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EINE GANZE STADT ALS SCHIEßSCHEIBE<br />
(Aggression Serbiens, bzw. der Jugoslawischen Volksarmee sowie der serbischen und<br />
montenegrinischen Verbände auf die Republik Kroatien<br />
und serbische Okkupation von Vukovar 1991)<br />
1
Herausgeber<br />
Kroatisches Memorial- und Dokumentationszentrum für Heimatkrieg<br />
Herausgegeben und bearbeitet von<br />
Ante Nazor<br />
Redaktion<br />
Ante Nazor<br />
Autoren<br />
Anica Marić<br />
Ante Nazor<br />
Rezensenten<br />
Branko Borković<br />
Dr. phil. Davor Marijan<br />
Predrag Matić<br />
Stjepan Sučić<br />
Übersetzung ins Deutsche<br />
Danijela Marjanić<br />
Korrektur<br />
Akademiker Ante Stamać<br />
Druck<br />
Auflage<br />
Einband: Zentrum von Vukovar, November 1991; Folgen der serbischen Aggression (Titelbild)<br />
Kroatisches (Anti)Kriegsplakat, 1991 (Rückseite)<br />
CIP-Titelaufnahme der National-und Universitätsbibliothek in Zagreb in der Datenbank<br />
der Kataloge unter der Nummer …<br />
ISBN … (weicher Einband)<br />
2
EINE GANZE STADT ALS SCHIEßSCHEIBE<br />
(Aggression Serbiens, bzw. der Jugoslawischen Volksarmee sowie der<br />
serbischen und montenegrinischen Verbände auf die Republik Kroatien<br />
und serbische Okkupation von Vukovar 1991)<br />
Zagreb, 2011<br />
3
Wasserturm, Vukovar (Photo aus dem Archiv des Kroatischen Militärjournals)<br />
4
Inhalt<br />
Siniša Glavašević, EINE LIEBESGESCHICHTE<br />
Branko Borković, VORWORT<br />
Ante Nazor, EINLEITUNG<br />
(der Weg zur Unabhängigkeit sowie die Okkupation und Befreiung<br />
der Republik Kroatien im Heimatkrieg)<br />
Ljerka Ivušić, SIE SIND UNSERE WAHRHEIT<br />
Ante Nazor, AGGRESSION SERBIENS, BZW. DER JNA UND DER SERBISCHEN<br />
PARAMILITÄRISCHEN VERBÄNDE AUF VUKOVAR IM JAHR 1991<br />
Zusammenfassung<br />
Um Gottes willen, was für Menschen werden hier ermordet! (statt Schlußfolgerung)<br />
Erinnerungen der Beteiligten<br />
Ante Nazor, AUCH DAS KRANKENHAUS WAR EINE SCHIEßSCHEIBE<br />
(Krankenhaus während der Belagerungszeit)<br />
Bruchstücke der Chronologie der Ereignisse im Vukovarer Krankenhaus 1991<br />
Getötete und vermißte Personal-Mitglieder des Vukovarer Krankenhauses<br />
Višnja Bilić, Ivan Grujić, OPFER AUS DEM VUKOVARER KRANKENHAUS<br />
Verzeichnis der identifizierten Personen, deren sterbliche Überreste aus dem<br />
Massengrab in Ovčara exhumiert wurden (193)<br />
Verzeichnis der Personen, deren sterbliche Überreste aus anderen Gräbern im<br />
Umland von Vukovar exhumiert wurden (16)<br />
Verzeichnis der Personen, deren sterbliche Überreste aus der Republik Serbien<br />
übernommen wurden (2)<br />
Verzeichnis der Personen, deren Schicksal unbekannt ist (55)<br />
Literaturnachweis<br />
Anica Marić, DAS ALTENHEIM<br />
Abkürzungen<br />
Namens- und Ortsindizes<br />
Siniša Glavašević, EINE STADTGESCHICHTE<br />
5
Eine Liebesgeschichte*<br />
Die Zeit, in der wir leben, ist eine so undankbare, daß der Mensch nur<br />
bedauern kann, überhaupt geboren zu sein, oder sich zumindest wünscht,<br />
sich zu einem anderen Zeitpunkt durchs Leben zu schlagen. Und warum?<br />
Weil in der jetzigen Zeit die Liebe einfach nicht für alle reicht. Umsonst besitzt<br />
man große Häuser und teuere Wagen, vergeblich verbringt man Winterferien<br />
auf dem Hohen Tatra-Gebirge oder in etlichen Winterresidenzen wie Garmisch-<br />
Partenkirchen, vergebens kauft man sich teuere Parfüme oder veranstaltet Briefings,<br />
all das ist nur der Nebelschleier eines wirklichen Lebens. Der Mensch entspannt sich<br />
in berauschenden Täuschungen, auf geschickt erdichteten geheimen Lebenswegen,<br />
und erst wenn es schon zu spät ist, als er mit geschloßenen Augen eigene Fehlgriffe<br />
ignorierend das reife Alter erreicht, begreift er plötzlich, daß ein neuer Anfang nicht<br />
mehr möglich ist. Das Ende wartet vielleicht hinter der nächsten Ecke.<br />
Wenn es keine Liebe gibt – kann man auch keine Jahre oder Glück stehlen. Jemandem<br />
könnte Sonne und Freude erscheinen, jemand könnte wiederum bei der Vorstellung<br />
ausharren, daß der Erfolg nur aus Auszeichnungen bestünde oder im Beisein der<br />
Schatten der Großen zu finden wäre, aber ich sah viele, die mit leeren Taschen und<br />
erhobenen Hauptes durch diese Stadt geschritten haben. Ihre Freude über ihr nicht<br />
vorhandenes Hab und Gut war viel größer. Weil sie die Stadt besaßen. Sie hatten<br />
Freunde. Sie hatten eine Seele. Sie hatten kein Geld um nach Zagreb, Wien oder<br />
Prag zu fahren. Ihr Geld blieb in vielen mit ihren Freunden leer ausgetrunkenen<br />
Gläsern und Bechern stecken, während sie alle zusammen auf Tagesanbrüche auf<br />
kroatischen Barrikaden warteten. Für einige von ihnen dauerte dieses Warten<br />
zu lange und wir haben sie verloren. Aber wir alle wissen, wo sie sind. Falls und<br />
das Leben Gelegenheit bietet, daß unsere Liebe über uns die Oberhand gewinnt,<br />
vielleicht könnten wir dann auch einem glücklichen Tod entgegensehen.<br />
* Der Autor war Journalist des Kroatischen Radiosenders Vukovar Siniša Glavašević, der nach<br />
dem Fall von Vukovar im Vukovarer Krankenhaus gefangengenommen und in Ovčara erschoßen<br />
wurde. Er verfaßte die Geschichte während der Belagerung und Verwüstung der Stadt.<br />
7
Autor des Plakats: Boris Ljubičić<br />
8
Vorwort<br />
Nachdem man mich gebeten hatte, den ersten Teil dieses Buches zu lesen, welcher<br />
Zerfall Jugoslawiens und Kampf um Vukovar in den neunziger Jahren des vorigen Jhs.<br />
zusammenfassend thematisiert, sowie meine Überlegungen darüber aufzuschreiben,<br />
entschied ich mich meine noch vor etwa 10 Jahren notierten Beobachtungen und Erwägungen<br />
an dieser Stelle vorzustellen. Und obwohl ähnliche Gedanken dieses ganze Buch durchziehen,<br />
konnten sie durch einige neue Einzelheiten ergänzt und vervollständigt werden. Da dieses Werk<br />
einen Abriß der wichtigsten Ereignisse und Geschehnisse, die zur Auflösung Jugoslawiens<br />
beitrugen, bringt, und keine detaillierte Zergliederung in den Vordergrund setzt, habe ich<br />
keine Einwände und betrachte es als eine objektive und nützliche Leistung.<br />
Ich kann aber nicht umhin einige für das Verständnis des Staatsverfalls wichtige Vorgänge<br />
mit Nachdruck hervorzuheben, beispielsweise, daß dem Vorschlag der Errichtung einer<br />
Konföderation seitens Sloweniens und Kroatiens die Bildung eines unitaren Jugoslawiens<br />
entgegengesetzt wurde, oder daß es eine Tatsache war, daß die Teilrepubliken der SFRJ 1<br />
über ihre eigene Armee (Territorialverteidigung) im Rahmen der Streitkräfte der SFRJ<br />
sowie über die Jugoslawische Volksarmee (JNA) auf der Bundesebene verfügten, und daß<br />
die aufständischen Serben nur ein Faktor von vielen während der Vorbereitungen der<br />
militärischen Aggresssion Serbiens und Montenegros auf Kroatien waren. Nämlich, ein<br />
ähnliches Szenario bei einer Kriesenauslösung verwendete auch Hitler am Vorabend des<br />
Zweiten Weltkriegs (Wirkung und Tätigkeit der SA-Truppen). In den Jahren 1990 und<br />
1991 hatte man bezüglich der Aktivitäten der JNA den Eindruck, als ob man von der<br />
NATO 2 angegriffen würde, bzw. als ob das slowenische und kroatische Territorium besetzt<br />
wäre. Die Beschlagnahme der Bewaffnung der kroatischen Territorialverteidigung (was in<br />
Slowenien nicht geschah) war nicht nur eine verfassungswidrige Tat, sondern kam im<br />
weiteren Sinne des Wortes auch einer Besetzung des kroatischen Territoriums gleich.<br />
Ich nahm schon vor zehn Jahren Stellung zu den Behauptungen, daß man die nötige Distanz<br />
zu den Ereignissen im Heimatkrieg haben müsste, um sie überhaput objektiv besprechen zu<br />
können, besonders wenn es sich dabei um die Forderung nach einer “Bestätigung der Quelle<br />
durch die andere Seite” handelte. Deshalb beschäftige ich mich in diesem Vorwort auch mit<br />
einigen Äußerungen und Befehlen dieser “anderen Seite”, die für die Umstände, unter welchen<br />
die serbische Aggression gegen Kroatien vollzogen war, äußerst kennzeichnend sind.<br />
1 kurz für Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien<br />
2 kurz für North Atlantic Treaty Organisation – westliches Verteidigungsbündnis<br />
9
Beispielsweise:<br />
Herr Nenad Čanak zieht in seinem Buch Godina raspleta (Das Jahr der Auflösung),<br />
im Kapitel unter dem Titel “Nacizam” (Nazismus), einen Vergleich zwischen den<br />
Kriegsvorbereitungen Deutschlands unter Hitler und Serbiens unter Milošević: Auf<br />
den Gebieten von Ländern, die eingenommen werden sollten, organisierte man Fünfte<br />
Kolonne … im Umfeld von deutschen Kulturinstitutionen. Der Nazismus in Serbien<br />
benutzte dazu serbische Kulturvereine “Sava”, “Prosvjeta”, wie auch verschiedene serbische<br />
und demokratische Parteien außerhalb Serbiens, welche einen sehr großen Wert auf die<br />
Erhaltung der Kulturidentität der Serben legten. Beograd beteiligte sich unmittelbar an deren<br />
Organisierung. Die offene Verfolgung von Juden begann nach dem Mord an einem deutschen<br />
Diplomaten in Paris durch einen “jüdischen Extremisten”, worauf die “Kristallnacht”<br />
erfolgte. Für Serbien übernahm diese Rolle der inszenierte Überfall auf ein Mitglied der<br />
Serbischen Demokratischen Partei (SDS) (M. Mlinar), der dabei an seinem Hals mit einem<br />
Rasiermesser geschnitten sein sollte, worauf die ersten Barrikaden um Knin errichtet und die<br />
ersten kroatischen Häuser auf dem Gebiet von Krajina in Brand gesetzt wurden.<br />
Nach den ersten freien und demokratischen Wahlen in Kroatien und dem Sieg der Kroatischen<br />
Demokratischen Gemeinschaft wurde die kroatische Territorialverteidigung durch die<br />
JNA entwaffnet. Die einzigen bewaffneten Formationen die noch unter der Kontrolle der<br />
neugewählten kroatischen Regierung standen, waren die Einheiten des Innenministeriums.<br />
Da aber viele seiner Mitarbeiter serbischer Nationalität angehörten und die demokratischen<br />
Veränderungen nicht anerkennen wollten, hatte die kroatische Regierung keine wirkliche Gewalt<br />
über sie. So ist als Beginn der Aufstellung der zukünftigen Streitkräfte der Republik Kroatien<br />
(RH) die erste Zusammenstellung der kroatischen Polizisten am 5. August 1990 zu verstehen.<br />
Das war die einzige gesetzmäßige Möglichkeit die Bewaffnung wieder zu beschaffen.<br />
Darauf folgte aber eine sehr beschwerliche Zeit eines fliegendes Staatspräsidiums als kein<br />
Frieden und kein Krieg herrschte und die vom “Verteidigungsminister” der SFRJ Veljko<br />
Kadijević in seinem Buch Moje viđenje raspada (Meine Sicht des Zerfalls, Beograd, 1993,<br />
S. 126-127), als “erste Phase” beschrieben wurde. Das Ziel der JNA bestand darin “das<br />
serbische Volk in Kroatien vor Angriffen der bewaffneten Formationen zu schützen,<br />
und ihm dadurch zu ermöglichen, eigene Verteidigung zu organisieren“. Die Aufgabe<br />
sollte “im Rahmen der Verhinderung der Konflikte unter verschiedenen Völkern gemäß<br />
der Formulierung des Staatspräsidiums der SFRJ” vollbracht werden. Dazu sollten “die<br />
Verbände der JNA in Kroatien und an seiner Grenze gestärkt und eine größere Anzahl<br />
der Panzer- und mechanisierten Einheiten von Kompanie bis Bataillon in die Nähe der<br />
möglichen Kriesenherde verlegt werden, damit man so schnell wie möglich eingreifen<br />
könnte. Auch eine entsprechende Anzahl der Panzer- und mechanisierten Brigaden<br />
(auch größere Formationen) sollte für größere Interventionen zur Verfügung gestellt<br />
werden.“ Die berüchtigten Vorfälle, die sich im Frühjahr und Sommer 1991 bei Pakrac,<br />
bei den Plitvicer Seen und in Borovo Selo ereigneten, bestätigen diese Behauptungen.<br />
10
In Kroatien wurden neben der Spezialeinheiten des Innenministeriums seit April 1991 auch<br />
die Verbände der Nationalgarde (am Anfang auch im Rahmen des Innenministeriums) und<br />
des Zivilschutzes formiert. Nachdem der Krieg in Slowenien Ende Juni ausgebrochen war,<br />
begann man die Kasernen der JNA zu blockieren. In diesem Zeitraum sollte man auch den Tag,<br />
als der eigentliche Krieg in Kroatien begann, suchen. Diesbezüglich erzählte Veljko Kadijević<br />
in seinem Buch (S. 130), daß man neben der Hauptaufgabe, den Schutz des serbischen Volkes<br />
in Kroatien zu gewährleisten – auch den Befehl erhielt, zusätzlich Objekte, Verbände und<br />
Soldaten der JNA sowie ihre Familien zu schützen, was dann natürlich die Ausführung aller<br />
Ziele erschwerte. Die serbischen Quellen weisen klar und deutlich auf die Rolle der JNA hin<br />
und auf die von ihr unternommenen Maßnahmen einen Konflikt heraufzubeschwören, da ihr<br />
die Zeit davonlief. Demgegenüber war für Kroatien jede Vertagung jeglicher Zusammenstöße<br />
kostbar, da Kroatien einfach keine Waffen hatte. Veljko Kadijević schildert ausführlich die<br />
Versuche der JNA die Konflikte zu provozieren und damit auch gleich Kroatien als Schuldigen<br />
für die entstehenden kriegerischen Auseindersetzungen zu bestimmen.<br />
Auch die Vorfälle, die sich Ende August, bzw. zu Beginn der militärischen Stadtbelagerung<br />
am 25. August 1991 ereigneten, weisen darauf hin. Nämlich, nachdem man die Kaserne der<br />
Nationalgarde in Čakovci unter Raketenbeschuß genommen hatte, wurden am 24. August<br />
auch die Kaserne bei Opatovac sowie der Stützpunkt bei dem Silo Đergaj nahe Bršadin<br />
angegriffen. Die Truppen der Nationalgarde erwiderten das Feuer und der gefallene Luka<br />
Andrijanić brachte die ersten JNA-Kampfflugzeuge oberhalb von Borovo Naselje zum<br />
Absturz. Schon am folgenden Tag kam es zum nächsten Zwischenfall, als ein Militärfahrzeug<br />
der JNA während einer Barrikaden-Rundfahrt auf eine Mine fuhr. In einer Propagandaschrift<br />
des Militärblattes der JNA Narodna armija (31. August 1991, S. 10), stand darüber: “Die<br />
Ustascha-Kämpfer auf ihren Stellungen beim Silo Bršadin schoßen am vergangenen<br />
Samstag ein Kampfflugzeug der JNA ab. Ein Tag danach eröffneten sie dann das Feuer<br />
aus Minenwerfern auf ein Militär-Lkw, der die Lebensmittel von Vukovar für eine Truppe<br />
nach Borovo Selo transportierte.” Wie erwartet erfolgte dann ein koordinierter Angriff auf<br />
Borovo Naselje und Vukovar, welche gemäß der vorgegebenen Dynamik und unter der<br />
Zusammenwirkung aller verfügbaren Kräfte besetzt werden sollten. Der Feind aber stieß<br />
auf einen unerwartet hartnäckigen Widerstand und mußte sich zurückziehen. Während des<br />
Rückzugs nahm die JNA die Stellungen rund um die Stadt ein. Alle Zufahrtsstraßen wurden<br />
blockiert und der einzige freie Weg blieb nur noch der sog. Maisweg über Lužac.<br />
Im Zeitraum vom 24. August bis zum 14. September wagte das serbische Militär mehrmahls<br />
einen Durchbruch, aber ohne größere Erfolge. Es verlor einige Kampfflugzuege und einige<br />
Dutzend Panzer. Die serbischen Stützpunkte nördlich von der Stadt beschoßen immer<br />
wieder die Stadt mit Minenwerfern. Währenddessen war man aber mit einer umfassenden<br />
Reorganisation des Verteidigungssystems der Stadt und Truppenergänzung beschäftigt.<br />
Es gab auch einige Versuche die Kaserne zu deblockieren. Der wichtigste Zwischenfall<br />
ereignete sich aber am 2. September 1991 als Dorf Berak erobert wurde. Der Zynismus, mit<br />
welchem das Militärblatt der JNA über das Massaker der Zivilisten durch die serbischen<br />
11
Kräfte berichtete, braucht keinen Kommentar: “Als Beispiel (wohl der friedlichen Rolle der<br />
JNA, Anm. des Autors) schildert man einen vor kurzer Zeit vorgefallenen Zusammenstoß,<br />
der sich zwischen den Nachbarn in Berak ereignete, als sich verfeindete und zerstrittene<br />
Kroaten und Serben den ganzen Sommertag lang im Dorf und auf Maisfeldern untereinander<br />
jagten und niedermetzelten. Wer weiß, was wäre passiert, wenn eine Truppe der JNA nicht<br />
geschickt wurde, um diesem Gemetzel ein Ende zu machen.”<br />
Zur selben Zeit sammelten sich rund um Vukovar die frischen Truppen des Feindes in<br />
Richtung Šid-Tovarnik-Lovas-Sotin und Šid-Tovarnik-Orolik-Negoslavci im Süden und über<br />
Bogojevo bis Trpinja und Borovo Selo im Norden. Da man über keine große Waffenmenge<br />
verfügte, hielt man die Dörfer von jeder Kampfhandlung aus Furcht vor Vergeltung ab. Alles<br />
aber sprach dafür, daß ein Angriff in Vorbereitung war. Und die erhaltenen Informationen<br />
waren in diesem Falle richtig. Der Feind ging am 14. September 1991 zum Angriff über.<br />
Veljko Kadijević (S. 134-135) weiß folgendes darüber zu berichten:<br />
Die Hauptziele, die als Basis für die Ausarbeitung der Einsatzpläne der JNA auf dem<br />
ganzen jugoslawischen Gebiet dienten, bestanden aus nächsten Aufgaben:<br />
- der kroatischen Armee sollte eine vernichtende Niederlage zugefügt werden,<br />
damit die vorgegebenen Ziele planmäßig ausgeführt werden;<br />
- die Einsätze sollten mit den Aktionen der aufständischen Serben in der Republik<br />
Serbische Krajina koordiniert werden;<br />
- den Rückzug der übriggebliebenen Truppen aus Slowenien sollte zu Ende geführt werden;<br />
- dem Umstand, daß das serbische Volk in Bosnien und Herzegowina eine sehr wichtige Rolle für die<br />
Zukunft des serbischen Volkes in seiner Gesamtheit haben wird, sollte Rechnung getragen werden.<br />
Dieser Situation war auch die Verteilung der JNA-Truppen angepasst.<br />
- Die Kampfziele sollten in zwei Phasen ausgeführt werden, in der ersten die<br />
taktischen Gegenstöße in der Erwartung einer heftigen Reaktion Kroatiens,<br />
- und in der zweiten eine einheitliche strategische Operation, wofür neben<br />
der in der ersten Phase eingesetzten Verbände, noch 15 bis 18 Panzer-, mechanisierte<br />
und Infanterie-Brigaden zusätzlich verwendet werden sollten. Die Anordnung und<br />
Zusammenstellung der JNA-Truppen und ihr Einsatz in der ersten Phase sollte auch in<br />
Übereinstimmung mit dem Plan des strategischen Angriffs der zweiten Phase gebracht<br />
werden.<br />
Da sich dieses Buch sowieso mit der Mänover-Idee auseinandersetzt, werde ich sie<br />
hier nicht wiederholt vorstellen.<br />
An diesem 14. September 1991 wurde Vukovar gegen Mittag von allen Seiten angegriffen. Zuerst<br />
warfen die JNA-Kampfflugzeuge in etwa zehn Einsätzen Kassetenbomben und Raketen ab und<br />
schoßen mit Maschinengewehren. Darauf folgte ein Panzer- und Infanterie-Angriff aus Norden<br />
entlang der Linie Trpinja – Trpinjska Straße – Vukovar und Borovo Selo – Haus der Technik<br />
(Borovo Naselje), sowie aus Süden in Richtung Negoslavci – Vukovar (Kasserne) und Petrovci –<br />
Vukovar (Vorrort Petrova Gora). Die Kämpfe dauerten ununterbrochen bis zum 20. September und<br />
12
die Stadt wurde völlig eingeschlossen. Zu dieser Zeit entstand auch der berühmte Panzerfriedhof<br />
in der Trpinjska Straße. Von da an beteiligten sich an den Kämpfen auch die umliegenden Dörfer,<br />
besonders aber an den Überfällen auf die Kolonnen, die gegen Vukovar vorrückten.<br />
Ohne Rücksicht auf andauernde Gefechte konnte man das Verteidigungsamt aktivieren, das<br />
ein Verzeichnis aller Wehrpflichtigen anfertigte und die Mobilisation vorbereitete. Auch<br />
Militärpolizei, vier Bataillons und einige kleinere Truppengattungen (Fernmelde-, und<br />
Ingenieurtruppe, Luftabwehr u.ä.) wurden formiert. Auch die Frage der Logistik wurde<br />
sowohl für die Verteidiger als auch für die Zivilbevölkerung aufgearbeitet. Gleichzeitig plante<br />
man Vukovars Blockade zu brechen und die Grenze bei Tovarnik zu sperren. Nämlich, nach<br />
verfügbaren Informationen näherten sich die Truppen der zweiten feindlichen Staffelung, die<br />
nach dem Fall von Vukovar und Ostslawonien, ihren Vormarsch nach Osijek und Virovitica<br />
und dann zusammen mit Streitkräften aus Westslawonien weiter nach Zagreb und Varaždin<br />
fortsetzen sollten. Unsere Truppen in Tovarnik haben deswegen am 21. September in frühen<br />
Morgenstunden alle Zufahrtsstraßen zur Ortschaft versperrt und die herankommende<br />
Kolonne angegriffen. Der Feind geriet in Panik und ergriff die Flucht in Richtung Šid. Nach<br />
dem Militärblatt Narodna armija handelte sich dabei um die „tapferen“ Soldaten aus Valjevo.<br />
Einzelne Soldaten haben erst in Beograd halt gemacht. Nach diesen Ereignissen geriet die<br />
Mobilisation in Serbien ins Stocken und die JNA mußte ihre Angriffspläne modifizieren.<br />
Diesbezüglich ist im Buch von Veljko Kadijević (S. 136) zu lesen: Die erste Etappe der<br />
zweiten Phase (Ende Juni – Anfang September 1991) entwickelte sich gemäß unserer<br />
Erwartungen, obwohl sich die kroatische Armee mehr auf die Vorbereitung der Angriffe<br />
auf die Garnisone der JNA – bzw. auf Blockaden und einzelne Provokationen, als auf<br />
die konkrete Ausführung dieser Einsätze konzentrierte.<br />
Die zweite Etappe dieser zweiten Phase, bzw. die strategische Operation, mußte dann bestimmten<br />
Änderungen unterzogen werden. Der einzige Grund dafür lag in der Tatsache, daß die Mobilisation im<br />
Gegensatz zur Fahnenflucht keine großen Erfolge verbuchen konnte. Nicht nur, daß die Einberufung sehr<br />
schwach verlief, sondern konnte man auch diese kleinere Truppen nicht ganz unter Kontrolle bringen.<br />
Falls die Soldaten überhaupt bis an die Front schafften, verließen sie ihre Stellungen so schnell wie<br />
möglich. Diese Umstände führten dazu, daß sich alle strategischen und operativen Elemente, besonders<br />
in bestimmten Landesregionen, der zeitlichen Komponente und der Truppenstärke anpassen mußten.<br />
Die Aufgaben blieben dieselben, aber da der Mangel an Truppen nicht zu übersehen war, konnte der<br />
Einsatz nicht mit dem geplanten Schwung durchgeführt und der kroatischen Armee eine zerschmetternde<br />
Niederlage zugefügt werden, die auch sonst zahlenmäßig überlegen war (!?). Diese Operation mußte in<br />
mehreren Etappen und innerhalb eines längeren Zeitabschnitts vollbracht werden.<br />
Man konnte doch den Schwerpunkt der Verteidigung nicht nach Tovarnik verlegen. Der<br />
Grund dafür lag vor allem in Ermangelung der verfügbaren Truppen sowie des Verständnisses<br />
seitens der Behörden in Vinkovci. Schon nach einigen Tagen griff der Feind erneut an und<br />
dieses Mal die Verteidigungslinie Šid – Mirkovci sowie das linke Ufer des Flusses Bosut als<br />
Ausgangspunkt für einen neuen Eroberungsversuch von Vukovar. Dadurch könnte dann der<br />
13
Vormarsch weiter in Richtung Osijek und Vinkovci fortgesetzt werden. Die Kämpfe um Ilača<br />
und Jankovci wurden heftiger. Man war der Situation bewußt und machte den Vorschlag, eine<br />
gemeinsame Verteidigungslinie Jankovci – Petrovci – Bogdanovci zu errichten, aber ohne<br />
Erfolg. In der Zwischenzeit wurde die Aufstellung der 204. Brigade von Vukovar befohlen<br />
und in Vukovar trafen mehr als 600 Freiwillige aus ganz Kroatien ein. Da einige Kasernen<br />
der JNA auf dem kroatischen Gebiet eingenommen wurden, konnten ihre Waffenbestände,<br />
hauptsächlich aus Varaždin und Đakovo, nach Vukovar transportiert werden.<br />
Die Operation Vukovar begann offiziel am 30. September und dauerte bis zum Ende der<br />
Belagerungszeit. Die serbischen Verbände waren in zwei Operationsgruppen Nord und<br />
Süd eingeteilt und die Abgrenzungslinie verlief entlang des Flusses Vuka. Die Operation<br />
wurde vom Generalstab in Beograd geplant und stand unter dem Kommando von General<br />
Života Panić, der zugleich auch der Befehlshaber des 1. Militärdistrikts (ehemalige 1.<br />
Armee) war. Ende September und Anfang Oktober nahmen die Truppen der 252. Panzerund<br />
mechanisierten Brigade der JNA aus Valjevo (Serbien) die Dörfer Svinjarevci, Petrovci,<br />
Marinci und Cerić ein. Das Dorf Bogdanovci konnte als Bestandteil der Vukovarer<br />
Verteidigung den Angriff zurückweisen. Ab 1. Oktober 1991 wurde die Stadt eingekesselt.<br />
Am 2. Oktober 1991 erfolgte der nächste heftige Angriff, aber er konnte gestoppt werden<br />
und der Feind erlitt schwere Verluste an Mannschaften und Ausrüstung. Die letzten Tage<br />
der Belagerung nicht inbegriffen, war dieser Tag der blutigste im Kampf um Vukovar. Mehr<br />
als 90 Zivilisten und Soldaten wurden verwundet. Danach aber wurde die Stadt systematisch<br />
und erbarmungslos aus der Distanz zerstört. Es gab keine großen Panzer-Überfälle mehr,<br />
sondern nur die kombinierten im Zusammenwirken mit der Infanterie. Die Gegenwehr war<br />
zu stark.<br />
Im Osten Kroatiens blieb nur noch Ilok mit umliegenden Dörfern frei, aber in Anwesenheit<br />
der Beobachter der Europäischen Gemeinschaft wurde ein „Referendum“ abgehalten, mit<br />
dessen Hilfe dann am 17. Oktober 1991 Ilok und seine Dörfer ethnisch gesäubert und die<br />
Kroaten in andere Regionen Kroatiens übersiedelt.<br />
Die Konvoi-Phase war ein beispieloses Kapitel in der Geschichte der Vukovarer Verteidigung.<br />
Der Konkurrenzkampf der französichen rivalisierenden humanitären Organisationen, welche<br />
die Jagd auf Prestige und Profit veranstalteten, erwies sich für die Stadt als verhängnisvoll.<br />
Der von der Europäischen Gemeinschaft auf Kroatien ausgeübte Druck bezüglich des<br />
Engagements dieser Organisationen, zwang auch die Stadt dazu, sich mit diesen nur Nachteile<br />
mitbringenden Aktionen abzufinden. Der Konvoi der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“<br />
sollte am 19. Oktober 1991 keine humanitäre Hilfe liefern, sondern die Verwundeten aus dem<br />
Krankenhaus herausholen. Laut getroffener Abmachung sollte der Konvoi die folgende Route<br />
nehmen: Nuštar – Marinci – Bogdanovci – Vukovar, aber er wurde absichtlich abgebogen, da<br />
sich die serbischen Verbände im Raum zwischen Bogdanovci und Vukovar konzentrierten.<br />
Im Falle aber, daß dem Konvoi von dieser Seite der Durchgang gewährt werden sollte, wäre<br />
dann die Verteidigungslinie deblockiert ohne irgendeine Möglichkeit einer rechtzeitigen<br />
14
Schließung, was dem Feind Gelegenheit gegeben hätte, mühelos in die Stadt einzumarschieren.<br />
Demnach ist der Konvoi dann doch über Lužac in die Stadt eingetroffen, da diese Richtung<br />
unter unserer Kontrolle stand. Die Führung des Konvois hat dem Befehlhaber der Vukovarer<br />
Verteidigung die Ergebung der Stadt und den Abgang der Einwohner ähnlich wie in Ilok<br />
angeboten, aber dieser Vorschlag wurde entschlossen abgewiesen. Außerhalb der Stadt wurde<br />
der Konvoi dann von Serben überfallen. Sie ärgerten sich darüber, daß ihr Plan von einem<br />
Durchbruch in die Stadt scheiterte.<br />
Bis zum Ende Oktober waren keine heftigere Infanterie-Angriffe vorgefallen, ausgenommen<br />
eines auf Mitnica und fortwährender Provokationen in Borovo Naselje und Sajmište. Die<br />
ganze Stadt aber stand unter ununterbrochenem Granaten- und Bombenbeschuß und die<br />
serbischen Kräfte bekamen immer wieder einen frischen Nachschub an Ersatztruppen durch<br />
die Mobilisation in Serbien.<br />
Zu einem besonders heftigen Angriff kam es am 2. November. Seine Schwerpunkte waren<br />
die Ortschaften Lužac und Sajmište, damit die Richtungen Borovo Naselje – Vukovar und<br />
Mitnica – Vukovar durchgeschnitten werden. Die Operation stand unter dem Kommando<br />
des Generalstabs der JNA. Das Gebiet um Lužac wurde der Schauplatz eines der heftigsten<br />
Gefechts, das den Serben große Verluste zufügte. Der Befehlshaber der Operationsgruppe<br />
Nord General Bratić, der zugleich auch der Befehlshaber des Korps Novi Sad war, kam ums<br />
Leben. Aber obwohl die Verteidigung die Gefechte gewann, verlor sie immer wieder neue<br />
Teile ihres Territoriums, da sie über keine frischen Mannschaften, Waffen und Munition<br />
verfügte. Die errungenen Siege hatten keine wirkliche Bedeutung, da man nur durch sie und<br />
ohne frische Versorgung diesen Krieg nicht gewinnen konnte. Dazu hatten auch Müdigkeit,<br />
Hunger, Verwundung und Tod ihre Spuren hinterlassen. Das Vukovarer Krankenhaus, das<br />
voll mit Verwundeten war, lag nur einige hundert Meter von der Front entfernt.<br />
Am 10. November 1991 besetzten die serbischen Verbände das letzte kroatische Dorf im<br />
Osten des Landes – Bogdanovci. Auf den Zufahrtsstraßen zum Dorf wurden etwa 50 Panzer<br />
und Panzertransporter der JNA zerstört und einige tausend Soldaten außer Gefecht gesetzt.<br />
Am denselben Tag rückten die Serben bis an die Straße Borovo Naselje – Vukovar vor. In<br />
Sajmište fiel Milovo brdo, wodurch auch das Stadtzentrum unter großem Druck geriet. Die<br />
darauf folgenden Tage waren eine pure Agonie. Obwohl die serbischen Truppen auf die<br />
Knie gezwungen wurden, hatte die Verteidigung keine Kraft mehr um die Gegenschläge<br />
auszuführen, sondern gerade ums Überleben zu kämpfen.<br />
Und darüber berichtet auch die Quelle der „gegnerischen“ Seite Veljko Kadijević (S. 137):<br />
Die Hauptgruppe des Heeres, hauptsächlich die Panzer- und mechanisierten Verbände, sollten<br />
in Ostslawonien zwei Aufgaben erfüllen: die serbischen Gebiete befreien und als Hauptkraft des<br />
Oberbefehls für einen weiteren Vormarsch in Richtung Zagreb und Varaždin zur Verfügung stehen.<br />
Die erste Aufgabe wurde gelöst, aber dadurch, daß sie viel zu viel Zeit beanspruchte, da es an den<br />
Infanterietruppen als Begleitung der Panzereinheiten wegen Probleme mit der Mobilisation fehlte, geriet<br />
15
die geplante Vorrückung ins Stocken. Der Kampf um Vukovar war der Kampf mit der Hauptgruppe der<br />
Kroatischen Armee, die um jeden Preis Ostslawonien und die Baranja zu halten versuchte.<br />
Als die Kroatische Armee besiegt und Vukovar befreit wurde, sollte die JNA für einen weiteren<br />
Aufbruch nach Westen bereit sein, aber die Ergebnisse und Erfahrungen des Krieges in Kroatien<br />
wiesen darauf hin, daß die gescheiterte Mobilisation und andauernde Fahnenflucht dazu führten,<br />
daß die Einsatz- und Manöverpläne der Schlußoperationen in Kroatien geändert werden mußten.<br />
Dadurch konnte der Kroatischen Armee keine wirklich vernichtende Niederlage zugefügt werden.<br />
Der Mangel an Truppen und ihre langsame Aufstellung waren der einzige Grund dafür und<br />
dadurch wurden natürlich auch unsere Verluste an Mannschaften und Ausrüstung größer.<br />
Die Mobilisation der JNA bezüglich der Vojvodina kommentierte auch Nenad Čanak,<br />
der sich in Wort und Tat den großserbischen Plänen und Aggression widersetzte:<br />
„Zwangsmobilisation ist nichts neues in unseren neueren Geschichte. Man sollte sich nur<br />
an die schrecklichen Jahre 1991 und 1992 erinnern, als bis zum 1. März 1992 innerhalb<br />
nur weniger Monate 106.824 Soldaten an die slawonische Front geschickt wurden. Die<br />
Vojvodina mußte eben mehr als 72 Prozent ihrer Soldaten für Slawonien herausrücken.“<br />
Infolge der serbischen Angriffe im Herbst 1991 wurde Vukovar zu einer verwüsteten<br />
Stadt. Über die Schuldigen schrieb sogar der Aggressor selbst, z.B. der Befehlshaber<br />
der Operationsgruppe Süd und Oberst der JNA Mile Mrkšić: „Wir rissen Vukovar<br />
nieder, das am besten befestigte Ustascha-Bollwerk, was man der Tapferkeit<br />
und Wissen der Gardeeinheiten der JNA aus Beograd, den Freiwilligen und der<br />
Territorialverteidigung, deren Angehörige größtenteils auch aus dieser Stadt<br />
stammten, verdanken sollte.“ Und im Militärblatt der JNA vom 20. November 1991<br />
steht folgendes: „Bis vor kurzer Zeit, eine der schönsten Städte an Ufern von Vuka<br />
und der Donau, ist heute eine verwünschte Stadt. Diese `kosmische Schande` für die<br />
Menschheit, die infolge einer Invasion des Neonazismus enstand, wird aufgehoben.<br />
Die Wunden werden heilen. Aber als Gegenwehr gegenüber jeglichem Wahn sollte<br />
die Erinnerung daran grenzenlos sein.“ Am Krieg hätten naüturlich die Kroaten<br />
Schuld. In diesen Artikeln kamen keine Reue und kein Schamgefühl zum Ausdruck,<br />
geschweige denn, daß man die Verantwortung für die vollbrachten Taten übernahm.<br />
Es ist auch leider festzustellen, daß die serbischen Amtsträger dieser Stellungnahme in<br />
offiziellen Quellen noch heute die Treue halten, was natürlich jedes Zusammenleben<br />
von Kroaten und Serben und alle kroatisch-serbische Beziehungen auch weiter<br />
belastet.<br />
Prečno bei Ivanić Grad, 20. November 2008<br />
16<br />
Kommandant der Verteidigung der Stadt Vukovar<br />
Oktober – November 1991<br />
Branko Borković – Junghabicht
Oben: Erinnerungsplakat an das Leiden von Vukovar mit dem Datum seiner Okkupation<br />
Unten: Millenium-Photo von Šime Strikoman „Legendäre 204. Vukovarer Brigade der Kroatischen<br />
Armee“, Vukovar, 25. September 2006<br />
17
Plakat für das Referendum in Kroatien, 19. Mai 1991<br />
18
Ante Nazor<br />
EINLEITUNG<br />
(der Weg zur Unabhängigkeit sowie die Okkupation und Befreiung der RH<br />
im Heimatkrieg – eine kurze Darstellung)<br />
Der Fall der Berliner Mauer im November 1989 kündigte den Anfang eines<br />
neuen Zeitabschnittes in der europäischen Geschichte an, als die Mehrheit<br />
der osteuropäischen Staaten das kommunistische Einparteisystem durch<br />
ein demokratisches Mehrparteiensystem ersetzte. Dieser Prozeß weiterte sich auch<br />
auf die Teilrepubliken der ehemaligen SFRJ aus, ausgenommen der Teilrepublik<br />
Serbien. Ihre Bürger wurden zur Geisel der serbischen Nationalisten, die Mitte der<br />
1980er Jahren erneut das im 19. Jh. entstandene großserbische Projekt zum Leben<br />
erweckten, nach dem sich die westliche Grenze des serbischen Staates – des sog.<br />
Großserbiens – tief im kroatischen Hinterland entlang der Linie Virovitica-Pakrac-<br />
Karlovac-Ogulin-Karlobag erstrecken sollte. Diese Linie entsprach etwa der Grenze,<br />
die durch die osmanischen Eroberungen auf dem kroatischen Gebiet im Zeitraum<br />
von 15. bis 17. Jh. entstand.<br />
Die Hetzkampagne der Medien, die die<br />
Vorbedingungen für die Durchführung<br />
des großserbischen Plans schaffen sollte,<br />
begann mit der Veröffentlichung des<br />
Memorandums der Serbischen Akademie<br />
der Wissenschaften und Künste in Belgrader<br />
Zeitung Večernje novosti vom 24. und 25.<br />
September 1986, in dem die angebliche<br />
Benachteiligung der serbischen Volksgruppe<br />
in Jugoslawien hervorgehoben wurde. Die<br />
serbischen Nationalisten strebten eigentlich<br />
nach einer noch stärkeren Zentralisierung<br />
des Staates, nach einer serbisch dominierten<br />
Föderation und die unter Einfluß von Belgrad<br />
stehenden sozialistischen autonomen<br />
Provinzen Vojvodina und Kosovo sowie<br />
Teilrepublik Montenegro. Das Ergebnis<br />
dieser nationalistischen bzw. großserbischen<br />
Landkarte mit Grenzen des sog. Großserbiens<br />
19
Plakat des 14. Kongresses des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens; Dadurch, daß die serbischen und montenegrinischen<br />
Delegierten ihren Willen den kroatischen und slowenischen Kollegen aufzudrängen versuchten und alle ihre<br />
Vorschläge beharrlich ignorierten, verließ als erste die slowenische und dann auch die kroatische Parteidelegation den<br />
Kongreß am 22. Januar 1990, was das Ende einer einheitlichen und zentralisierten Parteiorganisation und den Anfang<br />
des Zerfalls der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien bedeutete.<br />
Politik eines Teils der sebischen Politiker war die Ablösung der politischen Führung in den<br />
erwähnten konstitutiven Teilen der SFRJ Ende 1988 und Anfang 1989, sowie eine Änderung<br />
der Verfassung der SR Serbien 3 , durch welche in Wirklichkeit die Autonomie der Provinzen<br />
abgeschafft wurde. Durch die Instalierung ihrer proserbisch orientierten Gefolgsleute als<br />
Vertreter der Vojvodina, des Kosovo und Montenegros in das Staatspräsidium des damaligen<br />
Staates, das aus acht Mitgliedern bestand (aus sechs Vertretern der Teilrepubliken und zwei<br />
Vertretern der Provinzen), gelang es der serbischen Führung, sich die politische Dominanz<br />
über andere Jugoslawische Teilrepubliken zu sichern. Deswegen veruschte die serbische<br />
Macht-Elite die Demokratisierungsbestrebungen in Jugoslawien zu unterbinden.<br />
In Einklang mit einer solchen großserbischen Politik, die von Belgrad ausging, fanden schon<br />
Anfang 1990 in der SR Kroatien 4 organisierte Veranstaltungen – die sog. Volkversammlungen<br />
– der Serben aus Kroatien, Bosnien und Herzegowina und Serbien statt, wodurch sich<br />
die serbisch-kroatischen politischen Beziehungen verschärften. Die Versammlungen<br />
wurden von Bildern des neuen “allserbischen” Führers Slobodan Milošević, von Flaggen<br />
3 kurz für Sozialistische Republik Serbien<br />
4 kurz für Sozialistische Republik Kroatien<br />
20
Serbiens, Jugoslawiens und des Bundes der Kommunisten sowie von proserbischen und<br />
antikroatischen Parolen dominiert. Aber auch diese aggressive serbische Politik konnte den<br />
Demokratisierungsprozeß in Slowenien und Kroatien nicht aufhalten. Im April und Anfang<br />
Mai 1990 wurden die ersten freien Wahlen in Kroatien abgehalten, aus denen als Wahlsieger die<br />
Kroatische Demokratische Gemeinschaft unter Vorsitz von Dr. Franjo Tuđman hervorging.<br />
Auf die Wahlergebnisse in Kroatien reagierte die Militärführung der SFRJ in Einvernehmen,<br />
bzw. auf Befehl von serbischen Politikern (des Präsidenten Serbiens Slobodan Milošević,<br />
der Vertreter Serbiens im Staatspräsidium der SFRJ und seines Präsidenten Borisav<br />
Jović), mit der Entwaffnung Kroatiens. Sie wurde seit geraumer Zeit geplant und noch<br />
vor der in Einklang mit Wahlergebnissen umgesetzten Machtübergabe in Kroatien<br />
rasch durchgeführt. Die Entwaffnung wurde am 23. Mai 1990 aufgrund eines streng<br />
geheimen Befehls, den am 14. Mai 1990 der Generalstabsschef der Streitkräfte der SFRJ<br />
Generaloberst Blagoje Adžić gesetzwidrig (ohne Wissen und ohne Zustimmung des<br />
Staatspräsidiums der SFRJ) unterzeichnete, durchgeführt. In seinem Tagebuch Posljednji<br />
dani SFRJ: Izvodi iz Dnevnika (Beograd, 1995, S. 146), vermerkte Borisav Jović am 17.<br />
Mai 1990: “Wir haben sie praktisch entwaffnet. Formell geschah dies auf Befehl des<br />
Generalstabsschefs, aber faktisch in unserem Auftrag. Slowenen und Kroaten reagierten<br />
heftig, aber für sie gab es keinen Ausweg mehr.” Die beschlagnahmte Bewaffnung der<br />
kroatischen Territorialverteidigung (es handelte sich dabei schätzungsweise um 80.000 bis<br />
200.000 “Gewehrläufe”) wurde in die Munitionslager der JNA gebracht.<br />
Kardinal Franjo Kuharić und Dr. Franjo Tuđman in der konstituierenden Sitzung des demokratischen<br />
Parlaments der Sozialistischen Republik Kroatien, 30. Mai 1990<br />
21
Zagreb, Markus Platz, 25. Juli 1990 (Autor: Renato Branđolica)<br />
22
Das Parlament der RH wählte in seiner konstituierenden Sitzung am 30. Mai 1990 Dr.<br />
Franjo Tuđman zum Präsidiumspräsidenten der SR Kroatien, und am 25. Juli wurden<br />
auch die Abänderungsanträge bezüglich der Verfassung der SR Kroatien angenommen,<br />
aufgrund welcher aus dem Namen des Staates das Adjektiv “sozialistisch” entfernt, das<br />
neue (“historische”) Wappen und die neue Staatsflagge festgesetzt, sowie angemessenere<br />
Amtsbezeichnungen wie Präsident, Regierung der RH, Minister und andere (Narodne<br />
novine 5 31 vom 28. Juli 1990) festgelegt wurden. Am selben Tag, in einer Versammlung<br />
der Serben in Ortschaft Srb verabschiedete man die Deklaration über Souveränität und<br />
Autonomie der Serben in Kroatien. Auch ein “Referendum über serbische Autonomie”<br />
wurde für die Zeit zwischen 19. August und 2. September angekündigt, das aber in keinen<br />
Vorschriften auf Bundes- oder Republikebene seine Begründung finden konnte. 6<br />
Nachdem die bewaffneten serbischen Zivilisten (“Wachposten”) in Erscheinung getreten<br />
hatten und Drohungen laut geworden waren, daß die Abhaltung dieses “Referendums”<br />
von ihnen abgesichert wird, erteilte das Innenministerium der RH den Befehl, die für die<br />
Polizeireserve des erwähnten Ministeriums bestimmte Bewaffnung in den Polizeistationen<br />
auf den durch die bewaffnete Rebellion gefährdeten Gebieten unter Kontrolle zu bringen. In<br />
der Nacht von 16. auf 17. August 1990 brachten die Spezialeinheiten des Innenministerums<br />
der RH einen Teil der Bewaffnung unter ihre Aufsicht, worauf sich die Einwohner serbischer<br />
Nationalität vor Polizeistationen in Knin, Benkovac,<br />
Obrovac, Gračac, Titova Korenica, Dvor na Uni<br />
und Donji Lapac, zu versammeln begannen. Alle<br />
Verkehrsverbindungen auf diesem Gebiet wurden in<br />
Anwesenheit bewaffneter Personen mit Baumstämmen<br />
und Steinen blockiert. Der Versuch der kroatischen<br />
Polizei die Bewaffnung der Polizeireserve in der<br />
Nacht von 16. auf 17. August 1990 aus bestimmten<br />
Polizeistationen in der Lika und in Dalmatien zu<br />
verlagern und die Abhaltung des Referendums zu<br />
verhindern, benützte die politische Führung der<br />
aufständischen Serben als unmittelbaren Anlaß zur<br />
Ausrufung des “Kriegszustandes” im Radiosender<br />
von Knin am 17. August und zur Blockierung aller<br />
Straßen durch bewaffnete Aufständische in der<br />
Region. 7 Der Versuch der kroatischen Polizei auf<br />
diesem Gebiet wieder Ordnung zu schaffen, wurde<br />
durch die Bundesarmee – die JNA vereitelt.<br />
Borovo Selo, 2. Mai 1991 (Autor:<br />
Goran Pichler)<br />
5 Volksblatt<br />
6 O. Žunec, Rat u Hrvatskoj, Polemos 1, Zagreb, 1998, S. 66; M. Špegelj, Sjećanja vojnika, Zagreb, 2001, S. 287, Tabelle III.<br />
7 Archiv des Verfassungsgerichtshofes der RH/Rechtliche Unterlagen betreffend die Aktennummer: U-VI-295/1991 vom<br />
2. Oktober 1992 (weiter Arhiv Us RH).<br />
23
Pakrac, 2. März 1991<br />
Plitvice, 31. März 1991<br />
24
Die sog. Baumstammrevolution war die Antwort eines<br />
Teils der in Kroatien lebenden Serben auf die kroatischen<br />
Demokratisierungsbestrebungen und als Anfang eines<br />
bewaffneten Aufstands gegen die demokratisch gewählte<br />
kroatische Führung zu verstehen. Das wirkliche Ziel<br />
dieser Protestbewegung war die Anschließung eines<br />
Teils des Territoriums der RH an einen einheitlichen<br />
serbischen Staat, der einen Großteil ehemaligen<br />
Jugoslawiens umfassen sollte. Allerdings schränkten<br />
sich noch zu dieser Zeit diese bewaffneten Übergriffe<br />
der Serben auf Überfälle aus dem Hinterhalt und<br />
die Terroraktionen einzelner Gruppen ein, obwohl<br />
unter denen auch schon aus Serbien eingetroffenen Verfassung der Republik Kroatien<br />
Freischärlern wirkten. Zu besonders heftigen Zusammenstößen kam es zwischen diesen<br />
Gruppen und der kroatischen Polizei am 2. März 1991 bei Pakrac, dann am 31. März zu<br />
Ostern im Naturschutzgebiet um Plitvicer Seen, wo als erster kroatischer Verteidiger der<br />
kroatische Polizist Josip Jović ums Leben kam. In der Auseinandersetzung bei Borovo<br />
Selo am 2. Mai 1991 hat man zwölf kroatische Polizisten in einen Hinterhalt gelockt und<br />
ermordet. In Polača bei Zadar wurde auch ein Polizist getötet.<br />
Parlament der Republik Kroatien, 25. Juni 1991 (Autor Stanko Szabo)<br />
25
Wegen dieser unakzeptablen Situation und hinsichtlich des von der serbischen<br />
Führung ausgegangenen politischen Drucks, der dann besonders in einseitigen und<br />
verfassungswidrigen Beschließungen des Präsidiums und der Versammlung der SR<br />
Serbien, bzw. in ihren Bestrebungen nach Zentralisierung und Stärkung politischer und<br />
wirtschaftlicher Stellung Serbiens auf Kosten anderer Teilrepubliken der Föderation, zum<br />
Ausdruck kam, forderten slowenische und kroatische Führung den Umbau Jugoslawiens<br />
zu einer Konföderation. Als die serbischen Politiker jedes Gespräch darüber ablehnten,<br />
schlugen Slowenien und Kroatien den Weg zur Unabhängigkeit ein. Nachdem das<br />
kroatische Parlament am 22. Dezember 1990 eine neue – “Weihnachts” – Verfassung<br />
der RH (Narodne novine 56 vom 22. Dezember 1990) verbaschiedet hatte, beschloss<br />
man aufgrund der Ergebnisse des am 19. Mai 1991 stattgefundenen Referendums die<br />
Deklaration über die Gründung der souveränen und unabhängigen RH, sowie die Urkunde<br />
über die Rechte der Serben und anderer Nationalitäten in der RH (Narodne novine 31 vom<br />
25. Juli 1991). Das Inkrafttreten der Deklaration wurde für drei Monate ausgesetzt, damit<br />
die Friedensverhandlungen über die politische Lösung fortgesetzt werden konnten.<br />
Aber gerade dann und gemäß der Vereinbarung zwischen der serbischen politischen<br />
Führung und Führung der JNA, verschärften sich terroristische Aktionen serbischer<br />
Extremisten zur offenen und unbarmherzigen Aggression der JNA und der serbischen<br />
paramilitärischen Formationen gegen die RH. Der serbische Vetreter im Staatspräsidium der<br />
SFRJ und damaliger Präsident des Präsidiums in Vertretung Borisav Jović führte in seinem<br />
Buch Posljednji dani SFRJ: Izvodi iz dnevnika (Beograd, 1995, S. 349) an, daß der serbiche<br />
Präsident Slobodan Milošević und er dem Bundessekretär für Volksverteidigung der SFRJ<br />
(“Verteidigungsminister”) Veljko Kadijević “eine Reihe von Forderungen bezüglich der Rolle<br />
der JNA in Auftrag gegeben haben, die er auch ohne Widerspruch angenommen hat”:<br />
Slobodan (Milošević) und ich (Borisav Jović) haben mit Veljko Kadijević ein, wie es sich später<br />
herausstellte, entscheidendes Gespräch geführt … Von ihm haben wir folgendes verlangt: …Der Hauptteil<br />
der Streitkräfte sollte entlang der folgenden Linie seine Stellungen beziehen: im Westen Karlovac-Plitvice;<br />
im Osten die Baranja, Osijek, Vinkovci – Sava und im Süden Neretva. Auf diese Weise hätte man das<br />
gesamte von Serben bewohnte Gebiet in Kroatien bis zur endgültigen Lösung unter Kontrolle gestellt …<br />
Kroaten und Slowenen sollten aus den Reihen der Armee völlig eliminiert werden …<br />
Die Unterlagen der JNA weisen darauf hin, daß die Pläne ihrer Strategen doch ein etwas<br />
weiteres Gebiet als nur “serbisch dominiertes Territorium” umfassten. So sollten nach dem<br />
Befehl des Kommandos des 1. Militärdistrikts die Truppen der JNA nach der Besetzung Ostund<br />
Westslawoniens auch weiter ab 19. September 1991 in Kampfbereitschaft für etliche<br />
Operationen in Richtung Varaždin und Koprivnica sein. Der Angriff sollte am 21. September<br />
fortgesetzt und in zwei Etappen, je zwei bis drei und je vier bis fünf Tage, durchgeführt werden.<br />
Gemäß dem erwähnten Plan, hat sich der “Verteidigungsminister” General Veljko Kadijević<br />
darüber öffentlich geäußert, daß die JNA entscheidende Maßnahmen unternehmen werde,<br />
um den “Ausbruch eines Bürgerkrieges zu verhindern”. Es war klar, daß die Militärführung<br />
der SFRJ weder den Präsidenten des Staatspräsidiums der SFRJ noch die Führung der RH<br />
26
anerkennt, was verfassungswidrig war und eigentlich einer Kriegserklärung gleichkam. Die<br />
Friedensverhandlungen, bzw. der Versuch der Regierung der RH und der internationalen<br />
Staatengemeinschaft, eine friedliche Lösung der Krise zu finden, wurden ignoriert. Die<br />
JNA und die serbischen Paramilitärs gingen entlang der ganzen Frontlinie zu Kroatien<br />
zum allgemeinen Angriff über, mit dem Ziel die Gegenwehr der RH innerhalb der zwanzig<br />
Tage zu brechen. In Folge des Befehls des Generalstabsschefs der JNA Generaloberst<br />
Blagoje Adžić vom 12. Oktober 1991, sollten “alle bewaffneten Formationen, ganz egal<br />
ob es sich dabei um die JNA, Territorialverteidigung oder serbische Freiwillige handelt,<br />
einem einheitlichen Kommando der JNA unterstellt werden”. In Wirklichkeit haben aber<br />
von Anfang an alle Einheiten der JNA, lokale serbische Territorialverteidigung, serbische<br />
aufständische Miliz (“Miliz von Milan Martić”), sowie die aus Serbien angekommene<br />
Freiwilligenverbände diesem Kommando unterstanden. Über die Intensität der<br />
Aggression auf die RH, die durch die Luftstreitkräfte der JNA unter dem Kommando des<br />
Generals Zvonko Jurjević unterstützt wurde, spricht auch die Einschätzung ausländischer<br />
Militärexperten, daß die kroatischen Verteidiger ihre Stellungen nicht länger als zwei<br />
Wochen halten könnten. In seinem Buch Moje viđenje raspada (Beograd, 1993, S. 135),<br />
legt General Veljko Kadijević den Angriffsplan der JNA auf die RH im Herbst 1991 vor:<br />
Zamisao Der Angriffsplan napadne operacije der JNA JNA gegen protiv die RH, Republik rujan-listopad Kroatien,<br />
1991. September-Oktober (prema: Davor 1991 Marijan, (Quelle: Smrt oklopne Davor brigade Marijan, – prilozi Smrt oklopne<br />
brigade rata – za prilozi Hrvatsku za i Bosnu istraživanje i Hercegovinu, rata za 1990. Hrvatsku – i<br />
za<br />
istra`ivanje<br />
1992., Bosnu Zoro, i Hercegovinu, Zagreb, 2002.) 1990. – 1992., Zoro, Zagreb, 2002)<br />
27
Vinkovci – Bibliothek nach dem Angriff der JNA (oben)<br />
Regierungsgebäude Banski dvori in Zagreb; Folgen des Angriffs der JNA-Kampfflugzeuge am 7.<br />
Oktober 1991 (unten)<br />
28
- Eine völlige Blockade der RH in der Luft und an der Adriaküste;<br />
- Die Angriffsrichtungen des Hauptteils der Streitkräfte der JNA sollten mit der<br />
Befreiungsaktion der serbisch dominierten Gebiete und Garnisonen der JNA im<br />
kroatischen Hinterland koordiniert werden. Man sollte Kroatien in folgenden<br />
Richtungen abschneiden: Gradiška-Virovitica, Bihać-Karlovac-Zagreb, Knin-<br />
Zadar, Mostar-Split. Mit der stärksten Gruppierung von Panzereinheiten sollte man<br />
Ostslawonien befreien, dann den Vorstoß rasch nach Westen fortssetzen, sich dann<br />
mit Truppen in Westslawonien vereinigen und die Offensive in Richtung Zagreb und<br />
Varaždin, bzw. slowenischer Grenze ansetzen. Gleichzeitig wird mit starken Kräften<br />
vom Bezirk Herceg Novi – Trebinje aus das Hinterland von Dubrovnik besetzt und der<br />
Vorstoß in das Tal von Neretva durchgeführt werden. Danach sollte das Vorrücken<br />
mit der sich in Richtung Mostar-Split bewegenden Verbänden fortgesetzt werden;<br />
- Nach der Besetzung bestimmter Einrichtungen, sollte die Grenze der Serbischen<br />
Krajina in Kroatien gesichert und die restlichen Verbände der JNA aus Slowenien<br />
abgezogen und nach Kroatien verlegt werden;<br />
- Für Mobilisierung und Vorbereitung von mobilisierten oder demobilisierten Truppen<br />
sowie für ihre Verlegung auf bestimmte Einsatzpunkte werden zwischen 10–15 Tage<br />
benötigt, abhängig von der Stufe der “Kampfbereitschaft” der Einheit und ihrer<br />
Entfernung von den erwähnten Punkten der Verwendung.<br />
Der Angriff der JNA-Kampfflugzeuge auf das Regierungsgebäude der RH Banski dvori im<br />
Zentrum von Zagreb am 7. Oktober zeigte, daß der Feind vor keinen Mitteln zurückschrekte<br />
um sein Ziel zu erreichen. Durch diesen Raketenangriff versuchte die Jugoslawische, bzw.<br />
proserbische Führung der SFRJ, den Präsidenten der RH Franjo Tuđman, Präsidenten<br />
des Staatspräsidiums der SFRJ Stjepan Mesić sowie Präsidenten des Bundesexekutivsrats<br />
der SFRJ Ante Marković, während eines Zusammentreffens zu töten. Der Versuch der<br />
Verübung eines solchen Attentats bewies, daß die großserbischen Strategen schon seit<br />
langem eine friedliche Lösung der Jugoslawienkriese aufgegeben haben.<br />
Die Nachrichtendienste der JNA, die dem “Bundessekretariat für Volksverteidigung” sowie<br />
dem “Kommando der Luftstreitkräfte und Luftabwehr” unterstanden, negierten immer<br />
wieder die Rolle der JNA in diesem Vorfall, und bemerkten sogar zynisch dazu, den Angriff<br />
könnte auch die “kroatische Führung inszeniert haben”.<br />
Unter dem Eindruck dieses Vorfalls sowie einer weiteren Reihe von Bildern der Zerstörung<br />
und Nachrichten über eine immer größer werdende Opferzahl aus anderen durch die JNA<br />
überfallenen Städten und Orten, erklärte das Parlament der RH am folgenden Tag, den<br />
8. Oktober 1991, die Unabhängigkeit der RH. Nämlich, nachdem festgestellt worden war,<br />
daß die Frist von drei Monaten Aussetzung des verfassungsgemäßen Beschlusses vom<br />
25. Juli 1991 verstrichen war, haben die Abgeordneten den Entschluß über die Loslösung<br />
der RH aus der SFRJ und ihrer Unabhängigkeit gefaßt. Die RH brach alle staatsrechtlichen<br />
Beziehungen zu den anderen Teilrepubliken und Provinzen der damaligen SFRJ ab. Wegen<br />
der Gefahr von neuen Luftangriffen der JNA, fand die Parlamentssitzung im Keller des<br />
29
Parlamentssitzung der Republik Kroatien, 8. Oktober 1991 (Autor: Josip Božičević)<br />
INA 8 - Gebäudes in der Šubićeva Straße in Zagreb statt (Narodne novine 53 vom 8.<br />
Oktober 1991).<br />
Unter anderem hebte man in den Beschlüssen, die vom Parlament an diesem Tag auf<br />
einer gemeinsamen Sitzung aller Räte verabschiedet wurden, folgendes hervor:<br />
1. Die RH wurde durch die Republik Serbien und die sog. JNA angegriffen. Die<br />
RH wurde gezwungen, sich gegen dieser Aggression mit allen verfügbaren<br />
Mitteln zur Gegenwehr zu setzen.<br />
2. Die sog. JNA gilt als Aggressions- und Besetzungsmacht und muß das<br />
vorläufig eroberte Staatsgebiet der RH ohne Verzögerung verlassen.<br />
3. Das Parlament der RH fordert die JNA auf, allen kroatischen Bürgern, die bei<br />
der JNA ihren Wehrdienst leisten, einen freien Abgang ohne Verzögerung zu<br />
gewährleisten.<br />
4. Die Teilrepubliken Bosnien und Herzegowina sowie Montenegro werden<br />
aufgefordert, ihr staatliches Gebiet nicht als Basis für die Kriegsführung<br />
gegen die RH zur Verfügung zu stellen.<br />
Als Reaktion auf die Beschlüsse des kroatischen Parlaments hat die Europäische Gemeinschaft<br />
in der Konferenz über Jugoslawien in Haag am 18. Oktober 1991 den Vertretern der<br />
ehemaligen Jugoslawischen Teilrepubliken einen Entwurf über den Umbau Jugoslawiens zu<br />
einer Gemeinschaft von souveränen Staaten vorgelegt. Das “Abkommen über die endgültige<br />
Lösung der Jugoslawienkriese” bekannt auch als “Carrington-Plan”, sah die “Gründung<br />
eines freien und auf allumfassenden und über die Kontrollmechanismen verfügbaren<br />
8 Kroatische Erdölindustrie<br />
30
Vereinbarungen bezüglich des Schutzes der Menschenrechte beruhenden Verbandes von<br />
souveränen und unabhängigen Staaten vor, im dessen Rahmen auch ein spezieller Status<br />
für bestimmte Volksgruppen sowie die Anerkennung der darauf bestehenden Republiken<br />
innerhalb der existierenden Grenzen gewährleistet werden”. Dem vorgeschlagenen Plan<br />
stimmten alle Republiken außer Serbien zu. Dann machte auch Montenegro unter Druck von<br />
Serbien seine Zustimmung rückgängig, obwohl sein Präsident Momir Bulatović zuerst den<br />
Plan angenommen hatte. Der Anklagevertreter bei dem Internationalen Strafgerichtshof für<br />
das ehemalige Jugoslawien in den Haag Geoffrey Nice, behauptete, daß durch die serbische<br />
Ablehnung des erwähnten Entwurfes am 18. Oktober 1991 keine Umorientierung Jugoslawiens<br />
hin zu einer Konföderation mit besonderen Rechte für in Kroatien lebende serbische<br />
Volkgruppe stattfinden könnte, was andererseits im Falle der serbischen Zustimmung (schon<br />
damals, Anm. des Autors) ein schnelles Ende des Krieges und die Rettung von Tausenden von<br />
Leben bedeuten würde. 9 So besiegelte die Sturheit der serbischen politischen und der JNA-<br />
Führung das Schicksal Jugoslawiens, und sein blutiger Zerfall konnte nicht mehr aufgehalten<br />
werden. Die RH setze dann auf ein schnelleres Verfahren in Richtung der internationalen<br />
Anerkennung auf. Ihre Forderungen begründete sie, unter anderem, mit den Bestimmungen<br />
der bis dahin gültigen Jugoslawischen Verfassung – Verfassung der SFRJ von 1974, die durch die<br />
Affirmation der Staatlichkeit der Teilrepubliken die Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht<br />
der Völker erlaubte. Dazu beinhalteten die Bestimmungen der Verfassung der SR Kroatien von<br />
1974 folgendes: “das kroatische Volk gründete seinen Staat SR Kroatien unter der Berufung<br />
auf Selbstbestimmungsrecht, einschließlich des Rechts auf Loslösung”. 10<br />
Bis zum Ende des Jahres 1991 eroberte die JNA, unter deren Kommando auch die bewaffneten<br />
Formationen der in Kroatien lebenden aufständischen Serben sowie die serbischen Freischärler<br />
aus Serbien und Bosnien und Herzegowina standen, fast ein Drittel des kroatischen Staatsgebiets.<br />
Dabei begangen die serbischen Extremisten zahlreiche Morde und Verbrechen an Kroaten<br />
und anderen Nicht-Serben, aber auch an serbischer Bevölkerung, die die großserbische Politik<br />
ablehnte. Auf dem eroberten Gebiet riefen die aufständischen Serben am 19. Dezember 1991<br />
die “Republik Serbische Krajina” 11 mit der Hauptstadt Knin aus. Aus diesem unter Aufsicht der<br />
Aufständischen stehenden Gebiet wurde die nicht-serbische Bevölkerung fast ganz vertrieben<br />
und ihr Eigentum zerstört oder geplündert.<br />
In der folgenden Zeit, nachdem die RH am 15. Januar 1992 international anerkannt und in<br />
die Organisation der Vereinten Nationen (kurz OUN) aufgenommen worden war, versuchte<br />
die Regierung der RH mit Hilfe von europäischer und Weltdiplomatie auf friedlichem Wege<br />
die besetzten Teile ihres Territoriums zu reintegrieren. Die Führung der Krajina-Serben aber,<br />
unterstützt durch Serbien und die SR Jugoslawien 12 , lehnte jeden Friedensvertrag, der eine<br />
9 O. Žunec<br />
10 Ustav SFR Jugoslavije – Ustav SR Hrvatske, Exposé von Jakov Blažević, Zagreb, 1974, 224.<br />
11 kurz RSK<br />
12 kurz für die Bundesrepublik Jugoslawien<br />
31
Rückgabe des besetzten Staatsgebiets in die staatsrechtliche Gewalt Kroatiens vorsah, immer<br />
wieder ab, obwohl alle Resolutionen der OUN ausdrücklich davon ausgingen, daß diese Gebiete<br />
als “vorläufig besetzte Teile des kroatischen Hoheitsgebiets” gelten. 13 Für Krajina-Serben gab<br />
es keine andere politische Option, als die Errichtung eines neuen serbischen Staates und sein<br />
Anschluß an Serbien. Besonders ein Zusammenleben mit Kroaten in demselben Staat kam<br />
nicht in Frage. Um die besetzten Teile seines Territoriums zu befreien, mußte Kroatien dann<br />
doch beschränkte Militäroperationen unternehmen.<br />
Im April 1992 stoppte die Kroatische Armee einen Vorstoß der serbischen Verbände aus<br />
Bosnien und Herzegowina in Richtung der Adriaküste, dessen Ziel die völlige Besetzung der<br />
südlichsten Spitze Kroatiens war. Die kroatischen Soldaten durchbrachen dann die Blockaden<br />
um Dubrovnik. Die mit der UNESCO 14 -Urkunde verliehene Altstadt von Dubrovnik wurde<br />
durch die Artillerie der JNA von ihren Stellungen auf den umliegenden Bergen aus beschossen.<br />
Bis Ende Oktober 1992 konnte die Kroatische Armee das besetzte Territorium im Süden<br />
zurückerobern. Im Januar befreite sie gemeinsam mit den Einheiten des Ministeriums des<br />
Inneren der RH das Hinterland von Zadar und stellte durch die Aufstellung einer Pontonbrücke<br />
über Maslenica-Schlucht die Verkhersverbindungen zwischen Norden und Süden Kroatiens<br />
her. Die Übernahme des Wasserkraftswerks “Peruča” in der Nähe der Stadt Sinj ermöglichte<br />
eine regelmäßige Stromversorgung für Dalmatien. Im September 1993 befreiten kroatische<br />
Soldaten und Polizisten die Hochburg Medak, bzw. die sog. Medak-Tasche nahe der Stadt<br />
Gospić, von welcher aus die Krajina-Serben Gospić immer wieder angegriffen und verwüstet<br />
hatten.<br />
Trotz militärischen Niederlagen, lehnte die Führung der Krajina-Serben Anfang 1995 den<br />
Vorschlag der Vertreter der USA 15 , Russlands, Deutschlands und Großbritanniens (“Plan Z-4”)<br />
über eine politische Lösung der Krise in Kroatien ab. Der Vorschlag sah eine ausnahmslos<br />
breite Autonomie für die serbische Bevölkerung in Teilen Kroatiens, wo sie eine Mehrheit<br />
bildete, vor (der sog. UNPA-Sektor Nord und Süd, Umgebung von Glina und Knin). 16<br />
Diese Ablehnung zwang die kroatische Führung eine neue Militär- und Polizeioperation zu<br />
unternehmen. Die kroatischen Kräfte befreiten im Zeitraum zwischen 1. und 4. Mai 1995 im<br />
Verlaufe der Operation “Bljesak” (Blitz) die besetzten Teile Westslawoniens. Als Vergeltung<br />
feuerten dann die Krajina-Serben am 2. und 3. Mai die Raketen auf die Innenstadt von Zagreb<br />
13 Z.B. die Resolutionen 820., 847, 871 vom 17. April, 30. Juni und 4. Oktober 1993, die Resolutionen<br />
908, 947, 958 vom 31. März, 30. September und 19. November 1994, sowie die Resolutionen<br />
981 und 994 vom 31. März und 17. Mai 1995; siehe auch: Specijalna policija MUP-a<br />
RH u oslobodilačkoj operaciji „Oluja“ 1995. (Beilage), Zagreb, August 2008, S. 78-96; http://www.<br />
un.org/documents/.<br />
14 United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization/Organisation der Vereinten<br />
Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur<br />
15 United States of America/Vereinigte Staaten von Amerika<br />
16 D. Marijan, Oluja, Zagreb, September 2007, S. 379-399.<br />
32
und andere kroatische Städte ab. Durch diese feigen und terroristischen Anschläge wurden<br />
in Zagreb sieben Menschen getötet und mehr als hundert verletzt. Mit Raketen wurden<br />
das Kinderkrankenhaus, das Gymnasium in der Križanićeva Straße und andere kulturelle<br />
Einrichtungen und Gebäude getroffen. 17<br />
Die Führung der Krajina-Serben setzte wie immer ihre kompromisslose Politik fort, mit<br />
der Absicht den Rest des besetzten Territoriums der RH abzuspalten und zusammen mit<br />
unter serbischer Kontrolle sich befindlichen Gebieten von Bosnien und Herzegowina an<br />
den geplanten einheitlichen serbischen Staat anzuschließen. Als dieser Prozeß durch die<br />
Vorbereitung des Entwurfes der “Verfassung der Vereinten Serbischen Republik” im Juli<br />
1995 seinen Höhepunkt erreichte, war man sich im klaren, daß das Problem der Besetzung<br />
nur mit einem neuen Militäreinsatz zu lösen wäre. Die letzte Militär- und Polizeioperation,<br />
genannt “Oluja” (Sturm), wurde im Zeitraum von 4. bis 8. August 1995 unternommen.<br />
Norddalmatien, die Lika, die Banovina und Kordun (insgesamt etwa 10.500 km2) wurden<br />
befreit. Die kroatischen Verbände stießen bis an die Staatsgrenze vor und ermöglichten<br />
dadurch der Armee von Bosnien und Herzegowina die Durchbrechung der serbischen<br />
Belagerung von Bihać. Auf diese Weise wurde eine ähnliche humanitäre Katastrophe und ein<br />
ähnliches Massaker wie in Srebrenica, als im Juli 1995 die serbischen Truppen mehr als 8000<br />
Bosniaken – bosnische Muslime - getötet haben, verhindert. Unter serbischer Besetzung<br />
blieb nur noch der sog. UN-Sektor Ost, der die Baranja und einen Teil Westslawoniens und<br />
Westsyrmiens (etwa 4,5 % des Gesamtterritoriums der RH) umfasste.<br />
Neben der Befreiung seines eigenen Staatsgebietes trug Kroatien bedeutend auch der<br />
Befreiung des okkupierten Territoriums von Bosnien und Herzegovina bei. So befreiten die<br />
kroatischen Streitkräfte (Kroatische Armee und Kroatischer Verteidigungsrat) z.B. aufgrund<br />
des Abkommens zwischen den Präsidenten der RH und Bosnien und Herzegowinas<br />
(Deklaration von Split vom 22. Juli 1995) und aufgrund der Koordination mit der Armee von<br />
Bosnien und Herzegowina, etwa 1600 km² Ende Juli 1995 (Operation “Ljeto ‘95”/Sommer<br />
‘95), etwa 2500 km² im September (Operation “Maestral”/Mistral), und etwa 800 km²<br />
(Operation “Južni potez”/Südlicher Einsatz) des Südwestens und Westens des Nachbarstaates<br />
im Oktober 1995. Bei allen diesen Operationen handelte es sich um die Befreiung der unter<br />
serbischen Kontrolle stehenden Gebietsteile Kroatiens und Bosniens. Diese Aktionen<br />
erzwangen auch die Unterzeichnung des Abkommens von Dayton im November 1995 und<br />
damit auch das Ende des Krieges in den beiden Staaten, der mit der Aggression der JNA und<br />
der serbischen paramilitärischen Verbände auf die RH angefangen hatte.<br />
Nämlich, erst als die Führung der Krajina-Serben auf dem unter ihrer Kontrolle<br />
übriggebliebenen Territorium der RH nach der Militäroperation “Oluja” und der Niederlagen<br />
der Armee der Serbischen Republik in Bosnien und Herzegowina, die Schädlichkeit ihrer<br />
eigenen Politik und die Entschlossenheit der Kroaten ihr Staatsgebiet zu befreien, begriffen<br />
17 Damir Luka Saftić, „Kod Šoštarićeve prvi trg civilnim žrtvama“, Večernji list, 8. 3. 2007, 26.<br />
33
hatte, stimmte sie den vorgelegten Vorschlägen und einer friedlichen Lösung des Konflikts<br />
zu. So unterschrieben die Vertreter der aufständischen Serben aus Ostslawonien, der Baranja<br />
und aus Westsyrmien in Erdut am 12. November 1995 das “Grundlegende Abkommen<br />
über die friedliche Reintegration dieses Gebiets in das staatsrechtliche Staatsgebiet der<br />
RH”. Am selben Tag unterzeichnete der Vertreter der Regierung der RH Hrvoje Šarinić das<br />
Abkommen in der Präsidentschaftsresidenz in Zagreb. 18<br />
Das erwähnte Abkommen (“Erdutski”/Abkommen von Erdut), das durch zahlreiche<br />
Zugeständnisse an die Krajina-Serben die Unzufriedenheit der aus diesem Gebiet<br />
vertriebenen Kroaten hervorgerufen hatte, bewies die Konsequenz der kroatischen Politik<br />
in ihrem Bestreben, die Probleme mit aufständischen Serben durch Verhandlungen und<br />
auf friedlichem Wege zu lösen, auch wenn man schmerzvolle Kompromisse eingehen<br />
mußte. Das Abkommen über die friedliche Reintegration Ostslawoniens, der Baranja<br />
und Westsyrmiens in das Staatsgebiet der RH, wurde auch durch den UN-Sicherheitsrat<br />
am 23. November 1995 angenommen (Resolution 1023). Für die Dauer der erwähnten<br />
Friedenssicherungsmission bis 15. Januar 1998, als kroatisches Donaugebiet (bzw.<br />
Ostslawonien, die Baranja und Westsyrmien) endlich wieder unter die Kontrolle Kroatiens<br />
gestellt wurde, richtete der OUN-Sicherheitsrat (Resolution 1037 vom 15. Januar 1996)<br />
eine “Übergangsverwaltung der OUN in Ostslawonien” ein. Damit übernahm Kroatien,<br />
einige Grenzkonflikte mit Nachbarstaaten ausgenommen, die völlige Gewalt über seine<br />
international anerkannten Grenzen.<br />
18 Hrvoje Šarinić, Svi moji tajni pregovori sa Slobodanom Miloševićem 1993-95 (98), Zagreb,<br />
1999, S. 311.<br />
34
Sie sind unsere Wahrheit<br />
Karlo hatte erst seit kurzer Zeit seinen Mittelschulabschluß, den er in seinem<br />
Borovo kriegte. In diesem Herbst riet er immer wieder seiner Mutter nach<br />
Zagreb zu seiner Schwester zu fahren. Sie studierte, um einmal ihrer<br />
Stadt helfen zu können. Über Nacht wurde Karlo zu einem Mann. Mit seinen<br />
Altersgenossen und seinem Vater Josip blieb er, um sein Elternheim zu schützen. Es<br />
war alles was sie hatten, alles was sie sich mit viel Mühe erarbeiteten. Die feindliche<br />
Schnellfeuer traf ihn etwa hundert Meter weiter, in der Trpinjska Straße, in der<br />
Straße der Helden. Der kleine Held oder das was von ihm übrig blieb, wurde in eine<br />
karierte Decke eingebetet und auf dem Gelände des Stadions begraben.<br />
Wer hörte den heiseren Wehgeschrei des Vaters angesichts des Granatendonners?<br />
Wer sah die Tränen angesichts des Rauchs der Brandstätte?<br />
Der Körper des Vaters sank in sich an der Schwelle des Familienhauses. Er wurde auf<br />
dem Gelände einer naheliegenden Gärtnerei begraben. Vater und Sohn wurden aus<br />
dem Friedhof Novo groblje (Neuer Friedhof) in Vukovar im Juni 1998 exhumiert.<br />
Die karierte Decke war das einzige Erkennungszeichen von kleinem Karlo. Die Uhr,<br />
die noch tickte – das Erkennungszeichen seines Vaters Josip.<br />
Marica stand stumm am 13. Juni oberhalb der sterblichen Überresten ihres Sohnes<br />
Karlo und ihres Ehemanns Josip, als man von ihnen letzten Abschied genommen<br />
hatte. Sie begrub ihre Vergangenheit und ihre Zukunft.<br />
Am diesen Tag feierte man in Vukovar eine Hochzeit. Karlos Altersgenossen hupten<br />
mit einer Hand und die andere, die sich erst neulich des Gewehrs entledigte, hielten<br />
sie mit drei ausgestreckten Fingern in der Luft. An der Spitze der Kolonne flatterte<br />
die serbische Flagge.<br />
Marica begegnete der Zukunft, am 13. Juni des Jahres 1998 in Kroatischem<br />
Vukovar.<br />
Vukovar hat uns allen nicht gleich tiefe Wunden geschlagen, das braucht es nicht<br />
und muß es nicht! Aber wer darf die Wahrheit verleugnen?<br />
Ljerka Ivušić<br />
37
Ante Nazor<br />
AGGRESSION SERBIENS, BZW.<br />
DER JNA UND DER SERBISCHEN<br />
PARAMILITÄRISCHEN VERBÄNDE<br />
AUF VUKOVAR IM JAHR 1991<br />
39
Eintreffen der Flüchtlinge aus Dalj, Erdut und Aljmaš in Nemetin, 1. August 1991<br />
40
Die Unabhängigkeitserklärung der RH am 8. Oktober 1991 löste eine Welle<br />
der Begeisterung unter den Verteidigern und allen Bürgern, die Kroatien<br />
als ihre Heimat empfunden haben. Mit großer Freude empfang man diese<br />
Nachricht auch in Vukovar, besonders weil das kroatische Parlament am selben Tage<br />
alle staatlichen und militärischen Einrichtungen beauftragte, alle verfügbare Mittel<br />
als Hilfe für Vukovar zu bestimmen. Die Stadt, die zu diesem Zeitpunkt schon als<br />
Verteidigungssymbol Kroatiens galt, wurde gerade neuen und noch heftigeren Angriffen<br />
seitens der serbischen Kräfte ausgesetzt.<br />
Gewiß ist dieser Aggression ein langwieriger Überzeugungsprozeß der lokalen<br />
serbischen Bevölkerung über die Ünmöglichkeit eines Zusammenlebens mit Kroaten<br />
vorausgegangen. Diese Propaganda begann nach der Veröffentlichung des SANU 19 -<br />
Memorandums als ein Teil eines von großserbischen Ideologen ausgedachten<br />
Plans, der für die Ausweitung auf die Gebiete der serbisch dominierten Gemeinden<br />
in Kroatien (in welchen die Serben eine absolute oder wenigstens eine relative<br />
Mehrheit der Bevölkerung bildeten) vorbereitet war. Dieser Prozeß gewann an<br />
Intensität als in Kroatien das Mehrparteinsystem eingeführt wurde. Seine weitere<br />
Dynamik wurde von wichtigen politischen Ereignissen beeinflußt: von ersten freien<br />
Wahlen für alle drei Häuser des Parlaments der RH im April und Mai 1990, von der<br />
Konstituierung des neuen Parlaments der RH am 30. Mai 1990, und nicht zuletzt<br />
von der Verabschiedung einer neuer Verfassung der RH am 22. Dezember 1990, die<br />
von der Mehrheit der Serben-Vertreter in Kroatien abgelehnt wurde, obwohl in der<br />
Verfassung alle nationalen und anderen Grundrechte und Freiheiten eines jeden<br />
Menschen und Bürgers gewährleistet wurden.<br />
Nach der Volkszählung von 1991 hatte die Gemeinde Vukovar 84.189 Einwohner:<br />
davon waren 36.910 Kroaten (43,8%), 31.445 Serben (37,4%), 1375 Ungarn (1,6%), 6124<br />
(7,3%) deklarierten sich als Jugoslawen und 8335 (9,9%) als andere oder unentschiedene.<br />
In der Stadt Vukovar lebten 1991 insegesamt 44.369 Einwohner: darunter 21.065<br />
Kroaten (47,2%), 14.425 Serben (32,3%), 919 Russinen (2,1%), 694 Ungarn (1,5%), 147<br />
Slowaken (0,3%), 94 Deutschen (0,2%), 4355 deklarierten sich als Jugoslawen (9,8%)<br />
und 2940 (6,6%) als andere oder unentschiedene.<br />
19 kurz für Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste<br />
41
Bei den ersten freien Wahlen im Jahr 1990 wurden in den Rat der Gemeindeversammlung<br />
der damaligen Gemeinde Vukovar 114 Räte gewählt („Komiteemitglieder“): 46 Kroaten,<br />
42 Serben, 17 Jugoslawen, 4 Montenegriner, 1 Muslim, 1 Ungar, 1 Russine, 1 Ukrainer<br />
und 1 Bulgare. Nach der Parteienangehörigkeit kamen 59 Räte aus den Reihen des<br />
Bundes der Kommunisten Kroatiens – bzw. der Partei der demokratischen Änderungen<br />
(kurz SKH-SDP), 26 aus der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (kurz HDZ),<br />
18 waren unabhängig, 7 gehörten zum Sozialistischen Bund, und je einer gehörte zu<br />
SSOH, 20 zu Gewerkschaften, Unternehmen und Bürgergruppen.<br />
Die politische Situation in Vukovar verschärfte sich nach der Rede, die in der<br />
Gründungsversammlung der Serbischen Demokratischen Partei (kurz SDS) am 10. Juni<br />
1990, ihr Vorsitzender Jovan Rašković in Adica, einem Ausflugsort von Vukovar, hielt.<br />
Der Druck der großserbischen Politik in Ostslawonien und in der Gemeinde von Vukovar<br />
verstärkte sich insbesondere durch eine „Serie“ von Volksversammlungen im Februar und<br />
März 1991. In diesen Versammlungen lehnten die anwesenden Serben immer wieder die<br />
Verfassung der RH ab und bedrohten Kroaten und kroatische Führung. Wie auch anderswo<br />
in Kroatien, wurden die Spannungen immer stärker, besonders nach einem bewaffneten<br />
Zusammenstoß zwischen der kroatischen Polizei und den serbischen Extremisten bei den<br />
Plitvicer Seen am 31. März 1991. Die Extremisten stellten gleich die Barrikaden in Borovo<br />
Selo und in anderen serbisch dominierten Dörfern der Vukovarer Gemeinde auf – in Pačetin,<br />
Bobota, Bršadin, Negoslavci und Trpinja. Bei der Barrikade in Bršadin beschossen sie am<br />
2. April einen privaten Pkw, wobei die Beifahrerin schwer verletzt wurde.<br />
Danach hielten in Volksversammlungen der Serben im April in Borovo Selo und<br />
in Jagodnjak in der Baranja staatliche und politische Amtsträger aus Serbien – der<br />
serbische Minister Stanko Cvijan und der Delegierte des serbischen Parlaments Milan<br />
Paroški sowie der Tschetnikführer und Vorsitzende der Radikalen Partei in Serbien<br />
Vojislav Šešelj, ihre Reden über Gründungspläne eines einheitlichen und einen Großteil<br />
des kroatischen Staatsgebietes umfassenden großserbischen Staates. Sie bedrohten<br />
öffentlich Kroaten auf kroatischem Staatsgebiet. Auch die Rede von Milan Paroški in<br />
Jagodnjak, in der man sich auf das “Recht auf Mord” berief, war eigentlich ein Aufruf<br />
zur Rebellion gegen die kroatische Führung und zur Abrechnung mit Kroaten:<br />
Das hier ist das serbische Territorium und es soll ihnen (Kroaten) klar gemacht<br />
werden, daß sie die Neuankömmlinge sind. Demnach, wer auch immer kommt<br />
und sagt, dies sei sein Land, der ist ein Aufständischer, und da er kam, um zu<br />
töten, den kann man auch wie einen Hund töten! (Auszug aus der Rede von<br />
Milan Paroški, Delegierten des serbischen Parlaments am 21. April 1991 in<br />
Dorf Jagodnjak in der Baranja in der Republik Kroatien).<br />
20 kurz für Bund der sozialistischen Jugend Kroatiens<br />
42
Durch die Entsendung des Ministers des Inneren Josip Boljkovac und seines<br />
Stellvertreters Slavko Degoricija nach Vukovar am 15. April 1991, versuchte die<br />
kroatische Führung durch neue Verhandlungen mit den Vertretern der politischen<br />
Parteien und serbisch dominierten Dörfer, die bewaffneten Konflikte, die das Vukovarer<br />
Umland bedrohten, zu verhindern. Leider führte diese aggressive und hetzerische<br />
Rhetorik der serbischen Politiker am 2. Mai 1992 zu einem Scharmützel in Borovo<br />
Selo bei Vukovar, als lokale und aus Serbien eingetroffene serbische Freischärler aus<br />
einem Hinterhalt 12 kroatische Polizisten töteten und mehr als 20 verwundeten. Die<br />
Namen der getöteten Polizisten lauten: Ivica Vučić aus Vinkovci, Luka Crnković und<br />
Zoran Grašić aus Otok, Marinko Petrušić aus Tovarnik, Antun Grbavac aus Nijemci,<br />
Mladen Šarić aus Novi Jankovci, Stipan Bošnjak und Zdenko Perica aus Nuštar, Željko<br />
Hrala und Janko Čović aus Ivankovo, Josip Culej aus Jarmina und Mladen Čatić aus<br />
Županja. Auch auf serbischer Seite wurden Menschen getötet und verwundet. Am<br />
selben Tag, bei Polača nahe Zadar, kam der kroatische Polizist Franko Lisica ums<br />
Leben. Nach diesen blutigen Ereignissen, begann man nicht nur im Umland von<br />
Vukovar, sondern in ganz Kroatien mit intensiven Kriegsvorbereitungen.<br />
Um die Situation zu beruhigen, trafen am 9. Mai in Vukovar die Delegationen<br />
des Exekutivrates des (Jugoslawischen) Bundes und der Regierung der RH ein.<br />
Auch die Verbände der JNA wurden “wegen der Aufrechterhaltung der Trennung<br />
zwischen kämpferischen Seiten” entsprechend eingeteilt. Es stellte sich aber<br />
Borovo Selo, 2. Mai 1991<br />
43
heraus, daß ihre Aufgabe eigentlich darin bestand, die kroatische Polizei beim<br />
Versuch der Herstellung der öffentlichen Ordnung und Sichherheit zu verhindern,<br />
sowie die Stellungen für die schon geplanten Angriffe zu beziehen. Obwohl die<br />
Spannungen durch die Verhandlungen vorläufig beruhigt werden konnten, wurden<br />
die Erwartungen bezüglich der Lösung der Probleme zwischen der serbischen<br />
Extremisten und der kroatischen Führung in Ostslawonien durch die Bewaffnug der<br />
serbischen Bevölkerung in Dörfern Mirkovci, Markušica, Tenja, Bijelo Brdo, Borovo<br />
Selo, Bršadin, Pačetin, Trpinja, Bobota, Vera, Negoslavci sowie durch das Eintreffen<br />
verschiedener Freischärler-Gruppen in die erwähnten Dörfer, schwer erschüttert. Bis<br />
Ende Juni 1991 wurden diese Dörfer zu den terroristischen Hochburgen und Basen<br />
für Angriffe auf Osijek, Vinkovci und Vukovar.<br />
Die kroatische Führung rüstete sich auch für den Krieg aus, indem man seine<br />
Streitkräfte aufgrund der gültigen Vorschriften auf der Bundes- und Republikebene<br />
im Rahmen des Innenministeriums aufzustellen begann. So trafen in Vukovar im<br />
Mai die Einheiten der Spezialpolizei aus Slavonski Brod und im Juni die Polizisten<br />
der Polizeiverwaltungen Varaždin und Čakovec (Gespanschaften Varaždin und<br />
Međimurje) ein. In ihrem Verteidigungsdienst wechselten sie sich in Schichten mit den<br />
Polizeieinheiten der Polizeiverwaltungen Osijek, Vinkovci, Županja und Zabok, aus.<br />
Die Polizeikräfte wurden ständig ersetzt bis zur völligen Einschließung von Vukovar.<br />
Im Juni wurden bei Opatovac das Bataillon “Zrinski” und bei Principovac nahe Ilok<br />
die 1. Brigade der Nationalgarde (“Volksgarde”) der RH sowie das 4. Bataillon der 3.<br />
Brigade der Nationalgarde aufgestellt. Um Vorbedingungen für die Organisierung<br />
einer ungehinderten Logistikkette um Vukovar zu schaffen, fing man schon im April<br />
mit dem Aufbau von Verbindungslinien zwischen den Dörfern Bogdanovci und<br />
Marinci an. Diese Kommunikationskette wird nach ihrer Beendigung Ende Juli eine<br />
sehr große Bedeutung für die Verteidigung von Vukovar haben.<br />
Die Situtation im Vukovarer Umland verschärfte sich erneut am 27. Juni, als die<br />
JNA Slowenien angriff. Am diesen Tag umzingelte die JNA mit 20 Panzer und<br />
Panzerwagen den Silo Đergaj bei Bršadin um, und forderte, daß sich die Soldaten<br />
der Nationalgarde, die den Silo mit dem Getreide der Kroatischen Warenreserve<br />
schützten, zurückziehen. In die Dörfer Trpinja und Bršadin wurde man erst nach<br />
der Kontrolle der JNA und der bewaffneten serbischen Zivilisten durchgelassen. In<br />
Borovo Selo trafen dazu sechs Busse mit „Freiwilligen“ aus Serbien an. Durch die<br />
serbisch dominierten Dörfern fuhren ständig die Militärfahrzeuge der JNA und bei<br />
Šid, an der Grenze zwischen Kroatien und Serbien, nahmen Artillerie und starke<br />
Panzereinheiten der JNA ihre Stellungen ein. Zu den Provokationen des Militärs<br />
gesellte sich auch die serbische Miliz.<br />
Am folgenden Tag, den 28. Juni 1991, verübte eine Gruppe von etwa dreißig<br />
serbischen Terroristen einen Anschlag auf einen kroatischen Kontrollpunkt in Borovo<br />
44
Naselje. Der Angriff wurde abgewehrt, aber die Angriffe der<br />
aufständischen Serben auf Borovo Naselje wurden mit Hilfe<br />
von „Freiwilligen“ aus Serbien und der JNA fortgesetzt. Ihr<br />
Ziel war es, die Stellungen für den offenen Überfall auf<br />
Vukovar zu beziehen. Einen erneuten Angriff wehrten die<br />
kroatischen Gardisten und Polizisten am 4. Juli ab. Durch<br />
die Angriffe der serbischen Verbände Anfang Juli auf Borovo<br />
Naselje, Tenja bei Osijek und Dorf Ćelije, das rasch verlassen Marin Vidić „Bili“<br />
und verbrannt wurde, sowie auf Stellungen der Nationalgarde in Čakovci, Erdut,<br />
Opatovac, Sotin und Principovac, begann sich der Krieg unaufhaltsam auf ganz<br />
Ostslawonien auszuweiten. Die Räumung der serbischen Familien aus Vukovar im<br />
Juli war ein Zeichen für einen bevorstehenden heftigen Angriff der JNA auf die Stadt.<br />
Schon damals wurde Vukovar einige Male durch die Artillerie der JNA von Trpinja,<br />
Orlovača und Borovo Selo aus beschossen. Unter diesen Umständen besuchte der<br />
Präsident der RH Franjo Tuđman die Stadt am 21. Juli 1991. Er war in Begleitung<br />
des Koordinators des Krisenstabs für Slawonien und die Baranja Vladimir Šeks,<br />
des Ministers für die Emigration und des Stellvertreters des Verteidigungsministers<br />
Gojko Šušak sowie des Stellvertreters des Ministers des Inneren Slavko Degoricija.<br />
Zum Beauftragten der Regierung für Vukovar wurde Marin Vidić-Bili ernannt.<br />
Als der höchste zivile Amtsträger in der Stadt, teilte er mit seinen Bürgern ihr<br />
kriegerisches Schicksal bis zum Ende der Stadtbelagerung und auch weiter während<br />
der Gefangenschaft in Sremska Mitrovica.<br />
“… Während der letzten Tage dachte man immer wieder darüber nach, die Stadt dem<br />
Aggressor doch zu übergeben und wegzugehen. Eigentlich sollte man über eine geistigphysische<br />
und zivilisierte Übergabe von Menschen sprechen müssen, da eine Stadt<br />
eigentlich die Menschen ausmachen. Die Übergabe vereinbarte man im Rahmen der<br />
Möglichkeiten. In fast allen Unterkünften und im Krankenhaus wurden die Namen der<br />
Menschen verzeichnet, damit man später bestätigen kann, daß sie am Leben waren,<br />
daß sie sich in einer bestimmten Unterkunft aufhielten, und daß sie auch in einem<br />
bestimmten Bus ihren Platz nahmen. Wir taten all das, um zu verhindern, was sich nach<br />
der Okkupation doch ereignete. (…) Das einzige offizielle Gespräch über die Art und<br />
Weise sowie Zeitfolge der Übergabe führte man im Vukovarer Krankenhaus mit Veselin<br />
Šljivančanin. Bei diesem Treffen waren Vertreter der Internationalen Gemeinschaft,<br />
ein Übersetzer, Šljivančanin, Vesna Bosanac und ich anwesend. Wir wollten die<br />
Dokumentation und Namenverzeichnisse Šljivančanin überreichen, aber er lehnte es<br />
ab, warum er das tat, wurde uns später klar. …” (Auszug aus dem Interview mit Marin<br />
Vidić–Bili, “Vukovar, 18. studenoga 1991”, Vjesnik, 18. November 2005, S. 40)<br />
Am nächsten Tag, den 22. Juli, beschossen die JNA-Kampfflugzeuge zwei Stützpunkte<br />
der 1. Brigade der Nationalgarde in Ostslawonien bei Pustara in Novi Čakovci (2<br />
45
Tote, 2 schwer und einige leicht verwundeten Gardisten) und bei Opatovac bei Ilok<br />
(einige leicht verwundete Gardisten) mit Raketen. Der Luftangriff der JNA wurde<br />
erneut am 27. Juli 1991 durchgeführt. Während des Raketenbeschusses von Opatovac<br />
und Principovac nahe Ilok wurden 4 Gardisten verletzt.<br />
Ein neues Verbrechen im Umland von Vukovar wurde am 1. August durch serbische<br />
Extremisten verübt, als sie durch die Unterstützung der JNA, während eines<br />
Angriffs auf Dalj, Erdut und Aljmaš 39 kroatische Verteidiger töteten: 20 Polizisten,<br />
15 Gardisten und 4 Mitglieder des Zivilschutzes. Einige von ihnen wurden in der<br />
Gefangenschaft massakriert. Kroatische Polizisten und Gardisten stellten danach<br />
am 3. August den Statdteil Lužac unter Kontrolle, und somit konnten sie auch den<br />
sog. „Maisweg“ halten, der während der Belagerung Vukovar mit Vinkovci über<br />
Bogdanovci und Marinci verbindete. Um Ermutigung zu spenden, besuchte am 8.<br />
August der neuernannte kroatische Regierungschef Franjo Gregurić in Begleitung<br />
von Vladimir Šeks die Stadt. Die Bedeutung der Stadt für die Verteidigung der RH<br />
betonte am 11. August auch der neuernannte Verteidigungsminister der RH Luka<br />
Bebić, der am 23. August in Vukovar eintraf.<br />
Bewaffnete Angriffe und Provokationen der serbischen Paramilitärs und der JNA<br />
wurden im August zum Alltag. Die Zahl der Übeflüge der JNA-Kampfflugzeuge, die<br />
die Stützpunkte der Nationalgarde und kroatischen Polizei raketierten, wurde immer<br />
größer. Aber am Samstag, den 24. August, schoß der kroatische Verteidiger Luka<br />
Andrijanić züruck und traf zwei JNA-Kampfflugzeuge, die gerade den Silo Đergaj bei<br />
Bršadin angegriffen haben. Die Jugo-Armee bestätigte, das sie ein ihrer Flugzeuge<br />
verloren hatte. Das war das erste abgeschossene Flugzeug der JNA im Heimatkrieg. Zu<br />
dieser Zeit wurde Vukovar auch seitens der Nationalgarde aufgrund des Fahrverbotes<br />
von Militärfahrzeugen, die sich nur nach einer Durchsuchung und in Begleitung<br />
bewegen durften, blockiert. Der einzige noch irgendwie sichere Ausgang aus der<br />
Stadt war die Straße Vukovar-Bogdanovci-Marinci-Nuštar-Vinkovci.<br />
Erinnerung an Luka Andrijanić<br />
Luka Andrijanić<br />
Nach Vukovarer Verteidiger Josip Jakobović, befiehl am<br />
24. August 1991 um etwa 12 oder 13 Uhr Kommandant<br />
der Nationalgarde (4. Bataillon der 3. Brigade) Ivica<br />
Arbanas, den strategischen Stützpunkt Silo Đergaj<br />
zu verteidigen: Wir wußten, daß sie kommen, um den<br />
Silo Đergaj und davor Osijek anzugreifen, weil wir ihre<br />
Rundfunkmeldungen abgehört haben. Der Silo und 20<br />
Leute dort mußten geschützt werden. Die Mannschaft<br />
der Flugabwehrkanone 20/3 oder einfach PAT, in<br />
Zusammensetzung Kommandant Luka Andrijanić, dann<br />
46
Stützpunkt an der Bosanska Straße mit Aussicht auf Silo Đergaj, wo am 24. August 1991 die<br />
Flugabwehrkanone, mit welcher Luka Andrijanić die JNA-Kampfflugzeuge traf, aufgestellt wurde (das<br />
Photo ist eine Schenkung von Josip Jakobović)<br />
Antun Bekčević und Zvonimir Hincak, brauchte einen Fahrer und einen Topographen,<br />
und unser tüchtiger “Herr Doktor” (Ivan Anđelić) sagte: „Wir haben den Mann dafür.<br />
Komm Josip! Du führst die Mannschaft an, du kennst das Terrain.“ Bis dahin sah ich die<br />
erwähnte Flugabwehrkannone nur im Film und auf dem Bild. Aber bei einem Meister<br />
wie unser Luka, lernt man alles sehr schnell.<br />
In Übereinstimmung mit dem Befehl von Ivica Arbanas, meldete man sich vor der<br />
Einnahme der Stellung in Bosanska Straße in Borovo Naselje bei dem Kommandanten<br />
Blago Zadro, da dieses Gelände zu seinem Zuständigkeitsbereich gehörte. Um 14<br />
Uhr griffen die JNA-Kampfflugzeuge Osijek auf, und dan flogen vier “Super Galeb”<br />
(Super Möwe) in Richtung Vukovar. Als sie das Feuer eröffneten, Luka Andrijević<br />
erwiderte es: Luka begann zu schießen, und ich sah nur zu. Ich verstand nicht warum<br />
ein Flugzeug G-4 gegen Marinci an Höhe zu verlieren anfing, und ein anderes qualmte,<br />
blieb für eine Sekunde stehen und dann in einem Tiefflug nach Serbien verschwand.<br />
Wir sahen zu, als sich zwischen Bršadin und Marinci der schwarze Rauchpilz erhebte,<br />
und Luka bemerkte darauf: „Dieses ist abgestürzt“. Aber die beiden waren abgestürzt.<br />
Einige Minuten später sah man die Mig-Kampfflugzeuge der JNA, aber dieses Mal<br />
in einem hohen Flug, da sie wußten was sie erwartete. Den Hubschrauber mit dem<br />
Erkennungszeichen des Roten Kreuzes, der den verwundeten Pilote abzuholen kam,<br />
ließen wir durch, weil wir doch Gardisten waren. Nach zwei Tagen, am 26. August 1991,<br />
während eines allgemeinen Angriffs auf Vukovar, stellten wir wieder einsatzbereit unser<br />
47
PAT 20/3 beim Wasserturm auf. Am rechten Donauufer warteten wir auf “Mücken”.<br />
So nannten wir die Kampfflugzeuge der JNA. Und was macht man mit Mücken? Sie<br />
werden natürlich bestäubt. Dann brachte man wieder ein Kampfflugzeug des Typs „Mig<br />
21“ und ein des Typus „G-4“ zum Absturz. Am selben Tag gingen wir zur Trpinjska<br />
und Hercegovačka Straße, um zu helfen. Als Verstärkung kam auch Marin Balić zur<br />
Mannschaft, aber sie verlor Zvonimir Hincak. Wir beteiligten uns an der Verteidigung<br />
der gerade erwähnten Straßen ...<br />
Jeden Tag lernten wir uns ein bißchen besser kennen, unsere Tugenden und unsere<br />
Fehler. Unser Luka teilte uns mit, daß er bald Geburtstag hat. Wir versuchten nur Ruhe<br />
zu bewahren. Jeden Tag wurde geschossen. Raketen und Granaten schlugen ständig ein.<br />
Ich denke, damit ist alles gesagt. Wir sollten das Gelände vor uns mit Minen belegen,<br />
aber da waren keine Soldaten des Sprengkommandos in Sicht. Eines Tages werden sie<br />
kommen und die Minen da lassen. Sie werden versprechen, bald zurückzukommen,<br />
wenn sie Zeit haben werden. Unser Luka fand keine Ruhe, er entschloss sich, die Minen<br />
selbst zu legen. Er erzählte, er erinnere sich wie das bei der JNA gemacht wurde, aber in<br />
diesem Moment begannen Granaten und Raketen von Mehrfachraketenwerfern (kurz<br />
VBR) einzuschlagen. Vielleicht war er überrascht. Er kam am 20. September 1991 ums<br />
Leben, drei Tage vor seinem zwanzigsten Geburtstag.<br />
Was könnte man über einem Menschen sagen, der gerade seinen Wehrdienst bei der<br />
JNA in Batajnica leistete und sich mit PAT 20/3 auskannte? Was ist über einem Mann<br />
mit einem sanften Lächeln und großem Herz zu sagen, der am 23. September 1971<br />
in Bosanski Brod geboren wurde, in Velika Brusnica lebte, aber dann gerade nach<br />
Vukovar kam, um Kroatien zu verteidigen. Wir, die älteren, wir dachten, er würde von<br />
uns lernen, aber es war umgekehrt, er war der Lehrer, obwohl wir uns dessen damals<br />
nicht bewußt waren. (Gekürzte Fassung des Textes „Sjećanje na Luku Andrijanića“<br />
[Erinnerungen an Luka Andrijanić], der von Josip Jakobović, Vukovarer Verteidiger<br />
und Lukas Mitkämpfer, verfaßt wurde.)<br />
Aber alle diese Geschehenisse waren nur ein Vorspiel, wenn man sie mit am 25. August<br />
angefangenen Angriffen vergleicht. Am 25. August schwankte ein in einer Kolonne<br />
von Vukovar nach Borovo Selo fahrendes Militärfahrzeug der JNA von Borovska<br />
Straße ab und fuhr auf eine Panzerabwehrmine, wobei einige der JNA Soldaten<br />
verunglückten. Dieses Unglück war der Anlaß für den nächsten heftigen Anschlag<br />
auf die Stadt. Eine Kolonne von Panzerwagen der JNA wurde in den Morgenstunden<br />
in Bogdanovačka Straße gestoppt, als unter einer Unterführung ein Panzer der JNA<br />
beschädigt wurde; an diesem Tag aber zerstörten die Verteidiger einen Panzer und<br />
setzten drei außer Gefecht. Zwei Lkws steckten sie in Brand. Die JNA-Kampfflugzeuge<br />
beschossen mit 30 Luft-Boden Raketen die kroatischen Stützpunkte bei Vukovar und<br />
Opatovac sowie den Silo Đergaj. Die Jugo-Armee wurde durch die aufständischen<br />
Serben von Borovo Selo, Trpinja und Bršadin sowie vom Vukovarer Vorort Petrova<br />
Gora, unterstützt.<br />
48
Zentrum von Vukovar, 7. September 1991 (Autor: Mario Filipi)<br />
49
Tomislav Merčep<br />
Mile Dedaković “Habicht“<br />
50<br />
Durch diesen Panzer-, Artillerie-, und Luftangriff begann<br />
die offene serbische Aggression auf Vukovar und eine<br />
ununterborochene dreimonatige Bombardierung der Stadt<br />
mit allen verfügbaren Waffen, wobei auch die verbotenen<br />
Kassetten- und Phosphorbomben abgeworfen sowie Giftgase<br />
eingesetzt wurden. Man griff die Stadt vom Boden, Wasser<br />
(die Kriegsschiffe der JNA auf der Donau) und aus der Luft<br />
an, bzw. aus der Richtung von Borovo Selo, Trpinja, Bršadin,<br />
Negoslavci, Lipovača, Sotin, Dalj, sowie aus der Kasarne der JNA in Vukovar, vom Vorort<br />
Petrova Gora, aus der Vojvodina und aus Serbien. Bei Šid trafen ständig die neuen Kolonnen<br />
der JNA-Militärfahrzeuge aus Serbien ein. Die JNA und die serbischen Paramilitärs<br />
koordinierten nach den Plänen des Generalstabs der Streitkräfte der SFRJ in Belgrad ihre<br />
Wirkung, bzw. sie standen gemeinsam unter dem Kommando der “Offizieren” der JNA.<br />
Der Kommandant des 1. Militärdistrikts, vom September 1991 der Oberbefehlshaber<br />
aller Landestreitkräfte der SFRJ, die in Slawonien, in der Baranja und Westsyrmien<br />
eingesetzt wurden, Generaloberstleutnant Života Panić erzählte in der BBC-Sendung Smrt<br />
Jugoslavije, daß “Arkans Tiger und Tschetniks von Šešelj unter seinem Kommando standen”.<br />
Bezüglich der geleisteten Ergebnisse der JNA im Krieg gegen Kroatien 1991, führte der<br />
damalige Bundessekretär für Volksverteidigung der SFRJ General Veljko Kadijević in<br />
seinem Buch Moje viđenje raspada (S. 137) an, daß die „Hauptgruppe des Heeres der<br />
JNA, die hauptsächlich aus Panzerverbänden in Ostslawonien bestand, zwei Aufgaben<br />
hatte: Befreiung aller serbisch dominierten Gebiete in Ostslawonien sowie als wichtigste<br />
Manöverkraft des Oberbefehls für den Durchbruch in Richtung Zagreb und Varaždin<br />
in Bereitschaft zu stehen“. Neben der Militärführung der JNA waren für die aus Serbien<br />
unternommenen Angriffe gegen Kroatien allerdings auch die damalige politische Führung<br />
Serbiens und die Führung der selbstproklamierten “Krajina” mit dem Präsidenten Goran<br />
Hadžić verantwortlich. Die serbische Regierung stimmte stillschweigend der Aufstellung<br />
der paramilitärischen Verbände in Serbien zu, die später in Kroatien eingesetzt wurden,<br />
unterstützte sie sogar. Durch ihre Brutalität zeichneten sich<br />
besonders die Einheiten von Vojislav Šešelj, Željko Ražnatović<br />
Arkan, Mirko Jović sowie andere Paramilitärs aus.<br />
Bis Mitte August, als Tomislav Merčep das Amt des Mitarbeiters<br />
des Ministers des Inneren übernahm, hatte er als Sekretär des<br />
Sekretariats für Volksverteidigung der Stadt Vukovar eine<br />
führende Rolle in der Verteidigung von Vukovar. Sein Amt<br />
in Sekretariat erbte Danijel Rehak und gemäß einer internen<br />
Vereinbarung unter den Kommandanten von Vukovar das<br />
Kommando über die Stadtverteidigung und der Reserve<br />
der Nationalgarde übernahm vorläufig Ivica Arbanas, der<br />
Kommandant des 4. Bataillons der 3. Brigade der Nationalgarde.
Aber um die Verteidigung zu verstärken und die Leistung<br />
der Verteidiger zu vergrößern, ernannte der Generalstab der<br />
Kroatischen Armee Ende August 1991 einen Berufsoldaten<br />
zum Kommandanten der Stadtverteidigung – den<br />
ehemaligen Oberstleutnant der JNA Mile Dedaković –<br />
“Jastreb” (Habicht). Er traf zusammen mit dem ehemaligen<br />
Hauptmann der JNA Branko Borković – “Mladi Jastreb”<br />
(Junghabicht) in Vukovar ein. Das Verteidigungsamt in<br />
Vukovar fertigte dann ein Verzeichnis aller Wehrpflichtigen<br />
an und traf alle notwendigen Maßnahmen um die<br />
Durchführung der Mobilisation vorzubereiten. Die Frage<br />
der logistischen Organisation wurde sowohl in Bezug auf<br />
Soldaten als auch auf Zivilisten gelöst. Die Verteidigung<br />
selbst wurde aus vier “Bataillons” und einigen kleineren<br />
Truppengattungen (Fernmeld-, Ingenieurtruppe, Luftabwehr<br />
u. ä.) organisiert. Auch die Militärpolizei wurde aufgestellt,<br />
die erste in der RH. Als Mile Dedaković Vukovar verließ,<br />
um Hilfe zu holen, wurde er zum Kommandanten der am<br />
16. Oktober 1991 gegründeten Operationsgruppe Vukovar,<br />
Vinkovci und Županja ernannt und der neue Befehlshaber<br />
der Stadtverteidigung wurde Branko Borković.<br />
... Wahrend der Dauer der Belagerung funktionierte die Stadt<br />
fast normal, was wirklich ein Phänomen war. In Unterkünften<br />
bekamen alle Bürger die gleichen Lebensmittelrationen und andere<br />
Utensilien zugewiesen. Nie wurde jemandem etwas verweigert,<br />
nur weil dieser vielleicht Serbe war oder aus irgendeinem anderen<br />
Grund. Ich erlaubte mir nicht, von Haß erfüllt zu sein, und ich<br />
tolerierte das auch bei meinen Untergeordneten nicht. Der Haß ist<br />
eine gefährliche Krankheit, die immer neues Übel verursacht. Ich<br />
bin stolz auf die Tatsache, daß sich an der Verteidigung der Stadt<br />
auch die Serben beteiligten, und das trotz der Beschuldigungen<br />
des Nationalverrats seitens der großserbischen Ideologen. Insofern<br />
war die Erkenntnis schmerzvoller, daß einige serbische Zivilisten<br />
nach 18. November aus eigenem Antrieb ihre Mitbürger bei<br />
der JNA und den Tschetniks als “Ustascha” angezeigt hatten,<br />
was eigentlich dem Todesurteil gleichkam. Eine besondere<br />
Geschichte ist auch die physische Verfassung der Menschen, die<br />
diese dreimonatige Belagerung überstanden. Nach militärischen<br />
Maßstäben entsprach ein durchschnittlicher Kriegstag in Vukovar<br />
einem Monat auf anderen Schlachtfeldern. Die Psychologen<br />
Branko Borković “Junghabicht“<br />
Siniša Glavašević<br />
Branimir Polovina<br />
51
Vukovarer Verteidiger, Lužac, 7. September 1991 (Autor: Mario Filipi)<br />
52
Kalte und finstere Schutzkeller gehörten zum Alltag von Kindern in Vukovar, 7. September 1991<br />
(Autor: Mario Filipi)<br />
werden sich eines Tages sicher mit dem Phänomen auseinandersetzen müssen, daß sich keiner von<br />
Verteidigern trotz der Kälte und des Aufenthalts in Schützengraben und Kellern, nie krank fühlte.<br />
Dazu war die persönliche Hygiene aufgrund einer systematischen Zerstörung der kommunalen<br />
Infrastruktur ein besonderes Problem, weil auch ich als Kommandant nur ein Glas Wasser täglich<br />
zur Verfügung bekam, um meine Zähne zu putzen, mich zu rasieren und zu waschen. Dazu<br />
nahm der Nachholbedarf am Schlaf katastrophale Formen an. Mein persönlicher Rekord betrug<br />
sechs Tage und Nächte. Ich schloß praktisch meine Augen nicht. (Auszug aus dem Interview<br />
mit Mile Dedaković „Jastreb“, “Vukovar, 18. studenoga 1991.”, Vjesnik, 18. November 2005, S.<br />
33-34)<br />
…Es ist die Tatsache aber, daß viele Umstände des Krieges in und um Vukovar noch<br />
zu klären sind. Es ist die Tatsache, daß seine Verteidiger, also die 204. Vukovarer<br />
Brigade und die ganze Stadtverteidigung etwas großartiges geleistet haben, was sich<br />
mit Ergebnissen der ganzen Kroatischen Armee im Heimatkrieg vergleichen läßt,<br />
die glänzende Militäroperation „Sturm“ inbegriffen. In Vukovar führte eine kleine,<br />
aber hervorragend organisierte Einheit einen Kampf, der auch nach Weltmaßstäben<br />
zweifellos beeindruckend war. Einige Völker, die USA-Amerikaner, Juden … haben<br />
ihre mythischen Stätte. Für das kroatische Volk ist das ohne jeden Zweifel Vukovar! …<br />
(Auszug aus dem Interview mit Branko Borković – “Mladi Jastreb”, Vjesnik (7 dana),<br />
53
Polizeieinheiten der RH auf dem Stützpunkt bei dem Haus der Technik in Borovo Naselje<br />
54<br />
18. und 19. November 2006, S. 33)<br />
In Einklang mit der Entscheidung des<br />
Innenministeriums der RH, beschloss der<br />
Krisenstab von Vukovar am 10. September<br />
eine Polizeistunde zwischen 23 und 5 Uhr<br />
festzulegen. Das Leben der Einwohner<br />
mußte sich völlig den Kriegsbedingungen<br />
anpassen. Von Leid und Qual wurden<br />
alle Bürger gleich – egal ob Kroaten<br />
oder Serben oder andere Nationalitäten,<br />
betroffen. Die Granaten der serbischen<br />
Streitkräfte wählten die Nationalitäten<br />
nicht. Der Kroatische Radiosender Vukovar<br />
warnte ihre Hörer vor dem Verlassen<br />
ihrer Unterkünfte, sogar dann nachdem<br />
man einen Waffenstillstand unterzeichnet<br />
hatte, weil man wußte, daß er seitens der<br />
serbischen paramilitärischen Verbände<br />
früher oder später doch gebrochen wird …
In Folge einer allgemeinen Offensive, verließ am 14. September 1991 ein Panzer des Typs T 84 die<br />
Trpinjska Straße und fuhr in die Hercegovačka Straße ein und unser Marinko Balić rannte aus<br />
voller Kraft in seiner Richtung, weil er keine Zeit hatte, die Minen zu legen, die wir einen Tag davor<br />
vorbereitet hatten. Wir konnten unseren eigenen Augen nicht trauen. Wir sahen nur zu und konnten<br />
nur hilflos raten, ob er das meistern wird oder nicht. Wir brüllten ihn an, Luka Andrijanić und ich.<br />
Aber unser Marinko erledigte seinen Job. Der Panzer fuhr auf Minen und seine Raupenkette wurde<br />
zerstört. Und was sollten wir jetzt tun? Wir wußten nichts über Panzer, und diejenige, die etwas<br />
wußten, schwiegen. Uns blieb nichts anderes übrig, als in den Panzer noch ein bißchen Sprengstoff<br />
reinzuwerfen. Und unser Marinko sprengte ihn dann in die Luft. Sein Panzerturm flog durch die<br />
Luft, der Lauf bohrte sich in den Boden hinein, und der Panzeturm blieb in der Form eines Lutschers<br />
emporragen. Darauf bemerkte Marinko, er würde nach dem Krieg eine Konditorei eröffnen und<br />
solche Lutscher herstellen. (Gekürzte Fassung des Textes „Sjećanje na Luku Andrijanića“, der von<br />
Josip Jakobović, Vukovarer Verteidiger und Lukas Mitkämpfer, verfaßt wurde.)<br />
Die Mitarbeiter des Radiosenders, die ihre Arbeit bis zur Okkupation der Stadt hin gewissenhaft<br />
verrichteten (Siniša Glavašević, Zvjezdana und Branimir Polovina, Alenka Mirković, Vesna<br />
Vuković, Josip Estereicher, Zdravko Šeremet), stellten eine große moralische Unterstützung<br />
für die Verteidiger dar. Ihre ausführlichen, mitreißenden, innigen und ermutigenden<br />
Berichterstattungen wurden mit Ungeduldigkeit und Besorgnis von allen anderen kroatischen<br />
Bürgern erwartet. Nach dem Fall von Vukovar wurden Journalist des Kroatischen Radiosenders<br />
Vukovar Siniša Glavašević und Techniker Branimir Polovina in Ovčara getötet.<br />
55
Zerstörte Panzer auf der Trpinjska Straße, Mitte September 1991 (Autor: Andrija Marić; das Photo<br />
ist eine Schenkung von Marko Babić und Eigentum von Vinko Mažar und Ivan Leutar)<br />
56
Ortsgemeinschaft Alojzije Stepinac, Trpinjska cesta, zweite Hälfte des Septembers 1991<br />
Trpinjska Straße, zweite Hälfte des Septembers 1991: untere Reihe: Gardist Ivan Mudrovčić-Šola, Ivan<br />
Bošnjak-Bole; stehen: Miljenko Voloder-Beli, Ivan Leutar-Iva und Andrija Marić, seitwärts Milan Berton-<br />
Fil (das Photo ist eine Schenkung von Marko Babić und Eigentum von Vinko Mažar und Ivan Leutar)<br />
57
Oktober 1991 (Autor: Damir Radnić)<br />
Einer der heftigsten Angriffe der JNA auf die Stadt begann am 14. September 1991<br />
gegen Mittag. Die Kämpfe setzten im Norden an – und weiteten sich auf die Trpinjska<br />
Straße sowie von Borovo Selo aus in Richtung des Hauses der Technik in Borovo<br />
Naselje. Im Süden bewegte man sich auf Negoslavci und die Kaserne der JNA in<br />
Vukovar hin. Von Petrovac aus kämpfte man in Richtung des serbisch dominierten<br />
Vukovarer Vorortes Petrova Gora. Während dieser Kämpfe, die bis zum 20. September<br />
andauerten, entstand der berühmte Panzerfriedhof in der Trpinjska Straße. Der Feind<br />
konnte aber trotz großer Verluste, eine Verbindung zwischen der Kaserne und dem<br />
Vorort Petrova Gora herstellen und den Silo Đergaj unter seine Kontrolle bringen.<br />
Während der „Säuberung“ des besetzten Gebietes am 15. und 16. September<br />
wurden 89 Verteidiger und Zivilisten getötet. Gleich danach errichteten die<br />
serbischen Kräfte ein Konzentrationslager für Kroaten und Nicht-Serben in den<br />
Magazinräumen von Velepromet (Sajmište), das sogar bis zum März 1992 in der<br />
Funktion war.<br />
Besonders schwere Verluste erlitt die mechanisierte Brigade der JNA aus Valjevo in<br />
Serbien. Nachdem sie von den kroatischen Verteidigern bei Tovarnik an 21. September<br />
aufgehalten worden war, griffen sie eigene Kampfflugzeuge an, so daß sie in Verwirrung<br />
und Panik geriet und sich aus Kroatien zurückzog. Einer der verbitterten Soldaten fuhr<br />
aus Protest mit dem Panzerwagen der Infanterie bis zum Gebäude der Volksversammlung<br />
der SFRJ in Belgrad vor.<br />
58
Vor demoralisierten Angehörigen der erwähnten Brigade in Valjevo hielt der serbische<br />
Minister für Religionsfragen Dragan Dragojlović eine Rede, in der er unmittelbar<br />
bestätigte, daß sich Serbien am Angriff auf Vukovar und Kroatien beteiligt hat. Somit wies<br />
er auf die Verantwortlichkeit der serbischen Republikführung für den Krieg in Kroatien<br />
hin: Wir sagen immer wieder, daß Serbien nicht im Kriegszustand mit Kroatien steht, aber es<br />
handelt sich hier um das serbische Volk. Wir dürfen das wegen der Weltöffentlichkeit nicht<br />
offen bestätigen, weil dann Serbien als Aggressor da stehen würde. Wenn sich ein Soldat<br />
der JNA auf kroatischem Gebiet aufhält, kann man doch nicht sagen, das wäre Serbien.<br />
Deswegen darf Serbien die JNA nicht als seine Armee bezeichnen. (Dragan Todorović, „Da<br />
se general izvini“ [Borba vom 26. 9. 1991, 3])<br />
Gemäß der allmählichen Aufstellung und Entwicklung der kroatischen Armee wurde<br />
am 25. September auch die Aufstellung der Brigade von Vukovar befohlen, deren Kern<br />
die Verteidigungskräfte von Vukovar – neben den Soldaten der 3. “A” Brigade der<br />
Nationalgarde und Innenministeriums, bildeten. Als Mobilisationsbasis der Brigade<br />
wurde Vukovar und als verantwortliche Person Oberstleutnant Mile Dedaković in<br />
Zusammenarbeit mit dem Krisenstab der Gemeinde Vukovar bestimmt. Als Frist<br />
wurde 1. Oktober 1991 festgelegt. Der Befehl über die Aufstellung der 204. Brigade<br />
der Kroatischen Armee “R” unterzeichnete der Befehlshaber der 1. Operationszone<br />
der Kroatischen Armee Osijek Oberst Karlo Gorinšek. Am folgenden Tag, den 26.<br />
September, unterschrieb aber der Verteidigungsminister der RH auch einen Befehl über<br />
die Aufstellung der 124. Brigade der Kroatischen Armee, und obwohl dieser Befehl nie<br />
Vukovar erreichte, verursachte er einige Probleme bezüglich der endgültigen Bennenung<br />
der Brigade. Die Vukovarer Verteidiger entschlossen sich für die 204. Brigade. Ende<br />
September traf auch eine größere Menge an Bewaffnung und Ausrüstung ein, die aus<br />
Beständen der Kasernen der JNA, die die Kroatische Armee erobert hatte, stammte.<br />
Indem die JNA um zusätzliche Truppen aufgestockt worden war, begann sie am 30. September<br />
offiziell mit der Durchführung der “Operation Vukovar”. Ihre Streitkräfte wurden in zwei<br />
Operationsgruppen – Nord und Süd, eingeteilt. Die Abgrenzungslinie lief entlang des Flusses<br />
Vuka. Die Operation wurde vom Generalstab der Streitkräfte der SFRJ in Belgrad geplant,<br />
dessen Chef Generaloberst Blagoje Adžić war. Der Kommandant der Operation wurde<br />
Generaloberstleutnant Života Panić, der Befehlshaber der 1. Armee (des 1. Militärdistriktes).<br />
Im Rahmen eines heftigen Überfalls konnte die JNA am 1. Oktober Marinci besetzen und<br />
Bogdanovci umziegeln sowie den sog. “Maisweg” in Richtung Vukovar blockieren. So<br />
wurde der Versorgungweg für die Verteidigung abgebrochen und Vukovar dadurch völlig<br />
eingeschlossen. Am folgenden Tag, den 2. Oktober, besetzte die JNA auch das Dorf, und die<br />
kroatischen Verteidiger hatten große Mühe einen erneuten Angriff auf die Stadt abzuwehren.<br />
Die Tage zwischen den 2. und 4. Oktober waren die blutigsten im Kampf um Vukovar.<br />
Danach, am 5. Oktober, wehrte man nur durch die Anspannung aller Kräfte einen<br />
erneuten Angriff der JNA auf das Dorf Nuštar, das zum ausschlaggebenden Stützpunkt<br />
59
Der zerstörte Panzer im Zentrum von Nuštar, Oktober 1991 (Autor: Mario Filipi)<br />
Bogdanovci, Oktober 1991; zerstörter Panzer (ein Treffer von Ivan Jelić „Lepi“ (der Schöne) am<br />
2. Oktober aus Ivankovo)<br />
60
Kroatische Verteidiger in Sajmište, Oktober 1991 (Autor: Damir Radnić)<br />
Kämpfer der Kroatischen Verteidigungskräfte (HOS), Sajmište, September/Oktober 1991; von rechts<br />
Zvonko Ćurković „Zvone“, Jean-Michael Nicollier, Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha) und Žarko Manjkas<br />
„Crvenkapa“ (Rotkäppchen) (Autor: Damir Radnić)<br />
61
für die Verteidigung von Vinkovci aber auch für den erwarteten Durchbruch nach<br />
Vukovar wurde. Der erste größere Versuch der Kroatischen Armee und der Polizei<br />
(Antiterroreinheit Lučko und Spezialeinheiten des Inennministeriums der RH aus<br />
Slavonski Brod und Vinkovci) am 13. Oktober das Dorf Marinci und die Straße nach<br />
Vukovar zu befreien, schlug fehl.<br />
Die JNA und die Paramilitärs unter dem Kommando von Željko Ražnatović – Arkan,<br />
durchbrachen am 16. Oktober von Wald Đergaj aus die Verteidigungslinie bei Lužac<br />
und Borovo Naselje. Dabei kamen Blago Zadro – Kommandant des 3. Bataillons<br />
und Alfred Hill – Kommandant der Militärpolizei in Vukovar, ums Leben. Doch die<br />
Verteidiger konnten im Kampf Brust an Brust verhindern, daß die lebenswichtige<br />
Komunikation Vukovar - Borovo Naselje abgeschnitten wurde, und am nächsten<br />
Tag in Folge eines kräftigen Gegenschlags „säuberten“ sie das Vorort, zerstörten eine<br />
feindliche Pontonbrücke bei Vuka, und stießen in den Wald Đergaj vor, wobei sie<br />
eine größere Menge an Munition und Bewaffnung eroberten, 3 Panzer inbegriffen,<br />
von denen sie 2 daraus später in Verteidigung benutzten.<br />
Die Einkreisung um Vukovar zog immer mehr zusammen und die Hilfe konnte nur<br />
aus Vinkovci kommen, da alle Dörfer in Richtung Ilok bis Mitte Oktober durch die<br />
JNA besetzt wurden. Auch Ilok befand sich in einer schweren Situation, da die JNA<br />
die Stadt mit einem Angriff bedrohte. Die Zivilbehörden von Ilok wurden am 14.<br />
Oktober gezwungen, mit den Vertretern der JNA ein Abkommen über den Auszug<br />
der Bevölkerung aus der Stadt zu unterzeichnen. Ilok wurde am 17. Oktober besetzt,<br />
als in Anwesenheit der Beobachter der Europäischen Gemeinschaft mehr als 5000<br />
Kroaten und andere Nicht-Serben seitens der JNA aus der Stadt vertrieben wurden.<br />
Aufgrund einer undurchlässigen Blockade fehlte den Verteidigern bald die Munition.<br />
Man mußte auch gegen eine immer größer werdende Müdigkeit ankämpfen.<br />
Es mangelte vor allem an frischen Ersatztruppen. Die Zahl von Gefallenen und<br />
Verwundeten wurde andererseits jeden Tag immer größer. Den Hilfskonvoi “Ärzte<br />
ohne Grenzen”, der am 19. Oktober in Vukovar eingetroffen war, versuchte die JNA zu<br />
benutzen, die Stützpunkte der Verteidiger von Vukovar unter noch stärkerem Druck<br />
zu setzen. Die Mitarbeiter des Konvois konnten aber 113 Verwundete aus der Stadt<br />
herausholen. Für eine kurze Zeit verbesserten sich auch die Arbeitsbedingungen<br />
im Krankenhaus. Die JNA hatte im Gegenteil keine Probleme mit Nachschub und<br />
Versorgung.<br />
Einer der Haupterfolge der JNA geschah am 2. November, ali sie den Durchbruch<br />
bei Lužac, einem Ort zwischen Vukovar und Borovo Naselje, schaffte, wodurch<br />
Verbindung und Versorgung zwischen diesen Orten gefährdet wurde. Am selben Tag<br />
versuchte die Kroatische Armee die Dörfer Marinci und Cerić zu befreien und die<br />
Belagerung von Vukovar aufzuheben. Ohne Erfolg. Die Verteidiger von Bogdanovci<br />
konnten aber einen neuen Angriff von Panzer- und Infanterietruppen der JNA<br />
62
Einfahrt zu Bogdanovci aus Richtung Marinci, nach 2. Oktober 1991 (Autor: Damir Radnić)<br />
Kämpfer der Kroatischen Verteidigungskräfte (HOS) vor der Kirche in Bogdanovci und auf Stellungen<br />
in Richtung Marinci, Oktober 1991 (Autor: Damir Radnić)<br />
63
Vukovar, 16. November um 20 Uhr, unmittelbar vor dem Durchbruch: Sanja Arbanas (ganz rechts<br />
hinter ihr vermutet man Ivica Arbanas), Ivan Anđelić „doktor“ (Doktor) (mit der Augenbinde),<br />
Velimir Kvesić (Angehöriger der Kroatischen Verteidigungskräfte (HOS) mit schwarzer<br />
Müze), Zdravko Radić (mit dem Patronengurt um den Hals), Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha) (rechts,<br />
in einer Ziviljacke), Zvonko Mažar (mit dem Helm), Zvonko Ćurković (steht mit geschlossenen<br />
Augen), Josip Jakobović (hockt in der Mitte); (das Photo ist eine Schenkung von Ivica Arbanas)<br />
zurückweisen. Bei der Beaufsichtigung des Angriffs des 51. mechanisierten Brigade der<br />
JNA auf Lužac von Wald Đergaj aus, kam am 3. November Generalmajor der JNA<br />
Mladen Bratić, Kommandant der Operationsgruppe Nord, bzw. Kommandant des<br />
Armeekorps Novi Sad der JNA, ums Leben. Die Kämpfe um Lužac setzte man fort.<br />
Am 9. November teilte das Kommando der Operationsgruppe Vinkovci, Vukovar und<br />
Županja mit, daß die Verteidiger in Lužac und Budžak gezwungen waren, sich auf<br />
Reservestellungen zurückzuziehen. Die Verteidigung von Vukovar war in eine kritische<br />
Lage geraten. Das galt auch für die Situation bei Lipovac an der Grenze zu Serbien<br />
sowie die Grenze zu Bosnien und Herzegowina, wo sich die neuen Verbände der JNA<br />
versammelten.<br />
Allein bis zum 10. November führte man erbitterte Kämpfe um Dorf Bogdanovci,<br />
den einzigen vorgeschobenen Posten der Vukovarer Verteidigung. Als die JNA und<br />
die serbischen Paramilitärs das Dorf besetzten, massakrierten sie die Bewohner. Die<br />
Verteidiger von Bogdanovci zerstörten während dieser Kämpfe sehr wirksam viele Panzer<br />
und Panzertransporter und setzten auch eine große Anzahl von feindlichen Soldaten<br />
64
außer Gefecht. Am selben Tag attackierten die serbischen Einheiten die Priljevska Straße<br />
aus Richtung Lužac mit dem Ziel, die zum Zentrum von Vukovar führende Überführung<br />
zu erobern sowie die Verbindung mit Verbänden, die in der Trpinjska Straße wirkten,<br />
aufzunehmen. Diese feindlichen Truppen besetzten darauf einen der wichtigsten Stützpunkte<br />
Milovo Brdo, wodurch die Verteidigung<br />
an zwei Stellen durchbrochen wurde<br />
und die Verteidiger in drei getrennte<br />
„Taschen“ zusammengepresst wurden.<br />
Der Generalstabsschef der Kroatischen<br />
Armee Antun Tus sagte am 12. November,<br />
daß die Jugo-Armee am Wochenende in<br />
zwei Stadtteile von Vukovar vorgerrückt<br />
hat, aber noch nicht in das Stadtzentrum.<br />
In Folge heftiger Angriffe besetzte die<br />
Vukovar, November 1991; nach der Okkupation der Stadt<br />
sangen die serbischen Paramilitärs, die unter dem Kommando<br />
der JNA kämpften, sie würden Kroaten schlachten<br />
JNA am 13. November den Silo von<br />
VUPIK (Vukovarer Industrie- und<br />
Landwirtschaftskombinat) in Priljevo.<br />
Damit wurde auch endgültig der Weg<br />
zwischen Borovo Naselje und Vukovar<br />
abgeschnitten. Am selben Tag versuchten<br />
die kroatischen Verbände erneut von<br />
Nuštar aus das Dorf Marinci zu befreien<br />
und die Belagerung von Vukovar zu<br />
durchbrechen, aber auch diesen Angriff<br />
wies die JNA zurück. Das war der letzte<br />
Versuch der kroatischen Armee den Weg<br />
nach Vukovar frei zu bekommen und die<br />
Stadt vor dem Fall zu retten, obwohl dieser<br />
aufgrund der großen Disproportion in<br />
Kraft- und Bewaffnungsverhältnissen<br />
zwischen dem Verteidiger und dem<br />
Aggressor unvermeidlich schien.<br />
Die zahlenmäßig stärkere und<br />
überlegene Jugo-Armee, unter deren<br />
Während des Durchbruchs, zwischen Cerić<br />
und Marinci: Sanja Arbanas verbindet den<br />
verwundeten Mato Prca; Photo machte<br />
Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha), das Photo ist<br />
eine Schenkung von Ivica Arbanas<br />
65
Kommando auch aufständische Serben aus Kroatien, Tschetniks und andere serbische<br />
paramilitärische Verbände kämpften, brach den heldenhaften Widerstand einer kleiner<br />
Anzahl der Verteidiger. Am Montag, den 18. November 1991, besetzte die JNA den<br />
Großteil der Stadt. Am folgenden Tag, den 19. Novembar, fiel auch Borovo Naselje.<br />
Einige kroatische Verteidiger leisteten dem Feind Widerstand bis zu den ersten<br />
Morgenstunden des 20. Novembers, einige zogen sich aus Borovo Naselje erst am 23.<br />
Novembar zurück.<br />
Im Verlaufe der Tage, eigentlich der Nächte, die dem Fall von Vukovar unmittelbar<br />
vorgegangen waren, konnten sich einige der Vukovarer Verteidiger und ihre<br />
Kommandanten sowie der Oberbefehlshaber der Stadtverteidigung auf das freie<br />
kroatische Territorium retten. Die Mehrheit ging aus eigenem Antriebe fort, weil sie<br />
jede Hoffnung auf Hilfe verlor, und weil sie ihre Liebsten davor bewahren wollten,<br />
sich ihre Folterung und Tötung anzuschauen oder sogar dasselbe Schicksal zu erleben<br />
müssen. Mit ihr ging auch eine kleinere Anzahl von Zivilisten weg. Ein Teil von ihnen<br />
erreichte nie das Ziel. Einige Verteidiger versuchten die Hilfe zu holen und nach<br />
Vukovar zurückzukehren, aber ihre Bemühungen blieben erfolglos. Die Ausbrüche<br />
dieser einigen hundert Verteidiger und Zivilisten aus Vukovar nach Nuštar sind ein<br />
besonderer Akt der Vukovarer Tragödie. Viele Verteidiger zweifelten daran, ob sie<br />
gehen oder bleiben und dabei eine Kreigsgefangenschaft riskieren sollten. Die beiden<br />
Möglichkeiten waren gefährlich.<br />
Die Verteidiger, die sich aus Sorge für Verwandte und Verwundete, für einen Abzug<br />
nicht etscheiden konnten, blieben am 18. Novembar dem Feind auf Gnade und<br />
Ungnade ergeben. Ohne Munition und ein Befehlssystem, konnten sie weiter keinen<br />
ernsthaften Widerstand leisten. Weitere Kämpfe konnten dann auch das Leben von<br />
Zivilisten und Verwundeten in Unterkünften noch mehr gefährden. So begann man<br />
mit den Offizieren der JNA zu verhandeln und die Übergabe der einzelnen Stadtteile<br />
(Mitnica – am 18. November, danach Borovo Naselje) zu vereinbaren. Das momentane<br />
“Strecken der Waffen” war an Bedingung geknüpft, daß die JNA freies Geleit für die<br />
Zivilisten sowie eine Betreuung von Verwundeten gewährleisten wird.<br />
Nach dem Fall der Stadt wurden Massenhinrichtungen von kroatischen Verteidigern und<br />
Zivilisten vollgezogen, sowie Raub und Vertreibung der Zivilbevölkerung durchgeführt.<br />
Man trennte die Kroaten von anderen Volksgruppen sowie Männer von Frauen ab. Die<br />
einheimischen Serben denunzierten ihre Nachbarn und zeigten mit Fingern auf sie in<br />
Hallen von “Borovo-Commerce”, “Velepromet” und in anderen Orten, wo sie auch gleich<br />
getötet wurden. Die zügellosen serbischen Soldaten führten die Verse des Liedes “es<br />
wird Fleisch geben, wir werden Kroaten schlachten” – wörtlich aus. Dieses Lied wurde<br />
gesungen, während man durch verwüstete Straßen von Vukovar marschierte.<br />
Vukovar blieb unter serbischer Besetzung bis zum 15. Januar 1998. An diesem Tage<br />
kehrte die Stadt im Rahmen des sog. UN-Sektors Ost (zusammen mit der Baranja,<br />
66
Ostslawonien und Westsyrmien) und zum Abschluß des Prozesses der sog. friedlichen<br />
Reintergration endlich in die Hoheitsgewalt der RH zurück.<br />
Vukovar, 8. Juni 1997; mit dem Zug des Friedens und der Wiederkehr kehrte Kroatien symbolisch<br />
nach Vukovar zurück.<br />
TUĐMAN – in Vukovar gehaltene Rede<br />
Ein Sieger, der nicht imstande ist, zu verzeihen, säet Keime neuer Flammen der<br />
Zwietracht und eines künftigen Unheils. Und kroatisches Volk will das nicht. Es wollte<br />
auch nicht all das durchmachen, was es in Vukovar und ganz Kroatien erleben mußte.<br />
Und alles was wir tun, dient nicht nur irgendwelchen engen Interessen, sondern es<br />
geschieht im Gemeininteresse Kroatiens und Europas, im Interesse des Friedens und der<br />
Zukunft dieser Gegend und aller europäischen Länder. Es lebe das Zusammenleben des<br />
kroatischen Volkes mit dem serbischen Volk und mit anderen ethnischen Gemeinschaften!<br />
Es lebe unser einziges und ewiges Kroatien! (aus der Rede des Präsidenten der Republik<br />
Kroatien Franjo Tuđman am 8. Juni 1997)<br />
67
Zusammenfassung<br />
Obwohl die Kroaten in der Gemeinde und in der Stadt eine Mehrheit bildeten,<br />
erwarteten die großserbischen Strategen aufgrund des großen Prozentanteils der<br />
Serben an der Gesamtzahl der Bevölkerung und durch die Aufweisung erheblicher<br />
Disproportionen in Bewaffungs- und Ausrüstungsverhältnissen zugunsten der JNA, einen<br />
einfachen und schnellen Sieg. Sie haben in ihre Pläne auch das serbisch dominierte Vorort<br />
Petrova Gora miteinbezogen, das ein bedeutendes, vielleicht auch ausschlaggebendes Problem<br />
für die Verteidigung von Vukovar darstellte, besonders wegen der Tatsache, daß die Angreifer<br />
Mitte September eine Verbindung mit der Kaserne der JNA herstellen konnten. Welche<br />
schwere Aufgabe die Stadtverteidigung hatte, wird vor allem klar, wenn man sich an die<br />
Unterstützung des Feindes durch die einheimische serbische Bevölkerung und durch die in der<br />
Stadt stationierten JNA-Truppen erinnert. Zudem wurde die Stadt von serbisch dominierten<br />
Dörfern umfaßt, von welchen aus die Angriffe der überlegenen Kräfte der JNA starteten. Ein<br />
Teil der Stadt grenzte auch an Serbien, von welchem sie nur die Donau trennte.<br />
Oktober 1991 (Autor: Mario Filipi)<br />
69
Andrija Marić, Blago Zadro, Marko Babić, Zoran Janković (steht seitwärts); Trpinjska Straße,<br />
Mitte September 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Marko Babić)<br />
Ivica Arbanas (mit Hut), Velimir Derek<br />
(rechts, mit dem schwarzen Band<br />
um den Kopf, als Befehlshaber einer<br />
Kompanie, nachdem Petar Kačić –<br />
„Bojler“ (Boiler) gefallen war), Delić<br />
Željko – „Švico“ (Angehöriger der<br />
Kroatischen Verteidigungskräfte<br />
(HOS)); im Hintergrund die Kämpfer<br />
der Kroatischen Verteidigungskräfte<br />
(HOS): rechts Tihomir Tomašić,<br />
links Duško Smek „Bosanac“ (Bosnier)<br />
(photographierte: Viktorin Jurić<br />
„Paša“ (Pascha); das Photo ist eine<br />
Schenkung von Ivica Arbanas)<br />
70
Die Verteidiger von Vukovar wurden nach Ortsgemeinschaften organisiert. Die<br />
Verteidigung bestand aus Verteidigungsstellungen “Stützpunkten” – die entlang der<br />
Verteidigungs- bzw. Berührungslinie mit dem Feind, errichtet wurden. Im Herbst<br />
1991 wurden viele Straßen in Vukovar, seine Vororte sowie umliegende Orte zu den<br />
leuchtendsten Vorbildern in der kroatischen Militärgeschichte: die Straßen Trpinjska,<br />
Slavonska, Hercegovačka, Bosanska, Lička, und Pejton, dann die Straßen von Borovo<br />
Naselje, wie auch Budžak, Lužac, Mitnica, Sajmište und andere Ortsgemeinschaften,<br />
sowie verschiedene “Stützpunkte” und kleinere Verteidigungstruppen – Dom tehnike<br />
(Haus der Technik), “Kod slona” (Beim Elefanten), “Kivi” (Kiwi), “Trokatnica”<br />
(Dreistockhaus), Vatrogasni dom (Feuerwehrhaus), “Osa” (Vespe), “Žuti mravi”<br />
(Gelbe Amaisen), “Pustinjski štakori” (Wüstenratten), “Turbo” (Turbo), “lovci<br />
na tenkove” (Panzerjäger), “hosovci” (HOS-Angehörige, bzw. Angehörige der<br />
Kroatischen Verteidigungkräfte), “Šumari” (Förster), “Bojleri” (Boiler), “Plavi” (die<br />
Blauen), “Žuti” (die Gelben), “Crni” (die Schwarzen), usw.<br />
Dazu gehörten auch Sajmište als Haputstützpunkt der Verteidigung sowie das Dorf<br />
Bogdanovci als die “vorgeschobenste Festung“ von Vukovar. Unter den Verteidigern<br />
dieser Stützpunkte waren auch die Soldaten der Kroatischen Verteidigungskräfte, die<br />
aus ganz Kroatien angekommen waren. Sie waren unglaublich mutig. Sie zogen sich<br />
auch um den Preis ihres Lebens nicht züruck. Es genügt zu erwähnen, daß während<br />
der Kämpfe um Sajmište und Bogdanovci etwa 50% von ihnen ums Leben kamen,<br />
daß fast jeder Überlebende verwundet war, einige auch mehrere Male. Die Mehrzahl<br />
der Verteidiger und ihrer Kommandanten hatte keine militärische Ausbildung oder<br />
Kriegserfahrung. Die Verteidigung der Stadt hängte von ihrem Einfallsreichtum und<br />
Mut ab. Einige von ihnen, so z.B. der Befehlshaber der Verteidigung von Borovo<br />
Naselje Blago Zadro, der am 16. Oktobor gefallen war, wurden zu Legenden. Daß<br />
neben den Soldaten immer wieder auch ihre Kommandanten fielen: Velimir<br />
Đerek – „Sokol“ (Falke) aus Imotski, Tihomir Gredelj und Ivan Poljak – „Sokol“<br />
(Falke) aus Sinj sowie Petar Kačić – „Bojler“ (Boiler) – Kommandant von Sajmište,<br />
Ivan Šoljić – „veliki Joe“ (Großer Joe) Kommandant von Mitnica, Alfred Hill –<br />
Kommandant der Militärpolizei, Nenad Sinković – „Legija“ (Legion) – Kommandant<br />
der Ingenieurrtruppe und viele andere, sagt alles über die Heftigkeit der Kämpfe und<br />
den Mut der Menschen, die die Verteidigung von Vukovar angeführt haben.<br />
Die Angriffe auf Vukovar begannen gewöhnlich in den frühen Morgenstunden,<br />
aber eigentlich gab es keine Regeln. Es passierte immer wieder, daß die Granaten<br />
am Nachmittag oder am Abend abgefeuert wurden. Die Angriffe waren manchmal<br />
so heftig, daß jede Minute wenigstens ein Geschoß oder auch mehrere in die Stadt<br />
eingeschlagen haben, so etwas geschah z.B. am 5. September und zwischen 4. und 6.<br />
Oktober als Vukovar mehr als 11.000 Geschosse getroffen haben. Das zerstörerische<br />
und unerbittliche Artilleriefeuer der JNA, während welches tausende von Geschossen<br />
abgefeuert wurden, war immer öfter eröffnet worden. Daß die Stadt unter ständigem<br />
71
Beschuß stand, verursachte Probleme in der Strom- und Wasserversorgung. Die<br />
Telefonleitungen wurden auch oft unterbrochen. Ab zweiter Hälfte des September<br />
bis zur Besetzung der Stadt, gab es im Großen und Ganzen keinen Strom und kein<br />
Wasser. Aber dank dem Wissen, der Findigkeit und dem Mut der Mitarbeiter der<br />
kroatischen kommunalen Unternehmen (für Stromerzeugung, Wasserleitung, Post<br />
und andere Dienste), und durch die Vernetzung der vorhandenen Aggregate, konnte<br />
man in einem gewißen Maße eine regelmäßige Stromversorgung für die wichtigsten<br />
Stadteinrichtungen gewährleisten: für Krankenhäuser, größere Unterkünfte und ihre<br />
Küchen, Verteidigungskommando, Postämter, Bäckereien sowie Werkstätte für die<br />
Waffenherstellung. Der Strom war besonders wichtig nicht wegen der Beleuchtung, sonder<br />
wegen der Lüftung in Unterkünften und des Antriebs von Geräten in Krankenhäusern.<br />
Nach einigen Angaben, die die gesamte Logistik sowie Ärzte und medizinisches<br />
Personal des Krankenhauses von Vukovar umfassen sollten, etwa 4020 verteidigten<br />
die Stadt (einschließlich Dorf Bogdanovci) während der serbischen Belagerung. Die<br />
Anzahl der Verteidiger in der Stadt selbst betrug nie mehr als 1800 bis 2000 Soldaten<br />
der Nationalgarde, der Kroatischen Verteidigungskräfte sowie der aus verschiedenen<br />
Teilen Kroatiens angekommenen Freiwilligen. Diese Truppen wurden als 204.<br />
Brigade der Kroatischen Armee formiert. Sie alle kämpften entlang einer mehr als<br />
10 km langen Frontlinie. Neben Kroaten verteidigten die Stadt auch die Bürger<br />
anderer Volksgruppen – Serben, Ungarn, Russinen, Slowaken, Deutsche und andere.<br />
Natürlich, daß sich an der Verteidigung auch die Zivilbehörden der Stadt beteiligt<br />
haben: Medizinisches Zentrum Vukovar, Wasserversorgung der Stadt Vukovar,<br />
Kombinat Borovo, Freiwillige Feuerwehr, Kommunalunternehmen, Kroatische<br />
Stromversorgung, Post. Alle erwähnten Einrichtungen wurden vom Krisenstab unter<br />
Leitung vom Regierungsbeauftragten für Vukovar Marin Vidić – Bili koordiniert.<br />
Sie haben die ganze Zeit über mit dem Kommando der Stadtverteidigung und ihrer<br />
Kommandanten Mile Dedaković, später Branko Borković, sowie mit der städtischen<br />
Polizeiverwaltung und ihrem Kommandant Stipe Pole, zusammengearbeitet.<br />
Gleichzeitig planten der Generalstab der Kroatischen Armee und die Operationszone der<br />
Kroatischen Armee Osijek neue Befreiungsaktionen. Man engagierte auch die Streitkräfte<br />
im Umland von Vukovar, besonders die Artillerie. Mit diesem Vorsatz wurde auch am<br />
16. Oktober die Operationsgruppe der Kroatischen Armee Vinkovci, Vukovar und<br />
Županja errichtet, die während der letzten Kämpfe um Vukovar, nach Einschätzung ihres<br />
Befehlshabers Mile Dedaković, aus 6800 Soldaten, 15 Panzern, 11 Panzertransportern,<br />
52 Geschützen Kalibers von 20-100 mm, 32 Geschützen Kalibers größer von 100 mm, 1<br />
Mehrfachraketenwerfer und 68 Minenwerfern bestand. Aber auch diese Kräfte genügten<br />
nicht. Der Aggressor war zahlen- und rüstungsmäßig mehrfach stärker.<br />
Nach einigen unvollständigen Angaben sollte der Feind über mehr als 1000 Panzerwagen,<br />
Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe, mehrere hundert verschiedenartigsten Artillerie-<br />
72
und Raketenwaffen verfügen. Er benützte sie systematisch und ohne Zielsetzung<br />
und feuerte einige tausend Projektile auf die Stadt ab (nach einigen Einschätzungen<br />
waren es mehr als eine Million oder sogar mehr als anderthalb Millionen Projektile).<br />
Die Stadt wurde anfangs von mehr als 27.000 Soldaten angegriffen, danach sollte<br />
diese Zahl auf mehr als 60.000, sogar auf 80.000 Soldaten steigen. Man geht davon<br />
aus, daß die Vukovarer Verteidiger etwa 300 bis 400 Panzerwagen zerstört haben,<br />
nach einigen Quellen sogar 500 – darunter etwa 200 Panzer. Sie sollten auch mehr als<br />
20 Kampfflugzeuge abgeschossen haben (nach einigen Quellen waren es 25). Da die<br />
angeführten Zahlen als übertrieben erscheinen, sollte man sie mit Vorsicht behandeln<br />
bis zum Abschluß einer wissenschaftlichen Analyse, die durch die Quellen beider<br />
Seiten belegt wird.<br />
Der Aggressor verfügte über eine mehr als zehnfache Menge an Artillerie und eine<br />
mehr als hundertfache Menge an Granaten, Minen und anderer Munition. Die<br />
Verteidiger hatten zudem keine Kampfflugzeuge. Deswegen ist es einfach faszinierend,<br />
daß sie ihre Stellungen drei Monate halten konnten. Ein solches Mißverhältnis in der<br />
Qualität, Technik, Ausbildung und Zahl der Soldaten, gemessen an der kämpferischen<br />
Leistung beider Seiten, beweist nur, daß die Kategorie des Patriotismus, bzw. der<br />
Motivation der Soldaten, keine militärische Lehre zu vernachlässigen dürfte.<br />
In gefährlichsten Augenblicken wurde die logistische Hilfe, meistens Medikamente<br />
und Sanitätsmateral für Krankenhaus, einige Male eingeflogen, und das mit kleineren<br />
Flugzeugen des Typs Cessna-172 und UTVA-75 sowie mit größeren sonst in der<br />
Landwirtschaft einsetzbaren Zweiflüglern des Typs An-2. Sie wurden von mutigen<br />
kroatischen Piloten des Selbständigen Luftfahrtzuges gesteuert, der Anfang Oktober bei<br />
der Operationszone Osijek formiert wurde. Gewiß war dies nur ein Tropfen im Meer, wenn<br />
man der Bedürfnisse der Verteidiger und des medizinischen Personals im Krankenhaus<br />
bedachte, aber diese Nachtflüge der vierköpfigen Besatzung waren für die Verteidiger<br />
eine sehr große moralische Unterstützung. Ihr Mut, ihre Improvisationsfähigkeit und<br />
Flugfertigkeit sowie ihre Entschlossenheit den Vukovarer Verteidigern zu helfen, und das<br />
ohne Rücksicht auf das heftige Feuer der feindlichen Luftabwehr und ohne Rücksicht auf<br />
Alter, Trägheit und Unangemessenheit ihrer Flugzeuge, verdienen gleiche Bewunderung<br />
wie auch übermenschliche Anstrengungen der Verteidiger, des medizinischen Personals,<br />
der Feuerwehrmänner und anderer Dienste, die dafür sorgten, daß die minimalen<br />
Lebensbedingungen in der umziegelten und verwüsteten Stadt doch gesichert wurden.<br />
Nach Angaben des Ministeriums für Gesundheitswesen hielten sich am 19. November<br />
1991 im Umland von Vukovar etwa 14.100 Zivilisten auf 10.000 in Vukovar, 4000<br />
in Borovo Naselje und 100 in Lužac, und etwa 900 kroatische Verteidiger 450 in<br />
Vukovar und 450 in Borovo Naselje. Im Vukovarer Krankenhaus waren am Tag der<br />
Okkupation 420 Verwundete und Kranke, und in der Unterkunft – im Krankentrakt<br />
von “Borovo Commerce”, befanden sich 250 Verwundete.<br />
73
Nach Angaben der Behörde für Gefangene und Vermißte des Ministeriums für Familie,<br />
Verteidiger und Generationensolidarität vom November 2007 kamen während der<br />
serbischen Aggression in Vukovar mindestens 1739 Personen, darunter 86 Kinder, ums<br />
Leben, und etwa 22.000 Einwohner, hauptsächlich Nicht-Serben, aber auch Serben, die<br />
nicht unter der Okkupationsgewalt bleiben wollten, wurden vetrieben. In der Gespanschaft<br />
Vukovar-Syrmien wurden 52 Massengräber und mehrere hundert Einzelgräber<br />
gefunden. Aus ihnen wurden bis 22. November 2007 die sterblichen Überreste von 1982<br />
Opfern der serbischen Verbrechen exhumiert. Von der Gesamtzahl der Exhumierten<br />
wurden 1717 identifiziert. Die Behörde für Gefangene und Vermißte leitete noch im<br />
November 2007 ein Suchverfahren für 486 aus dem Gebiet der Gespanschaft Vukovar-<br />
Syrmien gewaltsam abgeführten Personen ein; davon entfallen auf die Gemeinde<br />
Vukovar (Lipovača, Sotin und Grabovo inbegriffen) 315 Personen. In serbischen<br />
Internierungslagern und Gefängnissen in Serbien und Jugoslawien wurden unter der<br />
Aufsicht der JNA mindestens 2796 Personen mißhandelt und entsetzlichen Folterungen<br />
ausgesetzt, die 1991 in Vukovar gefangengenommen wurden. Mehr als 4000 Personen<br />
waren aus dem Kroatischen Donaugebiet in die Bundesrepublik Jugoslawien, bzw. nach<br />
Serbien gewaltsam weggeführt worden, von wo aus sie dann nach Kroatien deportiert<br />
wurden. Der jüngste Internierte war erst knapp 15 Jahre, und der älteste 81 Jahre alt.<br />
Vukovar nach der serbischen Okkupation; aufgenommen während der Belagerungszeit (Autor:<br />
Dionizije Šebetovsky)<br />
74
Memorial-Friedhof der im Heimatkrieg<br />
gefallenen Opfer, Vukovar;<br />
938 weiße Kreuze, je ein Kreuz<br />
für jedes exhumierte Opfer aus<br />
Massengräbern im Umland von<br />
Vukovar<br />
75
Nach Angaben der Vukovarer Verteidiger aus dem Jahr 1996 verlor die 204. Brigade der<br />
Kroatischen Armee im Kampf um Vukovar 879 Soldaten (Gefallene und Vermißte) und die Zahl<br />
der verwundeten Soldaten stieg auf 777. Die Einschätzungen über die feindlichen Verluste auf<br />
dem Schlachtfeld von Vukovar bewegen sich zwischen 5000 bis 6500 aber auch bis zu 15.000<br />
gefallenen Soldaten. Im Gegensatz dazu wird in der serbischen Literatur behauptet, “daß<br />
in den Kämpfen um Vukovar aus den Reihen der Einheiten der JNA und der Freiwilligen<br />
etwa 1200 Soldaten und Befehlshaber ums Leben kamen”. Da diese Angaben erhebliche<br />
Disproportionen aufweisen, sollten sie einer die Quellen beider Seiten berücksichtigenden<br />
wissenschaftlichen Analyse unterzogen werden.<br />
Im Verlaufe des Angriffs auf die Stadt zerstörten oder beschädigten die JNA-Truppen<br />
und die serbischen paramilitärischen Verbände fast alle Gebäude in Vukovar, wobei keine<br />
Krankenhäuser, keine religiösen, kulturellen und historischen Denkmäler, keine Wirtschaftsoder<br />
Wohngebäude verschont wurden. Genau dieses Beispiel einer vorsätzlichen Verwüstung,<br />
und besonders des Vukovarer Krankenhauses, zeigt die Gefühllosigkeit des Aggressors<br />
und des Oberbefehls der JNA, die durch diese irrationale und zerstörerische Taktik das<br />
Ziel der großserbischen Ideologen zu verwirklichen versuchte einen ethnisch sauberen<br />
großserbischen Staat zu gründen. Aufgrund eines unerwartet heftigen Widerstands der<br />
Verteidiger von Vukovar sowie einer<br />
Verwüstung, welche seit dem Ende<br />
des Zweiten Weltkriegs Europa nicht<br />
erlebte, wurde Vukovar im Laufe<br />
der Sommer- und Herbstmonate,<br />
vom August bis November 1991,<br />
zum Symbol des kroatischen<br />
Widerstands und seine Einwohner,<br />
besonders die Verteidiger, zum<br />
Vorbild wegen ihrer unglaublichen<br />
Opferbereitschaft, Gewandheit<br />
und ihres Mutes. Neben berühmter<br />
Täubin von Vučedol, Haus des<br />
Nobelpreisträgers Lavoslav Ružička,<br />
altem Wasserturm, Kreuz des<br />
Bruders Lustig, Kirche von Sankt<br />
Philipp und Jakob, Schloß Eltz<br />
Vukovar; aufgenommen während<br />
der Belagerungszeit (Autor: Dionizije<br />
Šebetovsky)<br />
76
Innenraum der Kirche von Sankt Philipp und Jakob; aufgenommen während der Belagerungszeit (Autor:<br />
Dionizije Šebetovsky)<br />
Gebäude der Eisenbahnstation; aufgenommen während der Belagerungszeit (Autor: Dionizije<br />
Šebetovsky)<br />
77
Reste der Kirche und des Franziskanerkloster von Sankt Philipp und Jakob sowie des Gymnasiums<br />
und des Wasserturms in Vukovar, Folgen der serbischen Aggression 1991<br />
Zerstörtes Schloß Eltz, Folgen der serbischen Aggression 1991<br />
und anderen Gebäuden, zu den ewigen Symbolen der Stadt wurden auch ein großer und<br />
durch Granaten durchlöcherter Wasserturm mit kroatischer Staatsflagge und ein zerstörtes<br />
Krankenhaus.<br />
Auch die Massenrichtstätte Ovčara wurde zum Symbol für Qualen und Opfer, die die<br />
Einwohner und die Verteidiger für Freiheit und Unabhängigkeit der RH ertragen mußten.<br />
Ovčara ist ein ehemaliger landwirtschaftlicher Betrieb, welcher sich etwa fünf Kilometer<br />
südöstlich von Vukovar befindet. Seine Lagerhallen verwandelten die JNA und die serbischen<br />
Paramilitärs in ein Internierungslager für die Vukovarer Verteidiger, Zivilisten, Verwundete<br />
78
und für das aus dem Krankenhaus von Vukovar abgeführte medizinische Personal. Im<br />
Lager schlugen die zügellosen, betrunkenen und uniformierten Soldaten der JNA sowie<br />
Paramilitärs, aber auch der serbische Bürgermeister von Vukovar S. Dokmanović persönlich,<br />
die Internierten mit Baseballschlägen, Stangen, Ketten, Kolben und anderen Gegenständen.<br />
Der Folterung erlagen gleich vier Gefangene und die anderen wurden in 10er- und 20er<br />
Gruppen verteilt und zu einer Schlucht gebracht, die etwa 900 Meter vom Weg Ovčara –<br />
Grabovo lag. Diese Menschen wurden dann am 20. November 1991 getötet und in einen<br />
Massengrab geworfen. Im September und Oktober 1996 wurden 200 Leichen exhumiert und<br />
bis zum Juli 2006 konnte man 192 Personen im Alter von 16 bis 72 Jahren identifizieren.<br />
Das Verbrechen von Ovčara war nur eines von vielen, das durch den serbischen Aggressor<br />
im Verlaufe des Angriffs auf Vukovar verübt wurde. Im Laufe der Zeit wurde Ovčara zu einer<br />
Gedenkstätte für alle anderen Richtstätten und Massengräber, die die JNA und die serbischen<br />
Paramilitärs im weiten Umland von Vukovar hinterließen: Antin, Berak, Bogdanovci, Borovo<br />
Selo, Bršadin, Ćelije, Čakovci, Dalj, Daljski Atar Globovac, Ilok, Lovas, Marinci, Mikluševci,<br />
Mohovo, Negoslavci, Novi Jankovci, Petrovci, Slakovci, Stari Jankovci, Svinjarevci, Sotin,<br />
Tordinci, Tovarnik, Vukovar Novo groblje (Neuer Friedhof), Nova ulica, das Lager von der<br />
Firma Velepromet und zahlreiche andere Orte der Massen- oder Einzelverbrechen.<br />
Gedenkstätte für die in Ovčara ermordeten<br />
Opfer<br />
79
Um Gottes willen, was für Menschen werden hier ermordet!<br />
Vukovar stand unter Belagerung, aber aufgrund ihres beharrlichen und zähen<br />
Widerstands unterbindeten seine Verteidiger den anfänglichen Schwung des<br />
Feindes. Die erwartete Dynamik der feindlichen Offensive wurde verlangsamt.<br />
Indem sie ihre eigenen Leben opferten, schafften die Verteidiger die notwendige Zeit<br />
um in anderen Teilen Kroatiens die Mobilisation durchzuführen, neue Streitkräfte<br />
aufzustellen und Bewaffnung und Ausrüstung zu erwerben. Sie ermöglichten der<br />
kroatischen Führung ihre diplomatische Tätigkeit zu intensivieren um die internationale<br />
Anerkennung so schnell wie möglich zu erreichen. Nicht nur, daß sie den Großteil<br />
der feindlichen Streitkäfte im Kampf um Vukovar festgebunden haben, sie haben den<br />
Feind dann auch teilweise so zerschlagen und demoralisiert, daß er nicht mehr in der<br />
Lage war, größere Vorstöße zu wagen. Die Verteidiger haben den Versuch des Feindes<br />
eine Verbindung zwischen der JNA-Truppen in Ost- und Westslawonien, die eine<br />
strategische Bedeutung in den Operationsplänen der JNA-Führung bei der Eroberung<br />
Slawoniens spielen sollte, herzustellen, vereitelt. Sie zeigten auch, daß ein Kampf gegen<br />
einen übermäßig überlegenen Feind überaus möglich war. Die begangenen Verbrechen<br />
an Zivilisten und auch der Ausmaß der Zerstörung enthüllten der Welt das richtige Bild<br />
von der serbischen Aggression, was zum Verständnis der Geschehenisse in Kroatien<br />
und zur Beschleunigung der internationalen Anerkennung Kroatiens beitrug.<br />
Durch ihre Ausnahmerolle in der Verhinderung des Feindes ganz Slawonien zu besetzen<br />
und damit die entsprechende Operationstiefe, bzw. günstige Bedingungen für eine weitere<br />
Vorrückung in Richtung Zagreb und Schaffung des sog. Großserbiens zu verwirklichen, hat die<br />
Vukovarer Verteidigung eine strategische Bedeutung für die Verteidigung von ganz Kroatien<br />
angenommen. In Arbeiten, die den Kampf um Vukovar thematisieren, wird behauptet, daß<br />
aufgrund „einer großen Menge an vernichteten Ausrüstung und einer großer Zahl der außer<br />
Gefecht gesetzten Soldaten, wodurch die militärische, politische und psychische Leistung der<br />
JNA geschwächt wurde, diese Verteidigung eigentlich Türen zur Gründung eines freien und<br />
unabhängigen Kroatiens und seinem Sieg im Heimatkrieg” geöffnet haben sollte. Der Kampf<br />
um Vukovar ist deswegen als ein “strategisches Sinnbild des Wertsystems des modernen<br />
kroatischen Staates” zu verstehen. Mit ihrem Patriotismus und Mut verdienten sich die<br />
Vukovarer Verteidiger einen Ehrenplatz in der kroatsichen Geschichte.<br />
Zahlreiche Autoren haben ihre Werke den Helden des Heimatkrieges gewidmet, und ihre<br />
Bewunderung für ihre Opfer und Größe zum Ausdruck gebracht. Über sie spricht man mit<br />
80
großer Anerkennung. Unter diesen Werken hebt sich durch seine Wärme, Aufrichtigkeit<br />
und Originalität das Buch „91,6 MHZ – glasom protiv topova (“91,6 MHZ – Mit Stimme<br />
gegen die Kanonen), von Alenka Mirković – Journalistin des Kroatischen Rundfunks<br />
Vukovar, hervor. Im Kapitel, in welchem sie ihr Ausbruch aus der Stadt beschreibt, erzählt<br />
sie in einem Abschnitt auf Seite 283 von einer Begegnung mit zwei Polizisten aus Varaždin.<br />
Ihr Kollege und sie wurden von diesen Polizisten angehalten, in der Hoffnung, daß sie als<br />
“Einheimische” das Terrain kennen. Der Satz am Ende dieses Abschnittes drängt sich als<br />
eine Schlußfolgerung einer aufrichtigen Geschichte über Vukovar und Kroatien im Jahr<br />
1991 und als eine einfache Zusammenfassung von Tugenden der Menschen, die Vukovar<br />
verteidigten und Kroatien verteidigt haben, auf:<br />
Den Teufel kennen wir das Terrain, dachte ich, indem ich wegen der Kälte hüpfte und mir in die Hände pustete.<br />
Der Polizist sah mich an, und dann zog er etwas aus seiner Tasche heraus und hielt es in meiner Richtung:<br />
„Sie werden diese mehr als ich brauchen.“<br />
Aus seinen Händen nahm ich ein Paar dicke und warme Wollhandschuhe.<br />
Ich fühlte Wärme, grenzlose Dankbarkeit und Traurigkeit.<br />
Um Gottes willen, was für Menschen werden hier ermordet!<br />
Gedenkstätte für ein freies Kroatien an der Mündung des Flusses Vuka in die Donau; glagolitische<br />
Schrift: Ewig wird der leben, der ehrenwert fällt!<br />
81
Erinnerungen der Beteiligten<br />
Mirko Brekalo, Oberst der Kroatischen Armee:<br />
Während der ganzen Belagerungszeit war die Stellung am Verbindungspunkt zwischen<br />
Borovo Naselje und der Trpinjska Straße von entscheidender Bedeutung. Man sollte aber<br />
etwas über die Männer und Frauen sagen, die durch ihre Heldentaten die unzerstörbare<br />
Kraft des Geistes und des Daseins des kroatischen Volkes auf diesen ostslawonischen<br />
Gebieten bewiesen haben. Viele kroatische Soldaten gaben ihr Leben für ihr Vaterland.<br />
Wir fragen uns, wer waren diese Menschen, die als ersten zu den Waffen griffen um ihre<br />
Häuser zu verteidigen – sie waren wahrhaftige kroatische Kämpfer, die für ihr Vaterland<br />
den höchsten Preis bezahlten – sie verloren ihr vom Gott geschenktes Leben.<br />
Sie kamen aus ganz Kroatien: Vukovar, Vinkovci, Đakovo, Slavonski Brod, Našice,<br />
Varaždin, Čakovec, Zagreb, Kraljevica, aus Dalmatien, aus der Lika, Zagorje, Bosnien und<br />
Herzegowina und aus dem Ausland. Sie alle waren wundervolle Menschen und furchtlos<br />
als Soldaten und nannten sich immer nur bei Spitznamen: Turbo, Šljoka, Krešo, Plavi,<br />
Kivi, Zolja, Drava, Grubi, Bik u.a.<br />
Die Taten dieser Menschen sprechen für sich selbst, sie ließen zerschlagene feindliche<br />
Kräfte hinter sich, ein Panzerfriedhof in der Trpinjska und Borovska, in der Hercegovačka,<br />
Vinogradska, Bosanska und Vinkovačka Straße, in Budžak und beim Haus der Technik.<br />
Der Feind behauptete, daß diese Soldaten einen Völkermord verübt haben, aber sie kämpften<br />
Seite an Seite auch mit Serben, Ungarn, Russinen, Ukrainern, Albanern und anderen.<br />
Einen Tag nach dem anderen hielten sie ihre Stellungen, bis zu dem Zeitpunkt, als sie ohne<br />
Panzerabwehrwaffen geblieben sind. Der Feind hätte diese Linie sonst nie durchbrechen<br />
können. Der schwierigste Augenblick kam, als man diesen Menschen mitteilen mußte, daß<br />
“keine Waffen mehr da sind”. Noch heute erinnere ich mich lebendig mit großer Trauer an<br />
diese Leute. Ihre Augen verrieten ihre Qual als sie zum Himmel aufschauten: “Lieber Gott,<br />
was sollten wir jetzt tun?”<br />
Viele von ihnen wurden ins Ungewisse abgeführt: Gardisten, Polizisten, Zivilisten,<br />
Verwundete, und das nur weil sie ihr Heim verteidigten. Die ganzen Familien und einzelne<br />
Personen, deren Vorbild der kroatische Ritter Blago Zadro war, wurden vermißt. Wir<br />
merken uns die Namen, die für immer in unserer Erinnerung bleiben werden: Robo,<br />
Vjeko, Joja, Ćićo, Neđo, Veso, Sućo, Šimun, Milan, Vinko, Ante, Škutur, Božo, Tomislav,<br />
Dragec, Ružica, Sabina, Mara, Vesna, Jelena und andere. (Auszug aus dem Buch Gdje<br />
su naši najmiliji?, Zagreb, 1996, S. 19)<br />
83
Zvone Ćurković, Befehlshaber der Kroatischen Verteidigungskräfte (kurz HOS):<br />
Sajmište wurde außer von “Einheimischen” auch von Soldaten, die aus ganz Kroatien gekommen waren,<br />
verteidigt. Der Truppe, die unter meinem Befehl stand, gehörten auch einige Serben, Montenegriner<br />
und Muslime an. Wir hielten unsere Stellungen bis etwa Mitte November. Von da an hatten wir eine<br />
Straße nach der anderen verloren, und fingen an, sich in Richtung des Stadtzentrums zurückzuziehen.<br />
Es ist sehr schwer auf einmal alle Ereignisse zu erzählen und alle tapfere Verteidiger von Sajmište<br />
aufzuzählen, sagt Zvone Ćurković, und weist auf ein größeres Kapitel über Sajmište und seine<br />
Verteidiger im Buch Bitka za Vukovar – der Autoren Mile Dedaković Jastreb, Alenka Mirkovć-<br />
Nađ und Davor Runtić, hin, und bestätigt, daß “Sajmište nach Überzeugung vieler, als einer der<br />
am härtesten umkämpften Stützpunkte der Vukovarer Verteidigung galt”. Er stimmt den im Buch<br />
angeführten Behauptungen zu: Die kriegerischen Ereignisse in Sajmište zeichneten sich durch die<br />
unterbrochenen Straßenkämpfe für jedes Stadtviertel, jede Straße, jedes Haus, für jeden Keller oder<br />
Garten aus. Die sog. “Säuberungsaktionen” der feindlichen Infanterie nach ihrem Vorstoß in einzelne<br />
Stadtteile waren die härtesten Formen dieses Kampfes. Diese Aktionen wurden von kleineren Gruppen<br />
durchgeführt, denen die Einheimischen als Führer dienten. Es gab keine klassische Frontlinie, man<br />
kämpfte Brust an Brust, die Entfernung vom Feind betrug weniger als 15 m. Manchmal standen sich<br />
Verteidiger und Freischärler direkt gegenüber “Auge in Auge” und sie sahen sich für ein Moment an. Die<br />
schnellen und die erfinderischen haben überlebt. Die Kommanduere gingen immer vor, sie waren die<br />
Spitze. So fiel auch Ivan Brdar, der Befehlshaber einer Truppe der Kroatischen Verteidigungskräften,<br />
deren Soldaten sehr geschätzt waren. Sie kamen immer dort zum Einsatz, wo die Lage besonders<br />
gefährlich war. Von 58 Soldaten der HOS-Einheiten, welche Sajmište und Bogdanovci verteidigten, sind<br />
25 gefallen und nur sieben waren nie verwundet. Die leicht verwundeten blieben in ihren Stellungen.<br />
Beispielsweise, mich “fanden” zuerst die Splitter einer Handbombe, dann die Kugel eines “Skorpions“.<br />
Das dritte Mal traf mich ein „Dumdumgeschoß“. Einige von uns waren sogar viermal verwundet.<br />
Die Überlebenden und die, die sich noch auf Beinen halten konnten, zogen sich im Verlaufe des<br />
Durchbruchs in Richtung Nuštar gemeinsam mit der Militärpolizei zurück. Es ist schwer unter diesen<br />
Menschen nur einige zu erwähnen, aber wenn ich jemanden schon hervorheben muß, mögen es dann<br />
die Befehlshaber von Sajmište sein: Petar Kačić – Srednji bojler (Mittlerer Boiler), Stjepan Sučić –<br />
Crni (der Schwarze), Velimir Đerek – Sokol (Falke), Josip Tomašić – Osa (Wespe), Siniša Mataija<br />
– Rambo, Ivan Poljak – Sokol, Nikica Burić – Samoborac, der eine “selbständige” Truppe war, und<br />
andere Helden. Ich muß auch der Befehlshaber der HOS bei Sajmište gedenken: Stjepan Antolić und<br />
Josip Abel.<br />
Und am Schluß, muß ich die erhabenen Ziele unseres Kampfes betonen. Trotz der Greultaten unseres<br />
Feindes, wir ließen nicht zu, daß jemand von uns jemals die Zivilisten bedroht. Wir gingen zum<br />
Krankenhaus um Arzneimittel sowohl für Kroaten als auch für Serben zu holen, die sich in den Kellern<br />
auf unserem Gebiet aufhielten. Es ist an der Zeit und es ist unsere Verpflichtung zu zeigen, wieviel<br />
Mut, Charakter und Moral in die Verteidigung von Vukovar gesteckt wurde – in diesen Grundstein<br />
der kroatischen Staatlichkeit und Freiheit. Besonders aber heute, wenn die sog. Tatsachen der Wahrheit<br />
nicht so ganz entsprechen, wenn der Öffentlichkeit ein falsches Bild über die Verteidiger gezeigt wird,<br />
und sie als eine Gruppe primitiver Menschen ohne Ehre und Ideale, nur als Abenteuerer dargestellt<br />
werden, sollte man etwas unternehmen. Natürlich gab es auch solche Menschen unter Verteidigern,<br />
aber sie waren eher eine Ausnahme. Die meisten Soldaten waren und blieben die Menschen mit einem<br />
starkem Charakter, festen moralischen Prinzipien und einem sehr großen Herz.<br />
84
Pilip Karaula, Oberst der Kroatischen Armee:<br />
Die Einkreisung Vukovars zog immer mehr zusammen. In Sajmište verlor man eine Straße nach<br />
der anderen, und dann fiel auch Lužac. Borovo war von Vukovar abgeschnitten. Aufgrund heftiger<br />
Angriffe rückten die Freischärler bis zum alten katholischen Friedhof und bis zur Grundschule “Stjepan<br />
Supanc” vor. Auch Mitnica wurde vom Stadtzentrum abgeschnitten und die Stadt bestand aus drei<br />
kleineren Teilen, bzw. drei abgetrennten Hochburgen. In Borovo kämpften die Männer um jedes Haus.<br />
Aber der Feind rückte immer weiter vor. Die Verteidiger mußten sich aus dem Zentrum zurückziehen<br />
und einen Ausbruch wagen. Mitnica hielt noch die Stellungen und es wurde noch eine neue Front bei<br />
„Najpaorova bašća“ nahe Wasserturm eröffnet. Auch hier waren die serbischen Freischärler auf dem<br />
Vormasch. Wir waren völlig umzingelt, hatten keinen freien Weg zum Krankenhaus, und tausende<br />
von Granaten trafen immer mehr Zivilisten in ihren jetzt auch schon zerstörtern Kellern.<br />
Wir hatten fast keine Panzerabwehrwaffen, die Munition für die Infanterie wurde einzeln gezählt.<br />
Man sammelte sie auf einem Stützpunkt, um sie dann zum nächsten weiterzureichen, wo es gerade<br />
am nötigsten war. In jedem Augenblick konnten die Frontlinien gebrochen werden, und ich durfte<br />
nicht daran denken, was dann mit Zivilisten von Mitnica passiert. In späten Abendstunden am<br />
17. November 1991 rief ich die Kommandanten von Mitnica zusammmen, und nachdem man alle<br />
Tatsachen besprochen hatte, beschlossen wir schweren Herzens, die Soldaten im Austausch für die<br />
Zivilisten anzubieten.<br />
Ich trat in Verbindung mit der Jugo-Armee und schlug die Verhandlungen vor. Danach wurde ein<br />
Treffen bei Goldschmitov salaš (Maierhof Goldschmit) am 18. November 1991 vereinbart. Zdravko<br />
Komšić und Matija Mandić ließen mich nicht alleine gehen und so gingen wir drei am 18. November<br />
1991 etwa um Mittag zum “Stab”, bzw. dislozierten Kommando der Jugo-Armee. Dort erwarteten uns<br />
die Vertreter der JNA, ein Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes namens Nikolas Borsinger und<br />
zahlreiche Kameras und Journalisten.<br />
Die Serben forderten eine bedingungslose Übergabe der Bewaffnung. Wir verlangten freies Geleit für<br />
die Zivilisten nach Kroatien. Erst dann waren wir bereit die Waffen zu übergeben. Man entschied<br />
dann, daß die Zivilisten und die Soldaten zu Novo groblje (Neuer Friedhof) kommen, wo die Soldaten<br />
dann ihre Waffen übergeben werden. Die Zivilisten sollten mit Bussen und Lkws nach Kroatien<br />
gefahren werden. Das Internationale Rote Kreuze garantierte die Erfüllung aller Bestimmung dieser<br />
Vereinbarung, aber die serbische Seite verletzte dann doch einige von ihnen.<br />
Die Soldaten (182 an der Zahl) übernachteten in Ovčara und dann wurden sie in das Internierungslager<br />
in Sremska Mitrovica gebracht. Auch alle Zivilisten wurden nach Serbien abgeführt. Die Männer<br />
wurden zusammen mit Soldaten interniert. Frauen und Kinder durften dann doch nach Kroatien<br />
fahren. Die Soldaten wurden ausgetauscht und der größte Austausch fand am 14. August 1992 statt.<br />
Ich erinnere mich noch daran, daß ein Soldat in Sremska Mitrovica getötet wurde, daß man einen<br />
Zivilisten noch bei Novo groblje (Neuer Friedhof) vermißte, und einer nahe der Stadt Šid verschwand.<br />
Alle anderen Zivilisten und Soldaten kehrten nach Kroatien zurück.<br />
Es muß aber bedacht werden, daß sich eine größere Zahl von Soldaten von Mitnica im Krankenhaus<br />
befand. Auch die Einwohner dieses Stadtteils waren in ganz Vukovar verstreut und man verlor ihre<br />
Spuren. Die Zahl der vermißten Soldaten und Zivilisten ist deswegen sicher höher als diese drei Opfer,<br />
die ich erwähnte. Die Tatsache ist, daß diese Menschen erst nach den Verhandlungen, die ihre Rettung<br />
bedeuten sollten, verunglückten. (Auszug aus dem Buch Gdje su naši najmiliji?, Zagreb, 1996, S. 20)<br />
85
Ante Nazor<br />
AUCH DAS KRANKENHAUS WAR EINE<br />
SCHIEßSCHEIBE<br />
87
Während der Angriffe<br />
auf die Stadt Vukovar und Vukovarer Krankenhaus<br />
sowie nach der serbischen Besetzung der Stadt<br />
verloren ihr Leben 32 Beschäftigte des Kriegskrankenhauses von Vukovar,<br />
wovon 20 in Ovčara getötet und<br />
4 als vermißt nach ihrer Gefangennahme<br />
gemeldet wurden.<br />
Infolge der Angriffe auf die Stadt wurden<br />
bei Verrichtung ihres Dienstes in dem Medizinischen Zentrum Vukovar<br />
vier Ärzte,<br />
sechs Krankenschwester,<br />
zwei Mitarbeiter des medizinischen Teams,<br />
ein Hilfsarbeiter und<br />
zwei Fahrer verwundet.<br />
Nach der Okkupation der kroatischen Stadt Vukovar<br />
beschlagnahmte die Jugoslawische (eigentlich serbische) Armee<br />
die gesamte medizinische Dokumentation des Medizinischen Zentrums Vukovar.<br />
Aus diesem Grund sind die angeführten Angaben über die Arbeit des<br />
Krankenhauses unddie Behandlung von Verwundeten unvollständig.<br />
88
Logo des Museums –<br />
„Gedenkstätte“ im Vukovarer<br />
Krankenhaus;<br />
Autoren Ivica Propadalo<br />
und Željko Kovačić<br />
... Nach allen Schwierigkeiten, die dem Krankenhaus in seiner Geschichte widerfahren hatten,<br />
erlebte es seine Schwersten aber zugleich ruhmvollsten Tage im Heimatkrieg während der serbischen<br />
Belagerung. Ein mehrfach stärkerer Gegner griff drei Monate lang die Stadt an, deren Herz das<br />
Krankenhaus darstellte. Sein tapferes und professionelles Personal leistete das Unmögliche. In<br />
völliger Einkreisung und in einem zerstörten Krankenhaus verstanden diese eifrigen Ärzte,<br />
Krankenschwestern und ihre Mitarbeiter die Bedingungen zu schaffen, unter welchen in der<br />
Dunkelheit des Alltags viele Verwundete und Kranke gerettet und geheilt werden konnten, sowie<br />
die Neugeborenen das Licht der Welt erblickten. Die Hilferufe des Personals stießen aber auf kein<br />
Gehör. Die Welt sah ruhig der Verwüstung der Stadt und Vernichtung des Krankenhauses zu.<br />
Diese Zerstörung stellte ein vom Aggressor sehr vorsichtig ausgewähltes strategisches Ziel bei der<br />
Ausführung seines Vorhabens, die Verteidigung Kroatiens zu brechen, dar. Durch ihr Schweigen<br />
unterstützte auch die Internationale Staatengemeinschaft diese Absicht.<br />
Ihre Vertreter ließen nicht zu, daß als Verwundete mit einem Hilfskonvoi evakueirt werden sollten<br />
(am 19. Oktober 1991, Anm. A.N.), dem Krankenhaus die Medikamente zugestellt oder das<br />
erschöpfte medizinische Personal durch neue Mitarbeiter ersetzt wurde. Sie verurteilten nicht die<br />
Nichteinhaltung des Abkommens, das ich im Auftrag der Regierung der RH mit den Vertretern der<br />
JNA unterzeichnet hatte. Nach diesem Abkommen sollte die Internationale Organisation des Roten<br />
Kreuzes in der Nacht der blutigen Feier des Aggressors am 19. November 1991 die Kontrolle über<br />
das Krankenhaus übernehmen. Die internationalen Beobachter teilten auch der Welt nicht mit,<br />
daß die Soldaten der JNA ins Krankenhaus gewaltsam eingedrungen und allen Mitarbeitern des<br />
Roten Kreuzes den Eintritt verboten haben. Die JNA und mit ihren Waffen ausgerüstete Zivilisten<br />
brachten eine Anzahl der Patienten und der Belegschaft fort. Diese Menschen wurden dann<br />
gefoltert und ermordet, was verschwiegen wurde. Letztendlich wurden diese Henker, die Vukovar<br />
folgerichtig zerstörten und seine Einwohner ermordeten, nie vor Gericht gebracht und angeklagt.<br />
Unter diesen Umständen spelte das Krankenhaus von Vukovar seine heroische und humanitäre<br />
Rolle ...<br />
(Auszug aus der Vorrede von<br />
Prof. Dr. Andrija Hebrang zur Monographie<br />
Vukovarska bolnica 1991., Vukovar, 2007)<br />
89
Bereits nachdem die ersten Barikkaden in Knin am 17. August 1990 errichtet worden<br />
waren, wodurch der Aufstand der Serben in Kroatien begonnen hatte, entschloss sich<br />
der damalige Minister für Gesundheitswesen, Prof. Dr. Andrija Hebrang, aufgrund<br />
der eingetroffenen Berichte sowie einer fachlichen Einschätzung möglicher Folgen,<br />
heimlich mit einer Gruppe von Mitarbeitern die notwendigen Vorkehrungen im<br />
Bereich des Gesundheitswesens für den Fall eines Kreigsausbruchs zu treffen.<br />
Im September 1990 wurde eine Bestandsaufnahme in allen zugänglichen Lagern<br />
mit Sanitätsausrüstung und Sanitätsmaterial vorgenommen. Mit Rücksicht auf<br />
Gewalteskalation und Tatsache, daß die Bundesarmee wiederholt eine Hilfeleistung bei<br />
der Wahrnehmung des Gesundheitsschutzes unterließ, sogar wenn es sich dabei um<br />
Erste Hilfe für die gefährdete Bevölkerung handelte, sowie aufgrund der gegen der RH<br />
ausgesprochenen Drohungen, gründete der Minister am 19. Dezember 1990 den Stab<br />
des Gesundheitsdienstes der RH, dessen Aufgabe darin bestand, den Gesundheitsdienst<br />
den unvorhergesehenen Umständen entsprechend zu organisieren.<br />
Auf Vorschlag des Stabs, faßte der Innenminister der RH Josip Boljkovac am 4.<br />
Februar 1991 den Entschluß über die Aufstellung der Mobilen chirurgischen Teams,<br />
welche die Spezialeinheiten der Polizei unterstützen sollten, wodurch der Stab des<br />
Gesundheitsdienstes der RH zum Sanitätsstab der RH wurde. Den ersten Einsatz<br />
hatte eines dieser Teams in Pakrac am 2. März 1991 im Rahmen einer Aktion der<br />
Antiterroristischen Einheit Lučko und die erste Intervention bei den Plitvicer<br />
Seen am 31. März. Parallel mit der Entwicklung der kroatischen Streitkräfte ging<br />
der Sanitätsstab der RH im April 1991 in den Hauptstab für Sanitätsdienst der RH<br />
über, indem er die grundlegende und fundamentale Rolle in der Organisierung<br />
eines dreifachen Schutzsystems übernahm, das aus Zivilschutz für Bevölkerung, aus<br />
Sanitätsdienst zur Unterstützung der Polizei und ihrer Spezialeinheiten im Rahmen<br />
des Innenministeriums sowie aus den Einheiten der Nationalgarde und anderen<br />
neuerrichteten Verbänden des Verteidigungsministeriums bestehen sollte. Durch eine<br />
Neuordnung vom 3. September 1991 wurde dann der Generalstab für Sanitätsdienst der<br />
RH gegründet, dessen Befehlshaber Primarius Dr. Ivo Prodan wurde. Der Generalstab<br />
bestand aus Abteilungen und Dienststellen, und übereinstimmend mit Verfügungen<br />
des Ministers für Gesundheitswesen führte man zum ersten Mal in Kroatien ein neues<br />
Verfahren in der Versorgung von Verwundeten als Staffelstellung ein:<br />
- Erste Staffelstellung – Evakuierung der Verwundeten aus dem Gebiet entlang der ersten<br />
Frontlinie in chirurgische Aufnahmeeinrichtungen sowie Erste-Hilfe-Leistung;<br />
- Zweite Staffelstellung – chirurgische Aufnahmeeinrichtungen als erste Station für<br />
chirurgische Hilfeleistung;<br />
- Dritte Staffelstellung – provisorische Sanitätseinrichtungen als Reserve-Lokalitätan<br />
(Feldspitäler) oder mit Teams für eine vollständige ärztliche Behandlung von<br />
Verwundeten und Verunglückten ausgestattete Sanitätseinrichtungen nahe der<br />
Frontlinie;<br />
90
Medizinisches Zentrum Vukovar, Herbst 1991; Folgen der serbischen Aggression (Photo: Damir Radnić)<br />
- Vierte Staffelstellung – Sanitäts- und Rehabilitationseinrichtungen<br />
(Tertiäreinrichtungen) für Schlußbetreuung und Versorgung von Verwundeten und<br />
Verunglückten.<br />
Auf diese Weise wurde in Kroatien innerhalb einer kurzen Zeit ein zweckmäßiges<br />
und angemessenes Qualitätssystem im Bereich des Gesundheits- und Sanitätsdienstes<br />
aufgebaut, das auf alle Herausforderungen erwidern konnte. Die Ergebnisse dieses<br />
Dienstes im Heimatkrieg waren unter den optimalsten im Vergleich mit Weltkriegen.<br />
Gewiß spielte der Generalstab für Sanitätsdienst der RH eine Hauptrolle in der<br />
Organisation des Nachschubs von Arzneimitteln und Sanitätsmaterial für das<br />
Vukovarer Krankenhaus, sowie beim Ersetzen vom chirurgischen und anderen<br />
medizinischen Personal, besonders als über die Stadt eine völlige Blockade verhängt<br />
wurde. Der Generalstab organisierte auch die Hilfskonvois für die Evakuierung von<br />
Verwundeten. Dazu stand Minister für Gesundheitswesen Prof. Dr. Andrija Hebrang<br />
mit der Direktorin des Krankenhauses Dr. Vesna Bosanac fast täglich in Verbindung.<br />
Während der Aggression auf Kroatien im Herbst 1991 riessen Geschütze, Panzer,<br />
Mehrfachraketenwerfer und Kampfflugzeuge der JNA etwa dreißig kroatische<br />
medizinische Einrichtungen ab. Einige wurden sogar von mehreren tausend<br />
91
Vukovarer Krankenhaus; Folgen der serbischen Aggression<br />
(Photo: Damir Radnić)<br />
92<br />
verschiedenen Artielleriegeschossen<br />
getroffen! Darunter hebt sich<br />
besonders nach der Zahl der<br />
Treffer und den unmöglichen<br />
Arbeitsbedingungen das Vukovarer<br />
Kriegskrankenhaus hervor.<br />
Am Vorabend der serbischen<br />
Aggression 1991 verfügte das<br />
Medizinische Zentrum Vukovar<br />
über 420 Krankenbetten und 933<br />
Beschäftigte: darunter 104 Ärzte<br />
und 337 Krankenschwestern.<br />
Bis zum Ende der Belagerung<br />
blieben im Krankenhaus etwa<br />
350 Beschäftigte. Gleich nach der<br />
Besetzung der Stadt wurden 250<br />
von ihnen vertrieben. Die ersten<br />
Opfer der serbischen Terroristen<br />
wurden in das Medizinische<br />
Zentrum Vukovar schon Anfang<br />
April 1991 eingeliefert. Nach dem<br />
am 2. Mai 1991 an kroatischen<br />
Polizisten verübten Massaker in<br />
Borovo Selo, als die Polizisten<br />
aus einem Hinterhalt angegriffen<br />
worden waren, führte man doppelte<br />
Schichten und Bereitschaften für<br />
die Mitarbeiter der chirurgischen<br />
Poliklinik und Chirurgie des Vukovarer Krankenhauses ein. Von da an fingen die<br />
serbischstämmigen Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze zu verlassen. Trotz der Arbeitspflicht<br />
stellten sich viele von ihnen auf die Seite des Aggressors.<br />
Um die Arbeit des Personals und die Benutzung der räumlichen Kapazitäten des<br />
Krankenhauses unter Kreigsbedingungen besser zu organisieren, wurde im Juli 1991<br />
ein “Krisenstab” gegründet. In den Atomschutzkeller verlegte man Intensivstation,<br />
Pädiatrieabteilung mit Brutkasten sowie 120 Montagebetten für Verwundete und<br />
Personal. Der Schutzkeller verfügte über eine Sanitäranlage, eine Hilfsküche sowie<br />
Lagerräume für den Arzneimittel-, Nahrungsmittel-, Bettwäsche-, und Wasservorrat.<br />
Die Fenster und Tür des Souterrains und der Kellerräume waren mit Sandsäcken<br />
und Holzbalken geschützt. Solange es die Umstände ermöglichten, schickte der<br />
Generalstab für Sanitätsdienst der RH in Zagreb alle 14 Tage neue medizinische
Teams (einen Chirurg und einen Assistenzarzt oder zwei Chirurgen, dann wiederum<br />
einen Anästhesiologen, manchmal auch einen Orthopäden sowie Medizintechniker<br />
– Anästhesisten und instrumentierende Pflegekräfte) nach Vukovar.<br />
Obwohl das Erkennungszeichen des Roten Kreuzes auf dem Dach und im Hof des<br />
Krankenhauses klar und deutlich zu sehen war, fielen auf das Krankenhaus und<br />
seine nähere Umgebung durchschnittlich etwa zwischen 70 und 80 Granaten täglich;<br />
zuweilen sogar mehr als 700 Projektile. Infolge des fortwährenden Artilleriefeuers<br />
der JNA und serbischen Paramilitärs, konnten die Patienten vom 25. August 1991<br />
in den Krankenhausabteilungen nicht mehr untergebracht werden. Leben und<br />
Arbeit im Krankenhaus mußten in Kellerräume verlegt werden: ins Souterrain, in<br />
einen das alte und das neue Gebäude des Krankenhauses verbindenden Korridor<br />
sowie in den Atomschutzkeller. Gips- und Röntgenraum im Souterrain wurden zu<br />
Operationssälen Die Abdominaloperationen wurden auf dem Untersuchungstisch<br />
im Behandlungsraum mit dem Röntgenappart, und alle anderen auf dem Gipstisch<br />
und manchmal sogar auf Krankenfahrstuhlen und Krankenbahren, durchgeführt. In<br />
solchen für ernstere chirurgische Eingriffe nicht vorgesehenen Räumen verrichtete<br />
die Chirurgie des Vukovarer Krankenhauses ihre Arbeit. So standen 24 Stunden<br />
Ruinen von „Borovo-Commerce“ in Borovo Naselje, das Gebäude wurde während des Schlußangriffs<br />
der JNA am 18. und 19. November 1991 zerstört; aufgenommen nach der serbischen<br />
Okkupation (Autor Mag. Božo Biškupić).<br />
93
täglich drei chirurgische Teams für die Operationen zur Verfügung. Die operierten<br />
Patienten wurden gleich in den Schutzkeller versetzt, wo sich neben der Intensivund<br />
Pflegestation auch die Postoperative Pflege sowie die Pädiatrie (Abteilung für die<br />
Neugeborenen und ihre Mütter) befanden. Im Soutterain des alten Krankenhauses<br />
improvisierte man auch die Räume für Neurologie und Psychiatrie.<br />
Bis zum Zeitpunkt als man noch Vukovar verlassen konnte, wurden die Schwerverwundeten<br />
im Krankenhaus behandelt, und dann nach Vinkovci und Đakovo und weiter nach<br />
Osijek oder Zagreb transportiert. Die fünf Hilfkonvois, die unter der Leitung des Teams<br />
von Dr. Josip Husar seit Ende August bis Anfang Oktober 1991 organisiert wurden,<br />
evakuierten mehr als 600 (632) Verwundete. Sobald es die Umständen erlaubten,<br />
wurden die Leichtverwundeten in den Schutzkeller im Gebäude des Kombinats<br />
“Borovo-Commerce” verlegt, wo auch ein Reservespital eingerichtet wurde. In dieser in<br />
Vukovar am besten ausgestatteten Unterkunft, die mit Aggregaten und einer ständigen<br />
Wasser- und Stromversorgung versehen war, verweilten etwa 250 Verwundete und 600<br />
Zivilisten. Der Schutzkeller wurde durch Vorhänge aus Bettüchern „verteilt“, um die für<br />
den Aufenthalt von Familien bestimmten Zimmer von dem für die Unterbringung der<br />
Patienten geplanten Raum abzutrennen. Dadurch, daß die Leichtverwundeten weiter<br />
transpotiert wurden, machte man Platz für neue Verwundete und Patienten frei. Der<br />
letzte Umzug von etwa 30 Verwundeten vom Krankenhaus zum Firmengebäude von<br />
„Borovo-Commerce“ beendete man in der Nacht am 8. November 1991. Während<br />
solcher Unternehmungen riskierten Fahrer und Verwundete immer wieder ihr Leben.<br />
Außerdem errichtete man eine zusätzliche Klinik in Ilok mit einigen Teams im Bereich<br />
des primären Gesundheitschutzes, sowie einen Krankentrakt in Bogdanovci, der seinen<br />
Dienst erfolgreich bis zur Okkupation leistete. Im Keller des Schlosses Eltz, daß aber<br />
sehr bald zerstört wurde, hat man die Operationssäle ausgestattet. Der Rettungsdienst,<br />
der auf allen Ebenen der freien Stadtteile wirkte, hatte seine Basis im Vukovarer<br />
Krankenhaus. Nach ihrer Gründung im September 1991 wurde dem Krankenhaus<br />
auch die militärische Sanitätseinheit des städtischen Verteidigungstabs angeschlossen.<br />
Den primären Gesundheitsschutz, bestehend aus Ärzte- und Krankenschwesterteams,<br />
organisierte man bei den städtischen Zivilunterkünften, was eigentlich auch<br />
unbeaufsichtigtes Hinausgehen und eine größere Anzahl von Verunglückten<br />
verhinderte. Der Gesundheitsschutz wurde im Kombinat “Borovo-Commerce”, in den<br />
Schutzkellern von “Obućara” und Arbeiterverein in Borovo Naselje, in Wohnblöcken<br />
“Banane” (Borovo Naselje) und “Centar” (Stadt Vukovar), in Olajnica und in den<br />
Grundschulen “Ivo Lola Ribar” und “Vladimir Nazor”, im Keller des Handelsgeschäfts<br />
“Alpina” sowie in den Weinkellern in Ribarska und im Schloß Eltz errichtet. Die<br />
erwähnten Schutzkeller standen mit dem Krankenhaus ständig in Verbindung und<br />
jeden Tag bekamen sie die erforderliche Menge an Arznei- und Sanitätsmaterial<br />
geliefert. Ihnen wurden auch Ärzte und Krankenschwestern regelmäßig zugeteilt.<br />
94
Von links nach rechts: Dr. Stanko Kušt, Krankenschwester Zorica Ganić und Vesna Belinić, Medizintechniker<br />
Ante Arić, Dr. Boris Kratofil, Dr. Edin Zujović im Erholungsraum für das medizinische Personal im Röntgenraum<br />
im Keller des Krankenhauses, Oktober/November 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil)<br />
Seit Ende August verließ der Großteil des Personals das Krankenhaus äußerst selten. Die<br />
fortlaufende Aufnahme, Behandlung und Versorgung der Verwundeten verlangte von<br />
Ärzten, Krankenschwestern und anderem medizinischen Personal übermenschliche<br />
Anstrengungen. Am Anfang war jeder Verwundete gleich nach der Aufnahme einer<br />
diagnostischen Behandlung untergezogen, aber während der letzten zwei Monate,<br />
nachdem Labor und Röntgenraum zerstört worden waren, konnte man nur den<br />
elementaren Laborstatus bestimmen und die radiologische Untersuchung durchführen.<br />
Über jede verwundete Person wurde eine genaue und vollständige Evidenz gehalten.<br />
Die Soldaten der JNA beschlagnahmten nach dem Einzug ins Krankenhaus die ganze<br />
medizinische Dokumentation, bzw. die Krankenakten. Das ist auch der Grund, warum<br />
eine präzise Anzahl von aufgenommenen und behandelten Verwundeten und anderen<br />
Patienten so schwer festzustellen ist. Aber aufgrund der zugänglichen Angaben kann<br />
man mit großer Wahrscheinlichkeit doch behaupten, daß im Medizinischen Zentrum<br />
Vukovar während des Krieges mindestens 2500 Verwundete ärztlich versorgt wurden.<br />
Es wurden mehr als 1000 schwere chirurgische Eingriffe vorgenommen. Der jüngste<br />
Verwundete war 6 Monate und der älteste 88 Jahre Jahre alt. Im Durchschnitt wurden<br />
also etwa 30 Verwundete täglich eingeliefert, aber es gab die Zeiten, als es sogar<br />
92 waren und die Mehrheit von ihnen eine dringende Operation benötigte, was<br />
95
wiederum bedeutete, daß zwei Anästhesiologen an einem Tag sogar 78 mal Anästhesie<br />
verabreichen mußten. Nach einer Einschätzung machten die Zivilisten 70% der<br />
Gesamtzahl der Verwundeten aus, ihnen folgten die Gardisten mit 25% und Polizisten<br />
mit 5%. Mehr als 80% der Wunden entstanden als Folge einer Explosion, weniger als<br />
10% wurden durch ein Geschoß verursacht und etwa 5% der Verletzungen stellten<br />
durch Napalmbomben zugezogene Verbrennungen dar. Die restlichen Verletzungen<br />
entstanden durch eingestürzte Gebäude und Luftangriffe. Die Sterblichkeit, die Ende<br />
September zwischen 1,5 – 1,7% betrug, stieg aufgrund der außerordentlich schweren<br />
Arbeitsbedingungen unmittelbar vor der Okkupation auf 3%.<br />
Während der heftigsten Angriffe auf die Stadt wurden 16 Kinder im Krankenhaus<br />
geboren, fünf davon waren Frühgeburten. Vier überlebten (I. B., K. V., E. Đ., I. B.),<br />
aber eine, die nur 700 Gramm wog, starb am dritten Tag nach ihrer Geburt. Alle<br />
Verwundeten erfuhren die gleiche Behandlung, ohne Rücksicht auf ihre religiöse oder<br />
ethnische Angehörigkeit. Im Krankenhaus wurden auch die Soldaten der JNA sowie<br />
die berüchtigten Mitglieder der serbischen paramilitärischen Verbände, versorgt.<br />
Einige dieser Soldaten unterstützten<br />
sogar auf ihre eigene Forderung<br />
und durch ihre Unterschriften den<br />
Aufruf, den die Direktorin des<br />
Krankenhauses Dr. Vesna Bosanac<br />
zur Einstellung jeglicher Angriffe<br />
auf das Krankenhaus erließ. Einer<br />
der Soldaten, der an Folgen vom<br />
Gasbrand gestorben war, bekam 6<br />
Bluteinheiten verabreicht, obwohl sie<br />
Mangelware darstellten. Es war eine<br />
Ironie des Schicksals, daß der Feind<br />
das Krankenhaus beschoß, als drinnen<br />
seine verwundeten Soldaten behandelt<br />
wurden. So kam ein Kanonengeschoß<br />
durch das Kellerfenster des Zimmers<br />
hineingeflogen, in welchem die<br />
Von links nach rechts: Dr. Željko Jelinčić, Dr. Ivica<br />
Matoš, Dr. Boris Kratofil, Dr. Tomislav Vlahović,<br />
Dr. Vesna Bosanac, Dr. Juraj Njavro und Dr. Stanko<br />
Kušt (sitzt am Boden) im Aufnahmeraum (im<br />
Krieg diente er als Arbeitszimmer von Dr. Vesna<br />
Bosanac), Oktober/November 1991 (das Photo ist<br />
eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil)<br />
96<br />
Soldaten der JNA untergebracht<br />
worden waren, und als es über<br />
ihre Köpfe vorüberflog und durch<br />
die Wand des Nachbarzimmers,<br />
das als Erholungszimmer für das<br />
medizinische Personal fungierte,<br />
schlug, bohrte es sich in den Fußoden<br />
hinein, aber es explodierte nicht.
Von links nach rechts: Krankenschwester Vesna Belinić (hält eine Kompresse in der Hand), Dr. Boris Kratofil, Krankenschwester<br />
Mihaela Brajković in dem improvisierten Operationssaal, im Keller des Krankenhauses (zu Friedenszeiten die Ambulanz<br />
für kleinere chirurgische Eingriffe), Oktober/November 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil)<br />
Von links nach rechts: Dr. Boris Spajić (mit gekehrten Rücken) im Gespräch mit der Oberkrankenschwester Binazija<br />
Kolesar; Medizintechniker-Anästhetiker Zlatko Bukor (mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt) im Flur vor<br />
der Chirurgieambulanz, Oktober/November 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil)<br />
97
Über die katastrophalen Formen, welche die Zerstörung des Vukovarer Krankenhauses<br />
sowie die Arbeitsbedingungen, mit denen sich Verwundete, Ärzte, Krankenschwester und<br />
Medizintechniker konfrontiert sahen, annahmen, war die inländische und ausländische<br />
Öffentlichkeit rechtzeitig informiert. Dr. Vesna Bosanac erließ fast alltäglich Aufrufe zur<br />
Hilfe und Rettung von Verwundeten sowie Proteste gegen alltägliche Beshießung und<br />
Zerstörung des Krankenhauses. Sie wendete sich mehrmals an die Regierungsmitglieder<br />
der RH, die Befehlshaber der Kroatischen Armee und an die im Hotel „I“ in Zagreb<br />
untergebrachten Beobachter der Europäischen Gemeinschaft, an Papst Johannes Paul<br />
II. und andere Staatsmänner und Amtsträger (den Vorsitzenden des Ministerrates der<br />
Europäischen Gemeinschaft Hans Van Den Broek, französichen Präsidenten Fransois<br />
Mitterand, italienischen Präsidenten Francesco Cossiga, deutschen Bundeskanzler<br />
Helmut Kohl, britischen Premierminister John Major, Präsidenten der Vereinigten<br />
Staaten George W. Bush, australischen Ministerpräsidenten Robert James Lee Hawk).<br />
Die Direktorin des Vukovarer Kriegskrankenhauses Dr. Vesna Bosanac und der<br />
Kommandant des Sanitätsdienstes der Gemeinde Vukovar Dr. Juraj Njavro, wurden mit<br />
anderen Ärzten und Krankenschwestern zum Symbol der Humanität. Infolge dieser fast<br />
drei Monate andauernden Belagerung leisteten sie Tag und Nacht ihre Arbeit. Sie gönnten<br />
sich keine Ruhe und Erholung und arbeiteten bis an die Grenze der Erschöpfung. Die<br />
Operationen wurden auch während der Beschießung der Stadt und des Krankenhauses<br />
ausgeführt. Das ganze Personal kümmerte sich um die Verwundeten, als ob es sich um<br />
ihre eigenen Familienmitglieder handelte. Leid und Qual der Patienten berührten das<br />
Personal tief. Alle bewahrten in ihrem Gedächtnis einen sehr attraktiven jungen Mann,<br />
der die ganze Nacht weinte, weil er ein Bein verloren hatte. Aber alle erinnerten sich<br />
auch an den außerordentlichen Kampfgeist der Verwundeten trozt ihrer Not und ihres<br />
schweren Zustands, die oft Lieder über Kroatien sangen.<br />
Bis Mitte September wurden Arznei- und Lebensmittel regelmäßig zugestellt.<br />
Medikamente und Sanitätsmaterial wurden von dem Generalstab für Sanitätsdienst<br />
des Ministeriums für Gesundheitswesen, der Caritas und vielen nichtstaatslichen<br />
Vereinigungen und Einzelnen geliefert. Aber nachdem die Stadt völlig blockiert<br />
worden war, wurden die Arbeits- und Lebensbedingugen immer härter, Wasser- und<br />
Stromversorgung sowie Heizung abgebrochen, und die Anzahl der Verwundeten<br />
wurde Tag für Tag immer größer. Seit Mitte Oktober wurden Soutterain und<br />
Schutzkeller so überfüllt, daß die Verwundeten in Fluren, Warte- und Röntgenraum<br />
sowie Ambulanzen untergebracht wurden. Zuweilen teilten sich zwei Patienten<br />
ein Bett. Sie lagen auf Matratzen am Fußboden oder sogar auf Bänken und<br />
Behandlungsstuhlen, so das sie vom medizinischen Personal kaum erreichbar waren.<br />
Hygiensiche Bedingungen erfüllten kein Mindestmaß. In Ermangelung der<br />
Arzneimittel, versuchte man die ganze Situation zu mildern, indem man Vorräte aus<br />
Apotheken in Mitnica, Borovo und Stadtzentrum holte und sie dann rationell und<br />
98
zweckmäßig verbrauchte. Wegen<br />
einer immer größerer Anzahl<br />
der Verwundeten, gingen die<br />
tapferen Logistik-Mitarbeiter<br />
immer wieder in die Stadt auf<br />
die Suche nach Medikamenten,<br />
Sanitätsmaterial und Bettwäsche,<br />
wobei sie immer wieder ihr<br />
Leben riskierten. Es mangelte<br />
an Antibiotika, Analgetika und<br />
Verbänden. Auch die Anästhesie<br />
mußte wegen einer eher geringen<br />
Vorratsmenge sehr ökonomisch<br />
und vorsichtig verabreicht werden.<br />
Hof des Hafenamtes unmittelbar vor dem Ende der Belagerung<br />
von Vukovar (Autor: Ante Arić)<br />
Die kleineren chirurgischen Eingriffe konnten durch die Anwendung der Lokalanästhesie<br />
ausgeführt werden, aber man benutzte immer öfters eine Spinalanästhesie. Durch diese<br />
rückenmarknahe Form der Anästhesie wurden durch die Injektion eines Anästhetikums<br />
in die Wirbelsäule die Signalübermittlung in den vom Rückenmark ausgehenden<br />
Nerven gehemmt, was zu Empfindungslosigkeit und Schmerzfreiheit in der unteren<br />
Körperhälfte führte. Die Verwundeten waren bei vollem Bewußtsein, aber sie fühlten<br />
keine Schmerzen. Auch mit Plasma mußte man eher sparsam umgehen. Den Mangel an<br />
Blutderivaten gliechen Stadtbewohner, Vertediger und medizinisches Personal durch<br />
freiwillige Blutspenden aus. Trotz Kriegsbedingungen wurden alle Blutspender vor der<br />
Abgabe untersucht, sowie auch jede Blutspende vor ihrer Verwendung. Während der<br />
dreimonatigen Kämpfe spendete man insgesamt 1700 Bluteinheiten.<br />
Da die Granaten neben dem Labor und Röntgenraum auch die Anlage der<br />
Sterilisationsabteilung zerstörten, wurden die für die Operationen benötigten<br />
Materialien (Operationsbekleidung, Instrumenten, Handschuhe) seit Mitte<br />
Oktober in drei Heißluftsterilisatoren von lebenden Mikroorganismen befreit,<br />
und die einzige Kotrolle bei der Sterilisation stellten Kontrollbänder dar. Alle drei<br />
Heißluftsterilisatoren wurden wegen der Beschädigung des Gebäudes oft umgestellt.<br />
Bei der Errichtung des Sterilisationsraums improvisierte man im Atomschutzkeller.<br />
Drei Krankenschwestern brachten bei einer pausenlosen Arbeit auch fertig, genug<br />
Sterilmaterialien, Instrumenten und Bekleidung für die Chirurgie zu sichern.<br />
Die Toten wurden am Anfang auf städtischen Friedhöfen begraben: auf dem Gelände<br />
von Novo und Bugarsko groblje (Neuer und Bulgarischer Friedhof), dann aber in<br />
gemeinsamen Massengräbern und später auf dem alten Friedhof nahe des Stadions<br />
des Fußballklubs „Sloga“, vor dessen Mauer ein großer Grab ausgegraben worden<br />
war. Zum Schluß wurde die “Bestattungsabteilung” in das alte Verwaltungsgebäude<br />
des Hafenamts gegenüber des Krankenhauses untergebracht. Die im Krankenhaus<br />
99
gerstorbenen Patienten sowie die Leichen von Gefallenen, die aus verschiedenen<br />
Stadtteilen eingeliefert worden waren, wurden in den Hof des Hafenamtes gelegt,<br />
damit man die Beisetzung vorbereiten konnte. Als man keine Särge mehr hatte,<br />
wurden die Leichen in mit Nummern versehenen Plastiksäcke eingewickelt. Eine<br />
Anzahl von Leichen wurde dort auch begruben. Etwa 110 nicht beigelegten Leichen,<br />
die man im Hof des Hafenamts angetroffen hatte, wurden von serbischen Soldaten<br />
und Journalisten verfälscht als Opfer kroatischer Soldaten dargestellt. Man begrub die<br />
Leichen auch einzeln, in geschirmten Räumen (Garagen, Gärten u.ä.), aber infolge<br />
von pausenlosen Kämpfen konnte man während der letzten zehn Tage der Belagerung<br />
nicht alle gefallenen und gestorbenen Menschen begraben, und so bedrohte die Stadt<br />
und das Krankenhaus eine Epidemie, die katastrophale Formen annehmen konnte.<br />
Sie brach aber trotz der entsetzlichen Lebensbedingungen nicht aus.<br />
Das städtische Wasserwerk wurde schon Mitte September völlig vernichtet,<br />
infolgedessen der Wassermangel deutlich zu spüren war. Der Atomschutzkeller<br />
verfügte über eigene Wasserspeicher mit einem Fassungsvermögen von 12.000<br />
l und einen Wasserspeicher in der Wäscherei mit Kapazität von 2000 l. Der<br />
tägliche Vebrauch betrug zwischen 2000 und 3000 l. Das Wasser wurde unter<br />
ununterbrochenem Artilleriefeuer mit Zisternen von Borovo eingeliefert, bis zum<br />
Zeitpunkt als sie auch getroffen und zerstört wurden. Drei Feuerwehrmänner verloren<br />
dabei ihr Leben. Während der letzten zwei Wochen der Belagerung holte man Wasser<br />
von naheliegenden Brunnen, die mehr als 30 Jahre nicht in Funktion waren, so daß<br />
man nur 150 l alle zwei Stunden schöpfen konnte (etwa 500-600 l täglich und aus<br />
Sicherheitsgründen gewöhnlich nachts). Das Wasser wurde gleich mit einer 10 mal<br />
größerer Dosis von Izosan-G behandelt. Man destillierte es in einem naheliegenden<br />
Haus in einem Brantweinkessel. Die tägliche Wassermenge für Trinken und Hygiene<br />
wurde auf einen halben Liter reduziert. Als technologisches Wasser verbrauchte man<br />
das Wasser aus Rohren der zerstörten Zentralheizung. Das Krankenhauspersonal<br />
wartete auf Regenwasser, um sich zu waschen. Nachdem es auch mit Chlor behandelt<br />
worden war, wurde das Regenwasser zusätzlich als Trinkwasser verwendet.<br />
Infolge der begrenzten Wasser- und Strommenge arbeitete die Wäscherei nur noch<br />
nachts, da die Chirurgie Vorrang hatte. Die Maschinen schaltete man auf Handbetrieb<br />
um, denn man versuchte das Wasser rationell zu verwenden. Die zweite und dritte<br />
Ausspülung benutzte man als erstes Auswaschen. Diese Situation dauerte bis Anfang<br />
November an, als die Wäscherei in einem Artillerieangriff teilweise niedergerissen<br />
wurde. Das Personal der Wäscherei und die Putzkraft haben von da an die schmutzige<br />
Operationsbekleidung in beschränkten Mengen im Kaltwasser gewaschen und<br />
in Gängen getrocknet. Trotzdem fehlte der Chirurgie nie saubere Wäsche. Gewiß<br />
erschwerte der Wassermangel die Sauberhaltung der Räume des Krankenhauses, da<br />
nur 24 Putzfrauen übriggeblieben waren. Aufgrund dieses Wassermangels konnte<br />
man auch keine Filme der Radiologieabteilung ausspülen, und so mußten die<br />
100
Aufnahmen gleich bei der Entwicklung, als sie noch feucht waren, studiert werden,<br />
weil sie sich durch das Trocknen trübten.<br />
Als Mitte September die Stromversorgung des Krankenhauses abbrach, welche die<br />
tapferen Mitarbeiter der Kroatischen Stromwerks Vukovar alltäglich aufrechtzuerhalten<br />
versuchten, wurde der elektrische Generator (Aggregat) des Krankenhauses, der eine<br />
Leistung von 186 kW hatte, in Betrieb gesetzt. Ohne größere Schwierigkeiten arbeitete<br />
er bis Mitte Oktober, als er durch die Granaten der JNA zerstört wurde. Danach<br />
installierte man ein Aggregat der Fabrik Borovo, mit einer Leistung von 168 kW.<br />
Während seiner Montage arbeitete das mobile Aggregat mit einer Leistung von 40 kW<br />
für den Bedarf der Chirurgie. Das Erdöl dafür wurde aus Privatdepots in Blechtonnen<br />
herbeigeschafft. Nachdem aber auch dieses mobile Aggregat Granaten gesprengt hatten,<br />
schalteten die Mitarbeiter des Kroatischen Stromwerks und der Fabrik „Borovo“ in<br />
der Trafostation Priljevo das Krankenhaus direkt auf das Aggregat der Fabrik um.<br />
Es hatte aber weniger Leistung und seine Spannung oszillierte immer wieder. Diese<br />
direkte Verbindung benutzte man nur für die Wäscherei während der Nacht, wenn es<br />
wenige Operationen gab. Durch die Eroberung von Lužac Anfang November kam es<br />
zu einem Zusammenbruch in der Stromversorgung. Man wurde dazu gezwungen, im<br />
Operationssaal ein Aggregat der Leistung von 28 kW aus der zerstörten Polizeistation zu<br />
benutzen. Da aber seine Kraft nicht einmal für den Röntgenapparat reichte, stellte man<br />
einen zusätzlichen Hilfsaggregat am Eingang des Krankenhauses mit einer Leistung von<br />
10 kW auf. All das aber deckte die Bedürfnisse des Krankenhauses nicht, und so mußten<br />
die chirurgischen Eingriffe im Licht der Batterien, Wachskerzen und improvisierten<br />
Öllampen („uljanica“), die das Personal selbst bastelte, ausgeführt werden. Die Kerzen<br />
holte man aus Depots des Zagreber Kaufhauses „Na-Ma” und dem Laden von VUPIK in<br />
der Gundulićeva Straße in der unmittelbaren Nachbarschaft des Krankenhauses.<br />
Im September wurde auch die Heizungsanlage kapputgemacht, und im Gebäude<br />
war es sehr kalt. Alles was das Personal allmählich reparieren konnte (Sterilisator,<br />
Wasserleitungen, Aggregate, Küche), wurde aber bald wieder vernichtet. Und so blieb<br />
die Frage offen, ob das aufgrund der außerordentlichen Intensität des Artilleriefeuers,<br />
das alles systematisch zu zerstören versuchte, geschah, oder weil der Feind von<br />
jemandem aus dem Krankenhaus die genauen Informationen über die Reparaturen<br />
bekam, was ihm dann ermöglichte die Infrastruktur des Krankenhauses durch seine<br />
Projektile gezielt und wiederholt stark zu beschädigen.<br />
Die zerstörte Küche wurde ins Erdgeschoß des alten Gebäudes verlegt, in die Ambulanz<br />
für Ophthalmologie. Beim Kreigsausbruch wurden etwa 450 Speisen zubereitet, drei<br />
Portionen täglich, und am Ende der Belagerung mehr als 700. Trotz der Tatsache,<br />
daß auch diese improvisierte Küche immer wieder beschossen wurde, bereiteten<br />
4 qualifizierte und 5 Aushilfsköchinen auf drei mit Holz geheizten Küchenherden<br />
alltäglich 3 Mahlzeiten für Patienten, Verwundete und Personal, vor.<br />
101
Auch die Anschaffung des Brotes war lebensgefährlich, da die Bäckerei in Priljevo (im<br />
Umkreis des Silos von VUPIK), zwischen Borovo Naselje und Vukovar, auch öfters<br />
getroffen wurde. Die erneuten Versuche eine Bäckerei zu errichten um die Versorgung<br />
mit Brot zu verbessern, scheiterten immer wieder. Während eines Angriffs verloren<br />
in einer Bäckerei fünf Menschen ihr Leben. Deswegen wurde im Reservespital im<br />
Gebäude von „Borovo-Commerce” Fladen ohne Hefe gebacken, die dann man in der<br />
Nacht distribuierte. Die Menge war so klein, daß man Probleme hatte, es irgendwie<br />
zu verteilen. Natürlich hatten die Verwundeten den Vorrang. Als die Verbindung zu<br />
Borovo während der letzten zwei Wochen abgebrochen wurde, buk man das Brot in zwei<br />
Privathäusern in der Nähe des Krankenhauses, am häufigsten ohne Hefe, was widerum<br />
dazu führte, daß die Brotwecken sehr hart waren und den Namen „Panzer-Fladen“<br />
erhielten. Jeder Patient bekam eine ganze Schnitte und die Mitglieder des Personals<br />
eine halbe. Bis zum bitteren Ende und wenn das die Umstände ermöglichten, wurden<br />
die Extramahlzeiten für Diabetiker und Patienten mit Verdauungsstörung zubereitet.<br />
Das Problem der Fleischversorgung löste man durch das Schlachten des Viehs an Ort<br />
und Stelle am Stadtrand (in Mitnica), gleich an der Front. Neben der regelmäßigen<br />
Versorgung, die die Mitararbeiter der Logistik des Krankenhauses verrichteten,<br />
wurde das Krankenhaus auch von der Caritas und den tapferen Einzelpersonen mit<br />
Lebenssmitteln beliefert. Diese Menschen riskierten immer wieder ihr Leben, um<br />
mit Kombiwagen die Nahrung bis zum Krankenhaus zu fahren, was besonders für<br />
die Fahrer aus Đakovo und umliegenden Dörfern galt, beispielsweise aus Petrovci,<br />
die frische Milch und frisches Gemüse zustellten. Aufgrund des vorhandenen<br />
Lebensmittelvorrats war es eher schwierig gutes Essen für alle Menschen im<br />
Krankenhaus vorzubereiten. Es kam vor, daß an einem Tag für ein Fleischgericht,<br />
das 600 Leute sättigen sollte, nur ein Schwein reichen mußte. Dewegen bekam<br />
das medizinische Personal kleinere Portionen, und zum Abendessen öfters nur<br />
Milchreis. Der Mangel an Lebensmitteln sowie die übermenschliche Anstrengungen<br />
trugen dazu bei, daß die Mitglieder des Personals bis zu 10 kg an Gewicht verloren.<br />
Im Oktober wurden die Fleischportionen noch kleiner, bis dann das Fleisch ganz<br />
von der Speisekarte verschwand. Ab und zu schickte die Nationalgarde die sog.<br />
„Lebensmittelpakete“, die man dann unter Patienten verteilte.<br />
Nach der Eroberung der Stadt schleppten die Soldaten der JNA am 20. November 1991 etwa<br />
400 Verwundete und Krankenhausbeschäftigte sowie ihre Familienmitglieder und andere<br />
Zivilisten aus dem Krankenhaus fort. Davon wurden mindestens 267 Personen ermordert<br />
oder vermißt. Nur in Ovčara tötete man 200 Menschen, unter ihnen auch 20 Mitglieder<br />
des medizinischen Personals. Während die Soldaten der JNA diese Menschen aus dem<br />
Krankenhaus fortzerrten, hielt ihr Befehlshaber und “Offizier” der JNA Veselin Šljivančanin<br />
eine “Siegesrede” vor den übrigen Personal-Mitgliedern, in der er hervorhebte, daß die<br />
JNA und andere serbische Verbände um ein gemeinsames Ziel zusammen kämpften.<br />
102
Bruchstücke der Chronologie der Ereignisse im<br />
Vukovarer Krankenhaus 1991<br />
2. April (Dienstag):<br />
Ins Krankenhaus wurde schwer verwundete Lj. N. eingeliefert, auf die, während ihrer<br />
Fahrt nach Bršadin, die serbischen Terroristen schossen, wodurch sie eine schwere<br />
Verletzung der Kniebeuge erlitt. Nach ihrer Verwundung organisierte Dr. J. Njavro<br />
im Ruderverein Vukovar einen Erste-Hilfe-Kurs für die Frauen.<br />
Im April wurden ins Krankenhaus mindestens 4 Verwundete eingeliefert.<br />
2. Mai (Donnerstag):<br />
Nachdem die serbischen Terroristen in Borovo Selo bei Vukovar aus dem Hinterhalt 12<br />
kroatische Polizisten getötet und 21 verwundet hatten, brachte man ins Krankenhaus<br />
21 Verwundete: 15 kroatische Polizisten und 6 serbische Terroristen. Alle wurden<br />
nach bestem Wissen und Gewissen versorgt.<br />
Im Mai wurden ins Krankenhaus mindestens 39 Verwundete eingeliefert.<br />
Juni:<br />
Die Freiwilligen, die die Verteidigung von Vukovar organisierten, wurden<br />
gegen Tetanus geimpft. Auch ihre Blutgruppe wurde bestimmt. Man begann<br />
die Hilfsambulanzen in verschiedenen Stadtteilen auszustatten (Schloß Eltz,<br />
Mitnica usw.): einige Krankenbetten, ein kleiner Operationssaal mit einem älteren<br />
Anästhesiezubehör, ärztlichem Instrumentarium, Arzneimitteln und Sanitätsmaterial.<br />
All das verschaffte der Generalstab für Sanitätsdienst der RH mit Hilfe verschiedener<br />
Privatorganisationen.<br />
3. Juni (Montag):<br />
Nach einem Zwischenfall, als man aus einem PKW die Menschen nach einem<br />
Fußballspiel beschoß, wobei zwei Kroaten verwundet und ins Krankenhaus<br />
eingeliefert worden waren, trafen in Sremski Čakovci 17 Panzer, 4 Panzer- und 2<br />
Sanitätswagen der JNA ein.<br />
103
17. Juni (Montag):<br />
Die JNA baute in Bobota ein Feldlazarett auf, zu dessen Personal auch die<br />
serbischstämmigen Ärzte des Vukovarer Krankenhauses Dr. R. D. und Dr. Lj. C. von<br />
da an zählten.<br />
Im Juni wurden ins Krankenhaus mindestens 7 Verwundete eingeliefert.<br />
Juli:<br />
Man beschloß den Atomschutzkeller, der neben dem neuen Krankenhausgebäude<br />
gebaut und durch einen Korridor mit dem Krankenhaus verbunden wurde,<br />
aufzuräumen und auszustatten. Man organisierte auch ein Lkw mit NATO-<br />
Lebensmittelpaketen (Konserven, Tabletten für die Wasserdesinfektion, Päckchen für<br />
Kaffeevorbereitung, Schokoladentafeln u.a.). Auch die Sandsäcke für den Schutz der<br />
Öffnungen im Erdgeschoß wurden vorbereitet. Das Krankenhaus hatte Vorräte an<br />
Arzenimitteln, Kleidung und allen anderen Materialien, die man als notwendig für das<br />
Überleben unter Kriegsbedingungen hielt. Aber keiner ahnte, daß der Krieg so brutal<br />
werde. Im Keller des Schlosses Eltz bereiteten die Freiwilligen des 1. Sanitätszuges<br />
der 124. (204.) Brigade der Nationalgarde einen Lager für Sanitätsmaterial vor.<br />
4. Juli (Donnerstag):<br />
Nach einem mehrstündigen Kampf wiesen die kroatischen Gardisten und Polizisten<br />
ein kombiniertes Artillerie- und Infanterieangriff der aufständischen Serben von<br />
Borovo Selo aus auf Borovo Naselje zurück.<br />
25. Juli (Donnerstag):<br />
Zur stellvertretenden Direktorin des Medizinischen Zentrums Vukovar wurde Dr.<br />
Vesna Bosanac ernannt.<br />
Der Krisenstab des Medizinischen Zentrums Vukovar wurde gegründet.<br />
Im Juli wurden ins Krankenhaus mindestens 56 Verwundete eingeliefert.<br />
1. August (Donnerstag):<br />
Durch ein Luft- und Artillerieangriff der JNA auf Vukovar und Borovo Naselje wurde<br />
der Operationssaal ins Souterrain und in den Atomschutzkeller des Krankenhauses<br />
verlegt. Auch andere Räume für Behandlung und Aufnahme von Patienten aller<br />
Krankenhausabteilungen waren errichtet worden.<br />
3. August (Samstag):<br />
Die kroatischen Verteidiger kontrollieren Lužac.<br />
104
5./6. August (Montag/Dienstag):<br />
Die Granaten fielen auf das Verwaltungsgebäude des Krankenhauses. Die Verwundeten<br />
und Kranken wurden in den Schutzkeller und ins Souterrain versetzt.<br />
11. August (Sonntag):<br />
Die Verwundeten und Kranken wurden in die Abteilungen des Krankenhauses<br />
zurückgebracht.<br />
13. August (Dienstag):<br />
Ein heftiger Angriff auf Borovo Naselje und Vukovar (Krankenhaus und seine<br />
Umgebung) von Borovo Selo sowie von Kriegsschiffen der JNA auf der Donau aus<br />
(in dreieinhalb Stunden trafen die Stadt etwa 120 Projektile).<br />
20. August (Dienstag):<br />
Die Kinder aus Vukovar hatte man in „Sommerferien“ evakuiert. Sie kehrten in die<br />
Stadt wegen der Vorbereitungen für das neue Schuljahr zurück.<br />
Seit 1. bis 24. August:<br />
Wurden ins Krankenhaus mindestens 31 Verwundete eingeliefert.<br />
24. August (Samstag):<br />
Die Kapmfflugzeuge der JNA feuerten die Raketen auf die verlassene Stellung der<br />
Nationalgarde in Opatovac ab und eröffneten Maschinengewehrfeuer auf den<br />
Silo Đergaj bei Bršadin. Dem kroatischen Gardist Luka Andrijanić gelang es zwei<br />
feindliche Kampfflugzeuge zu treffen.<br />
25. August (Sonntag):<br />
Ein in einer Kolonne von Vukovar nach Borovo Selo fahrendes Militärfahrzeug der<br />
JNA schwankte von der Borovska Straße ab und fuhr auf eine Panzerabwehrmine:<br />
4 verletzte Soldaten, davon 2 schwer wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Auf<br />
Verlangen der JNA wurden sie in die Militär- und Medizinische Akademie nach<br />
Beograd transportiert.<br />
Mit einem heftigen Artillerie- und Luftangriff auf Vukovar und Borovo Naselje fing<br />
eine fast drei Monate andauernde Belagerung der Stadt. An diesem Tag ladeten die<br />
Kampfflugzeuge der JNA mehr als 15 Bomben auf das Krankenhaus ab, wobei der Arzt<br />
V. H. (28 Jahre alt) verwundet wurde. Die Geschosse zerstörten zwei Operationssäle<br />
im zweiten Stockwerk, weswegen alle Patienten und das Personal ins Souterrain und<br />
105
in den Atomschutzkeller evakuiert wurden.<br />
Im Krankenhaus befanden sich 32 Patienten (größtenteils Verwundete).<br />
26. August (Montag):<br />
Ein neuer heftiger Angriff der JNA begann um 9 Uhr mit dem Überflug der<br />
Kampfflugzeuge des Typs “galeb” (“Möwe”): etwa 1200 Granaten trafen Borovo<br />
Naselje und Zentrum Vukovars. Das Krankenhaus trafen zwei Boden-Boden Raketen<br />
und es wurde auch von Scharfschützen unter Beschuß genommen. Ins Krankenhaus<br />
wurden mindestens 42 Verwundete eingeliefert, darunter Bruder (D. B., 11 Jahre alt)<br />
und Schwester (J. B., 16 Jahre alt).<br />
Die Ruinen des Schlosses Eltz verschütteten einige Angestellte der Verwaltungsdienstes.<br />
Während einer Intervention wurde auch der mit einem großen Erkennungszeichen<br />
des Roten Kreuzes gekennzeichnete Wagen des Rettungsdienstes von einem Geschoß<br />
aus der Vojvodina getroffen. Der Arzt S. T. (29 Jahre alt) war schwer verletzt – Mittelohr<br />
und Gleichgewichtsorgan, Medizintechniker A. K. (28 Jahre alt) und Fahrer M. Z. (36<br />
Jahre alt) erlitten leichtere Verletzungen.<br />
27. August (Dienstag):<br />
Die Scharfschützen schossen öfters auf das Krankenhaus.<br />
In der Stadt wurden 8 Menschen getötet und ins Krankenhaus mindestens 15<br />
Verwundete eingeliefert.<br />
28. August (Mittwoch):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 13 Verwundete eingeliefert. Insgesamt waren<br />
es mehr als 70.<br />
29. August (Donnerstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 6 Verwundete eingeliefert.<br />
30. August (Freitag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 15 Verwundete eingeliefert.<br />
31. August (Samstag):<br />
In Mitnica und Borovo Naselje wurden 26 Zivilisten verwundet, darunter auch neun<br />
Kinder.<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 28 Verwundete eingeliefert.<br />
106
1. September (Sonntag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 3 Verwundete eingeliefert.<br />
2. September (Montag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete eingeliefert.<br />
3. September (Dienstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 13 Verwundete eingeliefert.<br />
4. September (Mittwoch):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 11 Verwundete eingeliefert.<br />
Die serbische Artillerie und das Maschinengewehrfeuer griffen den medizinischen<br />
Hilfskonvoi mit Patienten mit Kopf- und Gehirnverletzungen auf dem Weg nach<br />
Zagreb an. Der Konvoi, der sich in einen Kanal entlang der Straße rettete, brauchte 6<br />
Stunden um Vinkovci zu erreichen.<br />
5. September (Donnerstag):<br />
Kurz vor 6 Stunden begann bis dann der heftigste Artillerie- und Luftangriff: jede<br />
Minute fiel auf die Stadt eine Granate oder Rakete. Auch das Altenheim wurde<br />
getroffen; 4 ältere Personen wurden getötet und 6 verwundet. Ins Krankenhaus<br />
wurden mindestens 17 Verwundete eingeliefert.<br />
Dr. Vesna Bosanac macht die Angabe über 36 Gefallene und 210 Verwundete publik;<br />
im Krankenhaus arbeiten im Augenblick nur 250 Personen.<br />
6. September (Freitag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 5 Verwundete eingeliefert.<br />
7. September (Samstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete als Folge des Artillerieangriffs<br />
der JNA nur einige Stunden nach der Unterzeichnung eines Waffenstillstands<br />
eingeliefert.<br />
8. September (Sonntag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 7 Verwundete eingeliefert.<br />
107
9. September (Montag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 9 Verwundete eingeliefert.<br />
10. September (Dienstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 6 Verwundete eingeliefert.<br />
Das Maschinengewehrfeuer tötete die Mitarbeiterin des Röntgenabteilung Lj. O. (39<br />
Jahre alt) auf dem Weg von der Arbeit nach Hause.<br />
11. September (Mittwoch):<br />
Obwohl ein Waffenstillstand unterzeichnet worden war, wurde Vukovar von Petrova<br />
Gora aus unter Beschuß genommen, aber es gab keine Opfer.<br />
12. September (Donnerstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 7 Verwundete eingeliefert.<br />
13. September (Freitag):<br />
Während der Beschießung der Fabrik “Borovo” tötete die Jugo-Armee 10 (darunter<br />
auch ein Kind) und verwundete 6 Personen.<br />
Die Eltern brachten ein 6-jähriges Mädchen (D. J.) aus Borovo Naselje ins<br />
Krankenhaus. Sie hatte mehrfache schwere Körperverletzungen (Bauch, Brustkorb,<br />
Leber und rechte Niere). Das Mädchen wurde durch einen Granatsplitter getroffen,<br />
als sie einem Ball nachlief. Obwohl die Situation als aussichtlos eingeschätzt wurde,<br />
überlebte das Mädchen und lebt heute in Vukovar.<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 6 Verwundete eingeliefert; darunter 3 aus<br />
Mitnica.<br />
Die Vertreter des Roten Kreuzes verhandelten in Vukovarer Kaserne über die<br />
Freilassung der Geiseln aus Berak. Danach besuchten sie das Krankenhaus. Der<br />
kroatischen Seite schlugen sie einen Austausch nach dem Prinzip “alle für alle” vor,<br />
was bedeuten würde, daß auch serbische Terroristen befreit werden sollten.<br />
14. September (Samstag):<br />
Bei einem Luftangriff wurde “Slavija” zerstört, die letzte geöffnete Apotheke in<br />
Vukovar; pharmazeutisch-technische Assistentin R. J. brachte übriggebliebene<br />
Medikamente ins Krankenhaus.<br />
In einem besetzten Stadtteil wurde Krankenschwester Z. M. (geb. 1961) getötet.<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 36 Verwundete eingeliefert.<br />
108
15. rujna (Sonntag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 40 Verwundete eingeliefert.<br />
Nach einer durchwachten Nacht und nachdem der Versuch sich ein bißchen auszuruhen<br />
kläglich gescheitert hat, stehe ich am Eingang des Krankenhauses. Man hört schwere<br />
Detonationen von allen Seiten, in Sajmište, Mitnica und Borovo Naselje. Allem<br />
Anscheine nach wird der heutige Tag ähnlich dem gestrigen verlaufen. Ich fürchte, daß<br />
viele Menschen verwundet und die Stadt noch stärker zerstört wird. Die Granaten<br />
fallen in den Hof. Ich bringe mich in Sicherheit und suche den Schutz im Keller. Der<br />
Hof ist durch die Granaten so zerwühlt, daß sein Betreten auch tagsüber gefährlich ist,<br />
geschweige denn nachts, weil wenn einen auch keine Granate trifft, es könnte passieren,<br />
daß man bei diesen Löchern mehrere Brüche erleidet. Als ich mich dann in den Keller<br />
begeben habe, sehe ich die ersten Vewundeten kommen. Die ersten drei kommen aus<br />
Mitnica, drei Verteidiger, die an der ersten Kampflinie einen Transporter aufzuhalten<br />
versuchten. Sie waren dabei erfolgreich, aber eine Panzergranate zerstörte das Haus,<br />
das ihnen als Versteck diente und die Granatenscherben verletzten sie. Die Wunden<br />
werden schnell gereinigt und die Kämpfer gegen Tetanus geimpft. Sie bekommen<br />
auch Analgetika verabreicht. Danach wird noch das Immobilisieren vollgezogen. Das<br />
Team ist schon eingeübt, was kein Wunder ist, da man 24 Stunden täglich fast immer<br />
dieselben Fälle behandelt. In sich gekehrt und schweigend, bete ich zu Gott, daß diese<br />
Verwundeten die letzten für heute sind. Gestern waren es sogar 35.<br />
Ständig hört man Granatenexplosionen, welche einen schweren Tag ankündigen. Auch<br />
das Krankenhaus wird wieder angegriffen. Die Granaten fallen auf das Dach. Starke<br />
Explosionen erschallen in unseren Ohren. Wir versammeln uns im Keller und denken<br />
dankbar an die Menschen, die diesen Keller gebaut haben. Obwohl er nicht ganz in die<br />
Erde eingegraben ist, seine Fenster “hinausschielen” und Granatsplitter durchschlagen<br />
lassen, bietet er einigermaßen Schutz. Im Kellergang versammeln sich allmählich auch die<br />
Leichtverwundeten, die zur Kontrolle kommen, wenn das die Umstände zulassen. Das<br />
Gedränge wird immer größer. Man würde nicht weit kommen, wenn uns die Menschen<br />
stillschweigend nicht den Durchgang gewähren würden, indem sie auseinanderrücken<br />
und uns bei unserer Arbeit nicht hindern. Seit die Explosionen die Fenster zerbrachen,<br />
zieht es und die Lüftung des Ganges ist durchaus zufriedenstellend. Wir müssen keine<br />
Angst haben, daß uns Rauch oder Staub ersticken werden.<br />
Die Verwundeten teilen uns mit, daß überall heftige Kämpfe geführt werden. Der<br />
Feind ist heute morgen mit allen verfügbaren Kräften zum Angriff übergegangen, um<br />
die Verteidigung zu brechen und in die Stadt einzudringen. Panzer, Trasporter und<br />
Mehrfachraketenwerfer bechießen die Stadt. Zur selben Zeit als wir die Verwundeten<br />
behandeln, beginnt unsere zusätzliche “Plage”. So nannten wir die Angriffe der<br />
Mehrfachraketenwerfer aus der Batschka, die innerhalb einer kurzen Zeit eine große<br />
Zahl der Raketen auf das Krankenhaus abfeuerten. Die Raketen fielen auf das Dach,<br />
109
vor und hinter dem Krankenhaus, und natürlich trafen sie das Gebäude selbst. Wir<br />
waren sehr glücklich darüber, daß das Gebäude ein sehr stabiles Bauwerk war. Man<br />
konnte es schwer ganz zerstören. Nur wenn eine Granate oder Rakete durch das<br />
Fenster hineiengeflogen kam und im Zimmer explodierte, entstanden größere Schaden.<br />
Solche Treffer durchschlugen immer die dünneren Wände und vernichteten die<br />
Zimmereinrichtung. (Auszug aus dem Buch von Dr. Juraj Njavro, Glava dolje – ruke<br />
na leđa, Zagreb, 1992)<br />
16. September (Montag):<br />
Nachdem ein Teil von Sajmište zwischen der Kaserne und Petrova Gora besetzt<br />
worden war, ermordeten die Mitglieder der serbischen Einheiten einige Dutzend<br />
Personen.<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 25 Verwundete eingeliefert.<br />
17. September (Dienstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 43 Verwundete eingeliefert.<br />
18. September (Mittwoch):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 18 Verwundete eingeliefert.<br />
19. September (Donnerstag):<br />
Durch die Granatsplitter wurde der Fahrer des Rettungsdienstes I. Š. (geb. 1951)<br />
am Brustkorb verwundet. Ins Krankenhaus wurden mindestens 26 Verwundete<br />
eingeliefert.<br />
20. Septemer (Freitag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 16 Verwundete eingeliefert.<br />
21. September (Samstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 14 Verwundete eingeliefert.<br />
22. September (Sonntag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 10 Verwundete eingeliefert.<br />
23. September (Montag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 17 Verwundete eingeliefert.<br />
110
24. September (Dienstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 15 Verwundete eingeliefert.<br />
25. September (Mittwoch):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 16 Verwundete eingeliefert.<br />
26. September (Donnerstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 14 Verwundete eingeliefert.<br />
27. September (Freitag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 25 Verwundete eingeliefert.<br />
28. September (Samstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 24 Verwundete eingeliefert.<br />
Der Hilfskonvoi des Generalstabs für Sanitätsdienst der RH unter der Leitung von Dr.<br />
Josip Husar evakuierte 36 Verwundete vom Vukovarer Krankenhaus ins Feldlazarett<br />
in Mikanovci und andere medizinische Einrichtungen; der Hilfskonvoi wurde<br />
überfallen, aber es gab keine Opfer.<br />
Im Radiosender bat Dr. Vesna Bosanac die Einwohner ihre Schutzkeller nicht zu<br />
verlassen.<br />
Die Beobachter der Europäischen Gemeinschaft wählten Ilok als ihren Sitz um die<br />
Situation in Vinkovci und Vukovar zu überwachen.<br />
In Ilok wurden die Verhandlugen zwischen den Vertretern der RH und Vukovarer<br />
Gemeinde einerseits und dem Kommando des JNA-Korps Novi Sad andererseits<br />
in Anwesenheit der Beobachter geführt. Dem Vorschlag der Beobachter über einen<br />
Waffenstillstand stimmte die kroatische Seite zu, aber die JNA wies ihn zurück.<br />
29. September (Sonntag):<br />
Die kroatischen Verbände verließen Tovarnik.<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 32 Verwundete eingeliefert, darunter auch der<br />
ausländische Journalist Loren van den Stock.<br />
30. September (Montag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 27 Verwundete eingeliefert.<br />
111
1. Oktober (Dienstag):<br />
Die JNA okkupierte Marinci, Petrovci und Đeletovci.<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 55 Verwundete eingeliefert.<br />
Die Krankenschwester J. P. (30 Jahre alt) wurde verletzt.<br />
2. Oktober (Mittwoch):<br />
Die JNA besetzte das Dorf Cerić.<br />
Der Feind feuerte mehr als 3000 Geschosse auf die Stadt ab. Auf das Krankenhaus<br />
fielen 37 Granaten.<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 74 Verwundete eingeliefert.<br />
3. Oktober (Donnerstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 45 Verwundete eingeliefert.<br />
4. Oktober (Freitag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 37 Verwundete eingeliefert.<br />
Auch die Leichen der drei am 1. Oktober in Bogdanovci gefallenen Polizeibeamten<br />
aus Županja wurden gebracht, sowie neun Verwundete aus demselben Dorf.<br />
5. Oktober (Samstag):<br />
Um etwa 17 Uhr wurden aus einem Flugzeug der Jugo-Armee zwei 250 kg schwere<br />
Bomben – die sog. Sau/Säue (krmača/krmače) abgeworfen. Das Gebäude schaukelte<br />
und Fenster- und Türrahmen wurden ausgeschlagen.<br />
Die Patienten im Erdgeschoß riessen Infusion und Katheter heraus und sprangen aus<br />
ihren Betten. Die Bettlägerigen versuchten panisch sich kriechend irgendwohin zu<br />
retten. Die erste “Sau” sprengte die Front des Gebäudes und das zweite Stockwerk,<br />
und die zweite schlug in das Dach hinein und vernichtete alle Betonplatten des neuen<br />
Gebäudes (5 Platten!). Die Bombe fiel auf das Bett im Flur neben dem Eingang in den<br />
Atomschutzkeller, genau zwischen den Beinen eines Patienten serbischer Nationalität<br />
(P. V., 45 Jahre alt). Im ersten Augenblick konnte man wegen des entstandenen<br />
Staubs und Rauchs nichts erkennen, und so eilte eine Krankenschwester zu Hilfe<br />
herbei. Sie dachte, eine Sauerstoffflasche sei umgefallen. Vom Bett ist natürlich<br />
nichts übriggeblieben, aber der Patient überlebte unverletzt. Im Zünder waren keine<br />
Detonatoren und die Bombe explodierte nicht. Durch das Loch konnte man den<br />
Himmel sehen.<br />
Im Dienst wurden Krankenschwestern T. K. und Arzt V. T. verwundet.<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 31 Verwundete eingeliefert.<br />
Marin Vidić – Bili forderte Stjepan Mesić, Franjo Gregurić, Franjo Tuđman, das<br />
112
Verteidigungsministerium der RH, den Generalstab der Kroatischen Streitkräfte,<br />
Žarko Domljan und andere auf, die Ernsthaftigkeit der Lage in Vukovar und im<br />
Krankenhaus zu begreifen.<br />
6. Oktober (Sonntag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 43 Verwundete eingeliefert.<br />
7. Oktober (Montag):<br />
Medizintechniker I. K. (49 Jahre alt) wurde durch ein Granatsplitter verwundet, als<br />
auch Krankenschwester (zuständig für ärztliches Instrumentarium) M. B. (39 Jahre<br />
alt), die sich nach der serbischen Besetzung von Vukovar im Krankenhaus zu bleiben<br />
entschloß.<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 30 Verwundete eingeliefert.<br />
In 45 Tagen starben 158 Menschen und 654 wurden verwundet.<br />
Die Direktorin des Krankenhauses Dr. V. Bosanac verlangte, daß 160 Schwerverwundete<br />
evakuiert werden.<br />
8. Oktober (Dienstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 12 Verwundete eingeliefert.<br />
In der Sitzung des Kroatischen Parlaments im INA-Gebäude (Kroatische<br />
Erdölindustrie) in der Šubićeva Straße rief man die Staatsunabhängigkeit der RH<br />
aus. Das Kroatische Parlament (Hrvatski sabor) verpflichtete alle staatlichen und<br />
militärischen Behörden Vukovar zu helfen. Zum ersten Mal nach 46 Tagen herrscht<br />
Ruhe in der Stadt.<br />
Dr. M. I. (50 Jahre alt), ein Serbe, wurde leicht durch das Gewehrfeuer einer<br />
serbischen Stellung beim Versuch aus dem Krankenhaus Flucht zu ergreifen und sich<br />
der serbischen Seite anzuschließen, verwundet. Nach der Besetzung der Stadt blieb<br />
er im Krankenhaus und legte sein Zeugnis über die Ereignisse ab, die er aber ganz<br />
anders interpretierte als seine bisherigen Kollegen.<br />
9. Oktober (Mittwoch):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 28 Verwundete eingeliefert.<br />
10. Oktober (Donnerstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 55 Verwundete eingeliefert.<br />
Im Zagreber Hotel “I” wurde vereinbart, daß der humanitäre Konvoi nach Vukovar<br />
von Đakovo aus fährt.<br />
113
11. Oktober (Freitag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 25 Verwundete eingeliefert.<br />
Aufgrund des Widerstands der JNA konnte der Konvoi Vukovar nicht erreichen; er<br />
wurde in Marinci aufgehalten unter dem Vorwand, daß in einem Krankenwagen eine<br />
Handbombe gefunden wurde. Der Hilfskonvoi mußte nach Vinkovci zurückkehren.<br />
12. Okotber (Samstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 30 Verwundete eingeliefert.<br />
Der Hilfskonvoi wurde wieder aufgehalten. Sein Eintreffen in Vukovar knüpfte die<br />
JNA an Bedingung an, daß die Kaserne der JNA in Borongaj in Zagreb deblockiert<br />
wurde.<br />
13. Oktober (Sonntag):<br />
Kroatische Armee und Polizei versuchten den Belagerungsring um Vukovar zu brechen,<br />
aber der Gegenangriff auf Marinci scheiterte.<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 31 Verwundete eingeliefert.<br />
Der Hilfskonvoi (67 Fahrzeuge) traf in einen Vorort Vukovars ein, aber er mußte über<br />
Petrovci und nicht wie vereinbart über Marinci und Bogdanovci fahren. Nach einem<br />
längeren Warten, statt ins Krankenhaus, lenkte die JNA den Konvoi in ihre Kaserne<br />
ab. Er wurde geplündert und wieder nach Vinkovci zurückgeschickt. Durch diese<br />
vorsätzliche Ablenkung vom abgemachten Weg, beabsichtigten die Befehlshaber der<br />
Jugo-Armee die außerordentlich starke kroatische Verteidigung in Sajmište zu brechen.<br />
Der Hilfskonvoi sollte aus Kaserne seine Fahrt in Richtung Krankenhaus fortsetzen.<br />
14. Oktober (Montag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 23 Verwundete eingeliefert.<br />
15. Oktober (Dienstag):<br />
Mehr als zehn Geschosse trafen das Krankenhaus; der Feuerwehrmann Đ. R. starb<br />
und der Kesselraum wurde zerstört. In der Stadt verloren mindestens 6 Personen ihr<br />
Leben, und ins Krankenhaus wurden mindestens 42 Verwundete eingeliefert. Die<br />
Leiterin des Hilfskonvois Frau Vera Stanić (mit Mädchennamen Pivčević) hielt eine<br />
Pressekonferenz ab.<br />
16. Oktober (Mittwoch):<br />
In der Stadt wurden mindestens 7 Personen getötet und ins Krankenhaus mindestens<br />
51 Verwundete eingeliefert.<br />
114
17. Oktober (Donnerstag):<br />
Die Kroaten wurden aus Ilok vertrieben.<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 47 Verwundete eingeliefert.<br />
18. Oktober (Freitag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 28 Verwundete eingeliefert.<br />
19. Oktober (Samstag):<br />
Ins Krankenhaus brachte man ein in einem Vorhang eingewickeltes sechs Monate<br />
altes Baby aus Mitnica. Es handelte sich dabei um einen kleinen Jungen (I. K., geb.<br />
am 1. April 1991), den eine Granate der JNA tötete. Sein Vater (P. K.) und seine<br />
Großmutter waren verwundet. Die Großmutter mußte einer Operation (Amputation<br />
des rechten Armes), die sie fast nicht überlebte, unterzogen werden.<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 18 Verwundete eingeliefert.<br />
Skizze der Durchfahrt des humanitären Konvois „Ärzte ohne Grenzen“ von N. Mikanovci aus bis<br />
Vinkovci (die Skizze ist eine Schenkung von Zlatko Ivković)<br />
115
In Begleitung der Vukovarer Verteidiger, die dem Hilfskonvoi in einem Pkw<br />
Zastava-101 vorgefahren haben, erreichte der Hilfskonvoi “Ärzte ohne Grenzen”<br />
um 10 Uhr das Krankenhaus. Der Konvoi fuhr über den sog. “Maisweg” von<br />
Bogdanovci aus und stand unter Leitung von Dr. Alain Destexe und Herrn Martin<br />
Jean Michel, einem Beobachter der Europäischen Gemeinschaft. Dazu gehörte<br />
auch ein “Verbindungsoffizier” der JNA. Der Konvoi übernahm bis 12,30 Uhr 113<br />
Schwerverwundete und Patienten; ein Mann (L. V., 72 Jahre alt) starb während<br />
der Fahrt (an Verbrennungen). Ein verwundeter Soldat der JNA, den man im<br />
Vukovarer Krankenhaus behandelte, verließ den Konvoi in Petrovci und wurde<br />
nach Beograd transportiert. Der Konvoi setzte seine Fahrt um 13 Uhr fort, mit<br />
der Absicht später von Nuštar wieder zurückzukehren und die übriggebliebenen<br />
Verwundeten abzuholen, aber während der Fahrt über das unter der Kontrolle der<br />
JNA stehende Gebiete, verletzte eine unter einem Fahrzeug untergeschobene Mine<br />
zwei Krankenschwester – Fabienne Schmit und Ghislaine Jacquier, schwer. Sie<br />
wurden nach Beograd in ein Miliärkrankenhaus transportiert. Die Minen legten<br />
unter das Fahrzeug die Diversanten der JNA während sich der Hilfskonvoi entlang<br />
der Maisfelder bewegte. Die Diversanten waren die Soldaten des Aufklärungs- und<br />
Diversionszentrum in Pančevo, die auf dieses Gebiet versetzt worden waren, als der<br />
erste Hilfskonvoi am 11. Oktober organisiert wurde. Da die Jugo-Armee immer<br />
wieder den Hilfskonvoi stoppte, dauerte die Evakuierung von durchgefrorenen und<br />
dehydrierten Verwundeten auf das freie Gebiet der RH bei Regen und Kälte anstatt 2<br />
mehr als 11 Stunden. Die JNA machte dadurch die Fortsetzung der Durchfahrt über<br />
Bogdanovaci und Marinci, die zwischen den Vertreter der kroatischen Behörden und<br />
der JNA vereinbart wurde, unmöglich. Der Konvoi mußte vor Bogdanovci umkehren<br />
und den folgenden Weg nehmen: Vukovar – Petrovci – Oriolik - Sremske Laze – Ilača<br />
– Tovarnik – Šid – Vašica – Batrovci – Lipovac – Bošnjaci – Županja, wo man in der<br />
Nacht, um 1,30 Uhr eintraf. Von dort wurden dann die Verwundeten weiter über<br />
Cerna und Vođinci nach Stari Mikanovci, Đakovo und Zagreb transportiert.<br />
20. Oktober (Sonntag):<br />
Im Krankenhaus blieben 170 Verwundete und 70 Kranken, Schwangere und<br />
Neugeborene. Die Vorräte an Arzneimitteln, Infusionslösung, Blutderivaten und<br />
Sanitätsmaterial wurden immer kleiner. Man hatte nur noch einige Sauerstoffund<br />
Stickstoffoxydflaschen. Ins Krankenhaus brachte man 8 Verwundete und 3<br />
identifizierte Leichen.<br />
21. Oktober (Montag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 24 Verwundete eingeliefert.<br />
Im Zeitraum von 25. August bis 21. Oktober verzeichnete das Krankenhaus 267<br />
116
getötete Menschen, davon 165 erwachsene Zivilisten, 4 Kinder, 11 Polizisten und 87<br />
kroatische Soldaten.<br />
22. Oktober (Dienstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete eingeliefert.<br />
Die Medikamente wurden fast alle verbraucht. Wegen der gefährlichen Straßenfahrt<br />
nach Vukovar, schlug man vor, daß die Arzneien mit einem Hubschrauber in die<br />
unmittelbare Nähe des Krankenhauses, bzw. in den städtischen Fußballstadion<br />
abgeworfen werden.<br />
23. Oktober (Mittwoch):<br />
Als Folge des Angriffs, der von 12 bis 17 sati andauerte, als 30 großkalibrige Granaten<br />
das Krankenhaus trafen, brach ein Feuer aus. Der Brand gefährdete die Verwundeten<br />
und zerstörte Neben- und Lagerräume. Eine der Granaten schlug in den Eingang des<br />
Schutzkellers ein. Die Krankenschwester (M. B., 50 Jahre alt) war schwer verletzt:<br />
sie wurde ein Invalid. Ins Krankenhaus, in welchem einige Fälle vom Gasbrand<br />
ausgebrochen waren, wurden mindestens 26 Verwundete eingeliefert.<br />
Im Krankenhaus befanden sich zur Zeit mehr als 200 Verwundete und 70 Kranke.<br />
24. Oktober (Donnerstag):<br />
Der Schutzkeller wurde beschossen; alle 15 Minuten fiel auf die Stadt eine Granate.<br />
Dr. V. Bosanac erließ im Kroatischen Fernsehen einen Aufruf, in dem sie wieder um<br />
Hilfe bat. Ins Krankenhaus wurden mindestens 5 Verwundete eingeliefert.<br />
25. Oktober – Internationaler Tag der Blutspende (Freitag):<br />
Die JNA besetzte Tordinci.<br />
S. I. (geb. 1970) wurde durch eine Phosphorbombe verletzt. Ins Krankenhaus wurden<br />
mindestens 19 Verwundete eingeliefert.<br />
Im Krankenhaus befanden sich zur Zeit 210 Verwundete und 30 andere Patienten.<br />
Dr. Edin Zujović, ein Freiwilliger aus Zagreb, und Željka Zgonjanin, Leiterin des<br />
kroatischen Roten Kreuzes in Vukovar, organisierten zusammen mit anderen<br />
Krankenhausangestellten eine Blutspendenaktion im Schutzkeller in Borovo Naselje.<br />
Es kamen 70 freiwillige Blutspender.<br />
In der Stadt gab es zur Zeit etwa 15.000 Menschen (Kroaten, Serben, Ungarn, Russinen<br />
und andere Nationalitäten), darunter mehr als 2000 Kinder. Seit zwei Monaten sahen<br />
sie alle kein Tageslicht. Den Menschen drohten Hunger und Seuchen.<br />
117
26. Oktober (Samstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 17 Verwundete eingeliefert; in einigen Berichten<br />
aber wurden 21 Verwundete und 2 Leichen verzeichnet.<br />
27. Oktober (Sonntag):<br />
Bis 12 Uhr wurden 9 Verwundete eingeliefert, bis zum Abend waren es insgesamt<br />
43.<br />
Zu dieser Zeit befanden sich im Krankenhaus 209 Verwundete, davon 60 - 70 %<br />
Zivilisten.<br />
An diesem Tag starben mindestens 5 Personen.<br />
28. Oktober (Montag):<br />
In der Nacht trafen Vukovar mehr als 500 Geschosse. Der Morgen war ein bißchen<br />
ruhiger. Ins Krankenhaus wurden mindestens 7 neue Verwundete eingeliefert.<br />
Das Krankenhaus war völlig zerstört. In seinem Atomschutzkeller und Souterrain<br />
befanden sich 220 Verwundete.<br />
29. Oktober (Dienstag):<br />
In Olajnica tötete eine Granate zwei Jungen, 13 und 14 Jahre alt, und verletzte weitere<br />
6 Zivilisten. Ins Krankenhaus wurden mindestens 29 Verwundete eingeliefert.<br />
30. Oktober (Mittwoch):<br />
In der Stadt wurden mindestens 2 Personen ermordet. Das Krankenhaus nahm<br />
mindestens 9 Verwundete auf.<br />
31. Oktober (Donnerstag):<br />
... Seit 6 Uhr früh fallen die Geschosse in einer immer größeren Zahl überall auf die Stadt,<br />
von Petrova Gora und Negoslavci aus feuert man Minen und Granaten ab, und in der<br />
Batschka kommen Mehrfachraketenwerfer zum Einsatz. Den ganzen Tag lang zerstörten<br />
mehr als 5000 Geschosse immer wieder noch übriggebliebene Trümmer und alle Objekte,<br />
für welche man in Heerlagern vermutete, daß sie Menschen verbergen könnten. Natürlich<br />
auch das Krankenhaus wurde wiederholt als Schießscheibe aufgefaßt. (...) Nach fünf<br />
Anflügen, fiel eine aus sechs MIG 21 bestehende Formation über die Stadt her, und<br />
bombardierte alles was sie noch konnte. Auf das Krankenhaus feuerte sie sogar Raketen ab<br />
(Auszug aus dem Bericht von Siniša Glavašević, Kroatischer Radiosender Vukovar).<br />
Die Treffer der Schwerartillerie der JNA aus der Vojvodina und aus Richtung Šid-<br />
Negoslavci, beschädigten das Krankenhaus schwer. Ein Teil des Gebäudes stürzte<br />
118
und die Scherben fielen auf die Patienten. Um 13 Uhr forderte die Direktorin des<br />
Vukovarer Kriegskrankenhauses eine dringende Feuereinstellung auf. Um 13,45 Uhr<br />
warfen die Kampfflugzeuge der JNA zwei Bomben auf das Krankenhaus ab. Eine<br />
Bombe explodierte in der Erde oberhalb des Schutzkellers und verschüttete seinen<br />
Eingang, wobei Beton und Trümmer auf Patienten P. T. (34 Jahre alt) stürzten. Der<br />
Mann wurde schwer verletzt, aber er überlebte. Die zweite Bombe explodierte vor<br />
dem Eingang und schlug einen 3-4 tiefen Trichter in den Hof ein. Die Giftgase<br />
stopften den ganzen Schutzkeller voll. Am Nachmittag verursachten die Granaten<br />
zwei Brände, die fast auf das Krankenhausgebäude übergriffen. Während der Nacht<br />
fiel eine Granate vor dem Rettungsdienst. Das Feuer fing drei Rettungswagen und<br />
dem Krankenhaus blieb nur ein einigermaßen gut erhaltener Sanitätswagen übrig.<br />
Ins Krankenhaus wurden 8 Leichen und mindestens 25 Verwundete eingeliefert.<br />
1. November (Freitag – Allerheiligentag):<br />
Am Vormittag wurden ins Krankenhaus 5 Verwundete, bis zum Ende des Tages<br />
mindestens 31 eingeliefert.<br />
1./2. November:<br />
In der Nacht während ihres ersten Einsatzes warf die Besatzung des Selbständigen<br />
Luftfahrtzuges, der bei der Operationszone Osijek aufgestellt wurde, aus einem sonst<br />
in der Landwirtschaft einsetzbaren Zweiflügler des Typs AN-2 fünf Kisten und zwei<br />
Sauerstoffflaschen ab.<br />
2. November (Samstag):<br />
Durch den Durchbruch bei Lužac verkeilte sich der Feind zwischen Vukovar und<br />
Borovo Naselje und zerlegte dadurch die Stadtverteidigung in zwei Teile. Der Versuch<br />
der Kroatischen Streitkräfte Marinci zu befreien und die Straße zu deblockieren<br />
scheiterte.<br />
Der Präsident der RH Dr. F. Tuđman lobte das Vukovarer Krankenhaus „für seine<br />
Opferbereitschaft und erfolgreiche Arbeit bei der Versorgung von verwundeten<br />
Soldaten und Zivilisten unter unmöglichen Arbietsbedingungen“ während der<br />
Angriffe „der serbischen Terroristen und Jugoslawischen Armee“.<br />
In den Nachmittagsstuden wurde der Kesselraum getroffen und ein Granatsplitter<br />
tötete Arbeiter I. R. – Vater vierer Kinder. Auch Wäscherei und Küche waren nicht<br />
mehr zu retten. Der Transport von Verwundeten war außerordentlich schwer und<br />
gefährlich, da die Granaten immer wieder den Krankenhauseingag trafen. Ins<br />
Krankenhaus wurden mindestens 32 Verwundete eingeliefert, einigen Berichten<br />
nach sogar 87. Unter ihnen, in einem schwerden Zustand, wurde auch der Reservist<br />
der JNA A. M. aus Svetozarevo, aufgenommen und operiert. Nach einer Verwundung<br />
119
wurde er am 25. Oktober aus dem Militärkrankenhaus der JNA entlassen und an<br />
die Front zurückgeschickt; infolge der erlittenen schweren Verletzungen starb er<br />
während der Nacht.<br />
3. November (Sonntag):<br />
Am Vormittag wurden 18 Verwundete, bis zum Ende des Tages mindestens<br />
52 eingeliefert. Im Krankenhaus befanden sich zur Zeit etwa 350 Verwundete,<br />
hauptsächlich Frauen und Kinder. Die Lage war äußerst kritisch; Vorrat an<br />
Arzneimitteln wurde immer kleiner und Wasser- und Lebensmittelversorgung war<br />
sehr unregelmäßig.<br />
Bis 18 Uhr, einschließlich den 2. und 3. November, starben in der Stadt mindestens<br />
24 Personen.<br />
4. November (Montag):<br />
In einem Schreiben an die Beobachter der Europäischen Gemeinschaft und andere<br />
Staatsmänner, teilte die Direktorin des Krankenhauses mit, daß im Krankenhaus 370<br />
Verwundete untergebracht wären, daß das Feuer nicht aufhöre und nur an diesem<br />
einen Tag das Krankenhaus mehr als 90 Treffer erleben würde. Ins Krankenhaus<br />
wurden mindestens 80 Verwundete eingeliefert.<br />
5. November (Dienstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 55 Verwundete eingeliefert, darunter auch ein<br />
Soldat der JNA (B. G., geb. 1972).<br />
Gestern und heute sind in Kämpfen mindestens 11 Verteidiger gefallen.<br />
6. November (Mittwoch):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 55 Verwundete eingeliefert. Unter diesen<br />
schweren Umständen befinden sich im Krankenhaus mehr als 350 Verwundete.<br />
Mindestens 5 kroatische Verteidiger sind gefallen.<br />
Möge uns Gott helfen Helden! Brüder Serben, heldenhafte serbische Tschetniks, heute<br />
werdet ihr in den Krieg ziehen. Ihr werdet serbisches Vukovar befreien und serbisches<br />
Slawonien abwehren. Ihr werdet sich anderen hunderten und tausenden unseren<br />
Freiwilligen anschließen. Ihr kommt aus allen Teilen des heutigen Kleinserbiens um den<br />
Ruhm für serbische Waffen zu ernten. Ihr werdet mit Verbänden der JNA kooperieren,<br />
weil sie unsere Armee ist. Sie ist vor allem eine serbische Armee, was die Struktur<br />
ihrer Führungskräfte und besonders ihr Kampf für die Rettung der serbischen Länder<br />
und Territorien beweisen. (Auszug aus der Rede des Vorsitzenden der serbischen<br />
Radikalen Partei und Tschetnikführers Vojislav Šešelj, die er am 6. November 1991<br />
120
für die Freischärler in Serbien vor ihrem Abmarsch in Richtung Kroatien hielt; Quelle:<br />
NTV Studio B)<br />
7. November (Donnerstag):<br />
Die Geschosse trafen das Krankenhaus wieder. Ein Teil des Gebäudes stürzte auf<br />
Patienten, hauptsächlich Zivilisten. Die Behauptungen von Dr. Vesna Bosanac<br />
über die Angriffe der JNA und serbischen Paramilitärs auf das Krankenhaus<br />
bestätigten durch ihre Unterschriften auch die verwundeten Soldaten der JNA, die<br />
im Krankenhaus behandelt wurden: S. J. – Zugführer aus Beograd, P. T. – Reservist<br />
der JNA aus Sombor, S. M. – Soldat aus Niš. Ins Krankenhaus wurden mindestens 6<br />
Verwundete eingeliefert.<br />
8. November (Freitag):<br />
Ins Krankenhaus wurden 75 Verwundete eingeliefert und unter dramatischen<br />
Umständen 35 komplizierte Operationen ausgeführt. In der Nacht transportierte<br />
man die Verwundeten zum letzten Mal vom Krankenhaus in die Fabrik “Borovo-<br />
Commerce”; 30 Verwundete und ihre Fahrer riskierten dabei ihr Leben.<br />
Nachts warf wieder Selbstänidger Luftfahrtzug mit dem Flugzeug AN-2 sechs Kisten<br />
mit Sanitätsmaterial ab. Jede wog 120 kg: aber es schien, daß nur zwei davon in die<br />
Hände des Personals gelangen: u.a., in einer waren 24, in anderer 20 Blutdosen.<br />
9. November (Samstag):<br />
Für Kroatischen Radiosender berichtet Siniša Glavašević: Der Befehlshaber der<br />
kroatischen Verteidigung in Vukovar Jastreb (Habicht), hob das Verbot bezüglich<br />
der informativen Berichterstattung auf, aber die Verteidigung von Vukovar steht vor<br />
einem Zusammenbruch. ... In diesem Augenblick in den Trümmern des Vukovarer<br />
Krankenhauses, die seit langem eine Schießscheibe für Granaten und Minen darstellte,<br />
verstecken sich 450 Verwundete. Die medizinischen Teams machen alles was sie<br />
können, um die Ausbreitung einer Infektion zu verhindern. Infolge der Ausführung der<br />
schweren chirurgischen Eingriffe macht sich schon seit geraumer Zeit ein Mangel an<br />
erforderlichen Arzneimitteln und entsprechendem Sanitätsmaterial bemerkbar. Darüber<br />
wird heute Abend im Kroatischen Fernsehen der zuständige Facharzt für Transfusion<br />
Dr. Edin Zujović sprechen. ... (aus dem Bericht von Siniša Glavašević für Kroatischen<br />
Radiosender)<br />
Für die Tageschronik berichtet Siniša Glavašević: ... In der letzten drei Tagen trafen das<br />
Krankenhaus mehr als 300 Geschosse, der ganze Fuhrpark wurde vernichtet, was den<br />
Transport der Verwundeten von der Front bis zum Krankenhaus gefährdet. Auch einige<br />
Operationssäle sind außer Betrieb, usw. Die Blutgruppe “0” fehlt und Kroatien versprach<br />
Vukovar wieder Hilfe. Doch die Lage entlang der ersten Kampflinie ist aussichtslos. ...<br />
121
(aus dem Bericht von Siniša Glavašević für die Tageschronik)<br />
Im Krankenhaus wurde nach nur 25 Wochen Schwangerschaft ein Kind vorzeitig<br />
geboren. Es war 800 g schwer und mußte in den Brutkasten im Atomschutzkeller<br />
gebracht werden.<br />
Am Nachmittag brachen im Kreis des Krankenhauses zwei Brände aus, die mit viel<br />
Mühe gelöscht werden konnten. Die Direktorin des Krankenhauses Dr. V. Bosanac<br />
verlangte eine eilige Evakuierung von 450 Verwundeten, Kindern, Schwangeren und<br />
Babys. Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete eingeliefert. In der Stadt<br />
kamen 5 Personen ums Leben, zwei davon aufgrund der erlittenen Wunden.<br />
10. November (Sonntag):<br />
Die JNA griff die Priljevska Straße von Lužac aus an, mit dem Vorhaben die<br />
Überführung in Richtung Stadtzentrum zu besetzen, und um eine Verbindung mit<br />
ihren Verbänden in der Trpinjska Straße herzustellen.<br />
Die JNA konnte das Gebiet um Milovo Brdo und Slavija besetzen, und dadurch Mitnica<br />
vom Stadtzentrum trennen. Die Verteidigung wurde jetzt an zwei Stellen durchbrochen<br />
und die Verteidiger in drei abgeschnittene Stützpunkte zusammengepreßt.<br />
Die JNA und die serbischen Paramilitärs besetzten Bogdanovci und massakrierten<br />
die nicht-serbische Bevölkerung.<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 31 Verwundete eingeliefert.<br />
Wegen der Blockade der Straßen legten 15 kroatische Gardisten einen etwa 5 km<br />
langen Weg zu Fuß zurück – um 5 schwer verwundete Mitkämpfer ins Krankenhaus<br />
zu bringen (aus Borovo). Drei Verteidiger erlitten kranio-cerebrale Verletzungen.<br />
11. November (Montag):<br />
Bis zum Mittag wurden 12 und bis zum Abend mindestens 25 Verwundete eingeliefert.<br />
Aufgrund der anhaltenden Bombardements und Straßenblockaden konnten die<br />
Leichtverwundeten nicht aus dem Krankenhaus entlassen, nach Hause geschickt<br />
oder in andere Unterkünfte transportiert werden. In einem an die Europäische<br />
Gemeinschaft erlassenen Aufruf der Direktorin Dr. V. Bosanac wurde angegeben,<br />
daß sich im Krankenhaus 680 Menschen befinden, darunter 480 Verwundete und<br />
Patienten.<br />
12. November (Dienstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden 9 Verwundete eingeliefert, darunter 6 Zivilisten.<br />
Während der Nacht stellte ein Flugzeug ein letzes Mal Hilfe für die Verteidiger und das<br />
Vukovarer Krankenhaus zu: man warf 6 Kisten je 150 kg mit Panzerabwehrraketen,<br />
Munition für Infanterie und Sanitätsmaterial ab. Gewiß wurden gleich unter dem<br />
Deckel einige Stangen Zigaretten gelegt.<br />
122
Vukovar, November 1991 (Autor: Christopher Morris)<br />
13. November (Mittwoch):<br />
Der Versuch der Kroatischen Armee das Dorf Marinci und die Straße nach Vukovar<br />
zu befreien, scheiterte.<br />
Von 9 bis 16 Uhr wurde das Krankenhaus mehr als 60 mal getroffen. Und der<br />
Angriff ging weiter. Die Küche war vollkommen verschüttet, wie auch das Souterrain<br />
der Neurologie, wobei zwei Patienten, die auf dem Fußboden lagen, durch die<br />
Granatsplitter verwundet wurden. Um 16,20 Uhr veröffentlichte Dr. V. Bosanac einen<br />
neuen Bericht über die Lage des Krankenhauses. Der Gasbrand nahm schon das<br />
Leben zweier Patienten, und drei weitere erkrankten. Auch neue Infektionen breiteten<br />
sich aus, weil es kein Wasser gab, und Arznei- und Lebensmittel verschwanden<br />
allmählich. Ins Krankenhaus wurden mindestens 7 Verwundete eingeliefert, nach<br />
einigen Berichten aber sollte ihre Anzahl größer sein (am frühen Morgen sollten es<br />
schon 14 neue Verwundete aufgenommen worden sein).<br />
Da kommt Šešelj (Vojislav, Vorsitzender der serbischen Radikalen Partei, Anm. des<br />
Autors) mit seinem Gefolge, um die Soldaten an der Front zu besuchen. Eigentlich gibt<br />
es hier keine Front. In dem Teil Vukovars, in dem wir uns befinden, leben hauptsächlich<br />
Serben und die Zerstörung ist eher gering. Die heimische Bevölkerung eigentlich die<br />
Kämpfer der Territorialverteidigung, kennen die Straßen mit welchen sich man dem<br />
Zentrum nähern kann. Aber auch dieses Vorhaben verbirgt in sich einige Gefahren.<br />
123
Die Scharfschützen sind ständig im Einsatz. Šešelj verabredet ein Zusammentreffen mit<br />
Befehlshabern der JNA, der Territorialverteidigung und der Freischärler. In einem Haus<br />
in der Straße Nova steht der Tschetnikführer in seiner Militäruniform und mit einem<br />
um den Hals eingewickelten Maschinengewehr. Seine Leibwächter mit versteinertem<br />
Gesichtsausdruck versuchen versteckte Gefahr zu entdecken. Eigentlich ist das alles<br />
lächerlich. Auch Šešelj und seine Offiziere und andere Kommandanten mit ihren<br />
Bärten, Kokarden und Dolchen. Alle stehen still und begrüßen ihren Führer. “Wir sind<br />
alle eine Armee”, sagt Šešelj. “Aber wessen Armee” – fragt Hauptmann Saša Bojkovski<br />
(Kommandant der 1. motorisierten Abteilung des 1. motorisierten Bataillons unter<br />
dem Kommando des Majors Borivoj Tešić – später des Kommandanten der 1.<br />
Sturmeinheit der motorisierten Gardebrigade der JNA unter dem Kommando des<br />
Obersten Mile Mrkšić – des Kommandanten der Operationsgruppe Süd, Anm. des<br />
Autors). Der Führer überhört die Frage und setzt fort: „Hier gibt es keine Plünderer,<br />
keine Alkoholiker, keine Exzesse...“ Ich sehe, daß er seinen Freiwilligen, die ihm diese<br />
Lügen auftrugen, Glauben schenkt. Hier ist es sehr gefährlich, sobald es dunkel wird,<br />
sich auf die Straße zu begeben – alle sind betrunken und alle schießen. Eine Nacht<br />
hielten seine Freischärler ein wüstes Gelage und durch ein Fenster warfen sie eine Kiste<br />
voll mit Bomben in den Garten hinaus. „Ihre Kämpfer sind ausgezeichnet“ behauptet<br />
unterwürfig ein Obersleutnant. „Sie sind nicht meine Kämpfer, wir sind eine Armee“,<br />
antwortet Šešelj und setzt fort: „Dieser Krieg stellt eine Versuchung für die Serben<br />
dar. Wer hier durchkommt, wird einen Sieg davontragen. Aber der Verrat wird öfters<br />
begangen und ihr dürft nicht zulassen, daß die Leute unbestraft desertieren. Über die<br />
Armee werden viele Lügen verbreitet, die verräterischen Parteien hetzen auf, eben erst<br />
wurde jener Čanak, der unter den Ungarn in der Vojvodina Unruhen zu stiften versucht<br />
hatte, aufgelesen ....“ Alle hören aufmerksam zu, auch Major Veselin Šljivančanin<br />
(Vorsteher der „Sicherheitskräfte“ der motorisierten Gardebrigade, Anm. des Autors)<br />
und Hauptmann Miroslav Radić (Kommandant der 3. motorisierten Abteilung des<br />
1. motorisierten Bataillons der 1. motorisierten Gardebrigade der JNA, Anm. des<br />
Autors), sowie einige anderen Offiziere. Im allgemein stützt sich der Tschetnikführer<br />
auf Halbwahrheiten und erklärt: „Wir haben das Konzept einer Jugoslawischen Armee<br />
und nicht einer serbischen entwickelt. Jetzt gibt es keine rechtliche Lage für eine<br />
Einmischung ausländischer Mächte, weil, wie sie sehen, hier eine Bundesarmee gegen<br />
die aufständischen Kroaten kämpft...“ Zum Schluß läßt er noch eine Botschaft zurück:<br />
„Keiner Ustascha darf Vukovar lebend verlassen“. Für die Mehrheit der Paramilitärs ist<br />
jeder Kroate ein Ustascha. Ich fürchte, niemand wird imstande sein, diesen Haufen im<br />
Zaum zu halten.<br />
Abends um 18.35 Uhr höre ich vom Hauptmann Bojkovski, daß etwa zwanzig unserer<br />
Kämpfer eine besetzte Straße verlassen haben, und daß man jetzt wieder um sie kämpfen<br />
sollte. Auch der Kommandant einer Abteilung der Territorialverteidigung Stanko Vujanović<br />
beklagt sich und behauptet: „Wir als Aufklärung nehmen das Gebiet ein, und dann sollten<br />
124
die sog. Kehrer jeden Keller, Dachboden und Raum nach Ustascha durchsuchen. Aber<br />
sie plündern nur. Sie sind eigentlich nur eine Horde ...“ „Klar, sie sind wirklich gut beim<br />
Saubermachen“, mischt sich Bojkovski ein, „sie haben jede Schublade und jeden Schrank<br />
genau gesäubert“. (Authentische Aufzeichnungen des serbischen Journalisten Jovan<br />
Dulović, aufgeschrieben am 13. November 1991 um 17.30 Uhr; veröffentlicht unter<br />
dem Titel „Krvava priča“ in: Vreme, am 20. November 1995, S. 18-19.)<br />
14. November (Donnerstag):<br />
Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete eingeliefert, nach einigen<br />
Berichten aber sollte ihre Anzahl größer sein (am frühen Morgen waren schon 12<br />
neue Verwundete aufgenommen worden).<br />
Dr. Bosanac erlässt beharrlich ihre Aufrufe an die Weltöffentlichkeit. Im Schutzkeller<br />
waren 44 Kinder untergebracht und man versuchte für sie eine Evakuierung zu<br />
organisieren, wie auch für alle anderen Kinder, die krank, bedürftig und erschrekt<br />
in anderen Unterkünften und Schutzkellern der Stadt den Schutz suchten. Ein<br />
Mitarbeiter schlug ab, das Wasser vom Brunnen zu holen, da das Artilleriefeuer sehr<br />
heftig war. Statt seiner, holte das Wasser Dr. V. Bosanac.<br />
Heute Nacht fielen aus heiterem Himmel zwei Bomben etwa hundert Meter weiter<br />
vom Haus, in welchem wir uns aufhielten. Die Morgendämmerung fand uns im Keller.<br />
Bescheinigung des Kommandos eines Gefangenenlagers der JNA in Serbien von<br />
einem Einwohner von Vukovar, 2. Dezember 1991<br />
125
Abkommen zwischen der Regierung der Republik Kroatien und der JNA über die Evakuierung von Verwundeten und<br />
Kranken aus dem Vukovarer Krankenhaus, 18. November 1993 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Juraj Njavro)<br />
126
Šljivančanin sagte, die kroatischen Landwirtschaftsflugzeuge sollten zwei mit dem<br />
Sprengstoff gefüllten Boiler abgeworfen haben, was aber nicht sehr überzeugend klang,<br />
da ich die ganze Zeit über wach war, und außer des Schnarchens von Tomo Peternek<br />
hörte ich nichts. Später erklärte uns ein Mitglied der Besatzung des Raketenwerfers,<br />
daß man ungeschickt Vukovar mit Boden-Boden Raketen zu treffen versuchte. Die<br />
Zusammensetzung einiger Einheiten ist mir völlig unklar, ich weiß nicht wer ihre<br />
Kommandanten sind, wer wem gehorchen muß, und wer welche Aufgaben hat ... Es<br />
scheint, als ob alles nur eine Sache der Abmachung wäre. Innerhalb einer Abteilung,<br />
beispielsweise, gibt es fast keine Soldaten der JNA. Sie besteht aus Freiwilligen,<br />
Angehörigen der Territorialverteidigung, Freischärlern (Šešelj-Truppen) und anderem<br />
Gesindel. Und wer könnte einen Befehl einer Gruppe betrunkener Freiwilligen mit<br />
blutigen Augen und einer Kugel im Gewehrlauf eines Maschinengewehrs erteilen? Ich<br />
war vor einigen Tagen Zeuge eines Zwischenfalls, als einige Freischärler zwei Offiziere<br />
der JNA mißhandelten. Sie waren nicht weit davon entfernt, diese Offiziere ohne<br />
irgendeinen Grund zu erschiessen. Für einen Mord wird hier keiner zur Rechenschaft<br />
gezogen. Man greift auch dann erst an, wenn alle damit einverstanden werden. Und<br />
immer in Begleitung einer Schnapsflasche. Es ist mehr als deutlich, daß wenigstens<br />
wenn es sich um die Einheiten in dieser Straße (Nova) handelt, der einzige und<br />
elementare Beweggrund dieser sog. Kriegsführung nur ein gewöhnlicher Raub ist. Mir<br />
sind auch einige Fälle bekannt, in welchen sich man bei der Beuteverteilung gegenseitig<br />
umbrachte. (Authentische Aufzeichnungen des serbischen Journalisten Jovan Dulović,<br />
aufgeschrieben am 14. November 1991 um 4.30 Uhr; veröffentlicht unter dem Titel<br />
“Krvava priča” in: Vreme, am 20. November 1995, S. 19.)<br />
15. November (Freitag):<br />
Seit 6 Uhr war die Stadt unter heftigem Beschuß. Die Granaten trafen auch<br />
das Krankenhaus. Einige Geschosse der Haubitzen landeten auf dem Dach des<br />
Schutzkellers. Am Nachmittag wurde auch die Unterkunft im Keller des zerstörten<br />
Schlosses Eltz getroffen. Auf der Stelle starben 9 Zivilisten, die mit noch 20 Mitbürgern<br />
schon seit Monaten dort lebten. Während des Angriffs starben eine Physiotherapeutin,<br />
ihr Mann Informatiker und ihr dreijähriger Sohn. Eine Mutter und ihre zwei Töchter<br />
(5 Jahre und 6,5 Monate alt) wurden verwundet. Ins Krankenhaus wurden mindestens<br />
8 Verwundete eingeliefert, wo sich schon etwa 480 Verwundete befanden. Wegen<br />
der schlechten Arbeitsbedingungen infizierten sich mit Gasbrand 8 Patienten, und in<br />
den letzten drei Tagen starben drei von ihnen.<br />
Die Schrecken des Krieges in Vukovar nehmen kein Ende. Die am heutigen Tag einige<br />
tausend abgefeuerten Granaten legen die noch übriggebliebenen Ruinen und Trümmer<br />
in Schutt und Asche. Und bald werden sie auch ganz verwischt werden. Und das<br />
sogar sehr bald, weil die durchschlagenden Kanonen- und Panzergeschosse schon<br />
127
die letzen Schutzkeller der noch lebenden Stadteinwohner verschütten. Heute hat ein<br />
Panzergeschoß einen baufälligen Schutzkeller getroffen und dabei 7 Menschen getötet<br />
und mehrere verwundet. Als ob die Verbrechen der JNA niemals aufhören werden. Die<br />
Stadt wird schon seit drei Monaten belagert, und die Greuel des Krieges werden immer<br />
schrecklicher. Kälte, Erschöpfung, Seuche und Unterernährung nagen jeden Tag immer<br />
mehr an diesen halbtoten Menschen. Sollen diese Menschen die Quallen eines Hungerund<br />
Dursttodes erleben?<br />
Die Kämpfe werden immer heftiger. Borovo Naselje sowie das Gebiet um Priljevo, Lužac<br />
und Sajmište sind auch heute ein Krisenherd, wo die Vukovarer Verteidiger für ihre<br />
Familien, für Ihre Stadt, für sich selbst und schließlich auch für Kroatien weiter kämpfen.<br />
Den Artillerie- und Infanterieverbänden des Feindes leisten müde und erschöpfte<br />
kroatische Soldaten auch heute einen starken Widerstand. Und ein solcher Widerstand<br />
übetraf alle unseren Erwartungen, alles was wir über die kriegerische Geschichte<br />
Kroatiens wußten. Wie lange werden noch die Geschichten über den Krieg in Vukovar<br />
erzählt und wieviel Leid muß noch erduldet werden, um die Tatsache zu akzeptieren<br />
– daß es kein kroatisches Vukovar mehr gibt? (Josip Esterajher aus Vukovar, für die<br />
Tageschronik des Kroatischen Radiosenders, am 15. November um 17 Uhr)<br />
16. November (Samstag):<br />
Die heftigen Angriffe fingen schon am frühen Morgen an. Der Feind startete seine<br />
letzte Offensive. In Angst vor Tschetniks, die in die Stadt einzudringen und die<br />
Menschen in den Schutzkellern zu töten begannen, verließen immer mehr Zivilisten<br />
ihre Keller und Unterküfte in umliegenden Gebäuden. Sie trafen ins Krankenhaus<br />
ein, in der Hoffnung, hier würden sie besser geschützt. Ins Krankenhaus wurden<br />
mindestens 9 Verwundete eingeliefert.<br />
17. November (Sonntag):<br />
Dr. Njavro und Dr. Vlahović operierten ein sechseinhalb Monate altes Mädchen S. V.,<br />
dem ein Granatsplitter den Bauchfell durchbrach und den Darm zerriß. Die Luft im<br />
kalten „Operationssaal“ versuchte Dr. Kušt mit einem Fön zu erwärmen. Während des<br />
Eingriffs, erhielt das Mädchen die Bluttransfusion direkt von Blutspendern, bzw. vom<br />
medizinischen Personal. Nach dem Fall Vukovars, wurde sie in die Militär-Medizinische<br />
Akademie nach Beograd transportiert, wo sie den Fernsehkameras als ein „Opfer von<br />
Ustascha“ vorgeführt wurde. Die Verbannung verbrachte das Mädchen in Zagreb, wo sie<br />
wieder einer Operation in der Klinik für Kinderkrankheiten unterzogen werden mußte,<br />
und heute lebt sie in Vukovar. Für die Evakuierung der Verwundeten und Kranken,<br />
welche nach dem unterzeichneten Abkommen das Internationale Rote Kreuz mit<br />
Militärfahrzeugen der JNA durchführen sollte, wurde ein Verzeichnis mit allen gestellten<br />
Diagnosen verfaßt. Ins Krankenhaus wurden mindestens 13 Verwundete eingeliefert.<br />
128
Diplomatische Initiativen der Kroatischen Regierung und der internationalen<br />
Staatengemeinschaft für die Rettung von Verwundeten, Frauen und Kindern aus<br />
Vukovar.<br />
Dr. Jan Van Houten, der Leiter der Beobachter, schickte ein eiliges Schreiben an<br />
General Rašeta, in dem er verlangte, daß den Beobachtern ein Zugang zu Vukovar<br />
ermöglicht würde, sowie daß die JNA für Frauen und Kinder Sicherheit gewährleiste.<br />
In der außerordentlichen Sitzung forderte die Kroatische Regierung den Generalstab<br />
der JNA auf, eine Pufferzone gegen Tschetniks zu bilden, um die zivile Bevölkerung<br />
zu retten und die Durchfürung der humanitären Aktionen zu ermöglichen. Die<br />
Regierung bestand auf einer dringenden Evakuierung der Bevölkerung über die<br />
Strecke Vukovar – Bogdanovci – Nuštar – Vinkovci in Begleitung der Beobachter<br />
und der Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes.<br />
18. November (Montag):<br />
Für die Tageschronik berichtet Siniša Glavašević: … Wir werden Vukovar um 22 Uhr<br />
am 87. Belagerungstag nie aus der Erinnerung löschen können. Die gespenstischen<br />
Erscheinungen folgen endlos aufeinander, und man riecht den Geruch des Brandes.<br />
Wir laufen an Leichen vorbei, Trümmer und Glassplitter liegen überall herum und eine<br />
grausame Stille herrscht. Gleichzeitig ringen die Ärzte im Vukovarer Krankenhaus mit<br />
zahlreichen Problemen: mit 300 schwer und etwa 400 leicht verletzten Personen und<br />
auch mit Zivilisten, die im Krankenhaus eine Zuflucht suchen. Sie kämpfen auch um<br />
das Leben eines schwer verletzten fünfeinhalb Monate alten Babys, das Dr. Tomislav<br />
Vlahović heute Nachmittag operierte. Die Granatsplitter verletzten das Kind am<br />
Oberschenkel. Einem viereinhalb Jahre altem Mädchen wurde die Schulter zerschmettert.<br />
Vor kurzem hörte man auch über das schwere Leiden einer zukünftigen Mutter und<br />
ihres ungeborenen Kindes. Die Bürde solcher Vorfälle kann die heutige Zivilisation nicht<br />
ertragen. Der Gasbrand sollte nie mehr die Medizin beherrschen, das hoffen hier alle.<br />
In diesem Augenblick kommen die ersten Informationen über die beschlossenen<br />
Verhandlungen an. Der Hilfskonvoi soll morgen um 10,00 Uhr mit 600 Patienten<br />
wegfahren und die folgende Strecke nehmen: Vukovarer Krankenhaus, Priljevo, Lužac,<br />
Bogdanovci, Marinci, Zidine, Nuštar. Mit zivilen Unterkünften in Borovo wird morgen<br />
auch die Verbindung hergestellt werden, da dort noch etwa 200 Verwundete untergebracht<br />
sind. Sie werden auch in den nächsten Tagen an der Evakuierung der Bevölkerung<br />
teilnehmen. Wir hoffen, daß das Leiden in Vukovar nun beendet ist (Auszug aus dem<br />
Bericht von Siniša Glavašević für die Tageschronik; zwei Tage später ermordeten die<br />
serbischen Freischärler Siniša Glavašević in Ovčara).<br />
Die Streitkräfte der JNA und die serbischen Paramilitärs besetzten den größten Teil<br />
Vukovars. In Einklang mit dem Artikel 15 der Genfer Konvention, nach welchem<br />
das Krankenhaus im Zentrum der kriegerischen Auseinandersetzungen unter die<br />
129
Kontrolle der Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes gestellt werden sollte,<br />
erreichten die Vertreter der RH, der JNA, des Internationalen Kommitees des Roten<br />
Kreuzes, der Ärzte ohne Grenzen und des Malteser Kreuzes, ein Abkommen über die<br />
Neutralität des Vukovarer Krankenhauses und die Evakuierung der Verwundeten und<br />
Patienten. Das Abkommen verpflichtete die RH und die JNA zur „Feuereinstellung<br />
auf dem Gebiet um Vukovarer Krankenhauses und entlang der Strecke der<br />
Evakuierung“, zur Anschaffung der „angemessenen Fahrzeuge mit entsprechendem<br />
Personal für etwa 40 Schwerkranke und 360 Verwundete, unter denen etwa ein<br />
Drittel eine Krankenbahre benötigte“, sowie zur Anerkennung der „Neutralität<br />
des Krankenhauses während der Evakuierung“. Die RH und die JNA waren damit<br />
einverstanden, daß die „Beobachtungsmission der Europäischen Gemeinschaft die<br />
ganze Aktion beaufsichtigt und alle Verfahrensebenen unbeschränkt überwacht“,<br />
welche „alle Verwundeten und Kranken, die im Vukovarer Krankenhaus behandelt<br />
werden, umfassen sollen und für welche die zuständigen Personen im Krankenhaus<br />
bestimmen werden, ob sie die Fahrt mitmachen könnten.“ Nach dem dritten Punkt<br />
des Abkommens sollte der Konvoi den nächsten Weg nehmen: Vukovar – Priljevo<br />
– Lužac – Bogdanovci – Marinci – Zidine. An dieser Straßenkreuzung sollte dann<br />
die Verantwortung für den Hilfskonvoi die kroatische Seite übernehmen. Die<br />
Vereinbarung unterzeichneten der Vertreter der Europäischen Beobachtungsmission<br />
J. M. Chenu, Vertreter der Kroatischen Regierung (Minister für Gesundheitswesen)<br />
Prof. A. Hebrang und Vertreter der JNA General A. Rašeta.<br />
Dr. V. Bosanac informierte um 10,10 Uhr die Europäische Mission, daß auf das<br />
Krankenhaus wieder das Artilleriefeuer eröffnet wurde. Die Beobachtungsgruppe der<br />
Europäischen Gemeinschaft für Vukovar meldete um 12,15 Uhr von Negoslavci, daß<br />
sich ihr Vertreter auf dem Weg zum Krankenhaus machen würde, falls ihm ein freier<br />
Zugang „zugelassen werden sollte“. Dr. V. Bosanac protestierte um 12,35 Uhr gegen<br />
die Europäische Mission, weil sie ihr Versprechen über die Kontaktaufnahme und<br />
den Beginn der Evakuierung der Verwundeten nicht eingehalten hat. Sie protestierte<br />
erneut um 15,40 Uhr, weil keine Vertreter der Internationalen Gemeinschaft oder<br />
des Roten Kreuzes am Eingang des „Krankenhauses mit mehr als 500 Patienten“<br />
erschienen. Um 16,55 Uhr bekundete Dr. V. Bosanac wiederholt ihr Mißfallen in<br />
einem Anruf an die Europäische Mission, da keine versprochene Hilfe gekommen<br />
war. Ins Krankenhaus wurden mindestens 15 Verwundete eingeliefert.<br />
An diesem 18. November 1991 ist auch die letzte Bastion, der letzte Stützpunkt der<br />
Ustascha-Macht in Vukovar gefallen – Vukovarer Krankenhaus. Die Stadt wurde<br />
befreit, einst eine wunderschöne Stadt. Die menschliche Einbildungskraft ist sich nicht<br />
imstande diese Stadt zu diesem Zeitpunkt vorzustellen. Das war eine Stadt, die es nicht<br />
mehr gab, eine Stadt, in der die reine Hölle herrschte, voll Rauch, Brand, Leichen,<br />
Gestank und Trümmer.<br />
130
Ehemals eines der schönsten Gebäude in der Stadt, vor 15 Jahren gebaut, galt dieses<br />
Krankenhaus als eines der am besten ausgerüsteten Krankenhäuser im ehemaligen<br />
Jugoslawien. Jetzt ist es praktisch verschwunden. Nach den Umrissen in Trümmern ist<br />
es sehr schwer zu erkennen, daß wir neben seinem Unterbau stehen. Früher verfügte<br />
dieses Krankenhaus über 450 Krankenbetten und alle erforderlichen Abteilungen<br />
mit entsprechenden subspezialistischen und Begleitdienstellen. Davon ist aber nichts<br />
übriggeblieben. Etwa 75 Prozent des Objekts wurde zerstört. (Vojska Krajine – das Blatt<br />
der Serbischen Armee Krajina, Nr. 7-8, Oktober-November 1993, S. 43; Auszug aus<br />
dem Text von Primarius Dr. Vojislav Stanimirović, Minister ohne Geschäftsbereich<br />
in der Regierung der Republik Serbische Krajina 1995, später Vorsitzender der<br />
Ünabhängigen Demokratischen Serbischen Partei und nach der Befreiung und der<br />
friedlichen Reintegration der okkupierten Teile der RH Abgeordneter im Kroatischen<br />
Parlament 2003 – 2008.)<br />
19. November (Dienstag):<br />
Borovo Naslje wurde besetzt, aber ein Teil kroatischer Verteidiger setzte den<br />
Widerstand bis zu den frühen Morgenstunden des nächsten Tages fort. Einige von<br />
ihnen verließen Borovo Naselje erst am 23. November zurück.<br />
Um 9,01 Uhr warnte Dr. V. Bosanac in einem Anruf, daß sich bei ihr bezüglich der<br />
vereinbarten Evakuierung noch niemand gemeldet hatte.<br />
Im Kriegstagebuch der motorisierten Gardebrigade der JNA wurde angeführt, daß bei<br />
dem Kommando der Operationsgruppe Süd um 10 Uhr eine UN-Delegation unter<br />
der Anführung des Sonderbeauftragten des UN-Sekretärs Cyrus Vance eingetroffen<br />
war. Er war mit der Lage in Vukovar vertraut, aber aufgrund einer Videoaufnahme<br />
ist es festzustellen, daß ihm Major Veselin Šljivančanin einen Zutritt ins Krankenhaus<br />
verweigerte.<br />
Nach einem regelmäßigen Kampfbericht des Befehlshabers der Operationsgruppe Süd<br />
des Obersten Mile Mrkšić sollten die Soldaten der JNA bis 11 Uhr „Krankenhaus und<br />
Innenministerium“ besetzt haben. Sie stießen auf keinen bewaffneten Widerstand.<br />
Die JNA brachte gleich ihre 6 Soldaten weg, die mit anderen Patienten ärztlich<br />
versorgt wurden, darunter auch einen Verwundeten, den ein kroatischer Gardist auf<br />
seinen Armen bis zum Krankenhaus getragen und dabei sein eigenes Leben riskiert<br />
hatte. Im Kampfbericht der Jugo-Armee (1. Militärdistrikt) wurde angegeben, daß die<br />
motorisierte Gardebrigade zwei ihre am 2. Oktober 1991 verschwundenen Männer<br />
am 19. November aus dem Krankenhaus geholt hatte.<br />
Um 14 Uhr verlangte Dr. V. Bosanac in feindlichem Stützpunkt Negoslavci vom<br />
Obersten der JNA M. Mrkšić, dem Befehlshaber der motorisierten Gardebrigade<br />
und der Operationsgruppe „Süd“, daß das internationale Abkommen über die<br />
Evakuierung der Verwundeten durchgeführt wird.<br />
131
Um etwa 17 Uhr marschierten ins Krankenhaus die Kämpfer der berüchtigten<br />
serbischen paramilitärschen Einheiten ein. Einige der Mitarbeiter wurden gleich<br />
mitgenommen: Zlatko Jurčević war in serbischen Internierungslagern bis zum 12.<br />
Dezember 1991 gefangengehalten und Marko Mandić verschwand. Der Beauftragte<br />
der Regierung der RH für Vukovar Marin Vidić – Bili und die Direktorin des<br />
Medizinischen Zentrums Vukovar Dr. Vesna Bosanac wurden gefangengenommen<br />
und nach Negoslavci abgeführt; man brachte sie um 6 Uhr früh zurück. Ins<br />
Krankenhaus wuruen mindestens 3 Verwundete eingeliefert.<br />
In einem Dokument vom 19. November wurde erwähnt, daß an diesem Tag in den<br />
frühen Morgenstunden in Zagreb ein Zusammentreffen statttfand, bei dem „Seine<br />
Exzellenz der Botschafter der Beobachtungsmission der Europäischen Gemeinschaft<br />
Chenu, Dr. Andrija Hebrang, Minister für Gesundheitswesen und General Rašeta<br />
als Stellvertreter des Befehlshabers des 5. Militärdistrikts“ anwesend waren. Aus<br />
diesem Dokument geht hervor, daß eigentlich zwei Treffen stattfanden (der erste<br />
am 18. und der zweite am 19. November). Aber Dr. Andrija Hebrang behauptet,<br />
daß nur das erste Zusammentreffen abgehalten und der zweite absichtlich falsch<br />
angegeben würde, damit man jede Verantwortung für die am 18. November, den 1.<br />
Tag der Okkupation, begangenen Verbrechen vermeiden konnte. Ansonsten wurde<br />
darin auch die „Errichtung einer neutralen Zone auf dem Gebiet um das Vukovarer<br />
Krankenhaus unter dem Schutz des Internationalen Komitees des Roten Kreeuzes<br />
(IKRK), in Übereinstimmung mit dem Artikel 15 der Vierten Genfer Konvention“<br />
vereinbart. Der Zugang zu dieser neutralen Zone sollte auf „kranke und verwundete<br />
Zivilisten, die nicht in die kriegerischen Auseinandersetzungen verwickelt waren,<br />
sowie auf das medizinische und administrative Personal des Krankenhauses und<br />
Delegate des IKRK“ beschränkt werden. Den „Zutritt anderer Personen sollte<br />
das IKRK bewilligen“. Die Regierung der RH und die JNA verpflichteten sich „zu<br />
einer weitreichenden Zusammenarbeit mit dem IKRK, um die Durchführung des<br />
Abkommens zu sichern, das am 19. November um 20 Uhr örtlicher Zeit in Kraft<br />
treten und solange gelten sollte, bis es eine Seite in schriftlicher Form wenigstens<br />
12 Stunden im voraus nicht kündigt“. Im Punkt 10 der Abmachung stand es, daß<br />
man beschlossen hatte, „die mündlich abgeschlossene Vereinbarung, die gestern am<br />
19. November 1991 zustandegebracht wurde, anstatt einer Unterschrift für gültig zu<br />
erklären“. Das erwähnte Abkommen führte die JNA nie aus.<br />
Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes veröffentlichte am demselben Tag<br />
eine „Pressemitteilung über die Evakuierung des Vukovarer Krankenhauses“, in<br />
der erklärt wurde, daß „eine Abmachung über die Evakuierung am 20. November<br />
errreicht worden war, daß beide Seiten die Sicherheit des Konvois gewährleisten,<br />
daß die Evakuierung um 8 Uhr beginnt, daß die JNA alle evakuierten Personen den<br />
kroatischen Behörden um 11 Uhr bei Zidine übergeben wird, daß der Konvoi die<br />
Strecke Vukovar – Priljevo – Lužac – Bogdanovci – Marinci – Zidine nimmt, und<br />
132
daß der ganze Vorgang in Einklang mit Völkerrecht durchgeführt wird, einschließlich<br />
der Bestimmungen der Genfer Konvention über das Recht der Kriegsgefangenen in<br />
einem Krankenhaus unter der Bewachung des Roten Kreuzes eine andere Lokalität zur<br />
Erholung zu wählen, sowie daß das Vukovarer Krankenhaus zu einer neutralen Zone<br />
proklamiert und daß die Evakuierung von der Erfüllung der Sicherheitsvorrichtungen<br />
abhängen wird”.<br />
Der Bundessekretär für Volksverteidigung und Generalstabschef des Oberbefehls<br />
General Veljko Kadijević lobte den Einsatz der JNA-Befehlshaber und ihrer Truppen<br />
in Slawonien: den Kommandanten des 1. Militärdistrikts General-Oberstleutnant<br />
Života Panić, Kommandanten der Operationsgruppe Nord Generalmajor Andrija<br />
Biorčević, Kommandanten der Operationsgruppe Süd Obersten Mile Mrkšić,<br />
Befehlshaber des “1. Luftfahrtskorps” Obersten Branislav Petrović und Befehlshaber<br />
der Luftabwehr Obersten Branislav Petrović. Einige von ihnen erreichten gleich oder<br />
sehr bald darauf einen höheren Rang, bzw. eine Beförderung: Života Panić wurde<br />
Generaloberst, Mile Mrkšić Generalmajor, Veselin Šljivančanin und Borivoje Tešić<br />
Oberstleutnant und Miroslav Radić Hauptmann.<br />
Die Soldaten der JNA bewachten während der Nacht das Krankenhaus. Kein<br />
Mitarbeiter des Personal durfte das Krankenhaus verlassen. Einige versammelten<br />
Vukovar, 1991/1992, Folgen der serbischen Aggression<br />
133
sich in der Küche und sangen ein Volkslied über Vukovar – Moj lijepi Vukovar (Mein<br />
schönes Vukovar).<br />
Im Krankenhaus waren etwa 700 Mitarbeiter und Patienten untergebracht: davon 420<br />
Kranke und Verwundete (mehr als 200 Schwerverletzte) sowie 45 Familienmitglieder<br />
des medizinischen Personals und etwa 3000 Zivilisten, die aus den Kellern und<br />
Ünterkünften in der näheren Umgebung eingetroffen waren.<br />
20. November (Mittwoch):<br />
Ganz anders als es nach dem “Protokoll des Abkommens über die Neutralität und<br />
Evakuierung des Vukovarer Krankenhauses” vorgesehen wurde, marschierten die<br />
Soldaten der JNA unter dem Kommando des Majors Veselin Šljivančanin ein.<br />
„Ihr seid die Zeugen, daß die Internationale Kommission bei der Erledigung ihrer Aufgabe<br />
immer wieder verhindert wird. Sie kann nicht für die sich hier ereigneten Vorfälle zur<br />
Verantwortung gezogen werden. Mir wurde der Zutritt zum Krankenhaus verweigert.“<br />
(Aussage von Nicolas Borsinger, Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes).<br />
Um 7,30 Uhr teilte der Offizier der JNA Major V. Šljivančanin dem in der Vorhalle<br />
beim Krankenhausausgang versammelten medizinischen Personal mit, daß von nun<br />
an die militärischen Gesetze gelten würden, sowie daß Dr. V. Bosanac ihres Amtes<br />
enthoben sei. Seine Rede dauerte länger als eine Stunde. Das Personal und die<br />
Patienten sollten sich entscheiden ob sie im Krankenhaus unter der Aufsicht der JNA<br />
bleiben oder nach Zagreb, Novi Sad oder ins Aufnahmezentrum nach Šid fahren.<br />
Währenddessen beschlagnahmte die JNA alle Krankenakten, und ihre Soldaten<br />
führten durch einen Nebenausgang etwa 400 Männer ab: Verwundete, Mitarbeiter<br />
des Personals und ihre Familienmitglieder sowie andere Zivilisten; viele von ihnen<br />
kehrten nie wieder zurück; mindestens 267 Personen wurden hingerichtet, die größte<br />
Anzahl in Ovčara, wo 200 Personen erschossen wurden, darunter 20 Mitarbeiter des<br />
medizinischen Personals.<br />
Am Vormittag wurden alle Schwerverwundeten und Schwerkranken zu den<br />
Sanitätswagen und alle Leichtverwundeten und –kranken sowie das Personal und<br />
Zivilisten zu den Bussen gebracht. Die bettlägerigen Patienten erhielten die Plastiktüten<br />
mit ihrer Dokumentation und andere trugen ihre Dokumente bei sich. Der Konvoi<br />
fuhr um 16 Uhr weg bis zur Kaserne der JNA. Nach einem langen Warten konnte er<br />
dann seine Fahrt nach Negoslavci statt wie vereinbart nach Nuštar fortsetzen. An der<br />
Spitze des Hilfskonvois fuhr ein Wagen der JNA vor, dem ein Wagen mit den Vertretern<br />
des Internationalen Roten Kreuzes und ein Panzertransporter der JNA, Sanitätsund<br />
Rettungswagen und am Ende der Kolonne die Busse folgten. In Negoslavci,<br />
wo der Hilfskonvoi aufgehalten wurde, bedrohten die heimische Bevölkerung und<br />
die Tschetniks die Verwundeten und das Personal. Nach großen Problemen und<br />
Mißhandlungen erreichte der Konvoi um 21 Uhr die Kaserne der JNA in Sremska<br />
Mitrovica. Etwa 120 Schwerverwundete übernachteten im Krankentrakt der Kaserne<br />
134
und das Personal in Bussen im Kasernenhof. Während der Fahrt starb G. S. (32 Jahre<br />
alt), die im fünften Monat schwanger war. Im Krankentrakt der Kaserne am nächsten<br />
Morgen starb K. O. (85 Jahre alt).<br />
Im Vukovarer Krankenhaus blieben 54 Verwundete, die auf das freie Gebiet<br />
Kroatiens transportiert werden wollten, darunter Priester Smiljan Berišić,<br />
Oberkrankenschwestern und Ordensschwestern Ana Zdravčević und Jela<br />
Tomašević sowie Krankenschwestern aus Zagreb, die als Aushilfe nach Vukovar<br />
gekommen waren,Vesna Belinić (ärztliches Instrumentarium) und Zorica Ganić<br />
(Anänsthetikerin). Einige Verwundete und die Mitarbeiter des Personal äußerten<br />
den Wunsch zu bleiben. Darunter waren es manche, die demnächst ihre bisherigen<br />
Kollegen als Ustascha bezeichneten und bald darauf in Uniformen der JNA zu sehen<br />
waren.<br />
Am 20. November wurden aus dem Krankenhaus der Medizintechniker Ante Arić<br />
(bis 12. Dezember in serbischen Internierungslagern gefangengehalten) und der<br />
Mitarbeiter der Logistik Zvonko Vulić (gilt als vermißt) fortgeschleppt. Die JNA hat<br />
in Sremska Mitrovica Dr. Vesna Bosanac, Dr. Juraj Njavro und Dr. Sadika Biluš, und<br />
in Lagern Stajičevo und Niš Dr. Ivan Dasović, Dr. Tomislav Đuranc, Dr. Vladimir<br />
Emedij, Dr. Hischam Mallu, Dr. Vladislav Nadaš, Dr. Dražen Karnaš und Dr. Robert<br />
Mataušek (sein Bruder Dr. Rene Mataušek wurde am 19. November abgeführt und<br />
ermordet) gefangengenommen. Diese Menschen verbrachten einige Wochen in<br />
Gefängnissen.<br />
So ein Entsetzen! Hunderte von Männern, Frauen, Kindern, Kranken, Verwundeten und<br />
Mitarbeitern verlassen das Krankenhaus. Man riecht den Geruch des Todes, eigentlich<br />
der Verwesung. Man riecht den Gasbrand und vernachlässigte Wunden. Gegenüber des<br />
Krankenhauses die Leichen deren, die im Krankenhaus an ihren Verletzungen starben.<br />
In der Nacht wurden sie herausgeholt und liegengelassen. Die Journalisten bestürmen<br />
etwa zehn Ordensschwestern, die erst geborene Babys auf ihren Armen tragen. Ruhig<br />
und lächelnd verweigern sie jede Aussage. Major Šljivančanin benutzt wieder jede<br />
Gelegenheit und spielt einen großen Krieger vor. Vorgestern führte er uns in den<br />
Stadtteil, wo hunderte von seinen Einwohnern zum ersten Mal nach drei Monaten ihre<br />
Keller verlassen haben. In Angesicht der ausländischen Journalisten forderte er durch<br />
eine handbetriebene Radiostation den Kommandanten von Vukovar Mile Dedaković<br />
Jastreb zu einem heroischen Zweikampf heraus. Zuerst sollten sie beide einen Kaffee<br />
trinken, erklärt Šljivo, und dann ihre Waffen ergreifen. Dieses Mal hält er seine Rede vor<br />
dem Krankenhaus und vor Journalisten: „Herrschaften, wir bemühen uns unserem Volk<br />
zu helfen und das Töten zu verhindern.“ Aber den Ärzten des Internationalen Roten<br />
Kreuzes wird der Zutritt ins Krankenhaus verweigert, obwohl sie alle notwendigen<br />
Befugnisse nachweisen können. „Im Krankenhaus befinden sich noch etwa hundert<br />
Leute, die bewaffnet sind“, erklärt Šljivančanin die Situtation. Er wollte verhindern,<br />
daß sie sich dieser Gefahr aussetzen. Obwohl sie darauf bestanden, der Major erlaubte<br />
135
es nicht. „Das hier ist eine Zone der kriegerischen Auseinandersetzungen und jeder der<br />
sich an die Regeln nicht hält, kann seinen Kopf verlieren. Wir wollen allen helfen“, schreit<br />
Šljivančanin, aber niemand hört zu. (Authentische Aufzeichnungen des serbischen<br />
Journalisten Jovan Dulović, aufgeschrieben am 20. November 1991 um 11.30 Uhr;<br />
veröffentlicht unter dem Titel “Krvava priča” in: Vreme, am 20. November 1995, S.<br />
19.)<br />
Goran Hadžić, Präsident der Regierung der Serbischen Autonomen Region Slawonien,<br />
der Baranja und Westsyrmien, behauptete, daß Vukovar nach dreimonatigen Kämpfen<br />
gestern endlich befreit wurde. Die Säuberung des Terrains ist im Laufe, und danach<br />
steht uns, sagt Hadžić, eine große Arbeit vor, nämlich der Aufbau einer neuen Stadt.<br />
Ihr habt auch selbst gesehen, fügt Hadžić zu, daß in der Stadt kein Gebäude unversehrt<br />
blieb. Das Leben ist hier im Augenblick unmöglich. Aber es ist wichtiger, daß die Stadt<br />
jetzt in unseren Händen ist, und jetzt werden wir gemeinsam eine neue schöne Stadt<br />
erbauen. Unsere erste Aufgabe ist die Schaffung von normalen Lebensbedingungen, was<br />
keine schnelle Sache ist. Alle Einwohner, die vom heimischen Herd vertrieben wurden,<br />
könnten jetzt allmählich zurückkheren – sagt Hadžić.<br />
Rade Leskovac, Stellvertreter des Ministers für Information der Serbischen Autonomen<br />
Region Slawonien, der Baranja und Westsyrmien, behauptete, daß Vukovar jetzt aus<br />
der Asche aufstehen werde. – Für Kroaten ist Vukovar gefallen, und für uns wurde<br />
es befreit. Die Kämpfe dauerten mehr als drei Monate. Mehr als 1000 Ustascha sind<br />
gefallen. Ich muß sagen, daß Vukovar eine geopferte Stadt ist, sie liegt ganz in Trümmern.<br />
Nach meiner Einschätzung dauerten die Kämpfe so lange, weil man den kroatischen<br />
Streitkräften genug Raum ließ, Verstärkungen nach Vukovar zu holen. Dieser Krieg<br />
wurde aber nicht in Kroatien geführt, sondern auf Gebieten, die seit Jahrhunderten<br />
serbisch sind. Nach dem Fall Vukovars werden wir jezt schneller vorrücken. Die großen<br />
Kombinate “Borovo” in Borovo und “Vuteks” in Vukovar befinden sich schon in unseren<br />
Händen, bald aber auch “Saponija” in Osijek. Osijek ist auch serbisch. Das lehrt uns die<br />
Geschichte. Wir werden keine Mühe scheuen um die Produktion wieder aufzunehmen<br />
und voranzutreiben. Wir werden auch der Volksversammlung Serbiens vorschlagen, ein<br />
Gesetz über die Hilfe für diese serbischen Gebiete in der Form eines Prozentsatzes zu<br />
entwerfen. Die Behauptungen der gegnerischen Seite, dies sei eine Besetzung, ist nicht<br />
annehmbar – erklärte gestern Leskovac. – Dieses Territorium wurde von Ustascha<br />
befreit, weil dieses Territorium ein serbisches Territorium ist. Die Serben leben hier seit<br />
Jahrhunderten und wir laden alle Serben ein, deren Häuser abgebrannt und zerstört<br />
wurden, auf dieses freies Gebiet zurückzukheren. Nur in der Baranja gibt es 17 Dörfer,<br />
die wieder besiedelt werden sollten.” (Dnevnik, Mittwoch, 20. November 1991, S. 4;<br />
Auszug aus dem Interview von Goran Hadžić, dem Angeklagten für Kriegsverbrechen<br />
vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in den Haag,<br />
und von Rade Leskovac, heute Präsidenten der Partei der Donau-Serben in der<br />
RH.)<br />
136
21. November (Donnerstag):<br />
Der Hilfskonvoi war von Mitrovica nach Dorf Dvorovi, 6 km nördlich von Bijeljina<br />
in Bosnien und Herzegowina, geschickt worden, wo die Verwundeten um 13,30<br />
Uhr in die Wagen, die der Generalstab für Sanitätsdienst des Ministeriums für<br />
Gesundheitswesen sicherte, verlegt wurden. Die Mitglieder des Innenministeriums<br />
des Sozialistischen Republik Bosnien und Herzegowina, Reservisten und Soldaten<br />
der JNA (unter ihnen auch ein Offizier mit einem Ärzteabzeichen) sowie heimische<br />
Serben (insgesamt etwa 200 Personen) überfielen den Konvoi. Dabei wurden<br />
Skizze der Aufnahmestation von Verwundeten und Flüchtlingen aus Vukovar (das Photo ist eine<br />
Schenkung von Prim. Dr. Ivo Kujundžić, Mag.)<br />
137
6 Personen zusammengeschlagen und 6 Fahrzeuge und ein Ambulanzwagen<br />
beschädigt. Erst danach fuhren die Wagen mit Verwundeten doch weiter und über<br />
eine Sava-Brücke erreichten sie endlich Kroatien. Die Verwundeten, die über die<br />
Nacht im Vukovarer Kranknehaus geblieben waren, wurden in Brčko um 19,30<br />
Uhr übergeben. In der Zwischenzeit starben zwei Menschen, so daß an diesem Tag<br />
insgesamt 174 Verwundete vom Krankenhaus in Begleitung von medizinischen<br />
Personal nach Kroatien transportiert wurden.<br />
In einem Kampfbericht der Operationsgruppe Süd wird angegeben, daß der<br />
“Transport mit Zivilisten am 20/21. November 1991 nach Šid und Sremska Mitrovica<br />
geschickt wurde”, und dann laut Vereinbarung “weiter nach Bosanska Rača”.<br />
In einem Bericht des 1. Militärdistrikts wird auch angeführt, daß die<br />
“Beobachtungsmission der Europäischen Gemeinschaft für das Gebiet Slawoniens,<br />
der Baranja und Westsyrmiens alle Aktivitäten in Verbindung mit der Evakuierung<br />
der Verwundeten und Flüchtlinge aus Vukovar sowie ihrer Übergabe an kroatische<br />
Seite überwachte” sowie die “Aktivitäten der Garnisonsambulanz Sremska Mitrovica,<br />
in welcher die Verwundeten aus dem Krankenhaus untegebracht wurden“. Auch eine<br />
Sporthalle in Sremska Mitrovica mit Flüchtlingen aus Vukovar und das Vukovarer<br />
Krankenhaus wurden ständig überwacht.”<br />
Etwas voll Heftiges passierte letzte Nacht. Fast alle sprechen über die Massenerschießungen<br />
der gefangenen Kroaten und Verwundeten aus dem Vukovarer Krankenhaus. „In<br />
dieser Nacht haben wir sie seit 7 Uhr abends bis 1 Uhr morgens in Ovčara und Petrova<br />
Gora hingerichtet“, erzählt ein stämmiger Bärtiger aus Smederevo während er seienen<br />
Morgenkaffee genießt und eine lange Zigarrenspitze raucht. „Und das genau heute<br />
zum Ruhm vom heiligen Erzengel. Du solltest hören wie sie gejammert, gewinselt und<br />
geweint haben, sie hätten auf niemanden geschossen und niemanden getötet.“ Viel<br />
mehr gesprächiger war eine Dragica-Daca aus Novi Sad. Aber sie vertraute mir, sie<br />
sei darüber sehr besorgt, daß man mit diesen Erschießungen so prahlt. Die Leichen<br />
der ermordeten Menschen sollte ein Bulldozer vergraben haben. Die Opfer wurden<br />
geraubt: ihre Ringe, Trauringe, Halsketten, Handuhren. Alle behaupten, daß auch<br />
Šljivančanin einige Gefangenen ermordet haben sollte, um zu überprüfen wie sein neues<br />
gekürztes automatisches Gewehr AK-74 funktioniert. Hauptmann Radić und andere<br />
Kommandanten waren sich darüber einig, daß ein großer Fehler begangen wurde, und<br />
daß diese Erschießungen diskreter sein sollten. „Ich hatte keine eigenen Männer zur<br />
Verfügung und so mußte ich diese betrunkenen Freiwilligen engagieren. Jetzt werden<br />
alle aufgrund ihrer Schwatzhaftigkeit erfahren, was wir gemacht haben, und weißt du,<br />
das wird nicht gut enden“, erklärt einer der Kommandanten der Territorialverteidigung.<br />
Es ist sehr interessant, daß niemand vor einer Gerichtsverhandlung Angst hat, sonder<br />
nur vor einer eventuellen Vergeltung der Kroaten. Viele sagten eigentlich, sie seien nicht<br />
sicher, daß die Kroaten nie zurückkehren würden. (Authentische Aufzeichnungen des<br />
serbischen Journalisten Jovan Dulović, aufgeschrieben am 21. November 1991 um 8<br />
138
Uhr; veröffentlicht unter dem Titel “Krvava priča” in: Vreme, am 20. November 1995,<br />
S. 19.)<br />
22. November (Freitag):<br />
Nach einem Kampfbericht der Operationsgruppe Süd und des 1. Militärdistrikts<br />
wurde der „Transport der Zivilisten und Verwundeten aus Vukovar und Borovo“<br />
auch am 22. November 1991 fortgesetzt und „volkommen realisert“.<br />
139
Getötete und Vermißte Mitarbeiter des<br />
Kriegskrankenhauses Vukovar<br />
Während der Angriffe und nach der Eroberung der Stadt wurden 32 Personal-<br />
Mitglieder des Krankenhauses ermordet, davon 20 in Ovčara. Vier Mitarbeiter<br />
wurden nach ihrer Gefangnahme vermißt.<br />
Verzeichnis der in Ovčara ermordeten Mitarbeiter des Krankenhauses:<br />
Jozo Adžaga (1949) – Logistik (Koch)<br />
Ilija Asadžanin (1952) – Rettungsdienst (Fahrer)<br />
Ivan Bainrauch (1956) – Logistik (Leiter des technischen Dienstes)<br />
Tomislav Bosanac (1941) – Logistik (Wasserdestillation)<br />
Ivan Buovac (1966) – Rettungsdienst (Fahrer)<br />
Dragan Gavrić (1956) – Logistik (Wagenwartung)<br />
Zlatko Jarabek (1956) – Logistik (Wagenwartung)<br />
Đuro Knežić (1937) – Logistik (technischer Dienst, Barbier im Krankenhaus)<br />
Zlatko Krajinović (1969) – Rettungsdienst (Fahrer)<br />
Tomislav Mihović (1952) – Röntgenabteilung (Photolaborant)<br />
Tomislav Papp (1963) – Logistik (Versorgung, Energenten und Lageräume)<br />
Tomo Pravdić (1934) – Logistik (technischer Dienst)<br />
Stjepan Šarik (1955) – Logistik (Kesselraum und Aggregate)<br />
Đuro Šrenk (1943) – Logistik (technischer Dienst, Rohrleger)<br />
Zvonko Varenica (1957) – Logistik (technischer Dienst, Schlosser)<br />
Goran Vidoš (1960) – Logistik (Elektriker)<br />
Mate Vlaho (1959) – Rettungsdienst (Fahrer)<br />
Miroslav Vlaho (1967) – Rettungsdienst (Fahrer)<br />
Josip Zeljko (1953) – Sicherheitsdienst<br />
Mihajlo Zera (1955) – Rettungsdienst (Fahrer)<br />
Während der Angriffe und nach der Eroberung der Stadt ermordete Mitarbeiter<br />
des Krankenhauses:<br />
Vlasta Aleksandar (1965)– Abteilung für phisikalische Medizin (Physiotherapeutin)<br />
Dušica Jeremić (1954) – Rechnungswesen (Bürokauffrau)<br />
140
Ljubica Kojić (1954) – Schutzkeller „Borovo-Commerce“ (Putzfrau)<br />
Nevenka Matić (1948) – Bürokraft (Angestellte)<br />
Zdenka Miličević (1961) – Chirurgie (Krankenschwester)<br />
Ljubica Obradović (1952) – Röntgenabteilung (Administrator)<br />
Ivan Raguž (1938) – Logistik (Arbeiter im Kesselraum)<br />
Rudolf Terek (1943) – Stomatologe im höheren Dienst<br />
Marica Stanek (1952) – Ambulanz für Schulkinder (Krankenschwester)<br />
Blanka Stefanjuk (1961) – Chirurgie (Krankenschwester)<br />
Goran Krznarić (1965) – Logistik (Pforte)<br />
Karlo Crk (1942) – Logistik (Fleischerei)<br />
Die Mitarbeiter des Krankenhauses, die nach der Gefangennahme als vermißt<br />
gelten:<br />
Ivan Baranjek (1939) – postoperative Pflege, Krankentrakt „Borovo-Commerce“<br />
(Krankenpfleger); am 19. XI. 1991 aus dem Krankenhaus abgeführt<br />
Marko Mandić (1953) – Chirurgie (Medizintechniker, Notaufnahme); am 19. XI.<br />
1991 aus dem Krankenhaus abgeführt<br />
Ivan Božak (1958) – Pforte; am 20. XI. 1991 aus dem Krankenhaus abgeführt<br />
Zvonko Vulić (1971) – Logistik (Versorgung, Energenten und Lager); am 20. XI. 1991<br />
aus dem Krankenhaus abgeführt<br />
141
Ivan Grujić, Višnja Bilić<br />
Ministerium für Familie, Verteidiger und Generationssolidarität<br />
Behörde für Gefangene und Vermißte<br />
Die Opfer aus dem Vukovarer Krankenhaus<br />
Die Opfer wurden in 14 bis jetzt exhumierten Massen- und 150 Einzelngräbern<br />
im Kroatischen Donau-Gebiet entdeckt. Die Mehrheit der Gräber entstand nach<br />
der Okkupation von Vukovar, bzw. während der Besatzungszeit gleichzeitig als<br />
auch Richtstätte in Ovčara errichtet wurde, was bestätigt die Behauptungen, daß es<br />
sich dabei um einen systematischen Angriff auf die kroatische und nicht-serbische<br />
Bevölkerung von Vukovar und des Donau-Gebiets der RH in Gesamtheit handelte.<br />
Da noch immer 335 Personen als vermißt/gewaltsam abgeführt gelten, sollte die Zahl<br />
der Massengräber noch größer sein.<br />
Bild 1 – Lokalitäten der Massengräber, in welchen die Verwundeten aus Vukovar<br />
gefunden wurden.<br />
Unter Opfern, besonders nach ihrer Verletzlichkeit und speziellem Status nach dem<br />
Humanitären Völkerrecht, nehmen das Personal und die Zivilisten einen besonderen<br />
Platz ein. Die Angaben über eine glaubwürdige Anzahl der aus dem Krankenhaus<br />
zwangsweise abgeführten Personen unterscheidet sich je nach der Quelle, aber<br />
142
am häufigsten wird von etwa 400 Personen gesprochen. Um ein verläßliches<br />
und unbestreitbares Verzeichnis anzufertigen, das auch dem Internationalen<br />
Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien vorgelegt werden kann, hat die<br />
Behörde für Gefangene und Vermißte im Jahr 1994 aufgrund aller verfügbaren<br />
Quellen eine Analyse aller Angaben durchgeführt. Indem alle Daten miteinander<br />
verglichen wurden, konnte festegestellt werden, daß mindestens 226 Personen im<br />
November 1991 fortgeschleppt wurden. Die Verläßlichkeit des Verzeichnisses<br />
bestätigt auch die Identifikation der sterblichen Überreste der exhumierten Opfer<br />
(Ovčara, „Velepromet“, Novo groblje). Nach dem Evidenzstand vom 4. Dezember<br />
2008 konnte folgendes festgestellt werden:<br />
- 211 Personen wurden in Massen- und Einzelgräben im Kroatischen Donau-<br />
Gebiet und in der Republik Serbien entdeckt;<br />
- 55 Personen werden vermißt (Verzeichnis Nr. 4)<br />
Aufgrund einer weiteren Analyse wurde nach den Lokalitäten der Gräber folgendes<br />
festgestellt:<br />
- Massengrab Ovčara (im Jahr 1996 wurden 200 Opfer exhumiert) 193<br />
Verzeichnis Nr. 1<br />
- Novo groblje in Vukovar 13<br />
Verzeichnis Nr. 2<br />
- Einzelgrab bei Velepromet 2<br />
Verzeichnis Nr. 2<br />
- Massengrab bei Landwirtschaftsbetrieb „Lovas“ 1<br />
Verzeichnis Nr. 2<br />
- Serbien (Beograd und Sremska Mitrovica) 2<br />
Verzeichnis Nr. 3<br />
insgesamt 211<br />
Die Ergebnisse der durchgeführten Analyse sind die Bestandteile der Anklageschrift<br />
in Gerichtsverfahren gegen Slobodan Milošević, V. Šljivančanin, M. Mrkšić und M.<br />
Radić. Als Zeuge sagte Oberst Ivan Grujić aus. Im Gerichtsverfahren gegen V. Šešelj<br />
sagte auch Višnja Bilić aus. Diese Angaben sind auch die Bestandteile der Anklage<br />
der RH gegen der Sozialistischen Republik Jugoslawien für Völkermord vor dem<br />
Internationalen Gerichtshof.<br />
143
VERZEICHNIS DER IDENTIFIZIERTEN PERSONEN, DEREN STERBLICHE<br />
ÜBERRESTE AUS DEM MASSENGRAB IN OVČARA EXHUMIERT WURDEN (193)<br />
Ordinalzahl/Nachname Vorname Name des Vaters Geburtsdatum<br />
144
145
146
147
*Die sterblichen Überreste, die aufgrund der DNA-Analyse identifiziert wurden; die Familie akzeptierte die Identifikation nicht.<br />
148
VERZEICHNIS DER PERSONEN, DEREN STERBLICHE ÜBERRESTE AUS<br />
ANDEREN GRÄBERN UM VUKOVAR EXHUMIERT WURDEN (16)<br />
Ordinalzahl/Nachname Vorname Name des Vaters Geburtsdatum Lokalität der Massen-/Einzelgräber<br />
VERZEICHNIS DER PERSONEN, DEREN STERBLICHE ÜBERRESTE AUS<br />
DER REPUBLIK SERBIEN ÜBERNOMMEN WURDEN (2)<br />
Ord./Nachname Vorname Name des Vaters Geburtsdatum<br />
149
VERZEICHNIS DER PERSONEN, DEREN SCHICKSAL UNBEKANNT IST (55)<br />
Ordinalzahl/Nachname Vorname Name des Vaters Geburtsdatum<br />
150
151
Literaturnachweis<br />
Apeli Dr. Vesne Bosanac (Gestaltung und Redaktion Mladen Pavković), Koprivnica-Vukovar, 2002.<br />
Barić Nikica, Srpska pobuna u Hrvatskoj 1990-1995., Golden marketing-Tehnička knjiga, Zagreb, 2005.<br />
Bijela knjiga Vlade RH o suradnji s međunarodnim sudom za kazneno gonjenje osoba odgovornih<br />
za teška kršenja međunarodnog humanitarnog prava na području bivše Jugoslavije, od godine 1991.,<br />
Zagreb, 1999.<br />
(Das weiße Buch der RH über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das<br />
ehemalige Jugoslawien im Bereich der schweren Menschenrechtsverletzungen im Jahr 1991, Zagreb<br />
1999)<br />
Borković Branko, “Borbe u Vukovaru 1991. godine”, Vukovar – vjekovni <strong>hrvatski</strong> grad na Dunavu,<br />
Redaktion Igor Karaman, Koprivnica-Zagreb, 1994.<br />
Borković Branko, Beitrag zum Runden Tisch Mediji i branitelji – međusobni odnos i dijalog, der am<br />
27. September 2007 in Zagreb von dem Verein der Zagreber Verteidiger von Vukovar im Rahmen der<br />
Tribüne der Stadt Zagreb organisiert wurde.<br />
Bulatović Momir, Pravila ćutanja, Beograd, 2004.<br />
Dedaković Mile, Mirković-Nađ Alenka, Runtić Davor, Bitka za Vukovar, Vinkovci, 1997.<br />
Esterajher Josip, “Izbori u Vukovaru 1990. godine”, Vukovar – vjekovni <strong>hrvatski</strong> grad na Dunavu,<br />
Redaktion Igor Karaman, Koprivnica-Zagreb, 1994.<br />
Gdje su naši najmiliji?, Zagreb, August 1996.<br />
Glavašević Siniša, Priče iz Vukovara, Matica hrvatska, Zagreb, 2001.<br />
Jović Borisav, Poslednji dani SFRJ: Izvodi iz dnevnika (zweite Ausgabe), Beograd, 1996.<br />
Kadijević Veljko, Moje viđenje raspada - vojska bez države, Beograd, 1993.<br />
Marijan Davor, Bitka za Vukovar, Hrvatski institut za povijest – Podružnica za povijest Slavonije, Srijema<br />
i Baranje, Zagreb-Slavonski Brod, 2004.<br />
Marijan Davor, Oluja, Zagreb, September 2007.<br />
Matić Fred, Ništa lažno, Zagreb, 2005. (dritte Ausgabe)<br />
MJESTO SJEĆANJA – Vukovarska bolnica 1991. - Ausstellungskatalog, Zagreb, 2006.<br />
Mirković Alenka, 91,6 MHZ glasom protiv topova, Zagreb, 1997.<br />
Nazor Ante, Počeci suvremene hrvatske države, Hrvatski <strong>memorijalno</strong>-<strong>dokumentacijski</strong> centar<br />
Domovinskog rata, Zagreb, 2007.<br />
Njavro Juraj, Glava dolje – ruke na leđa, Zagreb, 1992.<br />
Pole Stipe i drugi, „Jake snage MUP-a“ – policija u obrani Vukovara 1991., Vinkovci, 2008.<br />
Radelić Zdenko, Marijan Davor, Barić Nikica, Bing Albert i Živić Dražen, Stvaranje hrvatske države i<br />
Domovinski rat, Školska knjiga, Hrvatski institut za povijest, Zagreb, 2006.<br />
Sekulić Milisav, Knin je pao u Beogradu, NIDDA Verlag GmbH, Bad Vilbel, 2001.<br />
Specijalna policija MUP-a RH u oslobodilačkoj operaciji „Oluja“ 1995. (prilozi), Zagreb, kolovoz 2008.<br />
Sučić Stjepan, “Raščlamba borbenih djelovanja na području bivše općine Vukovar, s težištem na gradu<br />
Vukovaru – pouke i iskustva”, Diplomarbeit in ZSŠ “Blago Zadro“ Velebit, 18. November 1999.<br />
152
Šarinić Hrvoje, Svi moji tajni pregovori sa Slobodanom Miloševićem 1993-95 (98), Zagreb, 1999.<br />
Špegelj Martin, Sjećanja vojnika, Zagreb, 2001.<br />
Vukovarska bolnica 1991., Autorengruppe (Redaktion Štefan Biro), Vukovar, 2007.<br />
Zbornik dokumenata iz oblasti odbrane i bezbednosti Jugoslavije 1990-1991 godine, Vorbereitung: Prof. Dr.<br />
Slavoljub Šušić Generaloberst im Ruhestand, Zlatoje Terzić General Oberstleutnant, Dr. Nikola Petrović<br />
Oberst, Vojnoizdavački zavod, Beograd, 2002.<br />
Žunec Ozren, “Rat u Hrvatskoj”, Polemos 1, Zagreb, 1998.<br />
Žunec Ozren, Goli život – socijetalne dimenzije pobune Srba u Hrvatskoj, I-II, Zagreb, 2007.<br />
***<br />
Der größte Teil des Textes wurde aus dem Ausstellungskatalog Mjesto sjećanja – Vukovarska<br />
bolnica 1991. (Eine Gedenkstätte – Vukovarer Krankenhaus), dessen Einleitung Dr. sc.<br />
Nikica Barić rezensierte, übernommen. Den Text über den Kampf um Vukovar ergänzte<br />
mit seinen Räten und Verbesserungen der Brigadir der Kroatischen Streitkräfte Stjepan<br />
Sučić und Marija Alvir half durch Suggestionen. Im Kapitel über das Krankenhaus<br />
benutzte man die Angaben aus Vorträgen und Arbeiten von Dr. Vesna Bosanac, Dr. Juraj<br />
Njavro, Dr. Zoran Aleksijević, Dr. Boris Kratofil, Dr. Štefan Biro, sowie Oberschwestern<br />
Binazija Kolesar und Agneza Aleksijević. Alle diese Arbeiten enstanden in Verbindung<br />
mit dem am 17. Novembar 2005 organisierten Symposium in Vukovar.<br />
Das Verzeichnis der in Ovčara ermordeten Opfer gründet auf dem Verzeichnis der<br />
aus dem Massengrab in Ovčara exhumierten und identifizierten sterblichen Überreste<br />
der Behörde für Gefangene und Vermißte des Ministeriums für Familie, Verteidiger<br />
und Generationssolidarität, sowie auf den Angaben, die von Neda Balog von der<br />
Gemeinschaft der Vereine der Witwen der kroatischen Verteidiger im Heimatkrieg<br />
und Ivan Pšenica von dem Verein der Eltern und Familien der gefangengenommenen<br />
und gewaltsam abgeführten kroatischen Verteidiger „Vukovarske majke“ (Vukovarer<br />
Mütter) sowie Danijel Rehak von dem Kroatischen Verein der Insassen der serbischen<br />
Internierungslager, u.a, gesammelt wurden. Die Angaben wurden im Ausstellungskatalog<br />
Mjesto sjećanja – vukovarska bolnica 1991., im Jahr 2006 veröffentlicht.<br />
Die im Vukovarer Kriegskrankenhaus 1991 aufgenommenen Photographien erhielt<br />
das Zentrum von Dr. Boris Kratofil, die Photographien des zerstörten Krankenhauses<br />
von kroatischen Freiwilligen und Verteidigern sowie dem Kämpfer des Kroatischen<br />
Verteidigungrats Damir Radnić. Die Photographien der Trpinjska Straße stellte dem<br />
Zentrum der vor kurzer Zeit verstorbene kroatische Freiwillige und Verteidiger sowie<br />
Oberst der Kroatischen Streitkräfte Marko Babić, zur Verfügung.<br />
Ich bin allen zu Dank verpflichtet.<br />
Bildredaktion: Mag. Ana Holjevac Tuković.<br />
153
Flugblatt der Gruppe Petrov aus der Vereinigten Staaten von Amerika, Mittwoch, den 20. September<br />
1991 (Quelle: Hrvatsko ratno pismo 1991/92, Zagreb, 1992, S. 441)<br />
154
Anica Marić<br />
AUCH DAS ALTENHEIM WAR<br />
EINE SCHIEßSCHEIBE<br />
155
156
Veteranen- und Altenheim, Petra Kočića b.b.<br />
Der Bau eines neuen Heims für die Unterbringung der alten und bedürftigen<br />
Personen in Vukovar begann im Jahr 1983 und die ersten Insassen zogen<br />
1986 ein. Den Bau finanzierte der Wohnungsfonds. Das neue Altenheim<br />
hatte eine Kapazität für 100 Bewohner und es sollte auch die Teilnehmer des<br />
Volksbefreiungskriegs der Vukovarer Gemeinde versorgen. Die einzige Bedingung<br />
für den Bau war im Namen der Einrichtung die Veteranen bzw. Partisanen zu<br />
erwähnen. Im Jahr 1987 wurde noch eine Abteilung angebaut und das Altenheim<br />
verfügte dann über 120 Betten.<br />
Das alte Altenheim war eigentlich Nachfolger eines sog. Armenhauses der<br />
Grafenfamilie Eltz, das sich gegenüber dem Allgemeinkrankenhaus befand. Das<br />
alte Altenheim hatte 70 Betten und über 90 Insassen. Ich fühlte mich immer dazu<br />
verpflichtet, den Mitarbeitern dieses<br />
Altenheims Respekt und Dankbarkeit<br />
zu erweisen. Im Altenheim arbeitete<br />
ich seit 1980, als ich eine Stellung<br />
als Rechnungsführerin annahm. Die<br />
Menschen dort bewiesen mir, daß<br />
eine solche Arbeit mit vielen Opfern<br />
verbunden war. Nur so konnte man<br />
genug Kraft aufbringen, die Probleme<br />
des Alltags zu bekämpfen. Das Gebäude<br />
war alt, Installationen kaputt, man heizte<br />
mit einem Holz-und-Kohle Kachelofen,<br />
die Küche war unangemessen und das<br />
Personal bestand aus Frauen, die alle,<br />
wie das die Direktorin zu sagen pflegte,<br />
eigentlich keine Schulausbildung hatten:<br />
Frau Rozalija Herbut, Danica Klaić,<br />
Marica Prica, Zora Pavlek, Slavica Radić<br />
und Agata Zorčec. Danica Klaić und<br />
Agata Zor čec waren Köchinnen, die<br />
anderen Putz- und Waschfrauen sowie<br />
Pflegerinnen. Der Winter im Jahr 1980<br />
Altenheim in Vukovar: Folgen der serbischen<br />
Aggression<br />
157
Das Veteranen- und Altenheim Vukovar war nach meinem Wissen das einzige<br />
Altenheim in Kroatien, das im Heimatkrieg wirkte. Und obwohl ich davon überzeugt<br />
bin, daß der Beitrag der Mitarbeiter des Heims zur Verteidigung Kroatiens und<br />
Vukovars nicht klein war, bis heute bedankte sich niemand bei ihnen dafür. Als<br />
ich mit diesen Menschen sprach, wurde mir klar, daß keiner von ihnen eine<br />
Dankbarkeitserweisung erwartet oder verlangt. Und dies gab mir dann einen<br />
entscheidenden Anstoß dazu, dieses Tagebuch zu veröffentlichen. Ich kann nicht<br />
erlauben, daß sie vergessen werden. Ich bin mir sicher, daß es noch viele Geschichten<br />
aus Vukovar gibt, die nicht erzählt wurden. Im Grunde genommen, jeder Einwohner,<br />
der bis zum Fall der Stadt geblieben sind, trägt in sich eine solche Geschichte.<br />
Und ich sollte mich für die während des Kreiges geleistete Hilfe besonders bei<br />
folgenden Menschen bedanken: bei Gardisten, vor allem aber bei dem verstorbenen<br />
Damjan Samardžić (Veliki bojler [Großer Boiler]), Dragan Ćorić, Tomislav Belja,<br />
sowie Milenko Tešanović, Franjo Mandić, Josip Budimi r und natürlich bei den<br />
Mitarbeitern des Veteranen- und Altenheims, die die ganze Zeit dabei waren: Nensi<br />
Mučalov (verheiratet Polhert), Krankenschwester, Vera Tešanović, Pfelgerin und<br />
Dara Mandić, Kassiererin.<br />
Zum Schluß sollte ich noch kurz erklären, warum der Titel dieses Tagebuches<br />
“Hallo, Mama” lautet. Als der Krieg in Vukovar schon zum Alltag gehörte, aber die<br />
Telefonleitungen noch funktionierten, rief mich meine Sandra mehrmals täglich an,<br />
um zu fragen, wie es mir geht, besonders nach dem 5. September, als das Gebäude<br />
des Heims direkt getroffen war und unsere Insassen verletzt wurden. Jeder Anruf<br />
begann mit “Hallo, Mama”. Diese Worte befolgten mich noch jahrelang während der<br />
Zeit der Vertreibung, wie auch andere Mütter, deren Kinder als Flüchtlinge auf der<br />
ganzen Welt verstreut waren. Ich danke Sandra dafür, daß sie in ausschlaggebenden<br />
Momenten in Sremska Mitrovica bei uns geblieben ist, und dadurch uns ein Gefühl<br />
der Sicherheit auf unserem Umweg nach Kroatien gab.<br />
Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf grüner Aue und<br />
führt mich zum frischen Wasser. Er erquickt meine Seele; er führt mich auf rechter<br />
Straße um seines Namens willen.<br />
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei<br />
mir, dein Stecken und dein Stab trösten mich.<br />
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt<br />
mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein<br />
Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. (23 Psalm Davids)<br />
159
Kriegstagebuch, 13. Mai - 18. November 1991<br />
13. 05. 1991<br />
Der Direktor Živko Dukić benachrichtigte das Fachkollegium, daß es gesetzlich<br />
verpflichtet sei, eine Bewerbung für die Stelle des/r Direktors/in auszuschreiben, da<br />
er sich für ein neues Mandat nicht kandidieren wird, weil er beschlossen hat, in den<br />
Ruhestand zu gehen.<br />
14. 05. 1991<br />
Bewerbungsausschreiben für die Stelle des/r Direktors/in.<br />
20. 05. 1991<br />
Da ich Vorsitzende der Bewerbungskommission war, teilte mir der Direktor mit, daß<br />
er sich doch wieder für die Stelle des Direktors bewerben werde, da er erfuhr, daß<br />
seine Rente sehr klein wäre.<br />
14. 06. 1991<br />
Durch die Stimmenmehrheit wählte die Arbeiterversammlung zum neuen Direktor<br />
Herrn Ivić Mandić. Der Sitzung wohnte auch Živko Dukić bei.<br />
24. 06. 1991<br />
Der Direktor Živko Dukić nahm Jahresurlaub.<br />
22. 07. 1991<br />
Živko Dukić kam vom Urlaub zurück. Er nahm 10 Tage mehr als vereinbart.<br />
160
26. 07. 1991<br />
Die Arbeiterversammlung entschied aufgrund der schriftlichen Forderung von Živko<br />
Dukić, sein Arbeitsverhältnis wegen seiner Versetzung in den Ruhestand zu beenden.<br />
Ivić Mandić informierte uns, daß er die Stelle des Direktors nicht annehmen könnte,<br />
da er eine andere im Kombinat „Borovo“ übernehmen werde.<br />
30. 07. 1991<br />
Ich wurde vom Stellvertreter des Beauftragten der Regierung der RH für die Stadt<br />
Vukovar Herrn Stipe Ivanda in das Gebäude der Gemeindeversammlung eingeladen.<br />
Er teilte mir mit, daß ich dazu verpflichtet bin, die Führung des Altenheims zu<br />
übernehmen, da in Vukovar der Kriegszustand ausgerufen wurde, und ich sollte damit<br />
noch heute die Arbeiterversammlung bekannt machen. Ich sollte sie darauf hinweisen,<br />
einen Beschluß in Übereinstimmung mit dem Statut der Arbeitsorganisation über<br />
meine Ernennung zur Stellvertreterin der Direktorin zu fassen. Eine solche Institution<br />
mußte unter Kriegsbedingungen eine Direktorin haben. Da der ehemalige Direktor<br />
in den Ruhestand ging und der neugewählte sich für eine andere Stelle entschied,<br />
dachte man, es wäre besser eine Stellvertreterin zu ernennen. Ich machte Herrn Ivanda<br />
darauf aufmerksam, daß ich Rechnungsführerin bin und nach dem Sozialgesetz<br />
keine entsprechende Ausbildung für diese Arbeitsstelle besitze. Er erklärte mir, die<br />
Gemeinde Vukovar würde sich im Krieg befinden und alles werde der gegenwärtigen<br />
Lage untergeordnet. Die Entscheidungen über die Ernennungen treffe der Beauftragte<br />
der Regierung der RH für Stadt und Gemeinde Vukovar Herr Marin Vidić Bili. Er<br />
gab mir einen schriftlichen Beschied des Krisenstabs.<br />
Gleich nach dem Gespräch mit Herrn Ivanda versuchte ich den Kontakt mit der<br />
Mitarbeiterin des Beauftragten der Gemeinde Vukovar für Sozialarbeit Frau Bojana<br />
Peter aufzunehmen, um sie von neuen Umständen im Altenheim zu informieren,<br />
aber ich konnte sie nicht erreichen.<br />
Ich benachrichtigte das Personal über den Beschluß des Krisenstabs und legte ihm<br />
den schriftlichen Bescheid zur Einsicht vor. In Einklag mit dem Statut der Einrichtung<br />
bestätigte die Arbeiterversammlung meine Ernennung zur Stellvertreterin. Der<br />
Bescheid des Krisenstabs für Gemeinde und Stadt Vukovar sowie die Entscheidung<br />
der Arbeiterversammlung wurden gleich dem Republikfonds für Sozialschutz der<br />
RH geschickt.<br />
161
Sicherheits- und Versorgungmaßnahmen für Schützlinge des Altenheims (gescannte Seite des Tagebuchs)<br />
162
31. 07. 1991<br />
Bezüglich des ausgerufenen Kriegszustands in Vukovar, stellte ich allen Beschäftigten<br />
die Sicherheits- und Versorgungsmaßnahmen für Schützlinge eines Altenheims zu.<br />
Dem Befehl des Krisenstabs der Gemeinde Vukovar gemäß, wurden der Nationalgarde<br />
einige Kellerräume als Lebensmittel- und Ausrüstungslager abgetreten.<br />
01. 08. 1991<br />
Damjan Samardžić, genannt „Veliki bojler“ („Großer Boiler“), brachte Lebensmittel<br />
und irgendeine Ausrüstung in die Lagerräume. Ich sah nichts und er sagte zu mir nur,<br />
daß er und seine Gardisten ab und zu kommen werden, um etwas zu bringen oder<br />
etwas zu holen. Die Schlüssel dieser Räume hatten nur sie.<br />
02. 08. 1991<br />
Ich sprach mit Pater Branimir Kosec über die Möglichkeit, eine Messe im Altenheim<br />
zu lesen. Grundsätzlich vereinbarten wir einen Termin für Sonntag den 04. 08.<br />
1991.<br />
03. 08. 1991<br />
Mir wurde gemeldet, daß die Oberschwester die Stadt verließ. Am Nachmittag des<br />
Vortags rief ihre Schwiegermutter um etwa 16 Uhr an, und sagte, daß Delfa Miljanović<br />
mit Kindern eigenwillig nach Bosnien im Jahresurlaub gefahren sei, obwohl man<br />
mündlich und schriftlich vereinbarte, alle Jahresurlaube zu verschieben. Man schickte<br />
an sie ein Telegramm (Nr. 2197), in dem man verlangte, sie sollte am Montag, den 05.<br />
08. 1991, zur Arbeit kommen. Auch Margareta Sruk rief man in Zagreb an (041/286-<br />
410). Sie teilte mir mit, sie sei krank (sie fuhr nach Zagreb wegen eine Todesfalles).<br />
Während des Frühstücks informierte ich die Insassen über die Situation in Vukovar<br />
und den Abgang einiger Mitarbeiter, und bat sie alle um Hilfe, damit die Einrichtung<br />
auch unter neuen Bedingungen funktionieren könnte. Sie erfuhren auch, daß einige<br />
Kellerräume der Nationalgarde überlassen wurden. Als Aushilfe beim Weggang<br />
in den Schutzkeller wurden die Insassen Rade Paprić, Zvonko Šibalić und Jovo<br />
Vukomanović bestimmt.<br />
Alle Mitarbeiter wurden zu einem kurzen Zusammentreffen um 13,00 Uhr wegen<br />
der Besprechung weiterer Arbeitsorganisation einberufen.<br />
Um 10 Uhr vereinbarte ich mit Pater Kosec von der römisch-katholischen Kirche,<br />
daß eine Messe im Altenheim am Sonntag den 04. 08. 1991 um 15 Uhr gehalten wird.<br />
163
Mit der Einrichtung des Raumes wurde Ljuba Antolović, eine Krankenschwester,<br />
beauftragt.<br />
04. 08. 1991<br />
Pater Branimir Kosec hielt eine Messe im Altenheim. Die Insassen waren begeistert<br />
und nach der Messe erkundeten sich beim Pater, ob die Messen von jetzt an regelmäßig<br />
gelesen würden. Er versprach, jeden Sonntag zu kommen.<br />
06. 08. 1991<br />
An Branka Miščević (Nr. 2225) wurde ein Telegramm geschickt, in dem verlangt<br />
wurde, daß sie am 09. 08. 1991 zur Arbeit erscheint.<br />
07. 08. 1991<br />
Der Ankauf von Kartoffeln nach Marktpreisen. In Lovas wurden Bohnen bestellt.<br />
Die Lebensmittelvorräte wurden überprüft und eine Liste für die Anschaffung<br />
dreimonatiger Vorräte verfaßt.<br />
08. 08. 1991<br />
Der Republikfonds für Sozialschutz forderte in einem Eilverfahren die Zustellung<br />
von ausgefüllten Gehaltsformularen. Alles war schon vorbereitet. Die Zustellung<br />
sollte bis 09. 08. 1991 geschehen.<br />
09. 08. 1991<br />
Die Gehaltsformulare wurden zugestellt. Die Kostenvoranschläge für den Kauf von<br />
Kohle und den Transport von Banovići waren eingetroffen. Man verlangte eine<br />
dringende Einzahlung. In der Organisation der Schichtarbeit wurden die Probleme<br />
immer größer. Die Arbeitsplätze waren schwer zu besetzen. Es fehlten sieben<br />
Mitarbeiter. Die Arbeiterversammlung wurde einberufen, um das Arbeitsverhältnis<br />
der Mitarbeiter, die ihre Arbeitsplätze willkürlich verlassen hatten, zu beenden.<br />
Damjan Samardžić gab mir eine Kalaschnikow mit zwei Magazinfüllungen und zwei<br />
Munitionskästen. Ich betete zu Gott, es niemals benutzen zu müssen.<br />
164
Schreiben an das Ministerium für Arbeit und Sozialschutz<br />
165
10. 08. 1991<br />
Der Lebensmittelkauf am Markt. Ich mußte am Montag das Ministerium für Arbeit<br />
und Sozialschutz wegen Mangel an Arbeitskräfte, sowie wegen der willkürlich<br />
abgegangenen Mitarbeiter kontaktieren.<br />
12. 08. 1991<br />
Die Gehaltsformulare P-1 und Tabellen 2 wurden zugestellt und Nensi Mučalov,<br />
Krankenschwester und ehemalige Vertretung, sowie Đurđa Čolak, Pflegerin,<br />
angemeldet.<br />
Das amtliche Schreiben mit der Forderung nach Reduzierung materieller Ausgaben<br />
um 20% war angekommen. Die Arbeiterversammlung wurde abgehalten und<br />
die Entscheidung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses betreffend Delfa<br />
Miljanović, Branka Miščević, Margareta Sruk, Katica Milić und Zora Magoč<br />
getroffen.<br />
13. 08. 1991<br />
Der Bericht für das Ministerium für Arbeit und Sozialschutz über die Kündigungen<br />
(Telefax in der Post Vukovar), sowie eine Ausschreibung für zwei Stellen: Pflegerin<br />
und Krankenschwester, wurden geschickt.<br />
19. 08. 1991<br />
Dem Republikfonds wurden eine Übersicht der materiellen Ausgaben und ein Bericht<br />
über die Lage im Altenheim zugestellt.<br />
24. 08. 1991<br />
Der Anfang der Angriffe auf Vukovar von Borovo Selo aus.<br />
26. 08. 1991<br />
Die Arbeiterversammlung wurde einberufen. Man sollte die Probleme in der<br />
Arbeitsorganisation besprechen, aber das Treffen wurde abgesagt, weil von allen<br />
Seiten ununterbrochen geschossen wurde. Nebenbei vereinbarte man, daß sich<br />
alle Mitarbeiter Mühe geben werden, die Schichten zu decken. Die Bewohner des<br />
Altenheims sollten den Mangel an Arbeitskräften so wenig wie möglich spüren.<br />
166
Vukovar wurde bombardiert, nachdem die Sirene dreimal ertönt war. Alle beweglichen<br />
Insassen gingen in den Schutzkeller, die bettlägerigen wurden in ihren Zimmern<br />
versorgt.<br />
27. 08. 1991<br />
Die Angriffe setzten sich fort. Das Brot wurde angeschafft. Wir versuchten während der<br />
Pausen zwischen zwei Angriffen das Essen vorzubereiten, die Bewohner umzuziehen<br />
und das Gebäude aufzuräumen.<br />
28. 08. 1991<br />
Am frühen Morgen, als ich zur Arbeit fuhr, nachdem ich in meinem Haus nach einer<br />
langen Zeit übernachtet hatte, traf ich an einer Kreuzung Milenko Tešanović mit<br />
einem Mehrfachraketenwerfer auf seiner Schulter an. Er wartete auf seine Mitkämpfer,<br />
die die Stellungen in Mitnica nahe Bugarsko groblje (Bulgarischer Friedhof) hielten,<br />
aber niemand kam. Er bat mich, ihn mitzunehmen. Obwohl ich in Eile war, weil ich<br />
noch Lebensmittel für das Altenheim abholen sollte, ließ ich ihn einsteigen. Gleich<br />
hinter der Veterinärstation, bemerkte ich Hindernisse aus Heuballen und einige<br />
Lkws. Erst als ich mir noch näherte, sah ich Minen auf der Straße. Sofort hielt ich<br />
an, aber Milenko behauptete ruhig, es gäbe genug Platz. Erst jetzt wurde mir klar,<br />
daß der Krieg wirklich begann. Ich fuhr ihn bis zu seiner Stellung weiter. Da waren<br />
schon Budimir, Dujić, Čolak und Beljo. Ich kehrte sofort um. Aber gleich nachdem<br />
ich mein Büro betreten hatte, kam eine der Pflegerinnen angerannt. Vera Tešanović,<br />
Ehefrau von Milenko, teilte mir schockiert und nach Worten ringend mit, daß die<br />
Panzer der JNA bis Bugarsko groblje (Bulgarischer Friedhof) durchgekommen<br />
waren, und daß unsere Leute, die zusammen mit Milenko entlang dieser Linie Wache<br />
hielten, jetzt im Tal in der Nähe des Weges nach Vučedol abgeschnitten seien. Ich<br />
konnte nicht glauben, denn ich kam gerade von dort. Sie sagte, man sah, daß auf sie<br />
geschossen würde, aber niemand wußte, was später mit ihnen passierte. Während<br />
der Fahrt mit Milenko habe ich nichts gesehen. Ich hörte das Getöse der Panzer, aber<br />
Milenko erzählte mir, man höre es jeden Tag. Die Panzer seien in Ovčara, wo sie<br />
jeden Tag die Motoren auf Touren laufen lassen, und so denke man, sie seien einem<br />
hinter dem Rücken. Ich wußte nicht, was ich Vera sagen sollte, ich fühlte, sie jetzt zu<br />
trösten, wäre nicht angemessen. Wir konnten nur auf neue Nachrichten warten. Das<br />
Brot bekamen wir nicht. Schon am frühen Morgen hörte man Explosionen. Unsere<br />
Schützlinge befanden sich im Keller.<br />
Nach dem Mittagessen rief mich Anđa Budimir und sagte, daß alle Verteidiger<br />
zurückgekehrt seien. Ihr Rückzug durch den Wald um Novo groblje (Neuer Friedhof)<br />
167
in Vukovar herum und bis zu den ersten Häusern in Čvorkovac dauerte ganze fünf<br />
Stunden. Sie sollten den ganzen Weg gekrochen haben. Milenko wollte auch seinen<br />
Mehrfachraketenwerfer nicht zurücklassen und so schleppten sie ihn zurück. Ich<br />
benachrichtigte gleich Vera, daß ihr Ehemann bald zu Hause sein werde. Um 17<br />
Uhr ertönten die Sirenen wieder. Die Kampfflugzeuge überfliegen nur Mitnica, wie<br />
es mir schien. Ich dachte darüber nach, was würde passieren, falls eine Bombe das<br />
Altenheim trifft. Niemand würde überleben, da uns unser Keller vor solchen Angriffen<br />
nicht schützen konnte. Meine Überlegungen unterbrach eine starke Explosion in der<br />
nächsten Nähe, welcher noch andere folgten. Alles schwankte und rüttelte. Wir alle<br />
schwiegen. Unsere Köpfe waren zwischen unseren Beinen, als ob das wirklich helfen<br />
könnte. Nachdem die Entwarnung um 19 Uhr gegeben worden war, war ich nicht<br />
imstande zu sprechen. Die JNA, welche für uns alle schon seit Generationen ein<br />
Synonym für Sicherheit war, bombardierte ihr eigenes Volk. Aber man hatte keine<br />
Zeit um nachzudenken. Wir müssten ein Abendessen zubereiten und die Insassen<br />
beruhigen. Um 19 Uhr blieben wir ohne Strom und Wasser.<br />
29. 08. 1991<br />
Wir kauften Brot früh am Morgen in NAMA (Narodni magazin/Volksmagazin).<br />
Die Speisekarte wurde verändert und den neuen Umständen angepaßt. Es wurde<br />
ein neuer Angriff von allen Seiten erwartet. Die Panzer, die entlang des Friedhofes<br />
durchdrangen, hatten Mitnica in ihrer Hand. Der Stadtteil war ihnen auf Gnade und<br />
Ungnade ergeben. Ich verließ das Gebäude des Altenheims und bemerkte im Hof<br />
fünf Bombentrichter, die gestern entstanden. Ich nahm irgendwelche Schrauben und<br />
Metallteile in den Keller mit. Ich informierte den Kroatischen Radiosender darüber,<br />
daß fünf Geschosse neben dem Altenheim einschlugen, aber kein Schützling verletzt<br />
wurde. Ich hoffte, daß die Verwandten das eventuell hören werden. Das Wasser kam<br />
um 10 Uhr, aber kein Strom.<br />
30. 08. 1991<br />
Alle Insassen wurden versorgt. Das Frühstück verlief ruhig, man konnte auch die<br />
Arzneimittel aus der Apotheke holen, sowie das Pulver für die Wasserdesinfektion<br />
(Izosan). Der Stab der Territorialverteidigung spendete uns 120 kg Brot, 60 Stück<br />
Joghurt, und 150 kg Milchpulver. Um 9,45 Uhr begann die Schießerei rund um die<br />
Kaserne. Wir erwarteten einen Panzerangriff, der um 18 anfing. Unzählige Geschosse<br />
fielen unmittelbar neben dem Gebäude. Das Gewehrfeuer hörte um 22 Uhr auf. Wir<br />
blieben im Keller bis 1,30 Uhr, und erst dann kehrten wir nach oben zurück. Das<br />
Gebäude war nicht beschädigt. Es gab keinen Strom und kein Wasser.<br />
168
31. 08. 1991<br />
Schon um 7 Uhr hörte man die Schüsse. Alle Insassen wurden versorgt. Die schwere<br />
Bewaffnung eröffnete das Feuer um 10 und dauerte bis 12 Uhr an. Das Mittagessen<br />
wurde verteilt und alle Insassen waren wohl auf. Wir konnten alle Schützlinge<br />
fertigmachen und waschen. Es gab keinen Strom, aber das Wasser kam um 12 Uhr.<br />
Das Abendessen wurde um 17 Uhr verteilt. Der Radiosender Vukovar kündigte neue<br />
Angriffe an. Die Nacht war relativ ruhig.<br />
01. 09. 1991<br />
Die ganze Arbeit erledigte man früh am Morgen. Es waren die Kampfflugzeuge im<br />
Höhenflug zu hören. Der Strom kam während der letzten Nacht. Alles wurde für den<br />
nächsten Tag vorbereitet. Die Wäsche war gewaschen und gebügelt.<br />
02. 09. 1991<br />
Alle Versorgungen erledigte man am Vormittag. Es gab genug Brot und keine<br />
Gefahrmeldung. Das Gewehrfeuer hört den ganzen Tag nicht. Es wurde ein Rückzug<br />
der JNA angekündigt, aber niemand glaubte daran.<br />
03. 09. 1991<br />
Es gab keinen Strom und kein Wasser. Der Angriff auf Mitnica dauerte von 20 bis<br />
22 Uhr. Tagsüber wurden alle Plätze im Altenheim besetzt. Die Anrufe wegen der<br />
Unterbringung der älteren Menschen wurden immer häufiger, besonders wenn es<br />
sich um die älteren Menschen ohne Familie handelte. „Vuteks“ und „Feuerwehrhaus“<br />
gingen in Flammen auf. Ohne Rücksicht auf den vereinbarten Waffenstillstand trafen<br />
Granaten und Bomben sogar das Stadtzentrum. Immer häufiger wurden die Zivilisten<br />
verletzt, da die Angriffe überraschend ausgeführt wurden. Wir hörten regelmäßig<br />
Radiosender Vukovar. Nur so konnten wir wissen, was eigentlich geschieht. Oft<br />
kamen die Gardisten in der Pause zwischen zwei Kämpfen vorbei und brachten uns<br />
Nachrichten.<br />
04. 09. 1991<br />
Kein Strom und kein Wasser da. Die Fleischvorräte schrumpften immer mehr. Die<br />
Insassen waren mit dem Essen zufrieden. Es gab keine Einwände. Tag und Nacht<br />
verliefen relativ ruhig, wenigstens bei uns. Der Strom kam während der Nacht.<br />
169
05. 09. 1991<br />
Wir konnten für den heutigen Tag alles erledigen, als ein heftiges Gewehrfeuer von<br />
Ovčara und Novo groblje (Neuer Friedhof) aus eröffnet wurde. Schnell wurden alle<br />
beweglichen Insassen in den Keller geführt. Die bettlägerigen begannen wir erst in<br />
den größten Raum im Keller, in ein Lebensmittellager, zu verlegen, als eine starke<br />
Explosion in der Abteilung „A“ erschallte. Ich verließ den Keller und rannte nach<br />
oben. Ich hörte Schreie und Hilferufe. Aus dem Wohnzimmer der Abteilung und<br />
einem Nachbarzimmer breitete sich eine Staubwolke aus. Im Wohnzimmer sah Oma<br />
Rozalija Mujić fern. Ihr Kopf war sanft gebeugt, als ob sie einschlief. Sie war tot.<br />
In das Nachbarzimmer stürzten sich Krankenschwestern Lena Vrtarić und Ljuba<br />
Antolović und ich. Im ersten Augenblick konnten wir nichts sehen. Überall war Staub,<br />
es roch nach Schießpulver und man hörte ständig diese Schreie. Drinnen waren drei<br />
Betten. Am Fenster lag Sofija Nikolić, in der Mitte Katarina Hop und neben der Tür<br />
Marija Bunjac. Ich ging instinktiv in Richtung von Ka tarina Hop, weil ich das Gefühl<br />
hatte, sie wollte mir etwas sagen. Sie rollte ihre Augen, verzog ihr Gesicht zu einer<br />
befremdenden Grimasse und streckte immer wieder ihre Zunge heraus. Ljuba und<br />
Lena wußten sofort, daß die anderen zwei Frauen auch schwer verletzt waren. Ich<br />
nahm die Decke von der Kata herunter um mir ihre Verletzungen anzusehen. Zu<br />
meinem Entsetzen hatte sie keinen Bauch und kein Eigenweide mehr, ihre Beine<br />
waren auf einer Seite des Bettes, der obere Teil des Körpers auf anderer Seite. Ich<br />
roch den schrecklichen Gestank des verbrannten Fleisches und rannte in den Flur.<br />
Ich fühlte eine starke Übelkeit und badete in Schweiß und dann hörte ich wie jemand<br />
nach Krankenbahren rief. Man brachte alle drei Frauen in den Flur. Da warteten<br />
schon Gardisten, Polizisten und Nachbarn. Ihnen folgte auch Dr. Karnaš mit einem<br />
Rettungswagen. Alle bettlägerigen Bewohner wurden in den Keller untergebracht,<br />
obwohl der Angriff noch dauerte. Die Mitarbeiter des Kommunalunternehmens<br />
„Komunalac“ holten die Toten ab. Ich benachrichtigte Marin Vidić über die Ereignisse,<br />
und bat ihn, falls das irgendwie möglich wäre, die bettlägerigen Insassen aus diesem<br />
Gebäude zu evakuieren. Die Front war nur einige hundert Meter vom Altenheim<br />
entfernt. Er versprach, alles zu unternehmen, um eine Evakuierung zu organisieren.<br />
Auch die Fernsehteams kamen.<br />
Gleich nach diesem Gespräch begannen wir mit Vorbereitungen für eine eventuelle<br />
Evakuierung. Um 19 Uhr kamen die Busse. Wieder kamen alle, die helfen konnten,<br />
vor allem Gardisten und Polizisten. Bis 21 Uhr waren alle in den Bussen. Eine kleine<br />
Anzahl von ihnen konnte sitzen, und da der Weg nach Vinkovci über die Maisfelder<br />
von Bogdanovci führte, mußte man sie während der Fahrt gut sichern, damit sie<br />
nicht verletzt werden. So haben wir einige an ihre Sitze gebunden und einige am<br />
Boden befestigt. Spät in der Nacht meldete ein Kollege aus Vinkovci, daß sie alle<br />
170
glücklich in das Altenheim angekommen waren. Ich fing an zu weinen. Gleichzeitig<br />
war ich glücklich und verzweifelt. Der Tod war jetzt da. Katarina Hop und Rozalija<br />
Mujić verloren ihr Leben. Schwer verletzt wurden Sofija Nikolić, Marija Bunjac,<br />
Gojko Drakulić und Lazar Grgić, und leichte Verletzungen erlitten Boško Čurčić,<br />
Dragica Tomšik und Ana Edelmajer. Alle Mitarbeiter hatten mit dem Tod ständig zu<br />
tun, aber diese Situation war etwas ganz anderes. Man durfte den Keller nicht mehr<br />
verlassen. Ich konnte lange in der Nacht nicht einschlafen. Das erste Mal ließ mich<br />
das Gewehrfeuer gleichgültig. Ich zuckte nicht mehr.<br />
06. 09. 1991<br />
Nach der Evakuierung der bettlägerigen Insassen, blieben im Altenheim noch 49 Benutzer,<br />
unter ihnen auch Jelena Pereterski, die im Sterben lag, sowie Jovan Vukomanović,<br />
der ablehnte, Vukovar zu verlassen. Während meine Mitarbeiter alles aufräumten,<br />
Frühstück zubereiteten und die Insassen beruhigten, legte ich die Listen der evakuierten<br />
und verbliebenen Menschen an. Nach Vinkovci meldete ich alle Telefonnummer der<br />
Familien der evakuierten Insassen. Nach dem Frühstück begannen wir das gestern<br />
durch ein Kanonengeschoß zerstörte Wohnzimmer sauber zu machen. Uns halfen auch<br />
unsere Schützlinge. Für uns war es sehr schwer, dieses Zimmer zu betreten. Es weckte<br />
in uns das Gefühl der Hilflosigkeit und zahlreiche Fragen: Was für Menschen waren<br />
das, die auf ein Altenheim schießen konnten? Wie ist es möglich das so etwas passiert,<br />
wenn das Erkennungszeichen des Roten Kreuzes, das auf der ganzen Welt respektiert<br />
wird, klar und deutlich auf dem Dach zu sehen war? Was bedeutete überhaupt diese<br />
Barbarei? Sind Menschen doch größere Bestien als Raubtiere? Schon der Blick hinauf<br />
zur Zimmerdecke, wo die sterblichen Überreste von Katarina Hop noch klebten und<br />
auch der Geruch des verbrannten menschlichen Körpers immer stärker wurde, erinnerte<br />
mich an die Tatsache, daß wir uns im Krieg befinden. Wir konnten uns verteidigen auf<br />
die einzige Art und Weise, die wir kannten: mit Herz und Glauben. Und unser Opfer<br />
war wert dessen, woran wir glaubten. Wir waren davon überzeugt, niemandem etwas<br />
Böses angetan zu haben. Wir räumten alles schnell auf und zogen uns in den Keller<br />
zurück. Das Gewehrfeuer wurde wieder um 10 Uhr eröffnet. Die Omas beteten den<br />
Rosenkranz. Dragica Babić, Krankenschwester, teilte mir mit, daß sie mit ihren Kindern<br />
nach Deutschland fahren werde. Sie fragte mich, ob ich ihr ein Transport nach Vinkovci<br />
organisieren könnte. Ich bat Frau Vilma Vidović und ihren Mann, sie nach Vinkovci<br />
mitzunehmen. Sie willigten ohne viele Worte ein und fuhren sie mit ihren Kindern bis<br />
zum Bahnhof in Vinkovci. Das Ehepaar brachte nach Vinkovci auch eine kleine Menge<br />
an Unterwäsche, Kleidung und Bettwäsche für die evakuierten Insassen.<br />
171
07. 09. 1991<br />
Auf Verlangen der Kollegen aus Vinkovci nahm ich die ganze Dokumentation der<br />
evakuierten Insassen (soziale Anamnese und medizinische Kartons) mit und in<br />
Begleitung von Damjan Samardžić und Gardisten Ðuka aus Lovas fuhr ich mit ihrem<br />
Wagen nach Vinkovci. Bis Bogdanovci sollten wir, erklärte mir Damjan, den bekannten<br />
Maisweg nehmen, wobei eine große Möglichkeit bestand, daß vom Wald Ðergaj auf<br />
uns geschossen wird. Gott sei Dank, das geschah nicht. Damjan fuhr so schnell,<br />
daß ich mich nicht orientieren konnte, um möglichst schnell außer der Reichweite<br />
des Feindes zu gelangen. In Vinkovci wartete auf mich eine große Überraschung.<br />
Geschäfte und Markt arbeiteten wie üblich, die Stadt war voll Menschen, die sorglos<br />
ihren Kaffee tranken, als ob 20 km weiter kein Krieg geführt wurde. Erst dann<br />
wurde mir klar, warum die Kollegen aus Vinkovci darauf bestanden, daß ich die<br />
Dokumentation mitbringe. Ich glaube, sie wußten nicht, daß sie dadurch nicht nur<br />
mein Leben sondern auch das Leben anderer zwei Menschen gefährdeten. Es gibt<br />
ein altes Sprichwort, das besagt, daß es Schlimmeres gibt. Und unser Opfer sah im<br />
Vergleich mit der Lage der Verteidiger, die sich entlang des Maisweges verschanzten,<br />
nicht mehr so groß aus. Sie waren da Tag und Nacht, und als wir vorbeifuhren, aßen<br />
sie gerade zu Mittag. Ihre Mahlzeit bestand aus Konserven, Brot und Wasser. Als<br />
ich zurück war, teilten wir die Betten der Insassen neu auf und bereiteten uns auf<br />
einen sehr langen Aufenthalt im Keller vor. Ðuka richtete mit seinen Jungs eine<br />
Telefonleitung im Keller ein und so konnte ich die Dienststelle für Flüchtlinge in<br />
Zagreb anrufen.<br />
Ich sprach mit Frau Jasminka Žanić, die mir Hilfe bei der Evakuierung der<br />
übriggebliebenen Insassen versprach. Ich sprach auch mit Herrn Vinko Goluža,<br />
Direktor des Fonds für Sozialschutz, der mich riet, andere Altenheime in Slawonien<br />
und der Baranja anzurufen und vielleicht dort eine Unterkunft zu verschaffen. Leider<br />
stieß ich auf kein Verständnis, in keinem anderen Altenheim gab es freie Plätze, und<br />
ein Kollege aus einem erst eröffneten Heim in Slavonska Požega teilte mir mit, daß<br />
er noch unbesetzte Plätze habe, aber nur für bestimmte Kategorien der Bewohner.<br />
Ich rief Frau Žanić wieder an und erzählte ihr alles, und sie versprach, etwas zu<br />
unternehmen.<br />
Ich mußte jetzt mit unseren Bewohnern sprechen und alles für eine eventuelle<br />
Evakuierung vorbereiten, die nur aufgrund der Erlaubnis des Beauftragten der RH<br />
erfolgen konnte. Die Erlaubnis wiederum hängte von der Sicherheitslage ab. In<br />
Zimmern räumte man den Schutt auf. Der Tag verlief ziemlich ruhig. Die Bewohner<br />
waren versorgt. Das Gewehrfeuer dauerte fast die ganze Nacht.<br />
172
08. 09. 1991<br />
Das Frühstück wurde rechtzeitig zubereitet. Der Schutt in Abteilungen “A” und “B”<br />
brachte man weg und nahm kaputte Fenster herunter. Wir machten Krapfen ohne<br />
Rücksicht auf das ständige Gewehrfeuer. Unsere Schützlinge freuten sich sehr über<br />
die Kuchen, die Vlado Veber und ich in der Küche vorbereiteten. Im Gasbehälter<br />
war noch ein bißchen Gas vorhanden. Als Krapfen fast schon gebacken waren,<br />
begann ein heftiger Angriff von Negoslavci. Die Granaten fielen unmittelbar vor dem<br />
Küchenfenster. Wir beide warfen uns am Fußboden, und die anderen riefen uns zu,<br />
wir sollten eiligst zurückzukommen. Wir wollten aber die Krapfen nicht zurücklassen<br />
und warteten auf eine kleine Atempause. Wir konnten uns dann alle aufwarten. Ich<br />
nutzte diese Gelegenheit, die Insassen über die Möglichkeit einer Evakuierung zu<br />
benachrichtigen. Sie sollten das Nötigste einpacken. Am Nachmittag starb Oma Jelena<br />
Pereter ski und man rief das Kommunalunternehmen «Komunalac» an. Wir konnten<br />
sie nicht zur Leichenhalle tragen, da der Angriff nicht nachließ, und so mußten wir<br />
sie im Flur lassen.<br />
09. 09. 1991<br />
Drei Tage lang versuchte ich eine neue Unterkunft für die Schützlinge zu finden. Ich<br />
sprach mit Herrn Masnić vom Republikfonds für Sozialschutz, aber über den Tag<br />
der Evakuierung entschied der Krisenstab von Vukovar. Frau Žanić half mir eine<br />
Unterbringung in Novigrad Istarski zu finden. Direktor des Altenheims Dr. Ikač<br />
war außerordentlich hilfsbereit und ohne irgendwelche Einwände willigte er ein,<br />
alle unseren Insassen aufzunehmen. Wir mußten nur noch auf einen günstigen<br />
Augenblick warten. Leider schien es, daß ein solcher Augenblick nie kommen wird.<br />
10. 09. 1991<br />
Nach dem Frühstück redete ich mit Marin Vidić über die Möglichkeiten des Transports.<br />
Er glaubte, man könnte ihn für den 13. 09. zwischen 10 und 11 Uhr organisieren. Die<br />
Busse seien bereit, alles würde nur von der Intensität der Angriffe abhängen. Die<br />
Insassen waren fürs erste gepackt. Die Nachricht über die Evakuierung breitete sich<br />
schnell in der Stadt aus. Die Menschen riefen ständig wegen anderer älteren Menschen<br />
an. Ich versprach alles zu tun um zu helfen. Wir wählten einige Personen als mögliche<br />
Begleitung bis Istrien aus. Man sammelte Bilder aus allen Abteilungen und brachte<br />
sie in den Keller mit Decken und Bettwäsche, um zu retten was noch zu retten war.<br />
Es herrschte eine befremdende Stille unter uns. Das war ein Augenblick, den ich<br />
nie vergessen werde. Die Freude darüber, daß diese alten Menschen in Sicherheit<br />
gebracht werden und die Trauer über die Trennung überfielen mich. Wir waren wie<br />
173
eine große Familie und hatten unsere guten und unsere schlechten Zeiten wie in<br />
einer glücklichen Ehe. Im Krieg wurde dieses Gefühl noch stärker. Das Altenheim<br />
war die einzige Familie, die diese Menschen hatten. Das Gewehrfeuer dauerte die<br />
ganze Nacht und jeder vertiefte sich in seine Gedanken.<br />
11. 09. 1991<br />
Die vereinbarte Evakuierung wurde aus Sicherheitsgründen verschoben. Die Angriffe<br />
auf Vukovar wurden immer heftiger. Ich sprach mit Dr. Bosanac über den kritischen<br />
Zustand, in welchem sich Jova Vukomanović und Josip Erdeg befanden. Sie versprach<br />
einen Rettungswagen zu schicken. Im Keller verbrachten wir den ganzen Tag und die<br />
ganze Nacht.<br />
12. 09. 1991<br />
Der Rettungswagen konnte sich nicht durchschlagen. Weil die Evakuierung verzögert<br />
wurde, waren alle Insassen sehr unruhig. Den ganzen Nachmittag versuchte ich ihnen<br />
zu erklären, daß dieser Aufschub aus Sicherheitsgründen geschah, aber offensichtlich<br />
war ich nicht überzeugend genug. Sie sagten, sie seien auch hier nicht sicher. Sie<br />
wollten nicht die Tatsache akzeptieren, daß während der Fahrt womöglich sie alle mit<br />
ihren Begleitern und Fahrern getötet werden könnten. Aber ihre Sicherheit war an<br />
der ersten Stelle. In der Zwischenzeit blieben wir wieder ohne Strom und Wasser. Das<br />
Essen konnte nicht gekocht werden und wir hatten Kalte Küche. Ich benachrichtigte<br />
Herrn Masnić, daß der Zeitpunkt der Abreise immer ungewisser und Vukovar von<br />
allen Seiten bombardiert werde. Der heftigste Angriff begann um 13,20 Uhr. Ich habe<br />
allen verboten, den Keller zu verlassen. Unter Kerzenlicht aßen wir unser Abendessen.<br />
Alle waren beunruhigt. Mir erschien, als ob es keine Evakuierung mehr geben wird.<br />
Jede Feuereinstellung wurde bis jetzt gebrochen und ich glaubte nicht, daß sich etwas<br />
daran ändern wird. Ich konnte mit niemandem darüber sprechen. Meine Gedanken<br />
waren zu traurig.<br />
13. 09. 1991<br />
Nachdem der Angriff während der Nacht verstummt hatte, wurde das Gewehrfeuer<br />
wieder am frühen Morgen eröffnet. Als man einschätzte, daß die Granaten weit<br />
entfernt fallen, machten wir Feuer im Hof und bereiteten Paprikas mit Kartoffeln. Die<br />
Kampfflugzeuge waren im Höhenflug. In dem Moment als Bartol und ich den Topf mit<br />
dem Essen in den Keller brachten, fiel eine Granate genau auf die Stelle wo die Feuerstelle<br />
war. Glücklicherweise wurde niemand verletzt.<br />
174
Der Angriff dauerte den ganzen Tag. Wir hatten genug Trinkwasser. Man ließ aus<br />
Wasserrohren allmählich das Wasser aus, da der Keller unterhalb der Leitungen lag.<br />
Einige der Insassen warren mit Nerven am Ende. Es wurde immer schwerer sie zu<br />
beruhigen. Die größte Ungläubigkeit verursachte die Tatsache, daß wir von der JNA<br />
angegriffen wurden. Die Insassen glaubten uns nicht, daß sie ins Krankenhaus nicht<br />
eingeliefert werden könnten. Sie dachten, im Krankenhaus wären sie sicher. Um sie<br />
nicht noch nervöser zu machen, verschwieg ich viele Sachen. Im Krankenhaus gab es<br />
keinen Platz. Es war voll verwundeter Verteidigern und Zivilisten. In Vukovar riskierte<br />
man sein Leben für Wasser, Lebensmittel und klare Luft. Das konnten unsere Insassen<br />
noch immer nicht verstehen.<br />
14. 09. 1991<br />
Früh am Morgen besichtigte ich das Gebäude. Viele Fenster waren kaputt und viele<br />
Häuser in der Nachbarschaft wurden direkt getroffen, einige waren völlig zerstört.<br />
Um 9 Uhr begannen neue Angriffe von allen Seiten.<br />
Die Verteidiger rannten von Mitnica zur Trpinjska Straße, von der Trpinjska Straße zu<br />
Sajmište. Wir und die Tankstelle „INA“ wurden von der Kaserne aus beschossen. Ich<br />
bat zu Gott, daß die Tankstelle nicht getroffen wird. Falls das passieren sollte, würden<br />
wir alle brennen. In dem Reservoir war noch immer Treibstoff gespeichert. Zum<br />
Glück wurde sie nicht getroffen. Von Negoslavci aus wurden die Geschosse ständig<br />
abgefeuert, und es schien, als ob jede Granate vor unseren Fenstern landen würde. Die<br />
Wasservorräte waren noch immer zufriedenstellend, aber wir konnten keine warmen<br />
Mahlzeiten zubereiten. Fürs Kochen draußen war es zu gefährlich. Spät am Abend<br />
kam Dragan Čorić, Gardist. Er hielt eine Stellung bei der Kaserne inne. Er teilte mir<br />
mit, Sajmište sei gefallen. Eine kleine Anzahl der Einwohner konnte fliehen und fand<br />
eine Unterkunft im Keller der Grundschule „Vladimir Nazor“. Er selbst konnte seine<br />
Mutter und Schwester mit zwei Töchtern darausholen. Über das Schicksal anderer<br />
wußte man nichts. Andererseits, das was die Überlebenden zu berichten wußten,<br />
war schrecklich. Die Tschetniks gingen von einem Haus zum anderen und warfen die<br />
Bomben hinein. Erst danach überprüften sie, ob sich jemand in diesen Häusern noch<br />
versteckte. Ich konnte nichts sagen. Die schwarzen Gedanken waren wieder da.<br />
15. 09. 1991<br />
Die Nacht war ruhig. Die Nachricht über den Fall von Sajmište breitete sich sehr schnell<br />
aus. In der Stadt machte sich der Mangel an Lebensmitteln ernsthaft bemerkbar. Die<br />
Angriffe begannen um 9 Uhr. Das Frühstück wurde verteilt, aber die Wasservorräte<br />
wurden immer geringer. Wir konnten unser Mittagessen draußen kochen und einige<br />
175
Eimer Wasser von einem naheliegenden Brunnen holen. Da es wenig Brot gab, wurde<br />
der Nudelteig häufiger verbraucht. Während des ganzen Tages wurde die Stadt von<br />
allen Seiten, auch aus der Luft, angegriffen. Um 12 Uhr starb Josip Erdeg. Elizabeta<br />
Pabulkov lag im Koma. Die beiden wurden in ein Nebenzimmer untergebracht, um<br />
andere Insassen nicht zu beunruhigen. Die Telefonleitungen waren noch intakt und<br />
so konnte ich „Komunalac“ anrufen und das Kommunalunternehmen über den Tod<br />
von Josip benachrichtigen. Ich glaubte nicht, daß jemand bald kommen könnte, um<br />
ihn abzuholen. Er lag im Zimmer mit Oma Elizabeta. Am Nachmittag wurde das<br />
Telefonkabel durchschnitten. Strom und Wasser gab es noch immer nicht. Der Tag<br />
verlief für uns alle angespannt. Alles war und nichts war normal. Die Angreifer ließen<br />
uns keine freie Minute um nachzudenken.<br />
16. 09. 1991<br />
Am frühen Morgen hat man die Leiche von Josip Erdeg in die Leichenhalle verlegt.<br />
Nach Mitternacht hörten die Angriffe auf. Der Radiosender Vukovar meldete, daß<br />
gestern einen Waffenstillstand unterzeichnet wurde. Niemand aber glaubte, daß er<br />
durchgeführt wird. Wir bereiteten das Mittagessen zu, und Dragan brachte Brot für<br />
drei Tage. Das Wasser trugen wir in Fässern. Bei einem rationellen Verbrauch könnte<br />
diese Menge für ein paar Tage reichen. Um 11 Uhr begann bis zu diesem Zeitpunkt<br />
der heftigste Panzerangriff von Trpinje aus auf die Trpinjska Straße. Tag und Nacht<br />
verbrachten wir im Keller. Es war ein Glück, daß wir eine Toilette hatten, so mußten<br />
wir wegen der Notdurft nicht nach draußen gehen. Die Kerzen waren alle. Da wir<br />
noch ein bißchen Öl hatten, machten wir die Ampeln aus Öl, Korkstöpseln und<br />
Hosenbändern, die wir für die männliche Unterwäsche vorrätig hatten, fertig. Diese<br />
Ampeln waren eine Ideallösung da wir keinen Strom hatten. Der Radiosender, den uns<br />
die Gardisten zusammen mit Batterien überlassen haben, stellte eine willkommene<br />
Abwechslung dar. Die Mitarbeiter hörten die Nachrichten und für die Insassen spielte<br />
man am Abend Musik, um das Gewehrfeuer ein wenig zu vergessen.<br />
17. 09. 1991<br />
Da es keinen Strom gab, begann das Fleisch in Kühlschränken aufzutauen. Zum<br />
Mittagessen spendete uns „Gradska kavana“ (Städtisches Kaffeehaus) Gulasch. Obwohl<br />
man allen Insassen verboten hat, den Keller zu verlassen, es war schwer sie ständig zu<br />
kontrollieren, da wir viel Arbeit in kurzen Pausen zwischen Angriffen zu erledigen<br />
hatten. So hat auch Mirko Inđić den Keller unbeaufsichtigt verlassen. Er wollte auf sein<br />
Zimmer am Anfang der Abteilung „C“, um einige persönliche Gegenstände zu holen.<br />
So lautete wenigstens seine Erklärung für Zvonko. Als mir Zvonko sagte, daß Mirko<br />
herausgegangen war, war es schon zu spät. Ich fand ihn im Flur vor seinem Zimmer.<br />
176
Ein Granatsplitter traf ihn bei der Nase. Er hatte keine anderen Verletzungen. Nensi<br />
sagte, er war sofort tot. Es sah so aus, als ob er eingeschlafen wäre. Die Geschosse<br />
fielen überall und erst mit viel Mühe konnten wir ihn in den Keller bringen. Alle<br />
waren tief getroffen, und ich begriff, daß unsere Schützlinge erst jetzt verstanden<br />
haben, was sie da draußen erwartet. Der Angriff dauerte den ganzen Tag. Um etwa<br />
21 Uhr starb Oma Elizabeta Pabulkov. Somit hatten wir schon drei tote Personen, die<br />
wir nicht begraben oder irgendwo in Sicherheit bringen konnten, damit die neuen<br />
Geschosse sie nicht zerstückeln. Opa Josip war noch immer in der Leichenhalle, und<br />
die neuen Toten konnten auch nicht unter Lebenden bleiben. Deshalb entschied<br />
man sich trotz der Gefahr, die Leichen in Betttücher einzuwickeln und sie dann in<br />
die Leichenhalle zu verlegen. Die Gardisten besuchten uns schon lange nicht. Die<br />
Angriffe auf Vukovar waren so heftig, daß keiner seine Stellung verlassen konnte.<br />
Ich war sehr traurig. Ich hatte das Gefühl, daß die Panzer vor unseren Türen warten.<br />
Das Gewehrfeuer wurde immer intensiver und ich war seit Tagen nicht zu Hause,<br />
obwohl es nur einige hundert Meter vom Altenheim entfernt war. Die ständige Angst<br />
vor einem möglichen Durchbruch von der Kaserne über die Lache trieb mich in<br />
den Wahnsinn. Ante Mihaljević und andere Verteidiger versicherten mir, daß so ein<br />
Durchbruch nicht möglich wäre, da alles vermint war. Ein kleiner Trost, wenn man<br />
wußte, daß sich auf anderer Seite dieser Lache einsatzbereite Panzer, Haubitzen und<br />
Minenwerfer befanden, die jederzeit alles dem Erdboden gleichmachen konnten.<br />
Im Keller meines Hauses war meine Sandra mit etwa einem Dutzend Erwachsenen<br />
und Kinder. Ante kam immer wieder und brachte mir neue Nachrichten von meiner<br />
Familie. Er bestätigte mir jedes Mal, sie wären wohl auf, aber für mich war alles irreal.<br />
Ich konnte nur darüber nachdenken, ob sie genug Lebensmittel hätten und wie sie<br />
sich ohne Strom und Wasser zurechtfinden. Der einzige Trost war mir die Gewißheit,<br />
daß der Keller ziemlich sicher und gut ausgestattet war.<br />
18. 09. 1991<br />
Am frühen Morgen sagte mir Krankenschwester Lena Vrtarić, sie werde mit ihrer<br />
Familie in die Wohnung in dem Stadtteil „Rupe“ einziehen, da ihre Kinder dieses<br />
ununterbrochene Gewehrfeuer nicht mehr ertragen könnten. Nämlich, als die<br />
Angriffe häufiger wurden, vereinbarten wir unter uns, daß wir die ganze Zeit im<br />
Altenheim verbringen werden, und so erlaubte ich den Mitarbeitern, ihre Kinder<br />
ins Altenheim mitzubringen, um diese schwere Situation für alle leichter zu machen.<br />
Lena dachte, die Kinder werden es in „Rupe“ nicht so schwer haben. Ich konnte und<br />
wollte sie in ihrer Absicht nicht verhindern. Wer war ich, um über fremde Schicksale<br />
zu entscheiden? Ich verurteilte sie nicht, obwohl für uns jeder Mitarbeiter wichtig<br />
war. Aber Milenko, Beljo und Franjo Mandić, sowie Dragan halfen häufig aus, und so<br />
konnten wir diesen Verlust einigermaßen verkraften. Nur der Gedanke, daß wir eine<br />
177
Krankenschwester verlieren, war dann doch nicht so leicht zu ertragen. Aber man<br />
mußte sich mit der Situation abfinden. Dragan fuhr sie mit unserem Kombiwagen.<br />
Ich dachte das wäre sicherer, obwohl der Begriff der Sicherheit in Vukovar wirklich<br />
als relativ galt. Ich war erleichtert, als Dragan zurückkam. Am Nachmittag kam die<br />
Mutter von Nensi Mučalov und bat mich, Nensi nach Hause gehen zu lassen. Sie hat<br />
sie seit zwei Wochen nicht gesehen. Ich versprach, sie würde nach Hause kommen.<br />
Ich ließ sie gehen, obwohl ich wußte, wenn Nensi nicht zurückkommt, haben wir nur<br />
noch eine Krankenschwester zur Verfügung (Branka Mažar).<br />
Die Angriffe dauerten Tag und Nacht. Das Mittagessen war warm. Strom und Wasser<br />
gab es noch immer nicht. Die Telefonverbindungen waren abgebrochen. Niemand kam<br />
um die Leichen zu holen. Ich war sehr besorgt darüber und erwog die Möglichkeit,<br />
die Leichen zu begraben. Obwohl die Geschosse immer wieder abgefeuert wurden,<br />
konnten wir die persönlichen Sachen der Insassen sammeln. Früher, vor dem Krieg,<br />
ärgerte ich mich immer über ihre Vorräte an Toilettenpapier, jetzt würde ich sie alle<br />
deswegen küssen. In Schränken fanden wir nicht nur Toilettenpapier sondern auch<br />
Waschpulver. Noch ein Tag des Existenzkampfes.<br />
19. 09. 1991<br />
Nach dem Frühstück vereinbarte ich mit Kolleginnen den Insassen endlich zu<br />
sagen, daß zu einer Evakuierung womöglich nicht kommen wird. Die Einschließung<br />
Vukovars wurde immer enger. Sie nahmen diese Mitteilung mit Fassung. Sie alle hatten<br />
schon einen Krieg erlebt, und obwohl sie aus dem Keller nicht herausgehen durften,<br />
wurde ihnen klar, daß sie hier auf das Ende des Krieges warten werden. Ich wies sie<br />
auch darauf hin, daß unser Wasserverbrauch maximal reduziert werden mußte. Der<br />
Mangel am Wasser war natürlich neben Granaten unser größtes Problem.<br />
Um 9 Uhr kamen Damjan Samar džić (Veliki bojler/Großer Boiler) und Đuka aus<br />
Lovas um sich zu verabschieden. Sie nahmen aus Lagerräumen alles was sie noch<br />
benötigten. Uns gaben sie noch vier Büchsen mit Rauchfleischprodukten, Kaffee,<br />
Keksen und Fleischkonserven. Damjan führte mich hinaus, und zeigte mir wie man<br />
eine Kalaschnikow für Einzel- und Schnellfeuer handhaben sollte. Er gab mir noch 5<br />
Handbomben und erklärte mir wie sie aktiviert werden. Ich konnte mir nicht vorstellen,<br />
sie zu benutzen, was ich auch laut sagte, aber Damjan bemerkte nur kurz: „Falls Vukovar<br />
fällt, dürfen sie nicht lebend in die Hände von Tschetniks fallen. Niemand weiß was<br />
genau in Sajmište passierte, aber viele Frauen und Mädchen wurden von Tschetniks<br />
in Fabrik Bandić mißhandelt.“ Ich hatte noch ein Pump- und ein altes Jagdgewehr, ein<br />
Panzerabwehrgeschoß und zwei Munitionskasten zur Verfügung. Damjan sagte, er<br />
gäbe uns diese Waffen zur Aufbewahrung. Jemand würde sie später abholen kommen.<br />
Die Verteidiger zogen sich ins Gymnasium zurück und sagten, sie würden nicht mehr<br />
178
kommen können. Ihre Anzahl war so klein, daß sie sich ständig gegenseitig helfen<br />
mußten. Đuka reparierte in der Zwischenzeit unsere Telefonleitung. Wir blieben uns<br />
selbst überlassen, wie alle anderen Zivilisten auch. Gleich nachdem sie weggegangen<br />
waren, entschieden uns Vera und ich, die naheliegenden Gärten zu besichtigen. Wir<br />
pflückten Tomaten und Paprikas, um ein bißchen Abwechslung in unsere eintönigen<br />
Mahlzeiten zu bringen. Die Angriffe begannen nach 11 Uhr. Bis zu diesem Zeitpunkt<br />
haben wir schon das Mittagessen vorbereitet, das Wasser vom Brunnen geholt und<br />
den Schutt am Kellereingang weggeräumt. Um 17 Uhr kamen die Mitarbeiter von<br />
„Komunalac“, um die Leichen wegzubringen. Man sagte uns, daß die Leichen am<br />
jüdischen Friedhof begraben werden. Die Angriffe dauerten die ganze Nacht und wir<br />
dachten schon, die Erde explodiere. Das war die erste Nacht, als ich mit einer Waffe<br />
ins Bett gegangen war. Vera meinte, daß es am besten wäre, die Waffen in meinem Bett<br />
zu lassen, weil das der einzige sichere Platz vor Kindern wäre.<br />
20. 09. 1991<br />
Der Morgen war ruhig. Vielleicht war auch der Feind müde. Das Feuer wurde um<br />
5 Uhr eingestellt. Keiner konnte schlafen. Während Vera und Dara das Frühstück<br />
zubereiteten, habe ich das Gebäude inspiziert. Ich irrte mich nicht: Abteilung „C“,<br />
die von Novo groblje (Novo groblje) und von der Front etwa 300 m entfernt war,<br />
wurde zerstört, und aus Heizkörpern und Wasserrohren lief das Wasser aus. Das<br />
Speisezimmer war ziemlich beschädigt durch die Geschosse, die von Negoslavci<br />
aus abgefeuert wurden. Küchenfenster, Möbel und unser Kombiwagen waren völlig<br />
vernichtet. Zum Glück hatten wir noch einen unbeschädigten Lieferwagen der<br />
Marke „Jugo“ in der Garage. Die Spuren unzähliger Explosionen waren um das ganze<br />
Gebäude herum sichtbar. Die Ambulanz und die Büros haben auch nicht überlebt.<br />
Wir benutzten diese kleine Atempause um zwei Fässer Wasser zu holen und das<br />
Mittagessen vorzubereiten. Dragan brachte Brot aus „VUPIK“-Bäckerei für zwei Tage<br />
mit. Eigentlich war es Fladenbrot, aber wir waren darüber sehr glücklich, weil wir<br />
nichts anderes hatten. Die Angriffe begannen um 10,30 Uhr. Sie dauerten Tag und<br />
Nacht.<br />
21. 09. 1991<br />
Ein sporadisches Gewehrfeuer hörte man den ganzen Tag über von allen Seiten.<br />
Alle Insassen waren wohl auf. Eine Mahlzeit war immer warm. Das Wasser wurde<br />
geholt. Uns besuchten Ante, Franjo, Josip und Dragan. Dragan kam immer wenn er<br />
konnte. Ihr Optimismus war ansteckend. Ich bat Dragan, Nensi abzuholen, und war<br />
erleichtert, als ich sie sah. Der Gedanke an ihre Mutter in Borovo Naselje tat mir aber<br />
weh, weil ich wußte, daß sie nur Nensi hatte. Aber Nensi konnte mit ihrer heiteren<br />
179
und optimistischen Eigenart alle erfreuen. Sie mochte ihre Arbeit sehr. Strom und<br />
Wasser erwarteten wir nicht mehr. Telefonieren konnte man nur mit Inland. Die<br />
Angriffe wurden heftiger nach 19,oo Uhr. Während der Nacht trafen das Altenheim<br />
mehr als 10 schwere Geschosse, so das alles schüttelte.<br />
22. 09. 1991<br />
Alle Insassen waren wohl auf. Wir konnten das Mittagessen zubereiten und Wasser<br />
holen. Um 10 Uhr bekamen wir endlich Strom worüber man sich sehr freute. Die<br />
Angriffe fingen am Abend an. Es regnete auch. Wir setzten die Plastikbehälter unter<br />
Rinnen, die noch heil waren, und so sammelten wir das Wasser für die Geschirrspülung<br />
und Toilette. Der Regen brachte auch Kälte mit, aber niemand beklagte sich darüber.<br />
Man hatte genug Decken.<br />
23. 09. 1991<br />
Die Kampfflugzeuge überflogen seit 12 Uhr Mitnica, aber kein Gewehrfeuer wurde<br />
eröffnet. Ein neuer Waffenstillstand wurde unterzeichnet. Trotzdem versuchten<br />
wir das Nötigste zu erledigen: Mahlzeiten zu kochen, Insassen zu überprüfen und<br />
Arzneimittel zu verabreichen (Vorräte sollten noch, Gott sei Dank, lange reichen),<br />
Wäsche zu waschen, Toilette sauber zu machen, damit wir nicht ersticken (im<br />
Keller waren 60 Leute untergebracht). Der Tag verlief ruhig. Um 17 Uhr trafen die<br />
Feuerwehrmänner mit einer Zisterne ein, und brachten uns Wasser mit. Wir füllten<br />
alle Fässer an. Wir alle konnten uns ein bißchen erfrischen und zurechtmachen. In<br />
obigen Stockwerken fanden wir noch Kleidung, Bettdecken, zwei Fernseher und sogar<br />
amtliche Dokumentation. Früher versuchte ich diese Dokumentation überhaupt<br />
nicht zu retten, da die Insassen Priorität hatten. In einer Schublade des Tisches der<br />
Sozialarbeiterin fand ich auch etwas Geld, das unseren Schützlingen gehörte. Wir<br />
nahmen auch ein Bett für Karlo Didio mit. Da seine Beine amputiert waren, hatte<br />
er große Schwierigkeiten auf einer Matratze zu liegen. Sein Glück war unermeßlich,<br />
als er das Bett bemerkte. Jovo Vukomanović ging es sehr schlecht und er hatte starke<br />
Schmerzen. Er wurde in ein kleines Nebenzimmer für Bettwäsche untergebracht, um<br />
die anderen Insassen nicht zu stören. Der Angriff begann nach 18 Uhr. Während der<br />
Nacht tauchte für eine kurze Zeit das Wasser auf, ich wußte selbst nicht woher, aber es<br />
verschwand auch wieder schnell. Die Wasserrohre waren offenbar sehr beschädigt.<br />
24. 09. 1991<br />
Beba Mažar, Sozialarbeiterin, und ihre Tochter Branka Mažar, verließen das<br />
Altenheim. Von 22 Beschäftigten blieben nur uns vier: Dara Mandić, Kassiererin,<br />
180
Nensi Mučalov, Krankenschwester, Vera Teša nović, Pflegerin, und Anica Marić,<br />
stellvertretende Direktorin.<br />
Wie lange das alles dauern wird und wird uns jemand noch aus irgendwelchen<br />
Gründen verlassen, darüber nachzudenken hatte ich nicht viel Zeit. Um 12 Uhr<br />
begannen heftige Angriffe von allen Seiten. Um 20 Uhr, als das Gewehrfeuer aufhörte,<br />
ging ich nach draußen, um mich umzusehen. Obwohl ich neue Schäden am Gebäude<br />
erwartete, war ich dann doch völlig bestürzt. Alles wurde verwüstet, besonders die<br />
„C“ Abteilung. Die Trümmer waren überall. Auf meine Überraschung fand ich Oma<br />
Ana Bižak vor ihrem Zimmer in der Abteilung „A“ stehen. Sie sah stumm in Richtung<br />
ihres Bettes zu. Sie konnte mir nicht erklären, wie sie aus dem Keller hinausgegangen<br />
war und wie sie zum Zimmer anlangte. Ich führte sie zurück in den Keller und<br />
dankte dem Himmel, daß ihr nichts passierte. Ich benachrichtigte den Kroatischen<br />
Radiosender über die Verwüstung, und bat ihn während der Nachrichtensendung zu<br />
wiederholen, daß alle Insassen wohl auf seien. Ich erwog wieder die Möglichkeit einer<br />
Evakuierung oder wenigstens einer Unterbringung in einer anderen Unterkunft. Es<br />
schien, als ob „Mitnica“ den heftigsten Angriffen ausgesetzt war, aber der Radiosender<br />
Vukovar meldete, daß in der ganzen Stadt die Hölle los sei.<br />
25. 09. 1991<br />
Alle Insassen waren wohl auf. Die Angriffe dauerten die ganze Nacht. „Mitnica“ wurde<br />
von einem Regen aus verschiedensten Projektilen überschüttet: Panzergeschosse und<br />
Projektille der Mehrfachraketenwerfer (man nannte sie Stanzen). Vor dem Eingang in<br />
unsere Unterkunft schlugen vier Geschosse in alle Fenster ein. Zum Glück beklagten<br />
sich unsere Insassen überhaupt nicht, obwohl einige von ihnen sehr krank waren.<br />
Bis 10 Uhr war die ganze Arbeit erledigt, auch das Mittagessen vorbereitet. Um 11<br />
Uhr begann wieder ein neuer Angriff auf Vukovar. Wir kriegten schon lange keinen<br />
Besuch von unseren Verteidigern, sogar Dragan kam nicht. Nach der Heftigkeit des<br />
Angriffs und der Anzahl der Geschosse schien mir, als ob die Tschetniks die Stellungen<br />
unserer Verteidiger jederzeit einnehmen werden. Ich dachte an die Bomben, die sie<br />
in die Keller in Sajmište reinwarfen. Ich rief meine Familie an. Alle waren wohl auf,<br />
sie hatten genug zu essen und trinken, aber keinen Strom.<br />
26. 09. 1991<br />
Gleich nach dem Frühstück (das immer um 7 Uhr verteilt wurde, ganz egal was<br />
passierte), rief ich Herrn Marin Vidić an, um zu überprüfen, ob unsere Insassen<br />
vielleicht in einen Atomschutzkeller versetzt werden könnten, da unsere Lage<br />
immer gefährlicher werde. Jedes neue Geschoß könnte eigentlich direkt in unseren<br />
181
Keller einschlagen, da oberhalb unseres Kellers alles zerstört war. Ich machte diesen<br />
Anruf nur um mein Gewissen zu beruhigen, da ich wußte, daß mein Anliegen eine<br />
unmögliche Mission war. Die Antwort war mir leider schon bekannt. Nirgendwo<br />
gab es Platz und überall lauerte die Gafahr. Panik und Angst begannen allmählich<br />
unsere Insassen und meine Mitarbeiter zu erfassen. Die Mitarbeiter mußten aber ihre<br />
Gefühle verdrängen. Uns blieben nur der Trieb nach dem Leben und der Wunsch<br />
nächsten Tag zu erleben. Ich rief nach Bartol, der mir sonst in der Küche half, er sollte<br />
sich wegen des Mittagessen mit Holzhacken beeilen. Der Vorrat an Lebensmittel war<br />
noch immer zufriedenstellend. Wir hatten auch einen Hund, wir wußten nicht woher<br />
er kam, aber er blieb bei uns. Wir nannten ihn Goldie. Im Augenblick als ich nach<br />
Bartol rief, damit er mir beim Tragen des Topfes hilft, rannte Goldie plötzlich in<br />
Richtung Keller, und Bartol schrie von Treppen herab: „Nach unten, sie müssen nach<br />
unten“, worauf ich ohne zu überlegen in den Keller flüchtete. Noch bevor ich den<br />
Eingang des Kellers erreichen konnte, erschütterte eine starke Explosion das Gebäude.<br />
Pünktlich um 12 Uhr begann noch ein heftiger Angriff. Da unser Mittagessen sonst<br />
zwischen 12 und 13 Uhr serviert wurde, bat ich die Insassen sich ein bißchen zu<br />
gedulden. Das Mittagessen sei fertig, aber noch immer draußen. Die Gelegenheit den<br />
Topf zu holen, ergab sich nach einer halben Stunde. Bartol und ich gingen nach<br />
oben, aber da gab es keinen Topf und keine Feuerstelle mehr. Eine Granate traf unser<br />
Mittagessen, es war ein Volltreffer. Eine neue Explosion erschallte vor der Küche und<br />
wir rannten wieder in den Keller, um sich zu verstecken. Ich sagte zu Dara, Vera und<br />
Nensi, daß unser Mittagessen verloren war, und daß die Insassen eine kalte Mahlzeit<br />
bekommen werden. Die Insassen beklagten sich, obwohl Bartol ihnen erzählte was<br />
geschah. Sie erwarteten Gulasch und jetzt müssten sie sich mit Fleischkonserven<br />
zufriedengeben. Der Angriff dauerte den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht.<br />
Um 4 Uhr wurde das Artilleriefeuer von Ovčara aus noch heftiger.<br />
27. 09. 1991<br />
Ich machte keine Rundgänge um das Gebäude mehr. Es gab nichts mehr zu zerstören.<br />
Beba Mažar rief an, und sagte, daß Dragan sie und ihre Tochter Branka abholen<br />
sollte. Sie will zur Arbeit kommen. Dragan brachte auch das Brot mit. Die Angriffe<br />
begannen um 10 Uhr. Es war unmöglich den Keller zu verlassen. Das Brot aßen<br />
wir nur zum Frühstück und Mittagessen, als Abendessen bekam man Nudeln und<br />
Kekse.<br />
28. 09. 1991<br />
Schon um 5 Uhr fuhr ich mit unserem unbeschädigten Wagen zur „VUPIK“-<br />
Bäckerei neben dem Silo bei der Ausfahrt von Vukovar. Es war ruhig und ich<br />
182
ekam Brot (eigentlich Fladenbrot) für drei Tage. Es war hart, weil es keine Hefe<br />
gab. Wir haben es aufgeschnitten, in Öl, Wasser und Vegeta getunkt und in einer<br />
Pfanne gebraten. So bekamen wir ein weiches Gebäck, daß sehr schmackhaft war.<br />
Während der Fahrt von „Mitnica“ bis zum Silo vergewisserte ich mich, daß überall<br />
dasselbe Bild der Zerstörung herrschte. Ich hatte daher keine andere Wahl, als unsere<br />
Insassen dort zu lassen, wo sie waren. In der ganzen Stadt herrschte Hölle. Die<br />
Menschen rannten, um Wasser und Lebensmittel zu holen. Alles spielte sich wie in<br />
einem Film ab. Jeder hatte ein ganz bestimmtes unentbehrliches Ziel zu erreichen<br />
und eine ganz bestimmte Frist dafür, weil niemand wußte wann der neue Angriff<br />
starten wird. Vukovar ähnelte immer mehr einem Trümmerfeld. Ich kam rechtzeitig<br />
ins Altenheim zurück. Gleich zog mich Zvonko Šibalić zur Seite ab, und sagte mir,<br />
daß Stevan Jovičić (ein ehemaliger Partisane) aus Borovo Selo jeden Abend zwischen<br />
20 und 20,30 Uhr mit seiner Batterielampe durch das Kellerfenster gleichmäßige<br />
Signale in Richtung Negoslavci gab. Er beharrte darauf, daß in der Regel nur eine<br />
halbe Stunde danach, die Geschosse vor unseren Fenstern landete. Ich erinnerte mich<br />
daran, daß ich Stevan oft im Speisezimmer mit eingeschaltetem Licht antraf, als wir<br />
noch Strom hatten. Ich wies ihn darauf hin, daß das Licht nicht angemacht werden<br />
dürfte, aber damals fiel es mir nicht im Traum ein, daß er Lichtsignale jemandem<br />
gegenüber geben konnte, der sie wiederum nach Negoslavci weiterleitete. Da auch<br />
andere Häuser in der nächsten Umgebung der Erde gleichgemacht wurden, schenkte<br />
ich diesen Vorfällen keine besondere Aufmerksamkeit, aber Zvonko behauptete<br />
hartnäckig, daß es sich doch um Lichtsignale handelte. Darauf sprach ich mit Stevan<br />
und fragte ihn ob er eine Batterielampe hätte. Er sagte, er würde sie benötigen, wenn<br />
er nachts zur Toilette muß. Ich erklärte ihm, daß dieselben Regeln für alle gelten, bzw.<br />
daß die Gänge die ganze Nacht beleuchtet werden, und er kann sehen wohin er geht.<br />
Ich nahm die Batterielampe, mehr um Zvonko zu beruhigen als Stevan bei seiner<br />
Signalisierung zu stören. Am Abend kam Dragan. Zvonko erzählte ihm alles. Dragan<br />
verlor augenblicklich die Kontrolle, führte Stevan aus dem Gebäude heraus, mit der<br />
Absicht ihn zu liquidieren. Ich erstarrte vor Entsetzen und konnte nicht glauben was<br />
ich sah. Ich drängte mich zwischen ihnen ein und versuchte Dragan zu erklären,<br />
daß eine solche drastische Maßnahme nicht unbedingt notwendig wäre, und daß<br />
wir alle das gleiche Schicksal teilen werden. Eine sowieso schwere Situation noch<br />
zu verschlimmern und die Panik auszulösen, so etwas bräuchten wir jetzt wirklich<br />
nicht. Dragan sagte nur kurz: „Du weißt nicht Tante, was sie alles im Stande zu tun<br />
seien. Wenn er eine Gelegenheit bekommt, du bist die erste, die einen Messer in den<br />
Rücken verpaßt bekommen wird.“ Trotz der Tatsache, daß auch Dragan Recht hatte,<br />
bat ich ihn noch einmal Stevan in Ruhe zu lassen und versprach in der Zukunft besser<br />
aufzupassen. Er ließ ihn los, und wir kehrten zurück in das Gebäude. Von da an paßte<br />
Zvonko auf Stevan auf.<br />
183
29. 09. 1991<br />
Der Angriff begann um 8 Uhr und hörte nicht auf. Auch die Mehrfachraketenwerfer<br />
mit ihren tödlichen Geschossen wurden eingesetzt und dann blieb uns nicht<br />
anderes übrig, als zu beten. Wir baten, daß sie eine andere Schießscheibe wählen,<br />
was aber nur leider bedeutete, daß dann jemand anderer dasselbe Gebet ausspricht.<br />
Der Radiosender meldete, daß die Militärführung der JNA ein Ultimatum der RH<br />
gab. Sie forderte eine bedingungslose Übergabe der Stadt. Andererseits würde ganz<br />
Kroatien mit allen verfügbaren Mitteln angegriffen werden. Unsere Verteidiger<br />
leisteten einen starken Widerstand. Und um 16 Uhr begann wieder der Regen. Die<br />
Fässer wurden wieder angefüllt und zum einen sicheren Platz gebracht. Durch einen<br />
rationellen Verbrauch des Trinkwassers hatten wir einen Vorrat für drei Tage. Viele<br />
Brunnen waren verschüttet, aber Gott sei Dank, unser noch nicht. Strom und Wasser<br />
kamen nicht und allem Anscheine sollten wir sie auch nicht mehr erwarten. Auch die<br />
Telefonverbindungen waren unterbrochen. Đuka war nicht mehr da, um Schaden<br />
zu beseitigen. Der Regen floß in Strömen Tag und Nacht, und die Decke unseres<br />
größten Raumes, der sich direkt unter dem Speisezimmer befand, begann zu lecken.<br />
Die Angriffe haben während der letzten Tage auch den Fußboden im Speisezimmer<br />
beschädigt. Der Beton platzte auf, und durch die entstandenen Risse ergießte sich<br />
das Wasser in den unteren Raum. Man mußte die ganze Nacht das Wasser von der<br />
Decke mit Schwämmen sammeln. Morgen sollten wir die Lagerräume umstellen und<br />
versuchen eine Lösung zu finden.<br />
30. 09. 1991<br />
Als es letzte Nacht schon sehr spät war, verließen uns Dara Mandić und ihr Mann.<br />
Zum Mittagessen gab es eine warme Mahlzeit. Die Insassen waren wohl auf. Beba<br />
Mažar und ihre Tochter Branka kamen zurück. Das Gewehrfeuer wurde um 10 Uhr<br />
eröffnet. Es dauerte Tag und Nacht. Es wahr schwer während der kurzen Feuerpausen<br />
die Mahlzeiten vorzubereiten. Da wir kein Brot hatten, machten wir zum Abendessen<br />
Milch und Maisknödel. Die Lebensmittel waren im Unterschied zum Wasser noch<br />
kein Problem, aber wir versuchten es rationell zu verbrauchen. Das Telefonkabel<br />
wurde repariert. In der Nacht wurde das Gebäude wieder beschädigt.<br />
01. 10. 1991<br />
In Erwartung neuer Angriffe, die um 8 Uhr erfolgten, erledigten wir die ganze<br />
Arbeit. Das Wasser wurde geholt und der Schutt im Speisezimmer im Rahmen<br />
der Möglichkeiten aufgeräumt. Man legte Nylon auf den beschädigten Fußboden<br />
in der Hoffnung, daß Wasser auf seinem Weg in den Keller wenigstens ein bißchen<br />
184
verhindert wird. Die Essenzubereitung ohne Brot war besonders schwierig. Wir<br />
hatten Nudeln, aber das war nicht dasselbe wie Brot. Wir konnten es auch nicht<br />
machen, weil wir keinen Backofen zur Verfügung hatten. Heftige Angriffe dauerten<br />
seit 10 Uhr. Der Radiosender Vukovar meldete, daß auch die letzte Verbindung<br />
zwischen Vukovar und Vinkovci über Bogdanovci und Marinci abgeschnitten wurde.<br />
Es regnete ständig. Das Wasser sickerte auch in den Kesselraum, wo Bojan und Tibor,<br />
Veras Kinder schliefen. Wir hatten genug Nylon und Gummi, um die Betten und<br />
Matratzen vor dem Wasser zu schützen. Auf den Fußboden bei der Tür legte man<br />
Lappen und Decken, um Wasser aufzusaugen. Diese Nacht war die schwerste.<br />
02. 10. 1991<br />
Der Radiosender meldete, daß es viele Verwundete und Gefallene gebe. Die ganze<br />
Arbeit, das Essen und die Versorgung unserer Schützlinge, wurde früh am Morgen<br />
erledigt. Niemand konnte schlafen. Die Nachbarn holten Nensi und Branka, um<br />
die verwundeten Verteidiger in ihren Häusern zu verbinden, da sich man bis zum<br />
Krankenhaus nicht durchschlagen konnte. Zum Glück verfügten wir über einen<br />
größeren Vorrat an Sanitätsmaterial. Vera benachrichtigte mich, daß neben Jovo<br />
Vukomanović und Vlajko Petrović, noch zwei unserer Insassen bettlägerig geworden<br />
sind, bzw. Omas Kata Filipović und Terezija Lukić. Man versuchte mich sonst mit<br />
solchen Problemen nicht zu belasten, aber jetzt mußten die Omas verlegt werden.<br />
Vera und Krankenschwester wußten, daß die Insassen jede Veränderung ablehnen,<br />
weil dieser Raum ihr eigenes kleines Territorium darstellte, und sie klammerten sich<br />
krampfhaft daran. Wir mußten aber in solchen Fällen bestimmte Maßnahmen ergreifen,<br />
um diese Menschen wenigstens teilweise zu isolieren. Der Zustand anderer Insassen<br />
war zufriedenstellend. Das größte Problem war das Wasser. Wir bemerkten, daß einige<br />
Insassen in der Nacht ihre Flasche mit dem Wasser aus Fässern anfüllten und ihre<br />
eigene Vorräte anschafften, wodurch ein künstlicher Wassermangel produziert wurde.<br />
Nach der Mitternacht hörten die Angriffe auf. Der Beschuß wurde sporadisch.<br />
03. 10. 1991<br />
Um 8 Uhr wurde das Gewehrfeuer wieder eröffnet, und allmählich wurde es immer<br />
heftiger, besonders nach 10 Uhr. Wir bereiteten keine warme Mahlzeit zu, weil wir alle<br />
eingeschlafen waren. Man mußte für diesen Tag alles verschieben. Die Insassen waren<br />
besonders nervös. Sie beklagten sich über das Essen und forderten eine Versetzung<br />
ins Krankenhaus. Sie glaubten uns nicht, daß das nicht möglich war. Sie dachten, dort<br />
wären sie sicherer. Es war immer schwieriger sie zu überzeugen, daß wir alles taten,<br />
was in unserer Macht stand. Noch immer gab es keinen Strom und kein Wasser. Den<br />
ganzen Tag wischten wir das eingedrungene Wasser ab und brachten feuchte Lappen,<br />
185
Betttücher und Decken nach draußen. Wir haben nichts mehr gewaschen, weil wir<br />
kein Wasser hatten. Die Insassen hatten genug Kleidung, aber wir nicht, nur das<br />
was wir gerade anhatten. Die Lebensmittel verschwanden allmählich. Das Gemüse<br />
pflückten wir noch immer in umliegenden Gärten. Nensi und Branka besuchten die<br />
Verwundeten in der Nachbarschaft und wechselten ihre Verbände.<br />
04. 10. 1991<br />
Gestern Abend bekamen wir Schweinefleisch, das man gleich am frühen Morgen<br />
zum Mittagessen zubereitete. Die Angriffe begannen um 8 Uhr. Der Radiosender<br />
meldete, das die ganze Bewaffnung eingesetzt wurde. Auch die Infanterie versuchte<br />
einen Durchbruch von Negoslavci aus in Richtung Dudika. Unsere Verteidiger<br />
aber harrten aus. Der Radiosender meldete auch, daß viele Panzer bei Bogadnovci<br />
vernichtet wurden, aber daß unsere Streitkräfte den Weg nach Vinkovci doch nicht<br />
befreien konnten. Die Angriffe wurden heftiger und dauerten länger. Die Verteidiger<br />
leisteten der feindlichen Infanterie einen hartnäckigen Widerstand, aber dann kamen<br />
die Kampfflugzeuge. Auch heute wurden weitere Stellungen unerbittlich angegriffen.<br />
Ich bekam eine Nachricht von Dr. Bosanac, sie bat mich Sanitätsmaterial und<br />
Arzneimittel ins Krankenhaus zu schicken. Wir packten alles was wir noch spenden<br />
konnten ein und warteten auf eine günstige Gelegenheit, um diese Pakete einzuliefern.<br />
Dragan sollte es machen. Auch Dara Mandić kam zurück zur Arbeit. Jetzt waren wir<br />
sechs und die Arbeit wurde leichter.<br />
05. 10. 1991<br />
Die Lage in der Stadt war sehr schwer. Seit frühem Morgen wurde die Stadt von allen<br />
Seiten angegriffen, auch die Kampfflugzeuge wurden eingesetzt. Die Menschen waren<br />
auf der Suche nach Lebensmitteln und Wasser, wobei sie immer häufiger ihr Leben<br />
riskierten. Unsere Mitarbeitern Dinka kam vorbei, um ein bißchen Lebensmittel<br />
für sich, ihren Mann und zwei Kinder zu besorgen. Ich sagte ihr, sie könnte so<br />
viel Nahrung mitnehmen wieviel sie möchte. Wir hatten genug für drei Monate.<br />
Unsere Vorräte wurden nach bestimmten Speisekarten und dem durchschnittlichen<br />
Verbrauch der Einrichtung angeschafft. Unsere Einschätzungen basierten auf dem<br />
Bedarf von 110 Menschen, aber durch die Evakuierung von bettlägerigen Bewohnern<br />
und das Eintreffen der älteren Menschen aus der Nachbarschaft, waren es jetzt<br />
etwa 60 Personen im Keller. Die Lebensmittel waren kein Problem, nur Brot und<br />
Wasser fehlten. Marin Vidić-Bili, Beauftragter der Regierung der RH, erließ einen<br />
Aufruf über den Radiosender Vukovar an alle Menschen in Kroatien und Europa<br />
Vukovar und seinen Einwohnern, besonders Kindern, zu helfen. In Vukovar waren<br />
etwa 2000 Kinder, darunter auch Neugeborene. Das Krankenhaus war voll mit<br />
186
Verwundeten. Auch die Toten konnten nicht rechtzeitig begraben werden. Es fehlte<br />
an Sanitätsmaterial und Arzneimitteln. Aber keiner von uns hoffte mehr auf Hilfe.<br />
Der Radiosender meldete, daß der Feind einen neuen Nachschub über Šid bekam.<br />
Die Angst quälte uns alle. Die Ungewißheit und das Warten waren die schlimmsten<br />
Versuchungen. Wir hörten, daß viele Tschetniks nach Vukovar kommen, was<br />
bedeutete, daß keiner von uns überleben wird.<br />
06. 10. 1991<br />
Die Angriffe hörten seit gestern nicht auf. Am frühen Morgen wurden sie nur noch<br />
heftiger. Man setzte sogar die Kriegsmarine auf der Donau ein. Die Verteidiger wehrten<br />
feindliche Angriffe immer wieder ab. Wie sie ihre Stellungen deckten, das wissen<br />
nur sie. Wir versuchten den Überschuß an Arzneimittel und Sanitätsmaterial ins<br />
Krankenhaus zu schicken, aber erfolglos. Man konnte den Kopf aus dem Keller nicht<br />
herausstrecken. Um 10 Uhr kam mein Mann vorbei. Er führte eine Einsatzgruppe<br />
des Wasserwerks „Vodovod“ der Stadt Vukovar an. Er erzählte mir, daß unser Haus<br />
direkt getroffen würde. Ich entschied mich nach Hause zu gehen, um zu überprüfen,<br />
wie es Sandra geht und ob sie etwas braucht. Meine Entscheidung vertraute ich<br />
niemandem, da mich keiner gehen lassen würde. Aber wir alle, die ab und zu in die<br />
Stadt gingen, wußten schon die Gefahr einzuschätzen. Nur die Scharfschützen waren<br />
nicht voraussehbar. Es war eine Ewigkeit bis ich vor meinem Haus stand. Ich brauchte<br />
unter normalen Umständen etwa 10 Minuten zu Fuß, aber heute rannte ich die ganze<br />
Zeit um der Gefahr auszuweichen. Um mich herum knisterten die Granaten, aber<br />
da gab es nichts mehr, was zerstört werden konnte. In „Mitnica“ war fast alles dem<br />
Erdboden gleichgemacht. Als ich endlich mein Haus erreichte, stürzte ich mich in<br />
den Keller. Auf dem ersten Blick waren sie alle wohl auf. Da saßen 11 Menschen,<br />
sieben Erwachsenen (Mile Beronja, Eva Beronja, Zlatko Marić, Zdenka Marić,<br />
Ljubica Marić, Karlo Marić, Sandra Marić) und vier Kinder (Davor Marić, Vedran<br />
Marić, Melita Beronja und Anita Beronja). Ich suchte Sandra auf. Ich umarmte sie<br />
fest und fing an zu weinen. Ich konnte mir nicht verzeihen, Sandra nicht rechtzeitig<br />
aus Vukovar fortzuschicken. Aber ich wußte auch, sie würde es nicht tun, obwohl<br />
ich ihr eine Abreise vorgeschlagen hatte. Keiner von uns hätte sich träumen lassen,<br />
daß so etwas unserer Stadt passieren könnte, und besonders nicht durch die JNA.<br />
Ich verbrachte eine Stunde im Haus. Einige Geschosse trafen es direkt, aber das<br />
interessierte mich nicht. Ich bat Sandra den Keller nicht ohne einen guten Grund zu<br />
verlassen. Ich wußte, daß sie nicht auf mich hören werde, aber ich hoffte, sie würde<br />
sich in Acht nehmen. Sandra bat mich nur um ein bißchen Milchpulver wegen eines<br />
kleinen Kindes in der Nachbarschaft. Ich versprach etwas zu schicken, wenn sich die<br />
erste Gelegenheit anbietet. Ich nahm die gleiche Strecke zurück. Den ganzen Weg<br />
rannte ich und kam glücklich ans Ziel. An der Tür warteten auf mich Nensi, Dara<br />
187
und Vera. Ich darf nicht widerholen, was sie mir alles gesagt haben. Ich versuchte<br />
zu erklären, daß ich das tun mußte, aber ich konnte ihr Schimpfen nicht stoppen. Sie<br />
waren sehr erschreckt. Unsere Insassen waren beunruhigt, und es schien als ob sie<br />
nur auf mich hörten. Im Rückweg sah ich, daß das Gebäude des Altenheims fast ganz<br />
zerstört wurde. Es gab kein Wasser, Strom und Telefon.<br />
07. 10. 1991<br />
Schon um 7 Uhr feuerten die Mehrfachraketenwerfer ihre Geschosse ab und ihnen<br />
folgten auch die anderen Waffengattungen. Der Angriff dauerte bis 10 Uhr, und dann<br />
wurde es ein bißchen still. Ich benutzte diese Feuerpause, um Wasser zu holen. Unser<br />
Brunnen war noch immer nicht verschüttet. Glücklicherweise war auch unser Wagen<br />
noch intakt, und so konnten wir das Wasser vom Brunnen in Fässern holen. Mit dem<br />
Wagen gingen wir äußerst sparsam um, da wir mit dem Treibstoff schon am Ende waren,<br />
und die naheliegende Tankstelle schon lange außer Betrieb war. Vor der Tankstelle<br />
entstand ein großer Bombentrichter durch den Einschlag einer Flugzeugbombe (eine<br />
500 kg schwere „Sau“). Der Radiosender meldete, daß jeden Tag auf „Mitnica“ mehr als<br />
2000 verschiedene Geschosse fallen. Den Menschen wurde geraten, ihre Unterkünfte<br />
nicht zu verlassen, da das Krankenhaus keinen Platz für Verwundete mehr hatte.<br />
Gegenüber dem Altenheim trafen die Granaten Haus und Garage von Tomislav Beljo.<br />
Tomislav aß nichts schon seit zwei Tagen. Wir versuchten ihm zu erklären, das wären<br />
nur Sachen, aber dann sagte er, in der Garage hätte er einen neuen Wagen stehen. Ich<br />
zuckte, als ich das hörte. Schon seit geraumer Zeit hatten wir keinen Treibstoff und<br />
konnten das Brot nicht holen, aber er sagte uns niemals, daß er in der Garage einen<br />
neuen Wagen hätte. Das Materielle verlor schon seit langem für die meisten Menschen<br />
in Vukovar ihre Bedeutung, aber wir sind doch nicht alle gleich.<br />
08. 10. 1991<br />
Man hörte, daß wieder ein neuer Waffenstillstand unterzeichnet wurde, der für das<br />
Gebiet entlang der ganzen Front um Vukovar gelten sollte (Vukovar wurde schon<br />
einen ganzen Monat lang belagert), aber wir begruben jede Hoffnung schon seit<br />
langem. Nach diesen Waffenstillständen wurden die Überfälle nur noch schlimmer.<br />
Der Tag verlief ruhig, wenigstens in unserem Stadtteil. Auch die Insassen durften<br />
ein bißchen nach draußen gehen. Die Stimmung wurde heiterer. Sie konnten sich<br />
davon überzeugen, daß alles zerstört wurde und keine Versetzung in Frage kommt.<br />
Ich besuchte wieder meine Familie und brachte den Nachbarn Milchpulver. Die<br />
Menschen schlachteten gemeinsam das Vieh und teilten Fleisch und Brot unter<br />
sich. Das größte Problem war aber natürlich Wasser. Wenn das Gewehrfeuer eröffnet<br />
worden war, keiner konnte es holen. Ante Mihaljević und seine Männer besuchten<br />
188
oft mein Haus, wovon beide Seiten profitieren. Die Verteidiger bekamen eine warme<br />
Mahlzeit, und meine Familie fühlte sich sicherer. Um 7 Uhr abends informierte<br />
mich Branka Mažar, Krankenschwester, daß ihre Mutter Beba und sie das Altenheim<br />
verlassen werden, da ein Insasse ihre Mutter (eine Serbin) beleidigt hatte. Ich war<br />
darüber sehr überrascht, da die Mehrheit unserer Bewohner serbischer Nationalität<br />
war. Ich kannte den wahren Grund für ihre Entscheidung, aber ich konnte sie nicht<br />
verhindern zu gehen. Auch mir schien, daß „Mitnica“, besonders nachts, heftigste<br />
Schläge verpaßt bekommt, aber weil ich doch häufiger in der Stadt unterwegs war<br />
(auf der Suche nach Brot und Wasser), wußte ich, daß in der ganzen Stadt Hölle war.<br />
Ich konnte von niemandem mehr verlangen, zur Arbeit zu erscheinen. Man hatte<br />
auch kein Geld für Gehälter. Wieder waren wir nur vier mit 55 Insassen im Keller.<br />
Eine Krankenschwester und uns drei, die sogar keine Arbeitsstelle und keinen Titel<br />
mehr hatten und nur den Wunsch hegten, diesen Menschen im Rahmen unserer<br />
Möglichkeiten zu helfen. Wir alle teilten dasselbe Schicksal. Daß ein Unglück selten<br />
allein kommt, konnten wir uns schon zahlreiche Male während der Belagerung<br />
überzeugen. Die ganze Nacht regnete es und wir mußten die ganze Zeit wegen der<br />
Risse in der Decke Wache halten. Die im Speisezimmer gelegten Nylons konnten<br />
diesen Wasserstrom nicht stoppen. Uns halfen auch einige Insassen, vor allem Zvonko<br />
Šibalić und Bartol Falamić, der sowieso meine rechte Hand war.<br />
09. 10. 1991<br />
Da es die ganze vorhergehende Nacht regnete, wurden auch die Angriffe schwächer.<br />
Die Schützlinge schliefen nach dem Frühstück ein. Währenddesen räumten wir den<br />
Schutt im Speisezimmer auf. Der Stab des Zivilschutzes gab uns statt Nylon zwei<br />
Rollen des Teerpapiers als Abdichtung gegen Feuchtigkeit. Wir wußten nicht einmal,<br />
was wir zuerst machen sollten. Das ganze Dach war eingestürzt. Darunter war das<br />
Speisezimmer voll mit Schutz und Baumaterial. In der Mitte des Zimmers war ein<br />
großes Loch. Der Fußboden war zerstört und verbeult. Wir legten das Teerpapier<br />
darüber und befestigten ihn mit Baumaterial. Der Schutt wurde weggebracht. Danach<br />
bereiteten wir das Mittagessen zu. Nensi mußte in der Zwischenzeit Kata Filipović<br />
ein Katheter einführen, da sie sich nicht mehr bewegen konnte.<br />
Alle Medikamente, Betäubungsmittel und Sanitätsmaterial schickten wir<br />
ins Krankenhaus. Uns blieb nur das Notwendigste. Nensi besuchte auch alle<br />
verwundeten Verteidiger in der Nachbarschaft und wechselte ihre Verbände. Trotz<br />
des unterzeichneten Waffenstillstands erfolgte der neue Angriff schon um 11 Uhr.<br />
Der Angriff dauerte die ganze Nacht bis zum Morgengrauen an.<br />
189
10. 10. 1991<br />
Der Radiosender berichtete, daß der heftigste Angriff in der 49 Tage der Belagerung<br />
um 4 Uhr anfangen sollte. Die beiden Seiten beschuldigten sich gegenseitig für den<br />
Bruch der Feuereinstellung, was uns aber ganz egal war. Die Granaten fielen auf uns.<br />
Die heftigen Überfälle der Infanterie von Negoslavci und in Trpinjska Straße wurden<br />
alle zurückgewiesen. Man meldete, daß die Trpinjska Straße zu einem Panzerfriedhof<br />
wurde. Das Arbeiterheim in Vukovar brannte völlig nieder. Wir freuten uns, daß die<br />
Verteidiger noch imstande waren, Widerstand zu leisten. Es gab etwa 50 Verwundete<br />
und 9 Gefallene, meldete der Radiosender. Der Feind aber erlitt viel höhere Verluste.<br />
Ein Hilfskonvoi mit Lebens- und Arzneimitteln wurde erwartet, und man verlangte<br />
wieder, eine Evakuierung der Schwerverwundeten aus dem Krankenhaus zu<br />
organisieren. Uns war allen klar, daß die ganze Sache nur der gute Wille eines JNA-<br />
Offiziers oder eines höheren Befehlshaber entscheiden wird.<br />
11. 10. 1991<br />
Der Morgen verlief ruhig. Ein dichter Nebel hüllte die Stadt ein. Man hörte den Lärm<br />
der Panzer bei Novo groblje (Neuer Friedhof), in Ovčara und in der Kaserne. Der<br />
Feind bekam neue Verstärkungen aus Šid. Um 10 Uhr versammelte ich alle Insassen<br />
um Nachrichten zu hören. Die größte Überraschung für sie war die Tatsache, daß<br />
viele Menschen keine Nahrung und Wasser haben. Mir schien es, daß sie endlich<br />
begriffen haben, daß es vielen Menschen schlechter geht als ihnen. Jeden Tag<br />
bekommen sie drei Mahlzeiten, davon eine warme, auch Wasser haben sie genug<br />
und für diese Umstände auch eine ordentliche Unterkunft. Sie mußten sich nicht<br />
wie die meisten Stadteinwohner einer Gefahr auf der Suche nach Lebensmitteln und<br />
Wasser aussetzen. Nachdem sie die Nachrichten gehört hatten, wurden sie ruhig, und<br />
sagten den ganzen Tag kein Wort. Um 13 Uhr erfolgte ein neuer Angriff. Auf manche<br />
Stadtteile fielen über 2000 Geschosse. Die Ruhe kehrte um Mitternacht zurück.<br />
Vielleicht war auch der Feind müde geworden. Wir verbrauchten das ganze Wasser,<br />
und morgen sollte man neues holen gehen.<br />
12. 10. 1991<br />
Der Radiosender meldete, der Hilfskonvoi mit Lebensmitteln und Medikamenten<br />
würde nach Đakovo und Osijek zurückgeschickt. Der Angriff begann um 5 Uhr<br />
morgens. Eine starke Explosion erschallte über unsere Köpfe. Wir dachten, es wird<br />
alles auf uns einstürzen. Wir stopften unsere Ohren in Erwartung neuer Explosionen.<br />
Gleich nachdem die Stille angetreten war, ging ich hinaus, um den Schaden zu<br />
überprüfen. Wie ich es auch vermutete, fiel ein starkes Geschoss in die Mitte der<br />
190
Küche, aber glücklicherweise durchschlug es den Boden nicht. Sofort holte man<br />
Wasser. Bis zu neuem Angriff konnten wir nur vier Eimer bringen, da wir keinen<br />
Treibstoff mehr hatten und die Eimer selbst tragen mußten. Wir haben auch keine<br />
Trockenhefe mehr um den Teig (Fladen statt Brot) zu kneten. Auch das letzte Fleisch<br />
wurde gegessen. Oma Kata Filipović und Jovo Vukomanović waren im kritischen<br />
Zustand.<br />
13. 10. 1991<br />
Seit 15 Tagen war Vukovar total blockiert. Der Radiosender meldete, daß der<br />
Hilfskonvoi wieder versuchen werde, Vukovar zu erreichen. Man sprach auch über<br />
eine Evakuierung von Frauen und Kindern, worauf ich sofort an unsere Insassen<br />
dachte. Ich durfte diese Möglichkeit aber nicht erwähnen: ich glaubte nicht, das<br />
eine solche Evakuierung ohne der Befreiung des Weges nach Marinci und Vinkovci<br />
stattfinden konnte. Ich wollte sie nicht beunruhigen. Nachdem das Frühstück<br />
verteilt worden war, ging ich zu einem Nachbarhaus, um Trockenhefe zu suchen.<br />
Wir verbrauchten sie, als wir draußen in Glut einige Male Brot und Fladen gebacken<br />
hatten. In einem zerstörten Haus fand ich drei Beutel Trockenhefe. Gerade als ich<br />
zurück wollte, hörte ich männliche Stimmen. Ein Mann sagte: „Sie ist irgendwo<br />
hier, ich sah sie ins Haus reingehen.“ Ich stand still und wartete. Da tauchten drei<br />
bewaffnete Männer auf und einer von ihnen fragte mit ziemlich streng: „Was machst<br />
du hier?“ Ich antwortete, daß ich auf der Suche nach Trockenhefe und Backpulver<br />
bin, weil im Altenheim, wo ich arbeite, 60 alte Menschen mit selbstgemachtem Brot<br />
zu versorgen seien. Er forderte mich auf, die Innenseite meiner Taschen nach außen<br />
zu kehren, was ich auch getan habe. Darauf sagte er: „Du könntest getötet werden,<br />
viele plündern die Häuser aus und bringen die Wertsachen fort. Es wäre besser, wenn<br />
du nicht in fremde Häuser reingehen würdest. Die anderen werden zuerst schießen<br />
und erst dann Fragen stellen.“ Ich blieb stumm und kehrte zurück ins Altenheim. Im<br />
Vorbeigehen sah ich in der Garage des Hauses Komšić gegenüber dem Altenheim<br />
einen mit Holz und Kohle beheizbaren Kochherd. Gleich danach bat ich Milenko<br />
und Franjo, diesen Herd im Keller aufzustellen. Sie gingen gegenüber und nach einer<br />
kurzen Zeit brachten sie den Kochherd mit. Der Herd war in einem guten Zustand.<br />
Wir bauten ihn im Keller auf und machten Feuer. Alle atmeten auf. Ich wußte, daß<br />
unsere Mahlzeiten jetzt ungehindert zubereitet werden konnten. Und es wurde uns<br />
auch wärmer.<br />
Schon um 10 Uhr fing ein neuer Angriff an.<br />
191
14. 10. 1991<br />
Endlich wurde nach zwei Wochen Brot gebacken. Es war sehr schmackhaft, aber<br />
wir wollten nicht übertreiben. Jeder bekam eine Brotscheibe zum Mittagessen. Das<br />
Abendessen und Frühstück bestanden auch weiterhin aus Keksen und Nudeln. Es<br />
gab noch genug Fleischkonserven, Mehl, Öl, Zucker, Tee und Kekse.<br />
Der Hilfskonvoi mit Nahrung und Arzneimitteln mußte die Kaserne verlassen und<br />
nach Vinkovci zurückkehren. Die Jugo-Armee wollte die Gelegenheit nutzen und<br />
plante einen Durchbruch in das Stadtzentrum. Unsere Verteidiger lehnten entschieden<br />
eine solche Möglichkeit ab, wofür sie auch einen hohen Preis zu bezahlen bereit waren:<br />
Hungertod. Zu uns kamen immer häufiger die Menschen aus der Nachbarschaft. Wir<br />
schenkten alles was wir hatten.<br />
Nachdem der Hilfskonvoi wieder zurückgeschickt worden war, brach über die Stadt<br />
neue Hölle aus. Ich wußte nicht, was noch in dieser Stadt zerstört werden konnte.<br />
Überall waren nur Trümmer. Nur der feste Wille der Verteidiger, sich nicht so leicht<br />
dem Feind zu ergeben, war ein harter Schild, den der Feind nicht brechen konnte.<br />
Die Tatsache war, daß sie alle nur noch ihr eigenes Leben verlieren konnten. Aber<br />
Leben und Tod standen hier so dicht nebeneinander, daß man nicht wußte, wo das<br />
Leben endet und der Tod beginnt. Während eines neuen Granatangriffs meldete<br />
der Radiosender, daß die Verteidiger noch immer ihre Stellungen halten und sich<br />
gegenseitig helfen. Zwischen zwei Nachrichtensendungen spielte die Musik von Oliver<br />
Dragojević. Wir alle hörten zu und trotz des Donners der Explosionen genossen wir<br />
alle diesen Moment. Seine Stimme und die Stimme von Siniša Glavašević gaben uns<br />
einen kleinen Hoffnungsstrahl und Kraft zum Aushalten.<br />
Am heutigen Tag im Jahr 1967. heiratete ich in Vukovar. Gott, als ob es gestern war.<br />
Wird jemand von uns in Vukovar überleben? Die Lage verschlimmerte sich jeden<br />
Augenblick.<br />
15. 10. 1991<br />
Die ganze Nacht wurde geschossen. Erst am Morgen beruhigte sich die Situation. Ich<br />
ging nach draußen, um etwas Gemüse in umliegenden Gärten zu pflücken. Ich fand<br />
Weißkohl und traf einen Nachbar, bei dem wir sonst Wasser holten. Vorige Nacht<br />
verschüttete eine Granate seinen Keller. Er brauchte die ganze Nacht, um aus dem<br />
Keller die Erde hinauszutragen und seine Tochter und seinen Schwiegersohn mit<br />
dem kleinen Kind zu retten. Der Brunnen wurde auch verschüttet. Ich lud ihn zu<br />
uns ins Altenheim ein, obwohl Platzmangel herrschte, aber man würde sich schon<br />
zurechtfinden. Er sagte aber, daß die ganze Familie schon in ein Nachbarhaus mit<br />
einem gutgebauten Keller eingezogen sei. Der Tag war wunderschön, sonnig und mit<br />
192
einem so heiteren und blauen Himmel, daß man es nicht glauben konnte, daß hier<br />
ein Krieg geführt wird.<br />
In einem Weingarten pflückte ich einige Weintrauben für Kinder. Um 10 Uhr wurde<br />
das Gewehrfeuer, fast wie vereinbart, eröffnet. Der Radiosender warnte die Menschen<br />
davor, die Schutzkeller zu verlassen. Nur unsere Verteidiger waren ständig in Eile.<br />
Sie versuchten überall zu sein, und zu verteidigen was noch zu verteidigen war. Wir<br />
andere haben fast jede Verbindung mit der Außenwelt verloren. Für uns gab es keinen<br />
Unterschied mehr zwischen Tag und Nacht.<br />
16. 10. 1991<br />
Ein heftiger Angriff begann schon um 8 Uhr. Wir konnten zwei Fässer Wasser vom<br />
Brunnen bringen. Vor dem Mittagessen um 11,30 Uhr wurde unser einzige Eingang<br />
in den Keller getroffen. Das Dach und die Wände stürzten vor der Tür und blockierten<br />
uns von draußen. Wir konnten nichts tun, bis der Angriff vorbei war. Eine Oma,<br />
die sich neben der Tür aufhielt, wurde leicht am Arm verletzt. Ich dachte, heute<br />
werden wir alle sterben. Die Bomben trafen alles. Hilfe kam nicht und die Vorräte<br />
an Waffen und Munition wurden immer kleiner. Der Feind beschoß Vukovar aus<br />
einer sicheren Entfernung. Ich wußte nicht, wie lange das Ganze noch dauern und ob<br />
jemand überleben wird? Was für Menschen waren das, die so unerbittlich eine Stadt<br />
und ihre Einwohner zu vernichten versuchen? Welche Sünden haben wir begangen,<br />
um eine solche Strafe zu verdienen? Wir beteten für alle, die ihr Leben verloren<br />
werden, damit sie vor Gott reines Herzens treten könnten. Keine Feuereinstellung<br />
wurde respektiert. Dem Feind war nichts heilig, auch das Vukovarer Krankenhaus<br />
nicht. Jetzt wußten wir, daß auch wenn wir überleben, werden wir alle Erinnerungen<br />
an unsere Vergangenheit verlieren. Alles wurde zerstört und die Verbrecher werden<br />
nicht aufhören, bis sie das Leben des letzten Einwohners auslöschen. Wenn wir nur<br />
Verstärkung in Männern und Waffen kriegen würden, wäre alles leichter. Aber keine<br />
Hilfe kam.<br />
Nach vier Tagen im Koma starb Jovan Vukomanović.<br />
17. 10. 1991<br />
Spät am Abend kam Dragan. Unsere Freude darüber, daß er lebte, war groß. Er<br />
brachte für Veras Kinder, Bojan und Tibor, Süßigkeiten, aber auch eine traurige<br />
Nachricht. Gestern fiel Blago Zadro, Führer und Stratege der Verteidigung in der<br />
Trpinjska Straße.<br />
Er konnte nicht lange bleiben, da das Gewehrfeuer die ganze Nacht nicht aufhörte.<br />
Als er gegangen war, überfiel uns eine noch intensivere Ungewißheit. Blago war nicht<br />
193
nur ein Symbol der Verteidigung, sondern auch ein Mann,<br />
der von uns allen geliebt und respektiert wurde, sogar von<br />
dem Feind. Die ganze Situation wird nur noch schwerer<br />
ohne ihn.<br />
Das Gewehrfeuer wurde auch tagsüber fortgesetzt. Ohne<br />
Rücksicht auf die Gefahr, haben wir den Eingang sauber<br />
gemacht und Schutt weggebracht, damit man aus dem<br />
Keller hinausgehen konnte. Man brachte Jovan in die<br />
Leichenhalle.<br />
Tagsüber regnete es stark. Das Wasser drang durch die<br />
Eingangstür in den Keller ein, da es kein Dach mehr<br />
gab. Wir mußten es wieder bekämpfen. Die Explosionen<br />
Blago Zadro<br />
störten uns nicht mehr. Der Existenzkampf war stärker als<br />
alles andere. Mann hielt in Freud und Leid zusammen, sagten die alten Menschen.<br />
Man sammelte genug Regenwasser für andere Bedürfnisse, was bedeutete, daß uns<br />
mehr Trinkwasser übrigblieb.<br />
Ich hörte, daß man in der Ortsgemeinschaft Mitnica Brot bekommen könnte.<br />
Aber als ich da ankam, war da nur noch eine kleine Menge vorhanden, und auch<br />
sie war schon verteilt. Auf dem Rückweg bemerkte ich Leute, die den Treibstoff auf<br />
der Tankstelle in der Nähe unseres Altenheims durch eine Pumpe schöpften. Ich<br />
bat sie um ein bißchen Treibstoff für unseren Kombiwagen, und Gott sei Dank, sie<br />
gaben mir etwa zehn Liter. Mein Mann schaute kurz vorbei und überbrachte mir die<br />
Nachricht, daß in der Grundschule „Vladimir Nazor“ eine Einheit des Zivilschutzes<br />
wirke. Ich könnte sie bitten unser Dach über den Kellereingang zu reparieren, um<br />
dem Wasser den Durchgang zu verstopfen. Ich bat ihn, das Kommunalunternehmen<br />
„Komunalac“ darüber zu informieren, daß wir einen Toten haben und man sollte<br />
ihn abholen kommen. Dann ging ich zur Schule. Als man mich sah, konnte niemand<br />
glauben, daß ich mit einem Wagen unterwegs war. Wegen des Daches sagte man<br />
mir, daß man so viele Anrufe kriege, daß man wahrscheinlich nicht schaffen werde,<br />
uns zu helfen. Keiner vermutete, daß im Altenheim nur vier Frauen arbeiteten. Man<br />
riet mir, selbst das Dach zu reparieren. Wir haben Brot gebacken. Ein Stück Teig<br />
ließen wir als Hefe für den nächsten Tag. Wir hatten keine Trockenhefe und kein<br />
Backpulver. Der Radiosender meldete, daß die Verteidiger alle Angriffe der Infanterie<br />
erfolgreich zurückgewiesen hätten.<br />
18. 10. 1991<br />
Während einer kurzen Feuerpause konnten wir Trinkwasser bringen. Es war kalt<br />
geworden. Die Lagerräume für Lebensmittel räumten wir auf und machten Platz<br />
194
für Insassen, die sonst im Flur auf Matratzen gelegen haben. Diese Räume hatten<br />
keine Fenster und keine Lüftung, aber es war immerhin wärmer als im Flur.<br />
Dankbare Blicke dieser alten Menschen waren der Preis genug. Der Morgen roch<br />
nach Brand. Viele Häuser brannten. Der Feind würde während der Nacht Phosphorund<br />
Napalmbomben abfeuern, meldete der Radiosender. Schwere Kämpfe wurden<br />
seit Morgendämmerung in Lužac geführt. Einige Offiziere der JNA wurden sogar<br />
gefangengenommen sowie Waffen und Munition und ein Kriegsplan unter<br />
winterlichen Umständen beschlagnahmt. Während der Nacht wurde Lužac von<br />
Tschetniks gesäubert und unsere Verteidiger befestigten ihre Stellungen.<br />
Am Nachmittag starb Vlajko Petković. Da sein Sohn genau gegenüber dem Altenheim<br />
wohnte, baten wir ihn seinen Vater zu begraben. Als ob sich der Himmel aufgetan<br />
hat, regnete es die ganze Nacht. Wir konnten uns nicht entscheiden, welches Loch<br />
zuerst gestopft werden sollte, um den Eindrang des Wassers zu stoppen. Im Raum,<br />
in welchem die Mehrzahl der Insassen weilte, mußten wir wieder das Wasser von<br />
der Decke sammeln. Unter der Eingangstür rauschte ein Bach. Man mußte Wache<br />
halten und das gesammelte Wasser in die Toilette ausschütten. Wenn nur dieses<br />
Gewehrfeuer aufgehört hätte, könnten wir das Dach vor dem Eingang reparieren.<br />
Vier Fässer füllten wir mit Wasser an. Ein Faß hat man durch eine Gaze filtriert und<br />
mit Izosan desinfiziert. Nach zwei oder drei Tagen konnte man dieses Wasser trinken.<br />
Das Wasser holten wir von unserem Nachbar.<br />
19. 10. 1991<br />
Es regnete den ganzen Tag. Das Gewehrfeuer war nicht so intensiv wie sonst, und<br />
so konnten wir für die Insassen die neue Kleidung aus den Abteilungen „A“ und<br />
„B“ holen. Man gab ihnen auch alle Decken, die wir zur Verfügung hatten, da es<br />
keine Heizung gab. Der Kochherd war nicht stark genug, um den ganzen Raum<br />
zu erwärmen. Wir mußten allmählich auch mit Holz sparsam umgehen. Nach der<br />
Essenzubereitung löschte man den Herd. Niemand konnte voraussagen, wie lange<br />
der Krieg dauern wird, und auch der Feind wußte es offensichtlich nicht, wie es aus<br />
beschlagnahmten Plänen hervorging. Als uns Josip Budimir besuchte, bat ich ihn<br />
das Dach über den Eingang zu reparieren. Er schlug mir vor, zum alten Hafenamt<br />
zu gehen und dem Stab des Zivilschutzes erklären, worum es geht. Obwohl sich das<br />
Hafenamt gegenüber dem Krankenhaus befand und ich durch die ganze Stadt fahren<br />
mußte, hatte ich keine Wahl. Dragan fuhr mich mit Jugo. Wegen der schnellen Fahrt,<br />
Granaten, Scharfschützen und vieler anderen Sachen, konnte ich von der Stadt fast<br />
nichts sehen, ich wußte nur, daß wegen des Schutts im Stadtzentrum eine weitere<br />
Fahrt fast unmöglich war. Vera bat mich für ihre Mutter und Schwester, die sich im<br />
Keller eines Wohngebäudes in der unmittelbaren Nähe des Hafenamts versteckten,<br />
195
ein bißchen Nahrung mitzunehmen. Dragan und ich gingen zum Gebäude, das sich<br />
genau am Ufer befand. Da warteten schon die Scharfschützen auf uns, aber nichts<br />
passierte. Veras Mutter und Schwester waren wohl auf. Im Hafenamt wurde mir aber<br />
keine Hilfe versprochen. Man riet mir, wieder zur Schule „Vladimir Nazor“ zu gehen<br />
und zu sehen was zu machen wäre. Aber als ich wieder da eintraf, bemerkte ich, daß<br />
auch das Schuldach getroffen wurde und der Zivilschutz hier genug zu tun hatte.<br />
Trotzdem versprach mir Herr Menges, daß jemand kommt, sobald es möglich sei.<br />
Auf dem Rückweg sah ich die Leiche von Petković auf dem Feld in der Nähe des<br />
Altenheims liegen. Die Leiche war in Betttücher eingewickelt. Vermutlich versuchte<br />
sein Sohn ihn über die Straße zu tragen, um ihn im Hof seines Hauses zu begraben,<br />
aber in der Zwischenzeit begann man wieder zu schießen, und er mußte ihn liegen<br />
lassen. Es wurde auch um uns herum geschossen, aber Gott sei Dank, wir kehrten<br />
unverletzt zurück.<br />
20. 10. 1991<br />
Der Regen floß in Strömen. Das Gewehrfeuer wurde stiller. Josip Budimir kam mit<br />
Milenko, Dragan, Franjo und Beljo am frühen Morgen und versprach das Dach bis<br />
zum Abend zu reparieren. Sie gaben sich alle viele Mühe und arbeiteten während<br />
es regnete. Dazu kamen auch die Granaten. Wir hatten ständig Angst, daß jemand<br />
verletzt wird. Wir lauschten der Bahn der Geschosse und rannten immer wieder in<br />
den Keller hinein, um dann wieder auf das Dach zu steigen.<br />
Da wir die Batterien sparen wollten, einige Tage hörten wir das Radio nicht. Ich<br />
schaltete es ein, nachdem das Dach repariert worden war. Es meldete, daß der<br />
Hilfskonvoi mit Verwundeten Đakovo erreichte. Das bedeutete auch, daß das<br />
Krankenhaus Medikamente bekam und die Schwerverwundeten evakuiert wurden.<br />
Ich erzählte diese Nachricht gleich weiter. Alle waren begeistert und klatschten.<br />
Während der Evakuierung der Verwundeten konnte sich der Feind umgruppieren,<br />
was bedeutete, daß noch heftigere Angriffe zu erwarten waren. Josip Budimir zog<br />
sich um und erst spät am Abend ging er zu seiner Stellung. Den ganzen Tag aß er<br />
nichts, und wollte auch kein Abendessen. Ich war sehr besorgt um ihn. Er wußte, daß<br />
man ihn dort mehr brauchte. Der Sohn von Petković konnte endlich seinen Vater<br />
nach Hause tragen und begraben.<br />
21. 10. 1991<br />
Die Schützlinge wurden in einen größeren Raum, wo Brennholz gelagert wurde,<br />
verlegt und man wechselte feuchte Matratzen aus. Auch entlang des Flures wurde ein<br />
Draht gespannt um nasse Kleidung und Bettdecken zu trocknen. Die Insassen waren<br />
196
in Großen und Ganzen wohl auf. Das Gewehrfeuer hörte für eine kurze Zeit auf und<br />
so räumten wir den Schutt in der Küche und im Speisezimmer auf. Das Stromwerk<br />
„Elektroslavo nija“ legte uns ein Stromkabel an. Man riet uns ein Faß mit Treibstoff<br />
anzuschaffen und zur Veterinärstation zu bringen, wo sich ein Aggregat befand.<br />
So könnten wir 2 bis 3 Stunden täglich Strom bekommen. Das Heizöl verschafften<br />
wir im Hafenamt und Milenko und Dragan brachten es zur Veterinärstation. Den<br />
übriggebliebenen Schutt und das Baumaterial am Eingang warfen wir hinaus. Wir<br />
freuten uns über den Strom, da wir alle schon nach dem Ampelrauch rochen.<br />
Tagsüber fielen einige Geschosse auf das Stadtzentrum und in Mitnica. Im Vergleich<br />
mit vorhergehenden Tagen war das Gewehrfeuer nicht so intensiv und so konnte<br />
man viel Arbeit erledigen.<br />
22. 10. 1991<br />
Der Regen hörte nicht auf. Die ganze Nacht mußten wir wach bleiben und das Wasser<br />
von der Decke des Raumes unter dem Speisezimmer abwischen. Die Angriffe dauerten<br />
die ganze Nacht. Eine Explosion schlug die Metalltür des Raumes, in welchem sich<br />
die Mehrzahl der Insassen befand, aus. Die Splitter des Geschosses bohrten sich in<br />
Matratzen hinein, aber wie ein Wunder, niemand wurde verletzt. Gott sei Dank. Falls<br />
jemand verwundet wäre, ich wußte nicht, was wir dann tun sollten, das Krankenhaus<br />
war unerreichbar und die Arzneimittel neigten sich dem Ende zu. Und im Krankenhaus<br />
hätten doch Verteidiger und Kinder Vorrang. Neža Savić war im Koma, und Oma<br />
Neža erkrankte schwer an Diabetes. Nensi unternahm alles was nötig war. Auch Oma<br />
Kata Filipović ging es immer schlechter. Das Kommunalunternehmen holte die Leiche<br />
von Jovo Vukomanović schon vor 8 Uhr. Das Gewehrfeuer war nicht so stark. Der<br />
Radiosender meldete, daß in der Nacht mehr als 1000 Geschosse auf Vukovar fielen.<br />
Die Insassen wurden unruhig und wollten nach draußen gehen, was ich ihnen streng<br />
verbot, da man nicht voraussehen konnte, wann wieder heftig geschossen wird.<br />
Um 9 Uhr rannte ein Nachbar in den Keller hinein. Er schrie, daß jemand im oberen<br />
Stockwerk Hilfe ruft. Nensi und ich rannten gleich hinauf. Die Hilferufe kamen aus der<br />
Abteilung „B“. Ein neuer Angriff hat genau in diesem Moment angefangen. In einem<br />
Zimmer in der Mitte der Abteilung fanden wir Bartol Falamić. Er lag in Trümmern,<br />
und als er uns sah, sagte er nur kurz: „Ich bin fertig. Meine Beine.“ Nensi ging in den<br />
Keller zurück, um Hilfe zu holen, und ich versuchte eine Decke zu finden um ihn<br />
einzuwickeln. Er wiederholte immer wieder: „Meine Beine“. Wir zwei konnten ihn<br />
nicht über diese Trümmer tragen. Nensi kam zurück mit Zvonko und wir legten Bartol<br />
auf die Decke. Ein Ende hielten Nensi und ich, und das andere hielt Zvonko. Wir<br />
bewegten uns entlang noch heilen Wänden, um die Geschosse, die überall sprudelten,<br />
leichter zu vermeiden. Wir konnten uns nur langsam vorwärts bewegen, da Bartol<br />
197
von Schmerzen schrie und der Schutt war auch gewaltig. Nach einer Ewigkeit, so<br />
schien es mir wenigstens, erreichten wir den Keller. Wir legten ihn auf den Fußboden<br />
in der Wäschekammer. Nensi untersuchte ihn und stellte fest, daß seine beiden<br />
Beine fast zerschmettert waren. Sie gab ihm eine Spritze mit Beruhigungsmittel. Wir<br />
konnten nichts anderes tun. Gleich danach schlief er ein, und obwohl wir den Wagen<br />
sofort vorbereiteten, um ihn zum Krankenhaus zu fahren, mußten wir warten, bis<br />
das Gewehrfeuer aufhört, und Bartol starb. Man vermutete, daß er auch innere<br />
Verletzungen hatte. Ich sah sein blasses ruhiges Gesicht und die Tränen rollten mir<br />
über die Wangen. Das Zentrum für Sozialarbeit bezahlte den ganzen Betrag seines<br />
Aufenthalts im Altenheim, d.h. er war ein „reiner Sozialhilfeempfänger“, sehr nett und<br />
ich mochte ihn sehr gern. Er war mir eine große Hilfe und meine rechte Hand, und<br />
bei der Anschaffung von Lebensmitteln, beim Müllaustragen, beim Kochen und beim<br />
Holzhacken immer da. Sonst war er eher klein und knochig, und jetzt erschien er mir<br />
noch kleiner. In der letzten zwei oder drei Tagen sagte er häufig: „Frau Direktorin,<br />
wir werden hier nicht lebend herauskommen.“ Als ob er sein Ende vorausahnte.<br />
Ich hatte keine Zeit, um ihn zu fragen, was er da oben suchte, als das Gewehrfeuer<br />
angefangen hatte, aber ich vermutete, er suchte Zigaretten oder Tabak. Schon seit<br />
langem gab es keine Zigaretten und für Raucher war es unerträglich. Das Unglück<br />
fühlte man überall: Gewehrfeuer, Zerstörungen, Regen, Mangel an Arzneien und<br />
Lebensmittel, und auch der Tod war immer gegenwärtiger. Am Nachmittag wurde<br />
der Angriff noch heftiger. Wir alle zogen uns in die sicherste Ecke des Kellers zurück<br />
und warteten. Die alltägliche Arbeit wie Geschirrspülung und Essenzubereitung<br />
erledigten wir rechtzeitig. Es wäre leichter, wenn man schlafen könnte. Bei einem<br />
solchen Geschützfeuer aber, war das unmöglich. Bis 4 Uhr morgens wollte es nicht<br />
aufhören. Ich nickte ein bißchen ein, wie auch alle anderen, aber dann weckte uns ein<br />
neuer höllischer Morgen auf.<br />
23. 10. 1991<br />
Ich stand um 7 Uhr auf. Während das Frühstück zubereitet, bzw. der Teig geknetet<br />
wurde (wofür Vera und Dara zuständig waren), ging ich in unsere Wäschekammer,<br />
um die Nachrichten im Radio zu hören. Nensi kam gleich nach, um saubere<br />
Betttücher aus einem kleinen Handlager zu nehmen. In diesem Raum waren auch<br />
die Arzneimittel gelagert, da er als einziger Raum ständig beaufsichtigt werden<br />
konnte, um die Insassen zu verhindern, daß sie allein die Medikamente nehmen.<br />
Ich beobachtete wie Nensi versuchte, die Tür zu öffnen, aber es ging nicht. Wir baten<br />
einige Insassen um Hilfe. Nachdem man ein bißchen Tür nach oben gestoßen hatte,<br />
konnte man sie zur Seite schieben. Dann sahen wir den Grund, warum die Tür nicht<br />
aufgehen wollte. Der Raum war bis zur Hälfte mit Erde gefüllt. Die Regale wurden<br />
abgerissen und die Arzneimittel und saubere Wäsche ragten aus der Erde hervor. Ein<br />
198
oder zwei Geschosse schlugen in den Raum ein und füllten ihn mit fast 3 Kubikmeter<br />
Erde. Ein großes Loch klaftete in der Wand, unter dem Fenster und im Fenster selbst.<br />
Die Betttücher, die auf der Erde lagen, sammelten wir gleich. Nach dem Frühstück<br />
versuchten wir so viele Medikamente und Sanitätsmaterial wie möglich auszugraben.<br />
Glücklicherweise hat Nensi unsere kleine Menge an Betäubungsmittel in die<br />
Lagerstätte des Kessels für Zentralheizung hinterlegt. Wer weiß, ob man sie in diesem<br />
Durcheinander finden würde. Wir bewahrten sie sehr vorsichtig für Fälle wie Bartol<br />
auf. Den ganzen Vormittag gruben wir die Erde um, um möglichst viele Arzneien<br />
zu retten. Um Mittag kam Dragan, den ich bat, mich ins Krankenhaus zu fahren,<br />
um mit Dr. Bosanac über die Möglichkeit der Unterbringung unserer Insassen im<br />
Krankenhaus zu sprechen. Als ich aber den Keller des Krankenhauses betrat, wurde<br />
mir gleich klar, ich konnte mir diesen Besuch sparen. Obwohl dieser Keller sicherer<br />
war als unsere Streichholzschachtel im Altenheim, habe ich hier nichts verloren. Ich<br />
ging weg, ohne überhaupt zu versuchen, mit Dr. Bosanac zu sprechen. Während<br />
der Rückfahrt hielten wir bei der Stadtgemeinde auf, um zu überprüfen, ob es in<br />
irgendeinem Atomschutzkeller in der Stadt noch Platz gab. Herr Marin Vidić erklärte<br />
mir, daß alles voll sei und alle Plätze besetzt, aber ich könnte, wenn ich schon da sei,<br />
die Gehälter der Mitarbeiter des Altenheims übernehmen. Was für eine Ironie, die<br />
Gehälter waren da. Während ich weg war, kam das Fleisch von der Ortsgemeinschaft.<br />
Es regnete nicht mehr, aber es war sehr kalt.<br />
24. 10. 1991<br />
Das Gewehrfeuer begann schon um 9 Uhr. Bis zu diesem Zeitpunkt holten wir schon<br />
die Fladen von VUPIK ab und sparten so die Hefe für den nächsten Tag. Die Fladen<br />
waren ziemlich hart. Wir mußten sie im Wasser einweichen und auf Öl braten, um<br />
sie weich zu kriegen. Zum Abendessen bekam man Panadesuppe und Tee, wozu wir<br />
Fladen benutzten. Nach einer sehr langen Zeit kam Strom um 17 und verschwand<br />
um 21 Uhr. Alle lebten ein bißchen auf. Wir konnten uns sogar die Nachrichten im<br />
Fernsehen anschauen. Aber auch jede so kleine Freude konnte nicht lange dauern.<br />
Am Nachmittag fing wieder Regen an.<br />
25. 10. 1991<br />
Kata Filipović starb. Franjo und Dragan brachten vom Kombinat „Bo rovo“ warme<br />
Kleidung für uns und die Insassen mit. Der Angriff begann um 10 Uhr. Ich habe auch<br />
in einem naheliegenden Garten ein bißchen Kartoffeln als Abwechslung gefunden.<br />
Meine Mitarbeiterinnen bereiteten schon Frühstück und Mittagessen zu. Ich<br />
überprüfte unsere Vorräte an Lebensmitteln. Wir hatten genug Bohnen, Mehl und<br />
Öl sowie Fleischkonserven. Unter dem Speisezimmer, im Raum wo die Mehrzahl der<br />
199
Menschen untergebracht wurde, sickert das Wasser ununterbrochen. Wir mußten<br />
es ständig sammeln, und jetzt gab es Regenwasser im Überfluß. Der Nachbar Ante<br />
Mihaljević schaute kurz vorbei. Er sagte mir, daß meine Familie wohl auf sei. Er<br />
erzählte auch, daß die Befreiung der Straße nach Vinkovci geplant würde, damit man<br />
Verwundete, Frauen und Kinder evakuieren könnte. Ich war aber der Meinung, daß<br />
ohne Hilfe von außen, dieses Unternehmen scheitern wird. Wir hatten Angst vor<br />
einem ähnlichen Massaker wie in Dalj.<br />
26. 10. 1991<br />
Die Kälte wurde immer stärker, aber auch die Einschließung um Vukovar zog sich<br />
immer mehr zusammen. Schon früh am Morgen wurde Vukovar aus allen verfügbaren<br />
Waffen angegriffen. Das Radio meldete, daß besonders viele Geschosse auf Krankenhaus<br />
abgefeuert wurden. Die Anzahl der Verwundeten und Gefallenen würde immer größer.<br />
Mein Mann kam und teilte mir mit, daß unsere Nachbarin zusammen mit ihrem Sohn<br />
und ihrer sechs Monate schwangeren Schwiegertochter im Keller ihres Hauses durch<br />
eine Granate getötet wurde. Auch Nachbar Lukinić, der bei ihnen nur vorbeischaute,<br />
kam um. Das Radio berichtete über eine immer größere Konzentration des Feindes und<br />
seiner Bewaffnung. Die Luftangriffe wurden seltener, aber die Infanterie verschanzte<br />
sich um Vukovar und feuerte aus einer sicheren Entfernung ihre tödlichen Geschosse<br />
ab. Am frühen Morgen hatte ich den Eindruck, als ob jemand, der gerade aufwachte,<br />
den Abzug eines Panzers oder eines Mehrfachraketenwerfers drückte, und das Konzert<br />
begann. Und auch der Winter war da.<br />
27. 10. 1991<br />
Die Nacht war ziemlich ruhig, aber der Morgen brachte wieder Chaos. Im Radio<br />
wurde gemeldet, daß die Kämpfe für die Befreiung der Straße nach Vinkovci<br />
begonnen hatten. Die Konzentration des Feindes in diesem Abschnitt wäre immens.<br />
Es wäre fast unmöglich mit einem Sieg zu rechnen. Vukovar brannte. Die Anzahl der<br />
Verwundeten und Gefallenen brach alle Rekorde. Man hatte keine Übersicht mehr.<br />
Die Vorräte an Lebensmitteln und Wasser wurden immer kleiner. Viele verloren ihr<br />
Leben während der Suche nach ihnen. Auch die Keller waren nicht mehr sicher. Ein<br />
Regen aus Geschossen fiel auf die Stadt, und es gab da nichts mehr, was diesen Regen<br />
auf der Erdfläche aufhalten konnte. Immer wieder wurden die Keller durchbrochen.<br />
Da war keine Angst mehr. Der Existenzkampf verdrängte Krankheit, Angst und<br />
Kraftlosigkeit, fast alle menschliche Emotionen.<br />
200
28. 10. 1991<br />
Es wurde noch kälter. Ich sammelte Kartoffeln für zwei Tage. Es war sehr frostig.<br />
Der Angriff begann um 9 Uhr. Heute sollten die Feuerwehrmänner mit Zisternen<br />
kommen, aber sie schafften es nicht. Wir mußten zum Trinken das von uns selbst<br />
desinfizierte Wasser benutzen. Die Insassen waren gereizt. Viele von ihnen waren<br />
Raucher und durch den Mangel an Zigaretten und Tabak wurden sie immer nervöser.<br />
Einige von ihnen suchten trotz meines Verbots die Trümmer nach Zigaretten durch.<br />
Ich hörte, daß sie auch den Kamillen- und Uvin-Tee in das Toilettenpapier als Ersatz für<br />
Tabak einwickelten. Die Kämpfe für den Weg Marinci (Straße nach Vukovar) wurden<br />
fortgesetzt, aber ohne Ergebnisse. Der Feind bekam ständig neuen Nachschub, und<br />
unsere Verteidiger waren allein. Wir kämpften damit, was uns übriggeblieben war<br />
und was man dem Feind entriss. Es wurde immer schwerer Munition und Waffen<br />
anzuschaffen, da der Feind auf die Infanterieangriffe verzichtete. Er feuerte seine<br />
Geschosse aus einem sicheren Abstand und genoß es.<br />
29. 10. 1991<br />
Der Angriff begann um 8 Uhr. Nach zwei Stunden ließ die Intensität des Gewehrfeuers<br />
etwas nach, aber man hörte in Richtung Bogdanovci noch starke Detonationen.<br />
Aufgrund der Zähigkeit unserer Verteidiger wurden um 12 Uhr die Kampfflugzeuge<br />
eingesetzt. Sie bombardierten das Stadtzentrum und die Trpinjska Straße. Als eine<br />
Feuerpause antrat, ging ich wieder in den Garten, um Kartoffeln zu holen. Da hatte<br />
ich einen Spaten stehen, und die Erde war doch nicht so hart. Gerade als ich den<br />
Garten betrat, sah ich zwei Kampfflugzeuge entlang der Donau fliegen und ihre<br />
tödliche Last in den Fluß abwerfen. Es entstanden riesige Wasserspiele. Ich dachte,<br />
die Piloten wären sicher Kroaten, die für die feindliche Armee zu fliegen gezwungen<br />
waren, da ihre Bomben nicht im Stadtzentrum sondern im Fluß endeten. Die<br />
Flugzeuge flogen gleich zurück nach Serbien. Ich war mir ganz nicht bewußt, daß<br />
ich weinte. Die Entscheidung der Piloten, ihre Bomben in den Fluß fallen zu lassen,<br />
war nur ein Tropfen im Meer für die Einwohner von Vukovar, aber ihr Vorhaben<br />
rührte mich sehr. Beim Gedanken, daß diese Bomben auf eine schon zerstörte Stadt<br />
abgeworfen werden sollten, konnte ich nur Gott danken, daß es Menschen gab, die<br />
anders als ihre unbarmherzige Befehlshaber dachten und handelten. Nachdem die<br />
Kampfflugzeuge schon weg waren, versuchte ich noch etwas Kartoffeln zu sammeln,<br />
aber eben in diesem Augenblick startete neues Gewehrfeuer aus Richtung Negoslavci<br />
und Ovčara. Ich versteckte mich unter der Terrasse eines Hauses, bedeckte meine<br />
Augen mit Handflächen und wartete. Ich blieb einige Zeit in Verborgenheit, aber<br />
ich wußte nicht wie lange. Als ich meine Augen öffnete, lagen die Kartoffeln überall<br />
herum, da eine Granate in den Garten einschlug. Ich füllte etwa eine Hälfte des<br />
201
Sackes an, und rannte zum Altenheim. Da der Sack schwer war und ich rannte, war<br />
ich außer Atem, als ich ans Ziel kam. An der Türschwelle warteten auf mich Nensi,<br />
Vera und Dara sowie einige Omas. Alle schrien mich an und beschimpften mich. Als<br />
sich dann die Situation doch beruhigte, begriff ich, daß sie sich alle um mich Sorgen<br />
machten. Es war nicht sehr klug von mir allein den Keller zu verlassen. Gott sei Dank,<br />
es passierte nichts. Der Angriff dauerte Tag und Nacht.<br />
30. 10. 1991<br />
Das Radio meldete, daß die kroatische Regierung intensiv über eine Feuereinstellung<br />
in Vukovar verhandelt, und um eine Katastrophe zu verhindern, verlangte sie<br />
Hilfe von internationaler Staatengemeinschaft. Das Gewehrfeuer hörte nicht auf.<br />
Das Krankenhaus befand sich in einer besonders schweren Lage. Es war überfüllt<br />
mit Verwundeten. Der Mangel an Lebensmitteln und Wasser war akut geworden.<br />
Man opferte sein Leben für ein Glas Wasser, und Mitnica wurde dem Erdboden<br />
gleichgemacht.<br />
31. 10. 1991<br />
Die Angriffe auf die Stadt hörten nicht auf. Wir konnten kein Wasser holen. Nach<br />
jeder Mahlzeit teilten wir ein Glas Wasser. Im Wagen gab es keinen Treibstoff mehr.<br />
Obwohl noch immer drei Mahlzeiten täglich zubereitet wurden, beklagten sich die<br />
Insassen immer häufiger über das Essen. Es war unmöglich ihnen zu erklären, daß<br />
die Lage in den anderen Stadteilen noch viel schlimmer war. Sie behaupteten, wir<br />
wären dafür bezahlt, sich um sie zu kümmern. Sie glaubten nicht, daß wir alles in<br />
unserer Macht taten, um ihnen ordentliche Mahlzeiten zu ermöglichen. Um 13<br />
Uhr verließ eine Oma den Keller. Sie verschwand einfach und ging in Richtung des<br />
Krankenhauses, da sie davon überzeugt war, dort wäre sie in Sicherheit. Nensi und ich<br />
rannten ihr hinterher und konnten sie erst bei dem Kaffehaus Quo Vadis einholen, wo<br />
sich sonst unsere Verteidiger versammelten. Es war ein Glück, daß sie nicht schwer<br />
war. Wir griffen ihr unter die Arme und trugen sie wörtlich zurück ins Altenheim. Sie<br />
beschimpfte uns und versuchte sich immer wieder zu befreien, aber wir hörten nicht<br />
auf sie. Den ganzen Weg zurück begleitete uns ein heftiges Gewehrfeuer. Himmel<br />
und Erde brannten. Als wir endlich in Sicherheit waren, schrie ich sie an, weil sie<br />
noch immer darauf bestand, ins Krankenhaus gebracht zu werden. Ich führte sie<br />
nach draußen und ließ sie bei der Kellertür stehen. Ich sagte ihr, sie könne allein<br />
gehen. Sobald ich die Tür schloß, tat mir die ganze Sache sehr leid, aber zu meiner<br />
Verteidigung kann ich nur sagen, daß ich sehr erschrak, als Nensi der Oma nachlief.<br />
Ich hatte ihrer Mutter versprochen, ich würde aufpassen, daß Nensi nichts geschieht.<br />
Der Gedanke, daß Nensi verunglücken könnte, war mir enifach unerträglich. Ein<br />
202
ißchen später wollte Vera die Oma von draußen holen, aber die Arme antwortete:<br />
„Ich darf nicht, die Direktorin läßt mich nicht rein, du siehst, sie ist verrückt.“ Wir<br />
lachten alle, dann faßte ich ihre Hand und führte sie hinein. Ich brauchte lange, um<br />
mich zu beruhigen. Die Hölle in Vukovar wollte einfach nicht aufhören.<br />
01. 11. 1991<br />
Der Morgen verlief ruhig. Ein neuer Waffenstillstand wurde unterzeichnet. Ich<br />
sagte zu Vera, ich gehe meine Familie besuchen. Ich mußte Sandra und die anderen<br />
sehen. Nach dem Frühstück machte ich mich auf dem Weg. Alle Häuser und die<br />
neue Grundschule wurden zerstört. Ich traf niemanden. Meine Familie war wohl auf,<br />
aber gegenüber der Lache sah man die Panzer stehen. Eine Reihe von neu gebauten<br />
Häusern wurden auf dieser Seite vernichtet, wodurch Mitnica den feindlichen<br />
Panzern auf Gnade und Ungnade ergeben wurde. Ich fragte Sandra, ob sie genug<br />
Lebensmittel hätten. Sie behauptete das größte Problem war wie überall das Wasser.<br />
Obwohl ich sie bat, sich in Acht zu nehmen, sagten mir die anderen, daß Sandra jeden<br />
Tag den Keller verließ. Ich sagte nichts, da ich wußte, sie würde sowieso nicht auf<br />
mich hören. Im Keller meines Hauses waren vier Kinder und acht Erwachsenen. Sie<br />
alle brauchten Nahrung und Wasser, und man mußte ohne Rücksicht auf die Gefahr<br />
Brot oder Fleisch besorgen. Das Brot machten einige Frauen in unserem Wohnblock.<br />
Ich glaubte, daß solche Menschen vom Gott beschützt werden. Man erzählte mit, daß<br />
Marko Deronja mit seinem Fahrrad alle Menschen mit Brot und Wasser versorge und<br />
bis jetzt bliebe er unversehrt. Vielleicht war es Tierinstinkt, das was diese Menschen<br />
am Leben hielt. Ich war beruhigt, als ich Sandra sah. Man konnte den Treibstoff für<br />
unseren Wagen (Jugo) verschaffen, und wir fuhren zur Bäckerei um Fladen zu holen.<br />
Wir bekamen auch das Öl für den Aggregat. Das Stromkabel war leider noch immer<br />
nicht repariert.<br />
Der Angriff wurde um 12 Uhr heftiger, obwohl ein Waffenstillstand unterzeichnet<br />
wurde. Jetzt wurde allen klar, daß keine friedliche Lösung in Frage kam, und unsere<br />
einzige Hoffnung blieb die Befreiung der Straße nach Vinkovci über Bogdanovci und<br />
Marinci. Die Kämpfe wurden weiter geführt, aber ohne Ergebnisse. Der Feind war<br />
einfach zu stark. Während einer kurzen Feuerpause am Nachmittag, kam Dragan<br />
angerannt, und bat mich seine Mutter und Schwester in der Grundschule „Vladimir<br />
Nazor“ zu besuchen. Er mußte seiner Mutter ihre Medikamente überbringen, da sie<br />
eine schwere Nierenpatientin war. Nensi gab uns Arzneimittel, Toilettenpapier und<br />
Kekse für die Kinder seiner Schwester. Zum ersten Mal war ich in dem Schutzkeller<br />
im Berg neben der Schule. Eine Menschenmenge, hauptsächlich Frauen, Kinder und<br />
ältere Menschen drängten sich am Fußboden. Wir mußten sie überspringen, um sich<br />
überhaupt bis zu Dragans Mutter und Schwester durchszuchlagen. Die Menschen<br />
203
waren wie in einer Sardinenbüchse zusammengedrängt. Dragan erzählte mit, daß<br />
die Mehrheit dieser Menschen von Sajmište komme. Nach dem Fall von Sajmište<br />
wurden die Überlebenden hier untergebracht. Das Licht war gedämpft und die Luft<br />
stickig. Die Mahlzeiten wurden draußen in Kochkesseln zubereitet. Für eine Sekunde<br />
dachte ich, daß die Situation im Altenheim doch nicht so schlimm war. Dort gab es<br />
wenigstens nicht so ein Gedränge. Und auch keine Kinder. Die Töchter von Dragans<br />
Schwester sahen mich neugierig und zugleich ängstlich an wegen der Kallaschnikow<br />
in meiner Hand. Die Waffe gehörte Dragan, aber ich hielt sie während der Fahrt.<br />
Ich fühlte mich beschämt unter ihren Blicken und so ging ich nach draußen, um<br />
auf Dragan zu warten. Er blieb nicht lange und wir fuhren schnell ins Altenheim<br />
zurück. Ich hörte ein stilles Gebet im Keller. Pater Branimir Kosec las die Messe<br />
im Radio und betete gemeinsam mit allen Stadteinwohnern. Die Kampfflugzeuge<br />
bombardierten wieder die Stellungen bei Bogdanovci und Marinci. Die Versorgung<br />
mit Lebensmitteln und Wasser war immer schwerer zu organisieren. Den Vorrang<br />
hatten natürlich Krankenhaus, Verteidigungsstab und Gemeinde. Alle Zivilisten<br />
waren sich selbst überlassen. Ich fand Vera weinen. Sie erzählte mir, daß ihr Sohn<br />
Bojan, obwohl er nur 15 Jahre alt war, sich an Kämpfen beteiligen will, da er im Keller<br />
nicht mehr aushalten könnte. Ich versuchte mit ihm zu reden, aber er behauptete, er<br />
wäre nutzlos, und da wir alle sowieso sterben würden, gehe er zu den Verteidigern.<br />
Aber da gerade ein neues Gewehrfeuer startete, konnte man ihn davon abraten, das<br />
Altenheim zu verlassen.<br />
02. 11. 1991<br />
Früh am Morgen begann ein heftiger Angriff. Um etwa 9 Uhr tauchten die<br />
Kampfflugzeuge auf und flogen in Richtung Bogdanovci, woher schwere Detonationen<br />
zu hören waren. Unsere Stellungen wurden stark unter Beschuß genommen. Im<br />
Radio pries man das Heldentum unserer Verteidiger als ob das noch irgendwelche<br />
Bedeutung überhaupt hätte. Wer aber hier nicht war, wird nie wissen können, was<br />
sich hier eigentlich ereignete. Wir sollten auf unsere Vernunft hören und wie viele<br />
andere die Stadt rechtzeitig verlassen. Jetzt würden wir irgendwo in Sicherheit sein,<br />
sich die Nachrichten im Fernsehen anschauen und wegen der grausamen Bilder aus<br />
Vukovar vielleicht einige Tränen vergießen. Aber um Vukovar zu retten, brauchte man<br />
viel mehr als ganzes Kroatien zu bieten hatte. Als man im Radio hörte, daß tausende<br />
Panzer, Panzerwagen, Transporter und feindliche Soldaten auf dem Weg nach<br />
Vukovar seien, wußte man schon, was zu erwarten war. Unsere Verteidigung könnte<br />
schon sehr bald durchbrochen werden. Dann meldete noch das Radio Beograd, daß<br />
Vukovar gefallen sei. Unser Siniša Glavašević, obwohl er wußte, daß die Stadt nicht<br />
mehr zu retten war, las während seiner Sendung ein Gedicht über Vukovar. Blut und<br />
Qual der Stadteinwohner überließ er dem Gewissen derer, die etwas unternehmen<br />
204
konnten, aber wollten es nicht. Ihn überfiel aber keine Verzweiflung und an alle, die<br />
in ihren Kellern und an der Front diese Tragödie durchmachten, richtete er seine<br />
Worte voller Hoffnung, daß aus diesen Trümmern eine noch schönere und größere<br />
Stadt erbaut würde. Für alle, die sie jetzt zerstören, würde es aber in dieser neuen<br />
Stadt keinen Platz geben. Man appellierte wieder auf ganz Kroatien, Vukovar zu<br />
helfen. Aber keine Hilfe kam.<br />
03. 11. 1991<br />
Wir konnten kein Wasser holen. Die Vorräte neigten sich ihrem Ende. Der Angriff<br />
hörte nicht auf und wurde immer intensiver. Die Zerstörung wurde fortgesetzt,<br />
obwohl ich nicht glauben konnte, daß noch etwas in der Stadt heil war. Die Feuerwehr<br />
meldete, daß sie leider kein Wasser mitbringen könnte. Eine Zisterne wurde getroffen<br />
und der Bedarf war groß. Die Lebensmittel wurden neu geordnet, um eine Übersicht<br />
über den Verbrauch zu erlangen.<br />
04. 11. 1991<br />
Unsere Verteidiger konzentrierten sich auf den Vorstoß gegen Vinkovci. Die<br />
feindliche Infanterie, geschützt von Panzern, war auf Vormarsch. Das Radio meldete,<br />
daß schwere Kämpfe für Lužac geführt werden, da in Budžak feindliche Panzer<br />
vorbeifuhren. In Haag verhandelte man über die Feuereinstellung und Abbruch der<br />
kriegerischen Auseinandersetzungen, aber keiner von uns glaubte am Erfolg dieser<br />
Gespräche. Am Abend begann es zu regnen. Fast keiner redete. Ich hatte keine Kraft,<br />
um etwas zu sagen, obwohl ich wußte, da die Insassen von mir erwarten, daß ich<br />
ihnen Trost spende. Was sollte ich machen? Ihnen die Wahrheit sagen oder wie<br />
unsere Verteidiger, die immer häufiger vorbeischauten, durch leere, nichtige Worte<br />
die Hoffnung zu erwecken versuchen? Sollte ich immer wieder wiederholen, daß die<br />
Hilfe aus ganz Kroatien kommen würde?<br />
05. 11. 1991<br />
Es regnete die ganze Nacht. Wir konnten nicht schlafen, nur ab und zu einknicken.<br />
Wir hörten das Radio nicht, aber die Verteidiger teilten uns mit, daß Lužac gefallen<br />
sei. Die Einkesselung Vukovars zog sich immer mehr zusammen. Wir alle hatten<br />
nichts mehr zu verlieren als unser eigenes Leben, aber die Angst überfiel uns, weil<br />
die Ungewißheit immer größer wurde. Wenn man die hohe Verluste des Feindes im<br />
Vukovarer Schlachtfeld im Auge behielt, wurde uns allen klar, daß wir, ohne Rücksicht<br />
auf die Bedingungen der Ergebung, nicht geschont werden. Ich wußte nicht, was bei<br />
mir zu Hause los war. Ich hatte Angst vor einem Einbruch der feindlichen Soldaten.<br />
205
Ich wußte, daß wir nicht mehr gerettet werden konnten, aber ich fühlte aus tiefster<br />
Seele, daß Gott als einziges Licht bei uns war. Im Radio wurde gemeldet, daß Serbien<br />
den Friedensplan zurückgewiesen haben sollte. Diese Abweisung war für uns eine<br />
vollkommene Vernichtung.<br />
Man meldete, daß eine neue Front gegen Županja als Ergebnis der erfolglosen<br />
Verhandlungen in Haag gebildet wurde. Es war einfach unmöglich eine so lange<br />
Front ohne Verstärkung zu halten. Die Kämpfe wurden um die ganze Stadt herum<br />
geführt. Mich schauderte bei dem Gedanken, was in Lužac passierte. Beide Seiten<br />
vermerkten große Verluste.<br />
06. 11. 1991<br />
In Vukovar wurde eine totale informative Blockade befohlen. Ich wußte aber nicht<br />
genau, was das bedeutete. Man hörte, daß auch Jastreb (Habicht) Vukovar verließ.<br />
Ich konnte es nicht glauben. Ich erinnerte mich an seine Stimme über Sende- und<br />
Empfangsanlage Motorola, als er die Verteidiger früh am Morgen weckte und alle<br />
Stellungen in Vukovar aufrief. Er kannte den Namen jedes einzelnen Verteidigers.<br />
Wer weiß, was passierte, wenn auch er gegangen war? Ich hatte das Gefühl, daß das<br />
Ende immer näher rückte. Unsere Verteidiger in Mitnica versprachen, bis zum letzten<br />
Mann zu kämpfen. Dieselbe Entscheidung trafen auch die anderen Verteidiger entlang<br />
der ganzen Front. Zu viele Verbrechen wurden begangen, als daß man jetzt einfach<br />
verzeihen konnte. Der Tod selbst war nicht so schrecklich. Es wäre schrecklicher<br />
lebend in die Hände von Tschetniks zu fallen.<br />
07. 11. 1991<br />
Serbien sollte bis zum 10. November 1991 den Bedingungen der Europäischen<br />
Gemeinschaft für den Anfang eines Friedensprozesses mit Kroatien zustimmen. Aber<br />
wenn man die Intensität des Angriffs in der letzten Nacht berücksichtigte, galt das nicht<br />
für Vukovar. Immer wenn ein Abkommen über eine Feuereinstellung unterzeichnet<br />
wurde, wurden die Angriffe noch heftiger und langwieriger. Es war zu gefährlich<br />
das Wasser zu holen, aber zufällig entdeckten wir, daß es im Heizungssystem noch<br />
Wasser gab. Es war schmutzig, aber gut genug für Geschirrspülung und Toilette. Wir<br />
bewachten ständig die Toilette, um zu verhindern, daß sie sich verstopft. Wir konnten<br />
sogar kein Regenwasser von draußen hereinbringen. Ein Faß wurde getroffen, und<br />
jetzt blieb uns nur eines übrig. Im Radio wurde ein Interview mit Präsident Tuđman<br />
gesendet. Wir waren überrascht über seine Behauptung, daß Vukovar keinen Tag<br />
ohne Hilfe von außen ausgehalten hätte. Für uns hier, in dieser Hölle, sah das Ganze<br />
anders aus, aber vielleicht war es für uns, aus dieser Perpektive, nicht mehr möglich<br />
206
darüber objektiv zu urteilen. Kroatien war sehr weit davon entfernt, sich mit der<br />
Jugoslawischen Armee zu messen. Man sagte, daß die JNA ihrer Stärke nach die<br />
viertgrößte Streitkraft in Europa war.<br />
08. 11. 1991<br />
Seit Morgen gab es keine heftigen Angriffe. Wir sind früh herausgegangen, um<br />
Trinkwasser zu holen. In der Nachbarschaft wurde ein Schwein geschlachtet und wir<br />
bekamen ein bißchen Fleisch. Da mein Mann aus Borovo Naselje, wo er mit seinen<br />
Mitarbeiter einen Schaden an einer Filterstation zu reparieren versuchte, noch nicht<br />
zurückgekommen war, bat ich Franjo Mandić mich zum Firmensitz von „Vodovod“<br />
im Keller des Gebäudes „Građevinar“ nahe der Gemeinde Vukovar zu bringen.<br />
Es war nicht leicht durch das Zentrum zu fahren, aber wir hatten Glück. Dort traf<br />
ich Direktor Štengl und Štef Koni gskneht an. Ich bemerkte gleich, daß etwas nicht<br />
stimmte. Štef weinte. Ich fragte gleich nach meinem Mann und seinen Kollegen. Herr<br />
Štengl erzählte, daß sie in Borovo Naselje länger bleiben müßten. Heute Morgen<br />
käme aber der Fahrer Lijović um. Štef war mit ihm im Wagen, als sie beide nach<br />
Olajnica fuhren um die Eltern von Lijović zu besuchen, und ihn traf die Kugel<br />
eines Scharfschützen. Štef sagte auch, daß die Tschetniks mit Panzern Milovo brdo<br />
erreichten und bald im Stadtzentrum seien. Wir sollten bei der Brücke des Flusses<br />
Vuka aufpassen. Mir wurde klar, daß mein Mann sehr wahrscheinlich aus Borovo<br />
Naselje nicht zurückkommen wird. Lužac und Budžak fielen und der Fahrer wurde<br />
getötet. Franjo und ich hatten keine Probleme während der Fahrt nach Mitnica.<br />
09. 11. 1991<br />
Dara und Franjo Mandić verließen unser Keller und gingen nach Hause. Ihre Eltern<br />
waren ältere Leute und das Ende schien sowieso sehr nahe zu sein. Die Lage war<br />
sehr schwer. Ich hoffte mit unseren Sparmaßnahmen das Wasser für noch zwei Tage<br />
zu haben. Am frühen Nachmittag begannen neue Angriffe. Vukovar ähnelte einem<br />
aufbrausenden Vulkan, der andauernd brannte und rauchte. Die Tragödie war nicht<br />
zu vermeiden.<br />
10. 11. 1991<br />
Das Gewehrfeuer dauerte den ganzen Tag und es regnete die ganze Nacht. Das<br />
Gebiet von Mitnica war seit 8 Uhr unter hartem Beschuß. Alle waren verzweifelt. Die<br />
Situation in der Stadt war unerträglich. Im Krankenhaus befanden sich mehr als 450<br />
Verwundete. Die Toten wurden nicht mehr gezählt. Sie wurden in Massengräbern<br />
neben dem Fußballstadion des Klubs „Sloga“ begraben, in umliegenden Gärten<br />
207
und Höfen. Aber die Menschen, die in Trümmern lagen, konnten nicht begraben<br />
werden. Und niemand wußte, wie viele Menschen während dieser Bombardements<br />
verunglückten. Dieses Gewehrfeuer hörte von dem Tag, als Kampf für die Befreiung<br />
der Straße nach Vinkovci begann, nicht auf. Ich konnte den Keller nicht verlassen<br />
und nach Hause rennen. Ich hoffte nur, daß sie alle noch am Leben waren. Heftige<br />
Kämpfe wurden am Nachmittag in Slavija und Borovo Naselje geführt. Was da los<br />
war, nachdem Lužac vor einigen Tagen gefallen war, konnte uns niemand sagen. Ich<br />
hoffte, daß unsere Verteidiger keine großen Verluste erlitten.<br />
11. 11. 1991<br />
Früh am Morgen ging ich zu meinem Haus. Alle waren wohl auf. Die Folgen der<br />
letzten Angriffe waren noch drastischer. In unserem Wohngebiet wurden das Haus<br />
Boras und einige neue Häuser schwer beschädigt. Die obere Hälfte unseres Hauses<br />
verschwand fast völlig. Alle älteren Häuser wurden dem Erdboden gleichgemacht.<br />
Ich ging sehr schnell ins Altenheim zurück, und da die Angriffe stiller wurden,<br />
entschloß ich mich wieder zur Firma meines Mannes „Vodovod“ zu fahren. Man<br />
sagte mir, daß die Kollegen nicht mehr zurückkommen könnten, daß Borovo Naselje<br />
eingeschlossen würde, und daß die Panzer von Lužac und Budžak auf Vormarsch in<br />
Richtung Vukovar seien. Ich hörte auch, sie seien aus Richtung Bogdanovci bis Drvena<br />
pijaca vorgedrungen, und es sei nur eine Frage der Stunde bis sie mit den Verbänden<br />
in Sajmište bei Slavija, wo heftig gekämpft wurde, zusammentreffen werden. Das<br />
bedeutete, daß mehrere Teile Vukovars voneinander abgeschnitten wurden, was<br />
natürlich auch die ganze Verteidigung stark gefährdete. Während der Rückfahrt<br />
hielt mich ein Verteidiger an. Er besuchte seine Familie in Olajnica und wollte nach<br />
Slavija. Als er hörte, daß ich in Richtung Mitnica muß, bat er mich ihn mitzunehmen.<br />
Er warnte mich vor Panzern bei Milovo brdo und riet mir die Brücke über den Fluß<br />
Vuka so schnell wie möglich zu passieren. Ich befolgte seinen Rat, schaltete in den<br />
dritten Gang und gab Vollgas, so daß der Kombiwagen wörtlich wegflog. Um uns<br />
herum flogen die Kugeln, aber keine traf uns. Ich war sehr erschrocken und hielt<br />
erst bei „Slavija“ an. Oberhalb der Schule „Vladimir Nazor“ nahmen die Tschetniks<br />
ihre Stellungen an. Ich verabschiedete mich von dem Verteidiger, und wünschte ihm<br />
Glück. Er lächelte verdrießlich und zeigte mir zwei Kugeln, die er als Kampfausrüstung<br />
für den heutigen Tag bekam. Wir beide wußten, daß Glück damit nichts mehr zu tun<br />
hatte. Nachdem ich zurück ins Altenheim war, erfuhr ich, daß wir keine Kartoffeln<br />
mehr hatten. Da das Gewehrfeuer nicht sehr stark war, ging ich in den Garten und<br />
konnte etwa einen halben Sack zurückbringen. Zu dieser Zeit gingen Milenko und<br />
Beljo das Trinkwasser holen. Die Kampfflugzeuge kamen um 9 Uhr, aber warfen<br />
keine Bomben aus. Das Gewehrfeuer dauerte den ganzen Tag, aber es war weniger<br />
heftig als letzte Nacht.<br />
208
12. 11. 1991<br />
Alle Insassen waren wohl auf. Die Nachbarn brachten zwei Omas, die durch die<br />
Straßen herumirrten. Die Omas wußten nicht ihre Namen oder woher sie kommen,<br />
hatten Hunger und waren müde. Wir gaben ihnen gleich etwas zu essen und ließen<br />
sie danach auszuschlafen. Unsere einzige Toilette verstopfte sich. Da wir noch Wasser<br />
im Heizungssystem hatten und Milenko ein Drahtseil fand, konnten wir die Toilette<br />
nach einigen Stunden ausspülen.<br />
Man gruppierte die Vorräte an Lebensmittel um und stellte fest, sie hatten sich<br />
drastisch reduziert. Viele Menschen kamen zu uns auf der Suche nach Nahrung und<br />
wir konnten niemanden ablehnen. Ich konnte allerdings nicht sagen, daß jemand das<br />
Unmögliche verlangte, sondern nur so viel, damit man überleben konnte. Die Vorräte<br />
an Arzneimittel und Sanitätsmaterial waren auch schon am Ende. Am Nachmittag<br />
wurde die Stadt von allen Seiten angegriffen. Heftige Kämpfe wurden bei Slavija und<br />
Drvena pijaca geführt, weil der Feind ins Stadtzentrum vorrücken wollte. Man hörte,<br />
die Panzer waren bei der Eisenbahnbrücke an der Einfahrt in Vukovar. Ich hatte keine<br />
Hoffnung mehr, daß mein Mann zurückkommt.<br />
13. 11. 1991<br />
In Vukovar war die Lage sehr schwer, die schwerste seit dem Beginn eines der<br />
schmutzigsten Kriege aller Zeiten. Das Radio Vukovar meldete, die Verteidiger<br />
wollten bis auf den letzten Mann ausharren. Den Überlebenden möge lieber Gott<br />
helfen, weil niemand anderer wird. Alle warteten auf den Tag, als sich Vukovar endlich<br />
ergeben wird. Ich wußte nicht was die anderen Menschen denken, aber ich fühlte<br />
mich irgendwie betrogen. Nicht nur aus dem Grunde, daß keine Hilfe kam und nicht<br />
kommen wird, sondern auch deswegen, weil ich endlich begriff, daß viele rechtzeitig<br />
Vukovar verlassen haben, einige sogar in Begleitung ihrer Wertsachen. Die meisten<br />
unter ihnen ließen sich mit Waffen photographieren. Sie prahlten darüber überall,<br />
aber als sich die Situation verschärfte, machten sie sich aus dem Staub. In Vukovar<br />
blieben Murinselbewohner, Zagorianer, Herzegowiner, aber wenige heimische<br />
Einwohner. Und die Menschen, die hier geblieben waren, trugen alle dazu bei, daß<br />
Vukovar so lange ausharrte. Im Radio wurde ständig die Meldung gesendet, daß die<br />
Verteidiger bis zum letzten Mann kämpfen werden. Es sah so aus, als ob keiner von<br />
uns überleben wird. Ich dachte über die Jugendlichen und Kinder nach. Was sollte<br />
ich Sandra sagen, falls wir aus diesem Chaos lebend herauskommen? Lohnte es sich<br />
zu bleiben? Andererseits, wenn es die Überlebenden doch geben sollte, wie könnte<br />
ich, nachdem ich Vukovar vor dem Krieg verlassen hätte, einem solchen Menschen<br />
je in die Augen sehen. Auf einmal ist in mir der Wunsch wach geworden, unbedingt<br />
209
nach Hause zu gehen, und ich tat es, ohne jemanden darüber zu informieren. Dort<br />
erwartete man wie überall, daß ein Wunder geschieht. Man mußte sich aber mit dem<br />
Schicksal abfinden. Sandra erzählte mir, daß einige junge Männer die Stellungen in<br />
Mitnica verlassen haben sollten und ins Krankenhaus gingen, da man hörte, daß die<br />
Tschetniks besonders auf Mitnica scharf seien, und daß kein Mensch Mitnica lebend<br />
verlassen werde. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich umarmte sie fest und weinte.<br />
Ich hatte keine Angst vor dem Tode, aber ich fürchtete mich vor dieselben Qualen und<br />
Erniedrigungen, die den Frauen in Sajmište in den Räumen der Firma „Modatek s“<br />
widerfuhren. Ich sagte zu ihr, daß Damjan mir fünf Handbomben überließ, im Falle,<br />
daß wir keine andere Wahl hätten. Wenn die Tschetniks Mitnica erreichen, was nur<br />
eine Frage der Stunde war, wäre es besser auch so zu enden, als sich ihnen zu ergeben.<br />
Aus der Kaserne hörte man „Marš na Drinu“ („Drina-Marsch“) ertönen, was ein<br />
Zeichen dafür war, das bald ein neuer Angriff beginnen wird. Ich eilte zurück ins<br />
Altenheim.<br />
Sobald es dunkel war, ging ich zur Verwaltung von „Komunalac“, die sich in der<br />
Nähe unseres Altenheims befand. Es war nicht mehr nötig, die Munition und das<br />
Panzerabwehrgeschoß, die mir die Gardisten gegeben haben, aufzubewahren. Ich gab<br />
es Mijo Bendro und fragte nicht nach, ob es helfen werde. Er erzählte mir, daß ihr<br />
Kommandant Šoljić auch verschwand und sie wußten einfach nicht mehr weiter. Ich<br />
kam erst um 20 Uhr zurück. Als der neue Angriff in vollem Schwunge war, tauchte an<br />
der Tür des Kesselraumes, wo ich schlief, kleine Anita, die Tochter meiner Cousine<br />
Eva, dann Melita, ihre ältere Tochter, sowie Davor und Vedran, die Söhne des<br />
Cousins meines Mannes und auch die anderen aus meinem Haus auf: Mile, Zlatko,<br />
Eva, Zdenka, meine Schwiegermutter Ljubica und zum Schluß auch Sandra. Als ich<br />
Sandra sah (möge mir lieber Gott verzeihen) war ich erleichtert, aber der Schock ließ<br />
mich kein Wort sagen. Ich umarmte sie nur und fing an zu weinen. Unter solchem<br />
Beschuß konnte nur ein Verrückter seine Unterkunft verlassen. Man eklärte mir, daß<br />
gleich nachdem ich das Haus verlassen hatte, begannen die Panzer ihre Geschosse<br />
abzufeuern, und man mußte sich den ganzen Tag im Keller verstecken. Aber dann<br />
habe man sich doch entschlossen, ohne Rücksicht auf die Gefahr und in der Obhut<br />
der Nacht durch das Fenster hinauszukommen. Sie rannten bis zum Altenheim. Auf<br />
das Haus schlugen mehr als 30 Projektile. Sie alle bekamen etwas zu essen und man<br />
machte Platz frei, damit sie schlafen konnten. Ich sagte Sandra, daß sich ihr Vater<br />
aus Borovo Naselje nicht durchschlagen konnte. Die Oma weinte. Den Trostsatz, daß<br />
alles gut wird, konnte ich einfach nicht aussprechen. Ein bißchen später kam Ante<br />
Mihaljević. Er sagte, daß man um jeden Meter und jedes Haus kämpfe, aber der Feind<br />
sehr bald Slavija und Stadtzentrum erreichen würde.<br />
210
14. 11. 1991<br />
Der heftigste Angriff auf Mitnica startete aus allen verfügbaren Waffen um 6 Uhr.<br />
Hilflosigkeit und Angst fesselten unsere Hände und Füße. Aber die Arbeit mußte auch<br />
weiter erledigt werden: Frühstück, Brotbacken und Mittagessen. Das Radio berichtete,<br />
daß ein neuer Waffenstillstand vereinbart wurde. Aber es schien, nicht in Vukovar.<br />
Schon am Morgen griff der Feind wieder an. Man meldete auch, die Straße zwischen<br />
Borovo und Vukovar sei in die Hände von Tschetniks und Militärs gefallen. Milošević<br />
und Lord Carrington sollten in Beograd eine Feuereinstellung vereinbart haben, aber<br />
sie war bedeutungslos. Die Verteidiger und Stadteinwohner zählten die letzten Stunden<br />
ab. Den ganzen Tag verließ man seine Unterkunft nicht. Als dunkel wurde, und weil ich<br />
schon die letzte Nacht nicht schlafen konnte, versuchte ich mich ein wenig auszuruhen.<br />
Sandra setzte sich direkt neben mir, bei der Tür. Etwa um 10 Uhr, gerade als ich fast<br />
einschlief, schüttelte mich Sandra auf und zerrte mich in den Flur heraus. Ich dachte,<br />
einem Insassen war schlecht. Aber es herrschte Stille und alle lagen in ihren Betten.<br />
Am Ende des Flurs stand Ante und ein Gardist. Als ich mich näherte, sagte Sandra<br />
leise zu mir, Dragan würde eben vor unserem Eingang getötet. Ich fragte nur, ob sie ihn<br />
reingebracht hätten. Ante weinte und sagte, er könnte ihn nicht tragen. Dragan war der<br />
Bruder seiner Frau. Wir alle gingen gleich nach draußen. Dragan lag auf dem Beton vor<br />
der Garage. Seine Beine waren in einer merkwürdigen Stellung gebeugt, als ob sie aus<br />
Lappen wären. Unter seinem Helm lief das Blut über seine Stirn. Sein Körper war noch<br />
warm und wir trugen ihn herein. Einige Omas hörten unser Gespräch im Flur, und<br />
als wir hereinkamen, alle wußten es schon und weinten. Er war für uns alle eine große<br />
Hilfe. Jederzeit fuhr er mich in die Stadt auf der Suche nach Lebensmitteln. Für die<br />
Kinder sammelte er Süßigkeiten in den Trümmern um ihnen eine Freude zu machen.<br />
Veras Tibor liebte er über alles. Ich erinnerte mich, als er zusammen mit Franjo Mandić<br />
zum ersten Mal kam. Er trug seine Gardistenuniform und sagte zu mir: „Tante, jetzt<br />
haben wir auch unseren Hauptmann Dragan.“ Seit diesem Augenblick an, war Dragan<br />
immer da. Ich erinnerte mich, daß er mir oft erzählte, er hätte in seiner Geldbörse<br />
etwas Geld, das man seiner Schwester Katica geben sollte, falls ihm etwas passierte. Ich<br />
sollte auch seine Nichten küssen. Er sagte zu mir: „Sag meiner Mutter, sie darf nicht<br />
weinen.“ Ich antwortete ihm, er erzähle nur dummes Zeug, und es werde schon nichts<br />
schlimmes passieren. Ante und sein Mitkämpfer waren schon gegangen. Mit einer<br />
Batterielampe durchsuchte ich Dragans Kleidung nach seiner Geldbörse. Ich fand sie<br />
in seiner Jacke. Die ganze Zeit erwartete ich, daß er etwas zu mir sagt. Sein Gesicht und<br />
seine Hände waren blas, und in seiner linken Hand hatte er Kaugummis. Ante erzählte<br />
mit, alle warnten ihn davor, das Altenheim zu besuchen, da das Gewehrfeuer nicht<br />
aufhörte, aber er antwortete: „Ich gehe Kinder besuchen.“ Er wurde getroffen, während<br />
er zum Eingang ins Altenheim rannte. Ich fragte mich, ob ich seine Schwester jemals<br />
sehen werde. Ob seine Mutter noch lebte? Er war nur 27 Jahre alt.<br />
211
Gescannte Seite des Tagebuchs<br />
212
15. 11. 1991<br />
In Vukovar herrschte ein Durcheinander. Als ob wir<br />
lebend begraben wurden. Der Angriff begann um 6<br />
Uhr. Um 14 Uhr schlug eine Granate in der Decke des<br />
Kesselraums ein. Der Schutt stürzte sich auf Töpfe, aber<br />
keiner wurde verletzt. Wir alle zogen sich in den Flur<br />
zurück, weil er der sicherste Platz war. Ich hielt Vedran<br />
und Davor fest und konnte fühlen, wie ihre Herzen<br />
schlugen. Ich versuchte sie zu beruhigen, aber wir alle<br />
wußten, daß das Ende sehr nahe war. Uns schien, daß<br />
alle abgefeuerten Geschosse nur unser Altenheim treffen.<br />
Das Krankenhaus schickte Martin, um Dragans Leiche Dragan Čorić<br />
abzuholen. Ich wunderte mich darüber, daß er sich<br />
durchschlagen konnte. Er sagte, er hätte die Strecke vom Bruders Lustig Kreuz über<br />
Kirche St. Philipp und Jakob und Gymnasium bis Wasserturm genommen, da die<br />
Tschetniks schon bei Slavija waren. Er fuhr gleich weg. Die Tschetniks konnten jede<br />
Sekunde da sein. Wir verabschiedeten uns von Dragan und kehrten in den Keller<br />
zurück. Martin sagte, daß man Brust an Brust um jedes Haus kämpfen würde.<br />
16. 11. 1991<br />
Wir konnten kein Wasser holen gehen. Die Angriffe hörten nicht auf. Wir hofften<br />
auf Wunder, obwohl wir die Tatsachen kannten. Das Chaos wurde perfekt, im<br />
Krankenhaus brach eine Epidemie aus, weil es kein Wasser gab. Und viele Menschen<br />
versuchten sich dort in Sicherheit zu retten. Alle dachten, das Krankenhaus war<br />
das sicherste Ort. Das Radio berichtete, es würde eine absolute Feuereinstellung<br />
vereinbart. Aber die Angriffe hörten nicht auf. Am Abend kamen Ante, Zlatko, Mile,<br />
Vlado, Senka, Bili und Ivica. Sie versicherten uns, daß die Tschetniks noch lange<br />
Mitnica nicht besetzen könnten und man würde noch immer auf Hilfe hoffen. Ich<br />
glaubte diesen Worten nicht, aber den anderen funkelte die Hoffnung in den Augen,<br />
und so sagte ich nichts dazu. Gleich nachdem sie gegangen waren, teilte mir Nensi<br />
mit, daß zwei Omas, die ihre Namen nicht kannten, gefunden wurden. Sie waren<br />
beide erschöpft und hatten Hunger. Wir gaben ihnen zu essen und fanden ihnen<br />
einen Platz zu schlafen.<br />
213
17. 11. 1991<br />
Der Nachbar gegenüber kam um uns zu sagen, daß sich in seinem Keller die Menschen<br />
aus dem Stadtteil Slavija verstecken. Sie waren auf der Flucht vor Tschetniks. Er bat<br />
um etwas Lebensmittel. Unter diesen Menschen waren auch kleine Kinder. Wir<br />
gaben ihnen Frühstück, Mittag-, und Abendessen. Die Kämpfe setzte man gleich am<br />
Morgen fort, besonders um das Krankenhaus. Ich dachte noch immer über Dragan<br />
nach und seine Worte, daß wir den Feind besiegen und aus Kroatien eine kleine<br />
Schweiz machen würden, daß man nach dem Krieg nur Hochzeiten feiern würde und<br />
wer uns keine Einladung schicke, bekomme eine Bombe als Geschenk. Alle diesen<br />
Hoffnungen wurden jetzt zunichte gemacht.<br />
Spät am Abend kam wieder Ante mit Bili. Sie brachten einen Polizisten mit einem<br />
Bein im Gipsverband. Er bat, den Polizisten hier zu lassen, da sich die Verteidiger für<br />
den Durchbruch in Richtung Dudik vorbereiten würden. Ich willigte ohne viele Worte<br />
ein. Sie verabschiedeten sich und gingen weg. Gleich danach wurde der Angriff noch<br />
heftiger. Harte Geschosse trafen immer wieder die obere Hälfte des Kellers und wir<br />
mußten den jungen Polizisten in den Kesselraum verlegen, obwohl sein Gipsverband<br />
sehr schwer war. Niemand konnte schlafen, weil jeder wußte, daß alles bald vorbei<br />
sein wird. Wir wußten nur noch nicht, wie die Schlußszene aussehen wird. Unser<br />
„Gast“, der Polizist, sah uns ruhig zu. Er erklärte uns, es wäre nicht schlecht, so viele<br />
Menschen wie möglich aus der Nachbarschaft zu versammeln und alles was uns mit<br />
Verteidigern in Verbindung bringen könnte, zu vernichten. Dadurch könnte man<br />
vielleicht ein Massaker oder Massenerschießungen verhindern. Ich versprach am<br />
Morgen alle Nachbarn einzuladen.<br />
18. 11. 1991<br />
(aufgeschrieben am 19. 11. 1991 im Bus auf der Autobahn „Brüderlichkeit – Einigkeit“<br />
bei Adaševci)<br />
Ab und zu hörte man nur Detonationen. Es herrschte eine sonderbare Stille. Sandra<br />
und ich verteilten Frühstück in unserer Nachbarschaft. Zum Mittagessen gab es<br />
Bohnen mit Nudeln. Auch der Brotteig wurde vorbereitet. Ich holte auch einige Eimer<br />
Wasser. Um 12 Uhr kam Bili. Ich war überrascht ihn zu sehen, da Ante letzte Nacht<br />
sagte, sie wollten einen Durchbruch wagen. Er sagte, daß man mit der Armee die<br />
Übergabe von Mitnica vereinbart hätte und eine der Bedingungen auch die Ergebung<br />
der Verteidiger wäre, damit das Leben der Zivilisten verschont würde. Wir sollten<br />
uns allmählich auf dem Weg zur „Veterinärstation“ machen, wo uns die feindliche<br />
Armee erwartete. Wir benachrichtigten alle Menschen in der Nachbarschaft. Den<br />
Insassen teilte ich mit, daß der Krieg vorbei sei, und daß sie sich für einen Aufbruch<br />
214
vorbereiten sollten. Der Polizist sagte wieder, daß wir alles vernichten sollten, was uns<br />
mit Gardisten in Verbindung bringen könnte, worauf ich Milenko die Kalaschnikow<br />
und die Munition mit Bomben gab und bat ihn all das irgendwo unter Trümmern<br />
zu vergraben. Wir hatten noch zum Mittag gegessen und dann verließen wir das<br />
Altenheim. Der Brotteig ging perfekt auf, als niemals zuvor. Er ähnelte einem<br />
rieseigen Pilz. Einige unsere Insassen packten zu viele Sachen ein, obwohl man ihnen<br />
sagte, nur das Nötigste mitzunehmen. Zwei Omas, die erst vor kurzer Zeit zu uns<br />
kamen, wollten bleiben. Ich nahm nur eine Handtasche mit ausgerissenen Blättern<br />
aus meinem Tagebuch und einige leeren Heftseiten mit.<br />
Zerstörtes Altenheim<br />
215
Vertreibung und der Weg ins Ungewisse<br />
Aufgeschrieben am Weihnachten 1991 in München<br />
18. 11. 1991, Montag<br />
Nach dem Mittagessen verließen wir den Keller. Einige unserer Insassen packten zu<br />
viele Sachen ein, und wir mußten ihnen beim Tragen helfen. Viele von ihnen waren<br />
draußen stehengeblieben und sahen um sich herum. Die Omas bekreuzigten sich.<br />
Keine vermutete, was sie erwartete. Alles um uns herum wurde zerstört, Bäume<br />
hatten keine Zweige, Vögel sangen nicht, und in weiter Ferne konnte man nur das<br />
Gebrüll der Rinder hören. Der Mangel an Wasser war eine harte Versuchung für die<br />
Menschen, aber für die Tiere war es ein Verderben. Wir erreichten die Hauptstraße in<br />
Richtung Veterinärstation. Aus anderen Nebenstraßen kamen erschöpfte Menschen,<br />
hauptsächlich ältere Leute sowie Frauen und Kinder. Alle hatten bei sich ihre Beutel<br />
oder größere Bündel. Die Älteren schleppten viel mehr Sachen als die Jüngeren,<br />
wahrscheinlich aufgrund ihrer Erfahrung aus dem Zeiten Weltkrieg. Der Weg bis<br />
zur Veterinärstation, wo sich schon eine Menge Leute versammelte, war nicht sehr<br />
lang. Rechts von uns, entlang der Strecke, die zu Novo groblje (Neuer Friedhof)<br />
führte, waren Zdravko Komšić und Pilip Karaula ständig in Bewegung. Sie drängten<br />
immer wieder, wir sollten uns beeilen und nicht herumirren. In der Nähe des Hauses<br />
Pliša traf ich Ana Dumendžić mit kleinem Vinko. Wir umarmten und begrüßten<br />
uns. Als ich sie nach ihrem Mann Stipo und dem älteren Sohn Ivica fragte, die<br />
bei der Verteidigung von erstem Tag an waren, sagte sie, Stipo liege verwundet in<br />
„Borovocomerc“ und über Ivica habe sie keine Nachrichten. Wir standen bei der<br />
Veterinärstation etwa eine Stunde, und dann mußten wir weiter in Richtung Novo<br />
groblje (Neuer Friedhof) laufen. Wir durften die Straße nicht verlassen, da schon an<br />
ihrem Rande vermintes Gelände anfing.<br />
Bei Novo groblje (Neuer Friedhof) neben dem Meierhof Poić warteten schon die<br />
Panzer. Hoch in der Baumkrone eines Nußbaums flatterte die Flagge der Tschetniks.<br />
Man hörte laute Musik und lautes Geschrei. Auf dem Feld links wurden die Panzer<br />
aufeinandergereiht. Aus ihnen schauten bartlose Jugendliche heraus, die hämisch<br />
grinsten und irgendwas tranken. Wir schritten erhobenen Hauptes vertieft in<br />
unseren schwarzen Gedanken. Alle schwiegen und schauten gerade aus, um die<br />
Situation richtig einzuschätzen. Die Verteidiger bewegten sich rechts von uns und<br />
die Armee war vorn. Einige Schritte vor mir und Sandra bewegte sich der junge<br />
Polizist mit dem Gipsverband. Wir kamen zum Punkt, wo unsere Verteidiger<br />
216
ihre Waffen niederstrecken sollten. Ich sah ein Häuflein Gewehre, Kalaschnikows,<br />
Pistolen, Pumpgewehre und ein Paar Handbomben. Ein junger Soldat rechts von uns<br />
befahl uns unsere Taschen zu öffnen. Schon früher bemerkte ich, daß sie nur das<br />
Gepäck durchsucten. Die ausgerissenen Seiten aus meinem Tagebuch schob ich in<br />
meine Hosen unter dem Unterhemd. In diesem Augenblick sahen Sandra und ich<br />
einige Kameramänner und einige Leute in weißer Kleidung. Die Journalisten und<br />
Kameramänner filmten den Waffenhaufen und alten Grgić, der unter Tränen aussagte,<br />
daß alles zerstört worden sei, und daß er auch nicht wisse, wo seine Söhne seien. Die<br />
Journalisten stellten immer wieder Fragen in englischer Sprache. Ich bat Sandra, zu<br />
ihnen zu gehen, um zu hören was sie fragen. Sie wollten wissen, ob es Überlebende<br />
gebe und ob die Stadt vernichtet sei. Sandra beantwortete ihre Fragen, und obwohl<br />
sie sich selbst versprach, vor Mördern keine Träne zu vergießen, weinte sie.<br />
Nach einer kurzen Zeit ging an uns ein Offizier der JNA vorbei, näherte sich den<br />
Waffen, die die Verteidiger niederstreckten, stieß sie mit seinem Bein, spuckte darauf<br />
und schimpfte: „Zum Teufel mit den Serben, ihr brauchtet drei Monate um diese<br />
Waffen zu besiegen“ (Da vi ebem majkata srpska toa li ve držeše tuka tri meseci).<br />
Sandra sah mich an und lächelte sanft. Offenbar konnte der Mazedonier nicht<br />
glauben, daß diese Handvoll Waffen und Männer in Mitnica so lange die Front in<br />
Vukovar halten könnten. Sie konnten sich nicht damit abfinden, daß die Anzahl der<br />
Verteidiger so klein war. Immer wieder forderte ein Offizier durch einen Lautsprecher<br />
die Verteidiger auf, sich zu übergeben. Der Kolonne der Zivilisten schlossen sich<br />
auch jüngere Männer an, die sich nicht als Verteidiger ausgaben. Unsere Verteidiger<br />
von Mitnica wurden daraufhin einer nach dem anderen zu einem Lkw gebracht.<br />
Ich sah Ante, Bili und die anderen. Ante bemerkte uns, lächelte und winkte uns zu.<br />
Ich konnte nur leise sagen: „Gott, rette sie“, und beim Gedanken was sie erwartete,<br />
erfaßte mich ein Schauder. Obwohl niemand wußte, was mit uns passieren wird,<br />
boten diese Menschen ihre Leben für unsere Sicherheit an. Ich hoffte aber, daß<br />
gerade die Tatsache, daß die ausländischen Journalisten die Kolonne in Mitnica und<br />
Übergabe der Verteidiger gefilmt haben, doch irgendwelche Bedeutung haben wird,<br />
und sie nicht so einfach hingerichtet werden. Da immer mehr Menschen ankamen,<br />
drangen wir uns in Erwartung weiterer Befehle ins Tal auf dem Weg nach Vučedol.<br />
Auf beiden Straßenseiten standen junge Soldaten. Es wurde allmählich dunkel, und<br />
in der Obhut der Nacht trafen die Lkws ein. Uns wurde befohlen, in sie einzusteigen.<br />
Ein eher klein gewachsener Musterbeispiel eines bärtigen Tschetniks ging gerade an<br />
mir vorbei, als ich mich laut über steife Beine vom Stehen beschwerte, und sagte<br />
nur kurz: „Marić, sei still.“ Die Stimme war mir sehr bekannt, aber ich konnte mich<br />
nie erinnern, wer er war. Ich habe darüber lange nachgedacht, aber vergeblich. Er<br />
kannte mich offensichtlich sehr gut. Wir stiegen in einen Lkw ein, und nach einigen<br />
Minuten fuhren wir in Richtung Sotin. Nach einer kurzen Zeit bog der Lkw rechts<br />
217
ab, und ich wußte, daß wir auf dem Weg nach Jakobovac und Ovčara waren. Gleich<br />
danach hielten die Lkws an, und wir mußten aussteigen. Ich erkannte im Licht der<br />
Scheinwerfer, daß wir die Stallungen bei Jakobovac passiert haben. Die Soldaten, die<br />
entlang der Straße standen, sagten, daß die Busse kommen, um uns abzuholen. Dann<br />
ging die Hölle los. Nur die Frauen und Kinder durften in die Busse einsteigen. Die<br />
Männer sollten draußen bleiben. Die Frauen schrien und weinten. Neben mir stand<br />
eine junge Frau mit ihrem Mann und zwei Töchtern, Zwillingsschwestern. Als ihm<br />
ein Soldat befahl sich zu bewegen, umarmte ihn seine Frau, aber der Soldat schlug ihn<br />
dann mit seinem Gewehrkolben so hart in den Rücken, daß er in den Schlamm am<br />
Rande der Straße fiel. Die Zwillingsschwestern schrien auf, jedes Mädchen klammerte<br />
sich an je ein Bein des Vaters und weinte: „Wir geben unseren Vater nicht.“ Der Soldat<br />
warnte uns, er würde die Kinder töten, wenn wir sie nicht wegbringen. Nur mit Mühe<br />
konnten wir die Kinder von ihrem Vater trennen. Als der Bus voll war, fuhr er gleich<br />
weiter.<br />
Bald darauf sahen wir Lichter. Wir waren in Negoslavci, in einem ethnisch rein<br />
serbischen Dorf nahe Vukovar. Die Busse fuhren sehr langsam. Im Dorf sah man<br />
viele Soldaten. Wir hielten im Zentrum an. Der Fahrer riet uns, uns zu bücken, und<br />
nicht nach draußen zu sehen. Er wollte nicht dafür verantwortlich sein, was geschehen<br />
würde, wenn jemand die Ustascha von Mitnica erkennt. Wir gehorchten, aber ich<br />
wagte doch einen Blick auf die Straße. Viele Menschen versammelten sich und<br />
rannten wie Hyänen um die Busse herum. Wir stoppten nur für einige Minuten, die<br />
uns als eine Ewigkeit erschienen. Die weitere Fahrt führte über Orolik, Šidski Banovci<br />
und Tovar nik nach Šid. Ich denke, in Šid trafen wir um etwa 20 Uhr ein, vielleicht ein<br />
bißchen später. Unser Bus hielt etwa 20 m vor dem Zentrum an der Kreuzung an.<br />
Links bemerkte man einen geöffneten Laden. Ich fragte den Fahrer, ob wir aussteigen<br />
könnten, um einige Sachen zu kaufen. Er hatte nichts dagegen, aber wir sollten uns<br />
beeilen. Eilig kauften wir Säfte, Cola, Joghurt und Milch. Das Brot gab es nicht. Auf<br />
einmal gingen die um die Busse versammelten Einwohner von Šid auf uns los:<br />
„Ustascha, ihr solltet getötet werden, wo ist jetzt ihr Tuđman.“ Man schimpfte und<br />
bedrohte uns. Wir kehrten schnell in den Bus zurück. Die Fahrt ging weiter nach<br />
Adaševci, auch einem serbischen Dorf. Die Busse fuhren im Schneckentempo. Die<br />
Hauptstraße war beleuchtet. Auf fast jedem Haustor wurde ein Totenschein<br />
aufgehängt. Viele Menschen waren offenbar gefallen. Auf der Straße gab es nicht viele<br />
Leute, so fuhren wir langsam weiter. Vor der Überführung nach Morović bog die<br />
Buskolonne ab und erreichte die Autobahn «Brüderlichkeit und Einigkeit” Zagreb-<br />
Beograd. Hier warteten auf uns wahre Tschetniks, Freischärler von Arkan und<br />
Vukovarer Serben, hauptsächlich jüngere Menschen, wie meine Sandra. Ich erkannte<br />
einige ihrer Schulkameraden. Die Busse ordnete man in zwei Reihen ein und wir<br />
mußten alle austeigen. Sandra und ich zählten 15 Busse auf. Alle wurden wieder<br />
218
durchsucht. Das Tagebuch war noch immer in meiner Hose versteckt. Ein Junge<br />
verlangte, daß ich meine Tasche ausleere, was ich auch machte. Aber als das auch von<br />
Sandra gefordert wurde, sie antwortete, sie hätte nur Bücher. Er verlangte wieder, daß<br />
sie ihre Tasche zeigt, aber sie lehnte es ab. Darauf entriß er ihr die Tasche und leerte<br />
ihren Inhalt auf den Asphalt aus. Sandra schrie ihn an: „Finger weg von meiner<br />
Tasche“, und ich erstarrte, als ich sah, daß er sein Gewehr von seiner Schulter abnahm.<br />
Ich faßte Sandra und zwang sie schnell, die Bücher vom Boden zu sammeln, und der<br />
junge Soldat ging weg. Wir standen noch einige Zeit auf der Straße. Dann kam ein<br />
junger Offizier und teilte uns mit, daß alle die nach Serbien fahren wollten, in die<br />
Busse, die in Richtung Beograd stehen, einsteigen sollten. Zu dieser Gruppe gehörten<br />
die Serben aus Vukovar an sowie Kroaten, die Familien in Serbien hatten. Ich sah<br />
auch die Schwiegermutter von Delfa Miljanović in diese Busse einsteigen. Da sie nicht<br />
weit entfernt von mir stand, ging ich mit Sandra ein bißchen zur Seite, da ich nicht<br />
wollte, daß sie uns sieht. Ich hatte Angst davor, daß jemand erzählen würde, ich wäre<br />
die Direktorin des Altenheims. Ihr Sohn Gojko, Förster, sollte die Panzer am 28. 08.<br />
1991 zu Novo groblje (Neuer Friedhof) geführt haben. Ihre Schwiegertochter,<br />
Oberkrankenschwester im Altenheim und Kroatin, sollte über das Altenheim<br />
öffentlich gesagt haben, das Altenheim wäre ein „Ustascha-Nest“. Das wäre für<br />
jemanden der Grund genug gewesen, um auf uns mit Fingern zu zeigen, und man<br />
könnte den Kopf verlieren. Alle unseren serbischen Schützlinge entschieden sich<br />
nach Serbien zu fahren. Nach ihrer Abreise und noch einer Durchsuchung konnten<br />
wir zurück in die Busse einsteigen. Dann kamen die Kameramänner und Journalisten<br />
des Fernsehens Novi Sad, das mehr Übel als die ganze Bewaffnung um Vukovar<br />
angerichtet haben. Ich konnte nicht sehen, ob sie mit Kroaten aus Mitnica gesprochen<br />
haben, aber mit Tschetniks, die sie mit Weinbrand angeboten haben, doch. Der<br />
Weinbrand floß im Überfluß. Und dazu hörte man eine Version eines der bekanntesten<br />
Lieder von Tomislav Ivčić „Večeras je naša slava, večeras je naše veče, večeras se<br />
Tuđman peče“ (Heute Abend ist unser Fest, heute Abend ist unser Abend, Tuđman<br />
wird gebraten). Sie sangen und tranken ihren Weinbrand und man filmte sie auch.<br />
Viele Serben aus Vukovar suchten in Bussen ihre Frauen und Kindern. Da erschien<br />
auch Lazo aus Mitnica, ich kannte seinen Nachnamen nicht. Er suchte seine Frau. Sie<br />
war in unserem Bus mit Nachbarin Ksenija. Sie stiegen aus und sprachen mit ihm. Er<br />
faßte sich auf einmal am Kopf, begann zu weinen und schlug mit seinem Kopf in das<br />
Dach eines Pkws (Stojadin) ein. Seine Frau weinte auch. Ksenija stieg wieder in den<br />
Bus ein, und erzählte uns, daß seine schwangere Tochter im Keller von Franka,<br />
unserer Nachbarin, zusammen mit ihrem Mann (Frankas Sohn) und Franka, ums<br />
Leben kam. Seine Frau erfuhr es auch jetzt erst. Lazo ging, wie viele anderen Serben,<br />
nach Negoslavci, von wo aus Vukovar systematisch beschossen wurde. Es könnte<br />
sein, daß eine gerade von ihm abgefeuerte Granate seine Tochter tötete. Der Busfahrer<br />
sagte zu uns, wir würden hier die Nacht verbringen, und am Morgen weiter nach<br />
219
Lipovac in Richtung Kroatien fahren. Die Erleichterung überfiel uns alle, aber es<br />
währte nicht lange. In den Bus stieg ein Musterbeispiel eines Tschetniks aus der Zeit<br />
von Draža Mihaljović, mit einer Pelzmütze auf dem Kopf und einer Kokarde. Er<br />
richtete seine Kalaschnikow auf uns und sagte dem Fahrer: „Što, bre, vozaš ovu<br />
ustašku bagru. Da je po mome, ja bih to sve pobio i ne bi imali više posla s njima.<br />
Znaš li ti, bre, šta su ustaše radile našoj deci i ženama u Vuko varu?» (Was denkst du<br />
dich dabei, dieses Gesindel überhaupt irgendwohin zu fahren. Wenn es nach mir<br />
ginge, ich würde sie alle töten und dann gäbe es keine Probleme mehr. Weißt du was<br />
die Ustascha mit unseren Frauen und Kindern in Vukovar machten?). Wir alle<br />
beugten unsere Köpfe instinktiv nach vorne. Man versuchte sich hinter vorderen<br />
Rückenlehnen zu verstecken. Den Menschen, die vorne saßen, war es am schwersten.<br />
Und dann fing auch ein etwa 4-jähriger Junge zu singen an: „Ustani, bane, Hrvatska<br />
te zove“ ... (Steh auf Banus, Kroatien braucht dich). Eine unheimliche Stille legten<br />
sich über uns alle. Wir dachten, jetzt seien wir tot. Die Mutter bedeckte mit ihrer<br />
Hand den Mund des Jungen, aber es war zu spät. Auf einmal aber war da ein junger<br />
Offizier. Seiner Uniform nach konnte er zu den Spezialeinheiten gehören. Er befiel<br />
dem Tschetnik kurz, den Bus zu verlassen, was dieser auch tat. Man sah dem jungen<br />
Offizier an, daß er Autorität besaß und Gehorsam erwartete. Er begleitete uns den<br />
ganzen Weg bis Bijeljina und ich glaube, daß wir ihm zu verdanken haben, daß wir<br />
Kroatien erreichten. Er war mittelgroß, mager, ruhig und immer ernst. Auf dem Kopf<br />
hatte er ein olivengrün-graues Barret, und wie es aussah, trug er keine Waffe. Vielleicht<br />
hatte er eine Pistole, aber man sah sie nicht. Der betrunkene Tschetnik stieg auch in<br />
einen anderen Bus ein, aber der Fahrer warf ihn hinaus und schrie ihn an, er sollte<br />
auch ihn töten, aber wer würde dann die Busse nach ihren Wünschen herumfahren.<br />
Der Offizier regelte auch diese Situation. Unser Fahrer nahm eine Bonbontüte, ging<br />
durch die Mitte des Busses und gab den Kindern die Süßigkeiten. Nebenbei erzählte<br />
er, daß er auch Enkel hätte und diese Fahrt ihn schon an die Nerven gehe. Dann<br />
erwähnte er uns noch etwas, was uns alle überraschte. Er erklärte uns, daß in den<br />
letzten sieben Tagen die Hubschrauber viele Tote und Verwundete aus Vukovar<br />
herausflogen, und daß die Serben und die Jugo-Armee ernsthaft erwägten, Vukovar<br />
in drei Tagen aufzugeben. Er riet uns ohne großen Bedarf den Bus nicht zu verlassen,<br />
weil die Tschetniks und Freischärler von Šešelj und Arkan einfach überall seien, und<br />
nur darauf warten, jemanden hinzurichten. Er blieb bei uns die ganze Nacht. Sandra<br />
und ich konnten nicht schlafen. In unserem Bus war auch meine Nachbarin Melita<br />
Štimac. Sie wußte auch nichts über ihren Mann. In dieser Nacht konnte niemand<br />
außer Kindern schlafen.<br />
220
19. 11. 1991, Dienstag<br />
Um 9 Uhr kam eine Frau und stellte sich als Mitarbeitern des Roten Kreuzes aus Šid<br />
vor und erklärte uns, sie sollte uns alle aufschreiben. Fast einstimmig sagten wir ihr,<br />
sie sollte zuerst die gewaltsam weggeschleppten Männer und Verteidiger verzeichnen.<br />
Sie aber antwortete, daß für diese Männer jemand anderer zuständig war. Als sie fertig<br />
war, fragte sie, ob wir etwas brauchen würden. Wir brauchten Nahrung und Wasser<br />
sowie Windeln für Babys. Sie versprach, etwas zu unternehmen. Um 8 Uhr, als es<br />
schon dämmerte, kamen die Wagen mit Lebensmitteln und Tee. Es gab nicht genug<br />
für alle. Unser ganzer Bus bekam nichts. Die Windeln waren nicht angekommen und<br />
man zog die Unterhemden aus Baumwolle aus. Sie waren nicht besonders sauber, aber<br />
eben trocken. Seit 24 Stunden wurden keine Windeln gewechselt. Der Fahrer erzählte<br />
uns, daß über unsere Abreise nach Kroatien noch immer verhandelt würde, und daß<br />
uns Kroatien und Tuđman nicht wollten. Wir alle schwiegen und warteten darauf, was<br />
passiert. Wir organisierten uns und schrieben die Namen und Geburtsjahren aller<br />
fortgeschleppten Männer und befragten darüber alle Menschen in allen Bussen. Wir<br />
wollten diese Listen dann den zuständigen Behörden in Kroatien übergeben, damit<br />
die Spur unserer Verteidiger nicht verlorengeht. Auf der Autobahn warteten wir bis<br />
zum Mittag, als der Befehl ankam, wir sollten zurück nach Šid, zum Markt, weil uns<br />
Tuđman nicht aufnehmen wollte. Aber wir wußten, daß die JNA diese Gelegenheit<br />
auszunutzen plante, mit Tschetniks tiefer in das kroatische Gebiet vorzudringen. Das<br />
war der einzige Grund, warum wir nicht gleich nach Kroatien fuhren. Die Busse, jetzt<br />
waren es dreizehn, bildeten eine Kolonne. Man vermutete, daß etwa 150 Menschen,<br />
falls die Busse voll waren, nach Serbien weggefahren waren. Der Fahrer wollte, daß<br />
wir unsere Köpfe beugen und jeglichen Augenkontakt mit Tschetniks vermeiden.<br />
Man sollte sie nicht beunruhigen. Man hatte Angst, sie könnten unkontrolliert zu<br />
schießen beginnen. Etwas ähnliches geschah letzte Nacht, als die Tschetniks ohne<br />
irgendwelchen Grund einige älteren Menschen aus dem Bus herausgezerrt und<br />
getötet haben sollten. Die Tschetniks standen bis an die Zähne bewaffnet auf beider<br />
Straßenseiten der Kolonne. Als unser Bus auf eine Anhöhe stieg, um die Straße nach<br />
Adaševci zu nehmen, bemerkte Sandra drei weiße Jeeps mit dem Erkennungszeichen<br />
des Roten Kreuzes, die von Adaševci angefahren kamen. Sie sagte nur kurz, das seien<br />
die Wagen des Internationalen Roten Kreuzes und sie wolle zu ihnen. Ich hatte keine<br />
Zeit zu reagieren. Sie drückte den Knopf um die Tür zu öffnen und rannte aus dem<br />
Bus hinaus. Man hörte die Schreie: „Stoj, pucat ću, stoj“ (Halt, ich werde schießen,<br />
halt), aber sie rannte aus voller Kraft. Es schien als ob die Leute in weißen Jeeps<br />
auch sie gesehen haben. Sie fuhren immer langsamer und dann hielten sie auch an.<br />
Sandra war schon beim ersten Wagen, aus welchem ein hochgewachsener Mann<br />
in weißer Kleidung ausstieg und umarmte sie. Sie redeten kurz miteinander und<br />
dann begleitete er sie zurück zum Bus. Ich wußte zuerst nicht, ob ich sie schlagen<br />
221
oder umarmen sollte. Lieber Gott half immer bei solchen Sachen, und so umarmte<br />
ich sie fest. Ich zitterte am ganzen Körper. Die ganze Geschichte wickelte sich in<br />
so einem Eiltempo ab, daß ich keine Gelegenheit bekam, Sandra zu stoppen. Sie<br />
lächelte nur und erklärte mir, daß diese Leute die Mitarbeiter des Internationalen<br />
Roten Kreuzes seien und auf der Suche nach uns wären. Sie versuchten uns zu finden<br />
seit wir Vukovar verließen, aber man hätte sie andauernd hin und her gefahren.<br />
Das war ein bißchen verwunderlich, da uns das Fernsehen Novi Sad am denselben<br />
Abend filmte, als wir die Autobahn erreichten. Sie fanden sich ganz zufällig hier, als<br />
die Verbindung zwischen den Tschetniks und ihren Übersetzern kaputtgegangen<br />
war. Sandra sagte, sie werden uns jetzt bis zur Rückkehr nach Kroatien begleiten.<br />
Glück und Erleichterung zeigten unsere Gesichtsausdrücke. Dann fuhren wir im<br />
Normaltempo nach Šid durch Adaševci und hielten bis zum Markt in Šid nicht an.<br />
Dort parkten alle Busse ein. Sofort danach kam dieser große Mann zu uns und fragte<br />
nach Sandra in fließendem Kroatisch. Sandra stand von ihrem Sitz in der letzten<br />
Reihe auf. Melita und ich stiegen auch aus dem Bus und sahen ihr nach. Sandra stieg<br />
in Jeep ein und sprach über eine Funkverbindung mit jemandem. Melita und ich<br />
durften nicht näher kommen. Die Soldaten ließen es nicht zu. Uns wurde befohlen<br />
in den Bus einzusteigen. Um den Markt herum fingen sich die Einwohner von Šid<br />
allmählich zu versammeln. Sie riefen uns zu, man sollte uns alle töten. Wir sahen sie<br />
nur an. Keiner von uns traute sich, auszusteigen. Kurz danach trafen noch drei Busse<br />
mit Frauen und Kindern sowie ein Kombiwagen des Internationalen Roten Kreuzes<br />
aus Genf, die unter uns Pakete mit Lebensmitteln, Toilettenpapier und Zigaretten<br />
verteilten. Wir konnten uns ein bißchen erfrischen. Dann kam auch Sandra zurück<br />
und sagte, daß sie mit Herrn Budiša in Zagreb sprach. Er versicherte ihr, daß wir<br />
jetzt in Begleitung des Internationalen Roten Kreuzes in Sicherheit wären. Seine<br />
Mitarbeiter würden bei uns bleiben, bis man uns nach Kroatien fährt. Wir durften<br />
für eine kurze Zeit den Bus verlassen um unsere Beine ein bißchen zu strecken. In der<br />
Nähe war auch eine Toilette. Wir alle verließen den Bus außer den älteren Menschen.<br />
Dann verschwand Sandra wieder. Als sie zurück war, erzählte sie, daß sich in einem<br />
der Busse ein verwundetes Mädchen befindet, dem die Gangrän droht, wenn es nicht<br />
behandelt wird. Sandra versuchte die Wunde zu sanieren. Ich sah Dara Mandić. Sie<br />
traf mit einem der letzten drei Busse ein, die auf dem Weg nach Sremska Mitrovica<br />
waren, aber da es dort keinen Platz mehr gab, wurden sie zurückgebracht. Sandra<br />
ging mit dem Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes von einem zum anderen<br />
Bus. Wir sollten in Richtung Vukovar und Ovčara fahren. Unsere Enttäuschung und<br />
Angst wurden immer größer. Die Rückfahrt nach Vukovar wäre ein Wahnsinn, aber<br />
darüber konnten wir nicht entscheiden.<br />
Sobald es dunkel wurde, traten wir die Reise nach Vukovar an. Es herrschte eine<br />
Grabesstille erfüllt von Zweifeln, Angst und Ungewißheit. Als wir im Zentrum<br />
222
von Tovarnik recht abbogen, erkannten wir die Strecke, die an Jelaš und Lovas<br />
vorbeiführte. Das bedeutete, daß man jetzt einen anderen Weg nahm. Man hörte die<br />
Teschtniks erzählen, daß in dem Wald von Jelaš, ein gewißer „Bra da“ („Bart”) wirkte,<br />
und mit seinen Ustascha-Kämpfern für Furcht und Schrecken in der Nacht sorgte.<br />
Wird er auch uns angreifen? War das alles geplant? Wir wußten es nicht. Am Anfang<br />
des Waldes wurden die Busse immer langsamer und fuhren im Schneckentempo.<br />
Es war als ob die Tschetniks gleich zu schreien beginnen würden: „Napadnite, šta<br />
čekate.“ (Worauf warten sie, greifen sie an). Aber niemand wurde angegriffen und als<br />
wir die Baracken bei „ORI“ sahen, wußte ich, daß der Wald hinter uns blieb. Ich war<br />
erleichtert, aber nur für eine kurze Zeit. Wir näherten uns Sotin, dem ersten Dorf auf<br />
dem Weg von Vukovar nach Ilok und Šid. Dort warteten auf uns bärtige Tschetniks.<br />
Alfons, Mitarbeiter des Roten Kreuzes, kam um Sandra abzuholen. Man sah sie beide<br />
im Scheinwerferlicht. Ich verließ meinen Sitz und ging nach vorne, um zu hören<br />
was geschieht. Ein Tschetnik sagte zum Fahrer und jungem Offizier, daß auf diesem<br />
Gebiet sein Herzog der Befehlshaber sei, und daß niemand nirgendwo fahren dürfe,<br />
ohne zuerst mit ihm zu sprechen. Dann ging er in ein Haus links von der Straße, ein<br />
ehemaliges Sägewerk, hinein. Er kam sehr schnell zurück und ließ uns weiterfahren.<br />
Der Weg, der nach Ovčara führte, war nicht sehr weit davon entfernt. Man sollte<br />
etwa in der Mitte der Strecke zwischen Vukovar und Sotin abbiegen. Als man diese<br />
Straße erreichte, wurde die Fahrt langsamer. Überall sah man bewaffnete Menschen,<br />
Soldaten und Tschetniks.<br />
Man fuhr uns zu den Hangars für landwirtschaftliche Maschinen in Ovčara. Ich<br />
kannte diese Umgebung des Landwirtschafts- und Industriekombinats, da ich hier<br />
oft das Gemüse für das Altenheim besorgte. Die Kolonne blieb auf der Straße stehen,<br />
und ein älterer betrunkener Offizier forderte, daß wir aussteigen. Wir sollten hier<br />
übernachten. Aber ihm folgte Alfons, der mit Sandra sprechen wollte. Einige Menschen<br />
verließen den Bus, aber dann sagte Sandra zu ihnen, sie sollten wieder einsteigen.<br />
Sie und Alfons gingen wieder von einem Bus zum anderen, und erklärten allen, es<br />
wäre sicherer in Bussen zu bleiben. Wenn uns der Offizier fragte, ob wir aussteigen<br />
wollten, sollten wir einstimmig ablehnen. Da gab es keine weiteren Erklärungen. Wir<br />
hörten auf Alfons und blieben drinnen. Nachdem der Offizier in allen Bussen dieselbe<br />
Frage gestellt und von allen die gleiche Antwort bekommen hatte, gab er Sandra, dem<br />
Übersetzer und Alfons die Hand. Ich fragte Sandra darüber. Sandra sagte, der Offizier<br />
wollte, daß die Menschen die Busse verließen, um zu verhindern, daß sie durch die<br />
Raketen von noch in Vukovar übriggebliebenen Ustascha verunglücken, wofür er keine<br />
Verantwortung übernehmen wollte. Als ihn Alfons dann fragte, ob er gewährleisten<br />
könnte, daß keine Granate einschlagen werde, wenn die Menschen aussteigen, konnte<br />
er nicht mit ja antworten. Außerdem sollten die Busse schon um 8 Uhr morgens gegen<br />
Bogdanovci fahren. Man ging auch davon aus, daß es problematisch sein könnte, 16<br />
223
Busse mit Frauen und Kinder rechtzeitig bis 8 Uhr unter Kontrolle zu bringen. Alfons<br />
wollte, daß wir alle in Bussen bleiben wegen unserer eigenen Sicherheit. Durch dieses<br />
Händeschütteln bekannte der Offizier seine Niederlage und gratulierte Alfons und<br />
Sandra zu ihrem Sieg. Wir konnten zur Toilette gehen, aber niemand blieb lange<br />
draußen. Uns kreisten die jungen bartlosen Soldaten und Tschetniks um. Uns schien,<br />
daß diese Kinder noch größere Angst als wir hatten. Als Melita, Sandra und ich<br />
unsere Beine ein bißchen strecken wollten, versuchten Sandra und Melita mit jungen<br />
Soldaten zu sprechen, die bei jedem Schuß in der Ferne zuckten. Wir blieben ruhig,<br />
da wir an viel Schlimmeres gewöhnt waren. Wir konnten aber nicht einschätzen, ob<br />
es sich dabei um die Provokationen handelte. Fast alle Soldaten kamen aus Bosnien<br />
oder dem Kosovo und bekamen eine Photographie, die ein sog. Massaker in einem<br />
Kindergarten in Borovo darstellen sollte. Man konnte erkennen, daß es sich dabei um<br />
eine geschickte Montage handelte. Aber diese Jungs hatten große Angst vor Frauen, die<br />
auf der Seite von Ustascha gekämpft haben sollten. Der Versuch, ihnen die Wahrheit<br />
zu erzählen, schlug fehl. Die Gespräche dauerten kurz, auch wegen der Tschetniks im<br />
Hintergrund. Wir stiegen wieder in den Bus, aber konnten nicht schlafen, obwohl ich<br />
meine Augen immer fester zudrückte. Sandra lehnte sich gegen mich und schlief ein,<br />
worüber ich erleichtert wurde. Ich vertiefte mich in meine Gedanken. Immer wieder<br />
erinnerte ich mich an die Worte von „Veliki bojler“ (Großer Boiler): „Sie dürfen<br />
nicht lebend in die Hände von Tschetniks fallen.“ Wenn jetzt irgendetwas passieren<br />
sollte, wäre ich völlig hilflos. Die Waffen zum unseren Schutz vergrab Miljenko in<br />
den Trümmern. Ich sprach leise ein Gebet nach langer Zeit. Erst am frühen Morgen<br />
überfiel mich ein kurzer Schlaf.<br />
20. 11. 1991, Mittwoch<br />
Ich wachte zwischen 6 und 7 Uhr auf, der Morgen dämmerte erst. Die ersten Gänge<br />
zur Toilette waren schon erledigt, aber niemand blieb lange draußen. Um 8 Uhr<br />
sollten wir weiterfahren. Als die Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes mit<br />
Vorbereitungen für einen baldigen Aufbruch begannen, trafen einige militärischen<br />
Lkws mit Brot, Konserven und Wasser ein. Vergeblich versuchten Sandra und noch<br />
einige Frauen den Menschen zu erklären, die ganze Sache wäre nur eine Täuschung,<br />
um uns hier länger aufzuhalten. Das lange Sitzen in Bussen, Hunger und Durst waren<br />
es einfach zu viel, und fast alle Menschen stiegen aus den Bussen aus, um Nahrung<br />
und Wasser zu holen. Man konnte diese hungrigen, durstigen und erschöpften Frauen<br />
nicht davon überzeugen, die Fahrt so schnell wie möglich fortzusetzen. Den Lkws<br />
folgten auch die Kameramänner, die dem Militär anzugehören schienen. Sie stellten<br />
die Fragen über die Behandlung, die wir durch die Armee erfuhren, wer Vukovar<br />
zerstörte und noch viele andere Fragen. All das diente dem Zweck durch geschickte<br />
Bildmontagen der Öffentlichkeit das falsche Szenario einer Befreiung durch Armee<br />
224
zu präsentieren. Dieses Szenario kostete uns zwei Stunden. Wir fuhren erst um 10<br />
Uhr in Richtung Bogdanovci und Nuštar weg. Mein Bus befand sich in der Mitte der<br />
Kolonne. Links von uns am Rand eines kleinen Waldes konnte man Bagger sehen und<br />
den Dampf der frisch ausgegrabenen Erde. Die Sonne stand hoch, aber es war sehr<br />
kalt. Die Erde wurde sicher für die auf der rechten Seite sich im Feld verschanzten<br />
Mehrfachraketenwerfer und Panzer vorbereitet. Die Busse fuhren über die Feldwege,<br />
über „atar“, wie sie in Slawonien genannt wurden. Erst jetzt sahen wir ein, welche<br />
Menge an Bewaffnung gegen Vukovar eingesetzt wurde. Uns wurde klar, daß uns nur<br />
ein Wunder retten konnte. Auf den Feldern von VUPIK sahen wir während unserer<br />
Fahrt von Ovčara bis Negoslavci und bis zur Straße Vukovar-Negoslavci zahlreiche<br />
Panzer, Haubitzen und Raketenwerfer. Ab und zu sah man sogar die Raketenspitzen<br />
aus der Erde herausragen. Ohne Halten erreichten wir schnell den Eingang in Vukovar<br />
aus Richtung von Negoslavci und am Ende der Sajmište Straße. Die Busse hielten für<br />
eine kurze Zeit an, aber dann fuhren sie schnell weiter und bogen neben dem Markt<br />
nach links. Ich sah die Rampe an<br />
der Straße, die zum berüchtigten<br />
Stadtteil mit serbischer Mehrheit<br />
Petrova gora führte, stehen.<br />
Die Rampe hob für unsere<br />
Busse Jezdimir Stanković in<br />
der Uniform der JNA. Fast alle<br />
Stadtbewohner kannten ihn,<br />
da er ein Bankangestellter war<br />
und an Wochenenden Musik<br />
bei den Hochzeitsfeiern spielte.<br />
Die Häuser wurden fast nicht<br />
beschädigt. An fast jedem<br />
Hauseingang flatterte ein weißer<br />
Band. Später erzählte uns man,<br />
das wäre das Erkennungszeichen<br />
der serbischen Häuser, damit<br />
sie die JNA während ihres<br />
Durchbruchs erkennen konnte.<br />
Ich saß rechts in der letzten<br />
Reihe, und so konnte ich auch die<br />
Fabrik „Modateks“ rechts von<br />
mir sehen. Mir fiel auf, daß sich<br />
in der Fabrik, in welcher bis zum<br />
Kriegsbeginn die ehemaligen<br />
Internationale (EU) Beobachter<br />
Mitarbeiter von „Vuteks“ Saider<br />
225
und Bandić die Hauptrolle spielten, sich viele Frauen befanden. Ich wußte nicht, ob<br />
sie es wußten, wer in Bussen saß, aber sie alle standen an Fenstern und druckten<br />
ihre Handflächen gegen Glas. Sie beobachteten stumm das ganze Geschehen. Um<br />
sie herum standen viele Soldaten und außerhalb des Fabrikhofes auch zahlreiche<br />
Tschetniks. Unsere Busse bewegten sich sehr langsam, und zwischen ihnen streiften<br />
immer wieder die Jeeps der Tschetniks, die einen Slalomlauf veranstalteten. Sie schrien<br />
und schossen in die Luft. Die Kolonne führten zwei weiße Jeeps des Internationalen<br />
Roten Kreuzes an und ein Jeep fuhr am Ende der Kolonne. Man bog in die Proleterska<br />
Straße bis „Vuteks“ ab, und dann links in die Svetozar Marković Straße. Man sah nicht<br />
viele Menschen, nur ab und zu einen Passanten. Fast alle Haustore waren offen. Die<br />
Nebengassen hatten Straßenschilder aus Bretter: Prva čet nička, Druga četnička usw.<br />
(Erste Tschetniks-Straße, Zweite Tschetniks-Straße). Der November ist sonst der<br />
Monat, wenn Schweine in Slawonien geschlachtet werden. Und darauf wollte man<br />
hier offenbar nicht verzichten. Nur eine Greisin stand vor ihrem Haus und weinte<br />
während die Kolonne vorbeifuhr. Die Busse lenkten links bei der Metzgerei Kruna<br />
(Krone) nach Bogdanovci ab, und so helfe uns Gott, hofften wir alle, sie werden jetzt<br />
auch nach Nuštar und dann endlich in Richtung Kroatien weiterfahren.<br />
Von Vukovar nach Bogdanovci brauchten wir etwa fünf Minuten. Wir hielten vor<br />
Bogdanovci an. Nach einigen Minuten kam Leo (der Däne) Sandra abzuholen. Ein<br />
Soldat sagte zu uns, wir sollten hier warten. Wir durften aussteigen, aber nicht die<br />
Straße verlassen, da alles vermint war. Rechts von uns standen die Soldaten in einer<br />
Entfernung von 50 m voneinander. Der Tag war sonnig und warm. Die Maisfelder<br />
hinter uns wurden nicht geerntet. Ich bemerkte auch die Straße, mit welcher ich nach<br />
der Bombardierung des Altenheims nach Vinkovci gefahren bin, um die Akten der<br />
evakuierten Insassen den Kollegen zu überbringen. In der Ferne, am Anfang der<br />
Hauptstraße von Bogdanovci, sah ich Rauch. Eine kleine Steigung, die zum Tal vor<br />
Bogdanovci führte, wurde durch Projektile zerstört. Man sah auch einige verendete,<br />
aufgeblähte und verweste Kühe. Der Wind wehte ein bißchen und man konnte den<br />
unerträglichen Gestank des verwesten Viehs riechen. Es war schon Mittag als Sandra<br />
und Leo angerannt kamen mit der Nachricht, daß wir wahrscheinlich nicht nach<br />
Kroatien fahren werden. Sie traf die Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes<br />
im Tal nach Marinci auf dem Weg nach Nuštar. Obwohl sie alle mit weißen Flaggen<br />
ausgerüstet waren, wurde auf sie das Feuer eröffnet und sie mußten zurückkehren. Es<br />
war offensichtlich, daß die JNA und die Tschetniks noch immer ihr Plan über einen<br />
weiteren Vormarsch in das kroatische Territorium nicht aufgegeben haben. Sandra<br />
sagte zu mir, daß ihr Leo und Alfons bestätigten, daß uns niemand aufnehmen will,<br />
und alle wären glücklich, wenn es keine Überlebenden in Vukovar gäbe. Ich konnte es<br />
einfach nicht glauben. Sie erwähnte aber, daß Alfons und Leo viel Erfahrung haben,<br />
aber nie wurden sie mit solchen Problemen bei der Durchführung einer Vereinbarung<br />
226
konfrontiert. Die Frauen aus vorderen Bussen stiegen ein, und wir folgten ihnen. Uns<br />
wurde befohlen nach Sremska Mitrovica zu fahren. Ich hoffte, wir werden nicht im<br />
Gefängnis enden. Die Kolonne konnte erst im Zentrum von Bogdanovci umkehren<br />
und sich auf dem Weg nach Sremska Mitrovica machen.<br />
Hinter den Häusern in den ersten Reihen, die fast alle verbrannten, sah man Häuser<br />
mit geparkten Wagen, Anhängern, Kombiwagen und Traktoren. Die Häuser wurden<br />
von Soldaten und Zivilisten geplündert: Hausgeräte, Möbel, Geschirr, Kleidung,<br />
Schuhe, Bettzeug, alles was es gab. Das ganze ging ruhig und ohne Eile voran. Nicht<br />
nur, daß man Vukovar von Ustascha befreite, man kriegte auch Kriegsbeute.<br />
Im Zentrum bei der Kirche, die auch sehr beschädigt wurde, lenkten wir links gegen<br />
den Friedhof von Bogdanovci ab. Nur so konnte der letzte Bus in der Kolonne an der<br />
Kreuzung bei der Kirche umkehren, und alle anderen ihm folgen. Aus einem Haus<br />
kamen drei schmutzige und bärtige Musiker heraus: Trompeter, Harmonikaspieler<br />
und Gitarrist und spielten Užica-Kolo. Sie grinsten und feierten ihren Sieg. Aus<br />
anderen Häusern kamen auch andere Tschetniks heraus, aber keine Soldaten. Die<br />
Spannung stieg. In ihren Händen hielten sie ihre Gewehre und Kalaschnikows, ein<br />
klares Zeichen dafür, daß sie schießen werden, falls das nötig wird. Als unser Bus an<br />
die Reihe kam, ließ der Fahrer den Motor auf Touren laufen, obwohl der Schalthebel<br />
im Leerlauf war. Kurz darauf, stellte er den Motor ab, und stieg aus. Er schlüpfte unter<br />
den Wagen. Als er wieder auf seinen Beinen stand, murmelte er etwas darüber, daß<br />
etwas kaputtgegangen war. Wir alle schwiegen, mit Bangen in unseren Herzen. Wir<br />
wollten nur so schnell wie möglich von hier verschwinden. Die Tschetniks kamen<br />
immer näher und die Situation verschärfte sich. Und dann stieg in den Bus der<br />
junge Offizier ein, und befiehl dem Fahrer endlich zu fahren. Auf einmal lief der<br />
Motor ohne Probleme. Wir kehrten um und fuhren den anderen Bussen nach. Ich<br />
konnte erst als wir das Tal von Bogdanovci hinter uns ließen, wieder atmen. Auch die<br />
anderen Fahrer handelten wie unserer, da man mehr als zwei Stunden brauchte bis<br />
alle Busse umkehrten. Wir waren wieder auf demselben Weg. Die Fahrt wurde dann<br />
nach Negoslavci fortgesetzt, wo wir um 15 Uhr eintrafen, und sonderbarerweise<br />
fuhren die Busse im Normaltempo ohne Halt weiter. In Höfen der Häuser entlang<br />
der Hauptstraße sah man Militärfahrzeuge, Munitionskasten und viele Soldaten. Wir<br />
verließen Negoslavci und als wir schon dachten, daß wir auf dem Weg nach Tovarnik<br />
über Orolik und Šidski Banovci waren, hielten die Busse an der Kreuzung nach<br />
Orolik und Berak an. Da waren wieder Zisternen mit Wasser und viele stiegen aus,<br />
um ihre Flaschen anzufüllen. Dann fuhren wir weiter nach Orolik, einem serbischen<br />
Dorf. Alle serbischen Dörfer bis Tovarnik erlitten keine Beschädigungen, es fehlte<br />
kein Dachziegel. In kroatischem Tovarnik waren fast alle Häuser vermint. Zerstörte<br />
Häuser, kaputte Fenster, alles geplündert. Im Zentrum war aber eine Ambulanz und<br />
nach der Anzahl der Soldaten vermutete ich auch den Stab der JNA in der Nähe.<br />
227
Wir fuhren weiter nach Šid und dann von Adaševci per Autobahn nach Srijemska<br />
Mitrovica.<br />
Es war noch Tag, als wir in Srijemska Mitrovica ankamen. Man fuhr uns bis zum<br />
Stadtzentrum zu einer neugebauten Sporthalle. Wir sollten uns hier ausruhen, etwas<br />
essen, trinken und vermutlich übernachten. Unsere Sachen mußten wir mitnehmen.<br />
Am Fußboden gab es keinen Platz. Den Vorrang hatten ältere Menschen und Kinder.<br />
Man lag am Fußboden oder auf Matten, wenn man Glück hatte. Die Frauen und<br />
Kinder kamen aus allen Stadtteilen von Vukovar, viele davon waren auf der Flucht<br />
vor Tschetnicks nach dem Fall von Sajmište. Ich suchte nach bekannten Gesichtern<br />
aus Borovo Naselje, um vielleicht etwas über meinen Mann zu erfahren. Aber ich<br />
sah niemanden. Auf einmal aber bemerkte ich Katica, die Schwester von Dragan. Ich<br />
sah ihre Töchter und ihre Mutter, deren Rücken beim Liegen ein bißchen unterstützt<br />
werden mußte. Während ich mir noch überlegte, was ich Katica sagen sollte, bemerkte<br />
sie mich. Sie eilte zu mir, und während ich meine Gedanken fieberhaft unter Kontrolle<br />
zu bringen versuchte, verstand Katica was in mir vorging, und sagte, sie wußte, daß<br />
Dragan fiel, aber die Mutter dürfe es nicht wissen, bis ihr nicht besser gehe. Der Tod des<br />
Sohnes würde sie schwer mitnehmen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, da ich wirklich<br />
nicht im Stande war, über Dragan zu sprechen. Sandra gab den Kindern Säfte und<br />
Schokolade, und ich übergab Katica Dragans Geldbörse. Ich habe sie nie geöffnet.<br />
Katica erzählte mir, sie würden aus dem Keller der Grundschule „Vladimir Nazor“<br />
abgeführt, als Slavija bis an dem Punkt wo „Velepromet“ stand, fiel. Dort fanden<br />
grausame Gemetzel und Folterungen von Zivilisten statt, besonders in der Werkstatt<br />
Tišljer. Alle Männer wurden abgeführt. Ihr teilte ein Mitarbeiter des Jugoslawischen<br />
Roten Kreuzes mit, wir würden über Bosnien nach Kroatien gebracht, aber man<br />
wisse nicht wann. Über eine Lautsprechanlage benachrichtigte man uns, daß bald<br />
Nahrung und Wasser kommen würden, sowie daß die Sporthalle über eine Toilette<br />
verfügte. Da sich alle nach vorne drangen, setzten sich Sandra, Melita und ich auf die<br />
Zuschauertribüne und warteten bis sich das Gedränge auflöste. Uns schlossen sich<br />
auch Nensi und Vera Tešanović an. Vera sagte zu mir, daß man ihren Sohn, der nur<br />
15 Jahre alt war, ins Gefängnis nach Mitrovica abführte. Der jüngere Tibor blieb bei<br />
ihr. Nachdem das Essen gekommen war, tauchten in der Halle auch die Fernsehteams<br />
mit Kameras auf und filmten das Leid und Elend. Eine rothaarige Journalistin in<br />
schwarzer Lederjacke und einem kurzen Rock, auffällig geschminkt, stellte mit einem<br />
Lächeln im Gesicht den erschöpften Frauen schon bekannte Fragen: wie sie von der<br />
Armee behandelt würden, wer Vukovar zerstörte, wollten sie nach Kroatien gebracht<br />
werden ... Zu uns gesellte sich ein großer magerer Mann, ordentlich rasiert, mit einer<br />
Kamera und stellte Fragen. Wir sagten, daß Vukovar von der JNA zerstört würde,<br />
worauf er ruhig behauptete, daß die Ustascha die wahren Schuldigen wären. Melita<br />
erwähnte aufgeregt, daß die Waffen dafür nur die JNA hätte. Er versuchte uns zu<br />
228
erklären, daß wir die Geiseln von Ustascha waren, und daß uns die JNA befreite.<br />
Wir wollten dann wissen, warum würden wir dann durch ganz Serbien gefahren und<br />
warum bringe man uns nicht nach Kroatien. Die Antwort aber kannten wir schon:<br />
Tuđman wollte uns nicht, und die JNA könnte nicht mehr die Leben ihrer Soldaten<br />
wegen uns aufs Spiel setzen. Er pries Ehre und Würde aller Soldaten der JNA,<br />
besonders der Offiziere. Melita konnte nicht aushalten, und fragte ihn nach Tschetniks<br />
und ihrer Rolle. Die Antwort war kurz und bündig: „Die Tschetniks sind ein Teil der<br />
JNA, nur mit anderen Abzeichen.“ Ich wußte nicht, was er von uns erwartete, aber<br />
er könnte nicht wirklich denken, daß wir diese Behauptung ruhig annehmen. Aber<br />
wir sagten dazu doch nichts, weil es sowieso keinen Zweck hatte. Die JNA bewaffnete<br />
die Tschetniks und stand hinter allen Grausamkeiten, die diese begangen hatten. Der<br />
Mann ließ uns in Ruhe. Zu uns kam der junge Krešo Kasalo. Er war im Gefängnis in<br />
Sremska Mitrovica, aber jetzt durfte er seine Mutter besuchen. Ich wußte nicht wie<br />
er das zustande brachte. Er war so grün und blau geschlagen, daß er sich kaum auf<br />
Beinen hielt. Er warnte uns davor, mit anderen Zivilisten zu sprechen, da viele in<br />
ihren Jackenärmeln Gummiknüppel versteckten. Manche Menschen wurden aus der<br />
Halle nach draußen gebracht und geschlagen. Ein Mann, der seinen Gummiknüppel<br />
sogar nicht zu verstecken versuchte, stand nicht weit entfernt von uns. Auch Leo<br />
kam und erklärte Sandra, daß die Fahrt nach Bosnien vermutlich morgen organisiert<br />
werde. Wir sollten auch Kasalo unter allen Umständen in den Bus einschieben. Das<br />
Gedränge bei der Verteilung von Lebensmitteln wurde geringer, und so gingen wir<br />
uns auch etwas zum Essen und Trinken zu holen. Es gab belegte Brote mit Salami,<br />
Konserven, Brot, Säfte, Milch und natürlich Wasser. Wir nahmen etwas von allem<br />
und gingen zur Tribüne zurück. Zu uns kamen wieder Vera und Nensi.<br />
Über die Lautsprechanlage wurden die Namen aufgerufen. Verwandte und Bekannte<br />
kamen, um ihre Nächsten zu suchen. Vukovar und Syrmien pflegten nicht nur<br />
geographische sondern auch verwandtschaftliche Beziehungen. Uns fünf aßen, jede<br />
vertieft in ihre Gedanken. Aber mein Kopf war ganz leer. Aus weiter Ferne hörte ich<br />
die Stimme der Lautsprechanlage: „Sandra und Anica Marić sollten nach draußen<br />
kommen.“ Ich sah Sandra an und bewegte mich langsam wie in einem Traum. Ich<br />
war mir sicher, daß uns unsere Mutter aus Kukujevci bei Šid fand und kam um<br />
zu überprüfen wie es uns geht. Draußen vor der Tür standen Leo und Alfons und<br />
daneben Marinko Cvikić, Sandras ehemaliger Freund aus Vukovar. Wir begrüßten<br />
ihn, und dann ging ich zurück in die Halle. Ich hatte nur einen Gedanken in meinem<br />
Kopf: sie wird mit ihm gehen, obwohl wir sie mehr als jemals brauchten. Der Weg<br />
nach Kroatien sollte sehr lang sein. Aber ich hatte kein Recht irgendetwas zu sagen,<br />
sie mußte ihre Entscheidungen selbst treffen. Als der Krieg begann, verließen<br />
Marinko, seine Eltern und sein jüngerer Bruder Vukovar und zogen nach Novi Sad<br />
um. Sandra und er waren ein Paar fast drei Jahre und sie hatten sich sicher viel zu<br />
229
sagen. Ich erzählte Nensi, Melita und Vera, wer gekommen war. Melita kannte ihn<br />
nicht, aber Nensi doch. Auch sie lebte in Borovo Naselje wie Marinko. Sie fragte,<br />
ob Sandra mit ihm gehen werde. Aber ich kannte die Antwort nicht. Mir war zum<br />
Essen nicht zumute. Und als Sandra wieder vor uns stand, konnten wir nichts sagen.<br />
Wir sahen sie nur an. Aber sie wußte schon alles, lächelte und sagte: „Aha, die Angst<br />
packte euch? Ihr denkt ich werde gehen, aber das wird nicht passieren. Wir haben<br />
über einige Sachen geredet. Ich sagte zu ihm, ich muß mit euch nach Kroatien.<br />
Was uns die Zukunft bringt, das werden wir später sehen. Vielleicht wird uns das<br />
Schicksal später zusammenbringen, wer weiß? Er wollte, daß ich mit ihm nach Novi<br />
Sad komme, aber ich erklärte ihm, daß ich hier mehr gebraucht werde.” Ich wollte<br />
wissen, woher er wissen konnte, daß wir in Sremska Mitrovica waren. Sandra sagte,<br />
er habe sie im Fernsehen gesehen, als sie in englischer Sprache über Vukovar erzählte.<br />
Er erkundigte sich dann nach Frauen und Kindern von Mitnica. Ich erinnerte mich<br />
auch, daß er auch als Telefonverbindungen noch intakt waren, immer wieder anrief<br />
und Sandra bat, Vukovar mit einem Passierschein von Tomislav Merčep zu verlassen,<br />
aber sie lehnte es ab, sie wollte wie ihr Vater ihre Arbeit nicht verlassen. Und so blieb<br />
sie in ihrer Stadt. Es fiel mir ein Stein vom Herzen, aber ich war auch gleichzeitig<br />
ein bißchen darüber beschämt, daß ich so wenig Vertrauen in meine Tochter hatte.<br />
Die Tatsache war, daß Sandra ihren eigenen Willen hatte. Vielleicht zweifelte ich<br />
deswegen an ihr. Dann kam Leo und bat Sandra mit ihm zum Arzt in der Halle<br />
zu gehen. Das Mädchen Marijana Karaula, das am Bein verwundet wurde, fühlte<br />
sich sehr schlecht. Ihr Bein war angeschwollen, das Mädchen hatte hohes Fieber.<br />
Sie mußte so schnell wie möglich einem operativen Eingriff untergezogen werden.<br />
Aber Mutter und Tochter wollten nicht ins Krankenhaus in Mitrovica eingeliefert<br />
werden, obwohl das Leben der Tochter in großer Gefahr war. Sie hörten weder auf<br />
den Arzt noch Sandra. Auch eine junge schwangere Frau, bei der schon Wehen<br />
ansetzten, wollte nicht ins Krankenhaus. Marijana bekam die Spritzen verabreicht,<br />
aber sie lehnte es immer wieder ab, ins Krankenhaus zu gehen. Obwohl wir alle müde<br />
waren, keiner konnte schlafen. Um 21 Uhr waren wir alle noch wach. Dann teilte<br />
man uns über die Lautsprechanlage mit, daß morgen die ersten Busse nach Bosnien<br />
fahren werden, und als ersten sollten die Menschen fahren, die schon gestern hier<br />
ankamen. Die anderen sollten warten. Sofort entstand ein Durcheinander. Die Panik<br />
brach aus. Alle versuchten sich der Tür zu nähern. Wer konnte darüber bestimmen,<br />
wann wer angekommen war. Leo und Alfons sprachen mit Sandra und dann gingen<br />
sie alle drei zum Tisch des Jugoslawischen Roten Kreuzes, an welchem zwei Frauen<br />
saßen, für den Fall, daß sich jemand von uns dazu entscheiden sollte, zu seinen<br />
Verwandten in Serbien weiterzufahren. Sandra sprach mit diesen Frauen, und war<br />
zu hören, daß man entschied, daß entweder alle fahren werden oder niemand. Man<br />
werde solange warten bis genug Busse für alle da sind. Alle begannen zu klatschen.<br />
Ich war über Sandras Rolle in dieser ganzen Geschichte überhaupt nicht erfreut. Die<br />
230
Mitarbeiter des Roten Kreuzes ignorierten den offiziellen Übersetzer und Sandra<br />
war verantwortlich dafür, daß man die richtigen Informationen immer bekam. Ich<br />
hatte Angst davor, daß die Dunkelheit sie verschlucken wird. Ich wußte, daß Leo<br />
und Alfons alles mit ihr besprachen, und auch daß die Entscheidung einer großen<br />
Menschenmenge, etwa tausend Frauen und Kinder, doch respektiert werden mußte.<br />
Sandra sagte, daß Leo und Alfons glauben, daß wir endlich morgen nach Kroatien<br />
fahren würden. Leo und Alfons gingen ins Hotel, um sich ein bißchen auszuruhen.<br />
Sie schenkten Sandra ein Parfüm, damit sie sich mit ihm besprengen könnte, als<br />
man Zagreb erreicht. Erst dann wurde mir bewußt, wie stark wir alle stanken. Kein<br />
Wunder, wir badeten seit einem Monat nicht. Wir versuchten einzuschlafen, aber<br />
die Stühle waren ungemütlich, der Rand des Sesselplatzes war erhöht und ich hatte<br />
Schmerzen im Bereich der Nieren. Ich legte mich auf den Beton zwischen Sitzplätzen<br />
und schlief sehr schnell ein.<br />
21. 11. 1991, Donnerstag<br />
Ich wurde wach vor der Dämmerung. Fast alle schliefen noch, und die Luft in der Halle<br />
war ziemlich stickig. Ich ging zur Toilette um mich zu erfrischen. Danach konnte ich<br />
nur warten, bis auch andere aufwachten. Um 8 Uhr brachte man Frühstück: Gebäck,<br />
Tee, Joghurt und Milch. Es herrschte kein Gedränge mehr. Alle waren ruhig. Um 9,30<br />
Uhr meldete die Lautsprechanlage, wir sollten unsere Sachen packen und auf das<br />
Zeichen zum Einsteigen warten. Marijana war sehr krank, sie hatte hohes Fieber. Die<br />
schwangere Frau konnte ich nicht sehen.<br />
Um 10 Uhr sagte man uns, die Busse würden nach Bijeljina fahren. Dort sollten<br />
uns die kroatischen Busse und Lkws erwarten. Unserem Konvoi sollten sich auch<br />
die Schwerverwundete aus dem Vukovarer Krankenhaus anschließen und mit den<br />
Militärtransportern nach Brčko fahren. Es gab keine Panik und kein Gedränge. Wir<br />
nahmen ruhig unsere Plätze in Bussen ein. Mit uns kam auch Kasalo mit. Die Fahrt<br />
war langsam, sie führte über Kuzmin und Srijemska Rača, dann über die Save nach<br />
Bijeljina. Man mußte häufig an sog. Kontrollpunkten halten, aber der Zweck der<br />
ganzen Sache bestand darin, eine Fahrt, die nur einige Stunden dauerte, auf einen<br />
ganzen Tag auszudehnen, damit man Bijeljina erst in der Nacht erreicht.<br />
Wir trafen am Vorabend in Bijeljina ein. Mir schien, daß man auf einer Bundesstraße<br />
anhielt. Entlang der Straße auf beiden Seiten warteten schon Busse und Lkws aus<br />
Kroatien. Gleich nachdem wir unseren Buss verlassen hatten, tauchte ein kleiner<br />
Mann in einer schwarzen Jacke und einem Erkennungszeichen des Roten Kreuzes<br />
am Ärmel. Er trug auch eine schwarze Mütze. Er sagte, wir könnten in den Lkw<br />
einsteigen. Da versammelten sich um die Wagen die Einwohner von Bijeljina,<br />
wahrscheinlich Serben, die uns zuriefen, daß wir Ustascha seien. Es begann zu regnen.<br />
231
Uns fünfzehn liefen über die Straße und stiegen in den Lkw ein. Ich denke, der Fahrer<br />
war aus Varaždin. Er sagte, wir würden uns schnell auf dem Weg machen, sobald<br />
alle Menschen serbische Busse verlassen. Er erklärte uns, daß auch die Verwundeten<br />
und die älteren Menschen mitkommen werden, aber in Bussen. Er hoffte, wir würden<br />
nicht sauer sein, daß für uns die Lkws vorbereitet wären. Für uns stellte das kein<br />
Problem dar. Kroatien war endlich in Sicht, und wir saßen in einem kroatischen<br />
Lkw. Wir folgten dem Rat des Fahrers und ließen die Plane in dem hinteren Teil des<br />
Wagens herunter. Da waren schon die Decken, um die Härte des Bodens zu mildern.<br />
Wir alle fanden einen Platz und warteten. Der Lkw, der vor unserem geparkt war,<br />
fuhr weg, aber wir nicht. Auch der Lkw hinter uns startete den Motor. Ich hob die<br />
Plane und sah alle Wagen allmählich in einer Kolonne auf der rechten Straßenseite<br />
wegfahren. Ich sagte Sandra, sie sollte unseren Fahrer suchen. Sandra erfuhr, daß er<br />
sich im naheliegenden Wirtshaus betrank, was einfach in so einer kurzen Zeit nicht<br />
möglich war. Er war völlig nüchtern und besonnen, als er mit uns sprach. Ich stieg<br />
aus dem Lkw aus und hörte den Fahrer des letzten Lkw in der Kolonne schreien,<br />
wir sollten zu ihm kommen. Als wir dann über die Straße laufen wollten, ließ ein<br />
Verkehrpolizist die Kolonne, die auf den Treibstoff wartete, durch. Aus Verzweiflung<br />
riefen wir ihm zu, er sollte uns die Straße passieren lassen oder gleich töten. Auf<br />
unsere Überraschung, stoppte er die andere Kolonne und wir rannten zum Lkw.<br />
Erst als ich schon im Lkw saß, bemerkte ich, daß Sandra verschwand. Ich geriet<br />
in Panik, aber niemand wußte, wo sie war. Ich stieg aus dem Lkw wieder aus und<br />
rannte entlang der Kolonne. Der Fahrer rief mir zu, ich sollte einsteigen. Melita<br />
und er dachten, sie wäre nach vorn gegangen. Auf einmal war da auch der Mann<br />
in der schwarzen Jacke, und sagte, daß ein Mädchen mit einem Tuch in einen Bus<br />
eingestiegen wäre. Aber ich glaubte ihm nicht. Ich rannte wieder nach vorn und rief<br />
nach ihr. Die Kolonne stoppte auf einmal. Da sah ich Sandra, wie sie mit Leo und<br />
Alfons angerannt kommt. Ich fiel auf die Knie. Sandra half mich aufzustehen und in<br />
den Lkw einzusteigen. Sie erklärte mir, als sie sah, daß unser Fahrer nicht zu finden<br />
war, suchte sie Alfons und Leo auf. Leo und Alfons erzählten uns, daß einige Fahrer<br />
aus ihren Wagen herausgezerrt und geschlagen würden, um zu verhindern, uns nach<br />
Kroatien zu fahren. Alles widerhallte in meinen Ohren, aber ich war nicht imstande<br />
zu sprechen. In diesem Augenblick war ich am Rande eines Nervenzusammenbruchs.<br />
Ich umarmte Sandra fest und zitterte am ganzen Körper. Mich quälte die Frage, wie<br />
konnte so etwas so nahe am Ziel passieren. Angst, Wut, schwere Last in meiner<br />
Brust, all das gor in mir. Sandra erzählte, daß wir noch an einer Stelle auf dem Weg<br />
nach Brčko unter Beschuß geraten könnten. Wenn wir aber diese Stelle passierten,<br />
dann wären wir endlich in Sicherheit. Erst nach einigen Minuten begriff sie, daß ich<br />
einen Schock erlitt und praktisch erstarrte. Sie küßte mich immer wieder, versuchte<br />
mich zu beruhigen und wiederholte ständig, wir wären auf dem Weg in Freiheit.<br />
Ich schwieg, hielt sie fest und weinte. Ich versuchte überhaupt nicht meine Tränen<br />
232
abzuwischen. Nach einer kurzen Zeit hörte man Schüsse. Ich zuckte. Diese Schüsse<br />
brachten mich zurück in die Realität. Ich begriff, wir werden noch etwas aushalten<br />
müssen. Wir wußten nicht, ob jemand in der Kolonne getroffen wurde. Der Lkw<br />
fuhr immer schneller und um die Mitternacht waren wir in Brčko. Die Lkws und<br />
Busse hielten im Kreis im Zentrum der Stadt an. Wir hoben die Plane und sahen<br />
die Militärtransporter mit Schwerverwundeten aus dem Vukovarer Krankenhaus in<br />
Bereitschaft. Gleich neben unserem Lkw lag auf einer Bahre Albert Saider, Händler<br />
aus Vukovar. Er schaute zu uns und erkannte mich. Mit einer Hand unterstützte er<br />
seinen Kopf und rief mir zu: „Du siehst wieder auf mich herab.“ Das sei einfach das<br />
Schicksal, lautete meine Antwort. Er erinnerte sich an dem Tag, als er an unserem<br />
Haus vorbeikam, und ich mit Handwerkern auf dem Dach stand. Ich arbeitete auch<br />
10 Jahre in „Velepromet“ und wir beide kannten uns sehr gut und so sagte er mir<br />
noch damals, ich würde auf ihn herabsehen. Er hatte nur ein Bein. Die Einwohner<br />
von Brčko versammelten sich um uns. Sie brachten uns Nahrung, etwas zu trinken<br />
und Kuchen aus einer naheliegenden Konditorei, eigentlich alles was wir verlangten.<br />
Am Ende war es auch zu viel. Ein Albaner gab uns Lammbraten mit Kartoffeln und<br />
Zwiebeln. Wir baten sie, unsere Verwandten anzurufen und ihnen zu sagen, daß wir<br />
wohl auf sind. Diese Menschen behandelten uns wirklich gut und zeigten uns ihr<br />
Mitgefühl. Ich werde sie nie vergessen. Sobald die Verwundeten in die kroatischen<br />
Wagen verlegt wurden, waren wir schon auf dem Weg. Mich weckte die Stimme eines<br />
Soldaten, der die Plane von draußen hob und sagte: „Willkommen in Kroatien.“ Wir<br />
überquerten die Save bei Bosanski Šamac und fuhren Richtung Đakovo. Als wir fast<br />
einstimmig mit „Gott sei Dank“ antworteten, war der Soldat schon verschwunden.<br />
Unsere Freude war unermäßlich und die Zeit bis Đakovo verging sehr schnell.<br />
In Đakovo trafen wir etwa um 22 Uhr. Man brachte uns in einer großen Halle unter.<br />
Die Verwundeten waren schon versorgt. Auf uns warteten die Tische voll mit Nahrung<br />
und Getränken. Aber keiner konnte essen, da wir schon in Brčko gegessen hatten.<br />
Alfons und Leo kamen, um sich von Sandra zu verabschieden. Sie mußten weiter<br />
nach Zagreb mit Marijana, die in einem kritischen Zustand war. Man glaubte aber sie<br />
noch rechtzeitig ins Krankenhaus einzuliefern, und daß keine Amputation notwendig<br />
wird. Sie bedankten sich bei Sandra für ihre Hilfe und gaben ihr ihre Adressen, falls<br />
Sandra sie brauchen oder später kontaktieren wollte. Wir wollten aber sofort nach<br />
Zagreb weiterfahren und die Listen mit Namen der fortgeschleppten Männer den<br />
Zuständigen übergeben. Wir vereinbarten untereinander, daß wir zum Banus-Jelačić<br />
Platz gehen und dort warten werden, bis uns jemand von der Regierung oder sogar<br />
der Präsident Tuđuman selbst nicht anhört. Das war unser Recht, nach allem was wir<br />
durchmachten. Ich glaube, wir verließen Đakovo um Mitternacht. Vor dem Aufbruch<br />
stieg ein junger Mann (Medizintechniker aus dem Vukovarer Krankenhaus) in den<br />
Bus ein. Er sagte, er wisse was wir beabsichtigen zu tun, aber wir sollten uns nichts<br />
233
vortäuschen. Keine Weiber würden die kroatische Regierung stürzen. Wir erklärten<br />
ihm, daß wir das auch nicht beabsichtigten. Er bestand aber darauf, wir sollten auf<br />
unser Vorhaben verzichten. Die Regierung der RH sorge schon für uns. Darauf<br />
verließ er den Bus, und wir konnten uns nicht erklären was er eigentlich wollte, da<br />
unser einziges Ziel die Zustellung dieser Listen war. Es regnete immer stärker. Wir<br />
hielten in einem Hotel auf dem halben Weg zwischen Đakovo und Bjelovar an und<br />
erfrischten uns ein bißchen.<br />
22. 11. 1991, Freitag<br />
Um 7 Uhr trafen wir in Bjelovar ein. Es regnete nicht mehr. Als wir an einer Ampel<br />
standen, mußte der Fahrer die Tür öffnen, da wir alle grausam stanken. Die Kinder<br />
gingen in die Schule, und als sie hörten, daß wir aus Vukovar kommen, wollten sie<br />
uns ihr Taschengeld und ihr Essen geben. Unsere Omas weinten. In Bjelovar wurden<br />
wir in einer Sporthalle oder einem Gesellschaftshaus untergebracht. Der Raum war<br />
leer mit einer kleinen Bühne. Dort erwartete uns der Bürgermeister von Bjelovar<br />
in Begleitung einiger Leute. Er begrüßte uns und sagte, die Stadt würde auf uns mit<br />
offenen Türen und Herzen warten. Wir bedankten uns, aber sagten, wir müssten weiter<br />
nach Zagreb. Er wollte, daß wir uns bis morgen ausruhen. Währenddessen würde er<br />
Zagreb anrufen und unsere Forderungen weiterleiten. Wir stimmten seinem Vorschlag<br />
zu, da wir wirklich Erholung brauchten. Ich sagte Sandra, sie sollte Nensi und Vera<br />
suchen, damit man unsere Insassen zu versammeln versucht. Ich wußte, daß Bjelovar<br />
ein neues Altenheim hatte, und ich spielte mit dem Gedanken, unsere Insassen hier<br />
unterzubringen. In der Begleitung des Bürgermeisters war auch eine Sozialarbeiterin,<br />
die im Altenheim arbeitete. Als ich ihr alles erklärte, sagte sie, daß es im Altenheim<br />
genug Platz gäbe. Sie würde auch den Transport mit Ambulanzwagen organisieren. Das<br />
Altenheim befand sich in der Nähe der Halle. Wir versammelten unsere Insassen, aber<br />
auch andere ältere Menschen, da man die Möglichkeit erwog, sie alle zusammen in das<br />
Altenheim zu bringen. Zum Glück gab es genug Platz. Bis zum Mittagessen wurden<br />
sie in ihre neue Unterkunft gebracht. Diese Unterbringung hatte einen provisorischen<br />
Charakter, aber zu dieser Zeit war es die beste Lösung. Unsere Insassen wußten, daß wir<br />
nach Zagreb müssen. Die Sozialarbeiterin versprach mir, sich mit ihren Kollegen, um<br />
sie zu kümmern. Ein Stein fiel mir vom Herzen.<br />
Kurz nach 12 Uhr tauchte der Bürgermeister auf, mit der Absicht, uns von unserer Fahrt<br />
nach Zagreb abzubringen. Er wollte uns nicht zuhören und in einem Moment schrie er:<br />
„Sie haben kein grünes Licht für Zagreb.“ In der Halle wurde es plötzlich sehr still. Wir<br />
konnten nicht glauben, was wir hörten. Ich fragte ihn, wer Zagreb grünes Licht gab, um<br />
Vukovar so in Stich zu lassen. Er wußte nicht was er dazu sagen sollte, und wir gingen zu<br />
den Bussen. Wir saßen dort etwa eine Stunde, als man uns endlich sagte, daß die Fahrer<br />
234
sehr müde und nach Hause um sich auszuruhen gegangen seien. Es war schon 16 Uhr.<br />
Die ganze Sache mit dem Bürgermeister dauerte einfach zu lange. Die Einwohner von<br />
Bjelovar kamen zu uns. Sie warteten den ganzen Tag lang und wollten uns in ihre Häusern<br />
aufnehmen. Nachdem wir ihnen aber alles erklärt hatten, zeigten sie Verständnis, und<br />
luden uns ein, wenn wir in Zagreb fertig seien, sollten wir zurück nach Bjelovar zu<br />
ihnen kommen, was wir auch versprachen. Da die Fahrer auch nach einer halben Stunde<br />
nicht da waren, entschieden wir uns zu Fuß zu gehen. Wir hatten gerade noch Kraft für<br />
diese etwa 60 km. Wir nahmen nur das Nötigste mit, die jüngeren Frauen hatten auch<br />
nicht viel Gepäck. Die Frauen mit Kindern blieben in Bjelovar. Die Einwohner weinten,<br />
als wir uns verabschiedeten. Auf einmal war auch der Bürgermeister da. Er sagte, wir<br />
sollten in Busse wieder einsteigen, da die Fahrer zurückkamen, und er versicherte uns,<br />
wir würden nach Zagreb fahren. Die Bewohner klatschten und grüßten uns mit dem<br />
Victory-Zeichen. Unter dem Schutz der Dunkelheit erreichten wir Zagreb, aber schon<br />
an der ersten größeren Kreuzung fuhr man nicht dem Straßenschild entsprechend in<br />
Richtung Stadtzentrum, sondern irgendwohin anders. Ich dachte, man nehme nur eine<br />
andere Strecke, aber ich irrte mich. Wir hielten bei den Hallen der Zagreber Messe an.<br />
Es war offensichtlich, daß alle ehemaligen Einwohner von Vukovar in Zagreb wußten,<br />
daß wir hier eintreffen werden. Viele Menschen waren da und durchsuchten alle Busse,<br />
um ihre Verwandten und Bekannten zu finden. Auch der junge Kasalo mit Mutter stieg<br />
aus. Wir aber blieben drinnen sitzen. Auch die Mutter von Melita kam, die mit Melitas<br />
Kinder Dunja und Mirta in Zagreb war. Sie bat uns, den Bus zu verlassen, aber Melita<br />
wiederholte immer wieder den Satz: „Wir müssen zuerst zum Jelačić-Platz gehen, um<br />
diese Verzeichnisse zu übergeben, ich weiß nicht wo Vlatko ist, zuerst müssen wir<br />
das erledigen.“ Arme Frau mußte sich damit abfinden, daß Melita aus dem Bus nicht<br />
aussteigen wollte. Nach einer halben Stunde stieg in unseren Bus eine Frau ein, die sich<br />
als Reisebüromitarbeiterin vorstellte. Sie sollte unsere Unterbringung in Zagreber Hotels<br />
organisieren und wollte auch unsere Listen nehmen, um sie dann weiterzuleiten. Wir<br />
verzichteten darauf. Als wir endlich weiter fuhren, standen wir in ein Paar Minuten<br />
vor dem Hotel „Interkontinental“. Wir dachten andere Busse wären hinter uns, aber da<br />
war außer unseren nur noch ein Bus. Die Reisbüromitarbeiterin wollte mir nicht sagen,<br />
wo die anderen sind, sie bemerkte nur, daß wir nicht alle in einem Hotel untergebracht<br />
werden könnten. Wir sollten uns erst ausruhen und etwas essen, weil wir doch gestreßt<br />
und müde wären. Da war mir klar, daß wir heute Abend nicht zum Jelačić-Platz gehen<br />
können. Man hat uns getrennt. Auf uns wartete schon Melitas Mutter. Ich sagte zu Melita,<br />
daß wir heute Abend sowieso nichts tun könnten und sie sollte zu ihren Kindern gehen.<br />
Wir verabschiedeten uns und Sandra und ich meldeten uns an der Rezeption an.<br />
Die Vorhalle des Hotels war voll mit Menschen, auch die Fernsehkameras waren da.<br />
Für einen Augenblick sah ich eine junge Frau mit einem Kind, das nicht älter als<br />
zwei Tage aussah. Vielleicht war das die Frau aus Mitrovica. Ich wollte zu ihr, aber da<br />
235
waren schon die Journalisten. Sandra bekam den Zimmerschlüssel und wir stiegen in<br />
den Aufzug ein. Ich denke, wir bekamen ein Zimmer im fünften Stockwerk mit einem<br />
großen Doppelbett. Alles war in Samt uns Seide eingerichtet, wie unsere Alten zu sagen<br />
pflegten, und unsere Füße verschwanden in kostbaren Teppichen. Mir schien, daß es<br />
mir besser gegangen wäre, wenn mich jetzt jemand ins Gesicht schlagen würde. Wir<br />
suchten zuerst das Bad auf und erst dann begriffen wir, daß wir nichts zum Anziehen<br />
hätten. Eine Frau im Flur sagte uns, daß die Geschäfte im Zentrum bis 21 Uhr geöffnet<br />
sind. In einem Laden gegenüber der Statue des Banus Jelačić kauften wir Kleidung<br />
und Unterwäsche und in einem anderen Schuhe. Wir kauften auch einige Sachen für<br />
meine Schwiegermutter, die im Altenheim in Bjelovar geblieben war. Als wir ins Hotel<br />
zurückkamen, dort warteten schon auf uns die Verwandten des verstorbenen Mannes<br />
meiner Schwester, die in München lebte. Sie nahmen uns mit in ihre Wohnung. Wir<br />
ließen die Telefonnummer der Familie Obadić an der Rezeption zurück. Sanja sagte,<br />
daß meine Schwester anrief, um uns zu sagen, daß sich mein Mann bei ihr meldete.<br />
Er wäre in Inđija, bei der Familie des zweiten Mannes meiner Schwester. Er würde<br />
später anrufen versuchen. Wir haben untereinander schon in Vukovar vereinbart, daß<br />
wenn wir Vukovar getrennt verlassen, dann werden wir uns alle auf dem Weg nach<br />
München machen. In der Wohnung der Familie Obadić nahmen wir ein Bad und zogen<br />
uns um. Ich darf mich nicht erinnern, wie das Wasser nach unserem Bad aussah. Ich<br />
telefonierte mit meiner Schwester und irgendwie auch mit meinem Mann. Ich sagte<br />
ihm, daß wir nach München fahren. Ich mußte morgen noch das Altenheim in Bjelovar<br />
anrufen, damit man meine Schwiegermutter nach Zagreb schickt. Wir sahen uns die<br />
Nachrichten um 22 Uhr an. Das Hauptthema war noch immer der Fall von Vukovar und<br />
unser Golgatha. Auch Sandra war im Fernsehen zu sehen, in einem kurzen Bericht der<br />
ausländischen Presse. Unsere Gastgeber stellten auch viele Fragen, eigentlich zu viele.<br />
Sie versicherten uns, daß sie große Angst um uns hatten, und daß sie für uns beteten.<br />
Ganz Kroatien sollte auch über das Schicksal von Vukovar weinen. Aber das alles war<br />
mir nicht wichtig und ich hatte keine Kraft zu erzählen, wie Kroatien uns behandelte.<br />
Obwohl das Bett gemütlich, ich sauber und die Aufmerksamkeit unserer Gastgeber<br />
großzügig war, konnte ich nicht schlafen. Ich dachte über das ganze Geschehen nach,<br />
über meinen Mann in Inđija, in einem Nest der Tschetniks, und wie er sich daraus retten<br />
wird. Ich schlief erst vor Morgengrauen ein, wahrscheinlich wegen der Müdigkeit.<br />
23. 11. 1991, Samstag<br />
Gleich nach dem Frühstück rief ein Mann aus Bjelovar an, um uns zu benachrichtigen, daß<br />
unsere Oma bei ihm war. Ich bat ihn die Oma nach Zagreb zu fahren, oder mit dem Zug<br />
zu schicken, weil wir schon morgen den Zug nach München haben. Er versprach mit dem<br />
Zug zu kommen. Ich bat auch unseren Gastgeber Jerko Obadić den Herrn Vicko Goluža,<br />
den Direktor des Fonds für Sozialschutz, anzurufen. Ich hatte seine Telefonnummer.<br />
236
Da mich doch keiner gründlich durchsuchte, konnte ich das Geld unserer Insassen, das<br />
ich in den Trümmern des Altenheims gefunden hatte, retten. Herr Goluža kam nach<br />
einer halben Stunde. Ich erzählte ihm, daß unsere Insassen in Bjelovar seien. Ich bat<br />
ihn, sich um sie und meine ehemaligen Mitarbeiterinnen zu kümmern. Er versprach<br />
mich alles und hielt sein Wort. Ich gab ihm das Geld, und er unterzeichnete auch eine<br />
Bestätigung darüber. Die Nachbarn unserer Gastgeber hörten, daß wir uns im Gebäude<br />
befinden, und den ganzen Tag hatten wir viele Besucher. Alle wollten uns sagen, wie es<br />
auch sehr schwer für sie sei, sich diese Bilder aus Vukovar anzuschauen. Alle hätten für<br />
unsere Rettung gebeten. Ich glaubte ihnen, da nur kleine Leute, die mit der Politik und<br />
nationalen Interessen nichts zu tun hatten, mit unserem Leiden mitfühlen konnten. Nach<br />
dem Mittagessen, gingen wir zum Bahnhof und kauften die Karten für München. Auch<br />
die Oma aus Bjelovar war da. Außer meines Mannes, waren wir wieder alle zusammen.<br />
Ich sprach mit ihm und er sagte, er würde versuchen, zuerst nach Mazedonien und dann<br />
weiter nach München zu fahren. Der Samstag war schnell vorbei. Am Sonntag, den 24.<br />
11. 1991, verließen wir Zagreb um 8,10 mit dem Zug Nummer 258. Obwohl die ganze<br />
Fahrt etwa acht Stunden dauerte, konnte ich nicht erwarten, daß wir ankommen. Ich<br />
wußte nämlich, daß auf uns am Bahnhof mein Sohn Josip warten wird, der noch Ende<br />
Juli 1991 mit einem Gipsverband und mit dem letzten Bus Vukovar verließ. Die Freude<br />
über unser Wiedersehen kann nicht beschrieben, sondern nur erlebt werden. Wir drei<br />
umarmten ihn lange. Meine Schwester wartete geduldig im Hintergrund. Das war der<br />
Beginn unseres Lebens als Vertriebene.<br />
Bahnkarte<br />
237
Verzeichnis der Beschäftigten im Altenheim 1991<br />
238
Verzeichnis der überlebenden Insassen des Altenheims 1991<br />
239
240
ABKÜRZUNGEN<br />
JNA – Jugoslawische Volksarmee<br />
RH – Republik Kroatien<br />
OUN – Organisation der Vereinten Nationen<br />
SAD – Vereinigten Staaten von Amerika<br />
SFRJ – Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien<br />
VUPIK – Vukovarer Industrie- und Landwirschaftskombinat<br />
1. Autor des Plakats: Boris Ljubičić<br />
Oben: Erinnerungsplakat an das Leiden von Vukovar mit dem Datum<br />
seiner<br />
Okkupation<br />
2. Unten: Millenium-Photo von Šime Strikoman „Legendäre 204. Vukovarer<br />
Brigade der Kroatischen Armee“, Vukovar, 25. September 2006<br />
3. Plakat für das Referendum in Kroatien, 19. Mai 1991<br />
4. Landkarte mit Grenzen des sog. Großserbiens<br />
5. Plakat des 14. Kongresses des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens;<br />
Dadurch, daß die serbischen und montenegrinischen Delegierten ihren Willen<br />
den kroatischen und slowenischen Kollegen aufzudrängen versuchten und<br />
alle ihre Vorschläge beharrlich ignorierten, verließ als erste die slowenische<br />
und dann auch die kroatische Parteidelegation den Kongreß am 22. Januar,<br />
was das Ende einer einheitlichen und zentralisierten Parteiorganisation und<br />
den Anfang des Zerfalls der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien<br />
bedeutete.<br />
6. Kardinal Franjo Kuharić und Dr. Franjo Tuđman in der konstituierenden<br />
Sitzung des demokratischen Parlaments der Sozialistischen Republik<br />
Kroatien, 30. Mai 1990.<br />
7. Zagreb, Markus Platz, 25. Juli 1990 (Autor: Renato Branđolica)<br />
8. Borovo Selo, 2. Mai 1991 (Autor: Goran Pichler)<br />
9. Pakrac, 2. März 1991<br />
10. Plitvice, 31. März 1991<br />
11. Verfassung der Republik Kroatien<br />
12. Parlament der Republik Kroatien, 25. Juni 1991 (Autor Stanko Szabo)<br />
241
242
Eine Stadtgeschichte*<br />
Ich verzichte auf Gerechtigkeit, auf Wahrheit, ich verzichte auf Versuche, die<br />
Ideale meinem eigenen Leben unterzuordnen, ich verzichte auf alles was mir<br />
noch gestern für einen besseren Anfang, oder ein besseres Ende, erforderlich<br />
erschien. Ich würde wahrscheinlich auch auf mich selbst verzichten, aber ich kann<br />
es nicht. Den wer wird dann bleiben, wenn wir alle auf uns verzichten und in unsere<br />
Angst fliehen? Wem soll ich die Stadt überlassen? Wer wird auf sie aufpassen,<br />
während ich auf der Suche nach mir auf dem Kehrichthaufen der menschlichen<br />
Seelen wandere, während ich dabei so allein ohne mich taumle, wund und müde,<br />
im Fieber, während meine Augen immer größer vor meiner persönlichen Niederlage<br />
werden?<br />
Wer wird auf meine Stadt aufpassen? Auf meine Freunde? Wer wird Vukovar aus<br />
der Finsternis herausholen? Es gibt keinen stärkeren Rücken als meinen und eueren.<br />
Und deshalb, wenn das euch keine Umstände macht, wenn ihr noch in sich selbst<br />
ihr jungenhaftes Wispern versteckt, schließt euch an. Jemand berührte meine Parks,<br />
die Bänke, in denen noch eure Namen gestochen sind, den Schatten, in dem ihr<br />
gleichzeitig ihren ersten Kuß gabt und nahmt. Jemand hat einfach alles gestohlen,<br />
sogar den Schatten. Es gibt kein Schaufenster mehr in dem ihr mit Bewunderung<br />
euere größten Freuden anschautet und es gibt kein Kino mehr, in welchem ihr sich<br />
eueren traurigsten Film ansaht. Euere Vergangenheit ist einfach zerstört und jetzt<br />
habt ihr nichts mehr. Ihr müßt von neuem alles aufbauen, zuerst euere eigene<br />
Vergangenheit und euere Wurzeln suchen, und erst dann auch euere Gegenwart<br />
schaffen, und wenn da noch Kraft bleibt, sollte sie in die Zukunft investiert werden.<br />
Und möget ihr nicht allein in der Zukunft sein. Um die Stadt sollt ihr euch dann<br />
keine Sorgen machen, sie versteckt sich die ganze Zeit in euch, und kein Henker<br />
kann sie finden. Diese Stadt – das seid ihr!<br />
Siniša Glavašević<br />
* (eine während der Belagerung der Stadt verfaßte Geschichte des Journalisten des Kroatischen<br />
Rundfunks Vukovar Siniša Glavaševića, der nach der Besetzung Vukovars im Krankenhaus<br />
gefangengenommen und in Ovčara ermordet wurde)<br />
243
NAMENSINDIZES<br />
A<br />
Adžaga Jozo, 140<br />
Adžić Blagoje, 21, 27<br />
Aleksandar Vlasta, 140<br />
Aleksijević Zoran, 153<br />
Aleksijević Agneza, 153<br />
Alvir Marija, 153<br />
Andrijanić Luka, 11, 46-48, 55, 105<br />
Anđelić Ivan – Doktor, 47, 64<br />
Antolović Ljuba, 164, 170<br />
Arbanas Ivica, 46, 47, 50, 64, 65, 70<br />
Arbanas Sanja, 64, 65<br />
Arić Ante, 95, 99, 135<br />
Asadžanin Ilija, 140<br />
B<br />
Babić Marko, 56, 57, 70, 153<br />
Babić Dragica, 171<br />
Bainrauch Ivan, 140<br />
Balić Marjan, 48, 55<br />
Balog Neda, 153<br />
Baranjek Ivan, 152<br />
Barić Nikica, 141<br />
Bebić Luka, 43<br />
Bekčević Antun, 47<br />
Belinić Vesna, 95, 97, 135<br />
Beljo Tomislav, 188,<br />
Berišić Smiljan, 187<br />
Beronja Anita, 187<br />
Beronja Eva, 178<br />
Beronja Melita, 187<br />
Beronja Mile, 187<br />
Berton Milan-Fil, 57<br />
Bilić Višnja, 142, 143<br />
Biluš Sadika, 135<br />
Bing Albert, 152<br />
Biorčević Andrija, 133<br />
Biro Štefan, 153<br />
Biškupić Božo, 93,<br />
Bojkovski Saša, 124<br />
Borković Branko, 16, 51, 53, 72<br />
Borsinger Nicolas, 85, 134<br />
Bosanac Tomislav, 140<br />
Bosanac Vesna, 45, 91, 96, 98, 104, 107, 111,<br />
121, 132, 135, 153<br />
Bošnjak Ivan – Bole, 57<br />
Bošnjak Stipan, 43<br />
Božak Ivan, 141<br />
Božićević Josip, 30<br />
Brajković Mihalea, 97<br />
Branđolica Renato, 22<br />
Bratić Mladen, 64<br />
Brdar Ivan, 84<br />
Brekalo Mirko, 83<br />
Budimir Anđa, 167<br />
Budimir Josip, 195<br />
Budiša Dražen, 222<br />
Bukor Zlatko, 97<br />
Bulatović Momir, 31, 152<br />
Bunjac Marija, 170, 171<br />
Bush George, 98<br />
C<br />
Chenu J. M., 130<br />
Cossiga Francesco, 98<br />
Crnković Luka, 43<br />
Culej Josip, 43<br />
Cvijan Stanko, 42<br />
244
Č 13. Der Angriffsplan der JNA gegen die Gregurić Republik Franjo, Kroatien, 46, 112September-Oktober<br />
Čanak Nenad, 1991 (Quelle: 10, 16, 124Davor Marijan, Smrt Grgić oklopne Lazar, brigade 171, 217– prilozi za istraživanje<br />
Čatić Mladen, rata za 43Hrvatsku i Bosnu i Hercegovinu, Grujić 1990. Ivan, – 5, 1992., 142, 143 Zoro, Zagreb, 2002.)<br />
Čolak 14. Đurđa, Vinkovci 166, 167 – Bibliothek nach dem Angriff der JNA (oben)<br />
Čorić Dragan, Regierungsgebäude 159, 175, 213 Banski dvori Hin Zagreb; Folgen des Angriffs der JNA-<br />
Čović Janko, Kampfflugzeuge 43 am 7. Oktober 1991 Hadžić (unten) Goran, 50, 136<br />
15. Parlamentssitzung der Republik Kroatien, Hebrang Andrija, 8. Oktober 89, 91, 1991 130, 132 (Autor: Josip<br />
D<br />
Božičević)<br />
Herbut Rozalija, 157<br />
Dasović Ivan, 135<br />
Hill Alfred, 62, 71<br />
16. Eintreffen der Flüchtlinge aus Dalj, Erdut und Aljmaš in Nemetin, 1. August<br />
Dedaković Mile, 50, 51, 53, 59, 72, 84, 135, 152 Hincak Zvonimir, 47, 48<br />
1991<br />
Degoricija Slavko, 43, 45<br />
Hitler Adolf, 9, 10<br />
17. Borovo Selo, 2. Mai 1991<br />
Deronja Marko, 203<br />
Hop Katarina, 170, 171<br />
18. Marin Vidić „Bili“<br />
Destexe Alain, 116<br />
Hrala Željko, 43<br />
Dokmanović<br />
19. Luka<br />
Slavko,<br />
Andrijanić<br />
79<br />
Husar Josip, 94, 111<br />
Domljan 20. Stützpunkt Žarko, 113 an der Bosanska Straße mit Aussicht auf Silo Đergaj, wo am 24.<br />
Dragojlović August Dragan, 1991 59die Flugabwehrkanone, I mit welcher Luka Andrijanić die JNA-<br />
Drakulić Kampfflugzeuge Gojko, 171 traf, aufgestellt wurde Ivanda (das Stipe, Photo 161 ist eine Schenkung von<br />
Dukić Živko, Josip 160, Jakobović) 161<br />
Ivković Zlatko, 115<br />
Dulović 21. Jovan, Zentrum 125, von 127, Vukovar, 136, 138 7. September Ivušić 1991 Ljerka, (Autor: 5, 37Mario Filipi)<br />
Dumendžić 22. Tomislav Ana, 216 Merčep<br />
23. Mile Dedaković „Jastreb“ (Habicht) J<br />
Đ 24. Branko Borković „Mladi Jastreb“ (Junghabicht)<br />
Jacquier Ghislaine, 116<br />
Đerek 25. Velimir Siniša – Glavašević Sokol, 71, 84<br />
Jakobović Josip, 46-48, 55, 64<br />
26. Branimir Polovina<br />
Janković Zoran, 70<br />
E 27. Vukovarer Verteidiger, Lužac, 7. September Jarabek Zlatko, 1991140<br />
(Autor: Mario Filipi)<br />
Edelmajer 28. Kalte Ana, und 171finstere Schutzkeller gehörten Jelić Ivan zum – Lepi, Alltag 60 von Kindern in Vukovar,<br />
Erdeg Josip, 7. September 174, 176 1991 (Autor: Mario Filipi) Jeremić Dušica, 140<br />
Esterajher 29. Polizeieinheiten Josip, 128, 152 der RH auf dem Jovičić Stützpunkt Stevan, bei 183 dem Haus der Technik in<br />
Borovo Naselje<br />
Jović Borisav, 21, 26<br />
F 30. Zerstörte Panzer auf der Trpinjska Jović Straße, Josip, 25 Mitte September 1991 (Autor:<br />
Falamić Bartol,<br />
Andrija<br />
189,<br />
Marić;<br />
197<br />
das Photo ist eine Schenkung<br />
Jović Mirko,<br />
von<br />
50<br />
Marko Babić und Eigentum<br />
Filipi Mario, 49, 52, 53, 60, 69<br />
Jurčević Zlatko, 132<br />
von Vinko Mažar und Ivan Leutar)<br />
Filipović Kata, 185, 189, 191, 197, 199 Jurić Viktorin, 61, 64, 65, 70<br />
31. Ortsgemeinschaft Alojzije Stepinac, Trpinjska cesta, zweite Hälfte des<br />
Jurjević Zvonko, 27<br />
Septembers 1991<br />
G<br />
32. Trpinjska Straße, zweite Hälfte des Septembers 1991: untere Reihe: Gardist<br />
Ganić Zorica, 95, 135<br />
K<br />
Glavašević<br />
Ivan<br />
Siniša,<br />
Mudrovčić-Šola,<br />
5, 7, 51, 55, 118,<br />
Ivan<br />
121,<br />
Bošnjak-Bole;<br />
Kačić Petar<br />
stehen:<br />
– Bojler,<br />
Miljenko<br />
70, 71, 84<br />
Voloder-Beli,<br />
122, 129, Ivan 152, Leutar-Iva 192, 204, und 243 Andrija Marić, Kadijević seitwärts Veljko, Milan 10-13, Berton-Fil 15, 26, 27, (das 50, Photo 133, 152 ist<br />
Goluža Vicko, eine Schenkung 172, 236 von Marko Babić Kajba und Eigentum Zubarev Aleksandra, von Vinko 158 Mažar und Ivan<br />
Gorinšek Leutar) Karl, 59<br />
Karaman Igor, 152<br />
Grašić 33. Zoran, Oktober 43 1991 (Autor: Damir Radnić) Karaula Pilip, 85, 216<br />
Grbavac 34. Der Antun, zerstörte 43 Panzer im Zentrum Karaula von Nuštar, Marijana, Oktober 230 1991 (Autor: Mario<br />
245
Karnaš Dražen, Filipi) 135, 158, 170<br />
Marić Zlatko, 187<br />
Klaić 35. Danica, Bogdanovci, 157 Oktober 1991; zerstörter Marijan Panzer Davor, (ein 27, Treffer 32, 152 von Ivan Jelić „Lepi“<br />
Kohl Helmut, (der Schöne) 98 am 2. Oktober aus Ivankovo) Marković Ante, 29<br />
Kojić 36. Ljubica, Kroatische 141 Verteidiger in Sajmište, Martin Oktober Jean 1991 Michel, (Autor: 116 Damir Radnić)<br />
Kolesar 37. Binazija, Kämpfer 97, der 153Kroatischen Verteidigungskräfte Mataušek Rene, (HOS), 135 Sajmište, September/<br />
Komšić Zdravko, Oktober 85, 1991; 191, 216 von rechts Zvonko Mataušek Ćurković Robert, 135 „Zvone“, Jean-Michael<br />
Konigskneht Nicollier, Štef, 207 Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha) Matić Predrag und Žarko – Fred, Manjkas 152 „Crvenkapa“<br />
Kosec Branimir,<br />
(Rotkäppchen)<br />
163, 164,<br />
(Autor:<br />
204<br />
Damir Radnić) Matić Nevenka, 141<br />
Kovačić Željko, 89<br />
38. Einfahrt zu Bogdanovci aus Richtung Mažar Marinci, Beba, 180, nach 182, 2. Oktober 184 1991 (Autor:<br />
Kratofil Boris, 95-97, 153<br />
Damir Radnić)<br />
Mažar Branka, 178, 180, 189<br />
Krznarić Goran, 141<br />
39. Kämpfer der Kroatischen Verteidigungskräfte Mažar Vinko, 56, (HOS) 57 vor der Kirche in<br />
Kuharić Franjo, 21<br />
Bogdanovci und auf Stellungen in Mažar Richtung Zvonko, Marinci, 64 Oktober 1991 (Autor:<br />
Kujundžić Ivo, 137<br />
Damir Radnić)<br />
Menges Zlatko, 196<br />
Kušt Stanko, 95, 96, 128<br />
40. Vukovar, 16. November um 20 Uhr, Merčep unmittelbar Tomislav, vor 50, dem 230<br />
Kvesić Velimir, 64<br />
Durchbruch: Sanja<br />
Arbanas (ganz rechts hinter ihr vermutet Mesić Stjepan, man Ivica 29, 112 Arbanas), Ivan Anđelić<br />
„doktor“ (Doktor) (mit der Augenbinde), Mihaljević Velimir Ante, 177, Kvesić 188, 200, (Angehöriger 210<br />
L<br />
der<br />
Kroatischen Verteidigungskräfte (HOS) Mihović mit Tomislav, schwarzer 140<br />
Lee Hawk Robert James, 98<br />
Müze), Zdravko Radić<br />
(mit dem Patronengurt um den Hals), Miličević Viktorin Zdenka, Jurić 141<br />
Leskovac Rade, 136<br />
„Paša“ (Pascha) (rechts,<br />
in einer Ziviljacke), Zvonko Mažar Milić (mit Katica, dem Helm), 141, 166<br />
Leutar Ivan, 56, 57<br />
Zvonko Ćurković (steht<br />
mit geschlossenen Augen), Josip Jakobović Milošević Slobodan, (hockt in 10, der 20, Mitte); 21, 26, (das 34, 143,<br />
Lisica Franko, 43<br />
Photo<br />
Lukić Terezija, ist eine 185 Schenkung von Ivica Arbanas)<br />
153, 211<br />
41. Vukovar, November 1991; nach<br />
Miljanović<br />
der Okkupation<br />
Delfa, 163,<br />
der<br />
166,<br />
Stadt<br />
219<br />
sangen die<br />
LJ serbischen Paramilitärs, die unter<br />
Mirković<br />
dem Kommando<br />
– Nađ Alenka,<br />
der<br />
55,<br />
JNA<br />
81,<br />
kämpften,<br />
152<br />
sie<br />
Ljubičić Boris, würden 8 Kroaten schlachten<br />
Miščević Branka, 164, 166<br />
Mitterand Francois, 98<br />
42. Während des Durchbruchs, zwischen Cerić und Marinci: Sanja Arbanas<br />
M<br />
Mlinar Miroslav, 10<br />
verbindet den verwundeten Mato Prca; Photo machte Viktorin Jurić „Paša“<br />
Magoč Zora, (Pascha), 166<br />
Morris Christopher, 123<br />
das Photo ist eine Schenkung von Ivica Arbanas<br />
Major 43. John, Vukovar, 98<br />
Mrkšić Mile, 16, 124, 131, 133, 143<br />
8. Juli 1997; mit dem Zug des Friedens und der Wiederkehr kehrte<br />
Mandić Dara, Kroatien 159, symbolisch 180, 184, 186, nach 222 Mučalov Nensi, 159, 166, 178, 181<br />
Vukovar zurück.<br />
Mandić<br />
44.<br />
Franjo,<br />
Oktober<br />
159,<br />
1991<br />
177,<br />
(Autor:<br />
207, 211<br />
Mudrovčić Ivan – Šola, 57<br />
Mario Filipi)<br />
Mandić Marko, 132, 141<br />
Mujić Rozalija, 170, 171<br />
45. Andrija Marić, Blago Zadro, Marko Babić, Zoran Janković (steht seitwärts);<br />
Mandić Matija, 85<br />
Trpinjska Straße, Mitte September 1991 (das Photo ist eine Schenkung von<br />
Manjkas Žarko – Crvenkapa, 61<br />
N<br />
Marko Babić)<br />
Marić Andrija, 56, 57, 70,<br />
Nadaš Vladislav, 135<br />
46. Ivica Arbanas (mit Hut), Velimir Derek (rechts, mit dem schwarzen Band um<br />
Marić Anica, 5, 155, 181, 229<br />
Nazor Ante, 19, 39, 87, 152<br />
Marić Davor,<br />
den Kopf,<br />
187<br />
als Befehlshaber einer Kompanie, nachdem Petar Kačić – „Bojler“<br />
Nicollier Jean-Michael, 61<br />
Marić Karlo, (Boiler) 187 gefallen war), Delić Željko – „Švico“ (Angehöriger der Kroatischen<br />
Njavro Juraj, 96, 98, 103, 110, 126, 128, 135,<br />
Marić Ljubica, Verteidigungskräfte 187<br />
(HOS)); im Hintergrund die Kämpfer der Kroatischen<br />
152, 153<br />
Marić Sandra, Verteidigungskräfte 187<br />
(HOS): rechts Tihomir Tomašić, links Duško Smek<br />
Marić Vedran, „Bosanac“ 187 (Bosnier) (photographierte: O Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha); das<br />
Marić Zdenka, Photo 187 ist eine Schenkung von Ivica Obradović Arbanas) Ljubica, 141<br />
246
P 47. Vukovar nach der serbischen Okkupation; Sruk Margareta, aufgenommen 163, 166 während der<br />
Pabulkov Belagerungszeit Elizabeta, 176, 177 (Autor: Dionizije Šebetovsky)<br />
Stanek Marica, 141<br />
Panić 48. Života, Memorial-Friedhof 14, 50, 59, 133 der im Heimatkrieg Stanić Vera, gefallenen 114 Opfer, Vukovar; 938<br />
Papp Tomislav, weiße 140 Kreuze, je ein Kreuz für jedes Stefanjuk exhumierte Blanka, Opfer 141 aus Massengräbern<br />
Paroški Milan, 42<br />
im Umland von Vukovar Strikoman Šime, 17<br />
Pavlek Zora, 157<br />
49. Vukovar; aufgenommen während Sučić der Stjepan, Belagerungszeit 84, 152, 153<br />
Pereterski Jelena, 171<br />
(Autor: Dionizije<br />
Šebetovsky)<br />
Szabo Stanko, 25<br />
Perica Zdenko, 43<br />
Peternek 50. Innenraum Tomo, 127 der Kirche von Sankt Philipp und Jakob; aufgenommen während<br />
Š<br />
Petković der Vlajko, Belagerungszeit 195 (Autor: Dionizije Šebetovsky)<br />
Šarić Mladen, 43<br />
Petrović 51. Gebäude Branislav, 133 der Eisenbahnstation; aufgenommen während der Belagerungszeit<br />
Petrović (Autor: Nikola, 153<br />
Šarik Stjepan, 140<br />
Dionizije Šebetovsky)<br />
Petrušić 52. Reste Marinko, der 43<br />
Šarinić Hrvoje, 34, 153<br />
Kirche und des Franziskanerkloster von Sankt Philipp und Jakob<br />
Pole Stipe, sowie 72<br />
Šebetovsky Dionizije, 74, 76, 77<br />
des Gymnasiums und des Wasserturms in Vukovar, Folgen der<br />
Polovina<br />
serbischen<br />
Branimir, 51,<br />
Aggression<br />
55<br />
Šeks Vladimir, 45, 46<br />
1991<br />
Poljak Ivan, 71, 84<br />
Šeremet Zdravko, 55<br />
53. Zerstörtes Schloß Eltz, Folgen der serbischen Aggression 1991<br />
Pravdić Tomo, 140<br />
Šešelj Vojislav, 42, 50, 120, 123, 124, 127, 143, 220<br />
Prca 54. Mate, Gedenkstätte 65 für die in Ovčara ermordeten Šibalić Zvonko, Opfer163, 183, 189<br />
Prica 55. Marica, Gedenkstätte 157 für ein freies Kroatien Šljivančanin der Mündung Veselin, des 45, 102, Flusses 124, Vuka 127, 131, in die<br />
Prodan Ivo, Donau; 90 glagolitische Schrift: Ewig wird 133-136, der leben, 138, der 143ehrenwert fällt!<br />
Propadalo 56. Logo Ivica, des 89 Museums – „Gedenkstätte“ Šoljić im Ivan Vukovarer – (Grosser Krankenhaus; Joe), 71 Autoren<br />
Pšenica Ivan, Ivica 153 Propadalo und Željko Kovačić Špegelj Martin, 23, 153<br />
57. Medizinisches Zentrum Vukovar, Šrenk Herbst Đuro, 1991; 140 Folgen der serbischen<br />
R Aggression (Photo: Damir Radnić) Štengl Vladimir, 207<br />
Radelić 58. Zdenko, Vukovarer 152 Krankenhaus; Folgen der Štimac serbischen Melira, 220 Aggression (Photo: Damir<br />
Radić Miroslav,<br />
Radnić)<br />
124, 133<br />
Šušak Gojko, 45<br />
Radić Slavica, 157<br />
59. Ruinen von „Borovo-Commerce“ Šušić in Borovo Slavoljub, Naselje, 153 das Gebäude wurde<br />
Radić Zdravko, 64<br />
Radnić Damir, während 58, 61, des 63, Schlußangriffs 91, 92, 153 der JNA am 18. und 19. November 1991<br />
zerstört; aufgenommen nach der serbischen T<br />
Raguž Ivan, 141<br />
Okkupation (Autor Mag. Božo<br />
Biškupić).<br />
Terek Rudolf, 141<br />
Rašeta Andrija, 129, 130, 132<br />
Rašković 60. Von Jovan, links 42 nach rechts: Dr. Stanko Tešanović Kušt, Krankenschwester Milenko, 159, 167 Zorica Ganić<br />
Ražnatović und Željko Vesna – Arkan, Belinić, 50, Medizintechniker 62, 218, 220<br />
Tešanović<br />
Ante Arić,<br />
Vera,<br />
Dr.<br />
159,<br />
Boris<br />
167, 228<br />
Kratofil, Dr. Edin<br />
Rehak Danijel, Zujović 50, im 153<br />
Tešić Borivoje, 133<br />
Erholungsraum für das medizinische Personal im Röntgenraum<br />
Runtić Davor, im Keller 84, 152<br />
Todorović Dragan, 59<br />
des Krankenhauses, Oktober/November 1991 (das Photo ist eine<br />
Tomašević Jela, 135<br />
Schenkung von Dr. Boris Kratofil)<br />
S<br />
Tomašić Tihomir, 70, 71, 84<br />
61. Von links nach rechts: Dr. Željko Jelinčić, Dr. Ivica Matoš, Dr. Boris<br />
Samardžić Kratofil, Damjan, Dr. 159, Tomislav 163, 164, Vlahović, 172 Tomšik Dragica, 171<br />
Dr. Vesna Bosanac, Dr. Juraj Njavro und<br />
Savić Neža,<br />
Dr.<br />
197<br />
Tuđman Franjo, 21, 23, 29, 45, 67, 112, 119,<br />
Stanko Kušt (sitzt am Boden) im Aufnahmeraum (im Krieg diente er<br />
Schmit Fabbienne, 116<br />
206, 218, 219, 221, 229<br />
als Arbeitszimmer von Dr. Vesna Bosanac), Oktober/November 1991 (das<br />
Sekulić Milislav, 152<br />
Tus Antun, 65<br />
Sinković Photo Nenad ist – Legion, eine Schenkung 71 von Dr. Boris Kratofil)<br />
Smek 62. Duško Von – links (Bosnier), nach rechts: 70 Krankenschwester V Vesna Belinić (hält eine Kompresse<br />
Spajić Boris, in der 97 Hand), Dr. Boris Kratofil, Van Krankenschwester der Broek Hans, 98 Mihaela Brajković<br />
247
Van der Stock Loren, 111<br />
Varenica Zvonko, 140<br />
Vidić Marin – Bili, 45, 72, 112, 132, 161,<br />
170, 173, 181, 186, 199<br />
Vidoš Goran, 140<br />
Vlaho Mate, 140<br />
Vlahović Tomislav, 96, 129<br />
Voloder Miljenko – Beli, 57<br />
Vrtarić Lena, 170, 177<br />
Vučić Ivica, 43<br />
Vujanović Stanko, 124<br />
Vukomanović Jovan (Jovo), 163, 171, 174,<br />
180, 185, 191, 193, 197<br />
Vuković Vesna, 55<br />
Vulić Zvonko, 135, 141<br />
Z<br />
Zadro Blago, 47, 62, 70, 71, 83, 152, 193, 194<br />
Zdravčević Ana, 135<br />
Zeljko Josip, 140<br />
Zera Mihajlo, 140<br />
Zorčec Agata, 157<br />
Zujović Edin, 95, 117, 121<br />
Ž<br />
Žanić Jasminka, 172<br />
Živić Dražen, 142<br />
Žunec Ozren, 23, 31, 153<br />
248
in dem improvisierten Operationssaal, ORTSINDIZES im Keller des Krankenhauses (zu<br />
Friedenszeiten die Ambulanz für kleinere chirurgische Eingriffe), Oktober/<br />
November 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil)<br />
63. Von links nach rechts: Dr. Boris Spajić (mit gekehrten Rücken) im Gespräch<br />
mit der Oberkrankenschwester Binazija Kolesar; Medizintechniker-<br />
Anästhetiker Zlatko Bukor (mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt) im<br />
Flur vor der Chirurgieambulanz, Oktober/November 1991 (das Photo ist<br />
eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil)<br />
A<br />
Bosanski Šamac (Bosnien und Herzegowina), 233<br />
64. Hof des Hafenamtes unmittelbar vor dem Ende der Belagerung von Vukovar<br />
Adaševci, 214, 218, 221, 222, 228<br />
Bosanski Brod (Bosnien und Herzegowina), 48<br />
(Autor: Ante Arić)<br />
Adica (Stadtteil in Vukovar), 42<br />
Bosnien und Herzegowina, 12, 20, 30-33, 64,<br />
65. Skizze der Durchfahrt des humanitären Konvois „Ärzte ohne Grenzen“ von<br />
Aljmaš, 40, 46<br />
83, 137<br />
N. Mikanovci aus bis Vinkovci (die Skizze ist eine Schenkung von Zlatko<br />
Antin, 79<br />
Bosut (Fluss), 13<br />
Ivković)<br />
Bošnjaci, 116<br />
B<br />
66. Vukovar, November 1991 (Autor: Christopher Brčko (Bosnien Morris) und Herzegowina), 138, 231-233<br />
Banovina,<br />
67. Bescheinigung<br />
33<br />
des Kommandos eines Bršadin, Gefangenenlagers 11, 42, 44, 46-48, der 50, JNA 79, 103, in Serbien 105<br />
Baranja,<br />
von<br />
16, 26,<br />
einem<br />
33, 34,<br />
Einwohner<br />
42, 45, 50,<br />
von<br />
66, 136,<br />
Vukovar, Budžak 2. Dezember (Stadtteil 1991 in Vukovar), 64, 71, 83, 205,<br />
138,<br />
68.<br />
172<br />
Abkommen zwischen der Regierung 207, der 208 Republik Kroatien und der JNA<br />
Batajnica,<br />
über<br />
48<br />
die Evakuierung von Verwundeten Bugarsko und groblje Kranken (Bulgarischer aus dem Friedhof), Vukovarer 99, 167<br />
Batschka, Krankenhaus, 109, 110, 118 18. November 1993 (das Photo ist eine Schenkung von Dr.<br />
Batrovci, Juraj 116 Njavro)<br />
C<br />
Benkovac, 69. Vukovar, 23 1991/1992, Folgen der serbischen Cerić, 14, 62, Aggression 65, 112,<br />
Belgrad, 70. Skizze 19, 20, der 50, 58, Aufnahmestation 59<br />
von Verwundeten Cerna, 116 und Flüchtlingen aus Vukovar<br />
Berak, 11, (das 79, Photo 108, 227 ist eine Schenkung von Prim. Dr. Ivo Kujundžić, Mag.)<br />
71. Lokalitäten der Massengräber mit Č<br />
Bihać (Bosnien und Herzegowina), 29, 33 Opfern aus Vukovar<br />
72. Flugblatt der Gruppe Petrov aus Čakovci, der Vereinigten 11, 45, 79, 103<br />
Bijelo Brdo, 44<br />
Staaten von Amerika,<br />
Mittwoch, den 20. September 1991 Čakovec, (Quelle: 44, Hrvatsko 83<br />
Bijeljina (Bosnien und Herzegowina), 137,<br />
ratno pismo 1991/92,<br />
220, 231 Zagreb, 1992, S. 441)<br />
Bjelovar, 73. Altenheim 234, 235, 236, in 237 Vukovar: Folgen der Dserbischen Aggression<br />
Bobota, 74. 42, Sicherheits- 44, 104 und Versorgungmaßnahmen<br />
Dalj, 40, 46,<br />
für<br />
50,<br />
Schützlinge<br />
79, 200<br />
des Altenheims<br />
Dalmatien, 23, 32, 33, 83<br />
Bogdanovci, (gescannte 14, 15, 44, Seite 46, des 59, Tagebuchs)<br />
60, 62, 63, Daljski Atar, 79<br />
64, 75. 71, Schreiben 72, 79, 84, an 94, das 112, Ministerium 114, 116, 122, für Arbeit und Sozialschutz<br />
Deutschland, 10, 32, 171<br />
129, 76. 130, Blago 132, Zadro 170, 172, 185, 201, 203, 204, Donau (Flusss), 16, 50, 69, 81, 105, 187, 201<br />
208, 77. 223, Gescannte 225-227Seite des Tagebuchs<br />
Donaugebiet, 34, 74, 142, 143<br />
Bogojevo, 78. Dragan 12 Čorić<br />
Donji Lapac, 23<br />
Borovo 79. Naselje, Zerstörtes 11, 12, Altenheim 15, 45, 47, 54, 58, Dubrovnik, 29, 32<br />
62, 80. 65, Internationale 66, 71, 73, 83, (EU) 93, 94, Beobachter 102, 104, Dvor na Uni, 23<br />
105, 81. 106, Bahnkarte 108, 109, 117, 119, 128, 131, Dvorovi (Bosnien und Herzegowina), 137<br />
179, 82. 207, Verzeichnis 208, 210, der 228, Beschäftigten 230 im Altenheim 1991<br />
Borovo 83. Selo, Verzeichnis 10, 11, 12, der 23, überlebenden 25, 42-44, 45, Insassen Đ des Altenheims 1991<br />
48, 84. 50, Zerstörtes 58, 79, 92, Altenheim 103-105, 166, 183 Đakovo, 14, 83, 94, 102, 113, 116, 190, 196, 233, 234<br />
249
Đergaj (in der nähe von Bršadin), 11, 44,<br />
46-48, 58, 62, 64, 105<br />
E<br />
Erdut, 34, 40, 45, 46<br />
G<br />
Glina, 32<br />
Globovac, 79<br />
Gospić, 32<br />
Grabovo, 74, 79<br />
H<br />
Haag, 30, 31, 136, 205, 206<br />
Herceg Novi (Bosnien und Herzegowina), 29<br />
I<br />
Ilača, 14, 116<br />
Ilok, 14, 15, 44, 46, 62, 79, 94, 111, 115, 223<br />
Istrien, 173<br />
Ivankovo, 43, 60<br />
J<br />
Jagodnjak, 42<br />
Jakobovac (Stadtteil in Vukovar), 218<br />
Jankovci, 14, 43, 79<br />
Jarmina, 43<br />
Jugoslawien, 9, 19, 20, 30, 31, 74, 131, 136,<br />
143, 152, 241<br />
K<br />
Karlovac, 19, 26, 29<br />
Knin, 10, 23, 29, 31, 32, 90, 152<br />
Kordun, 33<br />
Kosovo, 19, 20<br />
Kraljevica, 83<br />
Kroatien, 9, 10-14, 16, 18, 20, 21, 23, usw.<br />
L<br />
Lika, 23, 33, 48, 83<br />
Lipovac, 64, 74, 116, 220<br />
Lipovača, 50, 74<br />
Lovas, 12, 79, 143, 164, 172, 178, 223<br />
Lužac (Stadtteil in Vukovar), 11, 15, 46, 52, 62,<br />
64, 65, 71, 73, 85, 101, 104, 119, 122, 128-130,<br />
132, 195, 205-208<br />
M<br />
Marinci, 14, 44, 46, 47, 59, 62, 63, 65, 79, 112,<br />
114, 116, 119, 123, 129, 130, 132, 185, 101,<br />
201, 203, 204, 226<br />
Markušica, 44<br />
Mikanovci (Stari und Novi), 111, 115, 116<br />
Mikluševci, 79<br />
Milovo Brdo( Stadtteil in Vukovar), 15, 65, 122,<br />
207, 208<br />
Mirkovci, 13, 44<br />
Mitnica (Stadtteil in Vukovar), 15, 66, 71, 85,<br />
98, 102, 103, 106, 108, 109, 115, 122, 167-169,<br />
175, 180, 181, 183, 187-189, 194, 197, 202, 203,<br />
206-208, 210, 211, 213, 214, 217-219, 230<br />
Mohovo, 79<br />
Mostar (Bosnien und Herzegowina), 29<br />
München, 216, 236, 237<br />
N<br />
Našice, 83<br />
Negoslavci, 12, 42, 44, 50, 58, 79, 118, 130-132,<br />
134, 173, 175, 179, 183, 186, 190, 201, 218,<br />
219, 225, 227<br />
Nemetin, 40<br />
Neretva (Fluss), 26, 29<br />
Nijemci, 43<br />
Niš (Serbien), 121, 135<br />
Novi Čakovci, 45<br />
Novi Jankovci, 43, 79<br />
Novi Sad, 15, 64, 111, 134, 138, 219, 222, 229, 230<br />
Novigrad, 173<br />
Novo groblje (Neuer Friedhof), 37, 79, 85,<br />
143, 167, 170, 179, 190, 216, 219<br />
Nuštar, 14, 43, 46, 59, 60, 65, 66, 84, 116, 129,<br />
134, 225, 226, 245<br />
O<br />
Obrovac, 23<br />
250
Opatovac, 11, 44-46, 48, 105<br />
Oriolik, 116<br />
Orlovača, 45<br />
Orolik, 12, 218, 227<br />
Osijek, 13, 14, 26, 44-47, 59, 72, 73, 94,<br />
119, 136, 190<br />
Otok, 43, 134<br />
Ovčara, 7, 55, 78, 79, 85, 88, 102, 129, 134,<br />
138, 140, 142-144, 153, 167, 170, 182,<br />
190, 201, 218, 222, 223, 225, 243<br />
P<br />
Pačetin, 42, 44<br />
Pakrac, 10, 19, 24, 25, 90<br />
Pančevo (Serbien), 116<br />
Petrova gora (Stadtteil in Vukovar), 12, 48,<br />
50, 58, 69, 108, 110, 118, 138, 225<br />
Petrovci, 12, 14, 79, 102, 112, 114, 116<br />
Plitvice, 10, 24-26, 42, 90<br />
Polača, 25, 43<br />
Prečno (in der nähe von Ivanić Grad), 16<br />
Priljevo (Stadtteil in Vukovar), 65, 101,<br />
102, 128, 129, 130, 132<br />
Principovac, 44-46<br />
Pustara, 45<br />
R<br />
Russland, 32<br />
S<br />
Sajmište (Stadtteil in Vukovar), 15, 58, 61,<br />
71, 84, 85, 109, 110, 114, 128, 175, 178,<br />
181, 204, 208, 210, 225, 228<br />
Sava (Fluss), 10, 26, 138<br />
Serbien, 9, 10, 13-15, 19-21, 25-27, 30-32,<br />
39, 42-44, 45, 47, 50, 58, 59, 64, 69, 74,<br />
80, 85, 120, 121, 125, 136, 143, 149, 201,<br />
206, 219, 221, 229, 230, 241<br />
Sinj, 32, 71<br />
Srijem, 152<br />
Slakovci, 79<br />
Slawonien, 13, 15, 16, 26, 29, 32, 33, 34,<br />
42, 44, 45, 50, 67, 80, 120, 133, 136, 138,<br />
172, 225, 226<br />
Slavonski Brod, 44, 62, 83, 152<br />
Slowenien, 9, 11, 12, 21, 26, 29, 44<br />
Sombor (Serbien), 121<br />
Sotin, 12, 45, 50, 74, 79, 217, 223<br />
Split, 29, 33, 84, 108-110, 113, 119, 123, 128,<br />
129, 177, 197<br />
Srebrenica (Bosnien und Herzegowina), 33<br />
Sremska Mitrovica, 45, 85, 134, 135, 138, 143,<br />
159, 222, 227, 229, 230<br />
Sremske Laze, 116<br />
Sremski Čakovci, 103<br />
Srijemska Mitrovica, 228<br />
Stari Jankovci, 79<br />
Svinjarevci, 14, 79<br />
Š<br />
Šid (Serbien), 12, 13, 44, 50, 85, 116, 118, 134,<br />
138, 187, 190, 218, 221-223, 228, 229<br />
Šidski Banovci, 218, 227<br />
T<br />
Tenja, 44, 45<br />
Titova Korenica (Korenica), 23<br />
Tordinci, 79, 117<br />
Tovarnik, 12, 13, 43, 58, 79, 111, 116, 223, 227<br />
Trebinje (Bosnien und Herzegowina), 29<br />
Trpinja, 29<br />
U<br />
United States of America (Vereinigte Staaten<br />
von Amerika), 32<br />
V<br />
Valjevo (Serbien), 13, 14, 58, 59<br />
Varaždin, 13-15, 26, 29, 44, 50, 81, 83, 232<br />
Vašica, 116<br />
Velika Brusnica, 48<br />
Vera, 44<br />
Vinkovci, 13, 26, 28, 43, 44, 46, 51, 62, 64, 72,<br />
83, 94, 107, 111, 114, 115, 129, 152, 170-172,<br />
251
185, 186, 191, 192, 200, 203, 205, 208, 226<br />
Virovitica, 13, 19, 29<br />
Vojvodina, 16, 19, 20, 50, 106, 118, 124<br />
Vučedol, 76, 167, 217<br />
Vuka (Fluss), 14, 16, 59, 62, 81, 207, 208<br />
Vukovar, 4, 7, 9, 11-17, 37, 39, usw.<br />
Z<br />
Zabok, 44<br />
Zadar, 25, 29, 32, 43<br />
Zagreb, 7, 13, 15, 22, 23, 27-34, 37, 50, 80,<br />
83, 85, 92, 94, 98, 107, 110, 114, 116, 117,<br />
128, 132, 134, 135, 152-154, 163, 172, 218,<br />
222, 231, 233, 234-237, 241<br />
Zidine, 129, 130, 132<br />
Ž<br />
Županja, 43, 44, 51, 64, 72, 112, 116, 206<br />
252