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Schizophrenie - Teil 1 - BAG-KJP

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Fort- und<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

Weiterbildung<br />

Praxisorientiertes Lernen für Neurologie und Psychiatrie<br />

Rubrikherausgeber:<br />

M. Schmauû, Augsburg ´ P. Berlit, Essen<br />

<strong>Schizophrenie</strong><br />

<strong>Teil</strong> I<br />

Epidemiologie, ¾tiopathogenese, Symptomatologie<br />

T. Wobrock, F.-G. Pajonk, P. Falkai<br />

Universitäts-Nervenklinik ± Psychiatrie und Psychotherapie ±<br />

Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg/Saar<br />

98<br />

Weiterbildungsziele<br />

In diesemBeitrag sollen folgende Weiterbildungsziele vermittelt werden:<br />

n 1. Begriffsbestimmung<br />

n 2. Epidemiologie<br />

n 3. ¾tiopathogenese<br />

3.1 Genetische Faktoren<br />

3.2 Hirnstrukturelle Befunde<br />

3.3 Hirnfunktionelle Befunde<br />

3.4 Neurophysiologische Befunde<br />

3.5 Neurobiochemische Befunde<br />

3.6 Psychosoziale Faktoren<br />

n 4. Symptomatologie<br />

4.1 Psychopathologie<br />

4.2 Prodromalsymptome<br />

4.3 Neuropsychologie<br />

4.4 Somatische Befunde und Komorbidität<br />

Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98±113 Georg Thieme Verlag Stuttgart ´ New York ´ ISSN 0720-4299 ´ DOI 10.1055/s-2003-812473


Lernziel<br />

Die <strong>Schizophrenie</strong> stellt eine häufige Erkrankung mit einer Lebenszeitprävalenz von ca.<br />

1 % dar, die sich bereits im frühen Erwachsenenalter manifestiert und wesentliche Bereiche<br />

des Erlebens beeinträchtigt. Neben der oft mehr ins Auge fallenden Positivsymptomatik<br />

stellt die Ausprägung der Negativsymptomatik einschlieûlich kognitiver Defizite<br />

den entscheidenden Prädiktor für die weitere Prognose dar. Bei einem <strong>Teil</strong> der Patienten<br />

ca. 20 bis 35%) kommt es zu einer chronischen Verlaufsform mit Ausbildung<br />

eines Residualzustandes, welcher sich in der Beeinträchtigung verschiedener Aspekte<br />

der selbständigen Lebensführung äuûern kann und hohe direkte sowie indirekte<br />

Krankheitskosten verursacht. Trotz der groûen klinischen Relevanz sind die ätiopathogenetischen<br />

Grundlagen dieser Erkrankung bisher nur in Ansätzen verstanden. In diesem<br />

Beitrag sollen die wichtigsten Aspekte zur Epidemiologie, ¾tiopathogenese, Symptomatologie,<br />

Verlauf, Diagnostik und Differenzialdiagnostik der schizophrenen Erkrankung<br />

dargestellt werden.<br />

1. Begriffsbestimmung<br />

Die <strong>Schizophrenie</strong> ist eine komplexe Erkrankung, die wesentliche Bereiche des seelischen<br />

Erlebens beeinträchtigt und durch ein charakteristisches Störungsmuster in den<br />

Bereichen Denken, Wahrnehmung, Ichfunktionen, Affektivität, Antrieb und Psychomotorik<br />

gekennzeichnet ist. Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis können in<br />

wechselnder Ausprägung ebenfalls beeinträchtigt sein, während Bewusstseinslage<br />

und Orientierung in der Regel ungestört sind. Die Krankheitsbezeichnung <strong>Schizophrenie</strong><br />

geht auf E. Bleuler 1911) zurück, der darunter eine Aufspaltung des Denkens, Fühlens<br />

und Wollens sowie des subjektiven Gefühls der Persönlichkeit verstand. Im Gegensatz<br />

zu E. Kraepelin 1896), der die Dementia praecox mit stets ungünstiger Prognose<br />

dem manisch-depressiven Irresein gegenüberstellte, beschrieb Bleuler mit seiner<br />

Konzeption der Gruppe der <strong>Schizophrenie</strong>n bereits die ätiologische und prognostische<br />

Heterogenität der Erkrankung.<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

99<br />

2. Epidemiologie<br />

n Die Lebenszeitprävalenz der <strong>Schizophrenie</strong><br />

beträgt weltweit ca. 1%,<br />

wobei das Haupterkrankungsalter<br />

zwischen 15 und 35 Jahren liegt und<br />

Männer im Durchschnitt 3±4 Jahre<br />

früher erkranken als Frauen.<br />

Die Lebenszeitprävalenz, d. h. das Risiko einer bestimmten Person, im Laufe des Lebens<br />

mindestens einmal an einer schizophrenen Episode zu erkranken, liegt weltweit zwischen<br />

0,5 und 1,6 %. Die Anzahl der Ersterkrankungen im Hauptrisikoalter 15 ± 59 Jahre)<br />

Inzidenzrate) liegt zwischen 0,16 und 0,42 pro 1000 Einwohner und die Erkrankungshäufigkeit<br />

zu einem bestimmten Zeitraum in einer definierten Bevölkerung<br />

schwankt zwischen 1,4 und 4,6 pro 1000 Einwohner Punktprävalenz) [27]. Die Erkrankung<br />

tritt bevorzugt zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr auf. Das Lebenszeitrisiko<br />

zwischen den Geschlechtern ist gleich, Männer erkranken jedoch etwa 3 ±4 Jahre früher<br />

als Frauen, wobei als Ursache psychosoziale, subtypologische und neurohumorale<br />

Faktoren wie eine Schutzwirkung des Östrogens diskutiert werden [20]. Unter Personen<br />

mit niedrigem Bildungsabschluss und niedrigem sozioökonomischen Status sind<br />

schizophrene Psychosen gehäuft zu finden, was darauf zurückgeführt wird, dass es<br />

durch die Krankheit selbst bereits früh teilweise schon im Prodromalstadium) zu einer<br />

Beeinträchtigung der sozialen Entwicklung kommen kann. In Deutschland befinden<br />

sich etwa 97% aller Kranken mit <strong>Schizophrenie</strong> in ambulanter, nur ca. 3 % in stationärer<br />

Behandlung 7). Die <strong>Schizophrenie</strong> zählt zu den zehn am häufigsten zur Behinderung<br />

z.B. gemessen in ¹Disability Adjusted Life Yearsª) führenden Erkrankungen im Alter<br />

von 15 ± 44 Jahren. Die direkten und indirekten Kosten sind denen somatischer Volkskrankheiten<br />

mindestens vergleichbar und werden pro Jahr in Deutschland bei ca.<br />

400 000 erkrankten Patienten auf 4 bis 9 Milliarden Euro geschätzt [31]. Die Hälfte aller<br />

Wobrock T et al. <strong>Schizophrenie</strong> Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98 ±113


psychiatrischen Versorgungsleistungen müssen in vielen Ländern für Patienten mit einer<br />

<strong>Schizophrenie</strong> verwandt werden.<br />

3. ¾tiopathogenese<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

n Die vielschichtige ¾tiopathogenese<br />

der schizophrenen Störung wird derzeit<br />

am besten durch das Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Modell<br />

wiedergegeben, bei dem es durch die<br />

Interaktion von Umwelteinflüssen<br />

und vorbestehender neurobiologischer<br />

Vulnerabilität zum Ausbruch<br />

der Erkrankung kommen kann, wenn<br />

Bewältigungsstrategien nicht ausreichen.<br />

Die <strong>Schizophrenie</strong> ist eine komplexe Erkrankung, deren Ursachen noch weitgehend unbekannt<br />

sind und bei der genetische sowie umweltbedingte Faktoren zusammenwirken.<br />

Das ¹Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Modellª [38] geht von einer permanent,<br />

d. h. auch im interepisodischen Intervall vorhandenen subklinischen ± neuropsychologisch<br />

und psychophysiologisch nachweisbaren ± Vulnerabilität i.S. einer Disposition<br />

für die Manifestation einer <strong>Schizophrenie</strong> aus, deren Ursache in genetischen und/oder<br />

nicht-genetischen Einflüssen gesehen wird. Genetische Faktoren können zu ca. 50 % die<br />

Basisvulnerabilität erklären. Nicht-genetisch vermittelte Faktoren wie Schwangerschaft-<br />

und Geburtskomplikationen erhöhen das Risiko, an einer <strong>Schizophrenie</strong> zu<br />

erkranken, einzeln nur um ca. 1±2%.Weiterebestätigte Umweltrisikofaktoren sind unter<br />

anderem mütterliche prä- und perinatale Virusinfekte, Geburtsort in der Stadt<br />

höheres Risiko als auf dem Land), Geburtszeitpunkt erhöhtes Risiko in den Wintermonaten),<br />

Migration Einwanderung in ein fremdes Land) und Drogenkonsum. In der<br />

Kindheit können weitere Faktoren wie z.B. der frühe Verlust eines Elternteils, körperliche<br />

Misshandlung oder sexueller Missbrauch das Risiko für eine spätere psychische<br />

Störung erhöhen. Endogene und exogene Stressoren biologischer und psychosozialer<br />

Natur führen dann bei reduzierter Verarbeitungskapazität und nicht ausreichenden<br />

Bewältigungsstrategien zu einem passageren Funktionsversagen mit der klinischen<br />

Konsequenz einer akuten psychotischen Symptomatik. Abb.1 stellt dieses Modell schematisch<br />

dar.<br />

100<br />

Abb. 1 Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Modell nach Nuechterlein u. Mitarb. 1994).<br />

Wobrock T et al. <strong>Schizophrenie</strong> Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98 ±113


3.2 Hirnstrukturelle Befunde<br />

Die morphologische Grundlage der Vulnerabilität bei Patienten mit schizophrenen<br />

Psychosen ist vermutlich Folge einer Hirnentwicklungsstörung, die funktionell mit einer<br />

reduzierten Informationsverarbeitungskapazität einhergeht. Neuropathologischanatomisch<br />

sind bislang keine für die Erkrankung pathognomonischen Läsionen beschrieben<br />

worden. Zeichen einer entzündlichen Gehirnerkrankung oder eines klassischen<br />

neurodegenerativen Prozesses wie Zelluntergänge mit begleitender Gliose fehlen.<br />

Vielmehr wurden subtile Veränderungen wie z.B. eine verminderte neuronale<br />

Dichte im Hippocampus, ein höheres Vorkommen aberranter Prä-Alpha-Neurone in<br />

der Regio entorhinalis [14] und andere Veränderungen der Zytoarchitektur gefunden,<br />

die als Zeichen einer Migrationsstörung mit Schwerpunkt in der Ontogenese der zweiten<br />

Schwangerschaftshälfte gewertet werden. Bei reduzierter Kortexdicke und erhöhter<br />

Zelldichte in den unteren Hirnschichten ist neben einer verminderten Dichte dendritischer<br />

Verbindungen am ehesten von einer Reduktion nicht-neuronaler Elemente<br />

wie des Neuropils einschlieûlich der synaptischen Proteine auszugehen. So wurden an<br />

post-mortem Gehirnen <strong>Schizophrenie</strong>kranker in distinkten Hirnregionen verschiedene<br />

Proteine wie u. a. die DNA oder mRNA von Schlüsseleiweiûen der synaptischen Transn<br />

Die schizophrene Erkrankung gehört<br />

zu den genetisch komplexen Erkrankungen,<br />

bei denen mittels Kopplungs-<br />

und Assoziationsuntersuchungen<br />

eine Reihe von Suszeptibilitätsgenen<br />

Kandidatengenen) identifiziert<br />

werden konnten, die einzeln<br />

jeweils nur einen geringen Beitrag zur<br />

Gesamtvulnerabilität liefern. Nichtfamiliäre<br />

Umgebungsfaktoren<br />

spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.<br />

3.1 Genetische Faktoren<br />

Eine genetische Komponente polygener Erbgang) ist durch Familien-, Adoptions- und<br />

Zwillingsstudien belegt. So wurde bei eineiigen im Vergleich zu zweieiigen Zwillingspaaren<br />

ein mehr als doppelt so häufiges gemeinsames Vorkommen einer <strong>Schizophrenie</strong><br />

beobachtet. Das Lebenszeitrisiko für Angehörigen ersten Grades, ebenfalls an einer<br />

schizophrenen Psychose zu erkranken, liegt ca. 10±15fach höher als das der übrigen<br />

Bevölkerung und ist etwa so hoch wie das Erkrankungsrisiko adoptierter so genannter<br />

High-risk-Kinder [19]. Genetisch vermittelte Anlagen zur Entwicklung einer <strong>Schizophrenie</strong><br />

können sich auch in geringerer Ausprägung manifestieren, so dass lediglich<br />

die Kriterien der schizophrenen Spektrumerkrankungen erfüllt werden. Für die familiäre<br />

Häufung der <strong>Schizophrenie</strong> sind mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrere untereinander<br />

interagierende Genkonstellationen verantwortlich, von denen jede nur einen<br />

kleinen <strong>Teil</strong> zum Erkrankungsrisiko beiträgt [36]. Bei so genannten Kopplungsuntersuchungen<br />

überzufällige gemeinsame Vererbung von Allelen eines polymorphen Markergens<br />

Kandidatengenansatz) oder überzufällige gemeinsame Vererbung eines Markergenortes<br />

und eines Krankheitsgenortes innerhalb von Familien systematischer Genomscan)<br />

konnten unter anderem auf den Chromosomenabschnitten 5q, 6p, 8p, 10p,<br />

13q, 18p und 22q Kandidatengenregionen für schizophrene Psychosen nachgewiesen<br />

werden. Die Identifikation erster risikomodulierender Gene z.B. für Neuregulin und<br />

Dysbindin) ist gelungen. Zusätzlich konnten an Post-mortem-Gehirnen <strong>Schizophrenie</strong>kranker<br />

mithilfe der Microarray-Technik Gene mit veränderter Expression gefunden<br />

werden, die mit der Myelinisierung, der Oligodendrozytenfunktion, Neuroplastizität,<br />

der Neurotransmission, der Signaltransduktion, Ionenkanälen und Transporterfunktionen<br />

assoziiert sind und ebenfalls als mögliche Kandidatengene anzusehen sind [21]. In<br />

Assoziationsstudien Vergleich einer Patienten- mit einer Kontrollstichprobe hinsichtlich<br />

eines krankheitsassoziierten genetischen Merkmals) konnten Befunde zu Mutationen<br />

z.B. des Serotonin 5-HT-2 A )-Rezeptorgens nicht sicher repliziert werden. Die Verbindung<br />

von genetischen und klinischen Befunden konnte in einer Assoziation von Störungen<br />

der langsamen Augenfolgebewegung mit genetischen Markern auf dem kurzen<br />

Arm von Chromosom 6 gezeigt werden [4]. Weiterhin wurde eine verminderte<br />

P50-Wellensuppression Ausbleiben der Habituation der neuronalen Antwort auf einen<br />

auditorischen Stimulus) bei Familien mit einer Häufung von <strong>Schizophrenie</strong>kranken<br />

mit einem Polymorphismus am Genort des Alpha-7-Nikotinrezeptors Chromosom<br />

15) gefunden [16]. Eine weitere Assoziation genetischer und klinischer Befunde<br />

zeigte sich in der Beeinträchtigung des Arbeitsgedächtnisses bei Patienten, deren Zwillingen<br />

und Kontrollpersonen, die einen Polymorphismus des COMT Catechyl-O-Methyl-Transferase)-Gens<br />

val 108/158met) aufwiesen [13].<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

101<br />

n Bei der <strong>Schizophrenie</strong> ist davon<br />

auszugehen, dass eine komplexe<br />

Störung der Neuro- und Myeloarchitektonik<br />

einschlieûlich der<br />

synaptischen Umbauvorgänge mit<br />

Betonung der fronto-temporalen<br />

Strukturen vorliegt, die zu einer<br />

fokalen Dysfunktion und einer beeinträchtigten<br />

Konnektivität des<br />

zugrundeliegenden neuronalen<br />

Netzwerkes führt.<br />

Wobrock T et al. <strong>Schizophrenie</strong> Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98 ±113


mission wie Syntaxin, SNAP-25, Complexin I oder VAMP reduziert gefunden. Als Ausdruck<br />

eines möglicherweise stressinduzierten Hyperkortisolismus wurde eine reduzierte<br />

Expression der Glukokortikoid-Rezeptor-mRNA sekundäre Downregulation) in<br />

temporalen Hirnstrukturen und dem Hippokampus bei Schizophrenen gefunden [46]<br />

und mit einem veränderten ¹Pruningª bedarfsgerechter Auf- und Abbau synaptischer<br />

Verbindungen) und damit beeinträchtigter synaptischer Plastizität in Zusammenhang<br />

gebracht.<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

Zur Erfassung der volumetrischen Veränderungen bei schizophrenen Patienten im Vergleich<br />

zu Kontrollpersonen werden derzeit insbesondere computergestützte Bildanalyse-Verfahren<br />

mit verbesserten Segmentierungsalgorhythmen in der strukturellen<br />

Magnetresonanztomographie eingesetzt. In ca. 43 % aller Studien von 1994 bis 2000<br />

konnte eine Abnahme des Gesamtvolumens des Gehirns bei schizophrenen Patienten<br />

gezeigt werden, wobei die graue Substanz im Temporallappen Hippocampus und Gyrus<br />

temporalis superior), danach im Frontallappen am stärksten betroffen war [43]. In<br />

den meisten Studien konnte eine Ventrikelerweiterung mit Schwerpunkt im Bereich<br />

der Temporalhörner und der Seitenventrikel gefunden werden. Weiterhin wurde ein<br />

Verlust zerebraler Asymmetrien wie z.B. des Planum temporale und veränderte Gyrierung<br />

frontal beobachtet [45]. Der Einfluss genetischer Faktoren auf frontotemporale<br />

Hirnregionen wird durch eine Untersuchung gestützt, in der Familienmitglieder aus Familien<br />

mit mehreren Erkrankten multiaffiziert) im Durchschnitt einen weiteren Interhemisphärenspalt<br />

und ein gröûeres rechtes Unterhorn aufwiesen im Vergleich zu Mitgliedern<br />

aus Familien, in denen nur ein Mitglied an <strong>Schizophrenie</strong> erkrankt ist uniaffiziert)<br />

[15].<br />

102<br />

n Hirnfunktionelle Untersuchungen<br />

konnten Störungen bei verschiedenen<br />

kognitiven und affektiven Prozessen<br />

nachweisen, u.a. wurde so<br />

auch das Konzept der Hypofrontalität<br />

und der fronto-temporalen Netzwerkstörung<br />

bei schizophrenen<br />

Erkrankungen formuliert.<br />

3.3 Hirnfunktionelle Befunde<br />

Mithilfe der Magnetresonanzspektroskopie MRS) gelang es, biochemische Veränderungen<br />

durch die Messung der Konzentration verschiedener Metabolite wie z.B.<br />

N-Acetyl-Aspartat NAA), einem Marker der neuronalen Integrität, in unterschiedlichen<br />

Hirnregionen nachzuweisen. Die meisten Untersucher konnten eine Verminderung<br />

des NAA im Frontallappen bereits bei Ersterkrankten sowie im Temporallappen<br />

bei chronisch Kranken finden, wobei durch unterschiedliche Messtechniken und verschiedene<br />

Patientengruppen chronisch Kranke, Erstmanifestationen, mit Neuroleptika<br />

behandelte Patienten vs. neuroleptikanaive Patienten) die Ergebnisse nicht einheitlich<br />

sind [30].<br />

In dem meisten Studien mit der Positronen-Emissions-Tomographie PET) z.B. mit<br />

18 Fluorodeoxyglukose und mit der Single-Photonen-Emissions-Computertomographie<br />

SPECT) konnte ein verminderter präfrontaler kortikaler Metabolismus im Vergleich zu<br />

Kontrollen gezeigt werden, z.T. unabhängig von der Medikation und Krankheitsdauer,<br />

was die Hypothese der ¹Hypofrontalitätª bei schizophrenen Psychosen mitbegründete.<br />

Ein höheres Ausmaû der Hypofrontalität korrelierte dabei auch mit einer ausgeprägteren<br />

Negativsymptomatik [41], so dass diese biochemisch mit einer präfrontal reduzierten<br />

dopaminergen Aktivität in Zusammenhang gebracht werden konnte.<br />

Mittels funktioneller Magnetresonanztomographie fMRT) wurde der regionale zerebrale<br />

Blutfluss rCBF) schizophrener Patienten bei der Bearbeitung von kognitiven Aufgaben,<br />

emotionalen Fragestellungen und affektiven Regulationsprozessen untersucht.<br />

Dabei konnte z.B. eine verminderte kortikale Aktivierung im Temporallappen bei Untersuchung<br />

des Sprachverständnisses, veränderte Muster bei affektiv-emotionalen<br />

Prozessen in der Amygdala und insbesondere eine frontale Minderaktivierung bei<br />

räumlichen und verbalen Arbeitsgedächtnisaufgaben gefunden [40] werden, so dass<br />

auch hier das Konzept einer fronto-temporo-limbischen Netzwerkstörung bestätigt<br />

wurde.<br />

Wobrock T et al. <strong>Schizophrenie</strong> Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98 ±113


3.4 Neurophysiologische Befunde<br />

Bei schizophrenen Patienten wurden Veränderungen bei der Ableitung ereigniskorrelierter<br />

Potenziale gefunden, die auf Defizite in der Informationsverarbeitung hinweisen.<br />

So zeigte sich beispielsweise mit einem auditorischen Paradigma unabhängig von<br />

der Medikation eine Amplitudenreduktion der P300-Komponente sowohl bei ersterkrankten<br />

als auch bei mehrfach erkrankten Patienten mit <strong>Schizophrenie</strong> [8]. Bei einer<br />

Untergruppe der schizophrenen Patienten mit frühem Beginn, hirnstrukturellen Auffälligkeiten,<br />

dominierender Negativsymptomatik und chronischem Verlauf wurde die<br />

Höhe der P300-Welle als dauerhaft reduziert angesehen trait-marker), bei der Subgruppe<br />

ohne hirnmorphologische Veränderungen konnte die P300-Amplitude von der<br />

im Vordergrund stehenden Positiv-Symptomatik moduliert werden state-marker)<br />

[18]. Weiterhin konnte eine verminderte Abschwächung der auditorischen P50-Komponente<br />

auf aufeinanderfolgende akustische Reize gestörte proaktive Hemmung) beobachtet<br />

werden mit der möglichen Konsequenz einer Reizüberflutung bei Schizophrenen.<br />

Dieses Defizit war auch bei nahezu der Hälfte der Verwandten ersten Grades<br />

nachweisbar, was für eine genetische Disposition sprechen könnte.<br />

In Brain-Mapping-Untersuchungen wurde eine frontale Verlangsamung der EEG-Aktivität<br />

sowie Besonderheiten der räumlichen Energieverteilung in den verschiedenen<br />

EEG-Frequenzbändern sowie mithilfe der Magnetenzephalographie MEG) Abweichungen<br />

der funktionalen Hemisphärenorganisation und der neuronalen Konnektivität<br />

beschrieben. Bei schizophrenen Patienten wurde ferner über Störungen des autonomen<br />

Nervensystems wie eine reduzierte Schmerzwahrnehmung, eine verminderte<br />

elektrodermale Aktivität und eine Veränderung der Schlafarchitektur verkürzte REM-<br />

Latenz) berichtet.<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

Dem serotonergen 5-HT-) System wurde ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der<br />

Manifestation schizophrener Störungen zugesprochen, nicht zuletzt, weil die Einnahme<br />

strukturähnlicher psychoaktiver Substanzen wie Lysergsäurediethylamid LSD) regelhaft<br />

psychotische Symptome hervorruft [37]. Serotonerge Neurone aus dem rostralen<br />

Anteil der Raphekerne projizieren zu verschiedenen <strong>Teil</strong>en des Frontallappens. Rezeptorbindungsstudien<br />

ergaben eine Erhöhung der 5-HT 1A -Rezeptoren im präfrontalen<br />

und temporalen Kortex genauso wie eine Erniedrigung der 5-HT 2 -Rezeptoren im präfrontalen<br />

Kortex [34]. Als Konsequenz dieser Befunde wurde postuliert, dass der Wegn<br />

Bei der schizophrenen Erkrankung<br />

besteht eine komplexe Störung des<br />

Neurotransmittergleichgewichtes,<br />

welche neben einer dopaminergen<br />

Überfunktion des mesolimbischen<br />

Systems auch Veränderungen anderer<br />

Systeme wie insbesondere des<br />

Glutamat- und Serotoninstoffwechsels<br />

beinhaltet.<br />

3.5 Neurobiochemische Befunde<br />

Neurobiochemisch wird für die Entstehung schizophrener Psychosen Positivsymptomatik)<br />

vor allem eine Überaktivität des mesolimbischen dopaminergen DA) Systems<br />

verantwortlich gemacht. Diese Hypothese [9] wird durch die Induktion psychotischer<br />

Symptome durch dopaminerge Substanzen, wie z.B. Amphetamin bewirkt eine DA-<br />

Freisetzung), sowie durch die antipsychotische Wirksamkeit der Neuroleptika mittels<br />

DA-Rezeptorblockade gestützt. Mittlerweile wurden fünf verschiedene DA-Rezeptorsubtypen<br />

D 1 -D 5 ) nachgewiesen, die über G-Protein Guanintriphosphat, GTP) postsynaptische<br />

Signaltransduktionsprozesse wie z.B. die Aktivierung so genannter ¹immediate<br />

early genesª bewirken und intrazelluläre Prozesse auslösen. Eine Hypoaktivität<br />

des mesokortikalen dopaminergen Systems wird mit der Ausbildung der Negativsymptomatik<br />

in Verbindung gebracht. Während die extrapyramidalen Nebenwirkungen<br />

der Antipsychotika auf die Blockade der D 2 -Rezeptoren im nigrostriatalen System<br />

zurückzuführen sind, ist eine Blockade im tuberoinfundibulären System für die Hyperprolaktinämie<br />

verantwortlich. Von diesen Systemen bestehen vielfältige Verbindungen<br />

zu anderen Neurotransmittersystemen wie zum glutamatergen, gabaergen, noradrenergen,<br />

serotonergen oder cholinergen System, was z.B. die Wirksamkeit der Anticholinergika<br />

bei extrapyramidal-motorischen Störungen erklärt. Interessanterweise<br />

fällt das Hauptmanifestationsalter bei den Männern mit der Zeit zusammen Spätadoleszenz),<br />

in der frühestens Reifungsdefizite des dopaminergen Systems erkennbar sind.<br />

103<br />

Wobrock T et al. <strong>Schizophrenie</strong> Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98 ±113


fall der serotonergen Hemmung des präfrontalen Kortex auf subkortikale Strukturen zu<br />

einer gesteigerten dopaminergen Funktion führt.<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

Die Glutamathypothese der <strong>Schizophrenie</strong> geht davon aus, dass schizophrene Störungen<br />

durch eine Unterfunktion des glutamatergen kortikostriatalen und kortikomesolimbischen<br />

Systems hervorgerufen werden. Dies stützt sich unter anderem auf die Auslösung<br />

positiver als auch negativer schizophrener Symptome durch den nicht-kompetitiven<br />

Glutamatantagonisten Phenylcyclidin PCP). Während die Befunde zur Expression<br />

der NMDA-Rezeptoren nicht konsistent waren, konnte eine Verminderung der<br />

AMPA- und Kainatrezeptoren in medialen Temporallappenstrukturen glutamaterge<br />

Hypoaktivität) nachgewiesen werden. Diese Ergebnisse wie auch eine glutamaterge<br />

Überaktivität in frontalen Strukturen, wurden mit einem so genannten gestörten ¹Pruningª<br />

im Reifungsprozess der Projektionsfasern in Zusammenhang gebracht. Darüber<br />

hinaus ist ein <strong>Teil</strong> der Kandidatengene in der glutamatergen Transmission involviert<br />

[23].<br />

Auch im Bereich des GABA-Stoffwechsels konnten bei schizophrenen Patienten Veränderungen<br />

wie Migrationsstörungen gabaerger kortikaler und limbischer Neuronenpopulationen<br />

sowie eine Verminderung der GAD 67 mRNA in gabaergen präfrontalen und<br />

hippocampalen Neuronen gefunden werden.<br />

Die Involvierung des Acetylcholin-Systems in neurobiologische Veränderungen zumindest<br />

bei einer Untergruppe schizophrener Patienten verdeutlicht der beobachtete Defekt<br />

des Alpha-7-Nikotinrezeptorgens mit der Konsequenz eines gestörten auditorischsensorischen<br />

Gatings [16].<br />

Konsistente Befunde zu den anderen Neurotransmittern wie z.B. Noradrenalin oder den<br />

Neuropeptiden z. B. Endorphine, Enkephaline, Somatostatin, Cholecystokinin) liegen<br />

derzeit noch) nicht vor.<br />

104<br />

Zum Einfluss gesellschaftlicher Faktoren am besten akzeptiert ist die ¹Drift-Hypotheseª,<br />

nach der es bereits durch kognitive und interaktionale Auffälligkeiten in der Prodromalphase<br />

zu einem sozialen Abstieg kommt und so die höhere Rate von Neuerkrankungen<br />

in sozial desintegrierten Zentren von Groûstädten und bei soziökonomisch<br />

schlechter gestellten Personen erklärt wird. Möglicherweise beschleunigen soziale<br />

Stressoren den Ausbruch der Erkrankung insbesondere bei Personen mit reduzierter<br />

Stressverarbeitungskapazität. Ein erheblicher Anteil der Kinder von an <strong>Schizophrenie</strong><br />

erkrankten Eltern Hochrisikopopulation) weist gestörte Entwicklungsmeilensteine<br />

auf, d. h. eine verzögerte motorische und sprachliche Entwicklung sowie eine abweichende<br />

soziale Interaktion z.B. erhöhte ¾ngstlichkeit gegenüber gleichaltrigen Kinn<br />

Zusammenfassend ist die Rolle belastender<br />

Lebensereignisse im Sinne des<br />

Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-<br />

Modells zu bewerten, so dass diese<br />

bei vorbestehender Vulnerabilität<br />

und reduzierter Bewältigungskapazität<br />

zu psychotischen Krisen führen<br />

können. Wahrscheinlich wird eher der<br />

Verlauf als der Ausbruch der Erkrankung<br />

durch psychosoziale Faktoren<br />

beeinflusst.<br />

3.6Psychosoziale Faktoren<br />

Es besteht heutzutage im Wesentlichen Konsens darüber, die <strong>Schizophrenie</strong> im Kern<br />

als neurobiologische Erkrankung zu betrachten, welche durch Umweltfaktoren beeinflusst<br />

wird. Sowohl das Konzept der schizophrenogenen Mutter als auch die Doublebind-Theorie<br />

gelten als widerlegt. In der Familienforschung hat sich neben den Konzepten<br />

des Affective Style Interaktionsverhalten Angehöriger in familiären Problemen)<br />

und der Communication deviance Vage, mit idiosynkratischen Themen und Sprachanomalien<br />

angefüllte elterliche Kommunikation) vor allem das Konzept der Expressed<br />

Emotions EE) etabliert. In replizierten Untersuchungen konnte nachgewiesen werden,<br />

dass die Rückfallhäufigkeit in Familien mit emotionalem Überengagement, vermehrter<br />

Kritik und Feindseligkeit gegenüber dem Erkrankten High-EE) mehr als doppelt so<br />

hoch ist wie in Familien ohne dieses Verhalten Low-EE) [6]. Es existieren auch Hinweise<br />

auf einen Zusammenhang zwischen Dauer der Erkrankung vor Erstaufnahme und<br />

EE-Status.<br />

Wobrock T et al. <strong>Schizophrenie</strong> Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98 ±113


dern) [28]. Patienten mit einer späteren schizophrenen Psychose wiesen häufiger einen<br />

Abfall der schulischen Leistungen zwischen dem 13. und 16. Lebensjahr auf als eine<br />

Normalpopulation [17]. Bei männlichen Rekruten der israelischen Armee erwiesen<br />

sich Defizite in der sozialen Kompetenz, organisatorischer Fähigkeiten und intellektueller<br />

Funktionen als prädiktive Marker Risikofaktoren), später eine <strong>Schizophrenie</strong> zu<br />

entwickeln [11]. Patienten mit Erstmanifestation wiesen in ihrer unmittelbaren Vorgeschichte<br />

nicht mehr belastende Lebensereignisse life events) auf als gesunde Kontrollpersonen,<br />

wobei es Hinweise gibt, dass im individuellen Krankheitsverlauf das Risiko<br />

erneuter Exazerbationen mit der Anzahl belastender Erlebnisse korreliert.<br />

n Bei schizophrenen Störungen ist eine<br />

Vielzahl psychischer Funktionen beeinträchtigt<br />

wie Konzentration, Aufmerksamkeit,<br />

inhaltliches und formales<br />

Denken, Icherleben, Wahrnehmung,<br />

Intentionalität, Antrieb, Affektivität<br />

und Psychomotorik.<br />

Derzeit spielt vor allem die Unterscheidung<br />

in Positiv- und Negativsymptome<br />

eine entscheidende Rolle,<br />

deren Ausmaû mithilfe verschiedener<br />

Skalen erfasst werden kann<br />

z. B. PANSS, SANS, SAPS).<br />

4. Symptomatologie<br />

4.1 Psychopathologie<br />

Fast alle psychischen Funktionen sind bei einer <strong>Schizophrenie</strong> mitbetroffen. Bewusstsein<br />

und Orientierung sind hingegen in der Regel klinisch nicht beeinträchtigt. Bei voller<br />

Symptomausprägung stehen Störungen 1. der Konzentration und Aufmerksamkeit,<br />

2. des inhaltlichen und formalen Denkens, 3. der Ichfunktionen, 4. der Wahrnehmung,<br />

5. der Intentionalität und des Antriebs sowie 6. der Affektivität und Psychomotorik im<br />

Vordergrund. Störungen der Funktionen 2 ± 4 zählen zur so genannten Positiv-Symptomatik<br />

siehe Tab.1), der Funktionen 5 ± 6 zur so genannten Negativ-Symptomatik siehe<br />

Tab.1), während Funktionsstörungen der Gruppe 1 uneinheitlich zugeordnet werden.<br />

Bei der Störung von Aufmerksamkeit und Konzentration sind verschiedene Bereiche betroffen<br />

wie z.B. die Orientierung auf neue Reize, die selektive Filterung relevanter Informationen,<br />

die Aufrechterhaltung einer Daueraufmerksamkeit und die exekutiven<br />

Funktionen z. B. beim Problemlösen oder der Konzeptbildung siehe Abschnitt neuropsychologische<br />

Defizite). Inhaltliche Denkstörungen im Sinne eines Wahnerlebens treten<br />

bei über 90 % der an <strong>Schizophrenie</strong> Erkrankten im Verlauf der Erkrankung auf. Häufige<br />

Wahninhalte bei Schizophrenen sind Verfolgungs- oder Beeinträchtigungsgedanken,<br />

hypochondrische Befürchtungen oder Gröûenideen in Form besonderer Fähigkeiten,<br />

politischer oder religiöser Berufung. Wahnwahrnehmungen als meist eigenbezogene<br />

paranoide Umdeutung realer Sinneswahrnehmungen werden ebenfalls häufiger<br />

gefunden. Formale Denkstörungen können sich als Gedankenabreiûen plötzliche Unterbrechung<br />

des Gedankenstroms), Danebenreden, Neologismen neue Wortschöpfungen)<br />

oder Denkzerfahrenheit unterschiedlichen Ausmaûes äuûern. Eine Störung der<br />

Ich-Funktionen oder der Meinhaftigkeit des Erlebens kann sich als Gedankeneingebung<br />

fremde Gedanken werden eingegeben), Gedankenentzug andere Menschen entziehen<br />

die Gedanken), Gedankenausbreitung andere Menschen haben <strong>Teil</strong> an den Gedanken)<br />

oder Willensbeeinflussung Antrieb, Strebungen und Handlungen werden als von<br />

anderen gemacht und beeinflusst erlebt) präsentieren. Weniger charakteristisch sind<br />

Derealisation die Umwelt wird als unwirklich und fremdartig erlebt) und Depersonalisation<br />

verändertes Erleben des/der eigenen Person z. B. von Körpereigenschaften).<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

105<br />

Wahrnehmungsstörungen Halluzinationen) treten am häufigsten als akustische Halluzinationen<br />

in der Form des Stimmenhörens auf. Dazu zählen als Erstrangsymptome<br />

Gedankenlautwerden Hören der eigenen Gedanken), dialogische Stimmen in Form<br />

von Rede und Gegenrede, die sich über den Patienten unterhalten) und kommentierende<br />

Stimmen des Verhaltens des Patienten). Zusätzlich können imperative Stimmen<br />

vorliegen, welche dem Patienten Befehle erteilen. Andere akustische, optische oder<br />

szenische, taktile, olfaktorische und gustatorische Halluzinationen sind seltener. Störungen<br />

der Intentionalität und des Antriebs zeigen sich meist als sozialer Rückzug und<br />

Antriebsarmut, einen Mangel an Energie und Initiative, den der Patient häufig selbst<br />

erlebt, aber dennoch nur wenig dagegen ausrichten kann.<br />

Wobrock T et al. <strong>Schizophrenie</strong> Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98 ±113


Psychomotorische Störungen im Sinne katatoner Symptome können sich hyperkinetisch<br />

häufig als Manierismen, seltener als motorische Unruhe oder Erregung, Bewegungsund<br />

Sprachstereotypien, Echopraxie sowie hypokinetisch als Stupor, Negativismus, Katalepsie,<br />

Rigidität und wächserne Biegsamkeit präsentieren. Affektive Störungen sind<br />

gerade auûerhalb der akuten Episoden nicht selten vorhanden. Darunter sind eine innere<br />

Anspannung, erhöhte ¾ngstlichkeit und depressiv getönte Verstimmung am häufigsten.<br />

Weiterhin werden eine Affektarmut, affektive Verflachung, Störung der Vitalgefühle,<br />

Ratlosigkeit, Dysphorie, Affektlabilität und parathymer Affekt Gefühlsausdruck<br />

konträr zu geschildertem Ereignis) beobachtet.<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

Während E. Bleuler 1911) zwischen charakteristischen, dauerhaft vorhandenen<br />

Grundsymptomen wie Assoziationsstörung, Affektstörung, Ambivalenz und Autismus<br />

sowie akzessorischen, zeitweilig auftretenden Symptomen wie Sinnestäuschungen,<br />

Wahnideen, Ichstörungen, katatonen Symptomen und Veränderungen von Sprache<br />

und Schrift unterschied, nahm K. Schneider 1950) eine Aufteilung nach pathognomonischen<br />

Erstrangsymptomen dialogische und kommentierende Stimmen, Gedankenlautwerden,<br />

leibliche Beeinflussungserlebnisse, Gedankeneingebung, -entzug, -ausbreitung,<br />

Gefühle des Gemachten, Wahnwahrnehmungen) und Zweitrangsymptomen<br />

sonstige akustische Halluzinationen, Halluzinationen auf anderen Sinnesgebieten,<br />

Wahneinfälle, Ratlosigkeit, Verstimmungen, erlebte Gefühlsverarmung) vor, welche in<br />

der ICD-10 wieder zu erkennen ist.<br />

106<br />

Unter ätiopathogenetischen und prognostischen Gesichtspunkten wurde von Crow<br />

eine Unterteilung in Typ-I-<strong>Schizophrenie</strong> mit überwiegender Positivsymptomatik, guter<br />

Neuroleptikaresponse, fehlender intellektueller Beeinträchtigung und reversiblem<br />

Verlauf und einem Typ II mit hauptsächlicher Negativsymptomatik, hirnstrukturellen<br />

Veränderungen, eventuell vorhandener intellektueller Beeinträchtigung und schlechter<br />

Prognose vorgenommen [10]. Tab.1 zeigt eine Gegenüberstellung von Positiv- und<br />

Negativsymptomatik. Bei einer dimensionalen Betrachtungsweise wurden faktorenanalytisch<br />

zunächst drei Hauptfaktoren Dimensionen) schizophrener Psychopathologie<br />

beschrieben: 1. Psychotische Dimension gestörter Realitätsbezug mit Wahn und<br />

Halluzinationen), 2. desorganisierte Dimension Denkstörungen, bizarres Verhalten,<br />

inadäquater Affekt, Verarmung des Sprechinhaltes) und 3. negative Dimension psychomotorische<br />

Verarmung mit Affektverflachung, Abulie, Anhedonie, Sprachverarmung).<br />

Mittlerweile existieren verschiedene Skalen zur Beschreibung und Graduierung<br />

psychopathologischer Symptome bei schizophrenen Patienten, darunter die häufig<br />

verwendete SAPS/SANS [1, 2], BPRS [39] und PANSS [29] sowie in Deutschland<br />

AMDP [3].<br />

Tab. 1<br />

Positiv- und Negativsymptomatik<br />

SANS SAPS PANSS<br />

negative Symptome positive Symptome negative Symptome positive Symptome<br />

Affektverflachung Halluzinationen N1 ± Affektverflachung P1 ± Wahnideen<br />

positive formale Denkstörungen<br />

Alogie<br />

Sprachverarmung)<br />

Abulie Willenlosigkeit),<br />

Apathie<br />

Anhedonie, sozialer<br />

Rückzug<br />

Aufmerksamkeitsstörungen<br />

Wahnphänomene N2 ± emotionaler Rückzug P2 ± formale Denkstörungen<br />

bizarres oder desorganisiertes<br />

Verhalten<br />

N3 ± mangelnder<br />

affektiver Rapport<br />

N4 ± passiver/apathischer<br />

sozialer Rückzug<br />

N5 ± Schwierigkeiten im<br />

abstrakten Denken<br />

N6 ± mangelnde Spontaneität/Sprachfluss<br />

N7 ± Stereotypes Denken<br />

P3 ± Halluzinationen<br />

P4 ± Erregung<br />

P5 ± Gröûenideen<br />

P6 ± Misstrauen/<br />

Verfolgungsideen<br />

P7 ± Feindseligkeit<br />

Wobrock T et al. <strong>Schizophrenie</strong> Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98 ±113


Das Konzept der Basisstörungen nach Huber 1983) beschreibt eine Vielzahl subjektiv<br />

erlebter Symptome, die dem vermuteten somatischen) Substrat schizophrener Psychosen<br />

nahe stehen sollen und sowohl bereits in prodromalen als auch postpsychotischen<br />

Zuständen zu beobachten sind. Darüber hinaus bestehen noch andere Konzepte<br />

und Klassifikationen der endogenen Psychosen, die auf eine differenzierte Psychopathologie<br />

aufbauen und eine prognostische Aussage zum weiteren Verlauf machen wie<br />

z.B. die Unterteilung nach Leonhard 1986) in zykloide Psychosen, unsystematische<br />

und systematische <strong>Schizophrenie</strong>n.<br />

4.2 Prodromalsymptome<br />

In retrospektiven Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass der ersten schizophrenen<br />

Episode in über 75 % der Fälle im Mittel bereits 5 Jahre vor der ersten stationären<br />

Aufnahme unspezifische, insbesondere depressive und negative Symptome vorausgingen<br />

[20]. In dieser Prodromalphase können soziale Funktionseinbuûen entstehen, welche<br />

den weiteren Verlauf der Erkrankung entscheidend beeinflussen. Vom Auftreten<br />

des ersten positiven Symptoms bis hin zur Behandlung vergehen im Durchschnitt weitere<br />

1,3 Jahre DUP) zum Ablauf der Stadien siehe Abb. 2). Es bestehen Hinweise dafür,<br />

dass eine längere Dauer der unbehandelten Psychose DUP) einen negativen Einfluss<br />

auf die Zeit bis zum Eintreten und das Ausmaû der Remission hat [35]. Dieser Zusammenhang<br />

ist auch für die Dauer der unbehandelten Erkrankung DUI) zu vermuten, so<br />

dass Instrumente entwickelt wurden, welche Prodrome identifizieren und eine bessere<br />

Vorhersage für den Übergang in eine schizophrene Episode erlauben als die im DSM-<br />

III-R aufgeführten Prodromalsymptome.<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

107<br />

Abb. 2 Frühverlauf der <strong>Schizophrenie</strong>-Phasen nach McGlashan, Johannessen 1996).<br />

Aufbauend auf dem Basisstörungskonzept nach Huber, den Ergebnissen retrospektiver<br />

Studien an Patienten mit schizophrener Erstmanifestation und erster prospektiver Untersuchungen<br />

an so genannten Hoch-Risiko-Populationen zumeist Angehörige von<br />

schizophren Erkrankten) sowie bekannten Risikofaktoren, wurde eine Unterteilung in<br />

psychoseferne geringeres Risiko) und psychosenahe Prodrome höheres Risiko) vorgenommen<br />

Tab. 2 und 3) [32]. Im Rahmen der Früherkennung und Frühintervention des<br />

Kompetenznetzes <strong>Schizophrenie</strong> werden derzeit für Patienten mit psychosenahen Pro-<br />

Wobrock T et al. <strong>Schizophrenie</strong> Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98 ±113


dromen eine atypische neuroleptische Therapie und für psychoseferne Prodrome ein<br />

multimodales psychologisches Interventionsprogramm im Hinblick auf ihre Wirksamkeit<br />

zur Verhinderung des Übergangs in eine schizophrene Erkrankung untersucht.<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

n Neuropsychologische Defizite bei<br />

schizophrenen Patienten stellen ein<br />

Kernsymptom der Erkrankung dar. Es<br />

bestehen unterschiedliche Störungsmuster,<br />

wobei eine Beeinträchtigung<br />

des Arbeitsgedächtnisses, des Verbalgedächtnisses<br />

und der exekutiven<br />

Funktionen häufig schon in einer<br />

frühen Erkrankungsphase und bei<br />

Angehörigen ersten Grades gefunden<br />

werden.<br />

4.3 Neuropsychologie<br />

In neuropsychologischen Untersuchungen konnte eine Reihe von Defiziten bei der<br />

überwiegenden Mehrzahl der schizophrenen Patienten nachgewiesen werden. Dazu<br />

zählten bereits bei Ersterkrankten insbesondere Beeinträchtigungen des Arbeits- und<br />

des Verbalgedächtnisses [26]. Bei Tests mit Anforderungen an die konzeptuelle Flexibilität<br />

wie dem Wisconsin Card Sorting Test WCST) sowie an die Daueraufmerksamkeit<br />

und psychomotorische Reaktionsgeschwindigkeit wie dem Trail Making Test TMT-<br />

A/B) schnitten Schizophrene ebenfalls schlechter ab. In einer Metaanalyse zu den in<br />

der Literatur beschriebenen neurokognitiven Defiziten bei Schizophrenen im Vergleich<br />

zu Kontrollpersonen wurde subsumiert, dass kein einzelnes neuropsychologisches<br />

Testverfahren oder Konstrukt schizophrene Patienten von Kontrollpersonen ohne<br />

Überlappungsbereich sicher trennt. Als einige der Domänen mit der höchsten Effektstärke<br />

bezüglich der Unterschiede zwischen beiden Gruppen in den referierten Studien<br />

erwiesen sich das verbale Gedächtnis, die Wortflüssigkeit und die Daueraufmerksamkeit<br />

gemessen mit dem Continous Performance Test, CPT) [25]. Das Ausmaû neurokognitiver<br />

Defizite bewegte sich dabei auf einem Kontinuum zwischen diskreten Beeinträchtigungen<br />

bis hin zu ausgeprägten Störungen der Kognition. Im Langzeitverlauf<br />

waren die neurokognitiven Defizite nur in den ersten Jahren zunehmend, dann erwiesen<br />

sie sich als weitgehend stabil [26]. Neurokognitive Beeinträchtigungen z.B. in der<br />

Daueraufmerksamkeit und der psychomotorischen Reaktionsgeschwindigkeit konnten<br />

auch bei klinisch gesunden Angehörigen gefunden werden [5]. Dies bestätigt die Hypothese,<br />

dass neurokognitive Störungen zumindest bei einer Subgruppe der schizophrenen<br />

Patienten eines der Kernsymptome der Erkrankung ausmachen. Tab. 4 listet einige<br />

der häufig verwendeten neuropsychologischen Testverfahren auf.<br />

108<br />

Tab. 2<br />

Psychoseferne Prodromalsymptome<br />

Prodromalsymptome<br />

a mindestens eines der folgenden 10 Symptome ERIraos):<br />

Gedankeninterferenz<br />

zwangähnliches Perseverieren bestimmter Bewusstseinsinhalte<br />

Gedankendrängen, Gedankenjagen<br />

Gedankenblockierung<br />

Störung der rezeptiven Sprache<br />

Störung der Diskriminierung von Vorstellungen und Wahrnehmungen<br />

Eigenbeziehungstendenz ¹Subjektzentrismusª)<br />

Derealisation<br />

optische Wahrnehmungsstörungen<br />

akustische Wahrnehmungsstörungen<br />

b mehrfaches Auftreten über einen Zeitraum von mindestens einer Woche<br />

Psychischer Funktionsverlust und Risikofaktoren<br />

Reduktion des GAF-M-Scores Global Assessment of Functioning gemäû DSM-IV) um mindestens 30 Punkte<br />

über mindestens einen Monat<br />

plus<br />

mindestens ein erstgradiger Angehöriger mit Lebenszeitdiagnose einer <strong>Schizophrenie</strong> ERIraos)<br />

oder prä- und perinatale Komplikationen ERIraos)<br />

ERIraos: Diagnostisches Instrument zur Erfassung von Prodromalsymptomen, welches aus dem Early Recognition<br />

Inventory und dem IRAOS gebildet wurde. Score für die Items von 0 ± 3 0 = keine Symptome,<br />

1 = geringe Symptome, 2 = mäûige Symptome, 3 = starke Symptome), itemabhängig jeweils Ausprägung<br />

der Symptomatik detailliert beschrieben<br />

Wobrock T et al. <strong>Schizophrenie</strong> Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98 ±113


Tab. 3<br />

Psychosenahe Prodromalsymptome<br />

Attenuierte psychotische Symptome:<br />

a mindestens eines der folgenden Symptome mit einem Score von zwei ERIraos):<br />

Beziehungsideen<br />

eigentümliche Vorstellungen oder magisches Denken<br />

ungewöhnliche Wahrnehmungserlebnisse<br />

eigenartige Sprech- und Denkweise<br />

paranoide Ideen<br />

b mehrfaches Auftreten über einen längeren Zeitraum von mindestens einer Woche<br />

Brief Limited Intermittent Psychotic Symptoms BLIPS):<br />

a Dauer der BLIPS weniger als sieben Tage und nicht häufiger als zweimal pro Woche in einem Monat<br />

b spontane Remission<br />

c mindestens eines der folgenden Symptome:<br />

± Halluzinationen PANSS P3 ³ 4)<br />

± Wahn PANSS P1, P5 oder P6 ³ 4)<br />

± formale Denkstörungen PANSS P2 ³ 4)<br />

ERIraos: Diagnostisches Instrument zur Erfassung von Prodromalsymptomen, welches aus dem Early Recognition<br />

Inventory und dem IRAOS gebildet wurde. Score für die Items von 0 ± 3 0 = keine Symptome,<br />

1 = geringe Symptome, 2 = mäûige Symptome, 3 = starke Symptome), itemabhängig jeweils Ausprägung<br />

der Symptomatik detailliert beschrieben<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

Tab. 4<br />

Neuropsychologische Untersuchungsinstrumente Auswahl)<br />

Fähigkeit<br />

Testverfahren<br />

Verbalgedächtnis<br />

Wortflüssigkeit<br />

allgemeine Intelligenz<br />

psychomotorische Geschwindigkeit/<br />

Aufmerksamkeit<br />

Abstraktion/Flexibilität<br />

Interferenz<br />

Aufmerksamkeit/Konzentration<br />

visuelles Gedächtnis<br />

Arbeitsgedächtnis<br />

räumliche Organisation<br />

verbaler Lern-und Merkfähigkeitstest VLMT)<br />

Wechsler-Memory-Scale-R WMS-R)-Subtest unmittelbare und<br />

verzögerte Wiedergabe<br />

Regensburger Wortflüssigkeitstest RWT)<br />

Verbal Fluency<br />

HAWIE-R z. B. Unterskalen Allgemeines Wissen und<br />

Gemeinsamkeiten finden)<br />

Wortschatz-Test WST)<br />

Trail-Making-Test A/B<br />

Zahlen-Symbol-Test ZST)<br />

Perdue oder Grooved Pegboard<br />

Wisconsin Card Sorting Test WCST)<br />

Tower of London TOL)<br />

Farb-Wort-Interferenztest nach Stroop<br />

Continious Performance Test CPT)<br />

d2-Test<br />

WMS-R, visuelle unmittelbare und verzögerte Reproduktion<br />

HAWIE-R, Zahlennachsprechen<br />

Subject Ordered Pointing Task SOPT)<br />

Corsi Block Tapping<br />

Wisconsin Card Sorting Test WCST)<br />

Tower of London TOL)<br />

Trail-Making-Test B<br />

HAWIE-R-Bilderergänzen, Mosaiktest<br />

109<br />

4.4 Somatische Befunde und Komorbidität<br />

Unter den somatischen Befunden bei schizophrenen Patienten stellen die so genannten<br />

neurologischen ¹soft signsª häufig zu erhebende Nebenbefunde dar. Darunter werden<br />

Defizite in den Bereichen psychomotorische Schnelligkeit, motorische Geschicklichkeit,<br />

Koordination und sensorische Integration verstanden. Bei einer Subgruppe der Patienten<br />

zeigten die gefundenen Defizite zumindest eine mäûig hohe Stabilität ähnlich<br />

einem Trait-marker) [44].<br />

Wobrock T et al. <strong>Schizophrenie</strong> Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98 ±113


Fort- und Weiterbildung<br />

110<br />

Die Mortalität schizophrener Kranker ist im Vergleich mit der gesunden Bevölkerung<br />

deutlich erhöht, was vor allem auf das erhöhte Selbstmordrisiko sowie komorbider somatischer<br />

Erkrankungen zurückgeht [22]. Etwa 50 ±80 % der stationär und 20 ± 40% der<br />

ambulant behandelten Patienten mit <strong>Schizophrenie</strong> leiden an zusätzlichen internistischen<br />

Erkrankungen wie Infektionen, Herz-Kreislauferkrankungen oder Stoffwechselstörungen<br />

z.B. Diabetes mellitus). Die wichtigste psychiatrische Komorbidität besteht<br />

im schädlichen Gebrauch von Substanzen wie z. B. Tabak, Koffein, Alkohol, Cannabis<br />

und Stimulanzien. Bei 15 ± 65 % aller Patienten mit einer schizophrenen Psychose liegt<br />

ein zusätzlicher Substanzmissbrauch ohne Koffein und Nikotin) vor [33], damit ist<br />

dieser ca. 4,6fach häufiger als in der Normalbevölkerung [42]. Dabei wird der Gebrauch<br />

von Cannabis mittlerweile als ein erheblicher Risikofaktor für den Ausbruch einer schizophrenen<br />

Störung diskutiert sowie persistierender Alkohol- und Drogenkonsum als<br />

aufrechterhaltender Faktor der psychotischen Störung gesehen.<br />

Zusammenfassung der Kernaussagen<br />

Bei der schizophrenen Erkrankung kommt es zu einer Störung in zahlreichen Bereichen<br />

des Erlebens wie des inhaltlichen und formalen Denkvermögens, der Wahrnehmung,<br />

des Icherlebens, der Affektivität, des Antriebs, der Psychomotorik, der Aufmerksamkeit,<br />

der Konzentration und des Gedächtnisses. Die Lebenszeitprävalenz liegt weltweit zwischen<br />

0,5 und 1,6 %. Die Erkrankung tritt bevorzugt zwischen dem 15. und dem 35. Lebensjahr<br />

auf. Die <strong>Schizophrenie</strong> ist eine komplexe Erkrankung, bei der nach dem ¹Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Modellª<br />

von einer subklinischen ± neuropsychologisch<br />

und psychophysiologisch nachweisbaren ± Disposition für die Manifestation einer <strong>Schizophrenie</strong><br />

ausgegangen wird und endogene sowie exogene Stressoren biologischer und<br />

psychosozialer Natur bei reduzierter Verarbeitungskapazität und nicht ausreichenden<br />

Bewältigungsstrategien zu einem passageren Funktionsversagen mit der klinischen<br />

Konsequenz einer akuten psychotischen Symptomatik führen. Der ersten schizophrenen<br />

Episode geht häufig eine Prodromalphase mit depressiven und negativen Symptomen<br />

voran, welche bereits zu diesem Zeitpunkt zu sozialen Funktionseinbuûen führen<br />

können. Genetische Faktoren polygener Erbgang) können ca. 50 % der Basisvulnerabilität<br />

und umweltbedingte Faktoren den Rest des Erkrankungsrisikos erklären. Hierbei erklären<br />

einzelne Kandidatengene oder einzelne Umweltfaktoren wie Schwangerschaftsund<br />

Geburtskomplikationen) nur 1 ±2% des individuellen Erkrankungsrisikos. ¾tiopathogenetisch<br />

ist bei der schizophrenen Erkrankung davon auszugehen, dass zumindest<br />

bei einer Subgruppe der Patienten eine komplexe Störung der Neuro- und Myeloarchitektonik<br />

einschlieûlich der synaptischen Umbauvorgänge in mehreren Hirnregionen<br />

mit Betonung der fronto-temporalen Strukturen vorliegt, die zu einer fokalen und die<br />

Konnektivität betreffenden Störung des neuronalen Netzwerkes führt. Neurobiochemisch<br />

wird eine Störung des Neurotransmittergleichgewichtes angenommen, welche<br />

neben einer dopaminergen Überfunktion des mesolimbischen Systems auch Veränderungen<br />

anderer Systeme wie z.B. Glutamat und Serotonin) beinhaltet. Durch das Auffinden<br />

weiterer Kandidatengene und die Entschlüsselung ihrer funktionellen Bedeutung<br />

soll der Zugang zu mehr kausal orientierten Therapiestrategien eröffnet werden.<br />

Literatur<br />

Das Literaturverzeichnis für <strong>Teil</strong> I und <strong>Teil</strong> II findet sich als Anhang zu <strong>Teil</strong> II.<br />

Dr. med. Thomas Wobrock<br />

Universitäts-Nervenklinik ´ Psychiatrie und Psychotherapie ´<br />

Universitätskliniken des Saarlandes<br />

66421 Homburg/Saar<br />

E-mail: thomas.wobrock@uniklinik-saarland.de<br />

Wobrock T et al. <strong>Schizophrenie</strong> Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98 ±113


Fragen<br />

CME-Fragebogen<br />

<strong>Teil</strong> I ± ¾tiopathogenese, Epidemiologie und Symptomatologie<br />

1<br />

Welche Aussage trifft nicht zu? Folgende Symptome treten häufiger bei einer schizophrenen Psychose auf.<br />

A Inhaltliche Denkstörungen wie Beeinflussungswahn,Verfolgungswahn und<br />

Gröûenwahn<br />

B Wahnwahrnehmungen<br />

C Formale Denkstörungen wie assoziative Lockerung,Gedankenabreiûen oder<br />

Zerfahrenheit<br />

D Orientierungs- und Bewusstseinsstörungen<br />

E Kognitive Störungen wie Beeinträchtigungen der Konzentration,der Aufmerksamkeit<br />

und des Arbeitsgedächtnisses<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

2<br />

Die Lebenszeitprävalenz für schizophrene<br />

Störungen beträgt weltweit in<br />

der Gesamtbevölkerung<br />

A ca. 4±5%<br />

B ca. 2±2,5%<br />

C ca. 0,5±1,6 %<br />

D ca. 0,14 ± 0,46 %<br />

E ca. 0,01 ± 0,06 %<br />

111<br />

3<br />

Welche Aussage trifft nicht zu? Strukturelle bildgebende und neuropathologische morphometrische Verfahren bei<br />

schizophrenen Patienten erbrachten folgende Resultate.<br />

A Es konnte eine typische zerebrale Pathologie mit Zelluntergängen und reaktiver<br />

Gliose gesichert werden.<br />

B Störungen der Gyrifizierung im frontalen Kortex wurden beobachtet.<br />

C Es wurden Volumenminderungen insbesondere in frontalen und temporalen Hirnabschnitten<br />

nachgewiesen.<br />

D Die Erweiterung der Ventrikelräume und Erhöhung der Ventrikel-Brain-Ratio ist ein<br />

mehrfach replizierter Befund bei schizophrenen Patienten.<br />

E Derzeit liegen viele Hinweise dafür vor,die <strong>Schizophrenie</strong> als eine Hirnentwicklungsstörung<br />

mit reduzierter synaptischer Dichte zu betrachten.<br />

4<br />

Welche Aussage trifft nicht zu? Bei der schizophrenen Erkrankung ist nach derzeitigem Kenntnisstand von einer<br />

Störung der folgenden Neurotransmittersysteme auszugehen.<br />

A Dysfunktion des serotonergen Systems<br />

B Unterfunktion im Glutamat-System<br />

C. Überfunktion des mesolimbischen dopaminergen Systems<br />

D Dysfunktion des GABAergen Systems<br />

E Überfunktion des mesokortikalen dopaminergen System z.B. präfrontal)<br />

Wobrock T et al. <strong>Schizophrenie</strong> Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98 ±113


Fragen<br />

CME-Fragebogen<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

<strong>Teil</strong> I ± ¾tiopathogenese, Epidemiologie und Symptomatologie<br />

5<br />

Welche Aussage zu den genetischen A Eineiige Zwillinge erkranken fast immer gemeinsam,was für eine überwiegend<br />

Grundlagen der <strong>Schizophrenie</strong> trifft genetische Komponente bei der Entstehung der <strong>Schizophrenie</strong> spricht.<br />

nicht zu?<br />

B Das Erkrankungsrisiko der Kinder von einem an <strong>Schizophrenie</strong> erkrankten<br />

Elternteil liegt bei etwa 10 %.<br />

C Bei der schizophrenen Erkrankung ist ein polygener Erbgang wahrscheinlich.<br />

D Kandidatengene werden auf mehreren Chromosomen wie z.B. 5q,6p,8p,10p,<br />

13q,18p und 22q vermutet.<br />

E Veränderungen der Aminosäuresequenz der Kandidatengene können zu Störungen<br />

der Myelinisierung,der Signaltransduktion,von Neurotransmittertransportern und<br />

konsekutiv der Augenfolgebewegungen und des sensorischen ¹Gatingsª führen.<br />

112<br />

Wobrock T et al. <strong>Schizophrenie</strong> Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98 ±113


Antworten<br />

Antwortbogen<br />

Bitte kopieren, ausfüllen und an die unten angegebene Adresse senden.<br />

Ihr Ergebnis<br />

wird vom Verlag ausgefüllt)<br />

Sie haben von Fragen<br />

richtig beantwortet und somit<br />

n bestanden n nicht bestanden.<br />

Stuttgart,<br />

Stempel/Unterschrift)<br />

Lernerfolgskontrolle nur eine Antwort pro Frage ankreuzen)<br />

1 &A &B &C &D &E 4 &A &B &C &D &E<br />

2 &A &B &C &D &E 5 &A &B &C &D &E<br />

3 &A &B &C &D &E<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

Erklärung<br />

Ich versichere, dass ich die Beantwortung der Fragen selbst und ohne fremde Hilfe durchgeführt habe.<br />

Ort/Datum<br />

Unterschrift<br />

113<br />

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an Sie selbst adressierten und ausreichend frankierten Rückumschlag an<br />

den Georg Thieme Verlag, CME, Joachim Ortleb, Postfach 3011 20, 70451<br />

Stuttgart. Einsendeschluss ist der 31. August 2004 Datum des Poststempels).<br />

Die Zertifikate werden spätestens 14 Tage nach Erhalt des Antwortbogens<br />

versandt. Von telefonischen Anfragen bitten wir abzusehen.<br />

<strong>Teil</strong>nahmebedingungen der zertifizierten Fortbildung<br />

Für diese Fortbildungseinheit erhalten Sie 1 Fortbildungspunkt<br />

im Rahmen des Fortbildungszertifikates der ¾rztekammer. Hierfür<br />

± müssen 80% Fragen richtig beantwortet sein.<br />

± muss die oben stehende Erklärung vollständig ausgefüllt sein.<br />

Unvollständig ausgefüllte Bögen können nicht berücksichtigt<br />

werden!<br />

± muss Ihre Abonnentennummer im entsprechenden Feld des<br />

Antwortbogens angegeben oder eine CME-Wertmarke im<br />

dafür vorgesehenen Feld aufgeklebt sein.<br />

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Psychiatrieª nicht abonniert haben) können beim Verlag<br />

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Wobrock T et al. <strong>Schizophrenie</strong> Fortschr Neurol Psychiat 2004; 72: 98 ±113

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