05.11.2013 Aufrufe

Berliner anarchistisches Jahrbuch - North-East Antifascists [NEA]

Berliner anarchistisches Jahrbuch - North-East Antifascists [NEA]

Berliner anarchistisches Jahrbuch - North-East Antifascists [NEA]

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

spiele auf den multimedialen Plattformen<br />

gezielt und öffentlich fördert. Die<br />

Medienindustrie hat ebenfalls ihren<br />

Beitrag dazu geleistet, weiterhin Krieg<br />

und Gewalt zu verherrlichen und in<br />

die Köpfe v.a. junger Menschen zu<br />

pflanzen. Alte Rollenklischees werden<br />

ständig reproduziert mit dem einzigen<br />

Unterschied, dass nun auch Frauen Killerinnen<br />

sein dürfen. Gewalt und Sex<br />

werden ständig zusammen präsentiert.<br />

Überall, in Krimis, Action- und<br />

Abenteuerfilmen, Historienfilmen,<br />

Fantasyfilmen, Comix und Spieleplattformen<br />

begegnet uns absurd-grotesk<br />

übersteigerte und anscheinend folgenlose<br />

Gewalt, die sich subtil in den Gehirnen<br />

einnistet.<br />

Was wäre wenn? Was wäre, wenn es<br />

tatsächlich in Deutschland-Europa-<br />

USA-Russland-China-Afrika-Lateinamerika<br />

zu gewalthaften Aufständen<br />

käme? Ein Weltbürgerkrieg? Der<br />

Vierte Weltkrieg ausgelöst durch Irre,<br />

die in den Besitz von Massenvernichtungswaffen<br />

gelangen – abgesehen<br />

von den gemäßigt Irren, die sie schon<br />

haben? Keine rosigen Aussichten. Die<br />

moderne Gesellschaft ist durch den<br />

kapitalistischen Verwertungs- und<br />

Konsumprozess psychisch krank wie<br />

nie. Nicht dass die Gesellschaften vorher<br />

nicht auch psychisch krank waren.<br />

Sie waren es. Aber sie waren es noch<br />

auf eine andere Art als die heutigen.<br />

Und mit weniger Schlachtenmaterial.<br />

Das Leben ist unglaublich diversifizierter<br />

geworden und mit ihm die psychischen<br />

Verwirrungen und Irrungen.<br />

Kaum vorstellbar, was passieren würde,<br />

wenn all diese Psychopathen mit<br />

Waffen aufeinander losgelassen würden,<br />

aufeinander eindreschen würden.<br />

Wieviele Jahrzehnte, wieviele möglicherweise<br />

Jahrhunderte würde ein<br />

solcher Krieg dauern? Oder sind wir<br />

schon mitten drin?<br />

Gesetzt, dass die Herrschenden noch<br />

nie mit soviel Herrschafts- und Gewaltmitteln<br />

ausgestattet waren wie<br />

heute – ist da ein Aufstand alter Art<br />

noch sinnvoll? Anno 1848 wurden<br />

noch die Zeughäuser gestürmt und die<br />

Hinterlader-Schießprügel aufeinander<br />

gerichtet. Auch da gab es keine Waffengleichheit,<br />

wie die Niederlage von<br />

Rastatt bewies. Aber immerhin waren<br />

die Chancen noch höher, die Gegenpartei<br />

bewaffnet zu überwinden. Das<br />

zeigte 1910 die exzessive Revolution<br />

von Mexico. Aber zu welchem Preis?<br />

Leben die Menschen dort heute besser?<br />

Im Zeitalter der chemischen Waffen,<br />

die bei fast jeder auch noch so harmlosen<br />

Demonstration gegen Menschen<br />

eingesetzt werden (Tränengas, CS,<br />

Pfefferspray etc.) und die im konventionellen<br />

Kriegsfall übrigens verboten<br />

sind, im Zeitalter der flächendeckenden<br />

elektronischen Überwachung, der<br />

Roboterisierung und aufkommenden<br />

elektronischen Waffen (Mikrowellenwerfer,<br />

Blendlaser, Teaser etc.) müssen<br />

neue Formen von Demonstration und<br />

Sabotage von Herrschaftsdurchsetzung<br />

gefunden werden. Der Krawall, die<br />

Randale, der Aufstand im alten Sinne<br />

ist etwas für einfache Gemüter, die<br />

sich abreagieren wollen, aber nichts<br />

was uns weiterbringt in der sozialen<br />

Emanzipation der Gesellschaft, ja der<br />

Weltgesellschaft. Wir müssen auf eine<br />

neue Art und Weise kreativ werden<br />

und sind es schon ansatzweise in unseren<br />

besten Momenten.<br />

Gewalthafte Ansätze sind wie geschaffen<br />

für die altbekannten Provokationen<br />

der Staatsmacht und der herrschenden<br />

Kapitalist*innenklasse. Das alte Konzept<br />

der Agents Provocateurs funktioniert<br />

noch immer erschreckend gut.<br />

Wir sehen es alle Nase lang an auffliegenden<br />

Spitzeln in unseren Gruppen,<br />

an Gewalttätern die sich oft genug als<br />

bezahlte Polizei- und Geheimdienst-<br />

Mitarbeiter*innen herausstellen. Gewalthaft<br />

orientierte Gruppen ziehen<br />

solches Geschmeiß an wie die Scheiße<br />

die Fliegen. Und sie schaden damit der<br />

allgemeinen Emanzipationsbewegung<br />

immer wieder und immens.<br />

Auf der letzten internationalen Polizeikonferenz<br />

in Berlin bei der es<br />

u.a. um Insurrektionalist*innen wie<br />

die sog. „Federazione Anarchica Informale“<br />

ging, wurde ein führender<br />

Polizeioffizier sinngemäß so zitiert:<br />

„Nicht die Insurrektionalisten sind das<br />

Problem, sondern die Anarchisten.“<br />

Wir sehen also, wohin die Spitze<br />

der Lanze zielt. Es geht nicht um ein<br />

paar marginale Aufständische oder<br />

Insurrektionalist*innen, die sich in Revolutions-<br />

und Klandestinitätsphantasien<br />

ergehen, sondern es geht um die<br />

anarchistische, die libertäre Bewegung<br />

an sich, die für die Herrschenden strukturell<br />

als Bedrohung empfunden wird,<br />

weil sie zunehmend weitere Bevölkerungskreise<br />

beeinflusst und ergreift.<br />

Wir Libertären sind also offensichtlich<br />

gar nicht so erfolglos, wie wir uns<br />

manchmal empfinden. Aber wir haben<br />

nur so lange Erfolg, wie wir kreativ<br />

und unberechenbar sind, solange wir<br />

beweglicher und kreativer als die Gegenseite<br />

bleiben. Insurrektionalismus<br />

ist ein schädlicher Schritt zurück in die<br />

Zeiten niedergeschlagener Aufstände<br />

und kriminalisierter Genoss*innen,<br />

die die Gefängnisse und Lager füllen.<br />

Wir müssen das Neue denken und<br />

umsetzen und dürfen nicht in alte Klischees<br />

und Mythen zurückfallen, die<br />

sich als Sackgassen erwiesen haben.<br />

R@lf G. Landmesser 14.10.2012<br />

44

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!