05.11.2013 Aufrufe

Johannes Abresch: 1955: Zweierlei Spätheimkehrer. - BGV-Wuppertal

Johannes Abresch: 1955: Zweierlei Spätheimkehrer. - BGV-Wuppertal

Johannes Abresch: 1955: Zweierlei Spätheimkehrer. - BGV-Wuppertal

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

an bei meinen Eltern den Haushalt geführt.<br />

Während der Nazizeit hat sie meiner Mutter<br />

bis zu deren Abtransport und Vergasung beigestanden.<br />

Ich wohnte im Hotel „Kaiserhof“ am Bahnhof<br />

Döppersberg. Dort hatte ich mich mit<br />

Auguste verabredet. Ich war sehr aufgeregt,<br />

die alte Frau nach über 20 Jahren wiederzusehen.<br />

[...] Viele gute Erinnerungen habe ich<br />

an Auguste. [...] Als Studentin bekam ich gelegentlich<br />

ein Wäschepaket, in das Auguste<br />

geschälten Rhabarber eingepackt hatte. [...]<br />

Ein furchtbares Erlebnis war für Auguste der<br />

Selbstmord von Alfred. Sie wohnte damals<br />

noch bei meiner Mutter, als im November<br />

1938 Alfred abgeholt wurde und ins Konzentrationslager<br />

kam. Als er zurückkehrte, versuchte<br />

er, meine Mutter zu überreden, sich<br />

mit ihm zusammen das Leben zu nehmen. Ich<br />

weiß nicht, war es Auguste oder meine<br />

Mutter, die Alfred nachts um zwei Uhr, am<br />

Fensterkreuz hängend, fand. Beide haben ihn<br />

abgeknüpft und am nächsten Tag mit einer<br />

Schubkarre zum jüdischen Friedhof gebracht.<br />

Dieses schreckliche Ende hat Auguste<br />

bis zu ihrem eigenen Freitod vorgeschwebt.<br />

Sie nahm sich, als sie Mitte Siebzig war und<br />

ganz allein und verlassen in Ronsdorf<br />

wohnte, nachdem sie während des 2. Weltkrieges<br />

und in der Nachkriegszeit ihren<br />

erblindeten Vater betreut, das Leben, genau<br />

so, wie Alfred es gemacht hatte.<br />

In diesen Tagen, in denen ich Elberfeld<br />

nach 22 Jahren wiedersah, standen auf den<br />

Straßen Opferschalen mit ewigem Feuer zu<br />

Ehren derjenigen Deutschen, die zehn Jahre<br />

nach Kriegsende aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft<br />

entlassen waren. Viele von<br />

den Heimkehrern waren 16 Jahre nicht mehr<br />

zu Hause gewesen. Ihre Familie hatte auf sie<br />

gewartet oder auch nicht. Wenn man nach so<br />

langer Zeit zurückkehrt, so ist das meist eine<br />

Tragödie. Sicherlich gab es unter ihnen<br />

Verbrecher, die in der Sowjetunion und in Polen<br />

grauenhaftes Unheil angerichtet hatten.<br />

Sicher waren darunter solche, denen ein<br />

Prozeß wegen Kriegsverbrechen bevorstand.<br />

Aber, das weiß ich heute, es gab darunter<br />

auch Männer, die in der Kriegsgefangenschaft<br />

umgelernt hatten. Und trotzdem war<br />

es für mich, die ich mich bemüht hatte, an die<br />

Umerziehung der Menschen fest zu glauben,<br />

ein Schock, diese Verherrlichung durch die<br />

Elberfelder Bürger mitzuerleben. Aber ich<br />

müßte lügen und ich würde mich selber überschätzen<br />

oder zu positiv darstellen, wenn ich<br />

damals in Elberfeld nicht empört gewesen<br />

wäre. An diesen Tagen war ich besonders<br />

empfindlich, weil ich erneut gelitten habe<br />

durch die Erinnerung an die schlimmen Ereignisse:<br />

Am 1. April 1933 Boykott jüdischer<br />

Geschäfte u. a. m. – am 3. Dezember 1936<br />

Beisetzung meines Vaters – am 9. November<br />

1938 „Kristallnacht“ – am 8. Dezember<br />

1938 Selbstmord meines Bruders – am 22.<br />

Juni 1941 Überfall auf die Sowjetunion –<br />

und am 16. November 1941 Abtransport meiner<br />

Mutter. So kam es, daß ich die „geehrten“<br />

Heimkehrer für mein persönliches Leid<br />

und für das Leid aller betroffenen Menschen<br />

verantwortlich machte. Theoretisch wußte<br />

ich, es galt zu differenzieren. Nicht alle durften<br />

über einen Kamm geschoren werden. Unsere<br />

Aufgabe war es, eine geduldige Überzeugungsarbeit<br />

zu leisten auch unter denen,<br />

die unter Duldung der Besatzungsmacht<br />

Helden des Raubkrieges verherrlichten, sie<br />

also als Herren empfingen. Es wäre unehrlich,<br />

wenn ich nicht zugeben würde, was ich<br />

damals fühlte. Es kam zunächst bei mir eine<br />

furchtbare Wut auf, eine Wut auch über die<br />

Besatzungsmacht, die die Huldigung dieser<br />

aus der Gefangenschaft Entlassenen duldete.<br />

Von Dezember 1946 bis Sommer <strong>1955</strong> hatte<br />

ich bei der Erziehung junger Menschen und<br />

bei der Umerziehung derjenigen, die 1000<br />

Jahre mitmarschiert waren, aus tiefer Überzeugung<br />

teilgenommen. Ich weiß heute nicht<br />

nur, daß viele sich geändert haben, daß sie<br />

selber zu leiden und manche sogar Gewissensbisse<br />

hatten. Aber ich weiß auch, daß<br />

einige von ihnen die sowjetisch besetzte<br />

Zone, später die DDR verließen, und eine<br />

aktive Rolle als Neofaschisten spielen. Ich<br />

war damals zutiefst und ganz persönlich als<br />

Elberfelder Antifaschistin gekränkt. Wenn ich<br />

glaubte, meinen Haß bewältigt zu haben, so<br />

zeigten mir meine Gefühle beim Anblick der<br />

112

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!