gPDF - SFB 580 - Friedrich-Schiller-Universität Jena
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Die Wendezeit<br />
Seite 28<br />
zahl beruflicher Stellenwechsel zu Beginn der<br />
1990er Jahre wider (Abbildung 4). Es lassen<br />
sich viele ostdeutsche Geschäftsführer und<br />
Unternehmer beobachten, die damals an die<br />
Spitze ostdeutscher Unternehmen aufrückten,<br />
seitdem jedoch auf ihren Positionen verblieben.<br />
Die Verweildauer auf der zum Befragungszeitpunkt<br />
2002 ausgeübten Position ist im<br />
Ost-West-Vergleich extrem unterschiedlich<br />
(Abbildung 5). Teilweise hängen diese längeren<br />
Verweilzeiten ostdeutscher Unternehmensleiter<br />
mit dem Besitz von Firmenanteilen<br />
zusammen. Eigentümer wechseln weniger<br />
häufig das Unternehmen und umgekehrt sind<br />
die Verweilzeiten von Unternehmensleitern<br />
ohne Firmenbesitz in der Regel kürzer.<br />
Doch auch bei einer Berücksichtigung des<br />
Eigentumsmerkmals gibt es einen offensichtlichen<br />
Unterschied zwischen den Verweilzeiten<br />
ost- und westdeutscher Unternehmensleiter.<br />
Insbesondere im Vergleich zu den<br />
Westdeutschen, die Anteile von Unternehmen<br />
in Ostdeutschland besitzen, ist auffällig, dass<br />
die entsprechenden Ostdeutschen in unserer<br />
Stichprobe hauptsächlich einen kurzen Zeitkorridor<br />
am Anfang der 1990er Jahren genutzt<br />
haben (vermutlich auch nur diesen nutzen<br />
konnten, weil danach die Märkte aufgeteilt waren<br />
und die Überlebenschancen von Firmen<br />
geringer wurden). Währenddessen verteilen<br />
sich die Vergleichsdaten der westdeutschen<br />
Geschäftsführer und Unternehmer<br />
relativ gleichmäßig über die 1990er<br />
Jahre.<br />
Die Wendezeit hatte für die ostdeutschen<br />
Wirtschaftseliten den Charakter<br />
einer „Stunde Null“. Dies gilt nicht nur für<br />
Umbrüche in den Karrieren oder für Firmengründungen,<br />
sondern in der Transformation<br />
der Wirtschaft waren die alten Fertigkeiten<br />
der ehemaligen Wirtschaftskader, wie beispielsweise<br />
das „Chaos-Management“, nicht<br />
mehr funktional, weil sich die Grundlagen des<br />
Wirtschaftens umfassend verändert hatten:<br />
Die alten sozialen Netzwerke innerhalb und<br />
außerhalb der Betriebe existierten nicht mehr.<br />
Damit entfiel aber eine entscheidende Grundlage<br />
der bisherigen Produktion. Zudem hatten<br />
die Unternehmen das Anbietermonopol für ihre<br />
Produkte verloren. Die potenziellen Abnehmer<br />
der Produkte besaßen jetzt Wahlmöglichkeiten,<br />
von denen im Zweifelsfall eher zu Ungunsten<br />
der DDR-Produkte Gebrauch gemacht wurde.<br />
Die alten Produzenten und neuen Unternehmen<br />
mussten sich nun aktiv um Kunden bemühen,<br />
was gegenüber der bisherigen Situation<br />
ein vollkommenes Novum war; gleichzeitig<br />
standen die Unternehmen in einer neuartigen<br />
Konkurrenz zueinander - und dies nicht nur lokal,<br />
sondern durch die Währungsunion im Jahre<br />
1990 wurde die damalige DDR-Wirtschaft<br />
schlagartig Teil des Weltmarktes.<br />
Das alles definierte völlig neue Situationen für<br />
die ehemaligen Wirtschaftskader, deren persönliche<br />
und betriebliche Bewältigung – wegen der<br />
Größe der zu lösenden Herausforderungen –<br />
beispielsweise in Interviews bis heute immer<br />
wieder ein Thema ist (Dokumente 3).