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Erfolgreich Scheitern - BrainJuicer

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<strong>Erfolgreich</strong> <strong>Scheitern</strong><br />

Jonathan Gable von <strong>BrainJuicer</strong> spricht mit dem Anthropologen und Autor Grant McCracken über<br />

den langfristigen Nutzen des <strong>Scheitern</strong>s und warum man nicht nur viele, sondern auch viele<br />

verrückte Dinge ausprobieren muss, um erfolgreich zu sein.<br />

JONATHAN GABLE: Ihr neues Buch Culturematic enthält einen<br />

Appell und eine Aufforderung an Firmen zu experimentieren,<br />

Innovationen zu entwickeln, Risiken einzugehen und Neues zu<br />

versuchen, ohne die Folgen genau zu kennen. Was verbirgt sich<br />

dahinter?<br />

GRANT McCRACKEN: Culturematics sind kleine Tests, um<br />

kulturelle Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, damit<br />

Unternehmen auf diese reagieren können. Da sowohl das<br />

Tempo als auch die Menge der kulturellen Entwicklungen<br />

rasant gestiegen sind, hat sich Kultur zu etwas rätselhaftem<br />

entwickelt. Auch die erfahrensten Experten können kaum<br />

erkennen, in welche Richtung sich unsere Kultur entwickelt.<br />

Deshalb ist so eine Art kulturelles Labor unerlässlich, um kleine<br />

Testballons zu kreieren, sie in die Kultur hinausschießen und<br />

dann beobachten, wie sie sich machen und welche von ihnen<br />

funktionieren. Das Ergebnis ist jeweils ein Feedback dazu, was<br />

sich da draußen befindet und was es ist.<br />

Die Devise lautet nun, viele kleine Experimente zu entwickeln,<br />

damit viele Dinge auszuprobieren und sich anzuschauen,<br />

worauf die Leute reagieren, und von dort aus den<br />

Innovationsprozess zu starten. Dies steht dem traditionellen<br />

Kommerzialisierungsmodell diametral entgegen, bei dem ein<br />

großes neues Produkt oder eine neue Dienstleistung entwickelt<br />

und auf die Welt losgelassen wird in der Hoffnung, dass die<br />

pure Kraft des Marketings das Produkt erfolgreich machen<br />

kann. Es gibt nur sehr wenige Unternehmen, die noch über so<br />

viel Marketingpower verfügen.<br />

GABLE: Das bedeutet also, dass Unternehmen eine<br />

grundsätzlich neue Herangehensweise an das Thema<br />

Innovation finden müssen?<br />

McCRACKEN: Der Innovationsgedanke stand bei den meisten<br />

Unternehmen in den letzten fünf, sechs Jahren im Vordergrund.<br />

Jetzt müssen wir jedoch feststellen, dass es viel schwieriger ist,<br />

als es scheint. Wie John Kearon von <strong>BrainJuicer</strong> sehr treffend<br />

bemerkt hat, sind einige Unternehmen sogar gerade deshalb<br />

weniger innovativ geworden, weil sie „Innovationszentren“<br />

innerhalb der Organisation etabliert haben. Diese haben in<br />

vielen Fällen sogar zu einem Verlust an Kreativität,<br />

Innovationskraft und Schnelligkeit geführt.<br />

Einiges an den alten Marketingstrategien funktioniert immer<br />

noch, aber unsere Instinkte können uns täuschen. Der<br />

kulturelle Kontext ist so undurchschaubar und unverständlich<br />

geworden. Deswegen ist es sinnvoll, neue Dinge<br />

auszuprobieren, obwohl man einen Misserfolg geradezu<br />

herausfordert.<br />

In manchen Fällen sind wir dazu verdammt, das offensichtlich<br />

Unplausible anzunehmen. In solchen Fällen müssen wir uns nun<br />

selbst fragen: „Okay, wie wetten wir auf etwas, wofür wir kein<br />

intuitives Gefühl besitzen?“ Culturematics sind eine Antwort<br />

darauf.<br />

GABLE: Bedeutet das nicht letztendlich, dass Culturematics<br />

dabei helfen, schneller und kostengünstiger zu scheitern?<br />

McCRACKEN: Genauso ist es.<br />

GABLE: Und das kann zum Erfolg führen?<br />

McCRACKEN: Ja, dies ist eine der großen Veränderungen, die<br />

gerade vor sich gehen. Wir müssen nur aufhören, diese<br />

Erfahrungen als <strong>Scheitern</strong> zu bezeichnen. Nennen wir es lieber<br />

Experimentieren. Viele Manager meinen: „Innovativ sein fällt<br />

uns leicht. Wir haben unzählige neue Ideen im Unternehmen.<br />

Wir trauen uns nichtsie umzusetzen.“ Niemand möchte gern in<br />

einem Großunternehmen die Person sein, die scheitert.<br />

Wir leben nicht länger in einer dichotomen Welt. Man hat nicht<br />

länger nur eine zweiseitige Wahl – Ja oder Nein, Erfolg oder<br />

Misserfolg, sondern ein Kontinuum mit jeglicher Art von Erfolg<br />

und Misserfolg als Abstufung. Jeder Erfolg und Misserfolg<br />

erzählt etwas darüber, wie man das „Ja“ erreichen und sich<br />

vom „Nein“ wegbewegen kann.<br />

GABLE: Im Harvard Business Review stellen Sie die These auf,<br />

dass man innerhalb jedes Unternehmens ein „zweites<br />

Unternehmen“ benötigt. Können Sie uns etwas mehr darüber<br />

erzählen, was Sie damit meinen?<br />

McCRACKEN: Ich bin in den USA umringt von Menschen, die<br />

sich ihren Lebensunterhalt auf dem Finanzmarkt als Investor<br />

der einen oder anderen Art verdienen. Vor einigen Jahren habe<br />

ich einen Spaziergang mit einem dieser Investoren<br />

unternommen, und er erzählte mir, dass er regelmäßig bewusst<br />

gegen die Marktführer wettet. Er schaut sich irgendeinen Markt<br />

an und sucht darin nach dem erfolgreichsten Unternehmen. Er<br />

nimmt an, dass sich die Welt verändern wird und dass auch das<br />

erfolgreichste Unternehmen es nicht schaffen wird, den<br />

Veränderungen zu folgen, und deshalb an Wert verlieren wird.<br />

Zu diesem Zeitpunkt handelte es sich noch um eine radikale<br />

und gewagte Investitionsstrategie.<br />

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf habe ich mir die Fortune<br />

500 der letzten zehn Jahre angesehen. Die Hälfte der<br />

Unternehmen, die sich anfangs in den Top 20 befanden, ist<br />

später abgestürzt. Es gibt also empirische Belege, die dieses<br />

Argument stützen.


GABLE: Was bedeutet das für Unternehmen?<br />

McCRACKEN: Das Spiel war für Unternehmen bisher relativ<br />

simpel. Es ging faktisch nur ums Gewinnen. Man hat nach<br />

Wettbewerbsvorteilen Ausschau gehalten, den Vorteil<br />

ergriffen, damit den Wettbewerber geschlagen und somit<br />

kurzfristig gewonnen. Der kurzfristige Gewinn hat dann auch<br />

längerfristige Gewinne gestattet und außerdem ermöglicht,<br />

sich langfristig anzupassen. Das bedeutete, dass man seinen<br />

Kurs fortlaufend um wenige Grade korrigieren musste, um sich<br />

so langfristig auf dem richtigen Kurs zu halten.<br />

Wenn aber die neue Finanz-Strategie, nicht in den Marktführer<br />

zu investieren, korrekt ist, dann sind Gewinnen und Anpassung<br />

offensichtlich zwei völlig verschiedene Dinge. Die Faktoren,<br />

durch die man gewinnt, sind nicht diejenigen Dinge, die einem<br />

bei der Anpassung helfen.<br />

Aus diesem Grund braucht jedes Unternehmen ein internes<br />

„zweites Unternehmen“, das dafür geschaffen wird, an der<br />

Anpassung zu arbeiten. Dessen Aufgabe ist es, die<br />

Entwicklungen von Geschmack und Präferenzen der<br />

Konsumenten zu lesen und diese gewonnenen Erkenntnisse an<br />

das eigentliche Unternehmen weiterzuleiten, sodass es seine<br />

Geschäfte an den Markt anpassen kann. In diesem Modell steht<br />

das erste Unternehmen, welches sich mit der Aufgabe des<br />

Gewinnens beschäftigt, im Zentrum. Es wird umrahmt von dem<br />

zweiten Unternehmen, welches für die Anpassung zuständig ist.<br />

Sie arbeiten eng zusammen, um die Veränderungen in der Welt<br />

wahrnehmen und dann die beste Strategie finden zu können,<br />

die einen Nutzen aus den Veränderungen zieht.<br />

GABLE: Fallen Ihnen Unternehmen ein, die diese Strategie<br />

bereits tatsächlich praktizieren?<br />

McCRACKEN: Ja, im Ansatz. Das Unternehmen Coca Cola<br />

beschäftigt einige Mitarbeiter für die Beobachtung globaler<br />

Trends. Hier wird weit vorausschauend auf das Gesamtbild<br />

geblickt. Coca Cola zieht auch undenkbare, durchdringende<br />

Veränderungen bewirkende Szenarien in Betracht, wie zum<br />

Beispiel die Möglichkeit, dass Zucker eines Tages der neue<br />

Tabak sein könnte, der von der Gesellschaft verpönt und<br />

geächtet wird. Man muss also auch darüber nachdenken, wie<br />

man sich auf eine Welt vorbereiten kann, in der eine solch<br />

heute noch unvorstellbare Haltung wahr wird. Aber sie haben<br />

bisher kein wirkliches zweites Unternehmen etabliert.<br />

GABLE: Sie schlagen vor, dass wir unterschiedliche Techniken<br />

für Bewertung neuer Ideen verwenden müssen, um Insights vor<br />

dem Hintergrund kultureller Phänomene generieren zu können,<br />

die uns zu der Entwicklung wirklich neuer und später auch<br />

erfolgreicher Ideen verhelfen?<br />

McCRACKEN: Absolut. An diesem Punkt macht es meiner<br />

Ansicht nach Sinn, mithilfe von Culturematic-Laboren zu<br />

arbeiten, in denen wir neue Dinge ausprobieren können, die<br />

einfach Irrlichter sind.<br />

Einige unserer besten Ideen sprudeln bei Meetings und<br />

Brainstormings heraus, aber werden von den Leuten<br />

niedergemacht. Typischerweise starten sie mit einen Satz wie<br />

„Was wäre wenn?“. Dann kommt eine alberne Idee, die über<br />

den Tellerrand hinaus gedacht ist. Und irgendjemand aus dem<br />

Unternehmen sagt dann direkt: „Oh bitte, das ist eine wirklich<br />

blöde Idee. Wir sind alle nüchterne Geschäftsleute und machen<br />

keinen wirklichkeitsfremden Kram, sondern tun praktische,<br />

realistische, pragmatische Dinge.“<br />

Denn das war einmal die Methode, die zum Sieg führte, aber<br />

heute ist es genau das, was uns davon abhält, die Welt zu<br />

erforschen und neue außergewöhnliche und unwahrscheinliche<br />

Ideen zu entwickeln. Es könnte genau diese Methode sein, die<br />

wir an die neue, zukünftige Welt anpassen müssen.<br />

GABLE: Das bedeutet also, dass traditionelle<br />

Forschungsmethoden Unternehmen eher davon abhalten,<br />

innovativ zu sein. Wäre es nicht unfair, das so zu sagen – dass<br />

die traditionelle Forschung Innovationen unterdrückt?<br />

McCRACKEN: Manchmal ist es genauso. Ich glaube, dass es sich<br />

bei nahezu allen von uns verwendeten Methoden um eine<br />

Verbesserung des Umgangs mit denjenigen Dingen handelt, die<br />

uns vor einigen Jahren noch erhebliche Schwierigkeiten<br />

bereitet haben. Ich sage, man sollte die alten Methoden<br />

weiterhin anwenden, aber man sollte zusätzlich neue Systeme<br />

einführen, um die schwer verständlichen Gebiete ergreifen und<br />

erforschen zu können. Es geht im Grunde genommen darum,<br />

nach Dingen Ausschau zu halten, von denen man sich gar nicht<br />

bewusst war, dass man sie nicht weiß.<br />

GABLE: Es gibt Beispiele einiger großer Unternehmen, die<br />

untergegangen sind und anderer, die überlebt haben und schon<br />

in den 1960er Jahren auf demselben Niveau wie heute waren –<br />

zum Beispiel, wenn man an Kodak und IBM denkt. Beiden<br />

waren schon damals Blue Chips und doch existiert Eastman<br />

Kodak nicht mehr und IBM weist kaum noch Ähnlichkeit mit<br />

dem Unternehmen auf, das es damals war. Wie hätte<br />

Culturematics ihnen helfen können?<br />

McCRACKEN: Ich habe sowohl für IBM und für Kodak<br />

gearbeitet. Ich weiß, dass Kodak die digitale Revolution vor 15<br />

Jahren kommen sah, weil ich einige dieser Arbeit für sie<br />

gemacht habe. Veränderung ist sehr schwierig. Es ist eine Sache<br />

zu sagen „wir glauben, dass diese Entwicklung auf uns<br />

zukommt“ aber es ist eine vollkommen andere Sache mit deren<br />

Auswirkungen umzugehen – vor allem wenn diese den Kern der<br />

eigenen Unternehmenskultur betreffen.<br />

IBM ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Damals ging es vor allem<br />

um Großrechner mit dem Ausmaß ganzer Häuser und sie haben<br />

den Wandel dennoch geschafft. Sie erfanden den PC, der so<br />

wichtig war für die weitere Veränderung ihres<br />

Geschäftsmodells, indem Sie einer kleinen Gruppe von<br />

Entwicklern am Rande ihrer Organisation eine Aufgabe stellten:<br />

„Erzählt uns, wie Computerarbeit aussehen würde, wenn sie<br />

nicht in Großrechnern stattfinden würde. Was wäre, wenn Sie<br />

in kleinen Gehäusen funktionieren würde, auf dem Schreibtisch<br />

der Menschen? Wie könnten diese Geräte aussehen?“ Diese<br />

Gruppe war de facto eine Culturematic: Menschen<br />

systematisch von der Unternehmenskultur zu trennen, da diese<br />

blind machen kann für die Erwägung neuer Ideen.<br />

Es ist für Mitarbeiter, die innerhalb des Unternehmens<br />

arbeiten, äußerst schwierig, diese neuen Ideen zu erkennen<br />

oder mit ihnen zu arbeiten. An diesem Punkt ist ein<br />

Culturematic-Labor sinnvoll. Sie erstellen ein Experiment, und<br />

schicken es hinaus in die Welt. Die Teilnehmer werden<br />

hierdurch zu einer Art Hybrid, sie sind sowohl Mitglied des<br />

Unternehmens als auch jemand der weiß, was in der Welt<br />

draußen vor sich geht. Sie sehen welche ihrer vielen kleinen<br />

Experimente dort funktionieren – und welche nicht.<br />

GABLE: Grant, vielen Dank für dieses sehr anregende Gespräch!


Über die Autoren:<br />

Jonathan Gable<br />

Jonathan Gable ist seit 2009 Managing Director der <strong>BrainJuicer</strong> GmbH, Hamburg. Er ist seit gut 20 Jahren im Marketing und in der<br />

Marktforschung aktiv. Zu seinen früheren Stationen zählen u. a. Colgate-Palmolive, General Mills, Dunkin' Brands und Evo Research.<br />

Seine Schwerpunkte sind Insights, Ideengenerierung, Pretesting und Kundenerlebnisforschung.<br />

Kontakt<br />

Tel: +49 151 2261 5560<br />

E-Mail: jonathan.gable@brainjuicer.com<br />

Web: http://www.brainjuicer.com/<br />

Grant McCracken<br />

Grant McCracken ist Anthropologe und Autor von Büchern wie Culture and Consumption, Plenitude und Chief Culture Officer. Er<br />

war u.a. Dozent an der Harvard Business School und ist jetzt als Forscher am MIT tätig. Er hat schon Unternehmen wie Coca-Cola,<br />

Diageo, IBM, IKEA, Chrysler und Kraft beraten. Sein neues Buch, Culturematic, ist im Mai 2012 erschienen.<br />

Kontakt<br />

E-mail: grant27@gmail.com<br />

Blog: http://cultureby.com<br />

Blog post on the Harvard Business Review: http://blogs.hbr.org/cs/2012/07/every_company_needs_a_second_c.html<br />

Abdruck mit Genehmigung von planung & analyse, Fachzeitschrift für Marktforschung. Deutscher Fachverlag GmbH, Mainzer<br />

Landstraße 251, 60326 Frankfurt am Main, Tel. +49 (0)69 7595-2019, redaktion@planung-analyse.de, http://www.planunganalyse.de

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