Johannes Abresch: 1955: Zweierlei Spätheimkehrer. - BGV-Wuppertal
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an bei meinen Eltern den Haushalt geführt.<br />
Während der Nazizeit hat sie meiner Mutter<br />
bis zu deren Abtransport und Vergasung beigestanden.<br />
Ich wohnte im Hotel „Kaiserhof“ am Bahnhof<br />
Döppersberg. Dort hatte ich mich mit<br />
Auguste verabredet. Ich war sehr aufgeregt,<br />
die alte Frau nach über 20 Jahren wiederzusehen.<br />
[...] Viele gute Erinnerungen habe ich<br />
an Auguste. [...] Als Studentin bekam ich gelegentlich<br />
ein Wäschepaket, in das Auguste<br />
geschälten Rhabarber eingepackt hatte. [...]<br />
Ein furchtbares Erlebnis war für Auguste der<br />
Selbstmord von Alfred. Sie wohnte damals<br />
noch bei meiner Mutter, als im November<br />
1938 Alfred abgeholt wurde und ins Konzentrationslager<br />
kam. Als er zurückkehrte, versuchte<br />
er, meine Mutter zu überreden, sich<br />
mit ihm zusammen das Leben zu nehmen. Ich<br />
weiß nicht, war es Auguste oder meine<br />
Mutter, die Alfred nachts um zwei Uhr, am<br />
Fensterkreuz hängend, fand. Beide haben ihn<br />
abgeknüpft und am nächsten Tag mit einer<br />
Schubkarre zum jüdischen Friedhof gebracht.<br />
Dieses schreckliche Ende hat Auguste<br />
bis zu ihrem eigenen Freitod vorgeschwebt.<br />
Sie nahm sich, als sie Mitte Siebzig war und<br />
ganz allein und verlassen in Ronsdorf<br />
wohnte, nachdem sie während des 2. Weltkrieges<br />
und in der Nachkriegszeit ihren<br />
erblindeten Vater betreut, das Leben, genau<br />
so, wie Alfred es gemacht hatte.<br />
In diesen Tagen, in denen ich Elberfeld<br />
nach 22 Jahren wiedersah, standen auf den<br />
Straßen Opferschalen mit ewigem Feuer zu<br />
Ehren derjenigen Deutschen, die zehn Jahre<br />
nach Kriegsende aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft<br />
entlassen waren. Viele von<br />
den Heimkehrern waren 16 Jahre nicht mehr<br />
zu Hause gewesen. Ihre Familie hatte auf sie<br />
gewartet oder auch nicht. Wenn man nach so<br />
langer Zeit zurückkehrt, so ist das meist eine<br />
Tragödie. Sicherlich gab es unter ihnen<br />
Verbrecher, die in der Sowjetunion und in Polen<br />
grauenhaftes Unheil angerichtet hatten.<br />
Sicher waren darunter solche, denen ein<br />
Prozeß wegen Kriegsverbrechen bevorstand.<br />
Aber, das weiß ich heute, es gab darunter<br />
auch Männer, die in der Kriegsgefangenschaft<br />
umgelernt hatten. Und trotzdem war<br />
es für mich, die ich mich bemüht hatte, an die<br />
Umerziehung der Menschen fest zu glauben,<br />
ein Schock, diese Verherrlichung durch die<br />
Elberfelder Bürger mitzuerleben. Aber ich<br />
müßte lügen und ich würde mich selber überschätzen<br />
oder zu positiv darstellen, wenn ich<br />
damals in Elberfeld nicht empört gewesen<br />
wäre. An diesen Tagen war ich besonders<br />
empfindlich, weil ich erneut gelitten habe<br />
durch die Erinnerung an die schlimmen Ereignisse:<br />
Am 1. April 1933 Boykott jüdischer<br />
Geschäfte u. a. m. – am 3. Dezember 1936<br />
Beisetzung meines Vaters – am 9. November<br />
1938 „Kristallnacht“ – am 8. Dezember<br />
1938 Selbstmord meines Bruders – am 22.<br />
Juni 1941 Überfall auf die Sowjetunion –<br />
und am 16. November 1941 Abtransport meiner<br />
Mutter. So kam es, daß ich die „geehrten“<br />
Heimkehrer für mein persönliches Leid<br />
und für das Leid aller betroffenen Menschen<br />
verantwortlich machte. Theoretisch wußte<br />
ich, es galt zu differenzieren. Nicht alle durften<br />
über einen Kamm geschoren werden. Unsere<br />
Aufgabe war es, eine geduldige Überzeugungsarbeit<br />
zu leisten auch unter denen,<br />
die unter Duldung der Besatzungsmacht<br />
Helden des Raubkrieges verherrlichten, sie<br />
also als Herren empfingen. Es wäre unehrlich,<br />
wenn ich nicht zugeben würde, was ich<br />
damals fühlte. Es kam zunächst bei mir eine<br />
furchtbare Wut auf, eine Wut auch über die<br />
Besatzungsmacht, die die Huldigung dieser<br />
aus der Gefangenschaft Entlassenen duldete.<br />
Von Dezember 1946 bis Sommer <strong>1955</strong> hatte<br />
ich bei der Erziehung junger Menschen und<br />
bei der Umerziehung derjenigen, die 1000<br />
Jahre mitmarschiert waren, aus tiefer Überzeugung<br />
teilgenommen. Ich weiß heute nicht<br />
nur, daß viele sich geändert haben, daß sie<br />
selber zu leiden und manche sogar Gewissensbisse<br />
hatten. Aber ich weiß auch, daß<br />
einige von ihnen die sowjetisch besetzte<br />
Zone, später die DDR verließen, und eine<br />
aktive Rolle als Neofaschisten spielen. Ich<br />
war damals zutiefst und ganz persönlich als<br />
Elberfelder Antifaschistin gekränkt. Wenn ich<br />
glaubte, meinen Haß bewältigt zu haben, so<br />
zeigten mir meine Gefühle beim Anblick der<br />
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