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Skript Respiration Wdk Rev. 2006 - Vetsuisse-Fakultät

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Untersuchung und<br />

Erkrankungen des<br />

<strong>Respiration</strong>sapparates<br />

der Wiederkäuer<br />

Mireille Meylan<br />

Wiederkäuerklinik<br />

<strong>Vetsuisse</strong> <strong>Fakultät</strong> Bern<br />

Wintersemester <strong>2006</strong>-2007


Inhaltsverzeichnis<br />

Seite<br />

Propädeutik des <strong>Respiration</strong>sapparates 2<br />

Erkrankungen der oberen Atemwege 9<br />

Erkrankungen der Nasengänge 9<br />

Erkrankungen der Nasennebenhöhlen 11<br />

Erkrankungen von Pharynx, Larynx und Trachea 12<br />

Erkrankungen der unteren Atemwege 18<br />

Lungenerkrankungen beim Rind 18<br />

Bronchopneumonien 18<br />

Aspirationspneumonie 28<br />

Post-kavales Syndrom 29<br />

Tuberkulose 31<br />

Lungenwurmpneumonie 32<br />

Mykotische Pneumonien 34<br />

Akutes Lungenoedem und –emphysem 34<br />

Urner Pneumonie 36<br />

Anaphylaxie 38<br />

Schadgase 39<br />

Lungenerkrankungen bei den kleinen Wiederkäuern 41<br />

Bronchopneumonien 41<br />

Chronische virale Pneumonien 42<br />

Lungenwurmpneumonien 48<br />

Erkrankungen der Pleura und des Zwerchfells 49<br />

Bemerkung<br />

Dieses <strong>Skript</strong> hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es werden nur die wichtigsten<br />

<strong>Respiration</strong>skrankheiten der Wiederkäuer beschrieben und diskutiert. Für weitere Informationen wird<br />

auf Lehrbücher verwiesen:<br />

- Smith BP: “Large Animal Internal Medicine”, 3d edition, 2002, Mosby St-Louis<br />

- Radostits OM, Gay CC, Blood DC, Hinchcliff KW: “Veterinary Medicine, A textbook of the<br />

diseases of cattle, sheep, pigs, goats and horses”, 9 th edition, 2000, Saunders London<br />

- Dirksen G, Gründer HD, Stöber M: „Innere Medizin und Chirurgie des Rindes“, 4. Auflage, 2002,<br />

Blackwell Berlin<br />

- Behrens H, Ganter M, Hiepe T: „Lehrbuch der Schafkrankheiten“, 4. Auflage, 2001, Parey Berlin<br />

- Smith MC, Sherman DM: “Goat Medicine”, 1994, Lea & Febiger Malvern PA<br />

1


Propädeutik des <strong>Respiration</strong>sapparates<br />

Allgemeinuntersuchung<br />

Signalement<br />

Verschiedene Angaben zum Tier können schon helfen, das Spektrum der in Frage<br />

kommenden Krankheiten einzuengen.<br />

Spezies: gewisse Krankheiten sind Spezies-spezifisch (z.B. Lungenadenomatose bei den<br />

kleinen Wiederkäuern, bes. beim Schaf).<br />

Rasse: gewisse Krankheiten kommen in bestimmten Rassen gehäuft vor (z.B. Maedi-Visna<br />

bei den Walliser Schwarznasenschafen).<br />

Alter: je nach Altersgruppen (und z.T. mit dem Alter verbundenen Haltungsbedingungen wie<br />

Gruppenhaltung, Zusammenführen von Tieren aus verschiedenen Ursprungsbetrieben<br />

oder Weidegang) ist das Auftreten von verschiedenen Krankheitsbildern mehr oder<br />

weniger wahrscheinlich.<br />

Erworbene künstliche Abzeichen: können auch von Bedeutung sein (z.B. Enthornung im<br />

Zusammenhang mit Sinusitis).<br />

Anamnese<br />

Der Vorbericht liefert Informationen zu den vom Besitzer beobachteten Symptomen (z.B.<br />

Nasenausfluss, Fieber, Atemnot, rasches Ermüden beim Laufen, Stöhnen). Weiter soll nach<br />

der Situation im Bestand (Einführen von zugekauften Tieren in die Herde, andere Tiere mit<br />

ähnlichen Symptomen, Haltung) gefragt werden.<br />

Haltung der Tiere<br />

Bei <strong>Respiration</strong>skrankheiten spielen verschiedene Stallfaktoren eine sehr wichtige Rolle.<br />

Die Belegungsdichte soll den geltenden Tierschutzrichtlinien entsprechen (z.B. 1.2-1.5<br />

m 2 /Tier für 3 Wochen bis 4 Monate alte Kälber) und verschiedene Parameter des Stallklimas<br />

müssen in Ordnung sein, damit sich keine für Atemkrankheiten begünstigenden Bedingungen<br />

entwickeln (z.B. Lufttemperatur und -feuchtigkeit, Luftbewegung, minimale Konzentration an<br />

Schadgasen wie Ammoniak oder Kohlendioxid).<br />

Tierschutzrichtlinien können unter folgenden Links zur Homepage vom Bundesamt für<br />

Veterinärwesen (www.bvet.admin.ch) gefunden werden:<br />

Richtlinien für die Haltung von Rindvieh<br />

http://www.bvet.admin.ch/tierschutz/d/weisung-richtl-kreisschreib/haltung_rindvieh/106_02d.pdf<br />

Stallklimawerte und ihre Messung in Nutztierhaltungen<br />

http://www.bvet.admin.ch/tierschutz/d/weisung-richtl-kreisschreib/nutztiere/800_106_01_stallklimawerte_d.pdf<br />

2


Trias<br />

Bei Erkrankungen des <strong>Respiration</strong>sapparates können alle 3 Parameter der Trias ausserhalb der<br />

Norm liegen, wobei eine erhöhte Temperatur auf das Vorhandensein eines entzündlichen<br />

Prozesses hindeuten kann (muss aber nicht). Die Herz- und Atemfrequenz können sowohl bei<br />

Erkrankungen im <strong>Respiration</strong>strakt wie bei in anderen Organsystemen lokalisierten Leiden<br />

erhöht sein. Weiter sind diese Werte unter Umständen auch physiologisch erhöht, z.B. bei<br />

hohen Umgebungstemperaturen, Anstrengungen, Stress, usw. In solchen Fällen dürfen eine<br />

Tachykardie oder eine Tachypnoe nicht als Hinweis auf eine Krankheit im Kreislaufsystem<br />

und/oder im <strong>Respiration</strong>sapparat interpretiert werden.<br />

Allgemeines Äusseres<br />

Bei Erkrankungen des <strong>Respiration</strong>sapparates kann die Haltung des Tieres abnormal sein (z.B.<br />

Abplatten der Schulter infolge Schmerzen im Brustraum, oder Strecken des Kopfes nach<br />

vorne bei starker Atemnot). Je nach Schweregrad und Dauer der Erkrankung können auch<br />

Kondition und Nährzustand reduziert sein.<br />

Wenn ein genügender Gasaustausch in der Lunge nicht mehr gewährleistet ist, wird das an der<br />

Farbe der Schleimhäute erkennbar. Diese werden infolge mangelnder Sauerstoffsättigung im<br />

Blut zyanotisch (bläulich verfärbt). Je nach Natur und Lokalisation eines Problems im<br />

<strong>Respiration</strong>strakt sind Augen- und/oder Nasenausfluss vorhanden oder nicht.<br />

Spezielle Untersuchung des <strong>Respiration</strong>sapparates<br />

Adspektion<br />

Die Atemfrequenz wird am besten von der Ferne bestimmt, solange das Tier ungestört in<br />

Ruhe ist, um falsch zu hohe Werte infolge Stress zu vermeiden. Gleichzeitig wird bestimmt,<br />

ob die Atemtätigkeit einem regelmässigen Rhythmus folgt. Die normale Atemfrequenz liegt<br />

bei gesunden Tieren zwischen 15 und 40 Atemzügen pro Minute. Bei Jungtieren kann die<br />

normale Atemfrequenz bis 48-50 Atemzüge pro Minute betragen. Die Atemfrequenz wird,<br />

neben Parametern aus dem <strong>Respiration</strong>sapparat, auch durch die Umgebungstemperatur, die<br />

Körpertemperatur, den momentanen Erregungszustand des Tieres und den Füllungszustand<br />

des Abdomens (z.B. Hochträchtigkeit, Pansentympanie) bestimmt.<br />

Die Intensität der Atmung wird beurteilt, indem darauf geachtet wird, ob das Tier übertrieben<br />

tief oder oberflächlich atmet. Eine verstärkte Atemtätigkeit wird nach Anstrengungen<br />

(physiologisch) oder beim Vorliegen von Atemerkrankungen beobachtet, während Schmerzen<br />

im Brust- oder vorderen Bauchraum sowie komatöse Zustände zu einer auffällig<br />

3


oberflächlichen Atmung führen. Der Atemrhythmus ist normalerweise regelmässig. Bei<br />

gewissen ZNS-Störungen kann eine unregelmässige Atmung wechselhafter Intensität<br />

auftreten. Die Inspiration dauert etwas weniger lang als die Exspiration, wobei das normale<br />

Verhältnis ca. 1.0 zu 1.2 beträgt.<br />

Der normale Atemtyp ist kostoabdominal mit regelmässigen Bewegungen der Brust- und der<br />

Bauchwand im gleichen Ausmass. Ein verstärkt kostales Muster mit übermässiger Bewegung<br />

der Brustwand deutet auf eine Einschränkung der Zwerchfellbewegungen (z.B. durch<br />

vermehrten intraabdominalen Druck wie bei Pansentympanie oder Hochträchtigkeit), auf<br />

Abdominalschmerzen oder auf erschwerte Atmung, bes. Inspiration, hin. Ein verstärkt<br />

abdominales Muster kann durch Schmerzen im Brustraum (z.B. bei Pleuritis) oder Störungen<br />

der Exspiration (z.B. bei Lungenemphysem) bedingt sein.<br />

Eine normale Kombination der 4 Parameter Atemfrequenz, - intensität, -typ und -rhythmus<br />

wird als Eupnoe bezeichnet. Abweichungen von der Norm für die Atemfrequenz sind<br />

Polypnoe oder Tachypnoe (erhöhte Atemfrequenz bei normaler Atemtätigkeit) und<br />

Dyspnoe (erschwerte Atmung, Atemnot; geht meistens mit Polypnoe einher). Eine einfache<br />

Polypnoe kann die Folge z.B. von hoher Umgebungstemperatur, Fieber, Anstrengung oder<br />

hohem intraabdominalem Druck sein und darf, im Gegensatz zur Dyspnoe, nicht aus Prinzip<br />

als Anzeichen einer <strong>Respiration</strong>skrankheit interpretiert werden. Bei einer inspiratorischen<br />

Dyspnoe ist die Atemfrequenz meistens erhöht und die Atmung v.a. kostal verstärkt, mit einer<br />

Verlängerung der Inspiration; dies deutet auf einen pathologischen Prozess in den oberen<br />

Atemwegen und den Bronchien hin. Eine exspiratorische Dyspnoe geht mit einer betont<br />

abdominalen Atmung („Bauchpresse“, doppelschlägige Ausatmung, evt. mit Dampfrinne) und<br />

einer verlängerter Exspiration einher; sie kommt im Zusammenhang mit Erkrankungen der<br />

unteren Atemwege, insbesondere bei Lungenemphysem vor. Bei schwerer und/oder<br />

langdauernder Erkrankung im <strong>Respiration</strong>sapparat kommt es häufig zu einer gemischten<br />

Dyspnoe, wo sowohl Inspiration wie auch Exspiration verstärkt sind. Weitere Anzeichen von<br />

starker Dyspnoe sind Maulatmung, Backenblasen und Afteratmung (Anusprolaps bei der<br />

forcierten Exspiration).<br />

Das Flotzmaul ist bei gesunden Tieren sauber geputzt und feucht (Tautropfen). Nicht nur bei<br />

Erkrankungen im <strong>Respiration</strong>strakt, sondern bei jeder schweren und/oder fieberhaften<br />

Krankheit kann das Flotzmaul trocken und nicht geputzt (= mit Sekret oder Futterresten<br />

verschmutzt und verklebt) sein. Beim Vorliegen einer Zungenlähmung kann das Flotzmaul<br />

auch nicht mehr sauber geputzt werden.<br />

4


Die Nasenlöcher von Gross- und Kleinwiederkäuern werden bei Atemschwierigkeiten weiter<br />

geöffnet als normal, die Bewegungen bei jeder Ein- und Ausatmung sind auch übermässig.<br />

Nasenausfluss ist bei gesunden Tieren kaum vorhanden oder es hat nur wenig seröses bis<br />

seromuköses, klares, geruchloses Sekret, welches symmetrisch aus beiden Nares kommt und<br />

beim Putzen des Flotzmauls mit der Zunge weggewischt wird. Bei pathologischen Prozessen<br />

in den oberen und/oder unteren Atemwegen kann das Sekret aus der Nase blutig, eitrig<br />

und/oder übelriechend sein und es ist meistens in der Menge vermehrt. Typisch für eine lokale<br />

Erkrankung im rostralen Kopfbereich (Nase, Nasennebenhöhlen) ist einseitiger<br />

Nasenausfluss. Kommt das Sekret von weiter hinten im <strong>Respiration</strong>strakt (Pharynx bis<br />

Lunge), wird es gleichmässig in beide Nasengänge verteilt. Klinisch ist beidseitiger<br />

Nasenausfluss zu beobachten. Bei Epistaxis (Nasenbluten) gelten die gleichen Kriterien, um<br />

zwischen rostralem und weiter kaudal lokalisiertem Ursprung des Blutes zu unterscheiden.<br />

Bei Verdacht auf Hämoptysis (Aushusten von Blut aus den Luftwegen) muss kontrolliert<br />

werden, ob das Blut tatsächlich aus dem <strong>Respiration</strong>strakt und nicht aus dem oberen<br />

Verdauungstrakt kommt. Bei der Adspektion wird auch auf Schwellungen, Verformungen<br />

oder Asymmetrien im Bereich von Kopf, Nase, Kehlkopf und Trachea geachtet.<br />

Weiter wird beobachtet, ob spontaner Husten vorhanden ist oder nicht. Falls ja, wird die<br />

Qualität des Hustens (feucht/trocken, kräftig/unterdrückt) beurteilt. Trockener Husten wird<br />

v.a. bei Erkrankungen im Larynxbereich angetroffen, feuchter und produktiver Husten bei<br />

Krankheiten der Trachea oder der Bronchien und unterdrückter, schwacher, schmerzhafter<br />

Husten bei Leiden der unteren Luftwege (Pneumonie). Durch den Atemhemmtest<br />

(Unterdrücken der Atmung durch Zuhalten der Nasenlöcher mit der Hand oder mit einem<br />

Touchierhandschuh während ca. 30 Sekunden oder solange es geht) wird eine forcierte<br />

Einatmung provoziert, was auch bei Tieren mit <strong>Respiration</strong>sleiden, welche in Ruhe nicht<br />

spontan husten, einen Anfall auslösen kann. Weiter wird beobachtet, ob sich das Tier normal<br />

rasch erholt (innerhalb 1-2 Minuten) oder nach Atemhemmung eine übermässige und/oder<br />

verlängerte Atemnot zeigt und ob allfällige pathologische Nebengeräusche (Rasseln, Giemen)<br />

bei der Lungenauskultation verstärkt sind. Bei schweren Lungenentzündungen kann die<br />

kräftige Perkussion der Brustwand Husten auslösen. Niesen ist bei den Wiederkäuern selten<br />

und wird eher bei Kleinwiederkäuern als bei Rindern beobachtet. Häufigste Ursachen sind<br />

Fremdkörper oder Massen in den oberen Atemwegen (v.a. in der Nase selber).<br />

Bei der Beobachtung von Tieren mit Atembeschwerden ist weiter auf Stenosegeräusche zu<br />

achten, welche von aussen (ohne Stethoskop) hörbar sind. Diese können durch verdickte<br />

Schleimhäute in der Nase, Auflagerungen (Fibrin, Eiter) oder raumfordernde Prozesse in den<br />

5


Atemwegen verursacht sein. Pfeiffende Atemgeräusche infolge Verengung der oberen<br />

Atemwege werden als Stridor bezeichnet. Durch alternierendes Zuhalten beider Nasenlöcher<br />

wird eruiert, ob das Stenosegeräusch nur in einem Nasengang (Geräusch verschwindet beim<br />

Zuhalten des betroffenen Nasengangs und ist verstärkt beim Zuhalten des kontralateralen<br />

Nasengangs) oder in beiden Nasengängen symmetrisch bzw. weiter hinten in den Luftwegen<br />

(kein Unterschied beim Zuhalten der Nasengänge) entsteht. Ein exspiratorisches Stöhnen ist<br />

bei Tieren mit schweren Pneumonien, insbesondere mit Emphysem, zu beobachten.<br />

Palpation<br />

Die Larynx-/Pharynxgegend wird auf Schwellungen oder Schmerz abgetastet. Weiter wird<br />

mit der Larynx- und Tracheapalpation probiert, einen Hustenanfall zu provozieren; dies<br />

gelingt bei gesunden Tieren nicht. Stenosegeräusche, welche bei Kompression von Pharynx,<br />

Larynx oder Trachea verstärkt werden, helfen zur Lokalisation der Ursache des Geräuschs.<br />

Unter Palpation kann auch die Beurteilung des Luftstroms aus den Nasenlöchern erwähnt<br />

werden, welcher beim Vorliegen von raumfordernden Prozessen rostral vom Pharynx<br />

einseitig vermindert ist. Die Ausatmungsluft ist normalerweise geruchlos. Ein fauler Geruch<br />

kann auf einen infektiösen und/oder nekrotischen Prozess im <strong>Respiration</strong>sapparat und/oder im<br />

Maul hindeuten. Ist der Geruch einseitig, ist die Ursache auf dieser Seite im Nasengang oder<br />

in den Nasennebenhöhlen (Sinus) zu suchen; wenn der Geruch gleichmässig aus beiden<br />

Nasenlöchern kommt, befindet sich die Ursache entweder in beiden Nasenlöchern, weiter<br />

hinten in den Luftwegen oder im Maul.<br />

Auskultation<br />

Die Lungenauskultation wird mit dem Stethoskop über die Trachea, das präskapuläre<br />

Lungenfeld und die Thoraxwand vorgenommen. Physiologische Atemgeräusche entstehen<br />

durch die Strömung von Luft in der Trachea und den Bronchien. Das zentrale Atemgeräusch<br />

ist über der Trachea und den grossen Luftwegen hörbar, das periphere Atemgeräusch, das<br />

in den kleinen Luftwegen entsteht, wird über dem ganzen Lungenfeld gehört. Bei gesunden<br />

Tieren sind ein zentrales und ein peripheres Geräusch während der Inspiration immer zu<br />

hören. Die Exspiration ist leiser und Atemgeräusche sind während der exspiratorischen Phase<br />

nicht immer hörbar. Lungengeräusche sind im ventralen Bereich etwas stärker als dorsal. Ihre<br />

Intensität hängt auch vom Nährzustand und von der Bemuskelung der Brustwand, d.h. von<br />

deren Dicke (wenig Geräusche bei sehr fetten Tieren hörbar, hingegen laute Lungengeräusche<br />

bei Kälbern und Ziegen mit dünnen Muskeln), sowie von der Dicke des Haarkleids (leise<br />

Geräusche bei Schafen mit dickem Vlies) ab. Lungengeräusche sind bei verstärkter<br />

Ventilation (z.B. bei Stress, Anstrengung, Schmerz, Herzinsuffizienz, Anämie) lauter als<br />

6


normal zu hören, bei Hypoventilation (z.B. Schmerz im Brustraum, Agonie) aber vermindert.<br />

Pathologische Lungengeräusche kommen durch Behinderung des Luftstroms in der Lunge<br />

infolge Einengung der Luftwege (Sekret, verdickte Bronchienwände) zustande. Rasseln<br />

(râles, crackles) wird durch das explosive Aufgehen von kleinen Luftwegen, welche zuvor mit<br />

Sekret verstopft waren, produziert, während das hochfrequente Giemen und das tieffrequente<br />

Brummen (sibillances, wheezes) durch die Schwingung der Bronchien-/Bronchiolenwände<br />

entstehen. Dabei sind entweder diese Wände verdickt (z.B. Entzündung, Auflagerung von<br />

zähem Material wie Eiter oder Fibrin) oder die Strömung der Luft ist massiv verstärkt (z.B.<br />

Hyperventilation). Auskultatorische Lungengeräusche können aufgrund einer erhöhten<br />

Schallbildung (z.B. Ansammlung von Sekret in den Luftwegen) oder einer besseren<br />

Schallleitung (z.B. erhöhte Dichte des Lungengewebes wie bei der Konsolidation von<br />

Lungenbezirken nach schwerer Pneumonie, sog. Röhrenatmen) verstärkt sein. Sind die<br />

Lungegeräusche vermindert, kann das auf eine verminderte Schallbildung (z.B. nicht<br />

ventilierte Lungenbezirke) oder eine verminderte Schalleitung (z.B. Dämpfung durch<br />

erhöhten Luftgehalt wie bei Lungenemphysem oder Pneumothorax, oder durch<br />

Flüssigkeitsansammlung zwischen Lunge und Stethoskop wie bei Pleuraergüssen)<br />

zurückzuführen sein. Reibegeräusche werden bei Pleuritiden und/oder Pleuraergüssen durch<br />

die Bewegung von zwei rauhen Oberflächen (parietale und viszerale Pleura) aufeinander<br />

erzeugt. Wenn viel Flüssigkeit im Pleuraspalt angesammelt ist, möglicherweise mit Gas<br />

vermischt (Infektion mit gas-produzierenden Keimen), kann ein atem-synchrones Plätschern<br />

gehört werden.<br />

Perkussion<br />

Bei der Untersuchung des Kopfes werden die Nasennebenhöhlen perkutiert, am besten immer<br />

im Vergleich links-rechts: der Ton soll „hohl“ klingen. Ein dumpfer Perkussionston lässt eine<br />

Anfüllung der Nasennebenhöhlen (mit Flüssigkeit, z.B. Eiter, oder Tumorgewebe) vermuten.<br />

Die Ausdehnung der Lunge kann durch Finger-zu-Finger Perkussion oder mit Plessimeter und<br />

Perkussionshammer in den Interkostalräumen bestimmt werden. Diese Methode wird in der<br />

Praxis selten angewendet. Durch Perkussion können auch Dämpfungslinien (z.B. bei<br />

Pleuritis) erkannt werden.<br />

Weiterführende Untersuchungen<br />

Laboruntersuchungen<br />

Das Differentialblutbild sowie die Blutchemie (Gesamtprotein, Globuline) können Auskunft<br />

über die Natur und den Schweregrad allfälliger Entzündungen liefern. Mit einer<br />

7


Blutgasanalyse (arterielle Blutprobe!) wird das Ausmass des Gasaustausches in der Lunge<br />

und die Oxygenierung des Blutes überprüft.<br />

Endoskopie<br />

Die Endoskopie erlaubt, wie beim Pferd, die Nasenhöhlen, den Pharynxraum, die<br />

Gaumensegel, den Larynx und die Trachea bis zur Bifurkation der grossen Bronchien direkt<br />

zu visualisieren und so auf Umfangsvermehrungen, Schleimhautveränderungen, funktionelle<br />

Störungen (Larynx, Gaumensegel) und Sekretansammlungen zu untersuchen. Das Endoskop<br />

wird bei adulten Rindern durch den ventralen Nasengang eingeführt; bei Kälbern oder kleinen<br />

Wiederkäuern, bei denen die Nasengänge zu eng sind, wird das Endoskop über das Maul<br />

durch ein Spekulum (Schutz vor den Zähnen) eingeführt. Die endoskopische Untersuchung<br />

kann meistens mit einer einfachen Lokalanästhesie des Nasengangs durchgeführt werden. Bei<br />

wehrhaften Tieren oder bei Kleinwiederkäuern kann eine Sedation nötig sein.<br />

Unter Praxisbedingungen oder wenn kein Endoskop verfügbar ist, kann der Pharynx-<br />

/Larynxraum mit einem Röhrenspekulum über das Maul visualisiert werden. Obwohl dies<br />

eine weniger genaue Untersuchung als die Endoskopie erlaubt, können somit wertvolle<br />

Informationen über den Rachenraum (Schleimhäute, Auflagerungen, Mandel,<br />

Umfangsvermehrungen) und den Larynx (Schleimhaut, Funktion) gewonnen werden.<br />

Radiologie<br />

Röntgenbilder des Kopfes liefern bei Verdacht auf Sinusitis wichtige Informationen<br />

(Verschattung, Flüssigkeitsniveau). Weiter können im Pharynx-/Larynxbereich Abszesse und<br />

andere raumfordernde Prozesse sowie evt. Knorpelnekrosen am Larynx dargestellt werden.<br />

Die kaudodorsalen Bezirke der Lunge (Herz- und Zwerchfelllappen) können auch bei den<br />

Wiederkäuern radiologisch dargestellt werden. Die kranioventralen Bezirke jedoch sind beim<br />

stehenden Tier nicht darstellbar. Nur bei kleineren Tieren können Aufnahmen mit<br />

ventrodorsalem Strahlengang angefertigt werden. Die Beurteilung der Röntgenbilder erfolgt<br />

nach den gleichen Prinzipien wie bei anderen Spezies (s. Vorlesung bildgebende Verfahren).<br />

Ultrasonographie<br />

Mit Ultraschall können Umfangsvermehrungen am Kopf und Hals untersucht werden (z.B.<br />

retropharyngeale Abszesse). Eine gesunde, luftgefüllte Lunge lässt sich mit Ultraschall nicht<br />

darstellen, jedoch können nicht ventilierte Lungenabschnitte (schwere Pneumonie mit<br />

Atelektase, Abszess, Tumor) und Pleuraergüsse mit Ultraschall untersucht werden. Eine<br />

Probe von im Pleuraraum angesammelter Flüssigkeit zur zytologischen und bakteriologischen<br />

Untersuchung, seltener auch Biopsien oder Feinnadelaspirate von veränderten Stellen, können<br />

durch Punktion, am besten unter Ultraschallkontrolle, gewonnen werden.<br />

8


Transtracheallavage<br />

Durch das Einführen eines sterilen Schlauchs durch einen Trokar zwischen zwei<br />

Knorpelringen in die Trachea kann Sekret aus den unteren Luftwegen zur zytologischen und<br />

bakteriologischen Untersuchung gewonnen werden. Dieser einfache Eingriff kann unter<br />

Lokalanästhesie im Stall durchgeführt werden und ist der endoskopischen Probenentnahme<br />

wegen der geringeren Kontaminationsgefahr überlegen (Nasen-/Rachenraum umgangen).<br />

Nasen-Rachentupfer<br />

Vor der Entnahme von Nasen-Rachentupferproben zu diagnostischen Zwecken<br />

(bakteriologische Untersuchung bei Lungenentzündungen) ist abzuraten, weil potentiell<br />

pathogene Keime (z.B. Pasteurellen) zur normalen Rachenflora gehören. Somit ist das<br />

Resultat einer solchen Untersuchung kaum interpretierbar (Keim an der Pathogenese einer<br />

Lungenentzündung beteiligt oder Normalflora des Nasen-Rachenraums ?).<br />

Erkrankungen der oberen Atemwege<br />

Erkrankungen der Nasengänge<br />

Rhinitis<br />

Definition<br />

Entzündung der Nasenschleimhaut, durch Viren, Bakterien, Parasiten, Fremdkörper,<br />

Schadgase, Pilze, allergische Reaktionen bedingt.<br />

Aetiologie<br />

Viren: Respiratorische Viren (PI3, BRSV, BHV-1, s. unter Pneumonien).<br />

Bei bösartigem Katarrhalfieber (BKF) und evt. auch BVD können typische<br />

Schleimhautläsionen (Erosionen) auch in der Nasenschleimhaut zu finden sein.<br />

Bakterien: Erreger von Atemwegsinfektionen (z.B. Pasteurellen, A. pyogenes, Mykoplasmen),<br />

sowie Erreger von Aktinomykose (A. bovis) und Aktinobazillose (A. lignieresii).<br />

Parasiten: bei Schafen Larven der Fliege Oestrus ovis.<br />

Fremdkörper: Grashalme, Pilzsporen, Pollen, Staub, usw.<br />

Schadgase: Jauchegas, Ammoniak, Rauch, usw.<br />

Pilze: verschiedene Pilze (u.a. Rhinosporidium spp., Aspergillus spp., Stachybotrys spp.)<br />

können zur Bildung von Granulomen in der Nase führen (selten).<br />

9


Allergische Reaktionen: v.a. bei Jersey und Holstein Friesan Tieren nach wiederholter<br />

Exposition zu Allergenen (Pollen, Pilzsporen) zu beobachten<br />

(selten); in chronischen Fällen Granulombildung.<br />

Klinisches Bild<br />

Nasenausfluss (mukopurulent bis eitrig, evt. mit Blutbeimengungen), je nach Ursache einoder<br />

beidseitig, Rötung und Schwellung der Schleimhaut, evt. Niesen, Kopfschütteln,<br />

Stenosegeräusch, inspiratorische Dyspnoe.<br />

Je nach Aetiologie Allgemeinsymptome (Fieber, Inappetenz) und/oder weitere Symptome.<br />

Laborbefunde<br />

Je nach Ursache Anzeichen einer Entzündung im Blut vorhanden oder nicht.<br />

Die zytologische Untersuchung von Nasensekret kann Hinweise auf die Natur des Prozesses<br />

(v.a. neutrophile Granulozyten → eher bakterielle Infektion, primär oder sekundär; v.a.<br />

eosinophile Granulozyten → eher allergische Reaktion, Granulom), ist aber nicht spezifisch.<br />

Diagnosestellung<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Endoskopie bei Verdacht auf Fremdkörper, Parasiten oder Granulom.<br />

- Evt. Biopsie.<br />

- Evt. Kultur (z.B. Verdacht auf Pilzgranulom).<br />

Differentialdiagnosen<br />

Tumore, Verletzungen, Frakturen.<br />

Therapie<br />

- Ursache beseitigen.<br />

- Symptomatische Therapie (wenn nötig Antibiotika, Entzündungshemmer).<br />

Prognose<br />

Je nach Ursache.<br />

Nasentumore<br />

Definition und Aetiologie<br />

Selten bei Wiederkäuern (Adenom, Papillom, Adenokarzinom, Plattenepithekarzinom). Bei<br />

Schafen enzootisches Nasenkarzinom (durch einen Retrovirus bedingt).<br />

Klinisches Bild<br />

Dyspnoe, Stenosegeräusch, Nasenausfluss, evt. Nasenbluten, Niesen, fauler Geruch der<br />

Ausatmungsluft, Asymmetrie im Kopfbereich.<br />

10


Diagnosestellung<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Endoskopie.<br />

- Evt. Biopsie.<br />

Differentialdiagnosen<br />

Aktinomykose, Aktinobazillose, Granulom, Fremdkörper, Sinusitis, Frakturen, Verletzungen.<br />

Therapie<br />

Meistens kaum zugänglich für chirurgische Entfernung.<br />

Erkrankungen der Nasennebenhöhlen<br />

Sinusitis<br />

Definition<br />

Entzündung der Nasennebenhöhlen, am häufigsten beim Rind, selten bei Schaf und Ziege.<br />

Aetiologie<br />

Meistens bakterielle Infektion (Mischflora mit A. pyogenes und Pasteurellen) infolge<br />

Hornverletzungen oder Enthornen (Sinusitis frontalis) oder nach Zahnfachentzündung der<br />

Backenzähne (Sinusitis maxillaris). Meistens einseitig, kann aber auch beidseitig auftreten.<br />

Seltener Aktinomykose, Tumoren, Frakturen, Viren (BKF, PI-3).<br />

Klinisches Bild<br />

Akute Sinusitis nach Enthornen: Fieber, eitriger Ausfluss aus der Wunde.<br />

Chronische Sinusitis: Inappetenz, Apathie, Nasenausfluss, übler Geruch der Ausatmungsluft,<br />

Asymmetrie am Kopf (Vorwölbung über entzündenten Sinus),<br />

reduzierter Luftstrom auf der betroffenen Seite, evt. Fieber; bei<br />

schweren Fällen abnormale Haltung und Schmerzäusserungen (Kopf<br />

tief getragen, halb-geschlossene Augen), Dämpfung und Schmerz bei<br />

der Perkussion der Kopfhöhlen, evt. Exophtalmus. Bei Sinusitis<br />

maxillaris nach Alveolarperiostitis evt. abnormale Futteraufnahme und<br />

Kaubewegungen.<br />

Laborbefunde<br />

Bei chronischer Sinusitis Anzeichen von chronischer Entzündung (Herdinfekt) mit oder ohne<br />

Leukozytose, Neutrophilie mit oder ohne Linksverschiebung, Monozytose, Hyperproteinämie,<br />

Hyper-γ-Globulinämie, positiver Glutaltest.<br />

11


Diagnosestellung<br />

- Anamnese (Enthornen).<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Kopfröngten: Verschattung über betroffenen Sinus, evt. Flüssigkeitsniveau, bei Sinusitis<br />

maxillaris Anzeichen von Alveolarperiostitis.<br />

- Trepanation (mit Steinmann-Nagel) zur Sinuspunktion → eitriges Sekret.<br />

Differentialdiagnosen<br />

Nasentumor, Aktinomykose, Aktinobazillose, retrobulbärer Abszess, Schädelfraktur.<br />

Therapie<br />

Trepanation und Sinusspülung, evt. Zahnextraktion (s. Vorlesung Chirurgie).<br />

Antibiotika (Penicillin, 20'-30'000 IU/kg, mindestens 10-14 Tage), Entzündungshemmer.<br />

Komplikationen<br />

Durchbruch durch Schädelknochen und Meningitis.<br />

Prognose<br />

Je nach Dauer und Ausmass der Knochenschädigung: in frischen Fällen im Prinzip gut, in<br />

chronischen Fällen zweifelhaft.<br />

Prophylaxe<br />

Tiere jung enthornen. Wenn das Enthornen von adulten Tieren (mit Eröffnung der Sinus)<br />

nicht vermieden werden kann, möglichst nicht im Sommer (Fliegen!), allenfalls<br />

„kosmetische“ Methode mit Verschluss der Haut über den offenen Sinus.<br />

Erkrankungen von Pharynx, Larynx und Trachea<br />

Pharynxverletzungen und -abszesse<br />

Definition, Aetiologie und Pathogenese<br />

Pharynxverletzungen entstehen am häufigsten durch unsachgemässe Applikation von<br />

verschiedenen Boli (Anthelmintika, Calcium, usw.) oder beim Einführen von Schlundsonden.<br />

Auch wenn alle nötige Vorsichtsmassnahmen getroffen werden, können Verletzungen bei<br />

heftiger Abwehr des Tieres im Moment der Manipulation entstehen. Weiter können<br />

Fremdkörper wie z.B. Nägel oder Eisendrahtstücke im Futter zu Verletzungen führen. Wenn<br />

die Verletzung bei der Eingabe eines Bolus mit einem Applikator gesetzt wird, besteht die<br />

Gefahr, dass der Bolus im retropharyngealen Gewebe stecken bleibt, wo er als Fremdkörper<br />

einen kontinuierlichen Reiz setzt (u.a. sind Ca-Salze stark reizend).<br />

12


Oberflächliche Wunden der Pharynxwand heilen im Prinzip ohne schwerwiegende<br />

Komplikationen, jedoch können perforierende Verletzungen zu Hämatomen, Phlegmonen<br />

oder Abszessen führen. Bakterielle Infektionen sind meistens auf ubiquitäre Erreger wie A.<br />

pyogenes, Pasteurellen, Fusobacterium spp. oder Streptococcus spp. zurückzuführen. Ein<br />

Spezialfall stellt die durch Corynebacterium pseudotuberculosis verursachte Lymphadenitis<br />

dar, welche bei den Kleinwiederkäuern, besonders bei Ziegen, zur Abszedierung u.a. der<br />

retropharyngealen Lymphknoten führt. Bei Phlegmonen im retropharyngealen Gewebe<br />

können infolge starker Schwellung und Verengung der oberen Atemwege lebensbedrohliche<br />

Zustände innerhalb kurzer Zeit entstehen.<br />

Klinisches Bild<br />

Je nach Tiefe und Ausmass der Verletzung sowie je nach Reaktion (Phlegmone,<br />

Abszessbildung) werden unterschiedliche Symptome beobachtet. In allen Fällen stehen<br />

Anzeichen von inspiratorischer Dyspnoe mit Stenosegeräuschen und verlängerter Inspiration<br />

im Vordergrund. Husten, eine faul-stinkende Ausatmungsluft und mukopurulenter<br />

Nasenausfluss sind weitere Symptome. Schwellungen im Pharynxbereich können von aussen<br />

sichtbar sein oder nur bei der Palpation wahrzunehmen sein. Die Pharynxpalpation ist<br />

schmerzhaft und führt zu einer Verstärkung der Stenosegeräusche. Der Kopf wird nach vorne<br />

gestreckt gehalten. Der Schluckakt ist schmerzhaft, erhöhter Speichelfluss und reduzierte<br />

Aufnahme von festem Futter bei normaler Wasseraufnahme sind zu verzeichnen. Ist die<br />

Pharynxfunktion gestört, kommt es zu Ausfliessen von Speichel oder regurgitiertem Futter<br />

aus den Nasenlöchern. Durch eine genaue Untersuchung des Pharynx, zuerst durch manuelle<br />

Palpation (mit Maulkeil) und visuell mit einem Spekulum, kann die Diagnose gesichert<br />

werden, indem eine Umfangsvermehrung und eine Verletzung mit nekrotischem Belag oder<br />

eitrigem Ausfluss festgestellt werden. In ausgewählten Fällen liefert die Endoskopie die<br />

Möglichkeit einer besseren Untersuchung des Pharynxraumes, die Röntgen-Untersuchung<br />

erlaubt die Darstellung von Schwellungen und raumfordernden Prozessen sowie von<br />

Gaseinschlüssen oder Flüssigkeitsniveaus (Verdacht auf Abszess) im Pharynxbereich. Mittels<br />

Ultraschall können Schwellungen untersucht und somit z.B. diffuse Schwellungen von<br />

Abszessen unterschieden werden. Allfällige Schwellungen können auch unter<br />

Ultraschallkontrolle zu diagnostischen Zwecken punktiert werden.<br />

Je nach Ausmass der Veränderungen zeigen betroffene Tiere Allgemeinsymptome wie Fieber,<br />

Inappetenz bis Anorexie, Tympanie und/oder Pansenatonie.<br />

13


Laborbefunde<br />

Je nach Verlauf sind Anzeichen einer akuten oder chronischen Entzündung im Leukogramm<br />

erkennbar. Bei schweren Schluckstörungen geht Bikarbonat über den Speichel verloren, was<br />

an der metabolischen Azidose in der Blutgasanalyse zu erkennen ist.<br />

Gut begrenzte Schwellungen (Verdacht auf Abszess aufgrund der Ultraschalluntersuchung)<br />

können punktiert und das Punktat zytologisch untersucht werden. Eine Ansammlung von<br />

neutrophilen Granulozyten deutet auf einen eitrigen Prozess bzw. Abszess hin.<br />

Diagnosestellung<br />

- Anamnese (Bolus-Applikation, Schlundsonde).<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Endoskopie, Ultraschall, Röntgen- und Laborbefunde.<br />

Differentialdiagnosen<br />

Tumor, Granulom, geschwollene Lymphknoten (z.B. bovine Leukose), Aktinobazillose,<br />

Sialolithen; Larynxabszess, Laryngitis, Larynxoedem; wenn Schluckstörungen im<br />

Vordergrund stehen Botulismus, Listeriose, Hypophysenabszess, Tollwut.<br />

Therapie<br />

In akuten Fällen mit diffuser Schwellung: Antibiotika (Penicillin, Tetrazyklin oder<br />

Sulfonamide, mindestens 3-5 Tage) und Entzündungshemmer (Flunixin Meglumin, 2 Tage).<br />

Abszesse können vom Pharynx aus oder von aussen eröffnet und gespült werden (s.<br />

Chirurgie-Vorlesung). Bei Bedarf müssen Abszesse in Anbildung vor der Spaltung gereift<br />

werden (z.B. mit Kataplasma).<br />

Unterstützende Massnahmen (Infusionen, vorübergehend Ernährung per Sonde) sind je nach<br />

Schweregrad der Symptome angezeigt.<br />

Komplikationen<br />

- Aspirationspneumonie infolge Schluckstörungen.<br />

- Pansentympanie, Indigestion.<br />

Prognose<br />

Bei schwerwiegender phlegmonöser Entzündung zweifelhaft, bei frühzeitiger Therapie im<br />

Prinzip gut. Bei chronischen Formen im Prinzip gut, wenn allfällige Abszesse gespalten<br />

werden können (Gefahr von Gefäss- und Nervenverletzungen, s. Vorlesung Chrirurgie).<br />

Prophylaxe<br />

Vorsicht bei der Applikation von Boli und bei der Einführung einer Schlundsonde.<br />

14


Kälberdiphteroid (nekrotische Laryngitis, Nekrobazillose)<br />

Definition, Aetiologie und Pathogenese<br />

Akute bis chronische Infektion von Schleimhaut und Knorpel des Larynx, welche v.a. bei<br />

jungen Kälbern (3-18 Monate alt) beobachtet wird. Es wird angenommen, dass virale und<br />

bakterielle Erreger von Atemwegsinfektionen (z.B. BRSV, PI-3, Pasteurellen, H. somni,<br />

Mykoplasmen) als Wegbereiter wirken, indem sie durch direkte Schädigung und durch den<br />

Hustenreiz, der die mechanische Beanspruchung des Larynx erhöht, zu Erosionen der<br />

Larynxschleimhaut (v.a. über die Stimmbänder und die Arytenoidknorpel) führen. Es folgt<br />

eine Infektion mit Fusobacterium necrophorum, welche zur Knorpelnekrose im Larynx führt.<br />

Das ubiquitäre F. necrophorum dringt in intakte Schleimhäute nicht ein, sondern braucht<br />

einen Primärschaden, damit sich eine Infektion im Larynx festsetzen kann. Ungünstige<br />

Haltungsbedingungen (schlechtes Stallklima, Überbelegung, usw. wie z.T. in der Kälbermast)<br />

begünstigen das Entstehen eines Primärschadens und somit einer nekrotischen Laryngitis.<br />

Klinisches Bild<br />

Die Krankheit wird v.a. bei Kälbern im Alter zwischen 3 und 18 Monaten (bis 24 Monaten)<br />

angetroffen. Klinische Symptome umfassen einen unterdrückten, schmerzhaften Husten, eine<br />

inspiratorische Dyspnoe mit Stenosegeräusch, häufig starke Atemnot mit Maulatmung und<br />

mit Kopf und Hals nach vorne gestreckt. Der Larynx ist geschwollen und bei Palpation<br />

schmerzhaft; Verschlimmerung von Stridor und Dyspnoe sowie Auslösen von Husten beim<br />

Drucken auf den Larynx. Schmerzhaftes Schlucken und erhöhter Speichelfluss. Beidseitiger<br />

Nasenausfluss und fauler Geruch der Ausatmungsluft. Tiere mit akuter nekrotischer<br />

Laryngitis zeigen meistens hohes Fieber und Inappetenz mit auffallend häufigem Trinken<br />

von Wasser (kühlend, schmerzlindernd). Die Larynxläsionen können durch Adspektion mit<br />

Spekulum oder Endoskop visualisiert werden, jedoch müssen solche Untersuchungen sehr<br />

vorsichtig vorgenommen werden, weil betroffene Tiere schon unter starker Atemnot leiden,<br />

welche durch diese Manipulationen noch verschlimmert wird. Im Akutstadium ist die<br />

Larynxschleimhaut geschwollen, gerötet und oberflächlich ulzeriert. In späteren Stadien<br />

entstehen Ulzera, welche bis in das Knorpelgewebe einwachsen. Ohne Therapie kann die<br />

Krankheit innerhalb wenigen Tagen tödlich verlaufen (Tod durch Ersticken infolge Verlegung<br />

der oberen Luftwege und Toxämie).<br />

Laborbefunde<br />

Anzeichen von Entzündung im Leukogramm. In schweren, akuten Fällen wird eine<br />

Leukopenie infolge Neutropenie mit Linksverschiebung beobachtet.<br />

15


Diagnosestellung<br />

- Anamnese.<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Evt. Laryngoskopie (Vorsicht !).<br />

- Evt. Röntgen.<br />

Differentialdiagnosen<br />

Einfache Laryngitis, Larynxlähmung, Larynxabszesse (z.B. durch A. pyogenes im<br />

Arytenoidknorpel), Larynxoedem bei Anaphylaxie, Fremdkörper im Larynx, Pharyngitis,<br />

retropharyngeale Abszesse, Tumore, Aktinobazillose.<br />

Therapie<br />

Um die Entwicklung von Knorpelnekrose zu verhindern, ist es wichtig, im Akutstadium<br />

sofort aggressiv mit Antibiotika und Entzündungshemmern zu behandeln. Antibiotikum der<br />

Wahl ist Penicillin (20’-40'000 IU/kg, während mindestens 7 Tage), Sulfonamide können<br />

auch eingesetzt werden. Unterstützungstherapie mit Entzündungshemmern (Flunixin<br />

Meglumin) ist erforderlich, einerseits um die Schmerzen zu reduzieren, andererseits um die<br />

Schwellung und Entzündung am Larynx möglichst rasch zum Abklingen zu bringen. In<br />

schweren Fällen kann eine Tracheotomie (s. Vorlesung Chirurgie) erforderlich sein, um die<br />

Atemstenose zu umgehen und den Larynx für die Heilungsphase ruhigzustellen. Infusionen<br />

sind bei Tieren, die nicht mehr trinken und fressen, angezeigt. Bei Tieren mit einer<br />

fortgeschrittenen Larynxnekrose müssen eine chirurgische Sanierung (s. Vorlesung Chirurgie)<br />

oder die Euthanasie in Betracht gezogen werden.<br />

Komplikationen<br />

Aspirationspneumonien infolge Schluckstörungen stellen eine häufige Komplikation dar.<br />

Nekrotische Larynxveränderungen können unter Bildung von Narbengewebe heilen, was zu<br />

permanenter Einengung der Luftwege führt. Inspiratorische Stenosegeräusche (wie „roarer“<br />

beim Pferd) und Kümmern wegen chronischen Atembeschwerden sind die Folgen.<br />

Prognose<br />

Bei frühzeitiger aggressiver Therapie günstig; bei schon fortgeschrittener Knorpelnekrose<br />

zweifelhaft bis ungünstig.<br />

Prophylaxe<br />

Reduktion der begünstigenden Faktoren: optimierte Haltung und Stallklima, Prophylaxe von<br />

primären Atemwegsinfektionen (s. unter Pneumonien).<br />

16


Kollaps und Stenose der Trachea<br />

Definition und Pathogenese<br />

Die häufigste Ursache von Trachealstenose ist die mit Kallusbildung einhergehende Heilung<br />

von Frakturen der kranialen Rippen, welche bei forcierter Extraktion des Foets bei der Geburt<br />

entstehen können. Die Trachea wird durch den innerhalb mehreren Wochen entstehenden<br />

Kallus am Brusteingang komprimiert, was zu Stenose und Atembeschwerden führt. Ein<br />

Trachealkollaps kann auch durch direktes Trauma der Trachea entstehen. Missbildungen und<br />

Trachealstenosen als Folge schwerer Lungenentzündung wurden auch beschrieben. Eine<br />

unsachgemässe Intubation (Vollnarkose) kann zu Nekrose, Vernarbung und Stenose führen.<br />

Klinisches Bild<br />

Dyspnoe und Stenosegeräusch (inspiratorisch > exspiratorisch), welche bei Stress oder<br />

Anstrengung ausgeprägter werden. Der Ursprung des Stenosegeräusches kann mittels<br />

Stethoskop auf die Trachea lokalisiert werden. Ein lauter Husten ist häufig vorhanden<br />

und/oder durch Palpation der Trachea auslösbar. Anzeichen von Trauma (Rippenfrakturen,<br />

Kallusbildung) sind nicht immer klinisch festzustellen.<br />

Laborbefunde<br />

Allfällige Veränderungen im Blutbild sind auf Stress oder Sekundärinfektionen<br />

zurückzuführen.<br />

Diagnosestellung<br />

- Anamnese (Schwergeburt).<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Endoskopie: Einengung der Trachea, am häufigsten dorsoventral am Brusteingang.<br />

- Röntgen: Einengung der Trachea, evt. alte Rippenfrakturen und Kallus.<br />

Differentialdiagnosen<br />

Fremdkörper, Tumore, Aktinobazillose in der Trachea, Bronchopneumonie, Laryngitis,<br />

Kompression der Trachea von aussen (z.B. durch mediastinale Lymphknoten).<br />

Therapie<br />

Bei optimaler, stressarmer Haltung können Tiere mit Trachealkollaps evt. ausgemästet<br />

werden. Chirurgische Korrektur mit Prothesen kommt bei Kälbern nicht in Frage.<br />

Prognose<br />

Mittelfristig schlecht, solche Tiere können höchstens noch gemästet werden. Bei schweren<br />

Fällen mit starker Atemnot muss eine Notschlachtung oder die Euthanasie empfohlen werden.<br />

Prophylaxe<br />

Vorsicht bei Geburthilfe.<br />

17


Erkrankungen der unteren Atemwege<br />

Lungenerkrankungen beim Rind<br />

Vereinfacht können Pneumonien in drei Kategorien eingeteilt werden:<br />

Bronchopneumonien: Infektionen durch (virale und bakterielle) Erreger, welche die Lunge<br />

über die Luftwege invadieren und zu Störungen des<br />

Allgemeinzustands, Fieber, Rötung der Nasen- und Augenschleimhäute<br />

führen. Die Lungenläsionen sind v.a. kranioventral lokalisiert,<br />

verstärkte Lungengeräusche sind auch dort besonders auffallend.<br />

Ein typisches Beispiel von Bronchopneumonie ist die enzootische<br />

Kälberpneumonie.<br />

Interstitielle Pneumonien: Diffuse Entzündung des Lungeninterstitiums nach Aufnahme oder<br />

Inhalation von Toxinen oder Allergenen, meistens nicht durch<br />

infektiöse Prozesse verursacht. Verstärkte Lungengeräusche und<br />

Läsionen sind über das ganze Lungenfeld verteilt, aber<br />

Allgemeinsymptome wie z.B. Fieber fehlen meistens. Diese<br />

Pneumonien sprechen auf übliche Therapien mit Antibiotika nicht<br />

an, deswegen die Bezeichnung als „atypische Pneumonien“.<br />

Beispiele von interstitiellen Pneumonien sind Farmer’s lung oder<br />

das akute Lungenoedem/-emphysem.<br />

Metastatische Pneumonien: Infektion durch Bakterien, welche die Lunge über die Blutbahn<br />

aus anderen Infektionsherden (Leberabszesse, Thrombose der<br />

Vena cava) erreichen. Verstärkte Lungengeräusche und Läsionen<br />

sind über das ganze Lungenfeld verteilt in Anwesenheit von<br />

Fieber und Allgemeinsymptomen.<br />

Das sog. post-kavale Syndrom ist das Paradebeispiel der<br />

metastatischen Pneumonien.<br />

Bronchopneumonien<br />

Definition<br />

Der Komplex der Bronchopneumonien, welcher besonders bei Kälbern von grosser<br />

Bedeutung ist, umfasst ein mehr oder weniger einheitliches Krankheitsbild, das aber durch<br />

viele verschiedene Erreger (Viren, Bakterien, Mykoplasmen) verursacht werden kann. Weiter<br />

spielen Managementfaktoren wie Haltung (Stallklima, Belegungsdichte, Gruppen-<br />

18


zusammensetzung, Herkunft der Tiere) und kolostrale Immunität bei der Entstehung der<br />

Krankheit eine wichtige Rolle. Es handelt sich also bei der Bronchopneumonie der Kälber um<br />

eine multifaktorielle Krankheit. Obwohl auch ältere und adulte Tiere an Bronchopneumonie<br />

erkranken können, ist die Krankheit bei Kälbern von besonderer Bedeutung, weil die<br />

begünstigenden Umstände v.a. für diese Tierkategorie gegeben sind und demzufolge die<br />

höchste Prävalenz und die grössten wirtschaftlichen Schäden in dieser Altersgruppe entstehen.<br />

Bezeichnungen des klinischen Erscheinungsbildes<br />

Enzootische Kälberpneumonie, „shipping fever“, Rindergrippe.<br />

Epidemiologie<br />

Kälberpneumonien werden in 2 Gruppen unterteilt, die enzootische Kälberpneumonie, welche<br />

v.a. bei Aufzuchtkälbern (2 Wochen bis 6 Monate alt) vorkommt, und das v.a. bei Masttieren<br />

nach dem Einstallen in die Mast auftretende „shipping fever“ oder Lungenpasteurellose.<br />

Bei der enzootischen Kälberpneumonie sind eine endemische Form und eine weniger häufige<br />

epizootische Form bekannt. Kälberpneumonie ist mit Durchfall die wichtigste Krankheit von<br />

Aufzuchtkälbern. Morbiditätsraten von 7% bis 25%, sowie Mortalitätsraten von 2% bis 10%<br />

werden in der Literatur angegeben. Es wird angenommen, dass 25% bis 50% aller<br />

Kälberverluste auf Lungenentzündungen zurückzuführen sind.<br />

Pneumonien stellen auch eines der grössten Probleme in der Kälbermast dar. In grossen<br />

Kälbermastbetrieben in Nordamerika werden Morbiditätsraten bis 70% und Mortalitätsraten<br />

bis 15% angegeben. Diese Zahlen dürfen aber nicht ohne weiteres auf schweizerische<br />

Verhältnisse übertragen werden, wo die Kälbermast weniger intensiv ist. Jedoch sind in<br />

beiden Situationen ähnliche begünstigende Faktoren (Haltung, Zusammenführen von jungen<br />

Tieren aus verschiedenen Herkunftsbetrieben, Stress) vorhanden. Typischerweise treten<br />

Ausbrüche von Bronchopneumonien innerhalb von 3 Wochen nach Einstallen in die Mast auf.<br />

Obwohl Pneumonien in den allermeisten Fällen bei jungen Tieren anzutreffen sind, können<br />

auch erwachsene Tiere an Lungenentzündungen leiden. Aetiologie, Symptome und<br />

Therapieprinzipien sind ähnlich wie bei Kälbern. Bei erwachsenen Tieren handelt es sich<br />

häufig eher um Einzeltiererkrankungen, wobei Aspirationspneumonien eine besondere Rolle<br />

spielen, jedoch kommen auch Pneumonieausbrüche vor, wo mehrere bis die meisten Tiere im<br />

Bestand betroffen sind (z.B. BRSV, schwere Pasteurellenpneumonie).<br />

Aetiologie<br />

Neben bakteriellen und viralen Erregern spielen viele Umwelteinflüsse eine wichtige Rolle in<br />

der Entstehung von Bronchopneumonien. Bei der enzootischen Kälberpneumonie sind<br />

Kolostrumversorgung und Haltungsfaktoren von besonderer Bedeutung. Lufttemperatur und<br />

19


Luftfeuchtigkeit sind wichtig, aber auch die Ventilation im Stall inkl. Richtung des<br />

Luftstromes (von den jüngeren, empfänglicheren zu den älteren, resistenteren Tieren, und<br />

nicht umgekehrt). Bei Masttieren spielen Faktoren im Herkunftsbetrieb, während des<br />

Transportes und bei der Einstallung im Mastbetrieb eine Rolle. Im Idealfall sollen die Kälber<br />

mindestens 3 Wochen vor dem Verkauf in die Mast entwöhnt und allenfalls gegen Pneumonie<br />

geimpft werden. Der Transport soll so kurz wie möglich gehalten werden und es soll keine<br />

Dehydratation während des Transports entstehen können. Im Mastbetrieb soll den Tieren nach<br />

dem Einstallen möglichst wenig zusätzlicher Stress zugeführt werden, d.h. Kälber sollen nicht<br />

zu diesem Zeitpunkt entwöhnt, kastriert, enthornt oder geimpft werden. Besonders in der<br />

Milchmast werden die Tiere durch die unausgewogene Ernährung, welche zu Mangel an<br />

Mineralstoffen (Fe, Se) und Vitaminen führt, geschwächt und somit gefährdet, an infektiösen<br />

Pneumonien zu erkranken.<br />

Verschiedene infektiöse Erreger sind mit Kälberpneumonien assoziiert und können einzeln<br />

oder (meistens) in Kombination zu Krankheitssymptomen führen. Die wichtigsten Erreger<br />

von Lungenentzündungen beim Rind sind:<br />

Viren: Bovines respiratorisches Synzitialvirus (BRSV), Parainfluenza-3 (PI-3) und Bovines<br />

Virusdiarrhoe-Virus (BVDV).<br />

Weitere Viren, welche im Zusammenhang mit Pneumonien isoliert wurden, aber<br />

dessen Rolle in der Pathogenese der Krankheit nicht genau definiert ist, sind bovine<br />

Adeno-, Rhino-, Reo-, Entero-, Corona-, Calici- und Influenzaviren.<br />

Bakterien: Zu den primären Pneumonieerregern gehören Mannheimia haemolytica (früher<br />

Pasteurella haemolytica genannt), Pasteurella multocida, Histophilus somni<br />

(ehemalig Haemophilus somnus), Arcanobacterium pyogenes und Mycoplasma<br />

bovis.<br />

Weitere bakterielle Erreger, welche bei Pneumonien isoliert wurden, aber im<br />

Prinzip nicht primär pathogen sind, sind Streptokokken, Staphylokokken,<br />

Pseudomonaden, E. coli, Salmonellen und Moraxella spp., sowie Mycoplasma<br />

dispar, Ureaplasma spp. und Chlamydia spp.<br />

BRSV (Paramyxovirus) ist eines der wichtigsten Viren im bovinen <strong>Respiration</strong>strakt. Die<br />

Infektion mit BRSV läuft in den unteren Luftwegen ab und führt zu interstitiellen<br />

Pneumonien. Typisch ist die Entstehung von Lungenemphysem in schweren Fällen. Klinische<br />

Symptome von BRSV-Infektion sind hohes Fieber bis 40-42°C (3-5 Tage nach Infektion<br />

durch direkten Kontakt und Aerosole), reduzierter Allgemeinzustand und Appetit, Tachypnoe<br />

bis starke v.a. exspiratorische Dyspnoe, Husten, vermehrter Nasen- und Augenausfluss. Bei<br />

20


der Lungenauskultation sind zuerst verstärkte periphere Geräusche zu hören; wenn<br />

Emphysem vorhanden ist, sind aber die auskultierbaren Lungengeräusche vermindert. Tiere<br />

mit Lungenemphysem zeigen eine ausgeprägte exspiratorische Dyspnoe. Weitere<br />

Komplikationen der BRSV-Infektion sind die Bildung von Bullae in der Lunge; wenn diese<br />

reissen, kommt es zu Pneumothorax, Pneumomediastinum und subkutanem Emphysem.<br />

Befallene Tiere erholen sich innerhalb von 1-2 Wochen von einer reinen BRSV-Infektion.<br />

Diese prädisponiert aber für bakterielle Sekundärinfektionen.<br />

Die Infektion mit PI-3 (Paramyxovirus) allein kann subklinisch verlaufen oder nur zu milden<br />

klinischen Symptomen (Fieber, Polypnoe, Husten, Augen- und Nasenausfluss, verstärkte<br />

Lungengeräusche) führen. Meistens wirkt aber PI-3 als Wegbereiter für Sekundärinfektionen,<br />

besonders mit Pasteurellen.<br />

Die Bedeutung des BVD-Virus (Pestivirus) im Zusammenhang mit <strong>Respiration</strong>skrankheiten<br />

ist umstritten. Es scheint insofern eine Rolle zu spielen, dass es immunosuppressiv wirkt und<br />

somit das Angehen von anderen Infektionen begünstigt.<br />

Von den anderen Viren, welche bei Tieren mit Pneumonie ab und zu isoliert werden, spielen<br />

wahrscheinlich v.a. Coronaviren eine wichtigere Rolle als bisher angenommen wurde.<br />

Das sehr ansteckende Bovine Herpesvirus-1 (BHV-1), Erreger der Infektiösen Rhinotracheitis<br />

/Infektiösen Pustulösen Vulvovaginitis (IBR/IPV) kommt in der Schweiz nicht vor<br />

(auszurottende Seuche, s. Vorlesung Seuchenlehre). Es ist aber wichtig, die Symptome<br />

allenfalls zu erkennen, damit im Fall eines Ausbruches seuchenpolizeiliche Massnahmen<br />

getroffen werden können, bevor die Infektion sich ausgebreitet hat. Bei der respiratorischen<br />

Form stehen hohes Fieber, reduzierter Allgemeinzustand, Polypnoe und Dyspnoe, Husten,<br />

Nasenausfluss, verstärkte Lungengeräusche (v.a. zentral) im Vordergrund. Die Flotzmaulund<br />

Nasenschleimhäute sind stark gerötet (deswegen der Name „red nose“). Die Mortalität<br />

nach Infektion mit dem BHV-1 allein ist gering. Das Virus ist v.a. als Wegbereiter für<br />

bakterielle Infektionen wichtig. Es kann auch Genitalinfektionen, Aborte und<br />

Enzephalomyelitis verursachen.<br />

Der pathogenste bakterielle Pneumonieerreger, M. haemolytica Serotyp A1, produziert<br />

fibrinös-nekrotisierende lobäre Pneumonien. Infektion mit P. multocida führt eher zu eitrigen<br />

Bronchopneumonien. H. somni kann neben oder nach Pneumonien über eine septikämische<br />

Phase auch Meningoenzephalitis (thrombotisch-embolische Meningoencephalitis, TEME),<br />

Polyarthritis, Pleuritis und Perikarditis verursachen. A. pyogenes wird häufig in<br />

Lungenabszessen gefunden und gilt mit anderen Anaerobiern als opportunistischer<br />

Pneumonieerreger; es wird vermutet, dass diese Erreger zusammen mit Pansengasen nach<br />

21


dem Ruktus in die Lunge aspiriert werden. Mykoplasmen werden häufig zusammen mit<br />

anderen Erregern aus pneumonischen Lungen isoliert. M. bovis scheint unter den<br />

Mykoplasmen am meisten pathogen zu sein, obwohl seine Rolle in der Entstehung der<br />

Kälberpneumonien umstritten ist. Ein Spezialfall unter den Mykoplasmen stellt M. mycoides<br />

subsp. mycoides SC (small colony type), der Erreger der Lungenseuche des Rindes (oder<br />

contagious bovine pleuropneumonia, CBPP) dar. Diese Krankheit zeichnet sich durch (meist<br />

einseitige) schwere Pleuropneumonien aus, in chronischen Fällen mit Sequestrierung von<br />

Lungenbezirken. Diese hochansteckende Seuche ist in der Schweiz seit 1895 nicht mehr<br />

diagnostiziert worden. Jedoch soll bei Fällen von Pleuropneumonie immer mindestens<br />

differentialdiagnostisch daran gedacht werden und die nötigen Abklärungen (Serologie,<br />

allenfalls Kultur nach Sektion) vorgenommen werden (s. Vorlesung Seuchenlehre).<br />

In einer Studie über Kälberpneumonien im Kanton Bern (Vogel et al., Schweiz. Arch.<br />

Tierheilkd. 2001; 143 (7): 341-350) wurden bei jungen Kälbern mit klinischen Symptomen<br />

von Pneumonie (13 Tiere, mittleres Alter 7 Wochen) A. pyogenes bei 46% der Tiere, H.<br />

somnus bei 23%, M. haemolytica bei 16% und P. multocida bei 8% isoliert. Bei älteren<br />

Tieren, deren Lungen bei der Schlachtung Läsionen von chronischer Pneumonie aufwiesen<br />

(90 Tiere, mittleres Alter 13 Wochen), wurde am häufigsten P. multocida (32%), gefolgt von<br />

H. somnus (11%), A. pyogenes (8%) und M. haemolytica (2%) nachgewiesen. M. bovis wurde<br />

bei 69% der jungen Kälber und 37% der Schlachtkälber gefunden. Aufgrund der häufigen<br />

Isolation von A. pyogenes aus den Lungen von jungen Kälbern mit Pneumonie wurde eine<br />

aetiologische Beteiligung des Erregers nicht nur zu chronischen, sondern auch zu akuten<br />

Lungenentzündungen vermutet.<br />

Pathogenese<br />

Natürliche Abwehrmechanismen in der Lunge umfassen einerseits „mechanische“ Faktoren<br />

(Filtration und Konditionierung der Luft in den oberen Atemwegen, Abtransport von<br />

inhalierten Stoffen durch mukoziliäre Clearance, Resistenz zur Adhäsion von Erregern auf<br />

den Epithelien), andererseits die sekretorische und zelluläre Abwehr. Die mechanische<br />

Abwehr wird durch extreme Umgebungstemperaturen, Schadgase (Ammoniak, Methan, HS,<br />

CO), Dehydratation oder virale Infektionen (Schädigung des Epithels der oberen Atemwege,<br />

Beeinträchtigung der Funktion von Abwehrzellen, z.B. Alveolarmakrophagen) geschwächt.<br />

Schadgaskonzentrationen steigen bei ungenügender Ventilation oder zu wenig regelmässiger<br />

Mistabfuhr im Stall. Überbelegung der Ställe, Transport, Zusammenführen von Kälbern<br />

verschiedener Herkunft und chirurgische Eingriffe wie Enthornen oder Kastration führen zu<br />

Stress und Beeinträchtigung der zellulären und sekretorischen Abwehrmechanismen.<br />

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Bakterielle Erreger von Pneumonie wie M. haemolytica, P. multocida und H. somni gehören<br />

in kleinen Zahlen zur Normalflora des Nasen-Rachenraums. Unter Stressbedingungen<br />

und/oder nach viralen Infektionen, welche die Abwehrmechanismen der Lungen herabsetzen,<br />

kommt es zu einer starken Vermehrung dieser Bakterien zuerst in den oberen, dann aber nach<br />

Aspiration auch in den unteren Atemwegen. Nach der Kolonisation der Lunge mit diesen<br />

Erregern werden Abwehrmechanismen wie Komplementaktivierung, Rekrutierung und<br />

Aktivierung von neutrophilen Granulozyten und Makrophagen u.a. durch die Freisetzung von<br />

Endotoxin (Lipopolysaccharid, LPS) aus der Zellwand von Gram-negativen Bakterien<br />

gehemmt. M. haemolytica wirkt durch ein spezielles Exotoxin, das Leukotoxin, das<br />

Neutrophile, Makrophagen und Thrombozyten lysieren kann, besonders pathogen.<br />

Neutrophile Granulozyten spielen in der Pathogenese der fibrinösen Pneumonie eine sehr<br />

wichtige Rolle, weil durch Zerstörung der Neutrophilen Lungenläsionen nach experimenteller<br />

M. haemolytica Infektion fast ganz verhindert werden können. Neutrophile enthalten<br />

verschiedene lysosomale Produkte (Enzyme wie z.B. Kollagenasen, aber auch toxische<br />

Sauerstoffverbindungen), welche normalerweise gebraucht werden, um Krankheitserreger<br />

abzutöten, aber nach Lyse der Granulozyten durch Leukotoxin in das Lungengewebe<br />

freigesetzt werden und ausgedehnte Gewebeschäden hervorrufen. P. multocida gilt als<br />

weniger pathogen als M. haemolytica, weil es kein Leukotoxin bildet. Es hat aber eine Kapsel,<br />

welche es gegen Phagozytose schützt. Neben LPS besitzt H. somni verschiedene<br />

Virulenzfaktoren, welche durch toxische Epithelschäden und Schutz vor Phagozytose zur<br />

Pathogenese der Lungenentzündung beitragen. Die Pathogenität von M. bovis ist umstritten,<br />

weil es aus den Lungen sowohl von gesunden Kälbern wie auch von Tieren mit Pneumonie<br />

regelmässig isoliert wird. Mykoplasmen können immunosuppressiv wirken, den mukoziliären<br />

Transport beeinträchtigen und sind wahrscheinlich durch diese Mechanismen an der<br />

Pathogenese von Lungeninfektionen beteiligt.<br />

Klinisches Bild<br />

Bei rein viralen Infektionen (ausser bei schwerer BRSV-Pneumonie) sind relativ milde<br />

Symptome zu erwarten, der Schweregrad der Erkrankung nimmt mit bakterieller<br />

Sekundärinfektion zu. Fieber (bis über 40°C), Polypnoe und Dyspnoe, mukopurulenter bis<br />

eitriger Nasen- und Augenausfluss, feuchter Husten und verstärkte (meistens inspiratorisch<br />

>exspiratorisch, kranioventral>dorsal, peripher>zentral) Lungengeräusche mit pathologischen<br />

Nebengeräuschen (Rasseln, Giemen) stehen im Vordergrund. Die Tiere sind apathisch, halten<br />

häufig den Kopf tief und sind inappetent bis anorektisch.<br />

23


Laborbefunde<br />

Je nach Ausmass und Schweregrad der Läsionen und je nach beteiligten Erregern (Viren vs.<br />

Bakterien, oder Kombination) sind mehr oder weniger ausgeprägte Veränderungen im<br />

Leukogramm zu erwarten.<br />

Um eine aetiologische Diagnose zu stellen, muss eine Transtracheallavage mit<br />

anschliessender bakteriologischer Untersuchung des gewonnenen Sekretes vorgenommen<br />

werden. Wichtig ist, dass die Probe möglichst im Akutstadium (Nachweis von Primär- und<br />

nicht Sekundärerregern) und von einem unbehandelten Tier (sonst Gefahr von Negativbefund<br />

wegen Antibiotikagehalt in der Probe) entnommen wird.<br />

Die meisten diagnostischen Laboratorien bieten den Direktnachweis von respiratorischen<br />

Viren nicht an. Um die Rolle von Viren in der Entstehung von Lungenentzündungen<br />

abzuschätzen, müssen gepaarte Serumproben (im Abstand von 3 Wochen) für eine Serologie<br />

genommen werden. Ein zeitlich mit klinischen Symptomen von Pneumonie korrelierter<br />

Titeranstieg deutet auf eine Beteiligung des betroffenen Virus in der Pathogenese der<br />

Erkrankung hin. Bei jungen Kälber können maternale Antikörper die Resultate einer solchen<br />

Titeruntersuchung verfälschen.<br />

Beim Vorliegen von Symptomen von Pleuritis (Reibegeräusche, horizontale Dämpfungslinie,<br />

unterdrückte Atmung, Schmerzäusserung bei der Thoraxperkussion) kann Flüssigkeit im<br />

Pleuraraum mittels Ultraschall dargestellt werden. Durch Thoraxpunktion (am besten unter<br />

Ultraschallkontrolle) gewonnenes Sekret wird zytologisch und bakteriologisch untersucht.<br />

Wenn aus einer Probe (Lavageflüssigkeit oder Punktat) nach Mykoplasmen gesucht werden<br />

soll, muss das in der Anamnese, welche die Probe in das Bakteriologie-Labor begleitet,<br />

ausdrücklich angegeben werden, weil Mykoplasmen mit Routinemethoden nicht erfasst<br />

werden und deren Nachweis spezielle Kulturmethoden voraussetzt.<br />

Diagnosestellung<br />

- Anamnese (Haltung, Herkunft der Tiere, Einführung neuer Tiere in die Herde, usw.).<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Lungenröntgen: Beurteilung wie bei anderen Spezies (s. Vorlesung bildgebende Verfahren).<br />

- Resultate der Transtracheallavage und der Serologie.<br />

- Bei Verdacht auf Pleuritis Ultraschall und Punktion.<br />

- Bei Bestandesproblem Sektion eines gestorbenen oder euthanasierten Tieres, inklusive<br />

bakteriologische Untersuchung und Histologie (z.B. typische Veränderungen bei BRSV-<br />

Infektion, s. Vorlesung Pathologie).<br />

24


Differentialdiagnosen<br />

Akutes Lungenoedem/-emphysem, interstitielle Pneumonien, Lungenwurmpneumonie,<br />

Lungeneodem, Pleuritis, Tracheitis, Laryngitis und Pharyngitis. Zwerchfellhernien und<br />

Tumore im Brustraum sind bei den Wiederkäuern sehr selten.<br />

Verschiedene Allgemeinerkrankungen gehen mit respiratorischen Symptomen einher, wie<br />

z.B. Sepsis, Herzversagen, Vergiftungen (z.B. Nitrit/Nitrat).<br />

Therapie<br />

Wie schon erwähnt, handelt es sich bei den Kälberpneumonien um eine Faktorenkrankheit,<br />

welche durch die kombinierten Effekte von Umgebungs- und Managementfaktoren und von<br />

infektiösen Erregern entsteht. Folglich ist es illusorisch zu denken (ausser im seltenen Fall<br />

einer Einzeltiererkrankung), dass die Krankheit nur mit der Applikation von antimikrobiellen<br />

Medikamenten unter Kontrolle gebracht werden kann. Managementfaktoren wie Haltung,<br />

Stallklima, Kolostrummanagement, Tierverkehr müssen evaluiert und optimiert werden. Erst<br />

wenn diese Einflüsse kontrolliert werden, können von einer medikamentellen Therapie gute<br />

Resultate erwartet werden (s. Block Populationsmedizin).<br />

Die Grundsätze der Antibiose gelten auch für die Behandlung von Pneumonien: früh genug,<br />

lange genug, in genug hoher Dosierung und mit einem geeigneten Wirkstoff.<br />

Die Wahl des geeigneten antimikrobiellen Wirkstoffes stützt sich im Idealfall auf die<br />

Resultate von Erregernachweis und Antibiogramm (z.B. bei Bestandesproblemen). Im<br />

Einzelfall oder am Anfang eines Pneumonieausbruchs muss aber bei den erkrankten Tieren<br />

eine Behandlung ohne diese Information eingeleitet werden. Die Wahl des Wirkstoffes richtet<br />

sich nach erwartetem Erregerspektrum und anamnestischen Angaben (z.B. Therapieerfolg bei<br />

früheren Erkrankungen).<br />

Gegen Pasteurellen, H. somni und A. pyogenes ist im Prinzip Penicillin nach wie vor das<br />

Mittel der ersten Wahl. In der oben erwähnten Studie von Vogel et al. wurden nur bei M.<br />

haemolytica Resistenzen festgestellt (zwar in 43% der Fälle, es wurden aber nur 7 Stämme<br />

untersucht, was dieses Resultat stark relativiert). Aminopenicilline (Ampicillin, Amoxicillin)<br />

und potenzierte Penicilline (mit einem Beta-Laktamase-Hemmer, z.B. Clavulänsäure<br />

kombiniert) können auch eingesetzt werden; ob sie reinem Penicillin überlegen sind, ist<br />

fraglich. Beta-Laktame sind gegen Mykoplasmen nicht wirksam. Weil sie für die Behandlung<br />

von Pneumonien, u.a. in Medizinalfuttermitteln für Massenmedikation, sehr stark eingesetzt<br />

wurden, sind die Resistenzraten gegenüber Tetrazyklinen (bis über 40%) und Sulfonamiden<br />

(mit oder ohne Trimethoprim, bis 100%) sehr hoch. Der grosse Vorteil der Tetrazykline ist ihr<br />

breites Wirkungsspektrum, das auch Mykoplasmen umfasst. A. pyogenes ist von Natur aus auf<br />

25


Sulfonamide und Trimethoprim wenig empfindlich. Die Empfindlichkeit von<br />

Pneumonieerregern gegenüber Aminoglykosiden (Streptomycin, Neomycin, Gentamicin) ist<br />

unbefriedigend, so dass diese Wirkstoffe zur Therapie von Lungenentzündungen nicht zu<br />

empfehlen sind. Makrolide (Tilmicosin, Tylosin) zeigen eine gute Wirksamkeit gegen<br />

Pneumonieerreger, inkl. Mykoplasmen. Cephalosporine (Ceftiofur, Cefquinom), Florfenicol<br />

und Fluroquinolone (Enrofloxacin und Danofloxacin) zeigen eine sehr gute Wirksamkeit<br />

gegen Pneumonieerreger und sollten genau deswegen nicht als Mittel der ersten Wahl<br />

eingesetzt werden, sondern als Reserve-Antibiotika für besondere Fälle behalten werden. Ein<br />

undiskriminierter Einsatz solcher Wirkstoffe für unkomplizierte Fälle würde zu einer<br />

Erhöhung des Selektionsdrucks und zu einer Steigerung der Resistenzraten führen!<br />

Empfohlene Dosierungen für ausgewählte Wirkstoffe:<br />

- Procain-Penicillin: 20’-30'000 IU/kg, im oder sc, SID<br />

- Ampicillin: 7 mg/kg, im, 1x/Tag, SID<br />

- Amoxicillin: 7 mg/kg, im oder sc, SID<br />

- Oxytetrazyklin: 10 mg/kg, im oder iv, SID (Depot-Präparate: 20 mg/kg, tief im, 1x)<br />

- Tilmicosin: 10 mg/kg, sc, 1x<br />

- Tylosin: 10 mg/kg, im, SID<br />

- Ceftiofur: 1 mg/kg, im, SID<br />

- Cefquinom: 1 mg/kg, im oder sc, SID<br />

- Florfenicol: 20 mg/kg, sc, q 48h (2x)<br />

- Enrofloxacin: 2.5 mg/kg, sc oder iv, SID<br />

- Danofloxacin: 1.25 mg/kg, sc, im oder iv, SID (oder 6 mg/kg, sc, q 48h, 2x)<br />

Eine frühzeitige Behandlung ist sehr wichtig: wenn schwere Gewebeschäden (Nekrosen,<br />

fibrinöse Ausschwitzungen) schon entstanden sind, erreichen Antibiotika den gewünschten<br />

Wirkungsort unter Umständen nicht mehr in genügend hohen Konzentrationen.<br />

Die Antibiotika-Therapie soll mindestens 2 Tage über das Verschwinden von Fieber und<br />

Dyspnoe hinaus weitergeführt werden. Minimaldauer der Behandlung in allen Fällen 3 Tage.<br />

Neben der Antibiose müssen die Entzündung und die dadurch entstehenden<br />

Gewebeschädigungen mit Entzündungshemmern bekämpft werden, wieder mit Vorteil im<br />

Frühstadium der Erkrankung. Nicht-steroidale Entzündungshemmer (z.B. Flunixin Meglumin,<br />

2.2 mg/kg, iv oder im, SID, nicht länger als 2-3 Tage) scheinen bei Pneumonien den<br />

Kortikosteroiden überlegen zu sein.<br />

Unterstützungstherapie mit Infusionen, (Broncho-)Spasmolytica (Clenbuterol), Mineralstoffoder<br />

Vitaminsupplementierung muss von Fall zu Fall nach Bedarf eingesetzt werden.<br />

26


Medikamentelle Behandlungen ohne entsprechende Verbesserung von Haltungsbedingungen<br />

und Management werden nicht zu einem befriedigenden Therapieerfolg führen.<br />

Komplikationen<br />

Lungenemphysem ist ein irreversibler Lungenschaden, welcher durch die Zerstörung der<br />

interalveolären Septen entsteht. Emphysem ist ein typisches Merkmal der BRSV-Pneumonie,<br />

kann aber auch bei schweren Pneumonien anderer Ursache, bei massiv verstärkter Atmung<br />

(stark erhöhter Widerstand zum Luftstrom durch Sekret und Bronchospasmus, quasi „Platzen“<br />

der Alveolen infolge übermässigen Atembewegungen) zustande kommen. Bullae sind noch<br />

grössere Luftansammlungen, welche durch weitere Zerstörung von Septen entstehen. Sie<br />

können mehrere Zentimeter gross werden. Wenn die Wand von gerade unter der Pleura<br />

lokalisierten Emphysemblasen oder Bullae reisst, entsteht ein Pneumothorax und/oder ein<br />

Pneumomediastinum.<br />

In letzter Zeit wurden mehrere Berichte veröffentlicht, wo M. bovis bei Otitis media in<br />

Kälberbeständen mit bestehenden Pneumonieproblemen nachgewiesen wurde. Ein Aufsteigen<br />

der Mykoplasmen vom Rachenraum in das Mittelohr über die Tuba Eustachii wird vermutet.<br />

Prognose<br />

Je nach Erreger, Allgemeinzustand des Tieres (u.a. Abwehrlage, kolostrale Immunität),<br />

Stadium und Verlauf der Krankheit, Ansprechen auf die Therapie und Haltungsbedingungen.<br />

In unkomplizierten Fällen und bei frühzeitiger, aggressiver Therapie im Prinzip gut. Bei<br />

später Behandlung, fehlendem Ansprechen auf die gewählte Therapie, schwerem Verlauf<br />

zweifelhaft bis ungünstig. Auch wenn der Ausgang nicht tödlich ist, können bei schwer<br />

erkrankten Tieren irreversible Lungenschäden entstehen, welche zu Kümmern führen.<br />

Prophylaxe<br />

Optimierung der Kolostralversorgung, der Haltung, des Stallklimas, des Tierverkehrs, usw. (s.<br />

Populationsmedizin).<br />

Die metaphylaktische Applikation von Antibiotika beim Einstallen in die Mast wird nach wie<br />

vor häufig praktiziert. Die Überlegung dahinter ist, dass dadurch die Proliferation von<br />

Pneumonieerregern (z.B. Pasteurellen), welche bei Stresszuständen im Pharynx stattfindet,<br />

gehemmt wird (bevor diese Keime in die Lunge aspiriert werden und dort Pneumonie<br />

verursachen). Hauptprobleme bei Massenmedikation sind Unterdosierung (v.a. beim Einsatz<br />

von Medizinalfutter zu gestressten Tieren in einem neuen, unbekannten Stall, was zur<br />

ungenügende Aufnahme des Wirkstoffes und Unterdosierung führt) und die Entwicklung von<br />

Resistenzen (wegen breiter Anwendung, d.h. hohem Selektionsdruck, und Unterdosierung).<br />

Eine Alternative zur Verabreichung von Medizinalfutter ist die Behandlung aller Tiere mit<br />

27


einem Depot-Präparat beim Einstallen, was mindestens die Applikation einer genügenden<br />

Dosis sicherstellen soll.<br />

Ein inaktivierter kombinierter Impfstoff gegen M. haemolytica, PI-3 und BRSV (Bovilis<br />

Bovigrip ) zur Anwendung bei Kälbern ab 4 Wochen (bei starkem Infektionsdruck ab 2<br />

Wochen), sowie ein Lebend-Impstoff gegen BRSV (Rispoval RS ) für Kälber ab 4 Monate<br />

(evt. früher, jedoch Risiko von Interaktion mit maternalen Antikörpern) sind im Moment in<br />

der Schweiz erhältlich. Die Wirksamkeit dieser Impfstoffe, bes. gegen M. haemolytica, ist<br />

umstritten. Um einen maximalen Effekt zu erreichen, sollte die Impfung bei Tieren, die in die<br />

Mast verkauft werden, mindestens 2 Wochen vor dem Stallwechsel abgeschlossen sein<br />

(Grundimpfung und Booster). Von einer Impfung beim Einstallen in die Mast, wenn die Tiere<br />

am meisten gestresst sind, wird abgeraten.<br />

Aspirationspneumonie<br />

Definition<br />

Durch reizende Substanzen, welche in die Lunge fliessen und/oder aspiriert werden,<br />

verursachte Pneumonie.<br />

Bezeichnungen des klinischen Erscheinungsbildes<br />

Verschluckspneumonie, Lungengangrän, Fremdkörperpneumonie.<br />

Pathogenese<br />

Die häufigste Ursache von Aspirationspneumonie ist das „Verschlucken“ beim Einschütten<br />

von Medikamenten, wie z.B. Ca-Salze als Festliegen-Prophylaxe. Schluckstörungen<br />

(Bulbärparalyse, Larynx-/Pharynxerkrankungen) können auch zum Abfliessen von Wasser,<br />

Speichel oder Futter durch die Trachea in die Lunge führen. Die Kombination von Sedation<br />

oder Narkose mit Regurgitation bringt auch ein Risiko von Aspirationspneumonie mit sich,<br />

wenn die Tiere nicht (mehr) intubiert sind.<br />

Durch chemische Reizung und Kontamination mit bakteriellen Erregern kommt es zu starken<br />

Entzündungen und Gewebenekrosen, welche der Schwerkraft nach in den vorderen ventralen<br />

Lungenbezirken lokalisiert sind.<br />

Klinisches Bild<br />

Die Symptome sind ähnlich wie bei bakteriellen Bronchopneumonien: Fieber, starke<br />

Dyspnoe, Nasen- und Augenausfluss, Husten, verstärkte auskultatorische Lungengeräusche,<br />

häufig mit pathologischen Nebengeräuschen (Rasseln, Giemen). Wenn eine starke<br />

Gewebezerstörung (Lungennekrose) stattgefunden hat, fällt der faul-stinkende Geruch der<br />

28


Ausatmungsluft auf. Solche Tiere zeigen meistens ein stark reduziertes Allgemeinbefinden<br />

und sind inappetent bis anorektisch.<br />

Laborbefunde<br />

Anzeichen von Entzündung und Toxämie im Leukogramm.<br />

Diagnosestellung<br />

- Anamnese (andere Primärkrankheit → Einschütten → erst dann respiratorische Symptome).<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Endoskopie: Schaum und evt. Fremdmaterial in der Trachea.<br />

- Lungen-Röntgen: Veränderungen v.a. in den kranioventralen Bereichen der Lunge.<br />

Differentialdiagnosen<br />

Andere Pneumonieformen, Erkrankungen der oberen Atemwege.<br />

Therapie und Prognose<br />

In fortgeschrittenen Fällen aussichtslos. Die Verabreichung von massiven Antibiotika-Dosen<br />

und von Entzündungshemmern kann versucht werden. Wenn das Tier auf eine aggressive<br />

Behandlung nicht anspricht, soll eine Euthanasie in Betracht gezogen werden. Bei<br />

ausgedehnter Nekrose entsteht eine Toxämie, welche, in Kombination mit der<br />

Beeinträchtigung der Atmung, zum Tod führt. Prognose quo ad usum (Leistung) in allen<br />

Fällen zweifelhaft.<br />

Prophylaxe<br />

Eingeben von peroralen Medikamenten nur bei stehenden Tieren mit normalem Bewusstsein<br />

und Schluckvermögen. Vorsicht bei Sedation und Anästhesie (Kopf und Hals so lagern, dass<br />

auch bei nicht intubierten Tieren Regurgitation nicht zu Aspiration von Pansensaft in die<br />

Lunge führt).<br />

Post-kavales Syndrom<br />

Definition<br />

Multifokale Abszedierung in den Lungen nach hämatogener Verbreitung von septischen<br />

Emboli aus einem Thrombus in der Vena cava.<br />

Bezeichnungen des klinischen Erscheinungsbildes<br />

Metastatische Pneumonie, embolische Pneumonie, Vena cava Thrombose.<br />

Aetiologie und Pathogenese<br />

Aus verschiedenen Infektionsherden (Leberabszesse nach Rumenitis, Fremdkörperperitonitis,<br />

Mastitis, Metritis, Panaritium, Thrombose der Jugularvene) können septische Emboli zu einer<br />

Thrombusbildung in der Vena cava führen. Die häufigste Primärursache ist Rumenitis nach<br />

29


chronischer Pansenazidose: durch Schädigung der Pansenwand werden Bakterien aus dem<br />

Pansen in die Zirkulation aufgenommen und in die Leber weitertransportiert. Es kommt zur<br />

Bildung von disseminierten Leberabszessen, welche in die Vena cava durchbrechen können.<br />

Dort entsteht ein infizierter Thrombus, aus welchem wiederum infizierte Fragmente in die<br />

Zirkulation abgegeben werden. Nach Passage durch das rechte Herz gelangen diese Emboli in<br />

die Lunge und bleiben in den kleinen Arterien stecken. Daraus entstehen von den Arteriolen<br />

ausgehende disseminierte Lungenabszesse. Die häufigsten beteiligten Erreger sind A.<br />

pyogenes, F. necrophorum, Staphylokokken, Streptokokken und E. coli. Beim Durchbrechen<br />

eines Infektionsherds (Abszess- und Aneurysmabildung in der Arteriolenwand) in ein<br />

Bronchus kommt es zu Blutungen in die Luftwege, was klinisch durch Hämoptysis und<br />

Epistaxis manifestiert wird.<br />

Klinisches Bild<br />

Allgemeine Symptome je nach Primärursache. Chronische Krankheit mit Inappetenz,<br />

Abmagerung, Leistungsrückgang, wechselhaftem Fieber, chronischem Husten, Dyspnoe und<br />

Anzeichen von Schmerzen im Thorax, evt. auch im Abdomen. Lungengeräusche sind<br />

verstärkt, häufig mit Rasseln und Giemen. Bei wiederholten Blutungen in der Lunge kommt<br />

es zu Anämie und Melena (wenn das ausgehustete Blut abgeschluckt wird). Ausgedehnte<br />

Lungenläsionen können zu pulmonaler Hypertension und Cor pulmonale führen. Wird ein<br />

grösseres Gefäss in der Lunge arrodiert (Ruptur eines Aneurysmas), kommt es zu einer<br />

starken intrapulmonalen Hämorrhagie: solche Tiere verenden innerhalb kurzer Zeit mit<br />

Symptomen von unstillbarem, beidseitigem Nasenbluten.<br />

Laborbefunde<br />

Anzeichen von chronischem Blutverlust (mikrozytäre, hypochrome Anämie) und chronischer<br />

Entzündung (Leukozytose, Neutrophilie mit oder ohne Linksverschiebung, Monozytose;<br />

Hyper-γ-Globulinämie). Bei schwerer Schädigung der Leber können auch Leberwerte<br />

(Bilirubin, Enzyme) erhöht sein.<br />

Diagnosestellung<br />

- Anamnese, inkl. Primärkrankheit.<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Blutveränderungen infolge Herdinfekt und evt. Blutverlust.<br />

- Lungenröntgen (disseminierte Abszesse, evt. Hämatome).<br />

Differentialdiagnosen<br />

Andere bakterielle Pneumonien, Lungenwurmpneumonie, akutes Lungenoedem/-emphysem,<br />

anaphylaktischer Schock, Herdinfekt anderer Ursache.<br />

30


Therapie<br />

Meistens aussichtslos. Falls eine Therapie eingeleitet wird, ist Penicillin das Antibiotikum der<br />

Wahl (20'-40'000 IU/kg, während mehreren Wochen). Unterstützungstherapie mit<br />

Entzündungshemmern.<br />

Prognose<br />

Schlecht bis infaust.<br />

Prophylaxe<br />

Vorbeugung und frühzeitige Therapie der Primärkrankheit(en).<br />

Tuberkulose<br />

Definition, Aetiologie und Pathogenese<br />

Tuberkulose ist eine chronische, generalisierte Infektion von Mensch und Tier (= eine<br />

Zoonose) mit Mykobakterien. Als Tierseuche gelten Infektionen mit Mycobaterium<br />

tuberculosis und Mycobacterium bovis.<br />

Bei M. tuberculosis ist der Mensch Hauptwirt, bei M. bovis das Rind. Schafe und Ziegen sind<br />

für M. bovis auch hochempfänglich. Infektionen mit diesen Mykobakterien führen zur<br />

Bildung von Granulomen in den Lymphknoten und in den Geweben. Die Ausscheidung von<br />

M. bovis erfolgt v.a. über die Milch oder bei offener Lungentuberkulose mit<br />

Bronchialschleim, kann aber auch je nach Lokalisation der Läsionen über Haut, Harn und<br />

andere Körpersekrete stattfinden. Die Rindertuberkulose wird wegen des zoonotischen<br />

Potentials in der Schweiz bekämpft und gilt als auszurottende Seuche. Von Bedeutung ist v.a.<br />

die Infektion von Rindern mit M. bovis, welche zur Ansteckung von Menschen führen kann.<br />

Die Schweiz gilt als Tuberkulose-frei (s. Vorlesung Seuchenlehre).<br />

Klinisches Bild<br />

Tuberkulose ist eine chronisch-zehrende Krankheit mit unspezifischen Symptomen von<br />

Abmagerung, Leistungsrückgang, Vergrösserung der Lymphknoten und intermittierendem<br />

Fieber. Die Lunge ist die Haupteintrittspforte für M. bovis, bei Kälbern auch der Darm (durch<br />

die Aufnahme von infizierter Milch). Eine Form mit akuter, fieberhafter Pneumonie ist bei<br />

jungen Tieren auch bekannt.<br />

Diagnosestellung<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Intrakutaner Tuberkulintest.<br />

- Ziehl-Neelsen Färbung aus Sekreten oder Organen (Nachweis von säurefesten Stäbchen).<br />

- Erregernachweis mittels Kultur und/oder PCR.<br />

31


Differentialdiagnosen<br />

Rinderleukose, Aktinobazillose, andere chronische Lungenerkrankungen.<br />

Bekämpfung<br />

An Tuberkulose erkrankte Tiere werden ausgemerzt.<br />

Prophylaxe<br />

Impfungen sind bei Tieren verboten, Kontrolle der Krankheit über Tuberkulinreaktion (d.h.<br />

positive Tiere werden als infiziert betrachtet, die Impfung würde dieses Resultat verfälschen).<br />

Lungenwurmpneumonie<br />

Definition und Aetiologie<br />

Infestation mit dem Lungenwurm Dictyocaulus viviparus.<br />

Pathogenese<br />

Adulte Würmer leben in der Trachea und in den Bronchien. Eier werden in den Luftwegen<br />

gelegt, wo die Larven schlüpfen, bevor sie ausgehustet und abgeschluckt werden. Sie werden<br />

im Kot ausgeschieden und nach Weiterentwicklung in der Aussenwelt wieder mit Gras<br />

aufgenommen. Sie migrieren dann vom Darm zurück in die Lunge, wo sie sich zu Adulten<br />

weiterentwickeln. Larven und Adulte in den Luftwegen rufen eine Entzündung hervor,<br />

wodurch kleine Luftwege durch Exsudat (v.a. eosinophile Granulozyten) verstopft werden.<br />

Infektiöse Larven können den Winter auf der Weide überleben und im nächsten Jahr zu neuen<br />

Infektionen führen. Sie können auch mit Mist auf die Weiden ausgetragen werden. Der<br />

Infektionsdruck auf der Weide nimmt im Verlauf der Weidesaison zu, sodass Infestationen,<br />

welche stark genug sind, um klinische Symptome zu verursachen, v.a. im späten Sommer und<br />

im Herbst vorkommen (s. Vorlesung Parasitologie).<br />

Klinisches Bild<br />

Ab 7 Tage nach Aufnahme der Larven (z.B. nach Beginn des Weidegangs bei jungen, naiven<br />

Tieren) werden klinisch Husten und Tachypnoe beobachtet, welche vom 14. bis zum 25. Tag<br />

immer stärker werden (präpatente Phase). In der patenten Phase (25-55 Tage nach<br />

Larvenaufnahme) entwickelt sich eine Pneumonie einerseits infolge Reizung von Trachea und<br />

Bronchien durch adulte Würmer (Tracheitis und Bronchitis), andererseits durch Eier und<br />

Larven, welche noch weiter distal in die kleinen Luftwege aspiriert werden (Pneumonie mit<br />

Konsolidation v.a. in den ventralen Lungenbezirken). Klinische Symptome umfassen Husten,<br />

Polypnoe bis > 70 Atemzüge pro Minute, Dyspnoe, verstärkte Lungengeräusche mit Rasseln<br />

und Giemen, Inappetenz, Leistungsverminderung und Abmagerung. Fieber tritt bei<br />

bakterieller Sekundärinfektion auf. Der Schweregrad der Symptome hängt von der Anzahl<br />

32


aufgenommener Larven und von der Abwehrlage des Tieres ab. Bei schweren Infestationen<br />

kann es zu Maulatmung, exspiratorischem Stöhnen, Zyanose und Tod kommen. Bei<br />

immunkompetenten Tieren erfolgt ab 55 Tagen nach Infestation eine langsame Heilung,<br />

indem die adulten Parasiten aus der Lunge eliminiert werden („self-cure“). Bei schweren<br />

Infestationen kann diese Phase (v.a. Tage 45-60) zu einer Verschlimmerung der Symptome<br />

und zu Todesfällen führen.<br />

Die Lungenwurmpneumonie ist v.a. eine Krankheit von (naiven) Jungtieren in der ersten<br />

Weidesaison, jedoch können auch erwachsene Tiere, welche entweder noch nicht exponiert<br />

wurden oder plötzlich einem hohen Infektionsdruck ausgesetzt werden, schwer erkranken.<br />

Laborbefunde<br />

Eine Eosinophilie kann, muss aber nicht, 2-6 Wochen nach Infestation im Blut festzustellen<br />

sein. Vermehrt Eosinophile können auch in der Lavageflüssigkeit gefunden werden (solange<br />

keine bakterielle Sekundärinfektion vorhanden ist, welche zu einer Neutrophilie führt).<br />

Larven sind manchmal auch in der Lavageflüssigkeit direkt nachweisbar.<br />

Diagnosestellung<br />

- Anamnese (Weidegang von nicht-immunen Tieren).<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Koprologische Untersuchung mit dem Baermann-Trichter Larvenauswanderungesverfahren.<br />

Differentialdiagnosen<br />

Bakterielle, virale oder allergische Pneumonien.<br />

Therapie<br />

Verschiedene Anthelmintika sind gegen Dictyocaulus viviparus wirksam, u.a. Benzimidazole<br />

und Avermectine.<br />

Komplikationen<br />

Konsolidierung von Lungenteilen, Emphysem infolge starker Dyspnoe, Lungenoedem,<br />

(relativ selten) bakterielle Sekundärinfektionen.<br />

Prognose<br />

Wenn der Befall nicht allzu stark ist, gute Prognose. Bei schwerer Schädigung der Lunge<br />

zweifelhaft, Risiko von Kümmern nach Abklingen der akuten Symptomen.<br />

Prophylaxe<br />

- Impfung mit inaktivierten Larven von D. viviparus (Dyctol ) mindestens 6 und 2 Wochen<br />

vor dem Weideaustrieb.<br />

33


- Strategische Behandlung nach Weideaustrieb (z.B. Ivermectin nach 3, 8 und 12 Wochen),<br />

was die Entwicklung einer Immunität erlauben soll, aber die Kontamination der Weiden in<br />

Grenzen hält (keine starke Zunahme des Infektionsdrucks).<br />

Mykotische Pneumonien<br />

Pneumonien infolge Infektion mit verschiedenen Pilzen (u.a. Aspergillus spp., Histoplasma<br />

spp., Candida spp., Coccidioides spp.) wurden beschrieben, sind aber sehr selten. Ihre<br />

Entstehung kann durch Immunschwäche oder langdauernder Antibiose begünstigt werden.<br />

Das Krankheitsbild geht von akuter disseminierter Pneumonie, evt. mit Pleuritis, bis zur<br />

Bildung von Lungengranulomen, welche zu undeutlichen chronischen Symptomen führen.<br />

Akutes Lungenoedem und -emphysem<br />

Definition<br />

Akutes, durch pneumotoxische Tryptophanmetaboliten verursachtes Atemnotsyndrom, v.a.<br />

bei adulten Tieren.<br />

Bezeichnungen des klinischen Erscheinungsbildes<br />

Fog fever.<br />

Aetiologie und Pathogenese<br />

Akute Erkrankung von Tieren, welche auf mageren, trockenen Weiden gehalten wurden und<br />

plötzlich Zugang zu üppigem Gras haben. L-Tryptophan, das im saftigen Gras in grösseren<br />

Mengen vorhanden ist, wird im Pansen durch Mikroorganismen zu 3-Methylindol (3-MI)<br />

umgewandelt. 3-MI wird in die Zirkulation aufgenommen und in die Lunge transportiert. Dort<br />

wird 3-MI in Clarazellen und Typ I Pneumozyten durch die Zytochromoxidase zu toxischen<br />

Metaboliten abgebaut, welche diese Zellen schädigen (Zelldegeneration und –nekrose,<br />

Oedem). Es kommt zur Bildung von hyalinen Membranen und Proliferation von Typ II<br />

Pneumozyten. Emphysem entsteht wahrscheinlich als Folge der starken Dyspnoe. Die<br />

Zusammensetzung der Weide scheint keine Rolle zu spielen, aber ein hoher Gehalt an L-<br />

Tryptophan, d.h. üppiges Gras, ist Voraussetzung für die Entstehung der Krankheit.<br />

Klinisches Bild<br />

Akutes Auftreten innerhalb 2 Wochen nach dem Weidewechsel: starke Dyspnoe mit<br />

ausgeprägter Tachypnoe (bis 80 Atemzüge pro Minute), exspiratorischem Stöhnen,<br />

Maulatmung, schaumigem Nasenausfluss. Die Tiere zeigen einen ängstlichen Blick,<br />

Herzfrequenz und Temperatur sind infolge Dyspnoe und Hypoxie erhöht, die Schleimhäute<br />

können zyanotisch sein. Bei der Lungenauskultation sind die Lungengeräusche gegenüber<br />

34


dem Grad der Dyspnoe auffällig leise (Emphysem!), evt. sind feine Rasselgeräusche zu hören.<br />

Solche Tiere können bei jedem zusätzlichen Stress (Bewegen, Treiben, Behandlung)<br />

zusammenbrechen. Bis 30% von schwer betroffenen Tieren sterben innerhalb von 2 Tagen<br />

nach Auftreten der Symptome. Bei überlebenden Tieren in Erholung und bei denen, welche<br />

weniger stark erkrankt sind, sind Polypnoe, pumpende Atmung, verschärfte Lungengeräusche<br />

mit Rasseln und Giemen v.a. dorsal und evt. subkutanes Emphysem zu beobachten.<br />

Weil ein abrupter Wechsel von mageren zu üppigen Weiden am ehesten bei Milchkühen<br />

vorgenommen wird, handelt es sich vornehmlich um eine Erkrankung von erwachsenen<br />

Tieren. Meistens erkranken mehrere Tiere einer Gruppe (bis 50%).<br />

Zur Unterscheidung gegenüber infektiösen Pneumonien sind folgende Parameter wichtig:<br />

beim akuten Emphysem steht Husten nicht im Vordergrund und die Tiere sehen eher sehr<br />

gestresst als apathisch aus.<br />

Laborbefunde<br />

Keine spezifischen Veränderungen, evt. Stressleukogramm.<br />

Diagnosestellung<br />

- Anamnese (Wechsel auf üppige Weide) .<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Sektion von gestorbenen Tieren (Lungenoedem, -emphysem, Bullae; histologisch hyaline<br />

Membranen, Proliferation von Pneumozyten).<br />

Differentialdiagnosen<br />

Andere akute Pneumonien, Lungenwurmpneumonie.<br />

Therapie<br />

Weil zusätzlicher Stress einen Kollaps von schwer erkrankten Tieren auslösen kann, wird z.T.<br />

empfohlen, die Tiere möglichst nicht zu behandeln, sie nicht einmal von der üppigen Weide<br />

zu entfernen. Dies ist umstritten, andere Autoren empfehlen, die Tiere (möglichst ruhig und<br />

mit wenig Stress) von der Weide zu nehmen und einzustallen. Verschiedene medikamentelle<br />

Therapien (u.a. Antihistaminika, Kortikosteroide, Adrenalin, Atropin, Diuretika) wurden<br />

beschrieben, sie hatten aber keinen Effekt auf den Verlauf der Krankheit. Nur Flunixin<br />

Meglumin schien Symptome und Läsionen etwas zu reduzieren.<br />

Zusammenfassend scheint die Krankheit bei schwer betroffenen Tieren tödlich zu verlaufen,<br />

ohne dass dieser Verlauf therapeutisch signifikant beeinflusst werden kann. In milderen<br />

Fällen erholen sich die Tiere mit oder ohne Therapie. Am wichtigsten ist die gute Pflege und<br />

v.a. ein möglichst stressfreier Umgang mit diesen Tieren.<br />

35


Komplikationen<br />

Überlebende Tiere und/oder solche, welche mehrere Schübe der Krankheit durchmachen,<br />

können chronisches Emphysem, Lungenfibrose und sekundär ein Cor pulmonale entwickeln.<br />

Prognose<br />

Bis 50% der schwer betroffenen Tiere sterben innerhalb von 2 Tagen nach Auftreten der<br />

Symptome; bei milderen Formen bessert sich der Zustand der Tiere innerhalb von 3 Tagen,<br />

die Tiere erholen sich in ca. 10 Tagen.<br />

Prophylaxe<br />

Am besten wird das Risiko durch Einschränkung der Aufnahme von L-Tryptophan-reichem<br />

Gras vermindert, z.B. durch restriktiven Zugang zu üppigen Weiden (zuerst nur 1-2 Stunden<br />

pro Tag, daneben Heu guter Qualität) oder indem die Weide zuerst einmal geschnitten wird<br />

(Heuen), bevor Tiere darauf gelassen werden.<br />

Durch die Verfütterung von Ionophorantibiotika (Monensin, Lasalocid), wird die<br />

Umwandlung von L-Tryptophan zu 3-MI im Pansen reduziert. Der Einsatz von Ionophoren ist<br />

aber in der Schweiz nicht erlaubt (keine registrierten Präparate).<br />

Urner Pneumonie (Farmer’s Lung, allergische Alveolitis)<br />

Definition<br />

Erkrankung der unteren Atemwege infolge Inhalation von Allergenen.<br />

Aetiologie und Pathogenese<br />

Die thermophilen Aktinomyzeten Micropolyspora faeni und Thermoactinomyces vulgaris<br />

bilden in verschimmeltem Heu und Futter kleine Sporen (0.7 bis 1.3 µm im Durchmesser),<br />

welche bis in die unteren Atemwege inhaliert werden können. Sie gelangen bis in die<br />

Alveolen, wo sie humorale und zelluläre Abwehrmechanismen aktivieren. Es entsteht eine<br />

chronische Entzündung mit Bronchiolitis, Infiltration des Interstitiums mit Lymphozyten,<br />

Proliferation von Epithelzellen und später interstitieller Fibrose.<br />

Klinisches Bild<br />

Voraussetzung für die Exposition zum Allergen ist eine geschlossene Haltung, d.h. es<br />

erkranken Tiere, welche im Stall gehalten werden. Die Krankheit tritt vornehmlich bei<br />

Milchkühen während des Winters auf und es sind häufig mehrere Tiere (evt. in verschiedenen<br />

Stadien und mit unterschiedlichem Schweregrad) betroffen.<br />

Im akuten Stadium (kurz nach Exposition zu Allergenen) zeigen die Tiere einen reduzierten<br />

Allgemeinzustand, Inappetenz, Milchrückgang, evt. eine kurze Episode von Fieber, die oft<br />

unbemerkt bleibt. Spezifische Symptome umfassen Husten, exspiratorische Dyspnoe und<br />

36


verstärkte Lungengeräusche mit Rasseln (v.a. kranioventral). Bei weniger starker aber<br />

wiederholter Allergenexposition ist der Krankheitsverlauf schleichend und Symptome werden<br />

z.T. erst bemerkt, wenn die Fibrosierung der Lunge schon weit fortgeschritten ist.<br />

Wiederholte akute Schube sind möglich. Solche Tiere magern ab, haben eine reduzierte<br />

Leistung und zeigen eine angestrengte Atmung mit Tachypnoe, produktivem Husten, und bei<br />

der Lungenauskultation Rasseln und Giemen v.a. in den kranioventralen Lungenbezirken.<br />

Typischerweise sind diese Symptome im Winter ausgeprägt und nehmen im Sommer bei<br />

Weidehaltung ab.<br />

Laborbefunde<br />

Die zytologische Untersuchung von Lavageflüssigkeit aus der Lunge kann ein v.a.<br />

eosinophiles Muster zeigen. Weiter können Antikörper gegen M. faeni nachgewiesen werden,<br />

jedoch sind diese mit Allergenexposition aber nicht zwangsmässig mit Erkrankung<br />

verbunden. Weiter können andere Allergene als M. faeni zu Urner Pneumonie führen, welche<br />

mit serologischen Tests auf M. faeni nicht erfasst werden.<br />

Diagnosestellung<br />

- Anamnese (Allergenexposition, Haltung, Verlauf).<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Lungenröntgen.<br />

Differentialdiagnosen<br />

Infektiöse Pneumonien, Lungenschädigung durch Schadgase.<br />

Therapie<br />

Die Exposition zum Allergen muss reduziert werden, was praktisch nicht immer einfach zu<br />

realisieren ist. Die Lüftung des Stalles muss optimiert werden und schimmliges Heu oder<br />

Futter soll ausserhalb des Stalles vorbereitet und ausgeschüttelt, nach Möglichkeit sogar<br />

draussen gefüttert werden. Vorsicht: auch grobsinnlich normales (nicht sichtbar<br />

verschimmeltes) Heu kann hohe Sporenzahlen enthalten. Im akuten Stadium können<br />

Kortikosteroide zur Reduktion der Symptome beitragen (Vorsicht: Abortgefahr!).<br />

Komplikationen<br />

Bei chronischen Fällen entsteht eine irreversible Lungenfibrose.<br />

Prognose<br />

Im Spätstadium infolge Fibrosierung der Lunge schlecht. Wenn der Entzündungsprozess früh<br />

genug unterbrochen werden kann, im Prinzip gut.<br />

37


Prophylaxe<br />

Vermeidung von Umständen bei der Heulagerung, welche das Wachstum von thermophilen<br />

Aktinomyzeten begünstigen (starke Wärmeentwicklung, wenn die Heuernte mit einem noch<br />

hohen Feuchtigkeitsgehalt (> 30%) eingeführt wird). Die Verarbeitung von Gras zu Silage<br />

anstatt zu Heu kann zu einer Reduktion der Allergenexposition führen.<br />

Anaphylaxie<br />

Definition<br />

Allergische Reaktion vom Typ I = Sofortreaktion (s. Vorlesung Immunologie).<br />

Pathogenese<br />

Nach Sensibilisierung mit einem bestimmten Antigen werden Antikörper gebildet, welche u.a.<br />

auf der Oberfläche von Mastzellen und basophilen Granulozyten gebunden sind. Bei<br />

wiederholter Exposition zum gleichen Antigen kommt es zur Degranulation dieser Zellen und<br />

zur Freisetzung von verschiedenen Entzündungsmediatoren (Histamin, Bradykinin, Serotonin,<br />

Prostaglandinen, usw.), dessen Effekte einerseits auf den Kreislauf, andererseits aber auch auf<br />

das <strong>Respiration</strong>ssystem zu einem Schock führen können. Bei Wiederkäuern ist die Lunge das<br />

wichtigste Zielorgan bei anaphylaktischen Reaktionen: es kommt zu Permeabilitätsstörungen,<br />

welche zu Lungenoedem führen, sowie zu Bronchospasmen und Lungenstauung.<br />

Klinisches Bild<br />

Symptome treten innerhalb 10-20 Minuten nach Kontakt mit dem Allergen (Blut bei<br />

Transfusionen, Medikamente, Bienenstich, usw.), mit starker Dyspnoe, Maulatmung,<br />

Abplatten, nach vorne gestrecketem Hals, inspiratorischen Stenosegeräuschen infolge<br />

Pharynx-/Larynxoedem, schaumigem Nasenausfluss, Augenausfluss und zyanotischen<br />

Schleimhäuten. Bei der Lungenauskultation fallen verstärkte Geräusche mit Rasseln auf.<br />

Dazu sind Anzeichen von Kreislaufschock zu beobachten.<br />

Diagnosestellung<br />

- Anamnese (Allergenexposition).<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Weitere Abklärungen sind aufgrund des raschen Verlaufs nicht angezeigt.<br />

Differentialdiagnosen<br />

Perakute infektiöse Pneumonien.<br />

Therapie<br />

Mittel der Wahl ist Adrenalin (1-5 mg = 1-5 ml einer 1:1000 Lösung/500 kg Kuh, 1-3<br />

mg/Schaf oder Ziege, iv), aufgrund der kurzen Halbwertszeit bei Rückfall zu wiederholen.<br />

38


Zusatztherapie mit Kortikosteroiden (0.2 mg/kg Dexamethasone, im oder iv; Vorsicht:<br />

Abortgefahr!), evt. NSAIDs (Flunixin Meglumin), Infusionen (um den Kreislauf zu<br />

unterstützen, Vorsicht: Lungenoedem!), bei Larynxoedem/-spasmus Tracheotomie.<br />

Schadgase<br />

Definition<br />

Verschiedene Schadgase werden in der Umgebung von Wiederkäuern produziert und können<br />

sich unter ungünstigen Verhältnissen z.B. in (Jauche-)Gruben in toxischen Konzentrationen<br />

anhäufen. Die wichtigsten Schadgase sind Ammoniak, Schwefelwasserstoff (H 2 S) und<br />

Methan, welche aus Kot und Harn von Tieren entstehen oder ausgeatmet werden. Weiter sind<br />

Stickstoffdioxid (NO 2 , in Silos), Kohlenmonoxid (CO, in Auspuffgasen) und bei Bränden<br />

entstehender Rauch von Bedeutung.<br />

Akute Vergiftungen treten meistens im Zusammenhang mit bestimmten Umständen (Rühren<br />

der Jauchegrube, Brand, Ausfall der Lüftung bei schlechtem Stallklima, usw.) auf und führen<br />

zu akuter Erkrankung mit starker Dyspnoe und Todesfällen (meistens mehrere Tiere).<br />

Chronische Exposition zu tieferen, nicht akut toxischen Konzentrationen kann undeutliche<br />

Symptome von leichter Dyspnoe, Inappetenz, Kümmern, vermehrtem Tränenfluss<br />

verursachen. In solchen Fällen ist die Ursache der Störung schwieriger zu identifizieren.<br />

Jauchegasvergiftung<br />

Zu den Jauchegasen zählen Ammoniak, H 2 S, Methan, CO 2 und CO, welche bei der<br />

Zersetzung von Proteinen (insbesondere von schwefelhaltigen Eiweissen) in der Gülle<br />

entstehen. Diese Gase sind entweder reizend für die respiratorischen Epithelien (Ammoniak,<br />

H 2 S) oder sie verhindern einen normalen Gasaustausch (H 2 S, CO 2 und CO). Die giftigste<br />

Komponente ist H 2 S, das schwerer als Luft ist und sich in Kanälen und Gruben ansammelt.<br />

H 2 S ist einerseits reizend für die Schleimhäute, was u.a. Lungenoedem verursacht, weiter<br />

blockiert es die Enzyme der mitochondrialen Atmungskette (Zytochromoxydasen), was zu<br />

einem zellulären Energiedefizit und zum „inneren Ersticken“ führt. Dadurch entsteht eine<br />

Lähmung des Atemzentrums, welche zum Tod führt. Konzentrationen ab 20 ppm sind<br />

toxisch, ab 500 ppm tritt Bewusstseinverlust und Tod in wenigen Minuten ein.<br />

Symptome von akuter Vergiftung umfassen Speicheln, Reizung der Schleimhäute (Augen,<br />

Nase, Maul), Dyspnoe, Husten, Zyanose, Zittern und Krämpfe. Bei der Sektion stehen der<br />

Geruch des Kadavers nach faulen Eiern, das dunkle Blut, die entzündeten Schleimhäute und<br />

Lungenoedem im Vordergrund.<br />

39


Eine gezielte Therapie gibt es nicht, der Stall soll gelüftet werden oder die Tiere sollen an die<br />

frische Luft gebracht werden (Vorsicht: helfende Personen sind auch gefährdet!).<br />

Silogasvergiftung<br />

In Silos wird durch anaerobe Gärung von Pflanzenmaterial (v.a. in den ersten 48 Stunden<br />

nach Silierung, aber während bis 3 Wochen) Stickstoffdioxid (NO 2 ) gebildet. Einatmen von<br />

NO 2 führt beim Menschen zu akutem Lungenoedem und –stauung, und dann zu Bronchiolitis<br />

und interstitieller Lungenfibrose. Es wurden auch beim Rind Fälle mit Symptomen von<br />

Dyspnoe, Husten, Maulatmung, Stöhnen, Fieber, Tränenfluss, Reizung der Schleimhäute,<br />

verstärkten Lungengeräuschen mit pathologischen Nebengeräuschen beschrieben. NO 2 wird<br />

im <strong>Respiration</strong>strakt in Wasser gelöst, dadurch entsteht einerseits Salpetersäure (HNO 3 ),<br />

welche eine reizende Wirkung auf die Schleimhäute ausübt, andererseits Nitrit, das zu<br />

Methämoglobinämie und vermindertem O 2 -Transport führt. Betroffene Tiere sollen an die<br />

frische Luft gebracht werden. Obwohl ihre Wirksamkeit nicht dokumentiert ist, werden<br />

Behandlungen mit Kortikosteroiden und Diuretika empfohlen.<br />

Rauchvergiftung<br />

Nach einem Stallbrand werden gewisse Vergiftungserscheinungen, neben akuten Schäden<br />

durch Hitze und Rauch, wie Verbrennungen der Haut, Reizung der Schleimhäute<br />

(Konjunktivitis, Rhinitis), Laryngo- und Bronchospasmus, CO-Vergiftung (mit Bildung von<br />

Carboxyhämoglobin und somit vermindertem O 2 -Transport) erst Stunden bis 1-2 Tage nach<br />

einem Stallbrand klinisch manifest. Solche Schäden entstehen durch die Bildung von<br />

verschiedenen Schadstoffen (Säuren, Alkaloiden) aus inhalierten Partikeln und Gasen<br />

(Aldehyde, Benzen aus Plastik, usw.). Die gebildeten toxischen Metaboliten greifen das<br />

Lungengewebe an und führen zur Zerstörung von Alveolen, Lungenoedem, Hypoxie und<br />

sekundärer Bronchopneumonie.<br />

Eine Behandlung kann mit Sauerstoff, Entzündungshemmern (Kortikosteroide umstritten),<br />

Infusionen nach Bedarf (Achtung: Lungenoedem!) und Antibiotika zur Vorbeuge von<br />

bakteriellen Sekundärinfektionen versucht werden. Wenn Laryngospamus im Vordergrund<br />

steht, ist eine Tracheotomie indiziert.<br />

40


Lungenerkrankungen bei den kleinen Wiederkäuern<br />

Bronchopneumonie der kleinen Wiederkäuer<br />

Definition<br />

Akute oder chronische Lungenentzündung, deren Problematik ähnlich wie beim Kalb ist:<br />

multifaktorielle Krankheit, bei welcher Haltungs- und Umweltfaktoren (Stress, Klima, usw.)<br />

eine wichtige Rolle als Wegbereiter für virale und bakterielle Infektionserreger spielen.<br />

Aetiologie und Pathogenese<br />

Wie beim Rind erkranken bei den kleinen Wiederkäuern auch am häufigsten junge Tiere an<br />

Pneumonie. Bei der Entstehung der Lungenentzündungen spielen auch hier Einflüsse wie<br />

Stallklima, Haltung, Kolostrumversorgung, Stress, usw. eine sehr wichtige Rolle. Beteiligte<br />

infektiöse Erreger sind Viren (PI-3, Adenoviren und respiratorische Synzitialviren), sowie<br />

Bakterien (M. haemolytica, P. multocida, P. trehalosi, C. pseudotuberculosis, A. pyogenes)<br />

und Mykoplasmen (M. hyopneumoniae, M. capricolum und M. agalactiae).<br />

Pasteurellen führen, wie beim Rind, zu fibrinösen Bronchopneumonien v.a. in den<br />

kranioventralen Lungenbereichen, welche mit hohem Fieber, Inappetenz, Dyspnoe,<br />

Nasenausfluss, feuchtem Husten, verstärkten Lungengeräuschen und Rasseln einhergehen.<br />

Bei Jungtieren können Pasteurellen auch Septikämien verursachen.<br />

C. pseudotuberculosis ist der Erreger der Pseudotuberkulose, einer abszesdierenden<br />

Lymphadenitis (Entzündung der Lymphknoten), welche sowohl zu Abszessen der<br />

Mediastinallymphknoten wie auch zu Abszessen im Lungenparenchym führen kann.<br />

Pseudotuberkulose ist eine Zoonose und eine zu überwachende Seuche (s. Seuchenlehre).<br />

Mykoplasmen können spezifische und „unspezifische“ Krankheitsbilder hervorrufen. Unter<br />

den atypischen (unspezifischen) Mykoplasmen-(Pleuro-)Pneumonien steht bei Infektionen mit<br />

M. ovipneumoniae eine subakute fibrinöse Pleuritis im Vordergrund, bei M. capricolum eine<br />

septische Form mit Symptomen von akuter Pneumonie und von Polyarthritis bei Zicklein. In<br />

Beständen mit M. agalactiae Infektionen erkranken Muttertiere an Mastitis und Jungtiere an<br />

Pneumonie. Die Symptome von Pneumonie sind ähnlich wie beim Rind, aber auf<br />

Bestandesebene häufig mit Polyarthritis, Mastitis, Keratitis und/oder Konjunktivitis<br />

kombiniert. Sekundärinfektionen mit Pasteurellen sind häufig und erschweren die<br />

aetiologische Diagnose. Als Erreger der spezifischen Mycoplasmen-Pleuropneumonien bei<br />

Ziegen gelten M. mycoides subsp. capri und M. mycoides subsp. mycoides LC (large colony<br />

type). Sie verursachen eine akute, fieberhafte Erkrankung, welche bei Jungtieren häufig einen<br />

septikämischen Verlauf (u.a. mit Polyarthritis) einnimmt und bei Adulten als Mastitis<br />

41


manifest wird. Die durch M. capricolum subsp. capripneumoniae (früher als M. mycoides<br />

subsp. capri oder F38 Biotyp Mycoplasma bezeichnet, s. Vorlesung Bakteriologie)<br />

kontagiöse caprine Pleuropneumonie (Lungenseuche der Schafe und Ziegen) wurde bisher<br />

nur bei Ziegen beschrieben. Diese zu überwachende Seuche kommt in der Schweiz nicht vor.<br />

Klinisches Bild<br />

Ähnlich wie beim Rind, s. dort.<br />

Laborbefunde<br />

Ähnlich wie beim Rind, s. dort.<br />

Diagnosestellung<br />

- Ähnlich wie beim Rind, s. dort.<br />

- Pseudotuberkulose: meistens weitere Lymphknotenabszesse, v.a. am Kopf.<br />

Differentialdiagnosen<br />

(Pleuro-)Pneumonien und Lungenerkrankungen anderer Ursache.<br />

Therapie<br />

Ähnlich wie beim Rind, Antibiotika je nach beteiligten Erregern. Kleine Wiederkäuer<br />

erkranken meistens sehr heftig, sodass eine frühzeitige, aggressive Therapie besonders<br />

wichtig ist. Bei Pseudotuberkulose ist eine Behandlung selten erfolgsversprechend.<br />

Komplikationen<br />

Sepsis (mit Polyarthritis, usw.) bei Jungtieren.<br />

Prognose<br />

Je nach Primärerreger und Ansprechen auf Therapie. Oft rascher, heftiger Verlauf, deswegen<br />

eher vorsichtige Prognose.<br />

Prophylaxe<br />

Ähnlich wie beim Rind, Haltungs- und Hygienemassnahmen spielen eine grosse Rolle. Gegen<br />

Pasteurellen-Infektionen beim Schaf ist ein Impfstoff auf dem Markt in der Schweiz (Ovilis<br />

Heptavac : Impfstoff gegen Clostridien + M. haemolytica + P. trehalosi).<br />

Bei der Pseudotuberkulose Ausmerzen oder, wenn dies nicht möglich ist, mindestens<br />

Absondern von Tieren mit Abszessen, um die Kontamination von weiteren Tieren zu<br />

vermeiden. Desinfektionsmassnahmen und Hygiene im Bestand.<br />

Chronische virale Pneumonien der kleinen Wiederkäuer<br />

Während virale Erreger beim Rind ausschliesslich zu akuten Lungenerkrankungen führen,<br />

verursachen 3 verwandte Lentiviren (Retroviren) chronische Lungenerkrankungen bei den<br />

kleinen Wiederkäuern: Maedi-Visna (MV) und Lungenadenomatose bei Schafen und die<br />

42


caprine Arthritis-Enzephalitis (CAE) bei Ziegen. Obwohl diese Viren vornehmlich Schafe<br />

(MV, Adenomatose) oder Ziegen (CAE) infizieren, scheint eine Übertragung der Lentiviren<br />

zwischen beiden Spezies möglich zu sein. Diese Infektionen entwickeln sich langsam über<br />

mehrere Jahre, können aber im Endstadium häufig infolge bakterieller Sekundärinfektionen<br />

einen akuten Verlauf nehmen.<br />

Maedi-Visna (MV)<br />

Definition<br />

Durch Infektion mit dem Maedi-Visna-Lentivirus verursachte chronische, lymphozytäre<br />

Pneumonie der Schafe.<br />

Bezeichnungen des klinischen Erscheinungsbildes<br />

Maedi-Visna (isländischer Name), ovine progressive Pneumonia (OPP, Bezeichnung in den<br />

USA), Graaff-Reinet disease, la bouhite, Zwoergerzietke.<br />

Aetiologie und Pathogenese<br />

Die Krankheit wird durch das ovine Lentivirus (OvLV, MVV, OPPV; Familie der<br />

Retroviridae) verursacht. Die Infektion ist lebenslang persistierend. Das Virus infiziert<br />

Monozyten und Makrophagen, es bleibt latent als DNA-Provirus im Zellkern und repliziert<br />

bei der Maturation von Monozyten zu Makrophagen. Das Virus wird einerseits horizontal via<br />

Sekrete des <strong>Respiration</strong>straktes übertragen. Dabei spielen Haltungsbedingungen (Belegdichte,<br />

Stallklima, Hygiene, usw.) und die Prävalenz der Infektion in der Herde eine wichtige Rolle.<br />

Gleichzeitiges Vorkommen von Lungenadenomatose kann die Übertragung von MVV über<br />

Sekrete der Atemwege beschleunigen. Andererseits wird das Virus auch mit infizierten Zellen<br />

in Kolostrum und Milch ausgeschieden, was zur Infektion der Nachkommen von infizierten<br />

Tieren führen kann. Dies ist der wichtigste Infektionsweg für Lämmer. Eine vertikale<br />

Übertragung scheint möglich zu sein, aber selten vorzukommen. Durch Virus-Antigen auf<br />

infizierten Makrophagen werden T-Lymphozyten aktiviert, welche Zytokine produzieren.<br />

Dies führt zur Rekrutierung von weiteren Entzündungszellen, wodurch eine chronisch-aktive<br />

lymphozytäre Entzündung im betroffenen Gewebe entsteht. Je nach Hauptinfektionsort gibt es<br />

mehrere klinische Formen von MV: chronische Pneumonie (Maedi), Encephalitis (Visna),<br />

Arthritis und Mastitis. MV ist eine zu überwachende Seuche (s. Seuchenlehre)<br />

Klinisches Bild<br />

Es erkranken v.a. Tiere älter als 2 Jahre, mit progressiver Atemnot ohne Fieber. Meistens<br />

zeigen diese Tiere keinen Husten, aber eine angestrengte betont abdominale Atmung mit<br />

exspiratoricher Dyspnoe und im Endstadium Maulatmung. Bei der Lungenauskultation sind<br />

weder Rassel- noch Giemegeräusche zu hören. Solche Tiere sind schwach und abgemagert.<br />

43


Laborbefunde<br />

Keine spezifischen Veränderungen des Blutbildes, evt. Entzündungszeichen bei bakteriellen<br />

Sekundärinfektionen.<br />

Diagnosestellung<br />

- Anamnese (chronische Erkrankung, evt. Bestandesproblem).<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Serologie (ELISA, Immunoblot).<br />

- Evt. PCR oder Viruskultur (wird nicht routinemässig gemacht).<br />

- Evt. Thorax-Röntgen (nicht spezifisch).<br />

- Sektion: Lungen 2-3x schwerer als normal, kollabieren nicht; disseminierte graue Herde<br />

infolge lymphohistiozytärer, peribronchiolärer und perivaskulärer Infiltration.<br />

Differentialdiagnosen<br />

Chronische bakterielle Pneumonien (bes. Pasteurellen), Lungenadenomatose, Lungenwurmpneumonie,<br />

Pseudotuberkulose.<br />

Therapie<br />

Keine, lebenslange Infektion.<br />

Komplikationen<br />

Sekundäre bakterielle Infektionen, welche ein akutes Geschehen vortäuschen können.<br />

Prognose<br />

Infaust.<br />

Bei bakterieller Sekundärinfektion können mit einer Antibiotika-Therapie die akuten<br />

Symptome reduziert und somit das Leben des Tieres verlängert werden, jedoch bestehen<br />

keine Heilungsaussichten für MV.<br />

Prophylaxe und Kontrolle<br />

Es sind verschiedene Strategien zur Sanierung von infizierten Beständen beschrieben:<br />

- „Test-and-cull“ Verfahren (Serologie alle 6 Monate mit anschliessender Ausmerzung der<br />

positiven Tieren). Dies verlangt viel Disziplin von den Tierbesitzern, d.h. konsequentes<br />

Ausmerzen aller positiven Tiere, z.B. auch von Tieren mit hohem Zuchtwert.<br />

- Getrennte Aufzucht der Jungtiere: Kolostrumpasteurisation und Aufzucht mit Milchersatz,<br />

somit Aufbau einer separaten, nicht-infizierten Herde ohne Verlust von Zuchtpotential.<br />

- Bisher gibt es keine wirksamen Impfstoffe.<br />

44


Lungenadenomatose<br />

Definition<br />

Durch Infektion mit einem Retrovirus verursachte kontagiöse Tumorerkrankung der Lunge<br />

v.a. bei Schafen. Ziegen können auch erkranken (aber selten).<br />

Bezeichnungen des klinischen Erscheinungsbildes<br />

Lungenadenomatose, Ovine Pulmonary Carcinoma (OPC), Jaagsiekte.<br />

Aetiologie und Pathogenese<br />

Der Erreger der Lungenadenomatose ist ein Typ D/B Retrovirus (Jaagsiekte sheep retrovirus,<br />

JSRV). Das Genom von Schafen und Ziegen enthält eine endogene Gensequenz, welche mit<br />

dem JSRV-DNA-Provirus fast identisch ist. Die Rolle dieser endogenen Sequenz und deren<br />

allfällige Interaktion mit dem DNA-Provirus sind bisher noch unklar (z.B. Derepression eines<br />

Onkogens?). Die Infektion erfolgt über Aerosoltröpfchen vom reichlich produzierten Sekret<br />

aus der Lunge. Die Virusreplikation in Clarazellen und in Typ II Pneumozyten führt zur<br />

tumorösen Entartung dieser Zellen. Durch diese entarteten Zellen wird vermehrt Sekret<br />

(Surfactant) produziert. Weil dieses Sekret viele (potentiell MVV-infizierte) Makrophagen<br />

enthält, kann Lungenadenomatose bei gleichzeitiger MVV-Infektion deren Verbreitung<br />

fördern. Die Erkrankung entwickelt sich langsam über Monate bis Jahre, bis es durch die<br />

Infiltration der Lunge mit entarteten Epithelzellen zu den klinischen Symptomen von<br />

Dyspnoe und Leistungsintoleranz kommt. Sekundärinfektionen, bes. mit Pasteurellen, sind<br />

häufig. Lungenadenomatose ist eine zu überwachende Seuche (s. Vorlesung Seuchenlehre).<br />

Klinisches Bild<br />

Am häufigsten erkranken Tiere im Alter von 2 bis 4 Jahren, aber bei starkem Infektionsdruck<br />

können auch jüngere Tiere klinische Anzeichen zeigen. Symptome von Lungenadenomatose<br />

umfassen progressive Atemnot ohne Fieber, gelegentlichen feuchten Husten, reichlichen<br />

seromukösen Nasenausfluss und bei der Lungenauskultation Rassel- und Giemegeräusche.<br />

Solche Tiere werden schwach, magern ab und sterben innerhalb von Wochen bis Monaten<br />

nach Auftreten von klinischen Symptomen.<br />

Laborbefunde<br />

Keine spezifischen Veränderungen des Blutbildes, evt. Entzündungszeichen bei bakteriellen<br />

Sekundärinfektionen, evt. Hyper-γ-Globulinämie.<br />

Diagnosestellung<br />

Im Moment stehen keine Methoden zu Verfügung (Serologie, Virusnachweis), welche eine<br />

ante mortem Diagnosesicherung erlauben würden. Eine definitive Diagnose kann erst mit<br />

einer Sektion gestellt werden.<br />

45


- Anamnese (chronische Erkrankung).<br />

- Klinische Symptome, inkl. „Schubkarren“-Test (das Tier wird hinten wie ein Schubkarren<br />

aufgehoben, bei Tieren mit Lungenadenomatose fliesst Sekret -bis 200 ml- aus der Nase).<br />

- Evt. Lungenröntgen (nicht spezifisch).<br />

- Sektion: Lungen 2-3x schwerer als normal; Sekretausfluss von Schnittfläche, viel schaumige<br />

Flüssigkeit in der Trachea und in den Bronchien; graue, konsolidierte Lungenbezirke (2<br />

Formen: nodulär und diffus) infolge Infiltration mit entarteten Epithelzellen<br />

(bronchioalveoläres Karzinom). In 10% der Fälle sind Metastasen in den bronchialen oder<br />

mediastinalen Lymphknoten zu finden.<br />

Differentialdiagnosen<br />

Chronische bakterielle Pneumonie (bes. Pasteurellen), MV, Lungenwurmpneumonie,<br />

Pseudotuberkulose.<br />

Therapie<br />

Keine, lebenslange Infektion.<br />

Komplikationen<br />

Sekundäre bakterielle Infektionen, welche ein akutes Geschehen vortäuschen können.<br />

Prognose<br />

Infaust.<br />

Bei bakterieller Sekundärinfektion können mit einer Antibiotika-Therapie die akuten<br />

Symptome reduziert werden und somit das Leben des Tieres verlängert werden, jedoch<br />

bestehen für Lungenadenomatose keine Heilungsaussichten.<br />

Prophylaxe und Kontrolle<br />

Weil eine Verdachtsdiagnose von Lungenadenomatose ante mortem nicht bestätigt werden<br />

kann, ist die Bekämpfung der Krankheit schwierig:<br />

- Rasches Ausmerzen von erkrankten Tieren.<br />

- Bekämpfung von MV bei Mischinfektionen.<br />

Caprine Arthritis-Encephalitis (CAE)<br />

Definition<br />

Durch Infektion mit dem CAE-Lentivirus verursachte chronische, lymphozytäre Pneumonie<br />

der Ziegen.<br />

Aetiologie und Pathogenese<br />

Die Krankheit wird durch ein caprines Lentivirus (CAEV; Familie der Retroviridae)<br />

verursacht. Die Infektion ist lebenslang persistierend. Das CAEV ist wie das MVV zytotrop<br />

und infiziert Monozyten und Makrophagen. Die Übertragung erfolgt v.a. von Muttertieren auf<br />

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ihre Jungen über Kolostrum und Milch sowie perinatal (in utero, bei und kurz nach der<br />

Geburt). Ähnlich wie bei MV findet die Virusreplikation während der Maturation von<br />

Monozyten zu Makrophagen statt. Virus-infizierte Makrophagen aktivieren Lymphozyten,<br />

welche Zytokine und Antikörper produzieren, es kommt zu chronischen lymphoproliferativen<br />

Läsionen in verschiedenen Organen. Bei adulten Tieren steht eine hyperplastische<br />

Polysynovitis im Vordergrund, daneben seltener eine chronische Mastitis. Junge Tiere (2-6<br />

Monate alt) erkranken an Leukoenzephalomyelitis, bei diesen Tieren ist eine milde<br />

interstitielle, meist subklinische Pneumonie ein häufiger Nebenbefund. Die CAE ist eine<br />

auszurottende Seuche (s. Vorlesung Seuchenlehre).<br />

Klinisches Bild<br />

Durch CAEV-bedingte Pneumonie tritt meistens mit anderen CAE-Symptomen (Polyarthritis,<br />

Lähmung) zusammen auf. Die klinischen Symptome sind ähnlich wie diejenigen von MV mit<br />

Dyspnoe und Leistungsintoleranz. Husten, Nasenausfluss oder pathologische Nebengeräusche<br />

bei der Lungenauskultation stehen nicht im Vordergrund.<br />

Laborbefunde<br />

Keine spezifischen Veränderungen des Blutbildes, evt. Entzündungszeichen bei bakteriellen<br />

Sekundärinfektionen.<br />

Diagnosestellung<br />

- Anamnese (chronischer Verlauf, andere Formen der Krankheit -Polyarthritis- im Bestand).<br />

- Klinische Symptome.<br />

- Serologie (ELISA, Immunoblot).<br />

- Evt. PCR oder Viruskultur (wird nicht routinemässig gemacht).<br />

- Evt. Thorax-Röntgen (nicht spezifisch).<br />

- Sektion: Interstitielle Pneumonie mit peribronchiolärerer mononukleärer Infiltration und<br />

Proliferation von Typ II Pneumozyten.<br />

Differentialdiagnosen<br />

Chronische bakterielle Pneumonie, Lungenwurmpneumonie, Pseudotuberkulose.<br />

Therapie<br />

Keine, lebenslange Infektion.<br />

Komplikationen<br />

Sekundäre bakterielle Infektionen, welche ein akutes Geschehen vortäuschen können.<br />

Prognose<br />

Infaust, CAE ist nicht heilbar.<br />

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Prophylaxe und Kontrolle<br />

Die CAE wird in der Schweiz offiziell bekämpft, seropositive Tiere werden ausgemerzt. Die<br />

Ziegenpopulation wird regelmässig serologisch überwacht (s. Vorlesung Seuchenlehre).<br />

Im Prinzip kann CAE ähnlich wie MV mit dem „Test-and-cull“ Verfahren oder durch<br />

mutterlose Aufzucht (kombiniert mit serologischer Überwachung) bekämpft werden.<br />

Die Impfung gegen CAE funktioniert nicht: Gelenksläsionen werden dadurch ausgeprägter.<br />

Lungenwurmpneumonien bei den kleinen Wiederkäuern<br />

Die Problematik der Lungenwürmer ist bei den kleinen Wiederkäuern ähnlich wie beim Rind,<br />

ausser dass bei Ziegen und Schafen neben dem „grossen“ Lungenwurm Dictyocaulus filaria<br />

(mit einem direkten Entwicklungszyklus) noch die kleinen Lungenwürmer Muellerius<br />

capillaris und Protostrongylus rufescens (mit indirektem Zyklus über Schnecken als<br />

Zwischenwirte) vorkommen. Infestationen mit kleinen Lungenwürmern sind meistens<br />

asymptomatisch. Muellerius capillaris wird am häufigsten angetroffen und ist für Ziegen<br />

pathogener als für Schafe. Diese Parasiten leben in den Alveoli und haben eine Präpatenzzeit<br />

von 6 Wochen. Die Behandlung von Muellerius capillaris kann problematisch sein, sei es<br />

infolge Unwirksamkeit der üblichen Medikamente gegen unreife Stadien oder wegen<br />

inhibierten Larven, welche nicht eliminiert und reaktiviert werden. Spezielle<br />

Therapieempfehlungen (z.B. mit Fenbendazol 1.25-5 mg/kg, während 7-14 Tagen oder<br />

während zwei Wochen mit einer Pause von einer Woche dazwischen) wurden publiziert.<br />

Infestation mit Protostrongylus rufescens produziert normalerweise keine oder nur milde<br />

klinische Symptome, die Parasiten leben in den kleinen Bronchiolen. Die Prophylaxe von<br />

Lungenwurmerkrankungen bei den Kleinwiederkäuern geht über strategische Behandlungen.<br />

Um Probleme wegen kleinen Lungenwürmer zu minimieren, sollen Tiere nicht auf feuchten<br />

Weiden gehalten werden (Bekämpfung des Zwischenwirtes). s. Vorlesung Parasitologie.<br />

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Erkrankungen der Pleura und des Zwerchfells<br />

Pleuritis und Pleuraergüsse<br />

Definition<br />

Pleuritis = Entzündung des Brustfells, meistens mit Ansammlung von Flüssigkeit und<br />

Entzündungsprodukten in der Brusthöhle. Pleuraerguss = Ansammlung von Flüssigkeit nichtentzündlicher<br />

Natur (v.a. Transsudat) in Pleuralraum.<br />

Pathogenese<br />

Akute primäre Pleuritis ist selten bei den Wiederkäuern. Pleuritis kommt am häufigsten im<br />

Zusammenhang mit Bronchopneumonie vor. Weitere mögliche Ursachen umfassen<br />

Durchstechen von Fremdkörpern bei traumatischer Reticuloperitonitis, Übergreifen von<br />

Peritonitis anderer Ursache, Durchbruch eines Leberabszesses, perforierende Verletzung,<br />

Verletzung durch frakturierte Rippen, Sepsis, Tumor.<br />

Nicht-septische Pleuritiden und Ergüsse sind selten, können z.B. infolge Tumor bzw.<br />

Herzinsuffizienz oder Hypoproteinämie entstehen.<br />

Klinisches Bild<br />

Klinische Symptome je nach Primärkrankheit.<br />

Anzeichen von Pleuritis selber sind Schmerzen im Thorax (unterdrückte, betont abdominale<br />

Atmung, Stöhnen) und Dyspnoe. Husten, wenn vorhanden, ist unterdrückt und schmerzhaft.<br />

Bei der Lungenauskultation sind, je nach Natur und Menge des Exsudats im Pleuralraum<br />

entweder Reibegeräusche (trockene Pleuritis, Fibrinergüsse) oder eine ventrale Dämpfung<br />

(Flüssigkeitsansammlung) zu hören. Bei der Thoraxperkussion Schmerz und evt. horizontale<br />

Dämpfungslinie ventral.<br />

Laborbefunde<br />

Leukogramm je nach Primärursache.<br />

Untersuchung eines Thoraxpunktats je nach Ursache, meistens eitrig-jauchige Flüssigkeit.<br />

Diagnosestellung<br />

- Anamnese .<br />

- Klinische Symptome, besonders Reibegeräusche oder Dämpfung.<br />

- Ultraschall des Thorax: Flüssigkeit, Fibrinspangen, v.a. ventral.<br />

- Thoraxröntgen: Niveau, oberhalb davon meistens Anzeichen von Pneumonie.<br />

Differentialdiagnosen<br />

Lungenemphysem, Pneumothorax, Abszess in der Brustwand, Zwerchfellhernie (führen alle<br />

zu verminderten Lungengeräuschen bei der Auskultation), Pneumonie, post-kavales Syndrom.<br />

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Therapie<br />

Je nach Primärursache.<br />

Bei septischer Pleuritis Antibiotika in hoher Dosierung, Entzündungshemmer, evt. Drainage<br />

(beim Rind wegen der starken Tendenz zu fibrinösen Entzündungen schwierig).<br />

Prognose<br />

Je nach Primärursache.<br />

Zweifelhaft bis ungünstig (meistens Begleitkrankheit bei schwersten Pneumonien).<br />

Zwerchfellbruch<br />

Bei den Wiederkäuern äusserst selten, am häufigsten nach Schädigung des Zwerchfells durch<br />

Fremdkörper nach Reticuloperitonitis traumatica. Die Entstehung einer Hernie kann durch<br />

Presswehen beim Abkalben begünstigt werden. Angeborene Hernien wurden beschrieben.<br />

Klinisch wird eine Hernia diaphragmatica eher durch Symptome von Verdauungsstörungen<br />

(je nach verlagerten Organen, z.B. Reticulum, Pansenvorhof) als durch respiratorische<br />

Symptome manifestiert. Eine einseitige Dämpfungszone kann evt. bei der Lungenauskultation<br />

identifiziert werden, oder Peristaltikgeräusche sind über den Thorax hörbar (selten). Die<br />

Diagnose wird am besten radiographisch bestätigt.<br />

Ein Zwerchfellbruch kann im Prinzip chirurgisch geschlossen werden, Erfolgschancen sind<br />

von Grösse des Bruchs, Alter des Prozesses, Zustand und Grösse des Tieres abhängig. Tiere<br />

mit einem Zwerchfellbruch werden meistens geschlachtet.<br />

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