ORSON HYDE
ORSON HYDE
ORSON HYDE
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<strong>ORSON</strong> <strong>HYDE</strong><br />
Eine kurze Biographie<br />
Donald Q. Cannon<br />
Associate Dean of Religious Education Brigham Young Universität<br />
Orson Hyde wurde am 8. Januar 1805 in Oxford im US Staat Connecticut geboren. Er<br />
wurde im selben Jahr und in demselben Gebiet der Vereinigten Staaten geboren wie Joseph<br />
Smith, der Gründer der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Viele der Führer<br />
in der Frühzeit der Mormonenkirche kamen aus Neu England. Es war das Saatbeet des<br />
Mormonismus.1<br />
Als Hyde noch Kind war, starb seine Mutter und er mußte, so wie der zweite Führer der<br />
Kirche, Brigham Young, mutterlos aufwachsen. Nicht lange danach, als er zwölf Jahre alt war,<br />
starb sein Vater ebenfalls. Vielleicht hat der Verlust seiner Eltern ihn dazu gezwungen,<br />
Selbstvertrauen und Unabhängigkeit zu entwickeln, die für ihn sehr charakteristisch wurden.<br />
2<br />
Im Alter von vierzehn Jahren zog er mit seinem Pflegevater Nathan Wheeler und dessen<br />
Familie nach Ohio. Nachdem Hyde vier Jahre lang auf dem Hof der Familie Wheeler<br />
gearbeitet hatte, fand er Arbeit im Laden von Gilbert und Whitney in Kirtland.<br />
Im Jahre 1827, während einer Zeltversammlung der Methodisten, wurde er zu deren<br />
Glauben bekehrt und zum Lehrer bei den Methodisten ernannt. Später schloß er sich der<br />
Glaubensgemeinschaft der Campbelliten an, einer Wiederherstellungsbewegung, die sich die<br />
Wiederherstellung des neutestament-lichen Christentums als Ziel gesetzt hatten und der auch<br />
Sidney Rigdon angehörte. Hyde diente später als Pastor der Gemeinden in den umliegenden<br />
Ortschaften Orson Hyde lernte 1830 den Mormonismus und das Buch Mormon kennen, als<br />
einige deren Missionare in dem Gebiet, wo er wohnte, zu den Indianern predigte.<br />
Nachdem er es gelesen hatte, erklärte er, das Buch Mormon sei erdichtet. Die<br />
Campbelitten forderten ihn auf, gegen das Buch Mormon zu predigen. Aber dieser Auftrag,<br />
sein Gebet und Studium führten ihn dazu, an das Buch zu glauben und sich zum<br />
Mormonismus zu bekehren. Auf diese Weise wurde er durch das Buch Mormon zum<br />
Mormonismus gebracht und schloß sich damit hunderten von anderen an, die durch diese<br />
heilige Schrift bekehrt worden waren. 4<br />
- 1 -
Sidney Rigdon, bereits ein Mormone, taufte Orson Hyde am 30. Oktober 1831 und<br />
ordinierte ihn gleichzeitig zum Amt eines Ältesten. Am 1. November 1831 empfing Hyde,<br />
zusammen mit drei Anderen, eine Offenbarung durch Joseph Smith. Ein Auszug aus dieser<br />
Offenbarung, auf ihn Bezug nehmend, folgt:<br />
Mein Knecht Orson Hyde wurde mit seiner Ordinierung berufen, das immerwährende Evangelium durch<br />
den Geist des lebendigen Gottes zu verkündigen - von Volk zu Volk und von Land zu Land, in den<br />
Zusammenkünften der Schlechten, in ihren Synagogen, daß er mit ihnen darüber rede und ihnen all heilige<br />
Schrift erläutere. (LuB 68:1)<br />
Obwohl das Wort "Synagoge" auch anderswo im Buch Lehre und Bündnisse und im<br />
Buch Mormon verwendet wird, ist sein Gebrauch in einer Offenbarung für Orson Hyde<br />
bemerkenswert. Da er dazu bestimmt war, unter den Juden eine wichtige Aufgabe zu<br />
verrichten, sind die Worte "in ihren Synagogen" vielleicht eine Andeutung seiner zukünftigen<br />
Aufgabe und nicht nur ein allgemeiner Hinweis auf ein Kirchengebäude.<br />
Im Frühjahr des Jahres 1832 trat Orson Hyde seine erste Mission an. Sein erster<br />
Mitarbeiter war der jüngere Bruder Joseph Smiths, Samuel Smith. Im ganzen erfüllte er<br />
mindestens zwölf Missionen.<br />
Diese beiden Ältesten legten in den Staaten Pennsylvanien, New York, Connecticut,<br />
Rhode Island, Massachusetts, New Hampshire und Maine 4800 km zurück und das meistens<br />
zu Fuß. Diese Mission brachte viele Enttäuschungen mit sich, besonders weil seine Lehren<br />
von Mitgliedern seiner eigenen Familie abgelehnt wurden. Hyde war ganz besonders darüber<br />
enttäuscht, daß sein Bruder Ashael das Evangelium nicht annahm. Seine Enttäuschung<br />
kommt in diesen Worten zum Ausdruck:<br />
"Diese war eine der mühsamsten und schwierigsten Missionen, die jemals in der Kirche erfüllt wurden.<br />
Wir wurden oftmals abgewiesen." 5<br />
Dennoch war seine Mission in vieler Hinsicht erfolgreich. Samuel Smith und Orson<br />
Hyde eröffneten die Missionsarbeit im Staate Maine, tauften mehr als sechzig Personen, und<br />
gründeten vier Gemeinden der Kirche: eine in Maine, zwei in Massachusetts und eine in<br />
Pennsylvanien. 6<br />
In diesen ersten Jahren seiner Mitgliedschaft in der Mormonenkirche entwickelte Orson<br />
Hyde einen guten Ruf als Gelehrter und Lehrer des Evangeliums. Die Mitglieder sahen in<br />
ihm einen der überzeugendsten und interessantesten Sprecher in der ganzen Kirche. Er<br />
- 2 -
verbrachte so viel Zeit mit der Bibel, daß er später sagte, er habe die Bibel in drei Sprachen,<br />
nämlich englisch, deutsch und hebräisch, auswendig gelernt. leider scheint es dafür wenig<br />
Beweise zu geben. Man muß Orson glauben. 7<br />
Im Jahre 1834 hatte Orson Hyde eine einzigartige Gelegenheit: Er wurde berufen, mit<br />
dem Zionslager, einer militärischen Einheit zu marschieren, die organisiert worden war, um<br />
das Land im Landkreis Jackson, im Staate Missouri, von dem die Heiligen vertrieben worden<br />
waren, wieder zurückzugewinnen. Hyde rekrutierte Truppen und sammelte Geld in den<br />
Staaten Pennsylvanien und New York für diesen Marsch. Sobald die Truppen rekrutiert und<br />
das Geld gesammelt waren, marschierte das Zionslager fast 1600 Kilometer von Ohio nach<br />
Missouri. Orson Hyde marschierte mit. Als es offensichtlich wurde, daß es ihnen nicht<br />
möglich sein würde, ihr Land in Missouri zurückzugewinnen, wurden zwecks Verhandlungen<br />
Repräsentanten zu der staatlichen Regierung von Missouri gesandt. Joseph Smith wählte<br />
Parley P. Pratt und Orson Hyde als Verhandlungspartner mit Gouverneur Dunklin. Hyde<br />
stellte fest, daß Dunklin nicht helfen wollte, weil er einen Bürgerkrieg befürchtete. Zu guter<br />
letzt wurde das Zionslager aufgelöst, und die Mitglieder gingen nach dem Staate Ohio zurück.<br />
Obwohl das Zionslager nicht in der Lage war, das Eigentum der Heiligen in Missouri<br />
zurückzugewinnen, erfüllte es eine wichtige Aufgabe: Es unterzog diejenigen, die später<br />
Kirchenführer werden sollten, einer Prüfung und traf unter ihnen eine Auswahl. Orson Hyde<br />
hat seine Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit ausgeführt und wurde später ein wichtiger<br />
Kirchenführer.8<br />
Während der nächsten beiden Jahre ereigneten sich zwei sehr wichtige Dinge im Leben<br />
Orson Hydes. Am 4. September 1834 heiratete er Marinda Nancy Johnson, die aus der<br />
berühmten Familie von John Johnson aus Hiram im Staate Ohio stammte. Am 15. Februar<br />
1835 wurde er als einer der ursprünglichen Zwölf Apostel berufen. Dieses zweite Ereignis<br />
war der Anlaß für Hyde, den Rest seines Lebens der Kirche zu dienen. 9<br />
Ein wichtiger Teil dieses Dienstes war die Berufung als einer der ersten beiden Apostel-<br />
Missionare nach Großbritannien in den Jahren 1837-38. Hyde erlebte die Erfolge und auch<br />
die Mißerfolge dieser wichtigen Missionsbemühungen. Zum Beispiel war er unter denen, die<br />
von bösen Geistern in Preston angegriffen wurde. Er trug ebenfalls dazu bei, zahllose<br />
britische Mitglieder zu bekehren und zu taufen. 10<br />
Die Ereignisse der Jahre 1838 und 39 in Missouri waren der Anlaß für eine atypische und<br />
unglückliche Ära im leben Orson Hydes: er wurde nämlich Opfer einer Abfallsflut. Hyde ließ<br />
sich durch den Abfall anderer, wie zum Beispiel der Drei Zeugen, beeinflußen. Er war<br />
ebenfalls durch die intensiven Verfolgungen in Missouri entmutigt. In diesem Zustand des<br />
Abfallens verlor er seinen Glauben an Joseph Smith und unterschrieb eine von Thomas B.<br />
Marsh verfaßte eidesstattliche Erklärung, in der falsche Anklagen von Bürgern von Missouri<br />
gegen die Mormonen bestätigt und dadurch Kirchenmitglieder in Missouri gefährdet wurden.<br />
Diese bedauerliche Handlungsweise führte zum Kirchenausschluß Hydes am 16. Januar 1839.<br />
Glücklicherweise erlangte er seinen Glauben wieder, bat um Wiederaufnahme in die Kirche,<br />
ein Ansinnen, dem auch stattgegeben wurde, und er wurde sogar wieder als Mitglied des<br />
Kollegiums der Zwölf aufgenommen. Dies wurde in der Generalkonferenz im Oktober 1839<br />
bestätigt. 11<br />
Eine der wichtigsten Aufgaben seines Lebens erfüllte er in den Jahren 1840 - 1842. Ich<br />
meine damit seine Mission nach Europa und dem Nahen Osten, während der er das Heilige<br />
- 3 -
Land für die Sammlung der Juden weihte. Da dieses Thema ausführlich von Professor Tobler<br />
und Professor Van Orden abgehandelt wird, werde ich bis auf einen Punkt nicht weiter<br />
darauf eingehen.<br />
Eine sehr interessante Frage im Zusammenhang mit seiner Mission nach Palästina betrifft<br />
Orson Hydes Abstammung. War er Jude? Myrtle Hyde, die Familienhistorikerin und<br />
Genealogin der Familie Hyde, behandelt diese interessante Frage in einer Abhandlung, die sie<br />
1985 schrieb. 12<br />
Sie erklärt, daß viele Heilige der letzten Tage fragen, ob Hyde Jude war oder nicht. Sie<br />
erwarten ein Ja. Die knappe Antwort der Frau Hyde ist, daß wir es nicht wissen. Ihre<br />
ausführliche Antwort ist aber viel komplizierter. Diese vollständigere Antwort, erfordert die<br />
Überprüfung der geschichtlichen Quellen der Heiligen der Letzten Tage.<br />
In der History of the Church, Band 4, Seite 375, ist ein Brief Orson Hydes an den<br />
Rabbiner, Dr. Hirschell. Hyde schrieb diesen Brief bei einem Zwischenaufenthalt in London<br />
als er auf dem Wege nach Jerusalem war, um das Land für die Rückkehr der Juden zu weihen.<br />
Der Adressat des verfaßten Briefes war der Rabbiner Hirschell, Präsident der Hebräischen<br />
Gesellschaft von England. Im entscheidenden Teil des Briefs schreibt er:<br />
Vor ungefähr neun Jahren [also im Jahre 1832], legte ein junger Mann, den ich erst kurz vorher<br />
kennengelernt hatte [Joseph Smith], der voll von Weisheit und Erkenntnis war -- und dem der Allmächtige<br />
viele Geheimnisse anvertraut hatte, seine Hände auf mein Haupt und sagte diese bemerkenswerten Worte:<br />
"zur rechten Zeit sollst du nach Jerusalem gehen, dem Land deiner Väter, und ein Wächter des Hauses Israel<br />
sein."<br />
Den zweiten Punkt, auf den Frau Hyde hinwies, finden wir in der Comprehensive History<br />
of the Church, von B. H. Roberts. Im Band 2, auf Seite 45 steht: "Ältester Hyde war anscheinend<br />
ein Nachkomme des Stammes Juda." Die Quellenangabe ist derselbe Brief, der in der History of<br />
the Church angegeben ist. Myrtle Hyde stellt fest, daß Roberts diese Feststellung mit dem<br />
Wort "anscheinend" wiedergibt.<br />
Joseph Fielding Smith schreibt in seinem Buch Wichtiges aus der Kirchengeschichte<br />
(Essentials of Church History), daß Apostel Hyde von dem Hause Juda kam." (Ausgabe von<br />
1971, Seite 259). Seine Quelle ist wiederum der Brief an den Rabbiner Hirschell. Der Apostel<br />
LeGrand Richards schrieb in seinem Buch Israel Do You Know?, daß der Apostel Orson<br />
Hyde "ein Nachkomme von Juda sei." (Ausgabe von 1973, S. 194).<br />
Eine andere wichtige Quelle für Heilige der Letzten Tage ist der Patriarchalische Segen -<br />
ein Segen, zu dem jedes würdige Mitglied berechtigt ist. Patriarchalische Segen helfen im<br />
allgemeinen mit Fragen in Bezug auf jemandes Abstammung, weil sie normalerweise eine<br />
Aussage bezüglich der Abstammungslinie enthalten. Im Falle von Hyde gibt es allerdings ein<br />
Problem. Der erste Segen ist verloren gegangen; in dem zweiten ist keine Abstammungslinie<br />
enthalten.<br />
Als Genealogin der Familie Hyde, hat Frau Hyde dreiviertel der Abstammungslinien von<br />
Orson Hyde auf Einwanderer nach New England zurückgeführt. Ein jeder von ihnen war<br />
englischer Abstammung; keiner von ihnen war jüdisch. Wir sollten jedoch festhalten, daß ein<br />
Viertel der Vorfahren unbekannt sind.<br />
Einer der Hauptbeweise seitens Hydes, der gegen seine jüdische Abstammung spricht, ist<br />
eine Feststellung in einem Buch, das im Jahre 1842 veröffentlicht wurde. Auf seiner<br />
Rückreise von Jerusalem arbeitete er in Regensburg an einem Buch mit dem Titel Ein Ruf aus<br />
- 4 -
der Wüste, eine Stimme aus dem Schoose der Erde (A Cry from the Wilderness, A Voice<br />
from the Dust of the Earth) und veröffentlichte es später in Frankfurt. In diesem Buch<br />
schreibt Hyde über sich: "Ich bin kein Jude, noch bin ich der Sohn eines Juden; aber ein Freund der<br />
Juden."<br />
Myrtle Hyde steht sich widersprechenden Beweisen gegenüber und gibt daher eine<br />
vorläufige, aber genaue Antwort: "wir wissen es nicht." Die Abstammung Hydes verbleibt<br />
daher ungewiss.<br />
Nach seiner Rückkehr nach Nauvoo fing er 1843 an in Vielehe zu leben. Seine erste<br />
Frau, Marinda, gab ihre Zustimmung zu seiner Eheschließung mit Martha R. Browett und<br />
Mary Ann Price. Dadurch nahm er an einem der bekanntesten, aber am wenigsten<br />
verstandenen frühen Bräuche des Mormonismus teil.13<br />
Als andere Heilige aus Nauvoo vertrieben wurden, blieb Orson Hyde zurück um die<br />
Vollendung und Einweihung des Nauvoo Tempels zu beaufsichtigen. Diese Einweihung fand<br />
am 30. April 1846 statt. Diese Vollendung und Einweihung des Tempels nach dem Wegzug<br />
der Mormonen von Nauvoo, ist Beweis für die ewige Bedeutung der Tempel für die Heiligen<br />
der Letzten Tage. 14<br />
Während der Zeit, in der Hyde in Nauvoo verblieb, und die Mormonenpioniere auf den<br />
Steppen lowas waren, schrieb er mehrere Briefe an Brigham Young. Der Schriftwechsel<br />
zwischen Hyde und Young hatte einige Jahre vorher begonnen und wurde bis zum Tode<br />
Präsident Young's im Jahre 1877 fortgesetzt. Dieser Schriftwechsel ist aus mehreren Gründen<br />
sehr bedeutsam. Er ist Beweis ihrer Freundschaft und ihrer Zusammenarbeit. Er zeigt<br />
ebenfalls Hydes Einfluß auf Brigham Young. Schließlich verschafft er uns Einblicke in die<br />
Persönlichkeit von Orson Hyde. Hier einige kurze Auszüge, um diesen letzten Punkt zu<br />
illustrieren. Als er sich nach seiner Übertretung in Missouri außerhalb der Kirche befand,<br />
schrieb er einen Brief, in dem er um Vergebung bat. Das folgende Beispiel ist aus diesem<br />
Brief:<br />
Die strafende Hand des Herrn hat für mich das getan, was, so meine ich, sonst nichts hätte tun können.<br />
Wenn die Kirche mich als einen Pfarrer oder als einen Soldaten oder einen Türhüter haben möchte, so kann<br />
sie mich haben. Ich brauche Dir nicht zu schreiben, daß ich buchstäblich gestorben und von den Toten<br />
auferstanden bin, seit ich in Far West verloren war. Ich werde aber mehr darüber sagen, wenn ich Dich wieder<br />
persönlich treffe. Behalte diesen Teil bitte für Dich.<br />
Brigham, wirst Du mir vergeben? Wird die Kirche mir vergeben? Wenn ja, wird Gott mir auch vergeben.<br />
(Orson Hyde an Brigham Young, 30. März 1839, New Franklin, Missouri, LOS Church<br />
Archives, Satt Lake City .)15<br />
Er versuchte nicht, über Schwierigkeiten zu klagen, die das Leben der Pioniere in den<br />
Grenzgebieten mit sich brachte, aber seine Gefühle kamen dennoch zum Ausdruck, wie der<br />
folgende Brief zeigt.<br />
Ich schaffte es in zwölf Tagen vom Steilufer nach hier zu reisen. Aber, oh<br />
weh! auf einem Pferd über die Prärie zu reisen, der kalte Wind bläst einem 450 Meilen lang ins Gesicht,<br />
Ich will nichts darüber sagen, noch wie sehr mir von den Waden bis hinauf zum höchsten Ehrensitz im Sattel<br />
alles wund war.<br />
(Orson Hyde an Brigham Young, 28. Dezember 1847, St. Louis, Missouri, LDS Archives.)<br />
Seine farbenprächtige Persönlichkeit kommt in dieser Aussage in einem Brief zum<br />
Ausdruck, wo er sagt, was mit Pferdedieben in lowa getan werden sollte.<br />
- 5 -
Etwas muß mit diesen Männer getan werden, und zwar sehr bald oder wir werden in die Luft gejagt,<br />
bevor wir unseren Marsch in die Berge antreten können. Wir haben gesehen, wie sich Soldaten und Pferde zu<br />
diesem Zweck versammelt haben. Was soll mit diesen Männern geschehen? Sollen wir sie alle oder einige von<br />
ihnen verhaften und festhalten bis wir nach Missouri kommen und sie entsprechend benachrichtigen; oder sollen<br />
wir ihre Schwänze hinter ihren Ohren abschneiden und sie nach Hause schicken?<br />
(Orson Hyde an Brigham Young, 14. März 1848, Miller's Valley, lowa, LOS Archives.)<br />
Hyde gab Brigham Young oftmals politischen Rat, selbst wenn er nicht darum gebeten<br />
worden war. In einem Kommentar über Utah als zukünftigen Bundesstaat schrieb er z.B.<br />
1849:<br />
So sehr wir es wünschen, daß die Frage der Sklaverei gelöst wird, und so viel uns auch daran liegt, daß<br />
diese Regierung unvergängliche Gesetze auf dem Gebiet der bürgerlicher Gesetzgebung erläßt, so können wir<br />
doch nicht sehen, daß unsere Union des Salzsees und der Bevölkerung auf der westlichen Seite der Berge, zu<br />
wünschenswerten Ergebnissen mittels Gründung einer staatlichen Regierung beitragen würde.<br />
(Orson Hyde an Brigham Young, 12. Juni 1849, Kanesville, lowa, LDS Archives.)<br />
Er brachte seine Treue zur Kirche mit den folgenden Worten zum Ausdruck:<br />
Ich bin Orson und schreibe im allgemeinen so wie ich denke. Ich habe dennoch keine andere Gefühle in<br />
mir als vollkommene Loyalität gegenüber den Authoritäten der Kirche und des Gottesreiches.<br />
(Orson Hyde an Brigham Young, 26. April 1850, Kanesville, lowa, LDS Archives.)<br />
Nachdem Orson Hyde Nauvoo verlassen und im Missouriflußtal angekommen war,<br />
wurde er auf eine zweite Mission nach England berufen. Ein Grund für diese Berufung war<br />
die Untersuchung des ungehörigen Verhaltens von Reuben Hedlock, der die Joint Stock<br />
Company (Gemeinsame Aktien Gesellschaft), die für die Auswanderung der Heiligen der<br />
Letzten Tage verantwortlich war, nicht sauber verwaltet hatte. Während seiner Mission nach<br />
England diente der Apostel Hyde als Herausgeber des Millennial Star, der bedeutendsten<br />
ausländischen Kirchenzeitschrift. In seinem ersten Leitartikel erklärte er, warum drei Apostel<br />
(Orson Hyde, Parley P. Pratt und John Taylor) nach England gekommen waren, nämlich um<br />
die Probleme mit der Auswanderungsgesellschaft zu lösen. Während seines viermonatlichen<br />
Dienstes als Herausgeber schrieb er die meisten Artikel und Kommentare im Millennial Star.<br />
Dies war die letzte Überseemission Orson Hyde's, und sie war sehr erfolgreich. 16<br />
Nach Rückkehr von seiner zweiten Mission nach Großbritannien trug Orson Hyde zum<br />
Auszug der Mormonenpioniere dadurch bei, daß er über die Heiligen in lowa präsidierte. Sein<br />
Hauptquartier war in Kanesville, heute Council Bluffs, in dem Missouriflußtal, das nach dem<br />
"Freund der Mormonen," Thomas L. Kane, benannt worden war. Dort, im Heim von Orson<br />
Hyde, wurde Brigham Young zum ersten Mal einstimmig als Präsident der Kirche anerkannt.<br />
Es war in der Tat Orson Hyde, der vorschlug, daß Brigham Young als Präsident der Kirche<br />
anerkannt werden sollte. In der gleichen Versammlung wurde Orson Hyde das älteste<br />
Mitglied des Rates der Zwölf und Präsident. Er hielt dieses Amt dreißig Jahre lang inne,<br />
länger als irgend jemand anders in dieser letzten Evangeliumszeit. Zusätzlich zu seinen<br />
kirchlichen Pflichten hatte Orson Hyde zahlreiche zeitliche Pflichten zu erfüllen. Er war für<br />
den Verkauf und die Verteilung von Grundstücken zuständig, für den Bau öffentlicher<br />
Gebäude, für die Ausrüstung von Pionierkompanien nach dem Westen, und ebenfalls für die<br />
Handhabung der Durchreisenden, die nicht Mormonen waren, wie zum Beispiel alle die, die<br />
wegen des Goldrausches nach Kalifornien wollten. Er war in anderen Worten die höchste<br />
- 6 -
Autorität sowohl zeitlichen als auch kirchlichen Angelegenheiten in Kanesville. 17<br />
Eine der interessantesten Dimensionen seiner Tätigkeiten in Kanesville hatte mit der<br />
Veröffentlichung der Mormonenzeitung Frontier Guardian zu tun. Sie wurde in den Jahren<br />
1849 bis 1852 herausgegeben, im ganzen etwa einhundert Ausgaben. Der Frontier Guardian<br />
war eine richtiggehende Zeitung, obwohl sie in einer kleinen Grenzstadt herausgegeben<br />
wurde. Sie wurde halbmonatlich unter dem vollständigen Titel The Frontier Guardian und<br />
lowa Sentinel herausgegeben. Der Name Orson Hydes erscheint als Herausgeber und<br />
Eigentümer. Der Guardian hatte Agenturen in verschiedenen Städten in den Vereinigten<br />
Staaten und war daher kein unbedeutendes Unternehmen. 18<br />
Wie es in jener Zeit üblich war, druckte der Frontier Guardian Artikel aus anderen<br />
Zeitungen, und zwar aus den Vereinigten Staaten und aus Übersee, besonders aus Europa, ab.<br />
In dem Guardian waren Artikel aus anderen Kirchenveröffentlichungen, wie z.B. der<br />
Millennial Star in England, und nicht-mormonische Zeitungen wie dem New York Atlas.19<br />
Orson Hyde's Vorliebe für religiöse Themen wird durch die große Anzahl an Artikeln<br />
belegt, die er über den religiösen Glauben der Mormonen druckte. Oftmals druckte er Artikel<br />
von Times and Seasons ab, einer Zeitung in Nauvoo, die in den 1840ger Jahren während des<br />
Aufenthalts der Heiligen in Nauvoo veröffentlicht worden waren. Die Ausgabe vom<br />
Mittwoch, dem 6. April 1850, enthielt zum Beispiel einen Artikel unter dem Titel: "Sind der<br />
Vater und der Sohn Zwei Getrennte Persönlichkeiten?" Der recht lange Artikel wird in<br />
diesem Absatz zusammengefasst:<br />
Wir zögern nicht, diese Frage mit "ja" zu beantworten. Alle Offenbarungen, sowohl in alter und in neuer<br />
Zeit, die je etwas darüber zu sagen hatten, haben den Vater und den Sohn als zwei getrennte Wesen<br />
dargestellt.<br />
Dieses große Interesse an der Religion hat jedoch nicht Nachrichten, die auf staatlicher,<br />
nationaler oder selbst internationaler Ebene von Interesse waren ausgeschlossen. Am<br />
Mittwoch, den 6. März 1850, zum Beispiel, nahm er einen ins einzelne gehenden Bericht über<br />
die Debatten im Kongress bezüglich der Zulassung Kaliforniens als Bundesstaat,<br />
einschließlich der von Henry Clay vorgeschlagenen Resolutionen, auf.<br />
Von persönlichem Interesse für den Apostel Hyde sind die Entwicklungen im Nahen<br />
Osten. Dies wird durch einen Artikel mit dem Titel "Juden, Judäa und Christentum," gezeigt,<br />
der auf der Titelseite der Ausgabe vom Mittwoch, dem 20. März 1850 erschien. Eine<br />
Schlüsselpassage lautet darin: "Die Juden befinden sich in einer sehr günstigen Lage, nämlich das<br />
verheißene Land wieder für sich in Besitz zu nehmen."<br />
Wie zu erwarten enthielt der Guardian viele Geschichten bezüglich der Ereignisse in<br />
Utah. Am Mittwoch, den 23. Januar 1850, zum Beispiel, veröffentlichte er die Geschichte<br />
vom Seemövenwunder, als die Seemöven auf wundersame Weise die Ernten der Heiligen<br />
retteten, indem sie im Frühjahr 1848 Horden von Heuschrecken verschlangen.<br />
Lokale Nachrichten wurden ebenfalls mit eingeschlossen. Die Ausgabe vom 23. Januar<br />
1850 enthielt eine Geschichte von einer Sägemühle in Kanesville, die von dem Mormonen,<br />
Amos Jackson, betrieben wurde. Jackson hatte jahrelang daran gearbeitet, eine Sägemühle zu<br />
entwickeln, die zum großen Teil durch das Gewicht des zu sägenden Baumstammes<br />
angetrieben wurde, und nicht durch Dampf- oder Wasserkraft.<br />
Alles in allem, der Frontier Guardian demonstrierte die Fähigkeiten des Apostels Hyde als<br />
Journalist und Unternehmer. Er war ein sehr fähiger Herausgeber einer Zeitung und auch<br />
- 7 -
Kirchenführer in einer wichtigen Grenzstadt.<br />
Nachdem Orson Hyde Kanesville verlassen hatte und nach Utah kam, engagierte er sich<br />
sehr für die Kolonisierung dieses neuen Landes. Die Kolonisierung Hyde's beschränkte sich<br />
auf drei Gebiete: Wyoming, Nevada und den Sanpete Bezirk in der Mitte Utahs. Durch seine<br />
Arbeit in diesen Gebieten half der Apostel Hyde dem "großen amerikanischen Kolonisator ,"<br />
Brigham Young in sehr beachtlichem Maße. Es war Brigham Youngs Praktik, Apostel in<br />
abgelegene Gebiete zu senden, um dort zu präsidieren. Brigham sandte z.B. Amasa Lyman<br />
und Charles C. Rich nach San Bernardino in Kalifornien. Obwohl Brigham Young and Orson<br />
Hyde nicht immer gleicher Meinung waren, trugen sie doch beide dazu bei den Westen zu<br />
kolonisieren.<br />
Die Kolonisierungsbemühungen in Wyoming sollten die Grundlage für die Einwanderung<br />
der Mormonen und die Missionsarbeit bilden. Ferner sollten sie auch als Basis für eine<br />
Raststätte für den Transport und die Post dienen. Man machte auch Versuche um<br />
herauszufinden, ob Getreide auf einer Höhe von 2.200 Metern über dem Meeresspiegel<br />
wachsen würde. Hyde und andere suchten sich eine Stelle für ihre Ansiedlung aus, die ca. 18<br />
Kilometer in südwestlicher Richtung von Fort Brigder entfernt war. Sie nannten die<br />
Ansiedlung Fort Supply. Die extrem kalten Winter verlangten ihren Tribut bei den Ansiedlern<br />
als auch bei den Tieren. Ein Nebenprodukt der Kolonisierung Wyomings war die<br />
Missionsarbeit unter den Indianern. 20<br />
Anfang 1855 wurde Orson Hyde berufen, die Carson Valley Mission im westlichen Teil<br />
Nevadas, in der Nähe des heutigen Reno, zu leiten. Mormonische Ansiedler waren schon seit<br />
geraumer Zeit in diesem Gebiet. In der Tat waren die Mormonenansiedlungen im Carson<br />
Valley die ersten festen Ansiedlungen in Nevada. Als Orson Hyde 1855 dort ankam, war er<br />
beauftragt, das Oberhaupt der Kirche in diesem Teil Nevadas zu sein und die<br />
Angelegenheiten der Kirche zu regeln. 21<br />
Eine seiner Haupterrungenschaften in der Frühzeit der Ansiedlung war eine<br />
Baumfällaktion und der Bau einer Sägemühle. Beim Überqueren der Sierra-Nevada Berge<br />
verlor Hyde in einem Schneesturm fast sein Leben, was den rauhen Charakter dieser Berge<br />
zeigt. Aufgrund des Utahkrieges wurden Hyde und die Ansiedler nach Utah zurückgerufen.<br />
Deshalb wurde die Carson Valley Mission 1857 geschlossen. 22<br />
Am Ende der 1850er Jahre ordnete Brigham Young an, daß die Apostel in den entfernt<br />
gelegenen Gebieten unter den Heiligen leben sollten, um die Heiligen dort zeitlich und geistig<br />
zu stärken. Als Teil dieser neuen Richtlinie berief Brigham Young Orson Hyde, über den<br />
Sanpete-Sevier Distrikt zu präsidieren. Es gab in diesem Gebiet beträchtliche Schwierigkeiten<br />
mit den Indianern und Hyde wurde beauftragt, diese Probleme zu lösen und auch die Kirche<br />
geistig zu leiten. 23<br />
Hyde baute sein erstes Haus in Manti, einer der ältesten Ansiedlungen in diesem Gebiet.<br />
Später baute er ein Haus in Spring City, einige Meilen nördlich von Manti. Dieses Haus steht<br />
noch heute. Es ist ein großes, zweistöckiges Gebäude, das er aus einheimischem Kalkstein<br />
gebaut hatte. Er bestellte ebenfalls seine Felder, während er in Spring City wohnte.<br />
Während dieser Jahre in Spring City verbrachte Orson Hyde einen großen Teil seiner<br />
Zeit damit, die Probleme mit den Indianer zu lösen. Es gab oftmals Aufstände unter den Ute,<br />
Paiute und San Pitch Indianern. Die Indianeraufstände in den 1860ern im Sanpete Bezirk<br />
waren ein Teil eines größeren allgemeinen Konflikts, der als der Black Hawk Krieg<br />
- 8 -
ezeichnet wird. Der Häuptling der Ute Indianer, Black Hawk, war durch die Einwanderung<br />
der weißen Ansiedler in ihre Heimat sehr bestürzt und hielt 1863 mit anderen<br />
Indianerhäuptlingen eine Ratsversammlung, um über ihr Vorgehen zu entscheiden. Die Utes,<br />
Navajos, Paiutes und San Pitch Indianer nahmen dann auch daran teil. 1865 tätigten sie<br />
verschiedene Angriffe auf Ansiedlungen im Sanpete Bezirk. Die Indianer, die von ihrem Land<br />
vertrieben und von Krankheit heimgesucht worden waren, rächten sich an den<br />
mormonischen Ansiedlern, die für diese Ungerechtigkeit verantwortlich waren. Ungefähr<br />
fünfzig der mormonischen Ansiedler wurden getötet. Einige Dörfer in Südutah, wie Richfield<br />
und Circleville, wurden im Lauf des Krieges aufgegeben. 25<br />
Orson Hyde war besonders bedrückt, als die Indianer das Fort Ephraim im Oktober<br />
1865 angriffen, wobei fünf der Ansiedler getötet wurden. Durch dieses Ereignis wurde er<br />
dazu bewegt, die Heiligen anzuweisen, sich besser zu bewaffnen und Befestigungen zu<br />
errichten. Dies half bis zu einem gewissen Grad, aber die Indianer griffen immer noch an.<br />
1869 wurde endlich eine Friedenskonferenz im Fort Ephraim abgehalten, an der Orson<br />
Hyde, Bischof Johnson, Bischof Peterson und zwei der Indianerhäuptlinge, Black Hawk und<br />
Tam-a-rits, teilnahmen. Die getroffene Vereinbarung half, die Anzahl der Indianerangriffe<br />
gegen die Ansiedler zu vermindern. Schließlich kam Frieden in dieses Gebiet. 26<br />
Obwohl Apostel Hyde ein Mitglied des Rates der Zwölf war, diente er, während er in<br />
Spring City wohnte, ebenfalls als Präsident des Sanpete Pfahles. In dieser Rolle arbeitete er<br />
nicht nur auf seinem Hof und an den Beziehungen mit den Indianern, sondern arbeitete auch<br />
daran, die Geistigkeit der Heiligen in seinem Pfahl zu erhöhen. Er überwachte die<br />
Gemeinden, hielt Konferenzen und sprach oftmals zu den Heiligen. Ein Thema, das er<br />
besonders betonte, war das Familiengebet.27<br />
Als er im Sanpete Bezirk predigte, war er ein sehr erfahrener Prediger. Er hatte Hunderte<br />
von Ansprachen zu vielen verschiedenen Themen gegeben. Hier sind einige kurze Auszüge<br />
aus diesen Predigten:<br />
Gott<br />
Denkt daran, daß Gott, unser Himmlischer Vater, vielleicht auch einmal ein Kind war, ein irdischer<br />
Mensch wie wir, und er stieg Schritt für Schritt auf der Waage des Fortschritts, in der Schule des Aufstiegs<br />
auf; er ging vorwärts und<br />
überwandt, bis Er an dem Punkt angekommen ist, wo Er jetzt ist. 28<br />
Engel<br />
. . . Engel werden in dem Werk der letzten Tage teilnehmen. Was werden sie tun? Der Erretter sagte:<br />
"Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun<br />
die Leute schi iefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg." Er ließ sie beide<br />
wachsen bis zur Ernte; dann wird er "den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in<br />
Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune." Der Acker ist die Welt. Wer sind<br />
die Arbeiter? Die Engel sind die Arbeiter. 29<br />
Viele Wohnungen<br />
- 9 -
. . . "Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen." Der Glanz der Sonne ist anders als der Glanz<br />
des Mondes, anders als der Glanz der Sterne; denn auch die Gestirne unterscheiden sich durch ihren Glanz.<br />
So ist auch mit der Auferstehung der Toten. (1. Kor. 15:41-42)<br />
Die Kinder dieser Welt, die die Dunkelheit mehr lieben als das Licht, werden sich letzten<br />
Endes als Bewohner jener Planeten wiederfinden, die sich in der äußersten Dunkelheit<br />
bewegen; sie haben ein Heim, das ihrem Charakter und ihrer Veranlagung angepasst ist.<br />
Die inspirierten Apostel und Propheten, zusammen mit den Märtyrern Jesu, und all den<br />
Reinen und Geheiligten, werden eine Herrlichkeit der Sonne gleich ererben . . . 30<br />
Verfassung<br />
Nun möchte ich einige Worte in Bezug auf die Verfassung der Vereinigten Staaten sagen. Unser Volk<br />
mißt der Verfassung der Vereinigten Staaten große Heiligkeit zu; das ist richtig und gut. Die Verfassung ist<br />
gut genug, genau so wie irgendetwas anderes, das den Zweck seiner Erschaffung erfüllt, wenn dieser Zweck gut<br />
ist. 31<br />
Mit den Jahren wurde die Familie Orson Hydes sehr groß. Da er die Vielehe praktizierte,<br />
hatte er neun Frauen und war der Vater von 32 Kindern, das jüngste geboren 1874, nur vier<br />
Jahre vor seinem Tod. 32<br />
In seinem Leben diente Hyde der Kirche mit Leib und Seele. Der erste Tempel in Utah,<br />
der St. George Tempel, wurde vor seinem Tod fertiggestellt. Orson sprach anläßlich der<br />
Einweihung dieses heiligen Gebäudes am 5. April 1877. Während dieser Ansprache gab er<br />
Zeugnis von der göttlichen Berufung Brigham Youngs und wiederholte sein Zeugnis von der<br />
"Verwandlung" Brigham Youngs in Nauvoo im Jahre 1844. Orson Hyde unterstützte<br />
Brigham Young immer voll und ganz. 33<br />
Während seiner letzten Lebensjahre litt er am Rheumatismus und anderen<br />
Alterserscheinungen. Er gab seine letzte Ansprache am 3. November 1878 in Mount Pleasant<br />
im Sanpete Bezirk. Orson Hyde starb am amerikanischen Erntedankfest, Donnerstag, den 28.<br />
November 1878. Die Beerdigung fand am 1. Dezember 1878 statt, und er wurde im Friedhof<br />
von Spring City begraben. Heute steht ein eindrucksvolles Denkmal an seinem Grab, und<br />
ehrt diesen großen Mann. 34 Seine Größe kann am besten verstanden werden, wenn man<br />
bedenkt, was er zum Aufbau der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage geleistet<br />
hat.<br />
In jungen Jahren bestand sein Hauptbeitrag in der Verkündigung des Evangeliums und<br />
dem Bringen von Seelen zu Christus. In seinen späteren Jahren trug er dazu bei, ein Zuhause<br />
für die zahllosen Bekehrten zum Mormonismus zu schaffen, und den amerikanischen West<br />
zu kolonisieren. Orson Hyde war wahrlich einer der Riesen in der Frühzeit der<br />
Mormonenkirche.<br />
ANMERKUNGEN<br />
- 10 -
1. Howard H. Barron, Orson Hyde: Missionary, Apostle, Colonizer (Bountiful, Utah: Horizon<br />
Publishers, 1977), S.15. Hiernach wird darauf als Barron, Hyde Bezug genommen; Milton<br />
V. Backman, Jr., "The New England Background to the Restoration," Regional Studies in<br />
Latter-day Saint Church History: New England, ed., Donald Q. Cannon (Provo, Utah:<br />
Department of Church History and Doctrine, 1988), p. 33.<br />
2. Barron, Hyde , S. 16; Leonard J. Arrington, Brigham Young: American Moses (New York:<br />
Alfred A. Knopf, 1988), Seiten 11-12.<br />
3. Barron, Hyde , S. 17-21.<br />
4. Ebenda., S. 22-24; Leonard J. Arrington and Davis Bitton, The Mormon Experience: A<br />
History of the Latter-day Saints (New York: Alfred A. Knopf, 1979), S. 31-34.<br />
5. Barron, Hyde , S. 27-37; Marvin S. Hill, "A Historical Study of the Life of Orson Hyde,<br />
Early Mormon Missionary and Apostle from 1805-1852," M.A. thesis, Brigham Young<br />
University, 1955, S. 17. Hiernach wird darauf Bezug genommen als Hill. Das Zitat ist von<br />
"History of Orson Hyde," Millennial Star, 1864, S. 774.<br />
6. Barron, Hyde , S. 37.<br />
7. Ebenda, Seiten 40-41.<br />
8. Roger D. Launius, Zions Camp (Independence, Missouri: Herald Publishing House, 1984,<br />
Seiten 39-47, 113-115.<br />
9. Barron, Hyde , Seiten 53-55; Hill, S. 29.<br />
10. Barron, Hyde , Seiten 87-98; James R. Moss, "The Gospel Restored to England," Truth<br />
Will Prevail (Cambridge, England: Corporation of the President of the Church of Jesus<br />
Christ of Latter-day Saints -- Cambridge University Press, 1987),S.77.<br />
11. Barron, Hyde , Seiten 103-109, Hili, Seiten 37-41.<br />
12. Myrtle Stevens Hyde, "Was Orson Hyde a Jew?" 26.August 1985, nicht veröffentlichter<br />
Artikel.<br />
13. Barron, Hyde , Seite 143; Zu einem allgemeinen Studium der Vielehe siehe Richard S.<br />
Van Wagoner, Mormon PoIygamy: A History (Salt Lake City: Signature Books, 1986.)<br />
14. Ebenda, Seiten 163-165.<br />
15. Eine Abschrift dieser Briefe befinden sich im Besitz des Verfassers. Die Originale<br />
befinden sich im Archiv der LDS Church in Salt Lake City, Utah. Der Tag der<br />
Veröffentlichung eines jeden Briefes steht in Klammern nach jedem Brief.<br />
16. Barron, Hyde , Seiten 168-177.<br />
17. Richard E. Bennet, Mormons at the Missouri, 1848-1852 (Norman, Oklahoma: University<br />
of Oklahoma Press, 1987), Seiten 215-227.<br />
18. Barron, Hyde , Seite 184.<br />
19. The Frontier Guardian im Original befindet sich im LDS Church Archive. Die<br />
- 11 -
Kommentare und Auszüge, die folgen, stammen von den Seiten der Originalausgabe.<br />
Daher ist das Datum eines jeden Zitats im Text die einzige Quellenangabe.<br />
20. Barron, Hyde , Seiten 199-200.<br />
21. Barron, Hyde , Seiten 205-211; Effie Mack, Here is Nevada: A Historv of the State<br />
(Sparks, Nevada: Western Printing and Publishing, 1965), Seiten 61-65. Hiernach wird<br />
darauf Bezug genommen als Nevada.<br />
22. Nevada, Seiten 61-65.<br />
23. Barron, Hyde , Seite 220.<br />
24. Ebenda, Seiten 220-221; Cindy Rice, "Spring City: A Look at a Nineteenth-Century<br />
Mormon Village," Utah Historical Quarterly, Summer 1975):260--27;.<br />
25. Richard D. Poll, et. al., eds., Utah's History (Provo, Utah: Brigham Young University<br />
Press, 1978), S. 365; Warren Metcalf, " A Precacrious Balance: The Northern Utes and<br />
the Black Hawk War ," Utah Historical Quarter!y (Winter 1989):24-35. Für einen<br />
ausgezeichnete Analyse der Mormonen-lndianerpolitik siehe zwei Artikel von Howard A.<br />
Christy. "Open Hand and Mailed Fist: Mormon Indian Relations in Utah, 1847-52, Utah<br />
Historical Quarterly (Summer 1978):216-235; "The Walker War: Defense and<br />
Conciliation as Strategy, Utah Historical Quarterly (Fall 1979): 395-420.<br />
26. Barron, Hyde , Seiten 229-236, 242.<br />
27. Ebenda, Seiten 221, 239.<br />
28. Ebenda, Sei te 254.<br />
29. Ebenda, Sei te 255.<br />
30. Ebenda, Seite 260.<br />
31. Ebenda, Seite 268.<br />
32. Ebenda, Seite 244.<br />
33. Ebenda, Seiten 246-247.<br />
34. Ebenda, Seiten 249-252. Das große, moderne Denkmal wurde 1939 errichtet. Es befindet<br />
sich in der Nähe der östlichen Grenze des Friedhofs in Spring City.<br />
- 12 -
Orson Hydes Weihungsgebet<br />
für die Rückkehr der Juden nach Palästina<br />
von Bruce A. Van Orden<br />
Außerplanmäßiger Professor für Kirchengeschichte und Lehre Brigham Young Universität<br />
Orson Hyde, einer der zwölf Apostel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten<br />
Tage, schrieb im Herbst 1840: "Vor ungefähr acht Jahren gab Joseph Smith, ein Prophet und Diener<br />
des Allerhöchsten Gottes, mir die Verheißung, daß ich eines Tages nach der Stadt Jerusalem gehen würde, um<br />
ein Wächter des Hauses Israel zu sein und dort ein Werk zu vollbringen, das die Sammlun dieser Menschen<br />
in großem Maße beschleunigen würde." 1 Auf diese Weise erhielt Orson Hyde 1832 in Kirtland,<br />
Ohio, in den Vereinigten Staaten von Amerika, die erste Andeutung, daß er eine besondere<br />
Aufgabe unter den Juden haben würde. Der Älteste Hyde bestätigte in einem Brief an einen<br />
Rabbiner in London 1841 die ursprüngliche Prophezeiung von Joseph Smith auf sein Haupt. 2<br />
Im März 1840, während er sich von Malaria 3 erholte, lag er im Bett und dachte über den<br />
apostolischen Dienst nach, der seiner wartete. Seine Kollegen im Rat der Zwölf hatten sich<br />
bereits auf ihre verschiedenen Missionen nach Großbritannien begeben und erwarteten, daß<br />
er sich bald nach seiner Genesung mit ihnen dort treffen würde. Während er im Bett lag, so<br />
sagte Orson, "sah ich eine Vision des Herrn, wie Wolken des Lichts am Himmel." Ihm wurden die<br />
Städte London, Amsterdam, Konstantinopel und Jerusalem gezeigt. Der Geist sagte zu ihm:<br />
"Hier sind viele Kinder Abrahams, die ich in dem Land sammeln will, das ich ihren Vätern gab, und hier<br />
ist auch dein Missionsfeld." Orson wurde in dieser Vision ebenfalls ermahnt, von den<br />
Kirchenführern und dem Governeur des Staates Illinois Dokumente zu erlangen, die ihm in<br />
seinem geistlichen Wirken in diesen Städten helfen würden. Es wurde ihm gesagt, daß diese<br />
monumentale Mission die Augen zahlloser Juden öffnen, und es ihnen ermöglichen würde,<br />
die Absichten Gottes zu erkennen. 4<br />
Anscheinend ging Ältester Hyde sofort wegen dieser Vision zu Joseph Smith und<br />
überzeugte den Propheten von deren Realität und erinnerte ihn auch weiterhin an seine<br />
Prophezeiung von 1832 in bezug auf Orson Hyde's Wirken unter den Juden, denn Joseph<br />
Smith berief Hyde einige Wochen später, in der Konferenz am 6. April, auf solch eine<br />
Mission:<br />
Die jüdische Nation ist schon sehr lange unter den Heiden zerstreut; und wir sind der festen Meinung,<br />
daß die Zeit des Beginns der Rückkehr in das Heilige Land schon gekommen ist. . . . Wir haben, nach dem<br />
Rat des Heiligen Geistes, den Ältesten Orson Hyde, . . . einen treuen Diener Jesu Christi, berufen, unser<br />
Vertreter und Repräsentant in fremden Ländern zu sein und die Städte London, Amsterdam,<br />
Konstantinopel und Jerusalem, und andere Orte, wie er es für notwendig erachtet, zu besuchen, um mit den<br />
Priestern, Herrschern und Ältesten der Juden zu verhandeln. 5<br />
In der gleichen Konferenz frohlockte Orson in längeren Ausführungen über seine frühere Berufung von<br />
Joseph Smith und die Vision, die er vor kurzem gehabt hatte. Ihm folgte der Älteste John E. Page, ein<br />
anderer Apostel, der nicht mit den anderen Mitgliedern der Zwölf nach England gegangen war. Page "sprach<br />
sehr überzeugend über die Mission des Ältesten Hyde, die Sammlung der Juden und die Wiederherstellung des<br />
Hauses Israel; er bewies mit wenigen Worten, aber dennoch sehr überzeugend [aus den Schriften], daß diese<br />
- 13 -
Dinge sich erfüllen würden, und daß die Zeit der Erfüllung fast gekommen war " 6<br />
Danach stimmte die Konferenz ab, den Ältesten Page als den Mitarbeiter des Ältesten Hyde nach<br />
Europa und Palästina zu berufen, und gab beiden die entsprechenden Papiere. Später im gleichen Monat<br />
erhielten beide Apostel ebenfalls einen Empfehlungsbrief von Governeur Thomas Carlin vom Staat Illinois.7<br />
Während des Sommers 1840 zogen die Ältesten Hyde und Page östlich und erbaten auf ihrem Wege<br />
Spenden für ihre Mission. Unterwegs predigten und tauften sie und stärkten die Gemeinden. Der Älteste<br />
Page, der für sich den Ruf eines überzeugenden Missionars erarbeitet hatte, war offensichtlich mehr darauf<br />
bedacht auf seiner Reise das Evangelium zu predigen, als die Reise nach Palästina zu beschleunigen. 8 Hyde,<br />
der seinen Eifer nicht verloren hatte, die Juden in Europa und Palästina zu besuchen, verließ Page in<br />
Cincinnati und reiste östlich nach Philadelphia, wo er Kirchenarbeit verrichtete.<br />
Als Joseph Smith von der Verzögerung hörte, sandte er durch die Kirchenzeitschrift, die Times and<br />
Seasons den beiden Brüder diese Botschaft:<br />
Die Ältesten Orson Hyde und John E. Page werden davon unterrichtet, daß der Herr mit ihnen nicht<br />
zufrieden ist, weil sie ihre Mission verzögert haben, (Ältester John E. Page ganz besonders,) und sie werden<br />
von der Ersten Präsidentschaft gebeten, eilends ihre Reise zu ihrem Bestimmungsort anzutreten. 9<br />
Die Botschaft überzeugte Orson davon, nicht auf Page zu warten und am 13. Februar 1841 nach<br />
Liverpool zu segeln. Er hoffte immer noch, daß Page sich ihm in England anschließen würde. (Obwohl es<br />
Page noch weiter von Kirchenbeamten nahegelegt wurde, sich Orson Hyde anzuschließen, gab er seine Mission<br />
auf, kehrte niemals ganz und gar nach Nauvoo zurück, und 1846 gehörte er nicht mehr zum Kollegium der<br />
Zwölf und hatte die Kirche verlassen.)<br />
Orson arbeitete vom 3. März bis zum 20. Juni 1841 in England. Er stellte fest, wie sehr die Kirche seit<br />
seiner Mission von 1837-38 gewachsen war. Er nahm an einer größeren Konferenz in Manchester mit seinen<br />
apostolischen Brüdern teil, und ging nach London, um dort einige Juden zu treffen. Er versuchte den<br />
präsidierenden Rabbiner der jüdischen Gemeinde in London, Dr .Solomon Hirschell, zu besuchen, der aber<br />
verletzt worden war und keine Besucher empfing. Der Älteste Hyde schrieb ihm daraufhin einen längeren<br />
Brief. 10 Während er sich in London aufhielt, verfasste Orson ebenfalls eine Broschüre, die er in deutsch<br />
veröffentlichen wollte. Dieses Ziel erreichte er später. Der Titel dieses ersten fremdsprachigen Traktats in der<br />
Geschichte der Kirche war "Ein Ruf aus der Wüste" ("A Cry in the Wilderness").<br />
Als er von dem Ältesten Page nichts hörte und nicht in der Lage war einen anderen Begleiter zu finden,<br />
begann Orson Hyde seine Reise nach Jerusalem, die oft sehr einsam und sehr furchterregend war. Es war seine<br />
Absicht auf seiner Reise in den wichtigen europäischen Städten Halt zu machen, um einige jüdische Beamte<br />
zu besuchen und in Deutschland zu verweilen, um die deutsche Sprache zu lernen. In Holland besuchte er<br />
Rotterdam, Den Haag und Amsterdam, dabei verteilte er ein Traktat, das er geschrieben hatte, "An<br />
Address to the Hebrews" (Eine Botschaft an die Hebräer). Als er die verschiedenen deutschen Länder und<br />
die Donau erreicht hatte, wurde er dort aufgehalten, während österreichische Beamte seine Papiere überprüften.<br />
Er lernte genügend deutsch, um sich unterhalten zu können. Diese Kenntnisse kamen ihm auf seinen Reisen<br />
im Nahen Osten und auch während seines Aufenthaltes in Deutschland zu gute. 11<br />
Nach Erhalt seiner Einreisebewilligung verließ Orson Deutschland, segelte die Donau hinunter bis zum<br />
Schwarzen Meer, dann nach Konstantinopel, mit dem Schiff nach Smyrna in der Türkei, über das Mittelmeer<br />
nach Beirut, und endlich nach Jaffa in Palästina, wo er am 19. Oktober 1841 ankam. Die Reise von<br />
Smyrna nach Beirut dauerte unerwarterterweise neunzehn Tage, und alle Passagiere hatten nichts zu essen.<br />
Alle, einschließlich Orson, waren gezwungen Schnecken zu essen, die sie zwischen Felsen auf unbewohnten<br />
Inseln fanden. Orson litt ebenfalls unter der großen Hitze. Für die Reise von Jaffa bis Jerusalem bezahlte der<br />
Älteste Hyde einer bewaffneten Gruppe von Engländern, die ihm erlaubten mit ihnen zu reisen, damit er<br />
- 14 -
unterwegs nicht erschlagen und beraubt würde. 12<br />
Endlich, am 21. Oktober, erreichte Orson Hyde sein lang ersehntes Ziel, die heilige Stadt Jerusalem. Er<br />
schrieb:<br />
"Ich sah vor mir die Stadt und seine Umgebung, die Berge und Hügel, die sie umgaben, und dachte an<br />
die Wunder, die sich hier in diesem Land, wo Propheten gesteinigt und der Erlöser von Sündern gekreuzigt<br />
worden waren, ereignet hatten. Ein Sturm von Gefühlen erfüllte meine Brust, ein Sturm, der sich erst nach<br />
dem Vergießen vieler Tränen stillte." 13<br />
Jerusalem, immer noch die größte Stadt in Palästina, einem relativ unwichtigem Teil des ottomanischen<br />
Reiches von 1517 bis 1917, war in einem allgemeinen Zustand des Verfalls. Dieser Verfall folgte der<br />
wohlwollenden Regierung von Suleiman I, die 1566 endete. "Palästina war ein verfallenes Land,<br />
vernachlässigt, verarmt, gesetzlos, verkommen." 14 Beständiger Krieg zwischen arabischen Scheiks verursachte<br />
eine sinnlose Zerstörung von Bäumen und Ernten. Fast niemand in Jerusalem lebte außerhalb jer<br />
Stadtmauern, weil es einfach zu gefährlich war. Nachts herrschten die Räuber und Plünderer. "Die türkische<br />
Garnison schloß abends die Tore und öffneten sie morgens. Niemand ging im Dunkeln hinaus." 15<br />
Obwohl der allgemeinen Verfall Jerusalems und Palästinas schon dreihundert Jahre vor der Ankunft<br />
Orson Hydes 1841 begonnen hatte, gab es tatsächlich positive Zeichen der Verbesserung in der heiligen Stadt,<br />
selbst im Vergleich zum vergangenen Jahrzehnt. Jerusalem, mit einer Bevölkerung von fast 20,000, von denen<br />
ungefähr 7 000 Juden waren, wurde seit 1831 von dem ägyptischen General Ibrahim, Sohn des berühmten<br />
Mohammed Ali von Kairo, verwaltet. Obwohl er die Wehrpflicht einführte und hohe Steuern erhob, hatte<br />
Ibrahim in Jerusalem die relative Sicherheit wiederhergestellt. Zum ersten Mal in vielen Generationen, konnte<br />
man am Tage ungestört durch das Land reisen, das jetzt auch Besucher aus dem Westen willkommen hieß.<br />
Zum ersten Mal gab es sogar westliche Konsulate in Jerusalem. Das religiöse Leben der Juden nahm wieder an<br />
Wichtigkeit zu. 16<br />
Ältester Hyde betrat die Stadt durch das westliche Tor. Er hatte einen Einführungsbrief von dem<br />
amerkanischen Konsul in Jaffa an einen Mr. Whiting, einen Missionar aus Amerika (wahrscheinlich<br />
episkopal). Whiting verwies Orson in freundlicher Weise an ein Kloster, das als Herberge diente. Orson hatte<br />
sich gerade in seinem Quartier niedergelassen, als er von zwei amerikanischen Missionaren besucht wurde, die<br />
sehr darauf bedacht waren, mit jemandem zu sprechen, der vor kurzem in den Vereinigten Staaten gewesen<br />
war. Hyde erklärte in wenigen Worten, warum er nach Jerusalem gekommen war und bat darum, sich von<br />
den Strapazen seiner Reise auszuruhen. Am nächsten Tag war es dem Ältesten Hyde möglich, den Zweck<br />
seiner Reise und die Geschichte von dem Entstehen der Heiligen der Letzte Tage im Einzelnen zu<br />
beschreiben. Diese Herren hörten höflich zu, waren aber nicht weiter am Mormonismus interessiert, da sie<br />
fürchteten ihren eigenen Einfluß zu verlieren wenn sie Orson helfen würden, sich mit den führenden Juden der<br />
Stadt zu treffen. 17<br />
Ohne die Hilfe dieser Herren besuchte er einen Herrn Simon, einen der wenigen Juden in Jerusalem, der<br />
Christ geworden war, und der anglikanischen Kirche angehörte. Mr. Simon und seine Familie luden Hyde<br />
zum Abendessen ein. Sie zeigten Interesse an seiner Mission nach Palästina. Ihre Unterhaltung wurde durch<br />
den Eintritt eines anderen christlichen Geist-lichen unterbrochen. Orson gab diesem Mann eine Kopie des<br />
Artikels "Eine Botschaft an die Juden in Konstantinopel", den er geschrieben hatte. Der Älteste Hyde und<br />
der Geistliche hatten dann eine längere Diskussion über die Lehren der Mormonen. Orson forderte ihn letzten<br />
Endes ärgerlich auf, sich auf die richtige Art und Weise und mit der richtigen Vollmacht taufen zu lassen.<br />
Orson kam endlich zu dem Entschluß, daß jegliche Missionars-arbeit sowohl unter den Christen als auch<br />
unter den Juden in Jerusalem vergeblich war. 18<br />
- 15 -
Er verbrachte daher den Samstag, den jüdischen Sabbat, mit Spazierengehen, um die Stadt zu<br />
besichtigen und das Brauchtum kennenzulernen. Als er an historischen Stätten vorbeiging, dachte er über die<br />
Ereignisse nach, die im Alten und Neuen Testament beschrieben worden waren. Er war ganz besonders von<br />
dem Garten Gethsemane beeindruckt. "Dort nahm der Sohn der Jungfrau unsere Sünden auf sich, und trug<br />
unser Leid -- dort standen die Engel und erschauderten über das, was sie sahen und warteten auf den Befehl<br />
ihm zu helfen; aber so ein Befehl wurde niemals gegeben." 19 Nach einem Tag des Spazierengehens und des<br />
Meditierens, kam er zu folgendem Entschluß: "Die Bräuche und die Lebensweise der Menschen im Osten<br />
haben sich seit den Tagen des Heilandes nicht geändert. Alles, was der Reisende sieht, ist eine Illustration von<br />
Schriftstellen" 20<br />
Der Älteste Hyde dachte ebenfalls über die Vergangenheit und die Zukunft der Juden nach. Er dachte<br />
über ihre Nation in Palästina nach, die durch "politische Macht und Einfluß" verfallen war" und sagte:<br />
"[die Juden] werden gesammelt und aufgebaut; und, weiterhin, England ist nach der Weisheit und dem<br />
Walten des Himmels dazu bestimmt, den Arm politischer Macht auszustrecken und in vorderster Front<br />
dieses herrliche Unternehmen voranzutreiben. Der Herr erweckte Cyrus, um die Juden wiederherzustellen."<br />
Er erkannte ebenfalls, daß es einige europäische Juden gab, die Jerusalem als eine warmherzige und liebevolle<br />
Mutter anerkannten, das heißt "die frommeren und aufrichtigeren unter ihnen" 21<br />
Am Sonntagmorgen, den 24. Oktober 1841, erfüllte Orson Hyde den Zweck seiner Mission, und zwar<br />
das Heilige Land für die Rückkehr der Juden zu weihen. Er stand lange vor Sonnenaufgang auf und ging<br />
durch das Tor sobald es aufgemacht wurde, überquerte den Kidronbach und stieg den Ölberg hinauf. "Dort, in<br />
feierlicher Stille, mit Feder, Tinte und Papier, genauso wie ich es in der Vision gesehen hatte [in Illinois im<br />
Jahr vorher], richtete [ich] das folgende Gebet an ihn, der für immer und immer lebt" 22<br />
Der Höhepunkt des ganzen dreiundvierzigjährigen apostolischen Wirkens des Ältesten Hyde ist<br />
wahrscheinlich dieses eine Gebet. 23 Wenn man die Länge desselben betrachtet, hatte er es wahrscheinlich<br />
schon seit geraumer Zeit geschrieben. Und doch ist es ebenfalls offensichtlich, daß sein Meditieren in den letzten<br />
drei Tagen in Jerusalem den Inhalt des Gebets beeinflußte. Das Gebet ist ein Ausdruck echter Demut und<br />
Dankbarkeit für die Gnade Gottes, die ihn während dieser heiligen Pilgerfahrt beschützt hatte. Orson war<br />
ebenfalls sehr dankbar für die verschiedenen Geldspenden großzügiger Heiliger der Letzten Tage, die ihm diese<br />
Reise ermöglichten. Zusätzlich zum Gebet für Jerusalem, das Land Palästina, die Israeliten im allgemeinen,<br />
und die Juden ganz besonders, erbat Orson von Gott seine eigene Heiligung und das Wohl der Arbeiten der<br />
Brüder im Kollegium der Zwölf.<br />
Der Älteste Hyde und seine Kollegen in der Führerschaft der Heiligen der Letzten Tage verstanden die<br />
biblischen Prophezeiungen über Judah und Jerusalem sehr gut. 24<br />
Orson sagte in seinem Gebet: "Unter dem Schatten deines ausgestreckten Arms ist [dein Diener] sicher<br />
an diesem Ort angelangt, um dir dieses Land für die Zusammenführung der Zerstreuten und Übriggebliebenen<br />
Judas, wie dies die heiligen Propheten angekündigt haben, zu weihen -- damit die Stadt Jerusalem neu erstehe,<br />
nachdem sie so lange von den Heiden zertreten worden ist, und damit zur Ehre deines Namens ein Tempel<br />
erbaut werde."<br />
Sein Mitleid für die zerstreuten Juden und das verheerte Land Palästina sind aus diesem Auszug sehr<br />
offensichtlich: "Ihre Kinder sind unter die anderen Völker zerstreut, wie Schafe, die keinen Hirten haben, und<br />
sie sehen noch immer erwartungsvoll dem Tag entgegen, wo du erfüllst, was du ihnen verheißen hast. Einst hat<br />
dieses Land die reichsten Schätze der Natur hervorgebracht. Milch und Honig flossen darin. Seit es aber aus<br />
Mörderhand das Blut dessen empfangen hat, der ohne Sünde war, ist es öde und unfruchtbar geworden."<br />
Der Hauptteil des Gebets war eine Bitte für beides, die Wiederherstellung der Juden und die<br />
- 16 -
Fruchtbarkeit ihres Heimatlandes. In erstaunlicher und wunderbarer Weise ist dieses Gebet buchstäblich<br />
beantwortet worden.<br />
"Gib deshalb, o Herr, im Namen deines lieben Sohnes Jesu Christus, daß die Dürre und<br />
Unfruchtbarkeit dieses Landes ein Ende nehme, und laß Quellen lebendigen Wassers hervorbrechen, das<br />
dürstende Land zu erquicken. Laß den Weinstock und den Olivenbaum in voller Kraft Frucht bringen und<br />
den Feigenbaum blühen und gedeihen. Laß das Land überaus fruchtbar sein, wenn es wieder von seinen<br />
rechtmäßigen Erben bewohnt wird. Laß es wieder überfließen, um die verlorenen Söhne zu speisen, die in<br />
deiner Barmherzigkeit und mit Danksagung heimkehren. Laß aus den Wolken Kraft und Reichtum darauf<br />
regnen, und laß die Felder vor Fruchtbarkeit frohlocken. Laß die Herden sich vermehren, laß sie viele werden<br />
auf den Bergen und Hügeln. Und laß deine große Güte den Unglauben deines Volkes überwinden und<br />
ausrotten. Nimm ihnen das Herz aus Stein und gib ihnen ein Herz aus Fleisch, und möge die Sonne deines<br />
Wohlgefallens die kalten Nebel der Finsternis zerteilen, die ihnen die Luft düster gemacht haben. Wecke in<br />
ihnen die Absicht, sich nach deinem Wort in diesem Land zu sammeln. Laß sie kommen wie die Wolken<br />
und wie die Tauben an ihren Schlag. Laß die großen Schiffe der Nationen sie von den fernen Inseln<br />
heranbringen; laß Könige sie pflegen und Königinnen ihnen mit mütterlicher Fürsorge die Tränen der Trauer<br />
von den Augen wischen.<br />
Du hast, o Herr, das Herz des Cyrus bewegt, so daß er Jerusalem und seinen Kindern gnädig war. Laß<br />
es dir jetzt auch wohlgefallen, das Herz der Könige und die Mächte dieser Erde anzurühren, so daß sie mit<br />
einem freundlichen Auge auf dieses Land blicken, mit dem Wunsch, daß dein gerechter Wille hier geschehe.<br />
Laß sie wissen, daß es dir wohlgefällt, Israel wieder das Reich zu geben - Jerusalem zur Hauptstadt zu<br />
erheben und dieses Volk zu einer eigenen Nation und Regierung zu machen, mit David, deinem Diener, ja,<br />
einem Nachkommen aus den Lenden jenes David im Altertum, als ihrem König. "<br />
Orson fuhr fort für die Nation oder die Nationen zu beten, die den Juden in der Gründung ihres eigenen<br />
Staates helfen und sie danach beschützen würden. In den Augen der Heiligen der Letzten Tage von heute<br />
mögen die folgenden Worte mindestens teilweise erklären, warum die Vereinigten Staaten von Amerika, die<br />
dem Staate Israel fortwährend geholfen haben, trotz aller Fehler und den Sünden ihrer Bürger, von dem<br />
Allmächtigen auch weiterhin gesegnet sind:<br />
"Laß jene Nation oder jenes Volk, die zugunsten der Kinder Abrahams und bei der Aufrichtung<br />
Jerusalems eine tätige Hand regen, vor deinen Augen Gnade finden. Laß nicht zu, daß ihre Feinde sie überw<br />
inden, laß nicht Seuche noch Hungersnot über sie kommen, sondern lass die Herrlichkeit Israels sie<br />
überstrahlen und die Macht des Höchsten sie beschützen. Die Nation aber und das Reich, die dir in diesem<br />
herrlichen Werk nicht dienen wollen, müssen untergehen, nach deinem Wort - daß diese Völker verwüstet<br />
werden sollen."<br />
Der Älteste Hyde schloß sein Gebet mit der innigsten Bitte, daß das Werk der Heiligen der Letzten<br />
Tage auch weiterhin gedeihen möge. Im Jahre 1841 zählte die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten<br />
Tage ungefähr 15,000 verfolgte Mitglieder, in und um Nauvoo, Illinois, und in anderen vereinzelten Orten in<br />
den Vereinigten Staaten, Kanadas und Großbritanniens. 1991, 150 Jahre später, zählt sie fast acht<br />
Millionen Mitglieder in der ganzen Welt. Wenn man das bedenkt, kann man auch diesen Teil des Gebets als<br />
prophetisch erachten:<br />
"Erwache in der Majestät deiner Macht, und entblöße deinen Arm zum Segen deines Volkes. Vergebe<br />
ihre Fehler und lass ihre Sorge zur Freude werden. Gieße den Geist des Lichts und der Erkenntnis, der<br />
Gnade und Weisheit, in die Herzen seiner Propheten, und bekleide seine Priester mit Erlösung. Laß Licht<br />
und Erkenntnis durch das Reich der Dunkelheit hervorgehen, und möge alle die ehrlichen Herzens sind ihrer<br />
Flagge folgen, und mitgehen um den Bräutigam zu treffen.<br />
Laß eine besondere Segnung auf der Präsidentschaft deiner Kirche ruhen, denn die Pfeile des Widersachers<br />
- 17 -
sind auf sie gerichtet. Sei ihnen Sonne und Schild, ihr starker Turm und ihr Versteck; und zu einer Zeit des<br />
Kummers und der Gefahr sei du in der Nähe, um Beistand zu geben."<br />
Nach Beendigung des Gebets, häufte er Steine auf als ein Zeugnis und dies "im Einklang mit<br />
altertümlichem Gebrauch." Dann überquerte er das Tal und häufte auch hier Steine auf und zwar auf dem<br />
Berge wo einst der Tempel Salomons and der Temple des Herodes gestanden hatten. 25<br />
Einige Tage nach dem Gebet, segelte Orson Hyde von Jaffa nach Kairo, da er nicht in der Lage war ein<br />
Schiff zu bekommen das direkt nach Europa fuhr. Auf dem Schiffe pflegte er einen Herrn Gager, einen der<br />
jungen amerikanischen Missionare, die er in Jerusalem traf und der Gelbsucht hatte. Orson sorgte dafür, daß<br />
Gager in Kairo ärztliche Hilfe erhielt, leider vergeblich, Gager starb. Von Kairo buchte Hyde die Überfahrt<br />
nach Triest im nördlichen Italien. Wiederum war seine Reise sehr gefährlich geworden, und er kam guterletzt<br />
22 Tage später in Triest an. Ihm wurde es allerdings nicht erlaubt das Schiff für 28 Tage zu verlassen, da es<br />
unter Quarantäne war. Von Triest aus überquerte er die Alpen nach Regensburg an der Donau, wo er sein<br />
109 seitiges Buch "Ein Ruf aus der Wüste" übersetzte und veröffentlichte.<br />
Orson machte sich bald danach auf den Weg nach England, wo er einen Monat blieb, und mit der Hilfe<br />
von Parley P. Pratt, Herausgeber und Drucker des Millenial Star, einen Bericht von seiner Mission im<br />
Heiligen Land veröffentlichte und verkaufte. Im Dezember 1842 konnte er endlich seine Familie in Nauvoo<br />
wiedersehen, nachdem er eine der gefährlichsten Missionen in der Geschichte der Kirche, in der er nahezu 32<br />
000 Kilometer in fast drei Jahren gereist war, erfüllt hatte.<br />
Nachdem die Mormonen sich unter der Leitung des Nachfolgers Joseph Smiths, Brigham Young, in den<br />
1850er Jahren in Utah niedergelassen hatten, erachtete der neue Prophet es als ratsam, dem Heiligen Land<br />
einen weiteren apostolischen Besuch abzustatten. Präsident Young war der Ansicht, der Besuch Hydes nach<br />
Palästina hatte den Nachteil, daß er allein gegangen war, und nicht wie ursprünglich geplant, von dem<br />
Ältesten John E. Page begleitet wurde. Dadurch war die Regel, mindestens zwei Zeugen für einen solch<br />
feierlichen Anlaß zu haben, nicht befolgt worden.<br />
Darum sandte Brigham 1873 seinen ersten Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft, George A. Smith,<br />
mit den Aposteln Lorenzo Snow und Albert Carrington und andere wichtigen Kirchenbeamte nach Jerusalem,<br />
um Jerusalem und das Land Palästina nochmals für die Rückkehr der Juden zu weihen. Weitere apostolische<br />
Weihungen folgten 1898 von dem Ältesten Anthon H. Lund, 1902 von Francis M. Lyman, 1921 von<br />
David O. McKay, 1927 von James E. Talmage, und 1933 von John A. Widtsoe. 26<br />
Selbst mit diesen weiteren feierlichen Pilgerfahrten, betrachten Heilige der Letzten Tage heute überall die<br />
prophetische Weihung und das Gebet als die Weihung des Heiligen Landes. Die anderen waren nur das<br />
Tüpfelchen auf dem i.<br />
Genau 138 Jahre nachdem Orson Hyde sein jetzt so berühmtes Gebet ausgesprochen hatte, führte<br />
Präsident Spencer W. Kimball, Präsident der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, eine Gruppe<br />
von sieben Generalautoritäten der Kirche und tausende von anderen Kirchenmitgliedern zur Weihung des<br />
Orson Hyde Gedenkgartens auf den Ölberg in Jerusalem. 27<br />
Der Garten, zwei Hektar Parkanlage, liegt im Kidron Tal dem Tempelberg gegenüber in der Nähe des<br />
Gartens von Gethsemane und der Straße nach Jericho. Ein Amphitheater in einer Art Grotte gibt den<br />
Besuchern Aussicht auf die Altstadt und viele Sehenswürdigkeiten Jerusalems. Auszüge aus dem Gebet<br />
Orsons Hydes in englisch und hebräisch befinden sich auf großen Metallplatten. Der Garten ist das größte<br />
Stück Land, das zum Jerusalem Garten National Park gehört, einem Park von mehr als 240 Hektar der<br />
die Altstadt umgibt. In seinem Weihegebet sagte Präsident Kimball:<br />
"Schütze diesen Garten vor den Zerstörungen durch Kriege und Stürme und Plündereien irgendwelcher<br />
Art. Laß es einen Zufluchtsort sein, wo alle über die Herrlichkeit, die du in der Vergangenheit über<br />
- 18 -
Jerusalem ausgegossen hast, und die noch größere Herrlichkeit, die einst kommen wird, nachdenken können.<br />
Laß alle, die hierher kommen, deinen Geist und deinen Einfluß verspüren, und den Geist der heiligen<br />
Propheten, die dieses wunderschöne Land durchwanderten. "<br />
Der Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek, der Gastgeber bei der Einweihung des Hyde Gartens,<br />
erklärte: "Ein jeder der etwas von der Geschichte Jerusalems in verhältnismäßig neuerer Zeit weiß, kennt die<br />
Prophezeiung Orson Hydes." Bezugnehmend auf Teile der Prophezeiung, fügte Kollek hinzu, "Und jetzt sind<br />
die Juden wieder in Jerusalem. Wir haben politische Argumente, aber niemand bezweifelt, daß die Stadt heute<br />
schöner ist. Es ist besser eine vereinte Stadt zu haben, als eine Stadt die durch Stacheldraht, Minenfelder und<br />
Betonmauern geteilt ist. Als Stadtverwaltung ist es unsere Pflicht, alles in unserer Kraft stehende zu tun, um<br />
durch unsere eigenen Bemühungen, die innewohnende Schönheit Jerusalems herauszustellen." Er lud die<br />
Mormonen ein, ihre enge Beziehung mit den Juden, die Orson Hyde vor langer Zeit begonnen hat, auch<br />
weiterhin fortzusetzen. "Ich wünsche. . ., daß diese guten Beziehungen zwischen Ihnen und uns während der<br />
kommenden Jahrhunderte fortgesetzt werden mögen. Wir freuen uns schon darauf ."<br />
Jetzt hat die Kirche eine große Bildungsstätte in der Nähe des Orson Hyde Gedenkgartens erbaut, die als<br />
das Jerusalem Zentrum der Brigham Young Universität bekannt ist. Tausende von Heiligen der Letzten<br />
Tage machen jedes Jahr eine Pilgerfahrt nach Jerusalem und benutzen das Zentrum dabei als ihr<br />
Hauptquartier. Heute zeigen viele Mormonen ein starkes Interesse an den Problemen der heutigen Juden und<br />
ihrer heiligen Stadt. Es ist sehr angebracht, daß wir hier in Regensburg das 150jährige Jubiläum der Mission<br />
Orson Hydes gedenken.<br />
- 19 -
Anmerkungen<br />
1 "A Sketch of the Travels and Ministry of Elder Orson Hyde," eine autobiographische Broschüre, die<br />
ursprünglich von dem Verfasser 1869 veröffentlicht wurde. Sie war ebenfalls Teil einer Broschüre von Joseph<br />
S. Hyde, Orson Hyde: 1805-1878, die 1933 herausgegeben wurde. (Seite 4) Hiernach genannt "Sketches."<br />
2 History of the Church of Jesus Christ of Latter-day Saints, 7 Bände, 2. revidierte Ausgabe (Salt<br />
Lake City: Deseret Book Company, 1957) 4: 357. Hiernach HC<br />
3 Orson sagte später bezüglich dieser Krankheit "daß sie mehrere Monate andauerte und mich und<br />
meine Familie nahe an den Tod brachte. . . . [Ich war] fast nur noch ein Skelett." Millennial Star 26 (10<br />
Dezember 1864):792.<br />
4 Sketches, S. 5.<br />
5 Times and Seasons 1 (April 1840): 86.<br />
6 HC 4:106.<br />
7 Times and Seasons 1 (April 1840):87; "Sketches," Seite 6-7.<br />
8 Der Älteste Hyde berichtete, "Bruder Page ist ein Boanerges, der gut darauf<br />
vorbereitet ist die sektierischen Festungen und Burgen zu stürmen und Schrecken und<br />
Angst in den Befestigungen des Reiches Babilon zu verbreiten."<br />
9 Times and Seasons 2 (15. Januar 1841):287.<br />
10 HC. 4:374-78.<br />
11 HC. 4:384-88.<br />
12 "Sketches," Seiten 30-31.<br />
13 ebenda, Seite 8.<br />
14 Teddy Kollek und Moshe Pearlman, Jerusalem (Jerusalem: Steinmatzky's Agency Limited, 1968),<br />
Seite 204.<br />
15 ebenda, Seiten 227-28. Siehe ebenfalls Charles Gulston, Jerusalem : The Tragedy and The Triumph<br />
(Grand Rapids, Mi.: Zondervan Publishing House), Seite 206.<br />
16 Kollek und Pearlman, Jerusalem, Seiten 217-23; "Sketches," S. 16.<br />
17 ebenda, S. 8-11<br />
18 ebenda, Seiten 12-14.<br />
19 ebenda, Seite 16.<br />
20 ebenda, Seite 17.<br />
21 ebenda,Seiten14-15.<br />
22 ebenda, Seite 26.<br />
23 Das ganze Weihungsgebet ist ebenda zu finden, Seiten 26-29.<br />
24 Grant Revon Underwood, "The Millenarian World of Early Mormonism,"<br />
Dissertation, University of California Los Angelest 1988, Seiten 174-218.<br />
25 "Sketches," S. 29.<br />
26 Steven W. Baldridge, Grafting In: A History of the Latter-day Saints in the Holy<br />
Land (Jerusalem: The Jerusalem Branch, 1989, Seite 3-4.<br />
27 Ein Bericht dieser Weihung befindet sich im Ensign 9 (Dezember 1979):67-68.<br />
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Orson Hydes Traktat<br />
Ein Ruf aus der Wüste,<br />
eine Stimme aus dem Schoose der Erde<br />
Dr. Peter Wöllauer, Neustadt/Donau<br />
1. Gliederung<br />
Das ganze Werk umfaßt 115 Seiten. Nach dem programmatischen Titelblatt folgt eine sehr ausführliche<br />
Vorrede von 8 Seiten Umfang. Dann erklärt Orson Hyde ausführlich auf eineinhalb Seiten den Namen der<br />
Kirche.<br />
Der danach folgende Hauptteil von 73 Seiten gliedert sich in 4 Kapitel:<br />
Das erste Kapitel behandelt die erste Vision Joseph Smiths, die Erscheinungen und Belehrungen des<br />
Engels Moronl und Aussehen und Zweck der goldenen Platten und des Urim und Thummlm.<br />
Das zweite Kapitel spricht über die Übersetzungsarbeit an den goldenen Platten und über die<br />
Randumstände dabei. Außerdem bietet es einen Überblick über den Inhalt des Buches Mormon.<br />
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Bedeutung und Wiederherstellung des Priestertums.<br />
Das vierte und letzte Kapitel schließlich ist eine Darstellung der Lehren und Grundsätze der Kirche Jesu<br />
Christi der Heiligen der Letzten Tage an hand von sechzehn Artikeln.<br />
Unter der Überschrift "Einige gesammelte Gedanken" schließen sich auf 23 Selten Gedanken über das<br />
zweite Kommen Christi und ein Zeugnis über die Echtheit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten<br />
Tage an. Außerdem berichtet Orson Hyde noch in bewegten Worten die leidvolle Geschichte der Heiligen in<br />
den vorangegangenen Jahren.<br />
Zur Untermauerung der Glaubwürdigkeit des Buches schließt sich noch eine Art Beglaubigung der Person<br />
des Orson Hyde durch den Konsul der Vereinigten Staaten In Rotterdam an.<br />
Das Büchlein schließt mit einem sechsseitlgen Anhang, der die Umstände der Veröffentlichung des<br />
Werkes schildert und einige Erlebnisse des Autors während seiner Missionstätigkeit berichtet.<br />
2. Titelblatt<br />
Wie im neunzehnten Jahrhundert sehr häufig enthält das Titelblatt 1 neben dem Titel: "Ein Ruf aus der<br />
Wüste, eine Stimme aus dem Schoose der Erde", einen ausführlichen Untertitel, der den Inhalt des Werkes<br />
zusammenfaßt: "Kurzer Überblick des Ursprungs und der Lehre der Kirche 'Jesus Christ of Latter Day<br />
Saints' In Amerika, gekannt von Manchen unter der Benennung: 'Die Mormonen.'"<br />
Es ist anzunehmen, daß die Formulierung "Ein Ruf aus der Wüste" sich auf die sprichwörtliche<br />
Redewendung "Ein Rufer aus der Wüste" anspielen soll, die durch die Bibelübersetzung Luthers populär<br />
geworden ist.<br />
Der Ausdruck "Stimme aus dem Schoose der Erde" bezieht sich auf das Buch Mormon, das In der<br />
Erde gelegen war und nun zu den Menschen spricht, in Deutschland zunächst durch diese kleine Schrift<br />
Orson Hydes. Das Buch Mormon selbst lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht in deutscher Sprache vor, es<br />
- 21 -
wurde erst 1852 durch John Taylor in Hamburg veröffentlicht.<br />
Im Untertitel fällt auf, daß Orson Hyde es nicht wagte, den Namen der Kirche zu übersetzen. Die<br />
Gründe dafür legt er im Abschnitt "Erklärung" genau dar.<br />
Die kleingedruckte Aufforderung: "Lese, betrachte, bete und handle!" entspricht der<br />
Aufforderung am Ende des Buches Mormon [2], wie sie allen Interessierten bis heute als<br />
Schlüssel zur Erkenntnis angeboten wird. Sie wird sinngemäß in der Vorrede wiederholt.<br />
3. Vorrede<br />
Am Beginn beruft sich der Autor auf die göttliche Verpflichtung, die Wiederherstellung der Kirche Jesu<br />
Christi, die die Vorbereitung zum zweiten Kommen des Erlösers und den Auftakt zu seiner tausendjährigen<br />
Regierung auf Erden bildet, und somit ein neues Zeitalter einleitet, überall, und somit auch in Deutschland<br />
bekanntzumachen.<br />
Dann bringt er einiges über sich selbst: Gebürtiger Amerikaner, seit 11 Jahren (also seit 1831) Priester<br />
dieser Kirche (Andere Quellen bestätigen seine Ordinierung zum Hohepriester am 25. Oktober 1831 durch<br />
Oliver Cowdery anläßlich einer Konferenz in Orange, Cuyahoga county, Ohio 3 ).<br />
Anschließend räumt er der Entwicklung und Verfolgung der Kirche breiten Raum ein: Gründung am 1.<br />
April 1830, Später Verbesserung der Organisation, was zur Berufung von Propheten und Aposteln führte,<br />
die von Gott ernannt werden. Die Kirche wuchs besonders in Amerika und England von den 6<br />
Gründungsmitgliedern auf etwa 80 000 "Verbrüderten".<br />
Die Verfolgungen berichtet er mit demselben Argument, das auch Paulus verwendete 4 : Als Zeugnis für<br />
die Wahrhaftigkeit der Mitglieder und den großen Wert des Evangeliums, das solche Schwierigkeiten und<br />
Leiden erdulden läßt. Wir dürfen nicht vergessen, daß hier die Verfolgungen von 1838/39, das Massaker<br />
von Hauns Mill, die Vertreibung aus Missouri und die Inhaftierung von Joseph Smith, aus dem aktuellen<br />
Erleben, aus persönlicher Konfrontation geschildert wird. Dieser Abschnitt ist daher auch stark emotionell,<br />
dargestellt mit dem im neunzehnten Jahrhundert üblichen Pathos. Diese, um des Evangeliums Willen,<br />
erduldeten Grausamkeiten werden als Begründung für den Wert der Lehren der Kirche Jesu Christi<br />
herangezogen und sollen die Leser des Buches veranlassen, seine Aussagen mit Eifer und Ernsthaftigkeit zu<br />
prüfen. Nochmals betont der Autor, daß die Botschaft durch einen Engel und zum Wohle der Menschen<br />
gekommen ist, um die geistige Dunkelheit zu vertreiben.<br />
Die Vorrede schließt mit einem Gebet, mit einer Bitte um den Segen für das Büchlein, damit es die<br />
Vorurteile zunichte mache und die dargestellten Grundsätze in die Herzen der Völker dringen mögen.<br />
Datiert ist die Vorrede mit "Frankfurt, Im August 1842"<br />
4. Erklärung<br />
Nach dieser langen Vorrede, geht Hyde noch immer nicht direkt an die Sache heran, sondern gibt noch<br />
eine Erklärung zum Namen der Kirche ab.<br />
Zuerst meint er, daß das deutsche Wort "Heilige" den Mitgliedern eine "zu große Idee von Heiligkeit<br />
geben würde". Außerdem fühlt er sich nicht berechtigt, den Namen der Kirche zu ändern. Er ist durch<br />
Offenbarung gegeben worden [5].<br />
- 22 -
Weiters macht er auf den Unterschied des Begriffes "Heiliger" im allgemeinen Gebrauch und in der<br />
Heiligen Schrift aufmerksam und erläutert den Unterschied der früheren Heiligen zu den Heiligen der<br />
Letzten Tage.<br />
5. Kapitel 1<br />
Nach diesen umständlichen Einführungen, die durchaus der Art der Zeit entsprechen, kommt er endlich<br />
zur Sache: Er berichtet über die erste Vision von Joseph Smith und über das Hervorkommen des Buches<br />
Mormon. Am Ende des Kapitels gibt er als Quelle "die Schriften des Mr. Pratt" an. Es handelt sich dabei<br />
um eine ähnliche Schrift, die Parley P. Pratt in Schottland veröffentlicht und verwendet hatte.<br />
Er berichtet hier im wesentlichen dieselben Ereignisse, wie sie durch Joseph Smith selbst Im Jahre 1838<br />
niedergelegt wurden 6 und im Buch Köstliche Perle unter der Bezeichnung "Joseph Smith - Lebensgeschichte"<br />
zusammengefaßt sind.<br />
Im folgenden soll auf einige Unterschiede in den zwei Berichten eingegangen werden. Dabei wird der<br />
Bericht von Joseph Smith mit abgekürzt und der Bericht von Orson Hyde mit . Beide Berichte<br />
behandeln den frühen Lebensweg von Joseph Smith mit der Familie seiner Eltern. zählt alle<br />
Familienmitglieder auf, wo sich auf die Aussage beschränkt "zahlreiche Familie". alleine<br />
erwähnt die mangelhafte Bildung von Joseph Smith: "Er konnte ziemlich gut lesen, dafür schrieb er aber<br />
höchst nothdürftig und hatte nur geringe Kenntnisse von Redebildern". Dies ist der erste Hinweis darauf, daß<br />
das großartige literarische Werk, das Joseph Smith hinterlassen hat nicht seiner eigenen Bildung entspringen<br />
konnte, und somit göttlichen Ursprungs sein mußte.<br />
Beide Berichte gehen dann auf die Suche des vierzehnjährigen Joseph nach religiöser Wahrheit ein, doch<br />
geben sie einen gegenteiligen Anlaß dafür an. gibt als Anlaß "eine ungewöhnliche Erregung über das<br />
Thema Religion" an seinem Wohnort an, was ihn veranlaßte, sich mit der Frage nach der richtigen Religion<br />
zu befassen. dagegen gibt den Grund als inneren Drang Josephs an, nach dem ewigen Leben zu<br />
trachten und den richtigen Weg zu finden, was ihn erst in die religiösen Streitereien verwickelte. Beide stimmen<br />
darin überein, daß er durch die Widersprüche zwischen den Gemeinschaften und den Streit zwischen ihnen<br />
abgestoßen wurde und einer Lösung seines persönlichen Problems nicht näher gebracht wurde. fügt noch<br />
hinzu: "Die Natur hatte ihn mit einem starken, beurtheilenden Verstande begabt, und so sah er denn durch<br />
das Glas der Vernunft und des guten Sinnes mit Mitleid und Verachtung auf jene Religionssysteme hin,<br />
welche einander so entgegen gesetzt, und dennoch alle offenbar aus den Schriften der Wahrheit gezogen sind.<br />
Nachdem er sich zu seiner eigenen Genugthuung hinlänglich überzeugt hatte, daß Finsterniß die Erde<br />
bedeckte, und große Dunkelheit die Völker, da verließ ihn die Hoffnung, je eine Sekte oder Partei zu finden,<br />
die im Besitze der reinen Wahrheit wäre." hingegen erwähnt keine derartigen Gedanken der<br />
Überlegenheit und läßt auch nicht die Ansicht zu, daß Joseph zu einem definitiven Schluß bezüglich der<br />
Religionsgemeinschaften gekommen sei, sondern betont seine diesbezügliche Unsicherheit.<br />
Als nächstes behandeln beide Berichte die Wirkung, die das Lesen von Jakobus 1:5 in Joseph hervorrief.<br />
geht wesentlich auf das Gefühl ein:" Nie ist einem Menschen eine Schriftstelle mit mehr Gewalt ins<br />
Herz gedrungen als diese damals mir" 7 . dagegen betrachtet mehr die rationalen Komponenten:" Diese<br />
Stelle betrachtete er als eine Vollmacht zu einem feierlichen Aufrufe an seinen Erschaffer, um vor Ihm seine<br />
Bedürfnisse ausbreiten zu dürfen, mit sicherer Hoffnung zum gewissen Erfolge". Wieder stellt das<br />
anfängliche Zweifeln und das Ringen um einen Entschluß dar 8 , wohingegen den Entschluß Josephs,<br />
den himmlischen Vater nach der wahren Religion zu fragen, als geradlinigen, rein verstandesmäßIgen Schluß<br />
und Entschluß darstellt.<br />
In der Schilderung des Beginns des Gebetes im Wald bis zur Erscheinung der göttlichen Personen<br />
- 23 -
unterscheiden sich die beiden Berichte sehr wesentlich. berichtet: "Da machte der Widersacher<br />
verschiedene mächtige Versuche, den Eifer seines Gemüthes zu erkalten. Er umnachtete seinen Verstand mit<br />
Zweifeln, und führte seiner Seele allerlei unpassende Bilder vor, um ihn an der Erreichung des Gegenstandes<br />
seiner Bestrebungen zu hindern". hingegen sagt: ", da wurde ich auch schon von einer Gewalt gepackt,<br />
die mich gänzlich überwältigte und eine so erstaunliche Macht über mich hatte, daß sie mir die Zunge lähmte<br />
und ich nicht sprechen konnte. Dichte Finsternis zog sich um mich zusammen, und ich hatte eine Zeitlang das<br />
Gefühl, als sei ich plötzlicher Vernichtung anheimgegeben." 9 Es Ist unklar, warum diesen geistigen<br />
Kampf Josephs mit den Mächten der Finsternis so sehr abgeschwächt hat.<br />
Die Vision und das Gespräch mit dem Herrn schildert ziemlich ausführlich. erwähnt sie<br />
nur kurz und bringt den wesentlichen Punkt: Joseph soll sich keiner Kirche anschließen, er soll vom Herrn<br />
"mit besonderer Gunst beglückt" werden und in späterer Zeit soll ihm" die wahre Lehre Christi und die<br />
ganze Vollheit des Evangeliums geoffenbart werden."<br />
In der Folge berichtet , wie er seine neuen Erkenntnisse am selben Tag seiner Familie mitteilte und<br />
wie sich durch das Bekanntwerden seiner Vision Verfolgung gegen ihn erhob. Er sinnt etwas über diese<br />
Verfolgungen nach und schildert dann summarisch seinen Lebensweg bis 1823. 10 Spricht überhaupt<br />
nicht über die Familie. Die Verfolgungen erwähnt er erst summarisch in Kapitel 2. Vom Leben Josephs<br />
erwähnt er nur: " , verfiel er in die Fehler und Eitelkeiten der Welt, welche er später jedoch aufrichtig<br />
bereute."<br />
Daran schließt sich in bei den Berichten eine Schilderung der Nacht vom 21. zum 22. September 1823<br />
an. Ein göttlicher Bote, ein auferstandenes Wesen ist Joseph Smith erschienen, um ihm Belehrungen zu geben.<br />
Beide Berichte schildern, daß Joseph Smith im Gebet um Erkenntis seines Standes vor Gott bat und auch um<br />
die 1920 versprochene Kundgebung. Als Antwort erschien eine leuchtende Gestalt in einem hellen Licht.<br />
Darin stimmen beide Berichte überein, konzentrieren sich aber in der Schilderung der Gestalt des himmlischen<br />
Boten auf unterschiedliche Details, wobei ausführlicher ist. alleine schildert die Wirkung dieser<br />
Lichterscheinung auf Joseph: "Der erste Anblick war in Wahrheit, als ob das Haus in verzehrendem Feuer<br />
stünde. Das plötzliche Erscheinen dieses Lichtes hatte eine Wirkung, gleich der eines heftigen Stoßes, auf<br />
seinen Körper, die bis an dessen Extremitäten fühlbar war. Sein Gemüth jedoch fühlte sich sogleich mit Ruhe<br />
und Heiterkeit übergossen, und sein Zustand erhob sich zu einem Entzücken der Freude das jede<br />
Beschreibung übersteigt." Bei der Schilderung der Botschaft des himmlischen Wesens legen beide Berichte<br />
unterschiedliche Schwerpunkte:<br />
11<br />
1) Der Name des Boten lautet Moroni und er habe an Joseph einen Auftrag von Gott zu erteilen, der<br />
dazu führen würde, daß der Name Joseph Smith unter allen Völkern für gut oder böse gelten wird.<br />
2) Es ist ein Bericht auf Goldplatten verborgen, der über die früheren Bewohner Amerikas berichtet und<br />
die Fülle des Evangeliums Jesu Christi enthält<br />
3) Bei den Platten befinden sich zwei Steine namens Urim und Thummim, die den Besitzer zu einem<br />
Seher machen. Sie dienen zur Übersetzung des Berichtes.<br />
4) Der Engel zitiert Stellen aus der Bibel: Maleachi, Jesaja, Apostelgeschichte, Joel.<br />
- 24 -
5) Die Zeit der Fülle der Anderen (der Nicht juden) wird bald anbrechen<br />
6) Sobald Joseph die Platten erhalten wird, darf er sie und den Urim und Thummim niemandem zeigen<br />
7) Joseph erhielt eine Vision, In der er den Aufbewahrungsort der Platten sah<br />
8) Hinweis auf weitere Belehrungen Moronis<br />
<br />
1) Bote Gottes (kein Name), der die Botschaft bringt, daß der<br />
Bund des Herrn mit den alten Israeliten seiner Erfüllung nahe ist<br />
2) das Vorbereitungswerk für das zweite Kommen des Messias beginnt und die "Vollheit des<br />
Evangeliums wird mit Macht unter allen Nationen gepredigt"<br />
3) Vorbereitung des tausendjährigen Reiches allgemeinen Friedens und ungestörter Freude<br />
4) "Die amerikanischen Indier sind Trümmer des Hauses Israel"<br />
5) "Ihre Propheten waren beauftragt eine Geschichte über die unter ihnen statt findenden wichtigen<br />
Ereigniße zu führen."<br />
6) Als das Volk in Gottlosigkeit verfiel wurde der größte Theil<br />
vertilgt. Die Berichte auf Geheiß Gottes "durch einen Ihrer letzten Propheten schützend in den Schoos der<br />
Erde niedergelegt, um sie vor den Händen der Gottlosen zu bewahren."<br />
7) der Bericht enthält Offenbarungen, die zur Ergänzung des Evangeliums gehören und die Bezug zu den<br />
Ereignissen der letzten Tage haben.<br />
8) Wenn Joseph gläubig bleibt, soll er das Werkzeug zur Hervorbringung dieser helligen Dinge sein<br />
Im weiteren Verlauf der Schilderung läßt aus, wie Joseph auf Geheiß Moronis seinem Vater über<br />
die Geschehnisse der Nacht berichtete.<br />
Beide Berichte erzählen, daß Joseph den Ort aufsuchte, wo die Goldplatten vergraben waren. Bei der<br />
Schilderung der Ereignisse an diesem Ort sehen wir wieder große Unterschiede. spricht von einem Stein,<br />
den Joseph mit einem Stock weghebelte, worauf er die Platten nebst Urim und Thummim mit zugehörigem<br />
Brustschild in einer zementgebundenen Steinkiste sah und entnehmen wollte, woran ihn der Engel Moroni<br />
hinderte und ihm gebot sich in genau einem Jahr wieder zur Belehrung an dieser Stelle einzufinden.<br />
dagegen spricht von "Hinwegräumung mehrerer über einander gelegter Steine, die mit Maurerkitt<br />
verbunden waren". Daran schließt sich kurz die Schilderung einer Vision Josephs über die Heere und<br />
Verbündeten Satans und dann über etwa vier Seiten eine Belehrung und Prophezeiung durch Moronl, die bel<br />
fehlt mit Ausnahme der Verheißung, daß die Platten in vier Jahren In die Hände von Joseph Smith<br />
- 25 -
übergeben werden sollten.<br />
Das Kapitel schließt mit einer Beschreibung der Goldenen Platten einschließlich der darauf befindlichen<br />
Gravierungen und von Urlm und Thummim und von deren Gebrauch. Diese Beschreibung fehlt bel .<br />
6. Kapitel 2<br />
Am Beginn berichtet der Autor über die Wirkung der Erlebnisse von Joseph Smith in seiner Umgebung:<br />
Verleumdung, Spott, Gewalttätigkeit, aber auch das Verlangen, mehr darüber zu erfahren.<br />
Es folgt ein kurzer Bericht vom Umzug Josephs mit seiner Frau zu seinem Schwiegervater, wo er die<br />
Übersetzung des unversiegelten Teiles der goldenen Platten vornahm. Dies finden wir ähnlich auch bei .<br />
Ebenso ist in beiden Berichten ein Besuch Josephs bei einem Gelehrten in New York geschildert, dem er eine<br />
Abschrift einiger Zeichen von den goldnenen Platten zeigte.<br />
Dann folgt ein kurzer Abriß des Buches Mormon, wobei Orson Hyde die Geographie des Buches<br />
Mormon mit heutigen Bezeichnungen verband. Nach neuerer Erkenntnis Ist diese Zuordnung keineswegs<br />
gesichert. Er nimmt auch an, daß die "amerikanischen Indier" Insgesamt Nachkommen der Lamanlten<br />
seien, was nach archäologischen und anthropologischen Befunden sicher nicht richtig ist. Er interpretiert die<br />
"mounds", die archäologisch reichhaltigen Hügel, die in welten Gebieten Nordamerikas zu finden sind, als<br />
mit Erde bedeckte Haufen von in der Schlacht gefallenen Kriegern, von denen im Buch Mormon die Rede ist.<br />
Auch diese Ansicht ist durch spätere Untersuchungen unhaltbar geworden.<br />
Am Ende des Kapitels wird das Buch Mormon als Abkürzung der Berichte der Nephiten, verfaßt von<br />
Mormon und Moroni charakterisiert. Der Autor weist darauf hin, daß schon sechs Auflagen des Buches<br />
Mormon erschienen waren: "Drei große Ausgaben und eine vierte Stereotypen-Ausgabe ist bereits in den<br />
vereinigten Staaten Amerika's erschienen, so wie auch zwei derselben in England."<br />
Er weist dann auf die Absicht hin, anderssprachige Ausgaben zu veröffentlichen und wie sich sein<br />
deutsches Büchlein In dieses Bemühen einordnet: "Aller Wahrscheinlichkeit nach wird in Bälde eine deutsche<br />
Übersetzung herausgegeben werden so wie auch in der Sprache anderer Nationen. Eine Absicht dieses kleinen<br />
Werkes ist es deshalb, ihr den Weg zu bereiten, und ihr eine Einleitung zu geben."<br />
Dann berichtet der Autor das Ende des nephitischen Volkes und die Rolle Mormons und seines Sohnes<br />
Moroni bei der Vollendung und Bewahrung des Berichtes. Nochmals erwähnt er das Erscheinen des Engels<br />
des Herrn bei Joseph Smith, erwähnt aber mit keinem Wort die Identität dieses Engels mit dem antiken<br />
Propheten und Krieger Moroni.<br />
Zum Abschluß des Kapitels weist der Autor auf die Prophezeiungen Jesajas hin, die durch das<br />
Hervorkommen des Buches Mormon In neuem Licht erscheinen. Er weist besonders auf Jesaja 29 hin und<br />
zitiert Jesaja 37:31,32.<br />
7. Kapitel 3<br />
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Priestertum (Hyde sagt "Priester=Amt"). Zunächst definiert er<br />
das Priesteramt: "Macht und Gewalt ward dem Menschen durch Christus selbst verliehen, wodurch er<br />
bevollmächtigt ist, das Wort des Lebens zu predigen und zu erklären, und das Haus Gottes aufzubauen, zu<br />
organisieren und zu regieren in Sanftmuth und Reinheit, so wie auch alle Gebräuche, Ceremonien und<br />
Anordnungen der Kirche zu verrichten im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes." Danach<br />
warnt er vor jenen, die diese Vollmacht nicht wirklich besitzen, sondern sich nur anmaßen: "Deshalb wird er<br />
dem Volke von keinem Nutzen sein, sondern er wird selbes täuschen, und seine eigene Seele in die Falle<br />
- 26 -
ingen".<br />
Im folgenden wird die Wiederherstellung des Aaronischen Priestertums im Zusammenhang mit dem<br />
Wunsch nach der gültigen Taufe von Joseph Smith und Oliver Cowdry geschildert. Hier läßt er dann Oliver<br />
Cowdry selbst berichten, Indem er die auszugsweise Übersetzung eines Briefes an seinen Freund Richter I. N.<br />
W. Phelps einfügt. In diesem Brief berichtet Oliver Cowdry in teilweise sehr schwärmerischen Worten darüber,<br />
wie er und Joseph Smith durch einen himmlischen Boten die wahre Vollmacht des Priestertums erhalten<br />
haben.<br />
Danach zeigt Orson Hyde auf, daß somit die Priestertumsvollmacht in keiner Verbindung mit anderen<br />
Kirchen steht, besonders nicht mit der katholischen oder einer protestantischen, sondern daß sie direkt von<br />
Gott her stammt: ", so war der Grundstein unserer Kirche aus dem Steinbruche der Natur geholt, ohne zuvor<br />
unter dem polirenden Meißel irgend einer religiösen Sekte gelegen zu haben; und deshalb war er fähig, jegliche<br />
Gestalt anzunehmen, welche dem grossen Baumeister ihm zu geben gefiel." Wieder bezieht er sich darauf, daß<br />
dies eine Notwendigkeit für die Endzeit ist und zitiert Offenbarung 14:6,1 und 1:2 und 18:1. Der Herr ist<br />
gekommen um die Endzeit mittels seines Priestertums einzuleiten. Dazu verweist der Autor noch auf Danlei<br />
12:4. Er sieht die Morgendämmerung neuer Erkenntnisse, er fühlt sich am Beginn einer neuen Ära.<br />
8. Kapitel 4<br />
Dieses Kapitel ist der Darstellung der grundsätzlichen Lehren der Kirche gewidmet. In der Einleitung<br />
beruft sich Orson Hyde darauf, daß er dazu in der Lage sei, weil er durch seine Funktion in der Kirche ( er<br />
gehörte seit 1835 dem Rat der Zwölf Apostel an) die Gelegenheit und die Pflicht hatte, sich mit den<br />
Grundsätzen gründlich vertraut zu machen. Er meint auch, daß er durch diese Schilderung die Freundschaft<br />
der Menschen verlieren könne, war sich also der Brisanz dieser Lehrsätze voll bewußt.<br />
Er teilte die Themen in 16 Artikel auf:<br />
* Ueber die Gottheit<br />
*Ueber den Gebrauch und die Gültigkeit der Schriften des alten und neuen Testamentes in unserer<br />
Kirche<br />
* Ueber den Glauben<br />
* Ueber die Reue<br />
* Ueber die Taufe<br />
* Ueber die Konfirmation nach der Taufe durch Auflegung der Hände<br />
* Ueber das Sakrament des Brodes und Weines<br />
* Ueber das Sündenbekenntniß und die Behandlung gesetzwidriger Glieder<br />
* Behandlung der Kinder In Bezug auf die Kirche<br />
* Ueber die Offenbarungen und Befehle, welche Gott seiner Kirche gab, seit sie organisiert wurde. (1830)<br />
* Ueber den Unterhalt und die Lebensweise unserer Priester * Ueber die Taufe für die Todten<br />
* Ueber das Beten und über die Art der Anbetung * Ueber die Feiertage<br />
* Ueber die Fußwaschung<br />
* Ueber patriarchalische Segnung und ein Wort über Ehe<br />
Im Vergleich zu den dreizehn Glaubensartikel von Joseph Smith, die inzwischen kanonisiert sind,<br />
beschäftigt sich hier Orson Hyde teilweise mit anderen Themen. Die Artikel sind auch viel ausführlicher als<br />
- 27 -
die Glaubensartikel von Joseph Smith.<br />
8.1 Erster Artikel, Ueber die Gottheit<br />
Im Zentrum dieser Gedanken steht Jesus Christus und seine Rolle als Erlöser für die Lebenden und die<br />
Toten. Außerdem wird betont, daß wir Sterblichen die Möglichkeit haben, Gott ähnlich zu werden, was schon<br />
durch unser Aussehen als Abbilder Gottes als Ziel erkennbar ist. Die Körperlichkeit des Vaters wird nicht<br />
erwähnt: "Der Vater ist eine geistige Person voll von Herrlichkeit und Macht".<br />
8.2 Zweiter Artikel, Ueber den Gebrauch und die Gültigkeit der Schriften des alten und neuen<br />
Testamentes in unserer Kirche<br />
Die Bibel wird als eine Sammlung von Beispielen aufgefaßt, die uns helfen<br />
das Göttliche zu verstehen und zu leben. Die Vorschriften darin sind aber für uns heute nicht mehr<br />
bindend, wie sie es für die Juden in alter Zeit waren.<br />
Niemand hat das Recht, diesen Schriften etwas hinzuzufügen oder etwas davon wegzunehmen, außer der<br />
Herr selbst. Wir sollen wie ein kluger Geschäftsmann unseren gegenwärtigen Besitz verwenden, um ihn zu<br />
vermehren, also zu der Bibel die Dinge hinzunehmen, die Gott uns jetzt gibt.<br />
8.3 Dritter Artikel, Ueber den Glauben<br />
Hier beschreibt er den Glauben als grundsätzlichen Antrieb, der uns in allen Lebenslagen zum Handeln<br />
treibt, weil der Glaube "die Gewißheit ist, mit der wir unsichtbare Dinge zu erlangen hoffen". Er verwendet<br />
als Beispiele den Ackersmann, der in Hoffnung auf die Frucht pflügt, den Seemann, der in Hoffnung auf<br />
reiche Handelsgüter hinausfährt und den Kaufmann, der in der Hoffnung auf Besitzvermehrung kauft und<br />
verkauft. Der zweite Flügel, der den Menschen In die Höhe trägt ist aber die Arbeit. Glaube ohne Arbeit<br />
oder Arbeit ohne Glauben sind beide nutzlos und führen nirgendwohin, wie auch ein Vogel nicht mit einem<br />
Flügel alleine aufsteigen kann. Hier betont er also ein Charakteristikum der Kirche Gottes: Die Verbindung<br />
von Glauben und Tat, die schon auf dem Titelblatt angedeutet wurde. Weiters weist er auf die Wirkung des<br />
Heiligen Geistes hin, der nötig ist, damit der Prediger mit Macht spricht. Der Gegenstand dieses Glaubens<br />
muß Jesus Christus sein. Dies ist der erste Grundsatz des Glaubens, wie es auch im 4. Glaubensartikel von<br />
Joseph Smith heißt.<br />
8.4 Vierter Artikel, Ueber die Reue<br />
Als zweiten Grundsatz spricht er über die Reue (heute wird dies als Umkehr bezeichnet). Er erklärt die<br />
Notwendigkeit der Demut als Voraussetzung für die Reue. Dabei läßt er einen ganz vorsichtigen Angriff auf<br />
die etablierten Kirchen los, deren Führern er Stolz und Ehrsucht vorwirft. Außerdem bemängelt er die<br />
Verquickung von Staat und Kirche und prophezeit für die Endzeit eine Aufdeckung aller Mißstände. Er<br />
vergleicht die Situation mit einer Schneedecke, die alle häßlichen Stellen weiß verdeckt, aber nur bis sie in der<br />
Sonne dahinschmilzt. Diese Gedanken äußert er nur sehr vorsichtig und mit Vorbehalten, wahrscheinlich im<br />
Bewußtsein der Zensur, die sein Werk zu passieren hat, um veröffentlicht zu werden.<br />
Wer durch Demut seine Sünden erkennt und sich verpflichtet, Jesus Christus zu gehorchen und<br />
- 28 -
nachzufolgen ist reif für den nächsten Schritt, den er im folgenden Artikel behandelt.<br />
8.5 Fünfter Artikel, Ueber die Taufe<br />
Hier lehrt Orson Hyde die Notwendigkeit der Taufe durch Untertauchen für Menschen, die "zu den<br />
Jahren der Vernunft gekommen sind und selbst erkannt haben, daß sie gegen ihren Gott sündigten." Er<br />
vergleicht die Taufhandlung mit der Unterschrift eines Bankiers auf einer Schuldverschreibung: Das Blatt<br />
Papier erhält durch den Bankier seinen Wert, die Taufe durch die Vollmacht Jesu Christi. Im weiteren geht<br />
er auf die Taufe der Erde in der Sintflut ein, wodurch sie gereinigt wurde. Er blickt auch in die Zukunft,<br />
wenn die Erde im Feuer wieder gereinigt und der Aufenthalstort Christi und seiner Heiligen werden soll.<br />
Im weiteren Verlauf vergleicht er die Taufe in sehr geläufiger Weise mit Tod, Begräbnis und<br />
Auferstehung.<br />
Zum Schluß wendet er sich gegen die gängige Form der "Taufe", das Besprengen und illustriert das mit<br />
einer kleinen Anekdote über Indianermissionare, die von ihren Schützlingen der Inkonsequenz überführt<br />
wurden: In dem Bibelabschnitt, den die Missionare übersetzt hatten, war von Taufe durch Untertauchen die<br />
Rede, die Missionare wollten durch Besprengen taufen und verloren dadurch Ihre Glaubwürdigkeit.<br />
8.6 Sechster Artikel, Ueber die Konfirmation nach der Taufe durch Auflegung der Hände<br />
Folgerichtig wird als nächstes die Konfirmation behandelt. Es fällt auf, daß hier dem Täufling erst nach<br />
vollzogener Taufe erklärt wird, worum es sich bei der Konfirmation handelt und dann wird sie von Ältesten<br />
vollzogen.<br />
An die Beschreibung der heiligen Handlung schließen sich Gedanken über die Funktion des Priesterums<br />
als Vermittlung zwischen Gott und Mensch, wie sie ja bei der Konfirmation, der Übertragung der Gabe des<br />
Helligen Geistes augenfällig ist.<br />
8.7 Siebenter Artikel, Ueber das Sakrament des Brodes und Weines<br />
Hier erklärt er das Abendmahl und seine symbolische Bedeutung als Erinnerung an das Sühnopfer Jesu<br />
Christi und grenzt es von der Lehre der Transsubtantiation ab. Er spricht hier noch ausschließlich von Wein,<br />
obwohl die Offenbarung, die später zur alleinigen Verwendung von Wasser führte schon im August 1830<br />
gegeben worden war 12 .<br />
In diesem Zusammenhang kommt er auch auf den Sabbat zu sprechen: "In unserer Kirche ist dieß<br />
Sakrament an jedem ersten Tag der Woche gespendet, welcher gegenwärtig unser Sabbath ist". Er zeigt also<br />
an, daß der Tag des Sabbats im Prinzip wechseln kann.<br />
Er tritt der Kritik entgegen, daß das Abendmahl durch so häufigen Gebrauch in den Augen der<br />
Menschen entwertet werden könnte und unterstreicht seine Bedutung als Neuverpflichtung, Jesus Christus<br />
nachzufolgen: " Jene, welche an diesem Sakramente mit Glauben und Reinheit theilnehmen, empfangen<br />
- 29 -
geistige Kräfte und göttlichen Trost. Die öftere Wiederholung dieser göttlichen Anordnung betrachten wir als<br />
unausweichlich nothwendig, um die Kirche in beständigen gesunden Zustand und Wachsthume zu erhalten."<br />
8.8 Achter Artikel, Ueber das Sündenbekenntnis und die Behandlung gesetzwidriger Glieder<br />
Hier faßt Orson Hyde das im Rahmen der Umkehr notwendige Bekennen der Verfehlungen und das<br />
Gerichtswesen der Kirche zusammen. Er nennt zwei Instanzen: "die Kirche mit einem vorsitzenden Ältesten"<br />
für Streitigkeiten unter gewöhnlichen Umständen und "ein höheres Tribunal aus zwölf Hohenpriestern". Die<br />
Bedeutung von Offenbarung für die Entscheidungsfindung wird hervorgehoben.<br />
8.9 Neunter Artikel, Behandlung der Kinder in Bezug auf die Kirche<br />
Hier erwähnt der Autor die Verpflichtung aller Eltern in der Kirche, ihren Kindern die Grundsätze des<br />
Evangeliums beizubringen.<br />
Er gibt das Alter von acht Jahren als das Alter für die Taufe an und erwähnt, daß kleinere Kinder von<br />
den Ältesten gesegnet werden sollen.<br />
Zum Abschluß vermittelt er den Grundsatz, daß man nur sündigen kann, wenn man imstande ist, das<br />
Gesetz zu erkennen und zu begreifen. Daher brauchen kleine Kinder die Taufe nicht.<br />
8.10 Zehnter Artikel, Ueber die Offenbarungen und Befehle, welche Gott seiner Kirche gab, seit sie<br />
organisiert wurde (1830)<br />
Mit diesem Thema schneidet er bewußt einen Streitpunkt mit praktisch allen anderen Konfessionen an.<br />
Im Glauben an moderne Offenbarung sieht er einen wesentlichen Grund für die Verfolgung, die gegen die<br />
Kirche tobte.<br />
Die Offenbarungen haben viele Bibelstellen erhellt, die vorher unverständlich waren. Er versichert, daß in<br />
der Kirche Prophezeiungen, Offenbarungen, Visionen und Träume vorhanden sind, wodurch Gott sein Volk<br />
warnt und ermahnt. In diesem Zusammenhang erwähnt er auch die wirksame Krankensegnung, die ja auch<br />
nicht allgemein anerkannt wird. In diesem Rahmen zieht er einen Vergleich zwischen dem Volk Gottes in<br />
alter Zeit und den Kirchen der Gegenwart: Früher waren Träume, Prophezeiungen und Visionen<br />
hochgeschätzt und ihr Ausbleiben wurde beklagt. Heute wird so etwas als Anmaßung oder Narrheit völlig<br />
verdammt.<br />
8.11 Eilfter Artikel, Ueber den Unterhalt und die Lebensweise unserer Priester<br />
Als erstes betont Hyde: "In unserer Kirche gibt es keinen Priester, der eine Besoldung für sein Predigen<br />
bekäme, sondern sie sind alle von der Großmuth des Volkes abhängig, unter denen sie arbeiten." Dann<br />
betont er, daß es keine Amtstracht der Priester gibt, daß Priester verheiratet sein können und sollen, mit nur<br />
einer Frau, aber nach ihrem Tod wieder heiraten dürfen. Dies zeigt an, daß zu diesem Zeitpunkt die Vielehe<br />
noch nicht allgemein verkündet war. Dies geschah erst am 12. Juli 1843. Verwendung von Tabak wird als<br />
verboten erklärt.<br />
- 30 -
Der Rest des Artikels umfaßt ein Zitat aus moderner Offenbarung 13 , welches sich auf die Art bezieht,<br />
wie das Evangelium verkündet werden soll und was die Sorge der Prediger sein soll und was nicht.<br />
8.12 Zwölfter Artikel, Ueber die Taufe für die Todten<br />
Hyde weist darauf hin, daß es in der Schrift nur schwache Andeutungen darüber gibt, die erst durch die<br />
deutlichen modernen Offenbarungen auffallen. Dann erläutert er den Zweck dieser stellvertretenden Handlung,<br />
wobei er den Personenkreis einschränkt, wie es heute nicht mehr zutrifft: "Deßhalb hat es unserm<br />
himmlischen Vater gefallen, den Gliedern der Kirche das ausgezeichnete Vorrecht zu gewähren, daß sie<br />
getauft werden können, für ihre verstorbene Freunde, mit denen sie persönlich bekannt waren vor ihrem Tode."<br />
Wie tausende<br />
Missionare nach Ihm weist er zur Bestätigung auf 1. Korinther 15:29 hin.<br />
8.13 Dreizehnter Artikel, Ueber das Beten und über die Art der Anbetung<br />
In diesem Artikel weist der Autor auf die Notwendigkeit täglichen Gebetes allein und in Gemeinschaft<br />
hin. Danach spricht er über den Ablauf der sonntäglichen Gottesdienste: Zwei Stunden vormittags, die mit<br />
Gebet und Gesang eröffnet werden, "eine Rede an das Volk" und dann eventuell<br />
"Exhortationen"(Ermahnungen, Aufmunterungen) enthalten und mit mehreren Gesängen beschlossen werden.<br />
"Der Nachmittag wird mit Gesängen, Exhortationen, und mit Spendung der heiligen Sakramente, als<br />
Beicht, Abendmahl und Konfirmation, so wie auch mit Segnung der Kinder, und andern, den Umständen<br />
angemessenen Verrichtungen zugebracht."<br />
Eine Sonntagschule gibt es noch nicht, auch keine Versammlungen für Priesterschaft oder<br />
Hilfsorganisationen. Die Frauenhilfsvereinigung war gerade wenige Monate zuvor, am 17. März 1842<br />
gegründet worden und die Primarvereinigung wurde erst am 11. August 1878 ins Leben gerufen. Sie werden<br />
auch dann noch lange Jahre während der Woche geführt und nicht am Sonntag. Was unter "Beicht" zu<br />
verstehen ist, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich ein öffentliches Schuldbekenntnis der Mitglieder.<br />
8.14 Vierzehnter Artikel, Ueber die Feiertage<br />
Hier zieht der amerikanische Autor Vergleiche zwischen den Verhältnissen in seiner Heimat und in<br />
Europa. Er weist darauf hin, daß in USA Staat und Kirche völlig getrennt sind, daß aber die Gouverneure<br />
zu gewissen Fast- und Gebetstagen aufrufen, die aber zum Unterschied von Europa nicht bindend sind, aber<br />
dennoch allgemein gehalten werden. Dazu kommen noch weitere Tage, die von der Kirche festgesetzt werden:<br />
"Diesen Tagen werden von Zeit zu Zeit durch unsern vorsitzenden Aeltesten hinzugefügt, so wie es die<br />
Umstände veranlassen, wo denn unter Fasten und Beten dem Herrn Dank dargebracht wird für Seine uns<br />
überflüssig erwiesene Güte."<br />
Die Strenge der Sabbatheiligung durch völlige Einstellung von Arbeit und Handel und die Hingabe zum<br />
Herrn in Amerika wird hervorgehoben und dem Tag der Erholung und des Vergügens in Europa<br />
gegenübergestellt.<br />
8.15 Fünfzehnter Artikel, Ueber die Fußwaschung<br />
Es ist dies eine Verordnung, die heute in der Kirche nicht mehr in dieser Form durchgeführt wird. Sie ist<br />
in den heiligen Handlungen des Tempels aufgegangen.<br />
- 31 -
Orson Hyde unterscheidet zwei Arten der Fußwaschung: Die "private", die in kleinem Kreis als Zeichen<br />
der Demut durchgeführt wurde und die "offizielle", die eine heilige Handlung mit Konsequenzen ist. Sie wird<br />
von Präsidenten der Kirche vollzogen an Priestern, die zwei oder drei Jahre ihre reisende oder lokale Tätigkeit<br />
getreu ausgeführt haben. Dabei werden ihre Füße gewaschen und ihr Haupt und ihr Körper gesalbt. Der<br />
Vollzug dieser Handlung bedingt eine noch stärkere Verpflichtung, alles zu tun was ihnen aufgetragen wird,<br />
sei es zu reisen und zu predigen oder ein örtlicher Vorsteher zu sein.<br />
8.16 Sechzehnter Artikel, Ueber patriarchalische Segnung und ein Wort über die Ehe<br />
Hier wird die Funktion des Patriarchen als Ersatz für einen Vater dargestellt, der entweder verstorben<br />
ist oder die Vollmacht des Priestertums nicht hat. Jeder Vater soll vor seinem Tod seine Kinder segnen. ist<br />
dies nicht möglich spendet der berufene Patriarch diesen Segen, der sehr wichtig für die Mitglieder der Kirche<br />
ist. Heute kann nur ein berufener Patriarch einen patriarchalischen Segen spenden, der Vater hat andere<br />
Aufträge.<br />
Zum Schluß erwähnt Hyde noch, daß allen Personen in der Kirche das Heiraten erlaubt ist und weist<br />
darauf hin, daß die Eheschließung mit einem Nichtmitglied zwar nicht verboten ist, aber als Zeichen der<br />
Glaubensschwäche betrachtete wird.<br />
9. Einige gesammelte Gedanken<br />
Zuerst gibt Orson Hyde einige Gedanken über die Endzeit, die angebrochen ist und vergleicht sie mit der<br />
Zeit Noahs. Damals wie heute gibt es Boten, die die Absicht Gottes verkünden. Damals wie heute wird<br />
ihnen nicht geglaubt.<br />
Es schließen sich überlegungen über Reichtum und Armut und über die Aufnahme der Botschaft<br />
hauptsächlich durch die Armen der Erde an. Dann spricht er über das zweite Kommen Christi und die<br />
Reinigung der Erde, die dann von den Ungläubigen und der Macht Satans befreit sein wird.<br />
Danach geht er sehr ausführlich auf die Geschehnisse der vorangegangenen Jahre ein. Als Begründung für<br />
die Ansiedlung der Heiligen in Missouri nennt er die Prophezeiung im Buch Mormon, daß eine große Stadt<br />
erbaut werden soll durch das Volk, das ans Buch Mormon glaubt 14 . Als Grund für die Feindschaft der<br />
politischen und religiösen Führer Missouris wird die Angst angeführt, durch die wachsende Zahl der<br />
Mormonen aus der Macht gedrängt zu werden. Die politischen Führer nahmen an, daß sie bei einer Überzahl<br />
der Mormonen abgewählt würden und die Geistlichen fürchteten durch Verlust ihrer Kirchenmitglieder an die<br />
Mormonen ihren Einfluß zu verlieren.<br />
Dies führte zu einer Verleumdungskampagne, in der die Helligen beschuldigt wurden, die schwarzen<br />
Sklaven aufzuhetzen. Das wurde als Vorwand für grausame Verfolgung benutzt, der man nur durch<br />
Verleugnung der Religion entkommen konnte. Als Beispiel für die Verfolgungen zitiert er einen<br />
Augenzeugenbericht des Massakers von Hauns Mill, der von Joseph Young verfaßt worden war 15 : Am 30.<br />
Oktober 1838 überfiel ein Haufen von etwa 240 Bewaffneten die Siedlung von Hauns Mill, die 28 Männer<br />
zur Verteidigung aufbieten konnte. Dieser zahlenmäßige Unterschied führte zum Tod von 18 oder 19<br />
Personen, zur schweren Verletzung einer weitern Anzahl und zur Zerstörung der Siedlung und zum Raub<br />
von Einrichtung, Kleidung und Vieh.<br />
Auf diesen Bericht folgt ein kurzer Abriß der Vertreibung aus Mlssouri und der freundlichen Aufnahme<br />
der Flüchtlinge in Illinois.<br />
- 32 -
Weiters berichtet er von der Gründung der Stadt Nauvoo, einschließlich des Privilegs, eine eigene Miliz<br />
aufzustellen. In diesem Zusammenhang erwähnt er das Erscheinen eines Berichtes über die militanten<br />
Mormonen in einer Regensburger Zeitung. Dann widmet er sich dem Erfolg der Verkündigung in der<br />
Umgebung von Nauvoo: "und es war nicht selten zu sehen, daß fünfzig bis hundert Personen an einem Tag<br />
getauft wurden, um unserer Kirche einverleibt zu werden." In diesem Zusammenhang nimmt der Autor die<br />
Verfolgung als glaubensstärkende Kraft an. Weiters spricht er davon, daß 1500 Bekehrte aus England<br />
gekommen sind und daß sich etwa 10 000 auf die Auswanderung vorbereiteten.<br />
Dann gibt er Zeugnis über den göttlichen Auftrag und die göttliche Macht, die Joseph Smith zu seinem<br />
Werk befähigen. Weiters gibt er Zeugnis darüber, daß er durch die Macht Gottes geheilt wurde, als die Ärzte<br />
ihm nicht helfen konnten.<br />
Weiters teilt er uns mit, daß er beinahe drei Jahre von seiner Familie getrennt sei und sich sehr auf die<br />
Rückkehr freue. Als Zeit der Rückkehr aus dem nahen Osten nach Regensburg gibt er Februar an. In<br />
Regensburg hat er Englischunterricht erteilt und mit Hilfe eines Schülers das Buch verfaßt.<br />
Zum Schluß gibt er Zeugnis, daß es ihm auf seiner Reise an nichts gemangelt hat, obwohl er ohne Geld<br />
ausgegangen war. Den Schluß bildet ein kurzes Gebet, mit der Bitte aufrecht im Evangelium zu bleiben und<br />
nach dem Tode in die Ruhe des Herrn eingehen zu dürfen.<br />
10. Konsulatsbestätigung<br />
Hierbei handelt es sich um die Bestätigung des Konsulats der USA in Rotterdam, daß die Papiere von<br />
Orson Hyde in Ordnung sind und daß er von vertrauenswürdigen Personen geachtet und respektiert wird.<br />
Diese Abschrift ist datiert mit 24. Juni 1841<br />
11. Anhang<br />
Er schließt eine Warnung an Bayern an, daß es sich nichts Gutes tut, wenn es das Evangelium aussperrt.<br />
Weiters warnt er davor, die in diesem Buch dargestellten Lehren und Grundsätze zu verspotten und gibt<br />
Zeugnis von ihrer Göttlichkeit, wobei er aber auf die Unvollkommenheit in ihrem "Mechanismus" hinweist.<br />
Zum Abschluß kündigt er an, daß bald Prediger gesandt werden, "welche Deutsche von Geburt und<br />
Erziehung sind". Auch Orson Hyde äußert die Hoffnung, bald nach Deutschland wiederkehren zu können.<br />
12. Schlußfolgerung<br />
Dieses sehr frühe Werk ist auch heute noch weitgehend aktuell. Es zeigt, daß die Grundsätze des<br />
Evangeliums die vor 150 Jahren gelehrt worden sind, heute noch ebenso gelehrt werden.<br />
Auf der anderen Seite gibt es einen recht persönlichen Einblick in die Schwierigkeiten, mit denen die<br />
Kirche In dieser frühen Zeit zu kämpfen hatte und ist so ein wichtiges historisches Dokument.<br />
Obwohl Orson Hyde sich keineswegs In den Mittelpunkt seines Werkes gestellt hat, wirft dieses Buch<br />
doch ein Licht auf sein Leben, und natürlich ganz besonders auf seine Denkweise und seinen starken,<br />
unerschütterlichen Glauben.<br />
Es wäre vielleicht interessant, dieses Werk einem weiteren Kreis zugänglich zu machen.<br />
- 33 -
[1] Anhang 1, Titelblatt<br />
[2] Buch Mormon, Moroni 10:3-5<br />
[3] Jenson, Andrew. Latter-day Saint Biographical Encyclopedia, Deseret News, Salt Lake City, Vol.<br />
1, S. 81<br />
[4] Bibel, 2. Korintherbrief 11 [5] Lehre und Bündnisse 115:4<br />
[6] Histol'Y of the Chu rch, Vol.l chap. 1-5<br />
[7] Die Köstliche Perle, ~oseph Smith Lebensgeschichte, Vers 12 [8] ibid. Verse 12,13 [9] ibid. Verse<br />
15,16<br />
[10] ibid. Verse 20-29 [11] ibid. Verse 33-42<br />
[12] Lehre und Bündnisse 27<br />
[13] Lehre und Bündnisse 84:77-96, mit Auslassungen wiedergegeben [14] Buch Mormon 3. Nephi<br />
20:22;21:24<br />
[15] Anhang 2, Joseph Youngs Bericht von Haun's Mill<br />
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Geht zu allen Völkern:<br />
Die internationale Ausbreitung des Mormonismus 1830-1855<br />
Douglas F. Tobler<br />
Der Herbst 1991 bietet uns eine ausgezeichnete Perspektive von der fortwährenden Internationalisation<br />
und der wachsenden gegenseitigen Abhängigkeit aller Nationen der Welt. Ereignisse der letzten drei Jahre in<br />
Europa, dem Mittelosten, und in letzter Zeit in der Sowjetunion, haben das Maß, in dem wir ein weltweites<br />
Gemeinwesen geworden sind, unterstrichen. Dies nicht nur in Hinsicht auf Industrialisierung, Technik and<br />
Kommunikationen, sondern auch in der allgemeinen Anerkennung unserer Ansprüche auf universale<br />
Menschenrechte und Freiheiten.<br />
Dieser machtvolle universale Zeitgeist ist ebenfalls an den letzten Entwicklungen in der Kirche Jesu<br />
Christi der Heiligen der Letzten Tage erkennbar. Mit der Präsidentschaft David O. McKays im Jahre 1951<br />
beginnend--er war selbst ein überzeugter Kosmopolit--und in letzter Zeit in der Person von Spencer W.<br />
Kimball, hat die internationale Verbreitung der Kirche neue Dringlichkeit und neue Dimensionen<br />
angenommen. Zum Beispiel wurden mit der Offenbarung im Jahre 1978, die den Schwarzen das Priestertum<br />
gab, neue Anfänge im schwarzen Afrika gemacht; ebenso gab es beachtliche Ausdehnungen in Zentral- und<br />
Südamerika. Jetzt gibt es Pfähle in Nigerien, Ghana und Zimbabwe. Und das ist erst der Anfang. Es gibt<br />
in der Tat allen Grund zu glauben, daß sobald die Apartheid hinter uns liegt, politische und soziale Unruhe<br />
endet, die Kirche Afrika und die Afrikaner besser verstehen lernt und daraus eine Lehre zieht, das<br />
Wachstum dort ganz dramatisch sein wird.<br />
Vergleichbare Erfolge sind in jüngerer Zeit in Zentral- und Osteuropa erzielt worden. Mit der<br />
Wiedervereinigung Deutschlands wird die Missionsarbeit hier, wie auch in der Tschechoslowakei, in vollem<br />
Maße durchgeführt. Neue Missionen sind in Polen, Bulgarien und Ungarn eröffnet worden, und es gibt einige<br />
Gemeinden in dem ehemaligen Jugoslawien. Wichtige humanitäre Arbeit wird in Rumänien und Bulgarien<br />
verrichtet, um diese Länder für die Missionsarbeit der Mormonen zu eröffnen. Was aber am wichtigsten ist,<br />
die Kirche ist in einigen Ländern der ehemaligen Sowjetunion--Russland, Ukraine und Belarus-- gegründet<br />
worden, und die Ereignisse dort, besonders seit dem fehlgeschlagenen Putschversuch im August, versprechen ein<br />
politisches Klima, in dem alle Kirchen wachsen können. Vielleicht sehen wir hier und auch anderswo eine<br />
geduldige göttliche Hand in dem menschlichen Wirken, die hilft, eine Atmosphäre der Freiheit zu schaffen, in<br />
der das Evangelium zu allen seinen Kindern gebracht werden kann.<br />
Vor einigen Jahren hat die Brigham Young Universität in Jerusalem, der Hauptstadt der Weltreligionen,<br />
ein wunderschönes akademisch-religiöses Zentrum eröffnet. Dies gab dem Mormonismus die notwendige<br />
Gegenwart, sowie einen Stützpunkt in der jüdischen und mohammedanischen Welt. Trotz der Bemühungen<br />
Orson Hydes steckt die Arbeit mit den Juden immer noch in den Kinderschuhen; mit den Mohammedanern<br />
hat sie überhaupt noch nicht begonnen. Der Geist des religiösen Oekumenismus, der in der jüdisch-christlichen<br />
Welt so bedeutsam geworden ist, hat jetzt auch angefangen, im Mormonismus Fuß zu fassen, um dadurch die<br />
Grundlage einer größeren Teilnahme und Verständigung nicht nur mit anderen Christen und Juden, sondern<br />
auch mit der weltweiten mohammedanischen Bevölkerung zu schaffen. Mormonen arbeiten überall mit guten<br />
Menschen zusammen um Hunger zu stillen, Seuchen auszumerzen, den Obdachlosen zu helfen und soziale<br />
Gerechtigkeit zu fördern.<br />
Die Brigham Young Universität ist ebenfalls sehr erfreut, mit der Universität Regensburg in dieser<br />
Konferenz zusammenzuarbeiten. Es ist in der Tat ein neuer Weg, ein kleiner Schritt in einer neuen Zeit für<br />
die Brigham Young Universität, sich in einer erweiterten Welt mehr zu betätigen.<br />
Es gibt ebenfalls ermutigende Signale in Ländern wie China, wo trotz politischer Unterdrückung mehr<br />
- 35 -
und mehr Chinesen in und außerhalb Chinas den Mormonismus kennenlernen und annehmen. Einige dieser<br />
Akademiker, Wissenschaftler, Vortragskünstler, Ärzte und Geschäftsleute werden zweifellos in Zukunft eine<br />
wichtige Rolle beim Aufbau der Kirche unter diesem Riesenvolk spielen. Andere Freunde der Kirche, wie<br />
Professor Su Ge, dem vor zwei Jahren ein Doktorgrad in amerikanischer Geschichte von der BYU verliehen<br />
wurde, können einflußreiche moderne Thomas L. Kanes' sein und Verständnis und Glaubwürdigkeit fördern,<br />
so daß viele Tausende durch sie die Botschaft hören können. Aber diese Internationalisierung ist mehr als<br />
geographisch. Sie ist auch intellektuell. Es gibt Beweise dafür, daß der Mormonismus jetzt anfängt das zu<br />
gewinnen, was er so dringend braucht, um mehr Fortschritt in einer immer zunehmenderen sekulären und<br />
skeptischen Welt zu gewinnen, nämlich von kritischen, unvoreingenommenen, gebildeten Menschen und<br />
Gelehrten als alternative und sachdienliche Weltanschauung anerkannt zu werden.<br />
Vor einigen Jahren unternahm Professor Ernst Benz, angesehener Historiker und Theologe in<br />
Marburg/Lahn, ein gründliches Studium des Mormonismus und der Kirche. In seinem Buch Urbild und<br />
Abbild., fordert er europäische Gelehrte auf, den Mormonismus und besonders dessen Gottesbegriff, ernst zu<br />
nehmen, da die diesbezügliche Lehre der Kirche der der urchristlichen Kirche am nächsten kommt. 1<br />
Aber mehr zusammenfassend und noch eindringlicher ist das Verständnis von Professor Rodney Stark,<br />
einem bekannten religiösen Soziologen der Universität Washington. Er schrieb 1984 in Review of Religion<br />
Research einen Artikel mit dem Titel "Der Aufgang eines neuen Weltglaubens", in welchem er seine<br />
akademischen Kollegen kritisierte, weil sie dem außergewöhnlichen "Wunder" des Wachstums der Mormonen,<br />
"einem der großen Ereignisse in der Religionsgeschichte", so wenig Beachtung schenkten. Mormonismus,<br />
behauptet er, ist eine "neue Religion". Mormonen "werden sehr bald eine weltweite Mitgliedschaft haben, die<br />
mit dem Islam, Buddhismus, dem Christentum, Hinduismus und anderen Hauptreligionen vergleichbar sein<br />
wird. . . In der Tat stehen sie heute an der Schwelle, die erste neue religiöse Glaubensbewegung zu werden, seit<br />
der Prophet Mohammed aus der Wüste kam." 2<br />
Wenn wir eine Wachstumsrate von 30% für jedes Jahrzehnt erwägen, dann war das Wachstum in den<br />
fünfziger Jahren 52%, in den sechziger Jahren 73%, und in den siebziger Jahren 58%. Stark schätzte, daß<br />
die Kirche eine Mitgliedschaft von 4 638 000 im Jahre 1980 und im Jahre 2080 63 415 000 haben würde.<br />
Falls aber eine Wachstumsrate von 50% beibehalten werden kann, wären es 265 259 000! 3<br />
In ähnlicher Weise kam die hochgeachtete amerikanische Historikerin Jan Shipps in ihrem Buch<br />
Mormonismus, das sie 1985 veröffentlichte und von dem ein Historiker der Columbia Universät behauptete,<br />
"daß es sehr wohl das aufsehenerregendste Buch sei, das jemals über den Mormonismus geschrieben worden<br />
war", 4 zu der bündigen aber eindrucksvollen Einsicht, daß der "Mormonismus eine neue religiöse Tradition"<br />
sei. 5<br />
Diesen Stimmen von Akademikern haben sich vor kurzem sehr positive und umfassende<br />
Dokumentarfilme über den Mormonismus in Japan und der Sowjetunion angeschlossen. Zwei der<br />
einflußreichsten amerikanischen Zeitschriften Time und Money enthielten in diesem Sommer Artikel über<br />
Utah und die Mormonen, in denen sie den positiven Einfluß des Mormonismus priesen, und das Provo-Orem<br />
Gebiet in Utah, das Kernland des Mormonismus, zumindest für 1991 den begehrtesten Ort nannten, in dem<br />
man in den Vereinigten staaten leben kann. 6<br />
In unserer sich schnell ändernden, ahistorischen Zeit besteht die Tendenz, diese Universalität und<br />
internationale Orientierung des Mormonismus als "neu" zu betrachten. Obwohl es stimmt, daß einige der<br />
Bekundigungen und besonders das Tempo "neu" sind, so möchte ich in diesem Essay erneut bestätigen, daß<br />
dieser Universalismus schon immer eines der hauptsächlichsten unterscheidenden Merkmale der Christenheit<br />
und der mormonischen Christenheit insbesondere, vom ersten Tag der Wiederherstellung an, gewesen ist.<br />
- 36 -
Ferner sollte man feststellen, daß dieser Universalismus in mehr als 150 Jahren des Bestehens des<br />
Mormonismus konstant geblieben ist und eine wesentliche Rolle in seinem weltweiten Erfolg gespielt hat.<br />
Genau gesagt bezieht sich die Botschaft des Mormonismus auf alle Menschen, auf alle Zeiten und auf alle<br />
Orte, und macht das tägliche Menschenleben und den menschlichen Zustand, selbst in Zeiten wenn andere<br />
Religionen für den Menschen als irrelevant erachtet werden, bedeutsam und kraftvoll. 7<br />
Die Betonung der Universialität und des Bestehens der Mormonenweltanschauung sollte uns nicht an die<br />
Änderungen binden, die im Mormonismus oder dessen amerikanischem Standort, vorgenommen worden sind.<br />
Ich bin mir bewußt, daß erfahrene Historiker, sowohl Mormonen wie Nicht-Mormonen, die amerikanische<br />
Natur des Mormonismus betont haben. Vor einigen Jahren schrieben zwei meiner Kollegen, die Professoren<br />
HilI und Allen, daß "die Geschichte des Mormonismus zweifellos amerikanische Geschichte repräsentiert,<br />
und gleichzeitig ein unvergleichbar amerikanisches Phänomen ist. Wir glauben, daß wenn man etwas<br />
Bedeutsames über den Mormonismus schreibt, man über Amerika schreibt . . . " 8<br />
Ich bin mir ebenfalls der Tatsache bewußt, daß die meisten europäischen Gelehrten und Journalisten, die<br />
im 19. und 20. Jahrhundert über den Mormonismus schrieben, ihn als eine typische, anglo-amerikanische,<br />
religiöse Abirrung betrachteten, der hoffnungslos hinter den mehr fortgeschrittenen europäischen kulturellen<br />
Normen steht. 9 Es gibt ebenfalls die zeitgenössische Ansicht einiger europäischer Mormonen, daß die<br />
Amerikaner in der Kirche einen zu großen Einfluß haben und kulturell tonangebend sind. Zweifellos ist es<br />
notwendig, diese Ansichten ernst zu nehmen und im Interesse des reinsten und wahrsten Universalismus, den<br />
Mormonismus von allem unangebrachten kulturellen Gepäck zu befreien. Aber trotzalledem glaube ich, daß<br />
die Kirche hauptsächlich durch göttliche Führung, all dies überlebt hat und noch überleben wird, daß sie eine<br />
immer größere Rolle spielen wird sowohl wegen ihres amerikanischen Standorts als auch wegen ihrer<br />
universalen Errettungsbotschaft, zusammen mit den universalen Ideen der Menschenwürde und Freiheit als<br />
Kinder Gottes, die für alle Menschen bestimmt ist. Außerdem sollten wir daran denken, daß Europa von<br />
Anbeginn dieses Vorgangs der internationalen Ausdehnung eine Hauptrolle gespielt hat.<br />
Von 1840 an wurde der Strom europäischer Bekehrter ein wesentlicher Teil der kollektiven Masse von<br />
Heiligen zuerst in Nauvoo und später im Great Basin Kingdom. sie waren durch die Botschaft und den<br />
göttlichen Geist angetrieben worden, sich dort zu sammeln. Sie bildeten die Grundlage und hatten den<br />
Glauben und taten alles, was die junge Kirche brauchte, um eines Tages die weltweite Ausbreitung des<br />
Mormonismus zu ermöglichen. Die Heiligen, die aus Europa kamen, waren für ihre Aufgaben sehr geeignet:<br />
Sie waren Bauern, Handwerker, Lehrer, Arbeiter, Hebammen, Geschäftsleute; sie hatten Berufe, die in der<br />
Pionierzeit sehr notwendig waren. Aber sie waren mehr als das: sie waren religiöse Sucher, die ein vollständiges<br />
Evangelium suchten, mit Aposteln und Propheten und den Gaben des Geistes. Ein protestantischer deutscher<br />
Gelehrter, Richard Lempp, klagte, daß die Sekten die frommsten und treuesten Christen in Deutschland für<br />
sich gewannen. 10 Sie trachteten besonders nach einem religiösen Glauben, der ihre großen Fragen im Leben<br />
beantworten und ihnen helfen würde, die Welt, in der sie lebten, zu verstehen.<br />
Die frühesten Offenbarungen an Joseph Smith wiederholten die Aufforderung Jesu an seine Apostel:<br />
"Dann sagte er zu ihnen: Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!<br />
Wer glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden" (Markus<br />
16:15-16). Das Buch Mormon sollte von den "Juden und Nicht juden" gelesen werden; beide sollten davon<br />
überzeugt werden, daß Jesus der Erretter ist. Abschnitt 4 der Lehre und Bündnisse gibt ganz klar und<br />
deutlich die Voraussetzungen für wirkungsvolle Missionsarbeit, und Abschnitt 1 erklärt den Hauptzweck<br />
der Wiederherstellung, nämlich "damit die Enden der Welt und vor Königen und Herrschern die Fülle meines<br />
Evangeliums durch die schwachen und einfachen Menschen verkündigt werde." (L.u.B. 1:23) In der Lehre<br />
und Bündnisse allein gibt es im ganzen 29 verschiedene Schriftstellen, in denen die weltweite Verkündigung<br />
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der Evangeliumsbotschaft befohlen wird. Der Mormonismus war nichts anderes als eine universale<br />
Heilsbotschaft. Die Größe dieser Aufgabe versetzte die ersten Mormonen in Furcht.<br />
Dennoch haben Smith und seine Mitarbeiter ihre Aufgabe sehr ernst genommen und ein aktives<br />
Missionsprogramm begonnen. Zuerst im nachbarlichen, ländlichen Teil des Staates New York und dessen<br />
Umgebung, und dies bereits bevor die Kirche offiziell organisiert war. Schon im Jahre 1830 brachte ihre<br />
Begeisterung das Evangelium zu predigen sie in das naheliegende Kanada, wo sie einige Menschen bekehrten.<br />
Andere Kanadier und vor kurzem eingewanderte Engländer, wie die Fieldings, folgten. Sie waren sehr daran<br />
interessiert, daß ihre Verwandten in England auch von ihrem neugefundenen Glauben lernen sollten. Das<br />
veranlaßte die Eröffnung der ersten "fremden" Mission in England. 11<br />
Die Berichte von den außerordentlichen Erfolgen dieser ersten Missionare - Heber C. Kimball, Joseph<br />
Fielding und Orson Hyde und Gefährten - in Großbritannien sowie die unglaubliche Arbeit, die dort in den<br />
Jahren 1840-41 von den Aposteln unter der Leitung von Brigham Young geleistet wurde, ist so gut bekannt,<br />
daß sie hier nicht in Einzelheit wiederholt werden muß. Am Abschluß ihrer Mission in Großbritannien, die<br />
376 Tage gedauert hatte, gab Brigham Young den folgenden Bericht:<br />
Mit einem Herzen voller Dankbarkeit für Gott, meinen himmlischen Vater, dachte ich über seine Liebe<br />
nach, die er mir und meinen Brüdern von den Zwölf während des vergangenen Lebensjahres, das wir in<br />
England verbracht hatten, erwiesen hatte. Es schien wirklich wie ein Wunder, wenn wir den Gegensatz<br />
zwischen unserer Landung und unserer Abreise von Liverpool betrachten. Wir landeten im Frühjahr 1840<br />
als Fremdlinge in einem fremden Land und hatten kein Geld. Aber durch die Gnade Gottes haben wir viele<br />
Freunde gewonnen, in fast jeder größeren Stadt in dem Königreich Großbritannien Gemeinden gegründet,<br />
zwischen sieben und achttausend getauft, fünftausend Kopien des Buches Mormon, dreitausend Gesangbücher,<br />
zweitausendfünfhundert Kopien des Millenial Star, fünfzigtausend Traktate gedruckt, eintausend Seelen<br />
geholfen nach Zion auszuwandern, ein Reisebüro gegründet, das für die Heiligen eine große Segnung sein wird,<br />
und haben in die Herzen von Tausenden den Samen ewiger Wahrheit gestreut, der Frucht zur Ehre und dem<br />
Lobe Gottes hervorbringen wird. Dennoch hatten wir immer genug zu essen, zu trinken und uns zu kleiden:<br />
in all diesem erkenne ich die Hand Gottes. 12<br />
Wie wir hörten, gab Orson Hyde in seinem Buch Ein Ruf aus der Wüste, über den Erfolg in<br />
Großbritannien mit Bewunderung Ausdruck. Er hatte alle ihre Erwartungen übertroffen und muß zu ihrer<br />
Kühnheit und ihrem Optimismus beigetragen haben, daß "diese Botschaft, welche Gott uns gegeben hat, in<br />
allen Nationen unter dem Himmel zu verbreiten [ist]." 13<br />
Der Erfolg in Großbritannien war auch in den 1850er Jahren sehr bemerkenswert. Gemäß der offiziellen<br />
religiösen Volkszählung von 1851 gab es 32.894 Heilige der Letzten Tage in Großbritannien. Dies war die<br />
höchste Zahl bis in die 1960er Jahre. 14 Im Gegensatz dazu waren in 1850 11.380 Kirchenmitglieder in<br />
utah und weitere 15.531 in verschiedenen Teilen Nordamerikas. Es gab also in Großbritannien eintausend<br />
mehr Heilige als in Nordamerika! Gleichzeitig waren fast 7.000 britische Heilige in den 1840er Jahren<br />
ausgewandert. Weitere 12.972 folgten in den 1850er Jahren. Uber 65.000 Heilige wanderten im 19. und<br />
20. Jahrhundert von Großbritannien nach Amerika aus. 15<br />
Die Wichtigkeit dieses Missionswunders für die Kirche kann nicht genügend betont werden. Die Beiträge<br />
der britischen Heiligen zum Wachstum des Mormonismus in ihrem eigenen Land - sowohl vor und nach ihrer<br />
Auswanderung - und zum Aufbau Nauvoos und später dem Great Basin Kingdom übertreffen alle Maße.<br />
Ohne sie wäre es ein schwächeres Zion geworden, das viel langsamer gewachsen wäre. Sie brachten ihre<br />
Fähigkeiten als Bauern, Viehzüchter, Handwerker, Geschäftsleute, Künstler und Musiker mit sich.<br />
Außerdem waren viele von ihnen gebildet, kultiviert und voller Glauben und Hingabe. 16 Später kamen<br />
- 38 -
Bekehrte vom Kontinent zu dem Schmelztopf des Basin Kingdoms und wurden handfeste Pioniere, die ihren<br />
Teil dazu beitrugen, das Zion der Letzten Tage aufzubauen.<br />
Das britische Vorbild war auch aus anderen Gründen sehr wichtig, vor allem, um den Glauben in allen<br />
Teilen der Welt zu verbreiten. Großbritannien war Mitte des 19. Jahrhunderts die Supermacht der Welt, mit<br />
einem Einfluß, der die ganze Welt berührte. Großbritannien war ebenfalls der Geburtsort der Industriellen<br />
Revolution. Erastus Snow und andere Missionare vom Kontinent besuchten im Jahre 1851 die Ausstellung<br />
im Kristallpalast in London, wo eine industrielle und technologische Überlegenheit zur Schau gestellt wurde,<br />
die derzeit von keinem anderen Land übertroffen werden konnte. 17 Dieser Entwicklungsprozeß hat den<br />
Briten ebenfalls neue Quellen des Reichtums erschlossen, die letzten Endes die ganze Welt verändern würde.<br />
Die britischen Heiligen, obwohl man sie nicht reich nennen konnte, benutzten ihr Geld, um nicht nur die<br />
Missionsarbeit im eigenen Land zu fördern, sondern auch Veröffentlichungen in Skandinavien, Frankreich,<br />
Deutschland und der Schweiz zu finanzieren und auch um Heilige nach Zion zu senden. 18<br />
Die Briten waren ebenfalls sehr stolz auf ihr politisches System und die liberale Regierung und<br />
Gesellschaftsform, die sich um sie herum gebildet hatte. Im 19. Jahrhundert neigten daher die meisten<br />
Mormonen dazu, Wohlstand und Freiheit nach amerikanischen und britischen Maßen zu messen, und waren<br />
oftmals von den "rückständigen" Systemen, die sie auf dem Kontinent und anderen Teilen der Welt vorfanden,<br />
unangenehm berührt. 19<br />
Aus all diesen Gründen war Großbritannien der natürliche Ort, um dort in den 1840er Jahren einen<br />
Landeort für die Missionare in den Ländern des europäischen Kontinents und auch für das gesamte britische<br />
Weltreich aufzurichten. Daß in den 1840er Jahren nicht mehr auf dem Kontinent erreicht wurde, hatte auf<br />
der einen Seite mehr damit zu tun, daß Missionare wie James Howard 1840 in Hamburg, Orson Hyde<br />
1841 in Regensburg oder Johann Greenig 1843 in Hessen-Darmstadt sehr schlechte Erfahrungen gemacht<br />
hatten. Howard gab seine Mission auf, weil er in Hamburg zuviel Jubel, Trubel und Heiterkeit vorfand<br />
(anscheinend hat sich da nicht viel verändert!) und zwar, daß er entschied, "mit dem Predigen sofort<br />
aufzuhören." Er bezweifelte, daß irgendjemand zuhören würde, selbst "wenn alle [Mormonen] Prediger [in<br />
England] nach Hamburg kommen würden." 20 Howards Ängstlichkeit und Schüchternheit standen im<br />
grellen Kontrast mit der Kühnheit, dem Selbstvertrauen und der Wirksamkeit der Apostelmissionare, die ihm<br />
folgten.<br />
Hyde bemängelte die geschlossene, autoritäre Gesellschaftsform in Bayern, die ihn dazu zwang, sein Buch<br />
in Frankfurt am Main zu veröffentlichen. Er beklagte sich über politische Systeme<br />
"die aus dem Wesen seiner Regierungsform entspringen, welche da nicht duldet, daß seine Religion auf<br />
ihren eigenen Verdienste bestände, sondern welche es zu Schutz und Verteidigung mit dem starken Bollwerke<br />
menschlicher Gesetze umzogen hat." 21<br />
Greenig behauptete viel später in einem im Jahre 1889 geschriebenen Brief, daß er 1843 von Jedediah M.<br />
Grant von Philadelphia nach Deutschland gesandt worden war, wo er anscheinend eine Gemeinde in Hessen-<br />
Darmstadt gegründet haben soll. Aber mehr ist darüber nicht bekannt.<br />
Die frühen Bemühungen in Deutschland sind wohl auf die Liebe und die Achtung zurückzuführen, die<br />
Joseph Smith für die Deutschen und die deutsche Sprache hatte, ebenfalls für die Reformation, die Luther<br />
Bibel und die deutschstämmigen Amerikaner, die in Nauvoo wohnten, und für die eine deutsche Gemeinde<br />
gegründet worden war. Mit Ausnahme des ungewöhnlichen Erfolgs, den Addison Pratt und seine Mitarbeiter<br />
zwischen 1844 und 1849 in den Gesellschaftsinseln im Südpazifik hatten, wo sie 1200 Personen tauften, 22<br />
waren die 1840er Jahre für die Heiligen der Letzten Tage so turbulent und beschwerlich, daß sie weder die<br />
Zeit noch die Mittel zur Ausbreitung des Reiches hatten. Das Märtyrertum von Joseph und Hyrum Smith,<br />
- 39 -
Uneinigkeit in der Kirche, der Pionierzug nach dem Westen und der Aufbau der Kirche in Utah, verlangten<br />
fast all ihre Zeit, Energie und Hingabe.<br />
Aber 1849, nur zwei Jahre nach der Ankunft in Salt Lake City, waren sie in der Lage, mit<br />
beträchtlicher Energie einen neuen Vorstoß in die Welt vorzunehmen. Er wurde von Liverpool aus geleitet<br />
und hat die Kirche für immer auf dem europäischen Kontinent und in den meisten Teilen des britischen<br />
Weltreichs fest verankert. In den nächsten fünf Jahren konnten große und beweisbare Erfolge verzeichnet<br />
werden, wie in Skandinavien und der Schweiz, aber auch einige Mißerfolge, wie in Frankreich und Italien; es<br />
gab ebenfalls scheinbar kurzfristige Mißerfolge, die aber letzten Endes langfristige Erfolge wurden, wie im<br />
Falle Deutschlands.<br />
Das neue Missionarsprogramm wurde während der Generalkonferenz, die am 6. Oktober 1849 in Groß<br />
Salt Lake City abgehalten wurde, bekanntgegeben, und zwar mit der Berufung von 35 neuen Missionaren.<br />
Dies waren die ersten, die von den Felsengebirgen aus berufen worden waren. Die Ernsthaftigkeit dieses<br />
Bemühens wurde durch die Tatsache unterstrichen, daß vier Apostel diese Gruppe führen würden. John Taylor<br />
wurde nach Frankreich geschickt, Lorenzo Snow nach Italien, Erastus Snow nach Dänemark und Franklin<br />
D. Richards nach England. Einem jeden von ihnen wurde eine Anzahl Missionare zugeteilt. Addison Pratt<br />
wurde nach dem Südpazifik zurückgeschickt.<br />
In seiner Eröffnungsansprache gab Präsident Heber C. Kimball den Ansporn und erklärte gleichzeitig,<br />
warum jetzt die Zeit gekommen war, dies zu tun. "Wir sind hier", sagte er zu den versammelten Pionieren,<br />
"und sind gesund und haben genug zu essen, zu trinken und zu arbeiten, und ich prophezeie, daß Sie, solange<br />
Sie leben, niemals weniger haben werden." Dann sprach er, der zwölf Jahre vorher das Evangelium nach<br />
Großbritannien gebracht hatte, mit Begeisterung von seinem Lieblingsthema:<br />
Sollen wir auch nur einen Teil der Einwohner der Erde von dem fernhalten, was wir erhalten haben?<br />
Wie würden wir uns fühlen, wenn sie es erhalten hätten und es uns nicht geben würden? Wir wollen, daß<br />
dieses Volk mit uns ein Interesse daran hat, das Reich Gottes zu allen Nationen der Erde zu bringen. Die<br />
Zeit ist gekommen, daß einige der Zwölf und andere der Ältesten ausgehen müssen . . . . 23<br />
In der Nachmittagsversammlung bestätigte Brigham Young die universale Missionarspflicht. "Wir<br />
haben", berichtete er, "Lorenzo und Erastus Snow zu gewissen Missionen berufen; haben sie das Recht<br />
anderswo hinzugehen? Er beantwortete seine eigene rhetorische Frage mit einem lauten "Ja" und fügte hinzu:<br />
"Ich wünschte, sie würden das Tor zu einer jeden Nation der Erde öffnen. 24<br />
Die neuberufenen Missionare wußten, daß es nicht leicht sein würde. John Taylor, ein begabter Autor,<br />
Prediger und Polemiker sprach wahrscheinlich für sie alle, und zwar in einem Brief an Orson Hyde im März<br />
1850. Sie waren, so sagte er, nach "sechstägiger Benachrichtigung" abgereist und in Europa "mitten im<br />
Winter ohne Beutel und Tasche "angekommen, "und all dies um das Evangelium den Nationen zu bringen,<br />
die uns nicht kennen, mit deren Sprachen wir nicht bekannt sind, und die zu dieser Zeit in einen Mantel des<br />
Mysteriösen und des Aberglaubens gehüllt sind; dies ist eine Aufgabe, die nichts als ein "so spricht der Herr"<br />
einen Menschen dazu veranlassen könnte zu erfüllen. 25<br />
Der restliche Inhalt des Briefes von Taylor beschreibt sehr prosaisch die widersprüchlichen Mächte, wie<br />
die von Faust, im Herzen der Missionare. Auf der einen Seite waren sie ermutigt von den politischen<br />
Revolutionen zur Erringung der Freiheit, einschließlich der Freiheit der Religion, die kurz zuvor unter den<br />
Ländern auf dem Kontinent gewütet hatten, und von der sie annahmen, daß sie den Revolutionen folgen<br />
würden. Aber Taylor war ebenfalls zuversichtlich und realistisch von vielem, das selbst wirkliche politische<br />
Änderungen nicht ändern würden: "Die Throne [der Nationen die ihnen gehören] . . . erkranken immer noch<br />
das ganze System, und machen das Leben, die Person und das Eigentum unsicher,...; und wie steht es mit<br />
Engstirnigkeit, dem Aberglauben und der politischen Unsicherheit? Diese Nationen sind wahnsinnig."<br />
- 40 -
Taylor schrieb, es waren diese Nationen, zu denen sie gesandt worden waren, und er tröstete sich, "daß<br />
wir daher in der Stärke des Gottes Israels gehen; wir vertrauen ihm, wir lehnen uns auf seinen Arm, und alles<br />
ist gut." 26<br />
Die Arbeitsweise der Missionare, die zum Kontinent gesandt wurden, war der Arbeitsweise, die in<br />
Großbritannien so erfolgreich gewesen war, nachgebildet worden. Sie reisten ohne Geld, schrieben und<br />
übersetzten Traktate, und übersetzten und veröffentlichten das Buch Mormon. Wo möglich, besuchten sie<br />
Verwandte und Freunde. Aber auf dem Kontinent war dies nur sehr begrenzt möglich. Sie predigten in der<br />
Öffentlichkeit und auch in Privathäusern.<br />
Es gab in der Tat allen Grund dafür, optimistisch, ja, wenn nicht sogar euphorisch zu sein, wenn man<br />
daran dachte, daß man den europäische Kontinent im Jahre 1850 für den Mormonismus eröffnete. Die<br />
Revolution in Frankreich, die Louis Napoleon eventuell auf den Thron brachte, wurde im allgemeinen als ein<br />
liberaler Erfolg betrachtet, obwohl die späteren Ereignisse diesen Optimismus dämpften. Die Schweiz, die<br />
Niederlande und Dänemark hatten sich selbst eine neue liberale Verfassung gegeben. In Italien gab es starke<br />
liberale Bewegungen, ganz besonders in dem mehr fortschrittlichen Norden, wohin die Missionare zuerst<br />
gingen. Die Revolution von 1848 in Deutschland versäumte es, Einigkeit auf Grundlage einer liberalen<br />
Verfassung zu bringen, und war nicht in der Lage, Kirche und Staat zu trennen. Der bekannte<br />
Rechtsgelehrte Ernst Rudolf Huber schrieb:<br />
"Doch blieb die Frankfurter Reichsverfassung trotz ihres Scheiterns, auch im staatskirchenrechtlichen<br />
Bereich, als Modell des kirchenpolitischen Systems des Rechts -- und Kulturstaats von prägender<br />
Wirksamkeit für die mit der bürgerlichen Revolution einsetzenden modernen Verfassungsepoche." 27<br />
Das Beste, was der Kontinent den Missionaren zu bieten hatte, waren die Zustände im Dänemark von<br />
1850. Erastus Snow berichtete, daß zumindestens theoretisch, die dänische Krone und Verfassung das Recht<br />
erlaubten, anderer Meinung zu sein, und allen christlichen "Sekten" religiöse Freiheit gaben, während sie aber<br />
immer noch den lutherischen Glauben als den der Staatskirche anerkannten. Mit diesem Gedanken forderte<br />
Snow Peter Hanson, einen geborenen Dänen, der sich der Kirche in Amerika angeschlossen hatte, auf, ihm zu<br />
helfen, die Mission zu eröffnen, und die Verfassung ins Englische zu übersetzen, damit die Missionare genau<br />
wüßten, welche Rechte sie hatten. Es gab allerdings immer noch Ermöglichungs- oder Nebengesetze, die mit<br />
Andersdenkenden zu tun hatten, die noch nicht abgeklärt worden waren. Als Snow, dem üblichen Gebrauch<br />
folgend, eine Kopie des Buches Mormon an den dänischen König schickte, wurde es der frommeren<br />
Königsmutter übergeben. Dennoch versicherte ihm der Kultusminister, daß "die Regierung dazu geneigt war,<br />
ihnen zu erlauben, ihre Arbeit fortzusetzen, ohne ihnen Hindernisse in den Weg zu legen." 28<br />
Aber Snow schrieb:<br />
"Dänemark [er hätte irgendeinen anderen Staat nennen können] ist nicht England oder Amerika.<br />
Religiöse Freiheit ist nicht im Herzen des Volkes verankert Ein Mann nimmt sein Leben in seine Hände,<br />
wenn er reist und es [das Evangelium] verkündigt. Mit Ausnahme von Kopenhagen und den<br />
Haupthandelszentren, wissen die Menschen nicht, daß es existiert [das Gesetz der religiösen Freiheit.] 29<br />
Dann beschuldigte er die Pastoren und Priester, etwas was die Mormomen oftmals taten, und dies<br />
vielleicht ungerechterweise bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein, wegen ihres "unbegrenzten Einflusses"<br />
und auch dafür, daß sie die Landvölkerung in Unkenntnis des Gesetzes gehalten hatten. 30<br />
Nirgendwo auf dem Kontinent gewann der Mormonismus mehr Bekehrte als in Skandinavien. 1853,<br />
zum Beispiel, gab es 1.314 Taufen, die meisten davon in Dänemark, aber auch einige in Schweden und<br />
Norwegen. Der andrere Snow - Lorenzo - fand Italien, das fast ganz und gar für sein Predigen geschlossen<br />
war, unter starkem katholischen Einfluß, dies mit Ausnahme einiger weniger tapferer Waldenser in den<br />
- 41 -
nördlichen Piemont Tälern. 31 Hier wurden einige Familien getauft bevor Snow nach Malta, Gibraltar, der<br />
Schweiz und sogar nach Indien weiterreiste. Er hatte sogar vor, das türkische und russische Weltreich zu<br />
eröffnen. Im Dezember 1850 sandte Snow einen seiner italienischen Missionare, einen Engländer, T.B.H.<br />
Stenhouse, nach Genf in der Schweiz, um dort die Missionarsarbeit zu beginnen. Hier fanden sie ein viel<br />
fruchtbareres Feld. Die Anzahl der Bekehrten war größer, mit Ausnahme von Dänemark, und innerhalb<br />
von wenigen Monaten gab es Gemeinden in Genf und Lausanne. Von dort verbreitete sich ihre Botschaft nach<br />
dem deutsch-sprechenden Teil der Schweiz und sogar nach Süddeutschland. Trotz seiner Beredsamkeit und<br />
Hingabe und trotz der frühen Erfolge des englischen Missionars William Howell in den späten 1840er<br />
Jahren auf den Kanalinseln und in der Küstenstadt Boulogne sur Mer, unter Protestanten und unter englischsprechenden<br />
Bürgern, hatte John Taylors Versuch, den Mormonismus nach Frankreich zu bringen, nur<br />
geringen Erfolg. Die Kombination des starken katholischen und protestantischen Einflusses von seiten der<br />
Geistlichen, Regierungsbeamten und dem gewöhnlichen Volk, und die Feindseligkeit einer sekulären<br />
Intelligentsia machten es sehr schwierig für den Mormonismus, in den katholischen Ländern und Gebieten bis<br />
in das 20. Jahrhundert hinein Fuß zu fassen. Er war gerade angekommen und hatte sein Predigen<br />
bekanntgegeben, als er sich drei protestantischen Pastoren gegenüber fand, die alle durch die Berichte von den<br />
grausigen Erzählungen der "geistigen Weiberei" in Nauvoo, und zwar durch die Artikel des abgefallenen<br />
John C. Bennett, beeinflußt waren, und sich daher wohl als vorbereitet erachteten, alle Versuche, den<br />
Mormonismus in Frankreich aufzurichten, im Keim zu ersticken. Es sollte beiläufig gesagt werden, daß<br />
Gerüchte von der Vielehe der Mormonen in Amerika der Ankunft des Mormonismus auf dem europäischen<br />
Kontinent, selbst der öffentlichen Bekanntmachung in der Augustkonferenz 1852 in Salt Lake City<br />
vorausgingen, und dadurch die Einführung des Mormonismus mehr erschwerten, als es sonst der Fall gewesen<br />
wäre. 32 Die Vielehe war sicherlich für Europäer noch mehr als für die Amerikaner eine "Reliquie der<br />
Barbarei".<br />
Taylor und seine Mitarbeiter Curtis Bolton und John Pack, tauften einige wohlgebildete Franzosen in<br />
Paris, und gründeten Gemeinden in LeHavre, Calais, Paris und Boulogne. Außerdem übersetzten und<br />
veröffentlichten sie das Buch Mormon und verschiedene Traktate auf französisch, und begannen die<br />
Kirchenzeitschrift Etoile Du Deseret. 33<br />
Aber ihnen war nur bescheidener Erfolg beschieden. Trotz des revolutionären Rufes den Frankreich<br />
genoß, fand Taylor sowohl die Gesetze wie die Zivilbeamten bedrückend und die Furcht vor politischem<br />
Aufruhr sehr offensichtlich. "Es ist" schrieb er, "sehr schwierig wegen der Gesetze, die so streng sind, [zu<br />
missionieren]." Nachdem er mit Regierungsbeamten gesprochen hatte, um die Erlaubnis zu erhalten, in ganz<br />
Frankreich zu predigen, was er stark erhofft hatte, mußte er sehr enttäuscht sagen: "Aber anstelle davon<br />
haben sie es uns völlig verboten, irgendwo in dem Land zu predigen." 34 In Frankreich, sowie in den meisten<br />
Ländern auf dem europäischen Kontinent, glaubten Regierungsbeamte, daß religiöse Unterschiede und<br />
religiöser Pluralismus, soziale und politische Eintracht stören würden. Trotz all dem was in einigen Monaten<br />
erreicht worden war, schien die Arbeit in Frankreich nicht Fuß fassen zu wollen. Die Mission wurde zum<br />
ersten Mal im Jahre 1855 geschlossen.<br />
Beide, John Taylor und Lorenzo Snow hätten in einem mehr apokalyptischen Sinne denken können:<br />
diejenigen die vorbereitet sind, würden die Stimme hören und ihr gehorchen, wie es in Großbritannien und<br />
Skandinavien der Fall gewesen war. Außerdem gab es noch viele andere Nationen, denen die Botschaft vor<br />
dem zweiten Kommen Christi gebracht werden müsse. Es scheint ebenfalls, daß der Mangel an Erfolg der<br />
Mormonen in Frankreich ein für allemal Vorurteil unter den Mormonen gegen die Franzosen verursachte, das<br />
für viele Jahre die Missionsarbeit in diesem Lande behinderte. Taylor's Biograph, B.H. Roberts, drückte es<br />
wie folgt aus:<br />
- 42 -
"Die Franzosen sind wegen ihrer Gleichgültigkeit gegen Religion<br />
berüchtigt. Sie lieben die Freuden mehr als Gott; sie sind lebhaft, launenhaft, gedankenlos, fröhlich und<br />
intelligent. Sie sind alles andere als religiös." 35<br />
Wir wissen nicht genau, warum Taylor und G.P. Dykes im August 1851 Hamburg wählten, von wo<br />
aus sie ihre Missionsarbeit in Deutschland begannen. Es mag sein, weil Dykes einige Monate vorher zwei<br />
Deutsche im dänisch besetzten Holstein getauft hatte, und dazu seine bereits wohlentwickelte Liebe für die<br />
Deutschen. Es mag ebenfalls auf Grund des Rufes den Hamburg als eine liberale, internationale Hansestadt<br />
hatte, gewesen sein, die mit England und Skandinavien in enger Verbindung stand. Taylor und Dykes mögen<br />
ebenfalls gewußt haben, daß es im Norden Deutschlands eine starke, gläubige pietistische Tradition gab. 36<br />
Auf jeden Fall wurde dort in Hamburg die erste deutsche Mission und die erste Gemeinde gegründet. Dies<br />
war der Anfang einer festen Ansiedlung des Mormonismus in Deutschland. zwischen 1852-1855 folgte dieser<br />
eine zweite mehr erfolgreichere Welle des Missionswerks unter Daniel Carn in Hamburg; dem ersten Predigen<br />
in Württemberg, einem erfolglosen, ja herabwürdigenden Versuch dem König von Preußen, Friedrich Wilhelm<br />
IV. im Jahre 1853 Mormonismus zu lehren, folgte die kleine aber bedeutsame Bekehrung von Karl G.<br />
Maeser und seiner Familie in Sachsen. Auf diese Weise wurde der Mormonismus in diesem Teil - einem sehr<br />
fruchtbaren Feld - Deutschlands eingeführt. Wir werden ein jedes dieser Ereignisse später näher behandeln.<br />
Das Deutschland, in das die Mormonenmissionare 1851 eindrangen, war nicht nur durch eine politische<br />
Revolution und die darauffolgende Unterdrückung erschüttert, sondern war ebenfalls in einem Zustand<br />
sozialer, intellektueller und religiöser Unruhe. Wie ein neuzeitiger Historiker, James Sheehan, sagte, obwohl<br />
die meisten Historiker das 19. Jahrhundert als ein "vollkommen säkulares Alter erachteten, sahen die<br />
meisten Zeitgenossen Religion als eine außerordentlich wichtige kulturelle und politische Angelegenheit.<br />
Intellektuelle verteidigten oder griffen die Rolle der Religion im öffentlichen und privateen Leben, mit<br />
Heftigkeit an, während einfache Männer und Frauen fortfuhren, sich zur persönlichen Befriedigung und<br />
sozialen Identität von ihrem Glauben zu nähren. Trotz der unleugbaren Macht der Säkularisierung, spielte<br />
Religion eine wichtige Rolle in der Politik und Kultur des neunzehnten Jahrhunderts. " 37<br />
Gemäß Hugh McLeod waren die Katholiken in Deutschland und in anderen Teilen Europas im 19.<br />
Jahrhundert erfolgreicher als die Protestanten "gegensätzliche Ideologien im Zaum zu halten." 38 Protestanten<br />
waren vielmehr anfällig und defensiv, besonders da ihre Mitgliedszahlen sehr abnahmen und weil sie, im<br />
Gegensatz zum Katholizismus, keine Führer hatten wie den Papst. Ihr "natürlicher und notwendiger<br />
Verbündeter war der Staat". Er schrieb:<br />
"Der Kampf der Protestanten [in den meisten deutschen Ländern] gegen das neue Zeitalter [sowie andere<br />
Religionen, die ihre Ansprüche geltend machten] führte zu einer engeren Zusammenarbeit mit, und größerer<br />
Abhängigkeit von weltlichen Autoritäten. Nur mit Hilfe der Agenten der staatlichen Macht -- dem Zensor,<br />
dem Polizisten und dem Schulmeister -- konnten die protestantischen Kirchen ihre Gemeinden vor üblem<br />
Einfluß und ansteckenden Meinungen schützen." 39<br />
Mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV. von Preussen im Jahre 1840 und den züchtigenden<br />
Ereignisse der Revolution waren der Einfluß und die Macht der strenggläubigen Protestanten wesentlich<br />
vergrößert.<br />
Außerdem sahen die Verteidiger religiöser Strenggläubigkeit und der religiösen Liberalen, die die Freiheit<br />
der Religion und die Trennung von Kirche und Staat bevorzugten, wichtige Verbindungen zwischen<br />
politischem und sozialem Frieden und religiöser Strenggläubigkeit. In diesem Zusammenhang passen die<br />
Mormonen, mit anderen angloamerikanischen Sekten, in eine ganz klar liberale Mulde. Beide glaubten, wie<br />
Rudolf Haym es ausdrückte, daß "Liberalismus in der Kirche die Grundschule für den politischen<br />
- 43 -
Liberalismus ist." 40 Eine freie Kirche zu haben erforderte die Notwendigkeit eines freien Staates.<br />
"Fortschritt, Freiheit und Aufklärung waren untrennbar, anwendbar auf alle Aspekte des Lebens und gegen<br />
eine vereinte Front von Reaktionären, Tyrannen und Finsterlingen." 41<br />
Zur selben Zeit als die protestantische Strenggläubigkeit ihre Ansprüche wieder geltend machte, wurde sie<br />
auf der intellektuellen Front von einer Fülle von mächtigen weltlichen Bewegungen, einschließlich der<br />
Industrialisierung, Verstädterung und die Angriffe durch einflußreiche Denker wie David Friedrich Strauss,<br />
Feuerbach, Marx und die anderen Hegelianer, die den Glauben der Studenten und der Intellektuellen an die<br />
Gültigkeit der Bibel, den Historismus Jesu und selbst die Existenz Gottes untergruben, angegriffen. Mit der<br />
Zeit sickerte dieser Skeptizismus und Unglaube in die breiten Massen. Die Säkularisierung wurde in<br />
Deutschland wie auch sonstwo in Europa, eine zunehmend machtvolle und mitleidlose Bewegung im Aufbau<br />
einer modernen Weltanschauung, die für den Mormonismus ein zweischneidiges Schwert war. Auf der einen<br />
Seite half die Säkularisierung traditionelle Vorurteile zu entfernen und mehr Menschen neuen Ideen<br />
zugänglich zu machen; auf der anderen Seite, brachte sie einen wesentlichen Rückgang religiösen Glaubens mit<br />
sich. Diese Welt und ihre Interessen drückten Gott und die metaphysische Welt ganz und gar in den<br />
Hintergrund. Der große neuzeitliche deutsche Historiker Franz Schnabel beschreibt diese komplizierten,<br />
religiösen Zustände die in Deutschland bestanden, in dem letzten Kapitel seines autoritativen Buches Deutsche<br />
Geschichte im 19. Jahrhundert:<br />
"Der gläubige Protestantismus hat in der Tat weite Kreise des Volkes erfaßt, am offensichtlichsten in<br />
Württemberg und in Teilen Norddeutschlands. Trotzdem bleibt die Tatsache, daß [der] Liberalismus und<br />
Materalismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Gepräge gegeben, alles andere zurückgedrängt und<br />
dadurch die Säkularisierung des deutschen Kulturlebens entschieden haben. Es gelang dem Neupietismus und<br />
seinen Erweckungspredigern nicht, die Massen, die sie zu sammeln begonnen hatten, in einer großen<br />
christlichen Volksbewegung zu vereinen und dadurch den weiteren Gang der deutschen Geschichte zu<br />
bestimmen." 42<br />
Die wenigen tapferen Mormonenmissionare, die den Mormonismus in den frühen 1850er Jahren nach<br />
Deutschland brachten, hatten nicht den Vorteil dieses historischen Rückblicks. Sie hatten, wie John Taylor es<br />
sagte, für den Herrn einen Weg zu erledigen. Sie beabsichtigten, ihre Botschaft überall zu verbreiten, und<br />
Könige, Adlige, Intellektuelle, sowie das gewöhnliche Volk für ihre Heilsbotschaft zu interessieren. Aber sie<br />
hatten Erfolg, indem sie unter den gläubigen und suchenden Protestanten "einen aus jeder Familie und zwei<br />
aus jeder Stadt" gewannen. Es gab keine Massenbekehrungen, obwohl einige, wie Karl G. Maeser, einen<br />
enormen, langfristigen Einfluß auf Utah und den Mormonismus hatten. 43 Ebenfalls wurde Deutschland vor<br />
1960 eines der produktivsten Missionsfelder in der ganzen Welt, mit mehr Mitgliedern als in irgendeinem<br />
anderen Land, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten und Kanadas, und dies vor allem in den Jahren<br />
zwischen 1910 und 1960. 44 Deutsche Mormonen spielten daher beim Aufbau Zions in Amerika eine<br />
wichtige Rolle, auf die die spätere Ausbreitung aufgebaut war.<br />
Es war in diesem politischen, intellektuellen und sozialen Rahmen, in dem die Mormonen nach<br />
Deutschland kamen. Die Missionare gründeten nicht nur eine Mission, sondern predigten und tauften. Das<br />
gesprochene und geschriebene Wort war die Hauptmethode der Verkündigung der Botschaft. Bereits vor seiner<br />
Abreise von Paris hatte Taylor deutsch studiert und mit der Hilfe von George Viet, einem Deutschlehrer, der<br />
in Paris lebte und dort bekehrt worden war, einige Traktate übersetzt. 45<br />
Am 1. November 1851 veröffentlichten sie die erste Nummer von Zion's Panier, eine monatliche<br />
Zeitschrift, die, wie sie hofften, von vielen gelesen werden würde. In der Zeitschrift waren "Wahrheit, Kenntnis,<br />
Tugend und Glauben vereinigt". 46 Um irgendwelche etwaigen politischen Befürchtungen zu vermeiden,<br />
- 44 -
schrieben sie auf den ersten beiden Seiten, daß sie ganz und gar keine politischen Absichten verfolgten. "Es<br />
wird wohl nicht nöthig sein, hier anzuführen, daß wir nichts mit der Politik zu tun haben, da unsere<br />
allgemeinen Grundsätze in dieser Hinsicht, so wohl bekannt sind." Was die Zeitschrift vorhatte, war, einen<br />
Bericht zu geben<br />
"des Ursprungs, der Fortschritte, Einrichtung, Verfolgungen, des Glaubens, und der Lehre der Kirche<br />
Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage...damit unsere Leser von uns selbst erfahren mögen, wie unser<br />
religiöser Glaube beschaffen ist, und unsere wirkliche Stellung in jetziger Zeit." 47<br />
Zion's Panier hatte eine Lebensdauer von vier Monaten, ein Opfer ungenügender Finanzierung und der<br />
überwältigenden Kontrolle der Regierung. Aber Taylor und Dykes, mit Hilfe von Viet, Karl Mueller und<br />
Daniel Carn, und dem Vorbild in Paris folgend, - mit Hilfe einiger der besten Professoren in der Stadt<br />
Hamburg -, veröffentlichten die erste Ausgabe des Buches Mormon in deutsch, der fünften Sprache, in die es<br />
übersetzt worden war. 48 Damit französische und deutsche Leser das Buch gebrauchen konnten, wurde der<br />
Text so gesetzt, daß die beiden Sprachen auf gegenüberliegenden Seiten gedruckt waren. Es war das Produkt<br />
von Gelehrsamkeit und Inspiration. Taylor hat dabei eine Hauptrolle gespielt. In einem Brief an Orson Hyde<br />
schrieb er 1851:<br />
"Es ist außerordentlich schwierig für jemand ohne mich...oder jemand anders, der mit den Lehrpunkten<br />
gut vertraut ist...es [Das Buch Mormon] zu übersetzen. Sie wissen, daß man mehr als Worte kennen muß,<br />
um das Buch Mormon, die Bibel oder andere inspirierte Bücher zu übersetzen. " 49<br />
Das Buch Mormon erschien in deutsch im Mai 1852. Taylor war für eine Konferenz der französischen<br />
Mission bereits wieder am 18. Dezember 1851 in Paris. Danach reiste er nach England, wo er den<br />
neuberufenen Präsidenten der deutschen Mission, Daniel Carn, einem geborenen Deutschen, der sich der<br />
Kirche in Amerika angeschlossen, und der in Nauvoo als Bischof der deutschen Gemeinde gedient hatte, traf.<br />
Daniel Carn kam am 3. April 1852 in Hamburg an. Nachdem Dykes sechs Wochen später fortging, war<br />
Carn eine Zeitlang der einzige Missionar in Deutschland. Bis zum August hatte er zehn Personen getauft<br />
und hatte eine Gemeinde mit zwölf Mitgliedern; im November waren es schon 21. Er predigte ebenfalls in<br />
dem damals dänischen Schleswig, wo es eine kleine Gemeinde gab, und auch zum ersten Mal in Flensburg. In<br />
Hamburg waren "lange Artikel in den Zeitungen über den 'Mormonismus'." Den Lesern wurde gesagt, daß<br />
sie aufpassen sollten and daß die Mormonen "viele Frauen" hätten. Wie die meisten Missionare, vorher und<br />
seitdem, fand Carn die Bekehrten unter den Armen, obwohl er mit einem Adligen sprach, der den<br />
Mormonismus ablehnte, da er nicht pazifistisch war. 50 Aber recht bald kam er in Konflikt mit den<br />
Behörden in Hamburg und ein Modell, wie man die Mormonenmissionare im 19. Jahrhundert in den<br />
deutschen Ländern behandelte, begann zu erscheinen. Zwischen August 1852 und März 1853 wurde Carn<br />
acht mal vor die Hamburger Behörden gebracht -- entweder die Polizei oder den Senat. Obwohl er die<br />
Unterstützung des amerikanischen Konsuls Samuel Bromberg hatte, der kein Gesetz gegen Carns Predigen<br />
fand, wurde er aus Hamburg in das naheliegende Altona ausgewiesen, wo er recht bald eine andere Gemeinde<br />
gründete. Der Hamburger Senat, mit exekutiver wie rechtlicher Vollmacht, hatte, nachdem man die<br />
amerikanische Geschichte in Bezug auf die Mormonen gelesen hatte, sie als "gefährlich für das Wohlergehens<br />
ihrer Stadt" erachtet." 51<br />
Carn verbrachte einen beachtlichen Teil seiner Zeit vor seiner Ausweisung im Gericht, 52 um sich zu<br />
verteidigen. Dennoch war es ihm möglich, die deutsche Übersetzung Parley P. Pratts Stimme der Warnung<br />
und Orson Spencers feurige Verteidigung der Vielehe, Die Patriarchalische Ehe, zu veröffentlichen und sie<br />
den anderen Traktaten und Veröffentlichungen, die für die Missionarsarbeit in deutsch zu Verfügung<br />
standen, zuzufüger. 53<br />
- 45 -
Im Januar 1853 kamen fünf neue Missionare von Amerika in Hamburg an. Unter ihnen befanden sich<br />
Orson Spencer und Jacob Houtz, die nach Berlin weiterfuhren. Die anderen, George Mayer, George Reiser<br />
und Jacob Secrist arbeiteten eine Zeitlang in Hamburg, bevor sie woanders hin gesandt wurden. Mayer wurde<br />
der erste Missionar in der deutschsprachigen Schweiz. Reiser besuchte auf der Durchreise zu seinem<br />
Geburtsort in Württemberg Hessen-Darmstadt, wo es einige Personen gab die reges Interesse zeigten, aber sie<br />
verweigerten ihm die Erlaubnis zu predigen oder seine Bücher verkaufen. 54 Secrist besuchte in Preußen die<br />
Eltern eines Hamburger Mitglieds auf der Durchreise nach Sachsen Meiningen. Einige Wochen vorher hatten<br />
Carn, Reiser und Secrist eine Gemeinde mit 26 Mitgliedern in Boitzenburg in Mecklenburg gegründet, so daß<br />
bereits 1853 in verschiedened deutschen Ländern der Mormonismus eingeführt worden war. 55 Im August<br />
verließ die erste Gruppe von 17 deutschen Heiligen der Letzten Tage Hamburg, nach Liverpool unter der<br />
Leitung von Carn. Sie waren die erstern deutschen Heiligen der Letzten Tage, die nach Amerika<br />
auswanderten. Leider fielen 14 von den 17 vom Glauben ab, bevor sie in Salt Lake City ankamen. 56 Dies<br />
war der Anfang der Auswanderung deutscher Heiliger der Letzten Tage, die zwischen 1853 und 1958<br />
tausende von deutschen Mormonen zu dem Great Basin Kingdom bringen sollte.<br />
Weder Reiser noch Secrist waren in ihrer Arbeit erfolgreich, obwohl Reiser unter seinen schwäbischen<br />
Landsleuten war und in einem der frommsten Teile Deutschlands arbeitete. Er sandte eine Kopie der Stimme<br />
der Warnung an die Berater des Königs von Württenberg, erhielt aber weder eine Empfangsbestätigung noch<br />
eine Antwort. Nachdem er von allen Seiten abgelehnt worden war, wurde ihm gesagt, daß er länger als acht<br />
Tage bleiben könnte "wenn er so predigen würde wie sie". Reiser antwortete darauf: "Ich habe meine Frau,<br />
meine vier Kinder und die besten Menschen auf der Erde nicht verlassen, um meine Zeit mit dem Predigen<br />
ihres irreführenden Glaubens zu vergeuden." 57 Nach unbefriedigenden Vorstößen in andere Teile<br />
Deutschlands kehrten Secrist und Reiser nach Hamburg zurück und kamen zu dem Entschluß, daß sie in<br />
England bessere Dienste leisten könnten. Missionare, die ihm folgten, würden in Wüttemberg viel mehr<br />
Interesse, größere religiöse Freiheit und Bekehrte finden.<br />
Wenn man bedenkt, welche Erfahrungen die Mormonen mit den verschiedenen Regierungen vor 1852<br />
gemacht hatten, kann man sich sehr leicht vorstellen, wie erfreut und gespannt man in Salt Lake City war,<br />
als Brigham Young von seinem Repräsentanten in Washington, John T. Bernhisel, hörte, daß König Friedrich<br />
Wilhelm IV. Informationen über die Mormonen erbeten hatte. Der König war wegen seiner Frommheit, seiner<br />
Faszination mit dem Christentum und seinem Wunsch, Einheit unter den Christen zu fördern, bekannt oder<br />
verwünscht. 58 Sofort wurde eine Auswahl der besten Bücher über den Mormonismus von Liverpool an den<br />
preußischen Hof gesandt. Aber dies war nicht genug. Verschiedene Male vorher, in verschiedenen Ländern,<br />
hatten Missionare erfolglos versucht, Einlaß zu den Fürsten, den Adligen oder einflußreichen Menschen zu<br />
gewinnen. Alles war erfolglos. Es ist also kein Wunder, daß Brigham Young Orson Spencer, einen der<br />
gebildetsten Mormonen und den ersten Präsidenten der Universität Utah, mit einem deutschsprechenden<br />
Mitarbeiter, Jakob Houtz wegen einer persönlichen Audienz mit dem König nach Berlin schickte. Ihre<br />
Absicht war es, irgendwelche Fragen die er oder sein Kultusminister Karl Otto v. Raumer, einem bekannten<br />
Verteidiger der engen lutherischen Strenggläubigkeit in der Gesellschaft und den Schulen, der noch<br />
konservativer war als der König selbst, haben könnte, und im allgemeinen zu versuchen, einen so guten<br />
Eindruck zu machen, daß die Mormonen dort ihre Bekehrungsarbeit beginnen könnte, würden andere<br />
deutsche Länder vielleicht diesem Beispiel folgen. 59 Amerikanische Diplomaten in Hamburg und Berlin<br />
waren erstaunt über die Unverschämtheit der beiden Missionare, und wiesen sie auf die Verhaftung und<br />
Ausweisung früherer amerikanischer Besucher in Preußen und die Unfähigkeit und den Unwillen der<br />
amerikanischen Regierung hin, ihnen zu helfen. Obwohl sie ihre mißliche Lage erkannten, waren die beiden<br />
- 46 -
nicht von ihrem Plan abzubringen. Sie hofften, achtbar aufgenommen zu werden, denn der König selbst hatte<br />
die Information erbeten. Leider sollten sie bitter enttäuscht und desillusioniert werden. 60<br />
Spencer gab einen ins einzelne gehenden Bericht und schrieb, daß nachdem sie ihren Brief am Samstag,<br />
den 29, Januar 1853 überreicht hatten, in dem sie von Raumer um eine Audienz baten, sie am Montag eine<br />
Einladung zur Polizeistation erhielten, nicht zum königlichen Hof. Nach einer sorfgältigen Befragung, die<br />
solche Fragen enthielt wie "Warum sind Sie nach Berlin gekommen? Sind Sie Protestant oder Katholik? Wer<br />
ist Jesus Christus und wer ist dieser Joseph Smith? Wie unterscheidet sich ihre Religion von der lutherischen?<br />
Was für eine besondere Art der Eheschließung haben Sie?", erhielten sie das Urteil von dem Polizeigericht: sie<br />
mußten Preußen am nächsten Morgen verlassen und niemals zurückkehren. Die beiden Männer waren von<br />
dem Urteil bestürzt, aber nachdem sie darüber nachdachten, sahen sie keine andere Wahl. Sie kehrten nach<br />
London zurück, von wo sie Brigham Young von ihrem Mißerfolg benachrichtigten. 61<br />
Ihr Mißerfolg war in der Tat größer als sie es ahnten. Antipathie gegen Mormonen und den<br />
Mormonismus, wurde, gemäß umfassender preußischer Polizei- und Ministeriumsberichte, de rigeure für die<br />
preußischen -- und später andere deutsche -- Regierungsbeamten, Professoren, Pfarrer, Lehrer<br />
undJournalisten-- die alle ein Glied in der intellektuellen Kette waren. 62 Es war hier, wo der größte Teil der<br />
konventionellen Weisheit geformt wurde- - danach war der Eindruck vom Mormonismus sehr negativ.<br />
Desweiteren nahm von Raumer die Gelegenheit wahr, eine seiner früheren Verwaltungsanweisungen, die<br />
sogenannten Raumeerschen Erlasse von 1852 gegen fremde katholische Jesuitenpriester auf die Mormonen-<br />
Missionare auszudehnen. Man benutzte sie, um sie zu verfolgen, und zwar bis 1918 die Weimarer Republik<br />
kam. Einer der Kernsätze war:<br />
"So würde z.B. ein Einschreiten [verschiedener Minister oder Polizeiverwaltung] gegen die Missionaire<br />
indicirt sein, wenn dieselben bei Gelegenheit ihrer Predigten oder durch dieselben sich irgend eine politischbedenkliche<br />
und zu anderweitigen, die öffentliche Ruhe gefährdenden Exzessen führende Aufregung<br />
hervorrufen sollten." 63<br />
Es nimmt daher kein Wunder, daß Spencer mit seiner angloamerikanischen Perspektive dachte, daß<br />
Deutschland sich in eine tyrannische Dunkelheit zurückgezogen hatte, die der "des alten Ägypten<br />
gleichkam". 64<br />
Der Eindruck der Deutschen vom Mormonismus und den Mormonen war bereits in den frühen 1850er<br />
Jahren von anderen Personen und den Regierungsbehörden geformt worden. Reisende wie Jacob Schiel, ein<br />
deutscher Überlebender der unglücklichen Gunnison Expedition von 1853, oder der Romanschriftsteller<br />
Heinrich Balduin Möllhausen, waren den Mormonen sehr kritisch und unsympathisch gesonnen. 65<br />
Aber der einflußreichste Beitrag in der frühen Formierung eines anhaltenden deutschen Mormonenbildes<br />
erschien 1854 von der Feder des Moritz Busch, einem in Theologie geschulten Reporter und Völkerrechtler,<br />
der für die "photographische Genauigkeit" seiner literarischen Darstellungen berühmt war und als einer der<br />
Begleiter Bismarck's im französich-deutschen Krieg von 1870-71, einer sehr schmeichelnde Biographie des<br />
Eisernen Kanzlers hinterließ. 66<br />
Busch war nach seiner Teilnahme an dem 1848er Aufstand in Dresden im Jahre 1851 nach den<br />
U.S.A. ausgewandert. Während er im Westen bis zum Mississippi karn, war er von den Mormonen<br />
fasziniert und schrieb ein 83 seitiges Kapitel in dem 2. Band seiner Wanderungen zwischen Hudson und<br />
Mississippi, 1851-1852, das von dem geachteten Cotta'schen Verlag in Stuttgart herausgegeben wurde. 67<br />
Später schrieb er eine Geschichte der Mormonen, die 1855 veröffentlicht wurde und in einer zweiten<br />
Ausgabe 1869 erschien. Busch behauptet die Mormonen mit "unparteiischen Augen" beobachtet zu haben.<br />
Er nannte den Mormonismus "eines der größten Wunder der neunzehnten Jahrhunderts," und er bewunderte<br />
- 47 -
ihre Fähigkeit zu überleben - und mitten in all den Verfolgungen, die sie erleiden müssen, erfolgreich zu sein.<br />
"Sie haben mit einern Muthe und einer Ausdauer, die der heiligsten Sache würdig war, staunenswerte<br />
Beschwerden ertragen und unüberwindlich scheinende Hindernisse überwältigt." 68<br />
Sie hatten, so sagte er, schnellere Fortschritte gemacht als irgendeine andere Sekte -- selbst die in<br />
Amerika.<br />
Aber im Interesse seiner Verpflichtung zu "Objektivität," und vielleicht auch wegen seiner kritischen<br />
theologischen Schulung, gab es ebenfalls sehr viel über diese "monströseste Anomalie unseres Zeitalters" zu<br />
kritisieren. Theologisch ist der Mormonismus<br />
"die zur Karikatur gewordene Steigerung orthodox-protestantischer Buchstäblichkeit und andrerseits die<br />
Verdrehung der katholischen Doktrinen von Tradition und Priestertum, gemischt mit chiliastischen<br />
Träumereien, einige Brocken des Shaker Kathechismus, etliche den Baptisten abgelauschten Lehren und vor<br />
allem verquickt mit einem guten Theile Fanatismus und Pharisäismus." 69<br />
Busch war allgemein gesehen davon überzeugt, daß mit der Vielehe und einer"Theokratie [die], das<br />
eiserne Germanenthum [in sich] zwängen wollte, der Mormonismus niemals überleben würde." 70<br />
Es war höchstwahrscheinlich gerade diese Schmähschrift, die einer seiner sächsischen Landsleute, Karl G.<br />
Maeser, 1854 las und die ihn auf den Mormonismus aufmerksam machte. 71 Auf jeden Fall war der junge<br />
Schullehrer persönlich dem Christentum gegenüber so agnostisch und entmutigt eingestellt, und darüber was er<br />
seine Schüler über Religion lehren sollte, daß er an Präsidenten Daniel Tyler schrieb und mehr Information<br />
über den Mormonismus erbat. 72<br />
Der interessante Bericht von der Bekehrung Maesers zum Mormonismus im Jahre 1855 in Dresden ist<br />
Mormonen gut bekannt, aber leider nicht so sehr in deutschen akademischen Kreisen. Nach seiner Bekehrung<br />
erachteten er und sein Schwager, Eduard Schoenfeld, der ebenfalls Lehrer war, und ihre Frauen, die<br />
Schwestern waren, es als notwendig, Sachsen zu verlassen und zuerst nach England und später nach 1860<br />
nach Utah auszuwandern. Ehe er 1855 Deutschland verließ, hatte Maeser Gedichte und Artikel für eine<br />
neue Zeitschrift geschrieben, die von Tyler begonnen worden war und die man Der Darsteller nannte. 73<br />
Mormonismus lieferte viele der fehlenden Glieder in der Kette der Maeserschen Weltanschauung und in der von<br />
Wilhelm von Humboldt und Johann Pestalozzi beeinflußten Pädagogie. 74 Später diente er in Deutschland<br />
als Missionspräsident und gründete den Stern. Im Utah der Pioniere wurde er ein geistiger Riese, der auf das<br />
Bildungswesen einen großen Einfluß hatte. Als ein ganz außergewöhnlich begabter Lehrer wurde er von seinen<br />
Studenten, solange sie lebten, bewundert. Zuerst diente er als Hauslehrer -- wie er es auch schon früher in<br />
Dresden getan hatte - und wurde dann 1876 als Hauptlehrer in der einjährigen Brigham Young Akademie<br />
berufen, wo er für die nächsten 15 Jahre dessen Herz und Seele war. Danach wurde er Beauftragter für das<br />
Bildungswesen für die ganze Kirche, und predigte von der Wichtigkeit der Erziehung im Great Basin<br />
Kingdom bis zu seinem Tode im Jahre 1901. 75 Hunderttaussende, nun sind es Millionen, sind dadurch<br />
unter seinen Einfluß gekommen. Seine Grundsätze der Erziehung bilden immer noch die Grundlage der<br />
Brigham Young Universität und des gesamten Bildungssystems der Mormonen. Seine Leistungen kommen<br />
denen seiner jetzt berühmten Zeitgenossen in Deutschland gleich, aber er starb, ohne daß die meisten von ihnen<br />
ihn jemals kennenlernten.<br />
Von den vielen Anerkennungen, die ihm gezollt worden sind, kommt die berühmteste und vielleicht die<br />
genaueste von Präsident Heber J. Grant: "Wenn nichts mehr in Deutschland erreicht worden ist oder erreicht<br />
werden würde als die Bekehrung Karl G. Maesers, wäre die Kirche für alle Bemühungen und Ausgaben in<br />
dem Land mehr als belohnt. 76<br />
- 48 -
Ein viertel Jahrhundert nach seiner Entstehung hatte sich der Mormonismus auf diese Weise bis zum<br />
Jahre 1855 in einem Teil der Welt in kraftvoller, wenn auch nicht immer vollständig erfolgreicher Weise,<br />
verbreitet. Der Bericht im Millenial Star zu Beginn des Jahres gab eine gute Zusammenfassung was in dem<br />
Jahr in Europa erreicht worden war. In Großbritannien gab es 51 Distrikte, genannt Konferenzen, in denen<br />
es 702 Gemeinden gab, mit einer Gesamtzahl von 29.441 Mitgliedern, einschließlich 27 in Dublin, Irland.<br />
Außerdem hatte man ein robustes, wohlorganisiertes, subventioniertes Auswanderungsprogramm. In dem Jahr<br />
gab es 2.317 Taufen, 629 Auswanderungen und 1.396 Ausschließungen. 77<br />
Aus dem gleichen Bericht ergeht, daß es in Skandinavien 2.447 Mormonen gab, mit über 2.028 in<br />
Dänemark, 250 in Schweden, 189 in Norwegen und 5 in Island. Hier war die "Sammlung" ebenfalls gut<br />
vorgeschritten. 337 waren schon nach Utah abgereist. 78<br />
Die schweizerische und italienische Mission hatte man zusammen aufgeführt. Ihr Bericht beschrieb die<br />
vier Jahre ihres Bestehens vom September 1850 bis zum Dezember 1854. Während dieser Zeit gab es 422<br />
Taufen, 66 in Italien und der Rest in der Schweiz. Zürich hatte die meisten Mitglieder mit 124, gefolgt von<br />
Genf, Bern, Neuchatel und Vaud. 49 Heilige waren bereits ausgewandert, 77 waren ausgeschlossen worden.<br />
Die Gesamtmitgliedzahl Ende 1854 beider Länder war 299. 79<br />
Die französische Mission hatte 326 Mitglieder, aber die Missionsarbeit war nicht erfolgreich. In dem<br />
Jahr waren 63 französische Heilige ausgewandert. Die deutsche Mission hatte 1854 nur 56 Mitglieder; es<br />
gab 18 Taufen, 18 Auschließungen, und 18 Auswanderungen. 80<br />
Der statistische Bericht schloß mit den Statistiken für die Mission auf der Insel Malta, wo es drei<br />
Gemeinden und 40 Mitglieder gab und für die Mission in der britischen Kolonie von Gibraltar, wo Edward<br />
Stevenson über eine Gemeinde von 18 Mitgliedern präsidierte. 81<br />
Diese schwierigen Anfänge in Teilen Europas geben uns keinen vollen Bericht von der Ausbreitung des<br />
Mormonismus vor 1855. Addison Pratt und seine Mitarbeiter hatten ihre Missionsarbeit im französischen<br />
Polynesien fortgesetzt. Als Pratt 1852 von dort wegging, schätzte er, daß es dort 2.000 Mormonen gab. Bis<br />
Ende 1854 hatten sich 4.000 Personen der Kirche in Hawaii angeschlossen, die in 53 Gemeinde lebten. 82<br />
Missionare waren ebenfalls 1851 in Australien, wo 500 getauft worden waren. Viele von ihnen<br />
wanderten von 1853 an aus. 1854 wurden die ersten Bekehrten in Neuseeland getauft. In beiden Ländern<br />
würde es später starke Gemeinden von Heiligen der LetztenTage geben. 83<br />
Die Bemühungen, den Mormonismus in Lateinamerika aufzurichten, dies im Rahmen des weltweiten<br />
Vorstoßes der Mormonen in den frühen 1850er Jahren, war einer der interessanteren Versuche. Die<br />
Kirchenführer beriefen Apostel Parley P. Pratt, einen erfahrenen Missionar, brillianten Autoren, und einen<br />
ausgezeichneten Prediger "die Tore nach dem Niederen Kalifornien, den pazifischen Inseln und Südamerika<br />
zu eröffnen und dort das Evangelium zu verkünden." Er ließ sich in Chile nieder, wo Pratt sich sehr<br />
anstrengte, aber keinen Erfolg hatte. Er und seine Frau kamen 1852 zurück, ohne auch nur eine Person<br />
bekehrt zu haben. 84 Letzten Endes wurde aus diesem kurzfristigen Mißerfolg ein langfristiger Erfolg mit<br />
einer Kirchenmitgliedschaft in Süd- und Zentralamerika von nahezu 2 Millionen.<br />
Während dieser gleichen Jahre gab es im Millenial Star regelmäßig Berichte, daß die Missionare Indien,<br />
Burma, Siam [Thailand] und Hong Kong in China eröffnet hatten. Es gab bereits 1851 Gemeinden in<br />
Kalkutta, obwohl die Missionare dort 1849 und in Bombay 1852 angekommen waren. Aber sie blieben<br />
nicht lange bestehen. Immerhin, wie Lanier Britsch schrieb, hatten die dreizehn Missionare die zwischen 1853<br />
und 1855 dort arbeiteten, "einen großen Teil Indiens durchquert, ... hatten tausende von Meilen auf den<br />
staubigen oder schlammigen indischen und burmesischen Straßen hinter sich gelegt, ... hatten<br />
Evangeliumstraktate in fünf Sprachen, und das Buch Mormon in Urdu veröffentlicht, ... und, obwohl sie<br />
- 49 -
keine greifbaren Erfolge zu verzeichnen hatten" verrichteten sie eine Arbeit die man nur als "wahrhaftig<br />
heroisch" bezeichnen kann. 85<br />
Zum Schluß soll auch der Beginn des Mormonismus in Afrika erwähnt werden. Missionare organisierten<br />
offiziell eine Mission auf dem Kap der Guten Hoffnung am 23. Mai 1853. Als die ersten Missionare 1855<br />
von dort weggingen, hatte die Kirche in sechs Gemeinden 126 Mitglieder. Unter den Schwarzen wurde nicht<br />
gepredigt. Das kam erst ein Jahrhundert später. 86<br />
Zeitgenössische Heilige der Letzten Tage und auch andere interessierte Personen mögen von dem Ausmaß<br />
der Missionsarbeit in dem ersten viertel Jahrhundert des Bestehens der Kirche sehr erstaunt sein. Offensichtlich<br />
nahmen die Führer, wie die gewöhnlichen Mitglieder der Kirche, die Verantwortung, die Botschaft der ganzen<br />
Welt zu bringen, sehr ernst. Es gab natürlich die Mormonenmänner, die mit Glauben und Mut den<br />
Elementen und der Opposition weit von der Heimat trotzten, um dieses göttliche Mandat zu erfüllen. Aber<br />
dann gab es ebenfalls Frauen und Kinder zu Hause, die genau so überzeugt waren, Opfer brachten, damit<br />
ihre Ehemänner und Väter dienen konnten. Es gab ebenfalls örtliche Heilige - und Freunde - ohne die die<br />
Missionare nur sehr schwerlich hätten überleben können.<br />
Von unserer Perspektive aus, und vielleicht sogar von der der Missionare, sahen verschiedene dieser<br />
frühzeitigen Versuche in Europa, Asien, Lateinamerika und dem Mittleren Osten, wie Mißerfolge aus, wie<br />
wir es erwähnt haben. Die Missionare wie auch die Kirchenführer waren von den Ergebnissen sehr enttäuscht.<br />
Es gab zu wenig erfolgreiche Missionen wie die in Großbritannien, Skandinavien oder selbst der Schweiz und<br />
zuviele erfolglose Missionen wie die in Italien und Frankreich. Aber wenn wir nun eine Bilanz ziehen, fragen<br />
wir uns, was waren die Ergebnisse dieses ersten Hauptvorstoßes in die Welt? Steht dies in irgendeinem<br />
Zusammenhang mit den umfangreicheren und erfolgreicheren Bemühungen in unserer zeit, in der sich der<br />
Mormonismus bemüht "eine neue Weltreligion" zu werden und die säkulare Welt bekämpft?<br />
Erstens gehorchten die Missionare einem göttlichen Gebot, und die meisten fanden dadurch eine Stärkung<br />
ihres eigenen Glauben, des Glaubens ihrer Familie, und selbst deren Nachkommen. Damals wie heute sind<br />
von den meisten Missionaren sie selbst die wichtigsten Bekehrten. Diese erprobten Familien wurden Teil eines<br />
Felsen des Glaubens und der Hingabe im 19. Jahrhundert, auf dem das größere Kirchengebäude errichtet<br />
worden ist.<br />
Zweitens, Missionare und Bekehrte verbreiten die Lehren des Mormonismus in einer immer weiteren<br />
Sphäre unter Menschen, die noch nie etwas davon gehört haben. Es ist wahr, daß vieles, was in jenen Tagen<br />
von dem Mormonismus gesagt worden ist, schlecht informiert oder bösartig oder sogar eine Verleumdung war.<br />
Aber der Mormonismus wurde dadurch bekannt, und ohre Zweifel es gab viele mehr als Karl Maeser, deren<br />
Interesse durch die Widersprüche anti-mormonischer Verleumdungen erweckt wurde.<br />
Drittens, die neuen europäischen Bekehrten, besonders diejenigen die auswanderten, halfen, eine genügend<br />
große kollektive Masse an einem Ort zu schaffen, die in der Lage war, die Stürme dort zu bestehen. Sie half<br />
eine Gesellschaft aufzubauen und eine Nachkommenschaft, die später Achtung und sogar Verehrung<br />
verdienen würde, in ihrem Bemühen, in neue Gebiete vorzurücken, und dabei immer neuere Methoden zu<br />
verwenden, um den Massen der Welt ihre Botschaft zu bringen. Diese frühen Pioniere waren wahre Pioniere,<br />
nicht nur indem sie das Meer und die Steppen überquerten, sondern indem sie ein neues Land besiedelten und<br />
dort neue Städte bauten, und nicht nur halfen, Zion aufzubauen sondern auch Amerika, und es diesem<br />
Lande ermöglichten, seine historische Rolle zu erfüllen.<br />
Viertens, sie machten einen Anfang und dienten als würdige Vorbilder. Es dauerte lange Jahre bevor<br />
Orson Hydes Gebet in Jerusalem sich zu erfüllen begann, und bis jetzt haben nur sehr wenige Juden den<br />
Mormonismus angenommen, und noch weniger Mohammedaner. Dieser Riesenanteil der Bevölkerung der<br />
Welt hat überhaupt keine Ahnung vom Mormonismus. Wie schon gesagt, die gesamte frühere Sowjetunion,<br />
- 50 -
der größte Teil Indiens und Chinas, sowie eine Vielzahl anderer kleinerer Nationen, wissen fast überhaupt<br />
nichts vom Mormonismus.<br />
Außerdem gibt es Menschenmassen, die keiner Kirche angehören, Weltmenschen, Skeptiker und<br />
Intellektuelle im Westen und der ganzen Welt, die das Evangelium in ihren "Sprachen" kaum verstanden<br />
haben. Die Kirche sollte das Lernen dieser Sprache ernsthafter nehmen, als es in der Vergangenheit der Fall<br />
gewesen ist. Dies sind einige Probleme, die die Orson Hydes im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert zu<br />
lösen haben.<br />
- 51 -
Anmerkungen<br />
1. Das genaue Zitat von Benz lautet wie folgt: "Das mystische Verständnis der imago dei-Idee, der<br />
Selbstabbildung Gottes im Menschen durch die Zeugung und Geburt des Sohnes im Menschen, führt in<br />
seiner letzten Konsequenz auf den Gedanken der Vergottung des Menschen. Dieser Begriff ist aus der<br />
kirchlichen Dogmatik seit dem 5. und 6. Jahrhundert verschwunden und hat sich im römischkatholischen<br />
Westen in der Zeit der Alten Kirche nie durchgesetzt, er ist aber in der Tradition der<br />
christlichen Mystik aufgrund der Kontinuität der mystischen Erfahrung stets lebendig geblieben. Hier<br />
sollen jedoch nicht die europäischen Frommen zur Sprache kommen, die es gewagt haben, von der<br />
Vergottung des Menschen im christlichen Sinn der Erneuerung des Gottesbildes im Menschen zu<br />
sprechen, sondern die Vertreter einer amerikanischen Kirche, die den Gedanken der Vergottung aufgrund<br />
der Erfahrungen und Doktrinen ihres visionären Gründers zur Grundlage ihrer Anthropologie, ihrer<br />
Gemeinschaftsidee, ja sogar ihrer Gesellschaftsstruktur gemacht hat, die Kirche der Mormonen. Ich<br />
durchbreche damit ein europäisches Tabu, nämlich die in der europäischen Theologie auch nach einem<br />
halben Jahrhundert ökumenischer Bewegung immer noch weit verbreitete Regel: "Americana non<br />
leguntur,' und das spezifische Vorurteil der deutschen Theologie, als hätten die Deutschen die Theologie in<br />
Erbpacht genommen und als gäbe es eine amerikanische Theologie überhaupt nicht." "Der Mensch als<br />
Imago Dei," Urbild und Abbild: Der Mensch und die mystische Welt. (Leiden: E. T. Brill, 1974),<br />
491-492.<br />
2. "The Rise of a New World Faith," Review of Religious Research, Vol. 26 No. 1 (September, 1984),<br />
19-26.<br />
3. Ibid., 22<br />
4. Richard L. Bushman, ein Mormone, ist Gouverneur Morris Professor der amerikanischen Geschichte auf<br />
der Columbia Universität in New York City.<br />
5. Der Schlusssatz des Buches lautet: "When this theological conception ['eternal progression' toward godhood]<br />
is added to the peculiar understanding that Saints have of themselves and their Hebraic-Christianness,<br />
which grew out of their past as peculiar people, it becomes as clear as can be that, nomenclature<br />
notwithstanding, Mormonism is a new religious tradition." Mormonism: The Story of a New Reliaious<br />
Tradition (Chicago and<br />
Urbana, Illinois: University of Illinois Press, 1985), 149.<br />
6. Sally B. Donnelly, "Mixing Business and Faith," Time (July 29, 1991),22-24; Marguerite T. Smith<br />
und Debra Wishik Englander, "The Best Places to Live now," Money (Sept. 1991), 130-139. Andere<br />
Mormonenfreundliche Artikel erschienen im Sunday Times Magazine (London) (November 15, 1987),<br />
53-61 und New York Times (Sept. 15,<br />
43 1991), 1, 16.<br />
7. Joseph F. Smith, "No nationalities in the Church," Gospel Doctrine: Sermons and Writings (Salt Lake<br />
City: Deseret Book, 1946), 407. "In speaking of nationalities, we all understand or should that in the<br />
Church of Jesus Christ of Latter-day Saints there is neither Scandanavian, now Swiss, nor German, nor<br />
Russian, nor British nor any other nationality."<br />
8. James B. Allen and Marvin S. HilI (H...). Mormonism and American Culture (New York: Harper and<br />
Row, 1972), 3.<br />
- 52 -
9. Siehe zum Beispiel: Moritz Busch, Die Mormonen: Ihr Prophet. ihr Staat,und ihr Glaube (Leipzig:<br />
Verlag von Carl B. Lorch, 1855); Robert von Schlagintweit, Die Mormonen oder die Heiliaen vom<br />
iüngsten Tage von ihrer Entstehung bis auf die Gegenwart, Z. Aufgabe (Coeln u Leipzig: Eduard<br />
Heinrich Mayer, 1878); Eduard Meyer, Ursprung und Geschichte der Mormonen mit Exkursen über<br />
die Anfänge des Islams und des Christentums. (Halle a.S.: M. Niemeyer, 1912). Der inhaltsreiche<br />
Aufsatz von D.L. Ashliman, "The Image of Utah and the Mormons in Nineteenth Century Germany"<br />
beschreibt das Bild der Mormonen von einer Gruppe von einflussreichen Autoren wie Jacob Schiel,<br />
Heinrich Balduin Möllhausen, (178 Bände) Karl May (70 Romane in 20 Sprachen) D. T. Fernhagel<br />
und Rudolf Schleiden, die im 19. Jahrhundert schrieben und das Image der Mormonen im deutschsprachigen<br />
Gebiet und weiter bis auf den heutigen Tag fixierten. Utah Historical Quarterly VI. 35, No.<br />
3 (Summer, 1967), 209-227.<br />
10. Richard Lempp, "Religious Conditions in Germany," Harvard Theoloaical Review Val. 3 (1919),<br />
110, 96.<br />
11. Larry Porter, "Beginnings of the Restoration: Canada, An 'Effectual Door' to the British Isles," Truth<br />
will prevail Cambridge: Cambridge University Press, 1987), 3-43; Siehe auch das Diary of Joseph<br />
Fielding, unveröffentliches Tagebuch im Besitz des Autors, 1-5.<br />
12. Zitiert in V. Ben Bloxham, "The Apostolic Foundations, 1840- 1841", Truth Will prevail, 162.<br />
13. Orson Hyde, Ein Ruf aus der Wüste: eine Stimme aus dem Schoose der Erde (Frankfurt/M:<br />
Selbstverlag des Verfassers, 1842) Anhang, 9.<br />
14. Bloxham, Truth will prevail, 213.<br />
15. Richard L. Jensen, "The British Gathering to Zion," Truth will prevail, 165.<br />
16. Ibid., 165-168<br />
17. Erastus Snow, One Year in Scandanavia (London, 1851), 15.<br />
18. Andrew Karl Larson, Erastus Snow: The Life of a Missionary and Pioneer for the Early Mormon<br />
Church, Salt Lake City: University of utah Press, 1971), 220; B. H. Roberts, Life of John Taylor<br />
(Salt Lake City: G. Q. Cannon & Song, 1892), 229.<br />
19. Brief von John Taylor an Orson Hyde in Millenial Star, Vol. 12 (March 15, 1850) 87-88.<br />
20. zitiert von "German Mission Manuscript History," September 13, 1840 in Gilbert Schartig,<br />
Mormonism in Germany (Salt Lake City: Deseret Book, 1970), 11.<br />
21. Hyde, Anhang, 8.<br />
22. Zitiert in Larson, Endnote, 208.<br />
23. Millenial Star, Val. 12 (May 1, 1850), 132.<br />
24. Ibid., 133. 25. .ibid., 87.<br />
26. Ibid., 87-88.<br />
27. Ernst Rudolf Huber und Wolfgang Huber, Staat und Kirche in 19. und 20. Jahrhundert; Dokumente<br />
zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts Bd. 2 (Berlin: Duncker und Humblot, 1976), 33.<br />
- 53 -
28. Zitiert in Larson, 224. 29. zitiert in Larson, 223.<br />
30. Ibid., 225.<br />
31. Thomas C. Romney, Life of Lorenzo Snow (Salt Lake City: Sugar House Press, 1955), 98-99.<br />
32. Ibid., 112.<br />
33. Roberts, 222-224.<br />
34. zitiert in Samuel W. Taylor and Raymond W. Taylor, The John Taylor Papers, Vol. 1, 1837-1877<br />
(Redwood City, CA.: Taylor Trust, 1984), 166.<br />
35. Roberts, 211.<br />
36. Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. 4 (Freiburg im Br. Herder, 1933-<br />
37), 561.<br />
37. James J. Sheehan, German History. 1770-1866. (Oxford: Clarendon Press, 1989), 555.<br />
38. Hugh McLeod, Religion and the People of Western Europe (Qxford, 1981) 57. Zitiert in Sheehan,<br />
560.<br />
39. Sheehan, 561.<br />
40. Rudolf Haym, Aus Meinem Leben: Erinnerungen (Berlin: 1902) 167 zitiert in Sheehan, 626.<br />
41. Sheehan, 626.<br />
42. Schnabel, 561.<br />
43. "Dr. Maeser is laid to Rest," Deseret Evening News (Feb. 19, 1901), 1.<br />
44. Gilbert W. Scharffs, Mormonism in Germany: A History of the Church of Jesus Christ of Latter-day<br />
Saints in Germany (Salt Lake City: Deseret Book, 1970), Table 1, XIV. In 1920 war Deutschland<br />
knapp an dritter Stelle mit 9.100 Mitglieder; Kanada hatte 9.411. In 1930 Deutschland hatte zum<br />
2ten Platz avanciert (11,596 gegen 11,306 fur Kanada). In 1940, 1950 und 1960 blieb Deutschland<br />
an dritter Stelle (1940: Kanada, 13,801; Deutschland 13,480; 1950: Kanada, 16,796, Deutschland<br />
15,664; 1960: Kanada, 33,400 Deutschland 18,190).<br />
45. Samuel u.Raymond Taylor, 168.<br />
46. Zion's Panier Bd. 1, No. 7 (1 November 1851), 1.<br />
47. Ibid., 1, 2.<br />
48. Samuel u. Raymond Taylor, Anmerkung, 174.<br />
49. Ibid., 168-169.<br />
50. Brief von Daniel Carn an S.W.Richards, 6 August 1852 in Albert<br />
RiedeI, Die Geschichte der deutschsprachigen Missionen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage.<br />
Bd. 1 (Salt Lake City: Service Press, 1971) 26-30. Siehe auch Larson, 228-229.<br />
51. Bericht an "The German Mission", Millenial Star, Bd. 15 (March 5, 1853), 152-153.<br />
- 54 -
52. Innerhalb von ein paar Monaten erschien Carn acht Mal vor den Behörden Hamburgs, aber nie wegen<br />
Verstoss gegen irgendein Gesetz verurteilt. Die Hamburger Regierungsbeamten hatten schön die<br />
Mormonen gebrandmarkt, erstens wegen ihres Rufes überall in den Vereinigten Staaten wo sie sich<br />
ansiedelten, Unruhe gestiftet zu haben sowie wegen der Vielehe. Ibid., 152.<br />
53. Riedel, 31.<br />
54. Brief von George C. Riser an S.W. Richards, 11 May 1853 in Millenial Star, Bd. 15 (May 11,<br />
1853), 365-367.<br />
55. Brief von J.F. Secrist an S.W. Richards, 11 May 1853, Ibid., 362-365.<br />
56. Bericht in Millenial Star, Bd. 15, 587. 57. Riser, 366-367.<br />
58. Hajo Holborn, A History of Modern Germany, 1648-1840 (New York: A. Knopf, 1966) 11, 508-<br />
509. Siehe auch H.W. Koch, A History of Prussia (London: Longmans, 1984),227 ff. Die<br />
Mormonenführer wären vielleicht weniger enthusiastisch, wenn sie die Meinung des Königs über die<br />
amerikanische Sekten gewusst hätten, die er an seinen Freund, Bunsen, in 1850 geschrieben hat: "Ich<br />
fühle sehr deutlich, dass derjenige Theil der protestantischen Narrenjacke, der Amerika und den<br />
desperaten und unbedeutsamen Sekten in Europa angehört, ausser jeglichem Bereiche liegt. Auf die<br />
europäischen kirchlichen Protestanten wäre aber wohl solche Einwirkung nicht gerade zu undenkbar."<br />
Leopold von Ranke, Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV mit Bunsen (Leipzig: Verlag von<br />
Duncker und Humbolt, 1873), 34.<br />
59. Spencers Bericht an Brigham Young, herausgegeben als The Prussian Mission, ist übersetzt und gänzlich<br />
abgedruckt in Riedel, 44-75.<br />
60. Siehe den Brief Spencers an Minister von Raumer um eine Audienz in Riedel, 54-55.<br />
61. Ibid, 59-63.<br />
62. Vor einigen Jahren hat der Autor Mikrofilmrollen der Dokumente der preussischen Regierung--<br />
hauptsächlich Akten von beide den Innen und Aussen Ministerien sowie umfangreiche Polizeiberichte--<br />
aus dem Deutschen Archiv in Merseburg ehemaligen DDR bekommen. Obwohl einige Lücken existieren<br />
kann man an diesen Akten klar diese Kette von 1853 an beginnend leicht feststellen. Die<br />
Originaldokumente liegen wahrscheinlich noch in Merseburg; die Mikrofilmrollen sind jetzt in der<br />
Historischen Abteilung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage in Salt Lake City<br />
aufbewahrt.<br />
63. Zitiert in Ernst Rudolf Huber und Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert.<br />
Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatkirchenrechts. Vol. II (Berlin: Duncker und Humbolt,<br />
1976), 71.<br />
64. Spencer in RiedeI, 67.<br />
65. Ashliman, 213-215, 217-218.<br />
66. Heinrich Otto Meisner, "Julius Hermann Moritz Busch," Neue Deutsche Biographie, Bd. 3 (Berlin:<br />
Duncker u. Humbolt, 1957)63.<br />
67. Moritz Busch, Wanderungen zwischen Hudson und Mississippi 1851 und 1982 (Stuttgart: J.G.<br />
Cotta'scher Verlag, 1854), 1-82.<br />
- 55 -
68. Ibid., 82.<br />
69. Ibid., 81.<br />
70. Ibid.<br />
71. Später Maeser erzählte von der Zeit wenn er mit dem Mormonismus in Berührung kam. "In this dark<br />
period of my life, when I was searching for a foothold among the political, social, philosophical and<br />
religious opinions of the world, my attention was called to a pamphlet on the Mormon, written by a man<br />
named Busch." Siehe Reinhard Maeser, Karl G. Maeser (Provo, UT: BYU Press, 1928), 19.<br />
72. Ibid.<br />
73. Ibid., 19-25.<br />
74. Douglas F. Tobler, "Karl G. Maeser's German Background: The Making of Zion's Teacher, "<br />
Zeitschrift für Religions-und Geistesgeschichte 24 (1977), 193-222.<br />
75. Man nannte ihn den "Vater der Bildung in Utah Maeser" , 118-133.<br />
76. Zitert in Ernest L. Wilkinson (ed.) Brigham Young University: The First One Hundred Years (Provo,<br />
UT: Brigham Young University Press, 1975) 1:87.<br />
77. Statistical Report of the Church of Jesus Christ of Latter-day Saints, Millenial Star, Bd. 17(1855), 75-<br />
76.<br />
78. Ibid.,78.<br />
79. Ibid<br />
80. Ibid., 78-79.<br />
81. Ibid.,79.<br />
82. R. Lanier Britsch, "Beginnings of French Polynesia and Hawaii," The International Church, hrsg. von<br />
James R. Moss, R. Lanier Britsch, James R. Christianson u. Richard O. Cowan (Provo, UT: BYU,<br />
1982), 115, 120.<br />
83. Ibid, 124, 129.<br />
84. Richard O. Cowan, "Beginnings in South America," Thg.<br />
International Church, 170.<br />
85. Britsch, "Taking the Gospel to Asia, 1849-1945," The International Church, 196-197.<br />
86. Cowan, "The Church in Africa," The International Church, 236.<br />
- 56 -
Geschichte der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage<br />
im Raum Regensburg<br />
Dr. Peter Wöllauer, Neustadt/Donau<br />
In den Aufzeichnungen der Kirche finden wir Regensburg zuerst im Jahre 1841 erwähnt,<br />
als Apostel Orson Hyde sich in der Stadt aufhielt und darüber einen Brief an Joseph Smith<br />
schrieb 1 . 1942, auf der Rückreise aus Palästina hielt er sich nochmals einige Monate in<br />
Regensburg auf und verfaßte seine Schrift "Ein Ruf aus der Wüste, eine Stimme aus dem<br />
Schoose der Erde" 2 . In diesem Werk erwähnt er den freundlichen Umgang mit einigen<br />
Regensburgern. Die Gesetze des Landes verhindern allerdings in Person des Zensors und des<br />
Stadtkommissärs die Veröffentlichung seiner Schrift, sodaß er sie in Frankfurt am Main<br />
herausgeben muß. Für die nächsten Jahrzehnte breitet sich der Schleier des Vergessens über<br />
Geschehnisse in Regensburg, die mit der Verkündigung des Evangeliums zu tun haben.<br />
Wir wissen nicht, ob es im 19. Jahrhundert Mitglieder Im Raum Regensburg gegeben hat.<br />
Wir haben nur Kenntnis über die wechselvolle Geschichte der Gemeinden in Nürnberg und<br />
Fürth. Falls es jemanden hier gegeben haben sollte, so gehörte er sicherlich zur Gemeinde<br />
Nürnberg, die im Jahre 1880 durch Bruder Ilg 3 gegründet wurde und in den folgenden drei<br />
Jahren auf 218 Mitglieder anwuchs und somit die größte Gemeinde Deutschlands wurde 4 .<br />
Im Jahre 1883 erlebte die Gemeinde Nürnberg zwei große Rückschläge: Bruder Ilg, der<br />
sehr rührige Gründer der Gemeinde wurde wegen seines Betragens von der Kirche<br />
ausgeschlossen 5 . über die Gründe für den Ausschluß wird nichts weiter berichtet. Der zweite<br />
Schlag war die Auflösung aller Gemeinden in Süddeutschland, was auch Nürnberg betraf. Die<br />
Behörden hatten nämlich Angst vor einer Infektion der Bevölkerung mit sozialistischen Ideen<br />
und mit einer unsinnigen Irrlehre. Aus diesem Grund legten sie die Gesetze so rigoros wie<br />
möglich aus. Dies bewog den Missionspräsidenten, P.F. Gass in Bern, die zeitweilige<br />
Auflösung der Gemeinden zu verfügen, um nicht gegen Landesgesetze zu verstoßen 6 . Im<br />
selben Jahr wanderten 186 Mitglieder aus der deutschsprachigen Mission nach Utah aus 7<br />
und entgingen so der Religionsausübung Im Untergrund, die das Leben der Mitglieder bis<br />
zum Ende des Ersten Weltkrieges bestimmte. Es herrschte völliges Versammlungsverbot. Die<br />
Geschwister versammelten sich bei einem Mitglied In der Wohnung, wobei zwei Brüder<br />
Schmiere standen. Wenn die Polizei zur Kontrolle anrückte, verwandelte sich die<br />
Sonntagschule in eine harmlose Gesangsrunde, die sich an Volksliedern erfreute. Oftmals<br />
mußten Versammlungen tief im Wald abgehalten werden, um den Nachstellungen der<br />
Behörden auszuweichen. Für verbotene Versammlungen gab es nämlich empfindliche<br />
Strafen: 20 Mark, was etwa einem Lohn für zwei Wochen entsprach. 8<br />
Mit dem Untergang des Kaiserreiches ging die Zeit der politisch begründeten<br />
Schwierigkeiten für die Mitglieder für einige Jahre zu Ende. Im Jahr 1926 wurde in<br />
Regensburg eine Gemeinde gegründet, die von Missionaren geleitet wurde und bis zum Jahr<br />
1932 Bestand hatte. Nachweislich wurde in dieser Zeit Familie Franz Federl getauft und<br />
einige Schwestern. Nach Abzug der Missionare im Jahr 1932 konnte die Gemeinde nicht<br />
- 57 -
gehalten werden, da es keine einheimischen Priestertumsträger gab. So wurden die Mitglieder<br />
der Gemeinde Nürnberg zugeteilt, was praktisch ein Ende des Gemeindelebens bedeutete, da<br />
die finanziell schwachen Mitglieder sich die Bahnfahrt in das 100 km entfernte Nürnberg nur<br />
sehr selten leisten konnten. Da keine Aufzeichnungen aus jener Zelt existieren, beruhen die<br />
obigen Angaben auf mündlich mitgeteilten Erinnerungen von mittlerweile verstorbenen<br />
Mitgliedern 9 .<br />
Bis 1945 gibt es wieder keine Berichte über Kirchentätigkeit in Regensburg. Dann setzt<br />
die neue Geschichte ein, die wesentlich von Bruder Paul Reimer und seiner Familie getragen<br />
wurde. Das Schicksal der Familie Reimer ist exemplarisch für viel Mitglieder in Deutschland<br />
In der Zeit von 1945 bis jetzt und soll deshalb ausführlich berichtet werden.<br />
Paul Reimer stammte aus Kolberg an der Ostssee in Pommern. Im Jahre 1927 hatte er<br />
sich sechzehnjährig zusammen mit seiner Familie der Kirche angeschlossen. Seine spätere<br />
Frau, Berta Heise aus Wobesde im Kreis Stolp lernte er in der Kirche kennen. Wie die<br />
meisten Männer mußte er während des zweiten Weltkrieges in der deutschen Wehrmacht<br />
dienen und Frau und zwei kleine Söhne alleine lassen. Gegen Kriegsende, im Winter 1944/45<br />
war er in der Elfel trotz seines Sanitätsdienstgrades bei einer kämpfenden Einheit eingesetzt.<br />
Wegen Erfrierungen an den Füßen und Händen wurde er zusammen mit einem Kameraden<br />
nach Riedenburg im bayrischen Altmühltal beordert, wo im Ursulinenkloster ein Lazarett<br />
eingerichtet war. Nach sorgfältiger Reinigung und Entlausung konnte er seine Erfrierungen<br />
ausheilen. Im März 1945 wurde er als marschtauglich entlassen und erhielt den Befehl, sich<br />
gemeinsam mit seinem Kameraden zu Fuß nach dem etwa 40 km entfernten Regensburg in<br />
Marsch zu setzen. Die Eisenbahnlinie war nämlich unterbrochen, der Bahnhof von<br />
Riedenburg durch Bomben zerstört. Das Erreichen von Regensburg war aber nicht mehr<br />
möglich, da die Stadt schon von den Amerikanern eingenommen worden war. Ins Lazarett<br />
zurückgekehrt, sollten sie einer anrückenden SS-Einheit angeschlossen werden, wozu sie aber<br />
überhaupt keine Lust hatten, nachdem sie sich die ganzen Jahre von dieser berüchtigten<br />
Truppe fernhalten konnten. Zu dieser Zeit war auch schon völlig klar, daß die so harten<br />
Burschen der SS von den Siegern eine angemessen harte Behandlung zu erwarten hätten. Es<br />
gelang ihnen, sich einem Pionierzug anzuschließen, der den Auftrag hatte, sich<br />
brückensprengend nach Süden zurückzuziehen. Es war ja wesentlich günstiger, von den<br />
Amerikanern als Mitglied einer regulären Wehrmachtseinheit gefangengenommen zu werden,<br />
wie als Mitglied einer SS-Einheit. Der Marsch ging nach Neustadt an der Donau, wo die<br />
Donaubrücke gesprengt wurde und dann weiter nach Süden. Durch den langen Marsch<br />
wurden die frisch verheilten Füße wieder wund. Deshalb erhielt ein ebenfalls verwundeter<br />
Offiziersanwärter den Auftrag, alle Verwundeten, darunter Paul Reimer, nach Landshut ins<br />
Lazarett zu geleiten, was mangels anderer Transportmittel zu Fuß geschehen mußte. Wäre<br />
Bruder Reimer ohne Auftrag unterwegs gewesen, dann hätte er wohl nicht überlebt, denn die<br />
Feldgendarmerie kontrollierte sehr scharf und machte nicht viel Federlesens mit Soldaten, die<br />
Ihr woher und wohin nicht zufriedenstellend erklären konnten. Außerdem war ihr Leben<br />
noch durch amerikanische TIefflieger gefährdet, die auf alles schossen, was sich bewegte.<br />
Schließlich langten aber alle in Landshut an und wurden im Lazarett Im Ursulinenkloster<br />
aufgenommen, das durch Fliegerangriffe teilweise zerstört war. Bruder Reimer wurde in<br />
einem Zimmer einquartiert, das von einer Bombe beschädigt worden war, wo an der Wand<br />
die abgerissene Kopfhaut eines Verwundeten klebte.<br />
Nicht lange danach kam die Meldung, daß Landshut eingeschlossen sei. Landshut wurde<br />
- 58 -
zur Kriegsstadt erklärt und Panzeralarm wurde gegeben. Im Hof des Lazarettes wurde ein<br />
Feuer entfacht und alle Rangabzeichen und andere belastende Kleinigkeiten wurden<br />
verbrannt. Glücklicherweise, versuchte kein Offizier In Landshut unnötigerweise den Helden<br />
zu spielen, sodaß die Stadt kampflos an die Amerikaner übergeben wurde. Nach<br />
ausreichender Genesung wurde Paul Reimer aus dem Lazarett entlassen, aber aufkeimende<br />
Hoffnung darauf, nun sein eigener Herr zu sein, wurden durch das Vorfahren von<br />
Armeelastwagen sofort erstickt: Es ging nun ins Kriegsgefangenenlager nach Regensburg.<br />
Zusammengepfercht wurden die Soldaten der besiegten Wehrmacht auf der wilden Fahrt<br />
fürchterlich durchgeschüttelt, wobei der Fahrer danach trachtete möglichst viele der aus<br />
Platzmangel außen am Fahrzeug hängenden Tornister an Bäumen abzustreifen. Er, der<br />
dunkelhäutige Vertreter einer herumgestoßenen Minderheit genoß es offensichtlich, hier der<br />
Herr zu sein und einmal andere herumzustoßen, sogar im wörtlichen Sinn.<br />
Im Kriegsgefangenenlager in der ehemaligen SA-Schule und an anderen Orten in<br />
Regensburg teilte Paul Reimer sein Schicksal mit etwa 120 000 anderen Gefangenen, bis er<br />
am 30. Juli 1945 entlassen wurde. Zu diesem Zeitpunkt kam das Sanitätspersonal frei. Schon<br />
während der Zeit als Kriegsgefangener hatte er versucht unter den Mitgefangenen und unter<br />
den Amerikanern Kirchenmitglieder zu finden, aber vergebens. Das höchste war, daß er<br />
einen amerikanischen Soldaten antraf, der die Kirche kannte.<br />
Zur Zeit der Entlassung war schon klar, daß er in seine Heimatstadt Kolberg nicht mehr<br />
zurückkehren konnte, da sie unter polnische Verwaltung gestellt worden war und die<br />
Deutschen nach und nach vertrieben wurden. Somit wußte er zu dieser Zeit nichts über das<br />
Schicksal seiner Frau und seines Sohnes, seiner Eltern und der etwa 40 Mitglieder, der<br />
Gemeinde in Kolberg. Zunächst wollte er nach Sachsen, weil er dort eine Familie kannte, die<br />
in der Kirche war und weil er hoffte, dort seine Familie zu finden oder zumindest etwas über<br />
ihren Verbleib zu erfahren. Diese Hoffnung zerschlug sich, weil Bruder Reimer bei der<br />
Ankunft In Hof feststellen mußte, daß das vorher amerikanisch besetzte Sachsen nun<br />
russische Zone war. Da er nicht wußte wohin, kehrte er zu Fuß und auf einem Güterzug<br />
wieder nach Regensburg zurück und kam als Zivilangestellter bei der amerikanischen Armee<br />
unter. Seine in der Kirche erworbenen Englischkenntnisse waren hierbei hilfreich.<br />
Nun, frei sich zu bewegen, versuchte Paul Reimer seine Frau zu finden. Das gestaltete<br />
sich sehr schwierig, da keine Postverbindung mit der verlorenen Heimat mehr existierte. In<br />
dieser Zeit war es aber üblich, Suchmeldungen und andere Mitteilungen an den Bahnhöfen<br />
anzubringen. So wanderte auch Bruder Reimer immer wieder zum zerstörten Bahnhof mit<br />
der schwachen Hoffnung, dort am langen Bretterzaun unter den hunderten Anzeigen,<br />
Informationen zu finden, die ihn zu seiner Frau führen würden, aber vergeblich.<br />
Eines Tages fand er dort aber einen Aufruf, der Ihm In einer anderen Sache weiterhalf:<br />
Bei der Suche nach der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Er fand einen<br />
etwas größern Zettel vor mit dem Text:" Alle Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen<br />
der Letzten Tage wollen sich bei Richard Nitschka, Fürth/Bayern, Dambach 9 melden". Dies<br />
führte zur Wiederaufnahme der Kirchentätigkeit von Bruder Reimer. Es ist ihm hoch<br />
anzurechnen, daß er unter dem leidvollen und verrohenden Einfluß des Krieges und so lange<br />
auf sich alleine gestellt nicht den Glauben verloren hatte, wie so viele andere. In seinem Falle<br />
führte der Verlust der Heimat und die Ungewißheit über das Schicksal seiner Frau und seines<br />
Sohnes Dieter, nachdem ein weiterer Sohn, Eckhard, bedingt durch Überlastung und<br />
Durcheinander im Krankenhaus an Diphtherie gestorben war, nicht zu gottesfeindlicher<br />
- 59 -
Verbitterung, wie bel so vielen andern Mitgliedern der Kirche. Viele erholten sich nie mehr<br />
von den geistigen Wunden, die der Krieg geschlagen hatte und konnten nicht mehr<br />
zurückfinden zur Anerkennung des Evangeliums Jesu Christi.<br />
Bruder Reimer nun stellte sofort seine Arbeitskraft In den Dienst der Kirche. Zu dieser<br />
Zeit existierte in Regensburg keine Gemeinde und so wurde er Mitglied der Gemeinde<br />
Nürnberg. Es war bekannt, daß es einige Mitglieder in Regensburg gab, aber Namen und<br />
Adressen waren nicht bekannt, da die Mitgliedsunterlagen bei der Zerstörung der<br />
Gemeinderäume in Nürnberg durch Fliegerbomben verloren gegangen waren. Somit konnte<br />
der Verwaltungsangestellte Paul Reimer sein besonderes Talent, das später in der Kirche<br />
weithin geschätzt wurde, ausüben: Das Auffinden von verloren gegangenen Mitgliedern.<br />
Solange er noch Angestellter der US-army war, hatte er kaum Zeit sich mit Suchaktionen zu<br />
befassen, aber dann, nach dem 6. Mai 1946, als er als Verwaltungsangestellter am<br />
Landratsamt Regensburg Arbeit fand, hatte er mehr Freiheit, sich um die Mitglieder zu<br />
kümmern.<br />
Der Kontakt mit Bruder Nitschka in Fürth, der den Auftrag hatte sich um alle Mitglieder<br />
zu kümmern, die als Flüchtlinge nach Franken, in die Oberpfalz und nach Niederbayern<br />
kamen, öffnete für Bruder Reimer auch wieder die Informationskanäle der Kirche.<br />
So erfuhr er von der Ostdeutschen Mission in Berlin, daß in Wolfsgrün in Sachsen ein<br />
Flüchtlingslager existierte, das von der Kirche für ihre vertriebenen Mitglieder aus den<br />
Ostgebieten nach den Wohlfahrtsgrundsätzen betrieben wurde. Dort befand sich eine Anzahl<br />
von Mitgliedern aus Kolberg und aus Wobesde, darunter auch sein Vater und seine<br />
Stiefmutter, nicht aber seine Frau und sein Sohn. Erst Mitte 1946 wurde der Postbetrieb mit<br />
Polen, und damit auch mit seiner alten Heimat Pommern aufgenommen. Er schrieb an seine<br />
Frau per Adresse ihrer Eltern (nunmehr mit polnischen Ortsbezeichnungen). Diesen Brief<br />
erhielt und beantwortete sie. Sie hatte über ein Jahr lang nichts über das Schicksal ihres<br />
Mannes gewußt. Sie hatte auch Schweres durchzustehen. Ab 4. März 1945 war Kolberg durch<br />
russische Artillerie 12 Tage lang beschossen worden. Die Hausbewohner hatten sich im<br />
Keller verkrochen, bis sie dann von den Russen über Schuttberge durch die brennende Stadt<br />
aufs Land hinausgeführt wurden. Dort konnte Schwester Reimer bei verschiedenen<br />
Bauersfrauen Unterschlupf finden, den sie mit ihrer Arbeitskraft zu bezahlen hatte. Sie wollte<br />
zu ihren Eltern in Wobesde, Kreis Stolp, aber es war sehr schwierig von der polnischen<br />
Kommandatur die Erlaubnis dafür zu bekommen. Die russischen und polnischen Behörden<br />
wollten diese eigentlich deutschen Gebiete für die Polen als Siedlungsgebiet und die<br />
verhaßten Deutschen sollten so schnell wie möglich "ins Reich" abgeschoben werden, das<br />
heißt ins Gebiet westlich der Oder-Neiße-Linie. Erst als sie argumentierte, daß sie ihre Eltern<br />
abholen wolle, um mit ihnen gemeinsam "ins Reich" zu fahren, erhielt sie die Erlaubnis, nach<br />
Wobesde zu fahren. Bei ihrer Ankunft waren schon einige Kirchenmitglieder dabei, das Land<br />
zu verlassen und forderten Berta Reimer auf, sofort mitzukommen. Durch die Strapazen und<br />
Entbehrungen der vergangenen Monate, war sie so ausgelaugt, daß sie lieber das Risiko auf<br />
sich nahm, auf polnischem Gebiet bei ihren Eltern zu bleiben. Doch im November 1946<br />
durfte niemand mehr bleiben und auch Schwester Reimer mußte mit ihren Eltern und ihrem<br />
kleinen Sohn los. In Forst, in der Lausitz mußte Schwester Reimer aber die Fahrt<br />
unterbrechen, da ihr Sohn Dieter schwer erkrankt war. Zuerst war unklar, woran das Kind zu<br />
sterben drohte, dann aber erkannte man, daß es Paratyphus war. Nach wochenlanger<br />
Behandlung im Krankenrevier des Flüchtlingslagers und im Krankenhaus konnte die Reise<br />
- 60 -
fortgesetzt werden. Endlich am 12. März 1947 konnte Bruder Reimer seine Lieben in Hof in<br />
die Arme schließen und nach Regensburg geleiten. Nach langem, zähen Ringen mit den<br />
Behörden erhielten sie zwei Zimmer in Lorenzen bei Regensburg zugewiesen und konnten<br />
nun daran gehen, ihr Leben wieder neu aufzubauen.<br />
Zunächst war die Anstellung bei den Amerikanern ein großer Glücksfall, war dadurch<br />
doch Wohnung und Nahrung gesichert.<br />
Am 6. Mai 1946 nahm Paul Reimer seine Tätigkeit im Landratsamt Regensburg auf.<br />
Dadurch mußte er nun eine Unterkunft finden. In der stark zerstörten, mit Flüchtlingen<br />
überfüllten Stadt Regensburg war dies außerordentlich schwierig. Schließlich fand er eine<br />
ehemalige Abstellkammer, die mit Bett, Stuhl, Tisch und Schrank ausgestattet war.<br />
Im Laufe des Jahres 1945 gelang es, die altansässigen Mitglieder im Raum Regensburg<br />
ausfindig zu machen. Es waren dies Bruder Franz Federl und seine Frau, seine beiden<br />
Töchter Schwester Brumbauer und Schwester Scharlach sowie Schwester Reuter. Während<br />
der vergangenen Jahre war es nicht möglich geswesen, diese Geschwister ausreichend zu<br />
betreuen, da es überall an Priestertumsträgern mangelte. Sie waren ja bis auf die zu alten alle<br />
im Kriegseinsatz. In diesen Jahren hatte vor allem Ludwig Weiß aus Nürnberg versucht, die<br />
Geschwister stark Im Glauben zu halten, aber er konnte nicht überall sein, und es gab in<br />
diesen harten Kriegsjahren viel Not und Schwierigkeiten, wo geholfen werden sollte. Was<br />
Regensburg betrifft gab es also kein Gemeindeleben, es gab nur einige Menschen, die einmal<br />
getauft worden waren und die mehr oder weniger bereit waren, sich führen zu lassen, um am<br />
Evangelium teilzuhaben. Selbst initiativ zu werden war niemand stark genug. Es mußten also<br />
zuerst Versammlungen organisiert und Räume dafür gefunden werden. Zunächst fanden<br />
Gottesdienste in der Wohnung der Familie Federl in Donaustauf statt.<br />
In der Zwischenzeit waren zahlreiche heimatvertriebene Mitglieder in den<br />
Nordbayrischen Raum gekommen, daß man sich in der Präsidentschaft der Westdeutschen<br />
Mission in Frankfurt entschloß, die Gemeinde Regensburg als Sammelgemeinde für alle<br />
Flüchtlinge wiederzueröffnen. Somit überlagerten sich in Bayern zwei Arten von<br />
Gemeindeorganisationen: Auf der einen Seite gab es die normalen, lokalen Gemeinden, wie<br />
sie vor dem Krieg bestanden hatten. Dazu kamen zwei Sammelgemeinden für die Flüchtlinge,<br />
wobei Regensburg für alle In Nord und Ostbayern gestrandeten Mitglieder zuständig wurde<br />
und München für den Rest des Landes. Dahinter stand der Plan, für alle zu Regensburg<br />
zählenden Mitglieder ein Barackenlager In Regensburg zu errichten. Dies war aber<br />
aussichtslos, da die Behörden in der ohnehin durch eine Unzahl von Flüchtlingen belasteten<br />
Stadt, in der außerdem viel Wohnraum durch Bombenschäden zerstört oder durch die<br />
Besatzungsmacht beschlagnahmt war, niemanden mehr aufnehmen wollten. Bruder Reimer<br />
hatte schon den Auftrag erhalten, mit Firmen zu verhandeln, um Baumaterial zu beschaffen.<br />
Ein zusätzliches Problem war, daß die betroffenen Mitglieder wegen der großen Entfernung<br />
von Regensburg nicht bel den Bauarbeiten mithelfen konnten. Aus all diesen Gründen wurde<br />
der Plan des kircheneigenen Flüchtlingslagers nicht verwirklicht.<br />
Da es nicht möglich war, die Mitglieder zu sammeln, konnten sie sich auch kaum<br />
gegenseitig stärken, sodaß viele, die in den kleinen Orten verblieben, sich mehr und mehr<br />
anpaßten, selbst Nichtmitglieder heirateten oder daß deren Kinder Nichtmitglieder heirateten.<br />
Auf diese Weise ging für viele das mormonische Erbe verloren und sie entwickelten sich zu<br />
evangelischen oder katholischen Franken oder Oberpfälzern. Viele der wirklich Aktiven<br />
fanden diese Situation ebenfalls unerträglich und ergriffen einige Jahre später die Gelegenheit,<br />
- 61 -
nach Utah auszuwandern, um dort in der großen Gemeinschaft Gleichgesinnter nicht mehr<br />
gegen den Strom schwimmen zu müsssen, um ihre Überzeugung leben zu können.<br />
Durch die Entscheidung der Missionspräsidentschaft erstreckte sich die Gemeinde<br />
Regensburg von Würzburg über Hof bis Passau. (Siehe Anhang A) Diese Regelung trat mit<br />
Januar 1946 in Kraft.<br />
Die erste Gemeindepräsidentschaft war zugleich die Distriktspräsidentschaft (die damals<br />
Bezirkspräsidentschaft genannt wurde). Mit der Betreuung der Geschwister wurde Paul<br />
Reimer beauftragt.<br />
An Missionsarbeit, eine sehr wesentliche Aufgabe der Kirche, war In dieser Zelt<br />
überhaupt nicht zu denken. Alle fähigen und willigen Mitglieder waren damit beschäftigt, ihr<br />
durch den selbstzerstörerischen Krieg aus der Bahn geworfenes Leben wieder in ordentliche<br />
Bahnen zu lenken, den notleidenden Mitgliedern zu helfen und die Kräfte in der Kirche zu<br />
ordnen und zusammenzufassen. Der überwiegende Teil der Mitglieder bestand aus<br />
Flüchtlingen und auch aus schon vorher aus den großen Städten ausgesiedelten<br />
Bombengeschädigten (etwa Familie Friedrich Thymian aus Hamburg). Naturgemäß waren sie<br />
daher alle nur sehr notdürftig mit Geld und Gut ausgestattet. Meist waren sie alt oder<br />
vaterlos, denn die meisten Männer waren entweder im Krieg umgekommen oder noch nicht<br />
aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Ein vorrangiges Anliegen war also die Versorgung<br />
der Mitglieder mit Nahrungsmitteln und Kleidung. Die Kirche erhielt Hilfslieferungen aus<br />
USA, aber die Verteilung lag in den Händen der örtlichen Priestertumsführer. Alleine schon<br />
dies brachte Probleme mit sich, die nur unter allergrößter Anstrengung zu lösen waren.<br />
Selbstverständlich besaß niemand ein Auto und das übliche Transportmittel war der<br />
Rucksack. Dazu kam, daß die zeitweise etwa 100 Mitglieder an 29 Orten verstreut lebten. Die<br />
Hilfslieferungen wurden nach Nürnberg gesandt und mußten dort mit dem Zug von Familie<br />
Reimer abgeholt werden, die überschwere Rucksäcke und Taschen vom Bahnhof<br />
kilometerlang nach Hause schleppen mußten, um sie dann auf verschlungenen Wegen<br />
weiterzuleiten. Einmal mußte Schwester Reimer, die Stiefmutter von Paul zusammen mit<br />
ihrem Mann eine Nacht unter einer Brücke verbringen, da sie wegen der übermäßigen<br />
Schlepperei nicht mehr weiter konnte. Auch wenn nach Regensburg geliefert wurde<br />
bedeutete dies schwere Arbeit, da die Spenden dann vom Donauhafen abgeholt werden<br />
mußten. Eine Erleichterung dieser Situation bedeutete im Januar 1948 die Berufung von<br />
Schwester Berta Engel in Nürnberg zur Leiterin der Frauenhilfsvereinigung in Regensburg.<br />
Zusammen mit ihrem Mann Max übernahm sie einen Teil der Verteilung von Nürnberg aus.<br />
Wer mit so viel Lebensmitteln bepackt angetroffen wurde stand in jener Zeit sofort unter<br />
dem Verdacht, die Waren gestohlen zu haben oder mit illegalem Schwarzhandel befaßt zu<br />
sein. Daher hatte Familie Reimer Papiere bei sich, die sie als kirchliche Mitarbeiter zur<br />
Verteilung von Spenden auswiesen.<br />
Die Zentrale für die Spendenverteilung war die Wohnung von Ernst Reimer und seiner<br />
Frau in Pielmühle, was vom Bahnhof einen Weg von 6 km bedeutete. Von dort konnten sich<br />
die anderen Mitglieder ihre Pakete abholen, die aus verschiedenen lang entbehrten<br />
Lebensmitteln und Leckereien bestanden.<br />
Natürlich gab es auch einige Mitglieder, die ihre Mitgliedschaft erst wieder mit Hilfe der<br />
Lebensmittelpakete neu entdeckten. Den jahrelangen Mangel an Interesse begründeten sie<br />
mit der schwierigen politischen Situation und ähnlichen fadenscheinigen Begründungen.<br />
Trotzdem entschloß sich die Bezirkspräsidentschaft, sie nicht von der Verteilung der Pakete<br />
- 62 -
auszuschließen, da der Hunger unabhängig vom Eifer für das Evangelium alle drückte.<br />
Ein ordentliches Gemeindeleben war unter diesen Umständen nicht möglich, auch eine<br />
Betreung durch monatliche Besuche war wegen der Entfernungen undurchführbar.<br />
Zu Weihnachten zeigte sich die Solidarität der einheimischen Geschwister mit den<br />
Flüchtlingen: Alle wurden von Famileln der Gemeinden Fürth und Nürnberg eingeladen, mit<br />
ihnen das Weihnachtsfest zu verbringen. So wurde das Fest wirklich ein Fest der Liebe und<br />
des Teilens. schließlich bedeutete für die auch nicht reichlich versorgten Einheimischen so<br />
eine Einladung ein beträchtliches Opfer.<br />
Die Betreuung mußte also im wesentlichen brieflich erfolgen. So wurden die Familien<br />
angehalten, Abendmahlversammlungen in kleinen Gruppen an ihren Wohnorten abzuhalten.<br />
War kein Priestertumsträger vorhanden, dann konnte nur eine Heimsonntagschule<br />
veranstaltet werden.<br />
Durch die Anstellung am Landratsamt erhielt Bruder Reimer größere Bewegungsfreiheit.<br />
Außer einigen weiblichen Angestellten waren nur zwei Personen im Landratsamt, Abteilung<br />
Landkreisverwaltung, Verwaltungsfachleute, und die waren nicht aus Bayern: Bruder Reimer<br />
aus Pommern und Oberinspektor Richter aus dem Sudetenland, sein Vorgesetzter. Alle<br />
anderen Beamten waren der Entnazifizierung zum Opfer gefallen und durch Berufsfremde<br />
ersetzt worden. Wegen seiner Fachkompetenz und seiner Bereitschaft auch bis zehn Uhr<br />
nachts nachzuarbeiten, konnte er immer wieder einige Stunden frei bekommen, um seinen<br />
kirchlichen Aufgaben nachzukommen. Auf diese Weise war es ihm auch möglich, schon<br />
Freitag abends mit dem Zug loszufahren, um die verstreuten Mitglieder zu besuchen, obwohl<br />
am Samstag vormittags noch Dienst war.<br />
Etwa im September 1946 erhielt die Gemeinde Regensburg wesentliche Verstärkung, was<br />
aber für Paul Reimer zunächst wieder viel Arbeit und Überredungskunst verursachte: Seine<br />
Eltern und einige weitere Mitglieder aus Wobesde konnten aus dem Flüchtlingslager<br />
Wolfsgrün nach Regensburg gelangen. Mit großer Mühe und viel Lauferei gelang es Bruder<br />
Reimer zunächst eine provisorische Unterbringung in einem Flüchtlingslager zu erreichen. Es<br />
war auch unmöglich für die Neuankömmlinge, Arbeit zu finden. Im übrigen war die<br />
Stimmung zwischen Einheimischen und Flüchtlingen ziemlich angespannt. Vor dem Krieg<br />
hatte Regensburg etwa 80 000 Einwohner gehabt und nun waren es etwa 140 000 bis 150000.<br />
Es waren etwa 70 000 Flüchtlinge unterzubringen und mit Arbeit und Nahrung zu versorgen.<br />
Wegen Überfüllung der Stadt wurden alle diese Neuankömmlinge dann nach Landshut<br />
zugewiesen. Da Paul Reimer inzwischen in Regensburg ansässig war, gelang es ihm für seine<br />
Eltern eine Unterkunft in Pielmühle bei Regensburg zu erringen. Seine Arbeit im<br />
Landratsamt hatte ihm dafür hilfreiche Beziehungen ermöglicht. Die anderen Geschwister<br />
blieben In Landshut und arbeiteten dort am Aufbau der Gemeinde mit, bis sie nach USA<br />
auswanderten. (Es waren dies Familie Franz Lawrenz, Familie Wilhelm Lawrenz und<br />
Schwester Lieschen Framke).<br />
Diese große Belastung hatte Bruder Reimer zusätzlich zu seinem stark fordernden Dienst<br />
zu bestehen. Als preußischer Beamter war er mit der bayrischen Gesetzgebung nicht vertraut<br />
und mußte sich erst einarbeiten, wobei ihm aber niemand helfen konnte, da alle Fachleute als<br />
Parteimitglieder entlassen worden waren. Jetzt sollte mit zwar politisch, aber leider auch<br />
fachlich, unbelasteten Mitarbeitern wieder eine öffentliche Verwaltung aufgebaut werden.<br />
Dazu kamen noch die Familienprobleme mit Suche nach der Frau, Wohnungssuche usw. und<br />
die kirchlichen Aufgaben. Diese übergroße Belastung, und dazu die beengten<br />
- 63 -
Wohnverhältnisse ließen gar nicht zu, irgendwelche großartigen Programme in der Kirche<br />
durchzuführen. Mitglieder aufspüren, Heimversammlungen organisieren und briefliche<br />
Betreuung. Dies war die machbare Gemeindearbeit in dieser Zeit.<br />
Am 27. April 1947 ging die Leitung der Gemeinde in die Hand eines im Raum<br />
Regensburg Ansässigen über: Bruder Ernst Reimer, Pauls Vater, wurde zum<br />
Gemeindepräsidenten berufen. Er war der letzte Gemeindepräsident der im März 1945 durch<br />
Kriegseinwirkung untergegangen Gemeinde Kolberg in Pommern gewesen und war nun der<br />
erste örtliche Gemeindepräsident in der wiedereröffneten Gemeinde Regensburg. Ähnliches<br />
ist an mehreren Orten in Westdeutschland geschehen: Vertriebene aus den Ostgebieten<br />
trugen sehr wesentlich zur Stärkung der Gemeinden im Westen bei. Auch Bruder Nitschka in<br />
Fürth stammte aus dem Osten. Er war ein Vertriebener aus Breslau in Schlesien. Dies war<br />
über Jahrzehnte spürbar. Allerdings sind auch viele spirituell nicht so starke Mitglieder durch<br />
diese Entwurzelung im Evangelium ebenfalls entwurzelt worden und kümmerten sich nicht<br />
mehr um das Reich Gottes. Auch das war über Jahrzehnte merkbar.<br />
Nachdem die Pläne für ein kirchliches Flüchtlingslager in Regensburg gescheitert waren,<br />
war bald klar, daß es auf die Dauer unhaltbar war, so weit verstreute Mitglieder in einer<br />
einzigen Gemeinde zu sammeln, wo doch oftmals näherliegende Gemeinden vorhanden<br />
waren. So wurde aufgrund einer im Januar 1948 im Missionsbüro in Frankfurt/Main<br />
abgehaltenen Besprechung mit den Bezirkspräsidenten eine Umorganisation beschlossen. Die<br />
Gemeindegrenzen wurden eingeengt und die außerhalb lebenden Mitglieder wurden den<br />
nächstgelegenen Gemeinden zugeteilt. Aufgrund verwaltungstechnischer Schwierigkeiten<br />
verzögerte sich die Änderung aber bis August 1948, als 41 Mitglieder an die Gemeinde<br />
Landshut, bzw. Mai 1949, als 25 Mitglieder an die Gemeinden Nürnberg, Coburg, Bamberg<br />
und Fürth überwiesen wurden. Aufgrund dieser Änderung und durch Wegzüge verminderte<br />
sich die Mitgliederzahl in der Gemeinde Regensburg von 95 im August 1948 auf 26 im Juni<br />
1949. Damit umfaßte die Gemeinde nun noch die Städte Regensburg und Straubing, die<br />
Landkreise Regensburg, Kelheim, Straubing-Bogen, Regen, Cham und Schwandorf. Dies ist<br />
der heutige Umfang, der nur durch die Gebietsreform 1971 bis 1974 geringfügig beeinflußt<br />
wurde. So umfaßt die Gemeinde im Jahr 1984 ein Gebiet von 7774,07 Quadratkilometern mit<br />
798 900 Einwohnern. 10 (Anhang A)<br />
Aufgrund der geringen Größe der Gemeinde Regensburg, war ihre Bekanntheit in der<br />
Bevölkerung nicht sehr groß. Missonare waren noch nicht hier und für große Veranstaltungen<br />
fehlte über all den anderen Sorgen die Zeit. Allerdings hielt am 29. April 1947 Ellen Merkley,<br />
ein Mitglied aus Arizona, das bei der US army beschäftigt war einen Vortrag. Obwohl er in<br />
englischer Sprache gehalten wurde, waren etwa 200 Besucher anwesend. Das Thema war:<br />
"Utah und die Mormonen". Eine nachhaltige Wirkung auf die Bevölkerung von Regensburg<br />
ist nicht nachweisbar.<br />
Im Laufe der Zeit normalisierte sich das Gemeindeleben. Regensburg war eine der vielen<br />
kleinen Gemeinden in Deutschland, die mit dem Mangel an fähigen und willigen Mitgliedern<br />
zu kämpfen hatten und auch gegen Vorurteile in ihrer Umgebung angehen mußten. Auch<br />
ohne Missionare gab es einige wenige Taufen. So wurde etwa Bruder Ebert aus Weiden<br />
getauft, der mit einem Mitglied verheiratet war.<br />
Regensburg beteiligte sich im September 1950 mit einer Spende am Missions-<br />
Wohlfahrtsprojekt "Türspende Langen". Sie spendete DM 30,- für das Flüchtlingslager der<br />
Kirche in Langen bei Frankfurt/Main, was dem Preis einer Türe entspricht.<br />
- 64 -
Am 2. Juli 1952 nahmen aus Regensburg fünf Mitglieder an einer Sonderversammlung mit<br />
Präsident Davld O. McKay Im Palmengarten in Frankfurt/Main teil.<br />
Im April 1954 wurde die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in Regensburg auf die<br />
Kirche in Utah gerichtet. Erwin Folger vom Arbeitsministerium in München hielt im<br />
Amerikahaus einen Vortrag über Salt Lake City und die Mormonen, über den auch in der<br />
Mittelbayrischen Zeitung berichtet wurde. Er zeichnete vom Volk der Mormonen ein<br />
positives Bild als Gegengewicht zu den uralten Vorurteilen, die im Lande im Umlauf waren.<br />
Das Jahr 1954 war das große Jahr der Auswanderung von Deutschen nach den<br />
Vereinigten Staaten von Amerika. Es wurden ganze Organisationen geschaffen, die die<br />
Auswanderung von der rechtliche Seite und auch sonst betreuten. Dies hatte nichts mit der<br />
Kirche zu tun, hatte aber tiefe Auswirkungen auf die Kirche. Einmal hatten viele zerstreut<br />
lebende Mitglieder den Wunsch, sich zu sammeln. Andererseits hatten viele Mitglieder schon<br />
Verwandte oder gute Bekannte in USA, die bereit waren für sie zu bürgen. So wanderte auch<br />
Ernst Reimer mit seiner Frau nach Amerika aus. Er folgte damit seiner Tochter und seinem<br />
Schwiegersohn. Er nahm auch seinem Sohn Paul das Versprechen ab, nach USA<br />
nachzukommen, was ihm dieser schweren Herzens gab. Er wollte ja nicht ins Ungewisse<br />
auswandern, nachdem er eine sichere Stelle und eine Wohnung hier in Regensburg hatte. So<br />
bat er später seinen Vater, ihn wieder von diesem Versprechen zu entbinden. Einige Jahre<br />
danach kehrte Ernst Reimer mit seiner Frau wieder nach Regensburg zurück, wo sie auch<br />
starben. Mit dieser Auswanderung war Regensburg seines Gemeindepräsidenten beraubt.<br />
Paul Reimer folgte nun seinem Vater in diesem Amt nach. Er bekleidete es von 16. Mai 1954<br />
bis 29. Januar 1977 und dann wieder von 25. März 1979 bis 16. März 1986.<br />
So wie Bruder Ernst Reimer sind viele Mitglieder nach Zion ausgewandert und<br />
schwächten damit den Aufbau Zions in Deutschland. Die Kirchenführung In Salt Lake City<br />
rief alle zum Bleiben auf, um die Kirche in Deutschland zu stärken. Vielleicht wäre<br />
Regensburg schon in den Fünfzigerjahren gewachsen, wenn einige fähige Mitglieder nicht<br />
ausgewandert wären. Andererseits war es ein großer Segen, daß Familie Paul Reimer in<br />
Regensburg blieb. Dieses Ehepaar stellte über Jahrzehnte die eigentliche Kraft der Kirche in<br />
dieser Gegend. Die anderen Mitglieder waren entweder zu alt oder zu wenig interessiert, um<br />
mitzuarbeiten. Ohne Familie Reimer hätte die Gemeinde Regensburg geschlossen werden<br />
müssen, was einen Neuanfang sehr erschwert hätte. Familie Reimer hat das Licht in<br />
Regensburg wenn schon nicht am Leuchten, so doch am Glimmen erhalten können.<br />
Ein Tag überaus großer Freude für die getreuen Mitglieder In Europa, und natürlich auch<br />
für die Mitglieder in Regensburg, war die Einweihung des Tempels In Zollikofen bei Bern am<br />
12. September 1955. Daran nahmen aus Regensburg Bruder Paul Reimer, sein Frau Berta und<br />
ihr Sohn Dieter teil. Nun war auch die Möglichkeit gegeben, die Familie Reimer,<br />
einschließlich des im Februar 1945 verstorbenen Sohnes Eckard für Zeit und Ewigkeit zu<br />
verbinden. Diese heilige Handlung wurde am 16. September im neuen Tempel vollzogen.<br />
Am 14. September 1957 begann mit der Ankunft der ersten Missionare seit einem<br />
Vierteljahrhundert ein neuer Abschnitt der Entwicklung in Regensburg. Elders Kenneth<br />
Marion Lowder und Allen J.Oswald begannen ihre Arbeit im Ortsteil Kumpfmühl, was den<br />
erbitterten Widerstand des dort ansässigen katholischen Pfarres von St. Wolfgang<br />
herausforderte. Im Pfarrbrief vom 10. November erschien eine Schmähschrift gegen die<br />
Kirche (siehe Anhang B).<br />
Als Gegengewicht dazu erschien aus Anlaß der Ankunft der Missionare in der<br />
- 65 -
"Regensburger Woche", einer lokalen Tageszeitung, am 7. November ein neutraler bis<br />
wohlwollender Artikel über die Missionare im besonderen und die Kirche im allgemeinen.<br />
(Anhang C)<br />
Im Stadtteil Konradsiedlung hielten die Missionare auf Einladung des evangelischen<br />
Vikars einige Vorträge vor einer Gruppe von Jugendlichen. Der Chef des Vi kars, der Pastor,<br />
scheint aber nicht damit einverstanden gewesen zu sein.<br />
Zu dieser Zeit wurden auch die sonntäglichen Versammlungen aus der Wohnung der<br />
Familie Reimer in ein Nebenzimmer des Hotels Münchner Hof verlegt. Wegen wiederholten<br />
Störungen durch Kellner, die etwas holen oder abstellen mußten, wurde dieses<br />
Versammlungslokal aufgegeben und ab Februar 1958 ein Nebenzimmer der Gaststätte<br />
Thomaskeller Am Römling 12 benutzt. Dieser Raum war am Sonntagmorgen meist<br />
verqualmt und mit Bierdunst gefüllt. überdies verschlief der Wirt oft, sodaß der Raum im<br />
Winter sehr kalt war. Daher wurde Ende Januar 1960 eine kleine Wohnung in der Landshuter<br />
Straße 46 im Parterre von Frau Magdalene Beger gemietet. Es handelte sich um drei kleine<br />
Zimmer, Korridor, WC/Bad und Kellerraum. In Regensburg herrschte immer noch<br />
Wohnungsnot. Daher war es nicht leicht Räume für Versammlungen zu mieten. Frau Beger<br />
erhielt die Erlaubnis der Stadt nur, weil sie das bombenzerstörte Haus mit eignenen Mitteln<br />
wiederaufgebaut hatte.<br />
Da durch Taufen die Mitgliederzahl zunahm, mußten größere Räumlichkeiten gesucht<br />
werden. Seit September 1961 versammeln sich die Mitglieder im zweiten Stock des Hauses<br />
Domplatz 6, dem Dalberg-Palais, das unter Denkmalschutz steht. Zu dieser Zeit war es<br />
allerdings in desolatem Zustand. Die abblätternde Fassade wirkte eher abstoßend. Inzwischen<br />
wurde das Haus außen und innen renoviert. Die Versammlungsräume der Kirche wurden<br />
1981 renoviert, der Abendmahlsraum mit Podium und Teppich versehen und eine<br />
Elektroheizung installiert. Im September 1991 wurden noch weitere Räume neben den 1961<br />
gemieteten dazugemietet, um die durch Taufen und Zuzüge gestiegene Mitgliederzahl<br />
unterbringen zu können. Vor ihrer Benutzung ist allerdings noch eine gründliche Sanierung<br />
nötig.<br />
Die weite Zerstreuung der Mitglieder über das ganze Gemeindegebiet ist nach wie vor<br />
eine große Herausforderung. Das Gemeindeleben konnte dadurch nicht in dem Maße<br />
entwickelt werden, wie es wünschenswert wäre. Auch dadurch konnte die Bekanntheit der<br />
Kirche nicht in ausreichendem Maße gefördert werden. Von Zeit zu Zeit wurden Vorträge<br />
veranstaltet, die teilweise einige Aufmerksamkeit fanden. So wurden 1971 und 1972 die Filme<br />
"Des Menschen Suche nach Glück" und" Der Mormonenpavillion" an der Universität<br />
Regensburg vorgeführt, fanden aber nur sehr geringes Interesse. Nur neun Besucher waren<br />
anwesend.<br />
Eine Veranstaltung am 7. Januar 1985, wieder an der Universität, war da erfolgreicher.<br />
Auf Einladung von Prof. Dr. Hans Schwarz, evangelische Theologie, hielt Bruder Engelbert<br />
Lackner einen 30-minütigen Vortrag über die Geschichte und die Lehren der Kirche.<br />
Anschließend stellte sich August Schubert, der Pfahlpräsident, den Fragen der Studenten. Es<br />
waren 25 Studenten anwesend.<br />
In den letzten Jahren leben wir mit einer neuen Herausforderung, die aber europaweit zu<br />
spüren ist: Die Flüchtlingswellen aus Iran, Ghana, Nigeria, Osteuropa. Zum Unterschied von<br />
der Flüchtlinswelle 1945 geht es heute den Menschen hier ziemlich gut und die Flüchtlinge<br />
sprechen kaum deutsch. Sie sind außerdem auch wieder über das ganze Gemeindegenbiet<br />
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verteilt, haben kein Fahrzeug und dürfen nicht reisen. Viele von diesen Menschen sind durch<br />
die Lehren des Evangeliums angezogen und lassen sich taufen. Danach aber machen ihnen<br />
die Mentalitätsunterschiede mit den Deutschen und ihre Verständnisprobleme durch<br />
Sprachschwierigkeiten zu schaffen. Dies ist die aktuelle Herausforderung, deren Bewältigung<br />
erst diejenigen beurteilen können, die nach uns kommen.<br />
Anmerkungen:<br />
[1] Orson Hyde, Brief vom 17. Juli 1841 an Joseph Smith (Journal History, 17. Juli 1841)<br />
[2] Orson Hyde, Ein Ruf aus der Wüste, eine Stimme aus dem Schoose der Erde,<br />
Frankfurt/Main 1842, S.110<br />
[3] Riedel, Geschichte der deutschsprachigen Missionen der Kirche Jesu Christi der<br />
Heiligen der Letzten Tage, erster Band, Salt Lake City 1971, S.382<br />
[4] ibid. S.399<br />
[5] ibid. S.400<br />
[6] ibid. S.401<br />
[7] ibid. S.404<br />
[8] mündliche Aussage von Br. Jurowaty, Nürnberg, erinnert von Paul Reimer,<br />
Regensburg<br />
[9] das folgende entstammt einer von Paul Reimer verfaßten Kurzgeschichte der<br />
Gemeinde Regensburg, 1986 und einem Interview mit Paul Reimer Im September 1991<br />
[10] Brockhaus Lexikon, Band 11, 1987, Stichwort Bayern<br />
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