Business and Faith," Time (July 29, 1991),22-24; Marguerite T. Smith<br />

und Debra Wishik Englander, "The Best Places to Live now," Money (Sept. 1991), 130-139. Andere<br />

Mormonenfreundliche Artikel erschienen im Sunday Times Magazine (London) (November 15, 1987),<br />

53-61 und New York Times (Sept. 15,<br />

43 1991), 1, 16.<br />

7. Joseph F. Smith, "No nationalities in the Church," Gospel Doctrine: Sermons and Writings (Salt Lake<br />

City: Deseret Book, 1946), 407. "In speaking of nationalities, we all understand or should that in the<br />

Church of Jesus Christ of Latter-day Saints there is neither Scandanavian, now Swiss, nor German, nor<br />

Russian, nor British nor any other nationality."<br />

8. James B. Allen and Marvin S. HilI (H...). Mormonism and American Culture (New York: Harper and<br />

Row, 1972), 3.<br />

- 52 -


9. Siehe zum Beispiel: Moritz Busch, Die Mormonen: Ihr Prophet. ihr Staat,und ihr Glaube (Leipzig:<br />

Verlag von Carl B. Lorch, 1855); Robert von Schlagintweit, Die Mormonen oder die Heiliaen vom<br />

iüngsten Tage von ihrer Entstehung bis auf die Gegenwart, Z. Aufgabe (Coeln u Leipzig: Eduard<br />

Heinrich Mayer, 1878); Eduard Meyer, Ursprung und Geschichte der Mormonen mit Exkursen über<br />

die Anfänge des Islams und des Christentums. (Halle a.S.: M. Niemeyer, 1912). Der inhaltsreiche<br />

Aufsatz von D.L. Ashliman, "The Image of Utah and the Mormons in Nineteenth Century Germany"<br />

beschreibt das Bild der Mormonen von einer Gruppe von einflussreichen Autoren wie Jacob Schiel,<br />

Heinrich Balduin Möllhausen, (178 Bände) Karl May (70 Romane in 20 Sprachen) D. T. Fernhagel<br />

und Rudolf Schleiden, die im 19. Jahrhundert schrieben und das Image der Mormonen im deutschsprachigen<br />

Gebiet und weiter bis auf den heutigen Tag fixierten. Utah Historical Quarterly VI. 35, No.<br />

3 (Summer, 1967), 209-227.<br />

10. Richard Lempp, "Religious Conditions in Germany," Harvard Theoloaical Review Val. 3 (1919),<br />

110, 96.<br />

11. Larry Porter, "Beginnings of the Restoration: Canada, An 'Effectual Door' to the British Isles," Truth<br />

will prevail Cambridge: Cambridge University Press, 1987), 3-43; Siehe auch das Diary of Joseph<br />

Fielding, unveröffentliches Tagebuch im Besitz des Autors, 1-5.<br />

12. Zitiert in V. Ben Bloxham, "The Apostolic Foundations, 1840- 1841", Truth Will prevail, 162.<br />

13. Orson Hyde, Ein Ruf aus der Wüste: eine Stimme aus dem Schoose der Erde (Frankfurt/M:<br />

Selbstverlag des Verfassers, 1842) Anhang, 9.<br />

14. Bloxham, Truth will prevail, 213.<br />

15. Richard L. Jensen, "The British Gathering to Zion," Truth will prevail, 165.<br />

16. Ibid., 165-168<br />

17. Erastus Snow, One Year in Scandanavia (London, 1851), 15.<br />

18. Andrew Karl Larson, Erastus Snow: The Life of a Missionary and Pioneer for the Early Mormon<br />

Church, Salt Lake City: University of utah Press, 1971), 220; B. H. Roberts, Life of John Taylor<br />

(Salt Lake City: G. Q. Cannon & Song, 1892), 229.<br />

19. Brief von John Taylor an Orson Hyde in Millenial Star, Vol. 12 (March 15, 1850) 87-88.<br />

20. zitiert von "German Mission Manuscript History," September 13, 1840 in Gilbert Schartig,<br />

Mormonism in Germany (Salt Lake City: Deseret Book, 1970), 11.<br />

21. Hyde, Anhang, 8.<br />

22. Zitiert in Larson, Endnote, 208.<br />

23. Millenial Star, Val. 12 (May 1, 1850), 132.<br />

24. Ibid., 133. 25. .ibid., 87.<br />

26. Ibid., 87-88.<br />

27. Ernst Rudolf Huber und Wolfgang Huber, Staat und Kirche in 19. und 20. Jahrhundert; Dokumente<br />

zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts Bd. 2 (Berlin: Duncker und Humblot, 1976), 33.<br />

- 53 -


28. Zitiert in Larson, 224. 29. zitiert in Larson, 223.<br />

30. Ibid., 225.<br />

31. Thomas C. Romney, Life of Lorenzo Snow (Salt Lake City: Sugar House Press, 1955), 98-99.<br />

32. Ibid., 112.<br />

33. Roberts, 222-224.<br />

34. zitiert in Samuel W. Taylor and Raymond W. Taylor, The John Taylor Papers, Vol. 1, 1837-1877<br />

(Redwood City, CA.: Taylor Trust, 1984), 166.<br />

35. Roberts, 211.<br />

36. Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. 4 (Freiburg im Br. Herder, 1933-<br />

37), 561.<br />

37. James J. Sheehan, German History. 1770-1866. (Oxford: Clarendon Press, 1989), 555.<br />

38. Hugh McLeod, Religion and the People of Western Europe (Qxford, 1981) 57. Zitiert in Sheehan,<br />

560.<br />

39. Sheehan, 561.<br />

40. Rudolf Haym, Aus Meinem Leben: Erinnerungen (Berlin: 1902) 167 zitiert in Sheehan, 626.<br />

41. Sheehan, 626.<br />

42. Schnabel, 561.<br />

43. "Dr. Maeser is laid to Rest," Deseret Evening News (Feb. 19, 1901), 1.<br />

44. Gilbert W. Scharffs, Mormonism in Germany: A History of the Church of Jesus Christ of Latter-day<br />

Saints in Germany (Salt Lake City: Deseret Book, 1970), Table 1, XIV. In 1920 war Deutschland<br />

knapp an dritter Stelle mit 9.100 Mitglieder; Kanada hatte 9.411. In 1930 Deutschland hatte zum<br />

2ten Platz avanciert (11,596 gegen 11,306 fur Kanada). In 1940, 1950 und 1960 blieb Deutschland<br />

an dritter Stelle (1940: Kanada, 13,801; Deutschland 13,480; 1950: Kanada, 16,796, Deutschland<br />

15,664; 1960: Kanada, 33,400 Deutschland 18,190).<br />

45. Samuel u.Raymond Taylor, 168.<br />

46. Zion's Panier Bd. 1, No. 7 (1 November 1851), 1.<br />

47. Ibid., 1, 2.<br />

48. Samuel u. Raymond Taylor, Anmerkung, 174.<br />

49. Ibid., 168-169.<br />

50. Brief von Daniel Carn an S.W.Richards, 6 August 1852 in Albert<br />

RiedeI, Die Geschichte der deutschsprachigen Missionen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage.<br />

Bd. 1 (Salt Lake City: Service Press, 1971) 26-30. Siehe auch Larson, 228-229.<br />

51. Bericht an "The German Mission", Millenial Star, Bd. 15 (March 5, 1853), 152-153.<br />

- 54 -


52. Innerhalb von ein paar Monaten erschien Carn acht Mal vor den Behörden Hamburgs, aber nie wegen<br />

Verstoss gegen irgendein Gesetz verurteilt. Die Hamburger Regierungsbeamten hatten schön die<br />

Mormonen gebrandmarkt, erstens wegen ihres Rufes überall in den Vereinigten Staaten wo sie sich<br />

ansiedelten, Unruhe gestiftet zu haben sowie wegen der Vielehe. Ibid., 152.<br />

53. Riedel, 31.<br />

54. Brief von George C. Riser an S.W. Richards, 11 May 1853 in Millenial Star, Bd. 15 (May 11,<br />

1853), 365-367.<br />

55. Brief von J.F. Secrist an S.W. Richards, 11 May 1853, Ibid., 362-365.<br />

56. Bericht in Millenial Star, Bd. 15, 587. 57. Riser, 366-367.<br />

58. Hajo Holborn, A History of Modern Germany, 1648-1840 (New York: A. Knopf, 1966) 11, 508-<br />

509. Siehe auch H.W. Koch, A History of Prussia (London: Longmans, 1984),227 ff. Die<br />

Mormonenführer wären vielleicht weniger enthusiastisch, wenn sie die Meinung des Königs über die<br />

amerikanische Sekten gewusst hätten, die er an seinen Freund, Bunsen, in 1850 geschrieben hat: "Ich<br />

fühle sehr deutlich, dass derjenige Theil der protestantischen Narrenjacke, der Amerika und den<br />

desperaten und unbedeutsamen Sekten in Europa angehört, ausser jeglichem Bereiche liegt. Auf die<br />

europäischen kirchlichen Protestanten wäre aber wohl solche Einwirkung nicht gerade zu undenkbar."<br />

Leopold von Ranke, Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV mit Bunsen (Leipzig: Verlag von<br />

Duncker und Humbolt, 1873), 34.<br />

59. Spencers Bericht an Brigham Young, herausgegeben als The Prussian Mission, ist übersetzt und gänzlich<br />

abgedruckt in Riedel, 44-75.<br />

60. Siehe den Brief Spencers an Minister von Raumer um eine Audienz in Riedel, 54-55.<br />

61. Ibid, 59-63.<br />

62. Vor einigen Jahren hat der Autor Mikrofilmrollen der Dokumente der preussischen Regierung--<br />

hauptsächlich Akten von beide den Innen und Aussen Ministerien sowie umfangreiche Polizeiberichte--<br />

aus dem Deutschen Archiv in Merseburg ehemaligen DDR bekommen. Obwohl einige Lücken existieren<br />

kann man an diesen Akten klar diese Kette von 1853 an beginnend leicht feststellen. Die<br />

Originaldokumente liegen wahrscheinlich noch in Merseburg; die Mikrofilmrollen sind jetzt in der<br />

Historischen Abteilung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage in Salt Lake City<br />

aufbewahrt.<br />

63. Zitiert in Ernst Rudolf Huber und Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert.<br />

Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatkirchenrechts. Vol. II (Berlin: Duncker und Humbolt,<br />

1976), 71.<br />

64. Spencer in RiedeI, 67.<br />

65. Ashliman, 213-215, 217-218.<br />

66. Heinrich Otto Meisner, "Julius Hermann Moritz Busch," Neue Deutsche Biographie, Bd. 3 (Berlin:<br />

Duncker u. Humbolt, 1957)63.<br />

67. Moritz Busch, Wanderungen zwischen Hudson und Mississippi 1851 und 1982 (Stuttgart: J.G.<br />

Cotta'scher Verlag, 1854), 1-82.<br />

- 55 -


68. Ibid., 82.<br />

69. Ibid., 81.<br />

70. Ibid.<br />

71. Später Maeser erzählte von der Zeit wenn er mit dem Mormonismus in Berührung kam. "In this dark<br />

period of my life, when I was searching for a foothold among the political, social, philosophical and<br />

religious opinions of the world, my attention was called to a pamphlet on the Mormon, written by a man<br />

named Busch." Siehe Reinhard Maeser, Karl G. Maeser (Provo, UT: BYU Press, 1928), 19.<br />

72. Ibid.<br />

73. Ibid., 19-25.<br />

74. Douglas F. Tobler, "Karl G. Maeser's German Background: The Making of Zion's Teacher, "<br />

Zeitschrift für Religions-und Geistesgeschichte 24 (1977), 193-222.<br />

75. Man nannte ihn den "Vater der Bildung in Utah Maeser" , 118-133.<br />

76. Zitert in Ernest L. Wilkinson (ed.) Brigham Young University: The First One Hundred Years (Provo,<br />

UT: Brigham Young University Press, 1975) 1:87.<br />

77. Statistical Report of the Church of Jesus Christ of Latter-day Saints, Millenial Star, Bd. 17(1855), 75-<br />

76.<br />

78. Ibid.,78.<br />

79. Ibid<br />

80. Ibid., 78-79.<br />

81. Ibid.,79.<br />

82. R. Lanier Britsch, "Beginnings of French Polynesia and Hawaii," The International Church, hrsg. von<br />

James R. Moss, R. Lanier Britsch, James R. Christianson u. Richard O. Cowan (Provo, UT: BYU,<br />

1982), 115, 120.<br />

83. Ibid, 124, 129.<br />

84. Richard O. Cowan, "Beginnings in South America," Thg.<br />

International Church, 170.<br />

85. Britsch, "Taking the Gospel to Asia, 1849-1945," The International Church, 196-197.<br />

86. Cowan, "The Church in Africa," The International Church, 236.<br />

- 56 -


Geschichte der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage<br />

im Raum Regensburg<br />

Dr. Peter Wöllauer, Neustadt/Donau<br />

In den Aufzeichnungen der Kirche finden wir Regensburg zuerst im Jahre 1841 erwähnt,<br />

als Apostel Orson Hyde sich in der Stadt aufhielt und darüber einen Brief an Joseph Smith<br />

schrieb 1 . 1942, auf der Rückreise aus Palästina hielt er sich nochmals einige Monate in<br />

Regensburg auf und verfaßte seine Schrift "Ein Ruf aus der Wüste, eine Stimme aus dem<br />

Schoose der Erde" 2 . In diesem Werk erwähnt er den freundlichen Umgang mit einigen<br />

Regensburgern. Die Gesetze des Landes verhindern allerdings in Person des Zensors und des<br />

Stadtkommissärs die Veröffentlichung seiner Schrift, sodaß er sie in Frankfurt am Main<br />

herausgeben muß. Für die nächsten Jahrzehnte breitet sich der Schleier des Vergessens über<br />

Geschehnisse in Regensburg, die mit der Verkündigung des Evangeliums zu tun haben.<br />

Wir wissen nicht, ob es im 19. Jahrhundert Mitglieder Im Raum Regensburg gegeben hat.<br />

Wir haben nur Kenntnis über die wechselvolle Geschichte der Gemeinden in Nürnberg und<br />

Fürth. Falls es jemanden hier gegeben haben sollte, so gehörte er sicherlich zur Gemeinde<br />

Nürnberg, die im Jahre 1880 durch Bruder Ilg 3 gegründet wurde und in den folgenden drei<br />

Jahren auf 218 Mitglieder anwuchs und somit die größte Gemeinde Deutschlands wurde 4 .<br />

Im Jahre 1883 erlebte die Gemeinde Nürnberg zwei große Rückschläge: Bruder Ilg, der<br />

sehr rührige Gründer der Gemeinde wurde wegen seines Betragens von der Kirche<br />

ausgeschlossen 5 . über die Gründe für den Ausschluß wird nichts weiter berichtet. Der zweite<br />

Schlag war die Auflösung aller Gemeinden in Süddeutschland, was auch Nürnberg betraf. Die<br />

Behörden hatten nämlich Angst vor einer Infektion der Bevölkerung mit sozialistischen Ideen<br />

und mit einer unsinnigen Irrlehre. Aus diesem Grund legten sie die Gesetze so rigoros wie<br />

möglich aus. Dies bewog den Missionspräsidenten, P.F. Gass in Bern, die zeitweilige<br />

Auflösung der Gemeinden zu verfügen, um nicht gegen Landesgesetze zu verstoßen 6 . Im<br />

selben Jahr wanderten 186 Mitglieder aus der deutschsprachigen Mission nach Utah aus 7<br />

und entgingen so der Religionsausübung Im Untergrund, die das Leben der Mitglieder bis<br />

zum Ende des Ersten Weltkrieges bestimmte. Es herrschte völliges Versammlungsverbot. Die<br />

Geschwister versammelten sich bei einem Mitglied In der Wohnung, wobei zwei Brüder<br />

Schmiere standen. Wenn die Polizei zur Kontrolle anrückte, verwandelte sich die<br />

Sonntagschule in eine harmlose Gesangsrunde, die sich an Volksliedern erfreute. Oftmals<br />

mußten Versammlungen tief im Wald abgehalten werden, um den Nachstellungen der<br />

Behörden auszuweichen. Für verbotene Versammlungen gab es nämlich empfindliche<br />

Strafen: 20 Mark, was etwa einem Lohn für zwei Wochen entsprach. 8<br />

Mit dem Untergang des Kaiserreiches ging die Zeit der politisch begründeten<br />

Schwierigkeiten für die Mitglieder für einige Jahre zu Ende. Im Jahr 1926 wurde in<br />

Regensburg eine Gemeinde gegründet, die von Missionaren geleitet wurde und bis zum Jahr<br />

1932 Bestand hatte. Nachweislich wurde in dieser Zeit Familie Franz Federl getauft und<br />

einige Schwestern. Nach Abzug der Missionare im Jahr 1932 konnte die Gemeinde nicht<br />

- 57 -


gehalten werden, da es keine einheimischen Priestertumsträger gab. So wurden die Mitglieder<br />

der Gemeinde Nürnberg zugeteilt, was praktisch ein Ende des Gemeindelebens bedeutete, da<br />

die finanziell schwachen Mitglieder sich die Bahnfahrt in das 100 km entfernte Nürnberg nur<br />

sehr selten leisten konnten. Da keine Aufzeichnungen aus jener Zelt existieren, beruhen die<br />

obigen Angaben auf mündlich mitgeteilten Erinnerungen von mittlerweile verstorbenen<br />

Mitgliedern 9 .<br />

Bis 1945 gibt es wieder keine Berichte über Kirchentätigkeit in Regensburg. Dann setzt<br />

die neue Geschichte ein, die wesentlich von Bruder Paul Reimer und seiner Familie getragen<br />

wurde. Das Schicksal der Familie Reimer ist exemplarisch für viel Mitglieder in Deutschland<br />

In der Zeit von 1945 bis jetzt und soll deshalb ausführlich berichtet werden.<br />

Paul Reimer stammte aus Kolberg an der Ostssee in Pommern. Im Jahre 1927 hatte er<br />

sich sechzehnjährig zusammen mit seiner Familie der Kirche angeschlossen. Seine spätere<br />

Frau, Berta Heise aus Wobesde im Kreis Stolp lernte er in der Kirche kennen. Wie die<br />

meisten Männer mußte er während des zweiten Weltkrieges in der deutschen Wehrmacht<br />

dienen und Frau und zwei kleine Söhne alleine lassen. Gegen Kriegsende, im Winter 1944/45<br />

war er in der Elfel trotz seines Sanitätsdienstgrades bei einer kämpfenden Einheit eingesetzt.<br />

Wegen Erfrierungen an den Füßen und Händen wurde er zusammen mit einem Kameraden<br />

nach Riedenburg im bayrischen Altmühltal beordert, wo im Ursulinenkloster ein Lazarett<br />

eingerichtet war. Nach sorgfältiger Reinigung und Entlausung konnte er seine Erfrierungen<br />

ausheilen. Im März 1945 wurde er als marschtauglich entlassen und erhielt den Befehl, sich<br />

gemeinsam mit seinem Kameraden zu Fuß nach dem etwa 40 km entfernten Regensburg in<br />

Marsch zu setzen. Die Eisenbahnlinie war nämlich unterbrochen, der Bahnhof von<br />

Riedenburg durch Bomben zerstört. Das Erreichen von Regensburg war aber nicht mehr<br />

möglich, da die Stadt schon von den Amerikanern eingenommen worden war. Ins Lazarett<br />

zurückgekehrt, sollten sie einer anrückenden SS-Einheit angeschlossen werden, wozu sie aber<br />

überhaupt keine Lust hatten, nachdem sie sich die ganzen Jahre von dieser berüchtigten<br />

Truppe fernhalten konnten. Zu dieser Zeit war auch schon völlig klar, daß die so harten<br />

Burschen der SS von den Siegern eine angemessen harte Behandlung zu erwarten hätten. Es<br />

gelang ihnen, sich einem Pionierzug anzuschließen, der den Auftrag hatte, sich<br />

brückensprengend nach Süden zurückzuziehen. Es war ja wesentlich günstiger, von den<br />

Amerikanern als Mitglied einer regulären Wehrmachtseinheit gefangengenommen zu werden,<br />

wie als Mitglied einer SS-Einheit. Der Marsch ging nach Neustadt an der Donau, wo die<br />

Donaubrücke gesprengt wurde und dann weiter nach Süden. Durch den langen Marsch<br />

wurden die frisch verheilten Füße wieder wund. Deshalb erhielt ein ebenfalls verwundeter<br />

Offiziersanwärter den Auftrag, alle Verwundeten, darunter Paul Reimer, nach Landshut ins<br />

Lazarett zu geleiten, was mangels anderer Transportmittel zu Fuß geschehen mußte. Wäre<br />

Bruder Reimer ohne Auftrag unterwegs gewesen, dann hätte er wohl nicht überlebt, denn die<br />

Feldgendarmerie kontrollierte sehr scharf und machte nicht viel Federlesens mit Soldaten, die<br />

Ihr woher und wohin nicht zufriedenstellend erklären konnten. Außerdem war ihr Leben<br />

noch durch amerikanische TIefflieger gefährdet, die auf alles schossen, was sich bewegte.<br />

Schließlich langten aber alle in Landshut an und wurden im Lazarett Im Ursulinenkloster<br />

aufgenommen, das durch Fliegerangriffe teilweise zerstört war. Bruder Reimer wurde in<br />

einem Zimmer einquartiert, das von einer Bombe beschädigt worden war, wo an der Wand<br />

die abgerissene Kopfhaut eines Verwundeten klebte.<br />

Nicht lange danach kam die Meldung, daß Landshut eingeschlossen sei. Landshut wurde<br />

- 58 -


zur Kriegsstadt erklärt und Panzeralarm wurde gegeben. Im Hof des Lazarettes wurde ein<br />

Feuer entfacht und alle Rangabzeichen und andere belastende Kleinigkeiten wurden<br />

verbrannt. Glücklicherweise, versuchte kein Offizier In Landshut unnötigerweise den Helden<br />

zu spielen, sodaß die Stadt kampflos an die Amerikaner übergeben wurde. Nach<br />

ausreichender Genesung wurde Paul Reimer aus dem Lazarett entlassen, aber aufkeimende<br />

Hoffnung darauf, nun sein eigener Herr zu sein, wurden durch das Vorfahren von<br />

Armeelastwagen sofort erstickt: Es ging nun ins Kriegsgefangenenlager nach Regensburg.<br />

Zusammengepfercht wurden die Soldaten der besiegten Wehrmacht auf der wilden Fahrt<br />

fürchterlich durchgeschüttelt, wobei der Fahrer danach trachtete möglichst viele der aus<br />

Platzmangel außen am Fahrzeug hängenden Tornister an Bäumen abzustreifen. Er, der<br />

dunkelhäutige Vertreter einer herumgestoßenen Minderheit genoß es offensichtlich, hier der<br />

Herr zu sein und einmal andere herumzustoßen, sogar im wörtlichen Sinn.<br />

Im Kriegsgefangenenlager in der ehemaligen SA-Schule und an anderen Orten in<br />

Regensburg teilte Paul Reimer sein Schicksal mit etwa 120 000 anderen Gefangenen, bis er<br />

am 30. Juli 1945 entlassen wurde. Zu diesem Zeitpunkt kam das Sanitätspersonal frei. Schon<br />

während der Zeit als Kriegsgefangener hatte er versucht unter den Mitgefangenen und unter<br />

den Amerikanern Kirchenmitglieder zu finden, aber vergebens. Das höchste war, daß er<br />

einen amerikanischen Soldaten antraf, der die Kirche kannte.<br />

Zur Zeit der Entlassung war schon klar, daß er in seine Heimatstadt Kolberg nicht mehr<br />

zurückkehren konnte, da sie unter polnische Verwaltung gestellt worden war und die<br />

Deutschen nach und nach vertrieben wurden. Somit wußte er zu dieser Zeit nichts über das<br />

Schicksal seiner Frau und seines Sohnes, seiner Eltern und der etwa 40 Mitglieder, der<br />

Gemeinde in Kolberg. Zunächst wollte er nach Sachsen, weil er dort eine Familie kannte, die<br />

in der Kirche war und weil er hoffte, dort seine Familie zu finden oder zumindest etwas über<br />

ihren Verbleib zu erfahren. Diese Hoffnung zerschlug sich, weil Bruder Reimer bei der<br />

Ankunft In Hof feststellen mußte, daß das vorher amerikanisch besetzte Sachsen nun<br />

russische Zone war. Da er nicht wußte wohin, kehrte er zu Fuß und auf einem Güterzug<br />

wieder nach Regensburg zurück und kam als Zivilangestellter bei der amerikanischen Armee<br />

unter. Seine in der Kirche erworbenen Englischkenntnisse waren hierbei hilfreich.<br />

Nun, frei sich zu bewegen, versuchte Paul Reimer seine Frau zu finden. Das gestaltete<br />

sich sehr schwierig, da keine Postverbindung mit der verlorenen Heimat mehr existierte. In<br />

dieser Zeit war es aber üblich, Suchmeldungen und andere Mitteilungen an den Bahnhöfen<br />

anzubringen. So wanderte auch Bruder Reimer immer wieder zum zerstörten Bahnhof mit<br />

der schwachen Hoffnung, dort am langen Bretterzaun unter den hunderten Anzeigen,<br />

Informationen zu finden, die ihn zu seiner Frau führen würden, aber vergeblich.<br />

Eines Tages fand er dort aber einen Aufruf, der Ihm In einer anderen Sache weiterhalf:<br />

Bei der Suche nach der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Er fand einen<br />

etwas größern Zettel vor mit dem Text:" Alle Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen<br />

der Letzten Tage wollen sich bei Richard Nitschka, Fürth/Bayern, Dambach 9 melden". Dies<br />

führte zur Wiederaufnahme der Kirchentätigkeit von Bruder Reimer. Es ist ihm hoch<br />

anzurechnen, daß er unter dem leidvollen und verrohenden Einfluß des Krieges und so lange<br />

auf sich alleine gestellt nicht den Glauben verloren hatte, wie so viele andere. In seinem Falle<br />

führte der Verlust der Heimat und die Ungewißheit über das Schicksal seiner Frau und seines<br />

Sohnes Dieter, nachdem ein weiterer Sohn, Eckhard, bedingt durch Überlastung und<br />

Durcheinander im Krankenhaus an Diphtherie gestorben war, nicht zu gottesfeindlicher<br />

- 59 -


Verbitterung, wie bel so vielen andern Mitgliedern der Kirche. Viele erholten sich nie mehr<br />

von den geistigen Wunden, die der Krieg geschlagen hatte und konnten nicht mehr<br />

zurückfinden zur Anerkennung des Evangeliums Jesu Christi.<br />

Bruder Reimer nun stellte sofort seine Arbeitskraft In den Dienst der Kirche. Zu dieser<br />

Zeit existierte in Regensburg keine Gemeinde und so wurde er Mitglied der Gemeinde<br />

Nürnberg. Es war bekannt, daß es einige Mitglieder in Regensburg gab, aber Namen und<br />

Adressen waren nicht bekannt, da die Mitgliedsunterlagen bei der Zerstörung der<br />

Gemeinderäume in Nürnberg durch Fliegerbomben verloren gegangen waren. Somit konnte<br />

der Verwaltungsangestellte Paul Reimer sein besonderes Talent, das später in der Kirche<br />

weithin geschätzt wurde, ausüben: Das Auffinden von verloren gegangenen Mitgliedern.<br />

Solange er noch Angestellter der US-army war, hatte er kaum Zeit sich mit Suchaktionen zu<br />

befassen, aber dann, nach dem 6. Mai 1946, als er als Verwaltungsangestellter am<br />

Landratsamt Regensburg Arbeit fand, hatte er mehr Freiheit, sich um die Mitglieder zu<br />

kümmern.<br />

Der Kontakt mit Bruder Nitschka in Fürth, der den Auftrag hatte sich um alle Mitglieder<br />

zu kümmern, die als Flüchtlinge nach Franken, in die Oberpfalz und nach Niederbayern<br />

kamen, öffnete für Bruder Reimer auch wieder die Informationskanäle der Kirche.<br />

So erfuhr er von der Ostdeutschen Mission in Berlin, daß in Wolfsgrün in Sachsen ein<br />

Flüchtlingslager existierte, das von der Kirche für ihre vertriebenen Mitglieder aus den<br />

Ostgebieten nach den Wohlfahrtsgrundsätzen betrieben wurde. Dort befand sich eine Anzahl<br />

von Mitgliedern aus Kolberg und aus Wobesde, darunter auch sein Vater und seine<br />

Stiefmutter, nicht aber seine Frau und sein Sohn. Erst Mitte 1946 wurde der Postbetrieb mit<br />

Polen, und damit auch mit seiner alten Heimat Pommern aufgenommen. Er schrieb an seine<br />

Frau per Adresse ihrer Eltern (nunmehr mit polnischen Ortsbezeichnungen). Diesen Brief<br />

erhielt und beantwortete sie. Sie hatte über ein Jahr lang nichts über das Schicksal ihres<br />

Mannes gewußt. Sie hatte auch Schweres durchzustehen. Ab 4. März 1945 war Kolberg durch<br />

russische Artillerie 12 Tage lang beschossen worden. Die Hausbewohner hatten sich im<br />

Keller verkrochen, bis sie dann von den Russen über Schuttberge durch die brennende Stadt<br />

aufs Land hinausgeführt wurden. Dort konnte Schwester Reimer bei verschiedenen<br />

Bauersfrauen Unterschlupf finden, den sie mit ihrer Arbeitskraft zu bezahlen hatte. Sie wollte<br />

zu ihren Eltern in Wobesde, Kreis Stolp, aber es war sehr schwierig von der polnischen<br />

Kommandatur die Erlaubnis dafür zu bekommen. Die russischen und polnischen Behörden<br />

wollten diese eigentlich deutschen Gebiete für die Polen als Siedlungsgebiet und die<br />

verhaßten Deutschen sollten so schnell wie möglich "ins Reich" abgeschoben werden, das<br />

heißt ins Gebiet westlich der Oder-Neiße-Linie. Erst als sie argumentierte, daß sie ihre Eltern<br />

abholen wolle, um mit ihnen gemeinsam "ins Reich" zu fahren, erhielt sie die Erlaubnis, nach<br />

Wobesde zu fahren. Bei ihrer Ankunft waren schon einige Kirchenmitglieder dabei, das Land<br />

zu verlassen und forderten Berta Reimer auf, sofort mitzukommen. Durch die Strapazen und<br />

Entbehrungen der vergangenen Monate, war sie so ausgelaugt, daß sie lieber das Risiko auf<br />

sich nahm, auf polnischem Gebiet bei ihren Eltern zu bleiben. Doch im November 1946<br />

durfte niemand mehr bleiben und auch Schwester Reimer mußte mit ihren Eltern und ihrem<br />

kleinen Sohn los. In Forst, in der Lausitz mußte Schwester Reimer aber die Fahrt<br />

unterbrechen, da ihr Sohn Dieter schwer erkrankt war. Zuerst war unklar, woran das Kind zu<br />

sterben drohte, dann aber erkannte man, daß es Paratyphus war. Nach wochenlanger<br />

Behandlung im Krankenrevier des Flüchtlingslagers und im Krankenhaus konnte die Reise<br />

- 60 -


fortgesetzt werden. Endlich am 12. März 1947 konnte Bruder Reimer seine Lieben in Hof in<br />

die Arme schließen und nach Regensburg geleiten. Nach langem, zähen Ringen mit den<br />

Behörden erhielten sie zwei Zimmer in Lorenzen bei Regensburg zugewiesen und konnten<br />

nun daran gehen, ihr Leben wieder neu aufzubauen.<br />

Zunächst war die Anstellung bei den Amerikanern ein großer Glücksfall, war dadurch<br />

doch Wohnung und Nahrung gesichert.<br />

Am 6. Mai 1946 nahm Paul Reimer seine Tätigkeit im Landratsamt Regensburg auf.<br />

Dadurch mußte er nun eine Unterkunft finden. In der stark zerstörten, mit Flüchtlingen<br />

überfüllten Stadt Regensburg war dies außerordentlich schwierig. Schließlich fand er eine<br />

ehemalige Abstellkammer, die mit Bett, Stuhl, Tisch und Schrank ausgestattet war.<br />

Im Laufe des Jahres 1945 gelang es, die altansässigen Mitglieder im Raum Regensburg<br />

ausfindig zu machen. Es waren dies Bruder Franz Federl und seine Frau, seine beiden<br />

Töchter Schwester Brumbauer und Schwester Scharlach sowie Schwester Reuter. Während<br />

der vergangenen Jahre war es nicht möglich geswesen, diese Geschwister ausreichend zu<br />

betreuen, da es überall an Priestertumsträgern mangelte. Sie waren ja bis auf die zu alten alle<br />

im Kriegseinsatz. In diesen Jahren hatte vor allem Ludwig Weiß aus Nürnberg versucht, die<br />

Geschwister stark Im Glauben zu halten, aber er konnte nicht überall sein, und es gab in<br />

diesen harten Kriegsjahren viel Not und Schwierigkeiten, wo geholfen werden sollte. Was<br />

Regensburg betrifft gab es also kein Gemeindeleben, es gab nur einige Menschen, die einmal<br />

getauft worden waren und die mehr oder weniger bereit waren, sich führen zu lassen, um am<br />

Evangelium teilzuhaben. Selbst initiativ zu werden war niemand stark genug. Es mußten also<br />

zuerst Versammlungen organisiert und Räume dafür gefunden werden. Zunächst fanden<br />

Gottesdienste in der Wohnung der Familie Federl in Donaustauf statt.<br />

In der Zwischenzeit waren zahlreiche heimatvertriebene Mitglieder in den<br />

Nordbayrischen Raum gekommen, daß man sich in der Präsidentschaft der Westdeutschen<br />

Mission in Frankfurt entschloß, die Gemeinde Regensburg als Sammelgemeinde für alle<br />

Flüchtlinge wiederzueröffnen. Somit überlagerten sich in Bayern zwei Arten von<br />

Gemeindeorganisationen: Auf der einen Seite gab es die normalen, lokalen Gemeinden, wie<br />

sie vor dem Krieg bestanden hatten. Dazu kamen zwei Sammelgemeinden für die Flüchtlinge,<br />

wobei Regensburg für alle In Nord und Ostbayern gestrandeten Mitglieder zuständig wurde<br />

und München für den Rest des Landes. Dahinter stand der Plan, für alle zu Regensburg<br />

zählenden Mitglieder ein Barackenlager In Regensburg zu errichten. Dies war aber<br />

aussichtslos, da die Behörden in der ohnehin durch eine Unzahl von Flüchtlingen belasteten<br />

Stadt, in der außerdem viel Wohnraum durch Bombenschäden zerstört oder durch die<br />

Besatzungsmacht beschlagnahmt war, niemanden mehr aufnehmen wollten. Bruder Reimer<br />

hatte schon den Auftrag erhalten, mit Firmen zu verhandeln, um Baumaterial zu beschaffen.<br />

Ein zusätzliches Problem war, daß die betroffenen Mitglieder wegen der großen Entfernung<br />

von Regensburg nicht bel den Bauarbeiten mithelfen konnten. Aus all diesen Gründen wurde<br />

der Plan des kircheneigenen Flüchtlingslagers nicht verwirklicht.<br />

Da es nicht möglich war, die Mitglieder zu sammeln, konnten sie sich auch kaum<br />

gegenseitig stärken, sodaß viele, die in den kleinen Orten verblieben, sich mehr und mehr<br />

anpaßten, selbst Nichtmitglieder heirateten oder daß deren Kinder Nichtmitglieder heirateten.<br />

Auf diese Weise ging für viele das mormonische Erbe verloren und sie entwickelten sich zu<br />

evangelischen oder katholischen Franken oder Oberpfälzern. Viele der wirklich Aktiven<br />

fanden diese Situation ebenfalls unerträglich und ergriffen einige Jahre später die Gelegenheit,<br />

- 61 -


nach Utah auszuwandern, um dort in der großen Gemeinschaft Gleichgesinnter nicht mehr<br />

gegen den Strom schwimmen zu müsssen, um ihre Überzeugung leben zu können.<br />

Durch die Entscheidung der Missionspräsidentschaft erstreckte sich die Gemeinde<br />

Regensburg von Würzburg über Hof bis Passau. (Siehe Anhang A) Diese Regelung trat mit<br />

Januar 1946 in Kraft.<br />

Die erste Gemeindepräsidentschaft war zugleich die Distriktspräsidentschaft (die damals<br />

Bezirkspräsidentschaft genannt wurde). Mit der Betreuung der Geschwister wurde Paul<br />

Reimer beauftragt.<br />

An Missionsarbeit, eine sehr wesentliche Aufgabe der Kirche, war In dieser Zelt<br />

überhaupt nicht zu denken. Alle fähigen und willigen Mitglieder waren damit beschäftigt, ihr<br />

durch den selbstzerstörerischen Krieg aus der Bahn geworfenes Leben wieder in ordentliche<br />

Bahnen zu lenken, den notleidenden Mitgliedern zu helfen und die Kräfte in der Kirche zu<br />

ordnen und zusammenzufassen. Der überwiegende Teil der Mitglieder bestand aus<br />

Flüchtlingen und auch aus schon vorher aus den großen Städten ausgesiedelten<br />

Bombengeschädigten (etwa Familie Friedrich Thymian aus Hamburg). Naturgemäß waren sie<br />

daher alle nur sehr notdürftig mit Geld und Gut ausgestattet. Meist waren sie alt oder<br />

vaterlos, denn die meisten Männer waren entweder im Krieg umgekommen oder noch nicht<br />

aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Ein vorrangiges Anliegen war also die Versorgung<br />

der Mitglieder mit Nahrungsmitteln und Kleidung. Die Kirche erhielt Hilfslieferungen aus<br />

USA, aber die Verteilung lag in den Händen der örtlichen Priestertumsführer. Alleine schon<br />

dies brachte Probleme mit sich, die nur unter allergrößter Anstrengung zu lösen waren.<br />

Selbstverständlich besaß niemand ein Auto und das übliche Transportmittel war der<br />

Rucksack. Dazu kam, daß die zeitweise etwa 100 Mitglieder an 29 Orten verstreut lebten. Die<br />

Hilfslieferungen wurden nach Nürnberg gesandt und mußten dort mit dem Zug von Familie<br />

Reimer abgeholt werden, die überschwere Rucksäcke und Taschen vom Bahnhof<br />

kilometerlang nach Hause schleppen mußten, um sie dann auf verschlungenen Wegen<br />

weiterzuleiten. Einmal mußte Schwester Reimer, die Stiefmutter von Paul zusammen mit<br />

ihrem Mann eine Nacht unter einer Brücke verbringen, da sie wegen der übermäßigen<br />

Schlepperei nicht mehr weiter konnte. Auch wenn nach Regensburg geliefert wurde<br />

bedeutete dies schwere Arbeit, da die Spenden dann vom Donauhafen abgeholt werden<br />

mußten. Eine Erleichterung dieser Situation bedeutete im Januar 1948 die Berufung von<br />

Schwester Berta Engel in Nürnberg zur Leiterin der Frauenhilfsvereinigung in Regensburg.<br />

Zusammen mit ihrem Mann Max übernahm sie einen Teil der Verteilung von Nürnberg aus.<br />

Wer mit so viel Lebensmitteln bepackt angetroffen wurde stand in jener Zeit sofort unter<br />

dem Verdacht, die Waren gestohlen zu haben oder mit illegalem Schwarzhandel befaßt zu<br />

sein. Daher hatte Familie Reimer Papiere bei sich, die sie als kirchliche Mitarbeiter zur<br />

Verteilung von Spenden auswiesen.<br />

Die Zentrale für die Spendenverteilung war die Wohnung von Ernst Reimer und seiner<br />

Frau in Pielmühle, was vom Bahnhof einen Weg von 6 km bedeutete. Von dort konnten sich<br />

die anderen Mitglieder ihre Pakete abholen, die aus verschiedenen lang entbehrten<br />

Lebensmitteln und Leckereien bestanden.<br />

Natürlich gab es auch einige Mitglieder, die ihre Mitgliedschaft erst wieder mit Hilfe der<br />

Lebensmittelpakete neu entdeckten. Den jahrelangen Mangel an Interesse begründeten sie<br />

mit der schwierigen politischen Situation und ähnlichen fadenscheinigen Begründungen.<br />

Trotzdem entschloß sich die Bezirkspräsidentschaft, sie nicht von der Verteilung der Pakete<br />

- 62 -


auszuschließen, da der Hunger unabhängig vom Eifer für das Evangelium alle drückte.<br />

Ein ordentliches Gemeindeleben war unter diesen Umständen nicht möglich, auch eine<br />

Betreung durch monatliche Besuche war wegen der Entfernungen undurchführbar.<br />

Zu Weihnachten zeigte sich die Solidarität der einheimischen Geschwister mit den<br />

Flüchtlingen: Alle wurden von Famileln der Gemeinden Fürth und Nürnberg eingeladen, mit<br />

ihnen das Weihnachtsfest zu verbringen. So wurde das Fest wirklich ein Fest der Liebe und<br />

des Teilens. schließlich bedeutete für die auch nicht reichlich versorgten Einheimischen so<br />

eine Einladung ein beträchtliches Opfer.<br />

Die Betreuung mußte also im wesentlichen brieflich erfolgen. So wurden die Familien<br />

angehalten, Abendmahlversammlungen in kleinen Gruppen an ihren Wohnorten abzuhalten.<br />

War kein Priestertumsträger vorhanden, dann konnte nur eine Heimsonntagschule<br />

veranstaltet werden.<br />

Durch die Anstellung am Landratsamt erhielt Bruder Reimer größere Bewegungsfreiheit.<br />

Außer einigen weiblichen Angestellten waren nur zwei Personen im Landratsamt, Abteilung<br />

Landkreisverwaltung, Verwaltungsfachleute, und die waren nicht aus Bayern: Bruder Reimer<br />

aus Pommern und Oberinspektor Richter aus dem Sudetenland, sein Vorgesetzter. Alle<br />

anderen Beamten waren der Entnazifizierung zum Opfer gefallen und durch Berufsfremde<br />

ersetzt worden. Wegen seiner Fachkompetenz und seiner Bereitschaft auch bis zehn Uhr<br />

nachts nachzuarbeiten, konnte er immer wieder einige Stunden frei bekommen, um seinen<br />

kirchlichen Aufgaben nachzukommen. Auf diese Weise war es ihm auch möglich, schon<br />

Freitag abends mit dem Zug loszufahren, um die verstreuten Mitglieder zu besuchen, obwohl<br />

am Samstag vormittags noch Dienst war.<br />

Etwa im September 1946 erhielt die Gemeinde Regensburg wesentliche Verstärkung, was<br />

aber für Paul Reimer zunächst wieder viel Arbeit und Überredungskunst verursachte: Seine<br />

Eltern und einige weitere Mitglieder aus Wobesde konnten aus dem Flüchtlingslager<br />

Wolfsgrün nach Regensburg gelangen. Mit großer Mühe und viel Lauferei gelang es Bruder<br />

Reimer zunächst eine provisorische Unterbringung in einem Flüchtlingslager zu erreichen. Es<br />

war auch unmöglich für die Neuankömmlinge, Arbeit zu finden. Im übrigen war die<br />

Stimmung zwischen Einheimischen und Flüchtlingen ziemlich angespannt. Vor dem Krieg<br />

hatte Regensburg etwa 80 000 Einwohner gehabt und nun waren es etwa 140 000 bis 150000.<br />

Es waren etwa 70 000 Flüchtlinge unterzubringen und mit Arbeit und Nahrung zu versorgen.<br />

Wegen Überfüllung der Stadt wurden alle diese Neuankömmlinge dann nach Landshut<br />

zugewiesen. Da Paul Reimer inzwischen in Regensburg ansässig war, gelang es ihm für seine<br />

Eltern eine Unterkunft in Pielmühle bei Regensburg zu erringen. Seine Arbeit im<br />

Landratsamt hatte ihm dafür hilfreiche Beziehungen ermöglicht. Die anderen Geschwister<br />

blieben In Landshut und arbeiteten dort am Aufbau der Gemeinde mit, bis sie nach USA<br />

auswanderten. (Es waren dies Familie Franz Lawrenz, Familie Wilhelm Lawrenz und<br />

Schwester Lieschen Framke).<br />

Diese große Belastung hatte Bruder Reimer zusätzlich zu seinem stark fordernden Dienst<br />

zu bestehen. Als preußischer Beamter war er mit der bayrischen Gesetzgebung nicht vertraut<br />

und mußte sich erst einarbeiten, wobei ihm aber niemand helfen konnte, da alle Fachleute als<br />

Parteimitglieder entlassen worden waren. Jetzt sollte mit zwar politisch, aber leider auch<br />

fachlich, unbelasteten Mitarbeitern wieder eine öffentliche Verwaltung aufgebaut werden.<br />

Dazu kamen noch die Familienprobleme mit Suche nach der Frau, Wohnungssuche usw. und<br />

die kirchlichen Aufgaben. Diese übergroße Belastung, und dazu die beengten<br />

- 63 -


Wohnverhältnisse ließen gar nicht zu, irgendwelche großartigen Programme in der Kirche<br />

durchzuführen. Mitglieder aufspüren, Heimversammlungen organisieren und briefliche<br />

Betreuung. Dies war die machbare Gemeindearbeit in dieser Zeit.<br />

Am 27. April 1947 ging die Leitung der Gemeinde in die Hand eines im Raum<br />

Regensburg Ansässigen über: Bruder Ernst Reimer, Pauls Vater, wurde zum<br />

Gemeindepräsidenten berufen. Er war der letzte Gemeindepräsident der im März 1945 durch<br />

Kriegseinwirkung untergegangen Gemeinde Kolberg in Pommern gewesen und war nun der<br />

erste örtliche Gemeindepräsident in der wiedereröffneten Gemeinde Regensburg. Ähnliches<br />

ist an mehreren Orten in Westdeutschland geschehen: Vertriebene aus den Ostgebieten<br />

trugen sehr wesentlich zur Stärkung der Gemeinden im Westen bei. Auch Bruder Nitschka in<br />

Fürth stammte aus dem Osten. Er war ein Vertriebener aus Breslau in Schlesien. Dies war<br />

über Jahrzehnte spürbar. Allerdings sind auch viele spirituell nicht so starke Mitglieder durch<br />

diese Entwurzelung im Evangelium ebenfalls entwurzelt worden und kümmerten sich nicht<br />

mehr um das Reich Gottes. Auch das war über Jahrzehnte merkbar.<br />

Nachdem die Pläne für ein kirchliches Flüchtlingslager in Regensburg gescheitert waren,<br />

war bald klar, daß es auf die Dauer unhaltbar war, so weit verstreute Mitglieder in einer<br />

einzigen Gemeinde zu sammeln, wo doch oftmals näherliegende Gemeinden vorhanden<br />

waren. So wurde aufgrund einer im Januar 1948 im Missionsbüro in Frankfurt/Main<br />

abgehaltenen Besprechung mit den Bezirkspräsidenten eine Umorganisation beschlossen. Die<br />

Gemeindegrenzen wurden eingeengt und die außerhalb lebenden Mitglieder wurden den<br />

nächstgelegenen Gemeinden zugeteilt. Aufgrund verwaltungstechnischer Schwierigkeiten<br />

verzögerte sich die Änderung aber bis August 1948, als 41 Mitglieder an die Gemeinde<br />

Landshut, bzw. Mai 1949, als 25 Mitglieder an die Gemeinden Nürnberg, Coburg, Bamberg<br />

und Fürth überwiesen wurden. Aufgrund dieser Änderung und durch Wegzüge verminderte<br />

sich die Mitgliederzahl in der Gemeinde Regensburg von 95 im August 1948 auf 26 im Juni<br />

1949. Damit umfaßte die Gemeinde nun noch die Städte Regensburg und Straubing, die<br />

Landkreise Regensburg, Kelheim, Straubing-Bogen, Regen, Cham und Schwandorf. Dies ist<br />

der heutige Umfang, der nur durch die Gebietsreform 1971 bis 1974 geringfügig beeinflußt<br />

wurde. So umfaßt die Gemeinde im Jahr 1984 ein Gebiet von 7774,07 Quadratkilometern mit<br />

798 900 Einwohnern. 10 (Anhang A)<br />

Aufgrund der geringen Größe der Gemeinde Regensburg, war ihre Bekanntheit in der<br />

Bevölkerung nicht sehr groß. Missonare waren noch nicht hier und für große Veranstaltungen<br />

fehlte über all den anderen Sorgen die Zeit. Allerdings hielt am 29. April 1947 Ellen Merkley,<br />

ein Mitglied aus Arizona, das bei der US army beschäftigt war einen Vortrag. Obwohl er in<br />

englischer Sprache gehalten wurde, waren etwa 200 Besucher anwesend. Das Thema war:<br />

"Utah und die Mormonen". Eine nachhaltige Wirkung auf die Bevölkerung von Regensburg<br />

ist nicht nachweisbar.<br />

Im Laufe der Zeit normalisierte sich das Gemeindeleben. Regensburg war eine der vielen<br />

kleinen Gemeinden in Deutschland, die mit dem Mangel an fähigen und willigen Mitgliedern<br />

zu kämpfen hatten und auch gegen Vorurteile in ihrer Umgebung angehen mußten. Auch<br />

ohne Missionare gab es einige wenige Taufen. So wurde etwa Bruder Ebert aus Weiden<br />

getauft, der mit einem Mitglied verheiratet war.<br />

Regensburg beteiligte sich im September 1950 mit einer Spende am Missions-<br />

Wohlfahrtsprojekt "Türspende Langen". Sie spendete DM 30,- für das Flüchtlingslager der<br />

Kirche in Langen bei Frankfurt/Main, was dem Preis einer Türe entspricht.<br />

- 64 -


Am 2. Juli 1952 nahmen aus Regensburg fünf Mitglieder an einer Sonderversammlung mit<br />

Präsident Davld O. McKay Im Palmengarten in Frankfurt/Main teil.<br />

Im April 1954 wurde die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in Regensburg auf die<br />

Kirche in Utah gerichtet. Erwin Folger vom Arbeitsministerium in München hielt im<br />

Amerikahaus einen Vortrag über Salt Lake City und die Mormonen, über den auch in der<br />

Mittelbayrischen Zeitung berichtet wurde. Er zeichnete vom Volk der Mormonen ein<br />

positives Bild als Gegengewicht zu den uralten Vorurteilen, die im Lande im Umlauf waren.<br />

Das Jahr 1954 war das große Jahr der Auswanderung von Deutschen nach den<br />

Vereinigten Staaten von Amerika. Es wurden ganze Organisationen geschaffen, die die<br />

Auswanderung von der rechtliche Seite und auch sonst betreuten. Dies hatte nichts mit der<br />

Kirche zu tun, hatte aber tiefe Auswirkungen auf die Kirche. Einmal hatten viele zerstreut<br />

lebende Mitglieder den Wunsch, sich zu sammeln. Andererseits hatten viele Mitglieder schon<br />

Verwandte oder gute Bekannte in USA, die bereit waren für sie zu bürgen. So wanderte auch<br />

Ernst Reimer mit seiner Frau nach Amerika aus. Er folgte damit seiner Tochter und seinem<br />

Schwiegersohn. Er nahm auch seinem Sohn Paul das Versprechen ab, nach USA<br />

nachzukommen, was ihm dieser schweren Herzens gab. Er wollte ja nicht ins Ungewisse<br />

auswandern, nachdem er eine sichere Stelle und eine Wohnung hier in Regensburg hatte. So<br />

bat er später seinen Vater, ihn wieder von diesem Versprechen zu entbinden. Einige Jahre<br />

danach kehrte Ernst Reimer mit seiner Frau wieder nach Regensburg zurück, wo sie auch<br />

starben. Mit dieser Auswanderung war Regensburg seines Gemeindepräsidenten beraubt.<br />

Paul Reimer folgte nun seinem Vater in diesem Amt nach. Er bekleidete es von 16. Mai 1954<br />

bis 29. Januar 1977 und dann wieder von 25. März 1979 bis 16. März 1986.<br />

So wie Bruder Ernst Reimer sind viele Mitglieder nach Zion ausgewandert und<br />

schwächten damit den Aufbau Zions in Deutschland. Die Kirchenführung In Salt Lake City<br />

rief alle zum Bleiben auf, um die Kirche in Deutschland zu stärken. Vielleicht wäre<br />

Regensburg schon in den Fünfzigerjahren gewachsen, wenn einige fähige Mitglieder nicht<br />

ausgewandert wären. Andererseits war es ein großer Segen, daß Familie Paul Reimer in<br />

Regensburg blieb. Dieses Ehepaar stellte über Jahrzehnte die eigentliche Kraft der Kirche in<br />

dieser Gegend. Die anderen Mitglieder waren entweder zu alt oder zu wenig interessiert, um<br />

mitzuarbeiten. Ohne Familie Reimer hätte die Gemeinde Regensburg geschlossen werden<br />

müssen, was einen Neuanfang sehr erschwert hätte. Familie Reimer hat das Licht in<br />

Regensburg wenn schon nicht am Leuchten, so doch am Glimmen erhalten können.<br />

Ein Tag überaus großer Freude für die getreuen Mitglieder In Europa, und natürlich auch<br />

für die Mitglieder in Regensburg, war die Einweihung des Tempels In Zollikofen bei Bern am<br />

12. September 1955. Daran nahmen aus Regensburg Bruder Paul Reimer, sein Frau Berta und<br />

ihr Sohn Dieter teil. Nun war auch die Möglichkeit gegeben, die Familie Reimer,<br />

einschließlich des im Februar 1945 verstorbenen Sohnes Eckard für Zeit und Ewigkeit zu<br />

verbinden. Diese heilige Handlung wurde am 16. September im neuen Tempel vollzogen.<br />

Am 14. September 1957 begann mit der Ankunft der ersten Missionare seit einem<br />

Vierteljahrhundert ein neuer Abschnitt der Entwicklung in Regensburg. Elders Kenneth<br />

Marion Lowder und Allen J.Oswald begannen ihre Arbeit im Ortsteil Kumpfmühl, was den<br />

erbitterten Widerstand des dort ansässigen katholischen Pfarres von St. Wolfgang<br />

herausforderte. Im Pfarrbrief vom 10. November erschien eine Schmähschrift gegen die<br />

Kirche (siehe Anhang B).<br />

Als Gegengewicht dazu erschien aus Anlaß der Ankunft der Missionare in der<br />

- 65 -


"Regensburger Woche", einer lokalen Tageszeitung, am 7. November ein neutraler bis<br />

wohlwollender Artikel über die Missionare im besonderen und die Kirche im allgemeinen.<br />

(Anhang C)<br />

Im Stadtteil Konradsiedlung hielten die Missionare auf Einladung des evangelischen<br />

Vikars einige Vorträge vor einer Gruppe von Jugendlichen. Der Chef des Vi kars, der Pastor,<br />

scheint aber nicht damit einverstanden gewesen zu sein.<br />

Zu dieser Zeit wurden auch die sonntäglichen Versammlungen aus der Wohnung der<br />

Familie Reimer in ein Nebenzimmer des Hotels Münchner Hof verlegt. Wegen wiederholten<br />

Störungen durch Kellner, die etwas holen oder abstellen mußten, wurde dieses<br />

Versammlungslokal aufgegeben und ab Februar 1958 ein Nebenzimmer der Gaststätte<br />

Thomaskeller Am Römling 12 benutzt. Dieser Raum war am Sonntagmorgen meist<br />

verqualmt und mit Bierdunst gefüllt. überdies verschlief der Wirt oft, sodaß der Raum im<br />

Winter sehr kalt war. Daher wurde Ende Januar 1960 eine kleine Wohnung in der Landshuter<br />

Straße 46 im Parterre von Frau Magdalene Beger gemietet. Es handelte sich um drei kleine<br />

Zimmer, Korridor, WC/Bad und Kellerraum. In Regensburg herrschte immer noch<br />

Wohnungsnot. Daher war es nicht leicht Räume für Versammlungen zu mieten. Frau Beger<br />

erhielt die Erlaubnis der Stadt nur, weil sie das bombenzerstörte Haus mit eignenen Mitteln<br />

wiederaufgebaut hatte.<br />

Da durch Taufen die Mitgliederzahl zunahm, mußten größere Räumlichkeiten gesucht<br />

werden. Seit September 1961 versammeln sich die Mitglieder im zweiten Stock des Hauses<br />

Domplatz 6, dem Dalberg-Palais, das unter Denkmalschutz steht. Zu dieser Zeit war es<br />

allerdings in desolatem Zustand. Die abblätternde Fassade wirkte eher abstoßend. Inzwischen<br />

wurde das Haus außen und innen renoviert. Die Versammlungsräume der Kirche wurden<br />

1981 renoviert, der Abendmahlsraum mit Podium und Teppich versehen und eine<br />

Elektroheizung installiert. Im September 1991 wurden noch weitere Räume neben den 1961<br />

gemieteten dazugemietet, um die durch Taufen und Zuzüge gestiegene Mitgliederzahl<br />

unterbringen zu können. Vor ihrer Benutzung ist allerdings noch eine gründliche Sanierung<br />

nötig.<br />

Die weite Zerstreuung der Mitglieder über das ganze Gemeindegebiet ist nach wie vor<br />

eine große Herausforderung. Das Gemeindeleben konnte dadurch nicht in dem Maße<br />

entwickelt werden, wie es wünschenswert wäre. Auch dadurch konnte die Bekanntheit der<br />

Kirche nicht in ausreichendem Maße gefördert werden. Von Zeit zu Zeit wurden Vorträge<br />

veranstaltet, die teilweise einige Aufmerksamkeit fanden. So wurden 1971 und 1972 die Filme<br />

"Des Menschen Suche nach Glück" und" Der Mormonenpavillion" an der Universität<br />

Regensburg vorgeführt, fanden aber nur sehr geringes Interesse. Nur neun Besucher waren<br />

anwesend.<br />

Eine Veranstaltung am 7. Januar 1985, wieder an der Universität, war da erfolgreicher.<br />

Auf Einladung von Prof. Dr. Hans Schwarz, evangelische Theologie, hielt Bruder Engelbert<br />

Lackner einen 30-minütigen Vortrag über die Geschichte und die Lehren der Kirche.<br />

Anschließend stellte sich August Schubert, der Pfahlpräsident, den Fragen der Studenten. Es<br />

waren 25 Studenten anwesend.<br />

In den letzten Jahren leben wir mit einer neuen Herausforderung, die aber europaweit zu<br />

spüren ist: Die Flüchtlingswellen aus Iran, Ghana, Nigeria, Osteuropa. Zum Unterschied von<br />

der Flüchtlinswelle 1945 geht es heute den Menschen hier ziemlich gut und die Flüchtlinge<br />

sprechen kaum deutsch. Sie sind außerdem auch wieder über das ganze Gemeindegenbiet<br />

- 66 -


verteilt, haben kein Fahrzeug und dürfen nicht reisen. Viele von diesen Menschen sind durch<br />

die Lehren des Evangeliums angezogen und lassen sich taufen. Danach aber machen ihnen<br />

die Mentalitätsunterschiede mit den Deutschen und ihre Verständnisprobleme durch<br />

Sprachschwierigkeiten zu schaffen. Dies ist die aktuelle Herausforderung, deren Bewältigung<br />

erst diejenigen beurteilen können, die nach uns kommen.<br />

Anmerkungen:<br />

[1] Orson Hyde, Brief vom 17. Juli 1841 an Joseph Smith (Journal History, 17. Juli 1841)<br />

[2] Orson Hyde, Ein Ruf aus der Wüste, eine Stimme aus dem Schoose der Erde,<br />

Frankfurt/Main 1842, S.110<br />

[3] Riedel, Geschichte der deutschsprachigen Missionen der Kirche Jesu Christi der<br />

Heiligen der Letzten Tage, erster Band, Salt Lake City 1971, S.382<br />

[4] ibid. S.399<br />

[5] ibid. S.400<br />

[6] ibid. S.401<br />

[7] ibid. S.404<br />

[8] mündliche Aussage von Br. Jurowaty, Nürnberg, erinnert von Paul Reimer,<br />

Regensburg<br />

[9] das folgende entstammt einer von Paul Reimer verfaßten Kurzgeschichte der<br />

Gemeinde Regensburg, 1986 und einem Interview mit Paul Reimer Im September 1991<br />

[10] Brockhaus Lexikon, Band 11, 1987, Stichwort Bayern<br />

- 67 -

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!