Hexers kücHe - Stefan Wiesner
Hexers kücHe - Stefan Wiesner
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Text: Jörg Ruppelt<br />
Des<br />
<strong>Hexers</strong><br />
neue<br />
küche<br />
Bilder: Christoph Läser<br />
Es flammt, es zischt, es dampft.<br />
<strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong>, der Hexer aus Escholzmatt,<br />
ist wieder in seinem Element. Oder besser<br />
gesagt: in sechs Elementen.
Hexer <strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong> (m.),<br />
seine rechte Hand Sebastian Titz (l.) und Zauberin Rebecca Clopath (r.).<br />
A<br />
lles begann mit einer kurzen<br />
Anfrage. Eine von vielen, die<br />
<strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong>, der Avantgardist<br />
unter den Schweizer<br />
Spitzenköchen, in den vergangenen<br />
Monaten via Mail erhalten hat. Nach Erscheinen<br />
seines jüngsten Kochbuchs namens<br />
«Avantgardistische Naturküche»<br />
im Herbst 2011 und nachfolgenden begeisterten<br />
Besprechungen, unter anderem<br />
in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung,<br />
der Süddeutschen Zeitung sowie<br />
Aufzeichnungen für diverse deutsche<br />
Fernsehsender, sei ein regelrechter Mail-<br />
Sturm aufgezogen. «Super.<br />
Und ja, schmeichelhaft»,<br />
gibt <strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong><br />
unumwunden zu. Nur<br />
könne man eben aus Zeitgründen<br />
nicht auf jede<br />
Anfrage antworten.<br />
Also blieb auch jene<br />
schüchterne einer deutschen<br />
Studentin im Frühjahr<br />
dieses Jahr unbeantwortet.<br />
Zunächst<br />
ein mal. Später, nachdem<br />
die junge Frau hartnäckig<br />
nachfasste und mit <strong>Stefan</strong><br />
<strong>Wiesner</strong> telefonierte,<br />
stellte sich beim Hexer<br />
ein gewisses Interesse ein.<br />
Neugierig wie er ist, hakte<br />
er nach und liess sich begeistern.<br />
Das passiert immer<br />
dann, wenn es um jenen<br />
Stoff geht, aus dem er<br />
seit Jahren Ideen für seine<br />
Naturküche zieht: Anthroposophie<br />
und Spagyrik<br />
(Begriff für die pharmazeutische<br />
und therapeutische<br />
Umsetzung der Alchemie).<br />
Oder anders ausgedrückt, wenn<br />
nur der Hauch einer Chance besteht, für<br />
neue, spannende Rezepte wieder einmal<br />
Allianzen mit Fachleuten aus anderen<br />
Sparten wie Drogisten, Förster, Archäologen<br />
und Foodhunter schmieden zu<br />
können, dann ist der Hexer dabei. Und<br />
diese Möglichkeit offerierte ihm nun<br />
plötzlich diese junge Frau, die sich ihm<br />
als Carmen Ludwig, Studentin für Modedesign<br />
im sechsten Semester an der<br />
Hochschule für Gestaltung in Pforzheim,<br />
vorstellte. Mit Vivienne Westwood und<br />
Alexander McQueen habe sie in London<br />
gearbeitet. Und nun sei sie an einer Aufgabe<br />
im Rahmen eines Medienkurses für<br />
audiovisuelle Anwendungen dran. Titel<br />
des Projekts: «Die vier Elemente nach<br />
Empedokles und Aristoteles.» Konkret<br />
gehe es, so erklärte sie es <strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong>,<br />
um die Verknüpfung der vier Elemente<br />
Feuer, Wasser, Erde und Luft mit vier<br />
Temperamenten einerseits und der Bedeutung<br />
der Elementarlehre in der Kräuterheilkunde<br />
andererseits.<br />
Nun ja, inspiriert worden, ihm zu<br />
schreiben, sei sie durch einen Fernsehbeitrag<br />
auf Pro7, in dem er, der Hexer,<br />
aus allen möglichen und scheinbar unmöglichen<br />
Zutaten atemberaubende Menüs<br />
zaubere. Speisen, die nicht nur geschmacklich<br />
eine Entdeckungsreise für<br />
feinspürige Gaumen sein müssen, sondern<br />
auch einen optisch ästhetischen Anspruch<br />
zu erfüllen vermögen. Und nun<br />
die Idee und gleich die Frage: Könne man<br />
ein Gourmetmenü kreieren, in dem die<br />
vier Elemente mit den dazugehörenden<br />
Temperamenten die bestimmende Rolle<br />
spielen? Man könne, beschied ihr <strong>Stefan</strong><br />
<strong>Wiesner</strong>, fasziniert von der Idee. Nur<br />
müsse sie ein wenig vorschaffen. Zum<br />
Beispiel eine Liste mit Lebensmitteln erstellen.<br />
Produkte also, die für Holz, Wasser,<br />
Erde und Luft stehen und welche die<br />
Temperamente verstärken.<br />
Und so entwickelten <strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong><br />
und seine talentierten Köche Sebastian<br />
Titz (seit gut vier Jahren im Hexer-<br />
Team) und Rebecca Clopath (ehemaliges<br />
Mitglied der Junioren-Kochnationalmannschaft)<br />
nach Produktvorgaben von<br />
Carmen Ludwig ein Menü. Eine kulinarische<br />
Elemente- und Temperamente-Abfolge,<br />
die nicht nur im Kopf entstanden<br />
und einmal in die Tat umgesetzt<br />
worden ist, sondern wahrhaftig den Gästen<br />
in <strong>Wiesner</strong>s «Rössli» in Escholzmatt<br />
in den Sommermonaten angeboten wurde.<br />
Carmen Ludwigs ursprüngliche Viergang-Idee<br />
erweiterte <strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong> um<br />
zwei Kompositionen auf insgesamt sechs<br />
Gänge. Vier sind dabei<br />
den Elementen Feuer,<br />
Wasser, Erde und Luft<br />
aus der antiken Lehre<br />
gewidmet. Jene also,<br />
welche die Fundamente<br />
der Kräuterheilkunde,<br />
Spagyrik, Astro- und<br />
Humoralmedizin sowie<br />
Anthroposophie bilden.<br />
Ein weiterer Gang<br />
steht für das aus der chinesischen<br />
Lehre stammende<br />
Element Holz.<br />
Gang Nummer sechs ist<br />
ein von <strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong><br />
schon des Öfteren verwendetes<br />
Element: Metall.<br />
Holz und Metall bilden<br />
die Klammer, sind<br />
Ausgangs- und Endpunkt<br />
der kulinarischen<br />
Elemente-Reise.<br />
«Ohne diese zwei<br />
Elemente», so <strong>Stefan</strong><br />
<strong>Wiesner</strong>, «wäre mein<br />
Menü unvollständig.<br />
Denn ohne sie würde es<br />
kein Leben auf der Erde<br />
geben. Wasser und Mineralien nähren<br />
Bäume und Pflanzen, die für das Element<br />
Holz stehen. Durch die Photosynthese<br />
der Bäume entsteht Sauerstoff, also Luft.<br />
Holz und Luft nähren das Feuer, das Feuer<br />
erzeugt Asche und reichert damit die<br />
Erde an. Die Erde transformiert alles und<br />
bringt Erze hervor, die wiederum zur Metallerzeugung<br />
verwendet werden. Wasser<br />
wird mit Mineralstoffen angereichert,<br />
durch Erze und Mineralien. Der Kreislauf<br />
des Lebens entsteht.»<br />
Entdecken Sie auf den folgenden<br />
Seiten <strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong>s fulminanten<br />
Sechsgänger, der sowohl den Elementen<br />
als auch den Temperamenten gewidmet<br />
ist. X<br />
– 13 –
I.<br />
Gang<br />
holz<br />
Hachiertes vom<br />
Sommer-Rehbock, gewürzt<br />
mit pürierten Zwiebeln,<br />
Zitronenbaumblättern<br />
und Nelken<br />
Marinierter Rehrücken<br />
mit Elemi und Sonnenblumenöl<br />
Gekochte und gebratene Gerste<br />
Mit Bourbon-Vanille abgeschmeckte<br />
Gerstensauce<br />
Geröstete<br />
Lärchensamen<br />
Eingelegte<br />
Vogelbeeren<br />
In Meersalz<br />
und Sonnenblumenöl eingelegte<br />
Lärchennadeln<br />
Serviert auf flambiertem<br />
Lärchenholz<br />
Es geht darum, den harzigen, holzigen Geschmack<br />
einzufangen und diesen durch «baumige» Noten zu<br />
untermalen und zu intensivieren. Als Ausgangsbasis<br />
wird eine Lärchenholzschindel angeflämmt,<br />
damit die Aromen und die Harze zur Entfaltung<br />
kommen. Dieser Geschmack soll auf das Haschee<br />
des Sommerbocks übertragen werden. Das Harz<br />
hat eine Zitrusnote. So soll das Haschee auch mit<br />
einem Zitronenbaumblatt gewürzt werden. Holz<br />
steht übriges im Menü als verbindendes Element<br />
und ist die Basis jedes Ganges. Kommentar <strong>Stefan</strong><br />
<strong>Wiesner</strong>: "Wild frisst Rinde, Schwarte, Kambium,<br />
Blätter, Nadeln, Sprossen, Schösslinge, Früchte<br />
und Jungwuchs, Holz ist also im Fleisch."
II.<br />
Gang<br />
Luft<br />
Agria-Kartoffeln,<br />
gegart auf Kohle und Asche von<br />
Pinot Noir-Rebenholz (alte Rebstöcke,<br />
Lage Spiessen, Weinproduzent<br />
Toni Ottiger)<br />
Crème aus Eigelb, Sesamöl und<br />
geröstetem Sesamsamen<br />
Sauce aus Hydrolat (Brennrückstand)<br />
von Pinot-Noir-«Spiessen» und<br />
Weinbrand<br />
Muskatnussbutter aus<br />
Muskatnusswasser, Muskatnussessenz<br />
und Butter<br />
Salz mit gerösteten<br />
Bockshornkleesamen<br />
Bachkresse,<br />
Kapuzinerblütenkresse, frittierter<br />
Rucola<br />
Kalte Luft aus Destillat von gekochten<br />
Kartoffeln, gewürzt mit schwarzer<br />
Pfefferessenz und Trockeneis<br />
Dem Element Luft ist das sanguinische Temperament<br />
zugeordnet. Warm, feucht gasförmig und<br />
aktiv sind seine Charaktereigenschaften. Sein<br />
Geruch ist flüchtig, fein, krautig, mit einer<br />
Kampfer- und Zitrusnote, der Kopfnote in Parfüms.<br />
Sanguiniker fallen durch ihr nervöses Temperament<br />
auf. Hysterie, Hektik sowie neurotische Charakterstrukturen<br />
mit nervösen Ticks prägen ihr Verhalten.<br />
Folgenden Zutaten unterstützen das sanguinische<br />
Temperament und sind dem Element Luft<br />
zugeordnet: Pflanzen mit zarten Blüten wie<br />
Sauerklee, rankende Pflanzen und Pflanzen mit<br />
langem schlanken Stängel, «sanguinische»<br />
Gemüsesorten wie Spargel, Sesam, Pinienkerne,<br />
Kartoffeln, Rucola, Kresse, Brennesselblätter und<br />
Kapuzinerkresse.
III.<br />
Gang<br />
Feuer<br />
Bachsaiblingsfilet, geräuchert<br />
mit Thujaholz, bestrichen mit<br />
Blütenhonig aus dem Hilferntal,<br />
gefüllt mit Saiblingsrogen,<br />
mariniert mit Safran<br />
Fenchelherz, gegart im kalt-getropften<br />
Olivenöl<br />
Feingeschnittener grüner Chili<br />
Kohldistelblättersauce<br />
Berberitzenbeeren, im Wasser gequellt<br />
Ivaschaum aus Iva von der<br />
Moschus-Schafgarbe<br />
(Wildfräuleinkraut)<br />
Lakritzsauce mit Saiblingsfond<br />
Geröstete Fenchelsamen<br />
Feuer aus Absinthe du Val-de-Travers.<br />
Dem Element Feuer ist das cholerische Temperament<br />
zugeordnet. Warm, trocken, brennend und<br />
aktiv sind seine Charaktereigenschaften. Sein<br />
Geruch ist beissend, krautig, würzig, balsamisch<br />
und intensiv, der Geschmack ähnlich scharf,<br />
brennend, bitter, zusammenziehend und warm.<br />
Cholerische Typen zeichnen sich aus durch häufige<br />
Tendenz zur Gewalt, Ungeduld, Jähzorn und<br />
Rücksichtslosigkeit, häufig sind sie extrovertiert.<br />
Die folgenden Zutaten unterstützen das<br />
cholerische Temperament und sind dem Element<br />
Feuer zugeordnet: Pflanzen, die ihr Blattprinzip zu<br />
Nadeln oder Dornen ausgestaltet haben wie z.B.<br />
Berberitze, Disteln und Nadelgehölze oder<br />
Pflanzen mit der Ausbildung von Bitter- bzw.<br />
Scharfstoffen, Fetten und ätherischen Ölen wie<br />
Olive, Rosmarin, Wermut und Pflanzen mit harten<br />
Hölzern wie Zimtrinde, Eiche, Berberitze und Thuja<br />
(Lebensbaum).
IV.<br />
Gang<br />
erde<br />
Kraftbrühe aus Fleisch von<br />
Alpkühen, gefiltert durch<br />
Mooreichen-Holzraspeln,<br />
gewürzt mit Koriandersamen,<br />
gereicht im Kuhhorn,<br />
mit Himbeerblättern und<br />
energiegeladenem Bergkristall<br />
Schaum aus Kollagen der Suppe<br />
Zweijähriger Alpkäse von<br />
der Schlachtalp, mariniert mit<br />
Himbeerblättern, Himbeerkern- und<br />
Traubenkernöl<br />
Geeister Himbeerschaum<br />
Essenz vom Bergkristall, auf das linke<br />
Handgelenk gesprüht<br />
Dem Element Erde ist das melancholische<br />
Temperament zugeordnet. Kalt, fest und passiv<br />
sind seine Charaktereigenschaften. Sein Geruch ist<br />
terpentinhaft, harzig (wie die Fixative in der<br />
Parfümerie), der Geschmack ähnlich süss und<br />
salzig, erdig und modrig.<br />
Melancholische Typen zeichnen sich aus durch ein<br />
introvertiertes, in sich gekehrtes und tiefsinniges<br />
Verhalten mit Hang zu Schwermut.<br />
Die folgenden Zutaten unterstützen das<br />
melancholische Temperament und sind dem<br />
Element Erde zugeordnet: Wurzelpflanzen,<br />
trockene, wasserflüchtende Pflanzen, Rinden,<br />
kriechende, immergrüne und ausdauernde Pflanzen<br />
wie z.B. Farne, Pflanzen, die ein hohes Alter<br />
erreichen und wenig Blüten bilden, wie Flechten.<br />
Betont sind bei diesen Pflanzen die Kieselsäure und<br />
andere Mineralien. Zu den «melancholischen»<br />
Gemüse- und Körnersorten zählen u.a. Eichenrinde,<br />
Isländischmoos, Linsen, Wegerich, grüne<br />
Oliven, Koriander und Petersilie sowie Himbeerblätter.
V.<br />
Gang<br />
wasser<br />
Gesalzener Schweinebauch, mariniert<br />
mit Buttermilch und<br />
Weidenrinde, gekocht im<br />
flüssigen Karamel<br />
Speck, leicht angeflämmt<br />
Schweinsjus aus reinem Schweinefleisch<br />
Nachtkerzenöl<br />
Wassermelone, gegart im eigenen<br />
Jus mit Tamarinde, gebraten, überzogen<br />
mit Pürée aus Wassermelonen<br />
Geröstete Melonenkerne<br />
Hauswurz (Dachwurz), gedünstet<br />
Aprikosen-Chutney (aus getrockneten<br />
Früchten) und Rosenpfeffer<br />
Portulak-Perzipan-Sauce<br />
Dem Element Wasser ist das phlegmatische<br />
Temperament zugeordnet. Feucht, kalt, beweglich<br />
und passiv sind seine Charaktereigenschaften. Sein<br />
Geruch ist durchdringend, muffig, faulig und<br />
schweissig, der Geschmack ähnlich wässerig, fad,<br />
muffig und schleimig.<br />
Phlegmatische Typen zeichnen sich aus durch<br />
Willensschwäche, Unentschlossenheit, Unselbständigkeit<br />
und Ängstlichkeit, häufig sind sie<br />
introvertiert.<br />
Die folgenden Zutaten unterstützen das phlegmatische<br />
Temperament und sind dem Element Wasser<br />
zugeordnet: Pflanzen, die die Bildung von Schleim<br />
unterstützen und Feuchtigkeit spenden: u.a.<br />
Gemüse wie Gurke, Karotten, Kopfsalat oder<br />
Pflanzen mit fleischigen und wasserhaltigen Blättern<br />
wie z.B. Dachwurz, Wassermelone, Wehrmut oder<br />
Agave.
VI.<br />
Gang<br />
metall<br />
Glace aus Stutenmilch, Sauerrahm<br />
und Rost<br />
Brownie mit getrockneten<br />
Steinpilzen und Schokolade<br />
Maracaibo Clasificado 65% (Felchlin)<br />
Trüffelzucker<br />
Haselnusskrokant<br />
Gebackener Sauerampfer<br />
Sauerklee<br />
Süsse Sojasauce<br />
Hagebuttenblüten-Sauce<br />
Das Dessert ist <strong>Stefan</strong> <strong>Wiesner</strong>s Element Metall<br />
gewidmet. «Es ist chlöpfig, es weckt dich auf; es ist<br />
wie ein Glockenschlag. Kurz und kräftig. Mit<br />
metallischem Klang. Die Geschmäcker sind klar<br />
getrennt. Pferd und Grünpflanzen sind eisenhaltig.<br />
Pilze sind stahlig im Mund und nasser Stahl riecht<br />
nach Pilzen.»