Ich will (nicht) mehr! - Schulpsychologie
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Franz Sedlak<br />
<strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Seelische Krisen erkennen und hilfreich handeln.<br />
Bundesministerium für<br />
Unterricht, Kunst und Kultur
Impressum:<br />
Erweiterte Neugestaltung der Broschüre „<strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>“ (BMUKK 2001)<br />
unter Einbeziehung der Broschüre „Erkennen-Beurteilen-Handeln“ (BMUKK 2001).<br />
Autor: MinRat Mag. DDr. FRANZ SEDLAK<br />
Leiter der Abteilung <strong>Schulpsychologie</strong>-Bildungsberatung<br />
im Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK)<br />
Psychotherapeut, Gesundheits- und Klinischer Psychologe, Supervisor<br />
Medieninhaber, Herausgeber, Verleger: BMUKK, 1010 Wien<br />
ISBN: 978-3-85031-128-1<br />
Psychologische Hinweise: Mag. Dr. Karin Sedlak<br />
Korrekturlesung: Mag. Karin Waska<br />
Druck: BMUKK<br />
Gestaltung: Visus Werbeagentur | www.visus.at<br />
Alle Broschüren der <strong>Schulpsychologie</strong>-Bildungsberatung stehen als kostenloser Download<br />
unter www.schulpsychologie.at zur Verfügung.<br />
2
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
VORWORT<br />
Der Titel der vorliegenden Broschüre „<strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!“ ist <strong>nicht</strong> bloß ein Wortspiel.<br />
Wer mit dem Gedanken spielt „<strong>Ich</strong> <strong>will</strong> mir das Leben nehmen!“, meint dahinter meist: „<strong>Ich</strong> <strong>will</strong><br />
mir ein Leben nehmen, das mir <strong>mehr</strong> von dem bietet, was für mich wertvoll und erfüllend ist!“<br />
Lebensüberdruss ist daher ein Hilfeschrei nach <strong>mehr</strong> Anerkennung, <strong>mehr</strong> Kontakt, <strong>mehr</strong> Sinn.<br />
Jede/r kennt Phasen, in denen die Lebensbilanz negativ ausfällt: Wenn man Misserfolge erlitten<br />
hat; wenn man von persönlich wichtigen Menschen enttäuscht oder verletzt worden ist; wenn<br />
man vor sich eine endlose graue Straße sieht, ohne Ziel, ohne wirkliches Weiterkommen...<br />
Jede/r Unternehmensberater/in, Organisator/in, Manager/in weiß: Entscheidungen soll man<br />
<strong>nicht</strong> treffen, wenn man keinen Überblick hat.<br />
Das gilt umso <strong>mehr</strong> für Menschen, die sich in einem seelischen Tief befinden: Wer in eine<br />
Gletscherspalte gerutscht ist, kann den Gipfel <strong>nicht</strong> sehen!<br />
Manchmal kann man sich selbst aus dem Tief emporarbeiten. Manchmal aber ist es so, als<br />
ob alle unsere Kräfte zusammengebrochen wären. Dann brauchen wir andere, die uns helfen.<br />
Helfen kann <strong>nicht</strong> bedeuten, uns selbst in die Gletscherspalte ziehen zu lassen. Wenn unsere<br />
Kräfte als Helfer/innen <strong>nicht</strong> reichen, dann brauchen wir selbst zusätzliche Hilfe.<br />
Die vorliegende Broschüre richtet ihr Augenmerk vor allem auf die Grundbedürfnisse, die für<br />
seelisches Wohlbefinden wesentlich sind, und auf erste Anzeichen dafür, dass diese Bedürfnisse<br />
<strong>nicht</strong> ausreichend erfüllt sind und Gefahr droht.<br />
Wien, im September 2009<br />
Dr. Sedlak<br />
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INHALTSVERZEICHNIS<br />
KAPITEL I: RISIKOFAKTOREN – LEBENSFAKTOREN 6<br />
Drei Grundbedürfnisse 6<br />
Bestrebungen 7<br />
Was versteht man unter Haltlosigkeit, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit? 9<br />
Risikofaktoren, protektive Faktoren, korrektive Erfahrungen 11<br />
Wie zeigen sich die drei Risikofaktoren im Verhalten? 10<br />
Verhaltensbrüche und andere massive Gefahrensignale 12<br />
Wie werden die drei Risikofaktoren in der Kommunikation erkennbar,<br />
wie äußern sich Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit? 13<br />
Wie kommt es zu negativen Gedanken und Leitsprüchen? 14<br />
Formen der Selbstschädigung 14<br />
Den Risikofaktoren stehen Lebensfaktoren gegenüber! 15<br />
Gegen Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit helfen 15<br />
Was bedeuten die Lebensfaktoren genau? 16<br />
Vernetzung, Verhaltensrepertoire 16<br />
Vision 17<br />
Präventive Überlegungen anhand der Lebensfaktoren 18<br />
Die Lebensfaktoren im Spiegel der Internet-Suizidforen 19<br />
Lebensfaktor Vernetzung 19<br />
Lebensfaktor Verhaltensrepertoire 19<br />
Lebensfaktor Vision 20<br />
KAPITEL II:<br />
ÜBERLEGUNGEN ZU MEHR ZWISCHENMENSCHLICHER SENSIBILITÄT<br />
FÜR HILFE IN SCHWIERIGEN SITUATIONEN 22<br />
Eine bewegte Diskussion in der Klasse 22<br />
Gedanken zur Diskussion 31<br />
Wie gehen Psychotherapeut/innen bei aktueller Suizidprävention vor? 33<br />
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Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
KAPITEL III: SUIZIDALITÄT AUS UNTERSCHIEDLICHEN PERSPEKTIVEN 34<br />
Im Umfeld der Suizidalität: Selbstverletzendes Verhalten 34<br />
Affekte und Suizidalität 35<br />
Depression und Suizidalität 36<br />
Depression ist <strong>nicht</strong> mit Trauer gleichzusetzen 36<br />
Wie entstehen Depressionen? 36<br />
Wie fühlen sich depressive Menschen? Was brauchen sie? 37<br />
Angst und Suizidalität 38<br />
Beziehungsängste 38<br />
Leistungsängste 38<br />
Ängste in Entwicklungskrisen - Lebenskrisen 39<br />
Schulängste, normale Angst 39<br />
Aggression und Suizidalität 40<br />
Wie entstehen Aggressionen? Welche Rolle spielen Konflikte? 40<br />
Was bedeutet Konfliktkultur? 41<br />
Traumatisierung und Suizidalität 41<br />
Welche traumatischen Ereignisse gibt es? 42<br />
Was ist wichtig im unmittelbaren Nahbereich? 42<br />
Einige wichtige Regeln für Kurzinterventionen 43<br />
Was soll durch Intervention erreicht werden? 43<br />
Wohlfühlprogramme 44<br />
Helfende Maßnahmen für Opfer von Katastrophen 45<br />
Mobbing und Suizidalität 46<br />
Sterbebegleitung und Suizidalität 47<br />
Persönlichkeitsstörungen und Suizidalität 47<br />
Wie formt sich die Persönlichkeit? 48<br />
Der Zusammenhang mit Suizidalität 48<br />
Negative Zukunftsszenarien und Suizidalität 49<br />
Selbstmord ist keine „Krankheit“ 50<br />
Literaturbeispiele für Themen im Zusammenhang mit Suizidalität 52<br />
Schlusswort 54<br />
DIE SCHULPSYCHOLOGIE IM BMUKK UND IN DEN BUNDESLÄNDERN 55<br />
HILFREICHE KONTAKTE UND HOTLINES 56<br />
5
Kapitel I<br />
RISIKOFAKTOREN – LEBENSFAKTOREN<br />
Hinter jedem „<strong>Ich</strong> <strong>will</strong> <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong>!“ steckt ein „<strong>Ich</strong> <strong>will</strong> <strong>mehr</strong>!“,<br />
denn jeder Mensch hat …<br />
… drei Grundbedürfnisse:<br />
• Menschen um sich zu haben, die man lieben kann, und auch selber geliebt zu werden,<br />
einen verlässlichen Freundeskreis zu besitzen.<br />
• Fähig zu sein, anerkannt zu werden, gebraucht zu werden, gesund und unabhängig zu<br />
sein, Probleme lösen zu können.<br />
• Sich weiter zu entwickeln, ein ausgefülltes Leben zu führen, einen Inhalt im Leben sehen<br />
zu können, inneren Frieden zu finden.<br />
Jeder Säugling braucht das Gefühl, <strong>will</strong>kommen zu sein, braucht Sicherheit, Nestwärme,<br />
Geborgenheit, den Schutz einer verlässlichen Umwelt, Aufmerksamkeit, Bewunderung - im<br />
Glanz der ihn anblickenden Augen der Mutter erkennt sich der Säugling als selbst wertvoll<br />
und wertgeschätzt. Es ist eine Welt, die stimmige Antworten auf seine Fragen gibt, passende<br />
Resonanz zeigt.<br />
Bald aber kommt ein zweites Bedürfnis dazu, vielleicht ist es schon von Anfang an da: Das<br />
Bedürfnis nach Selbstständigkeit, Selbstwirksamkeit - es selbst machen und alleine machen,<br />
das Bedürfnis nach Durchsetzungsfähigkeit, Leistungsfähigkeit, Erfolg und Effektivität. Auf dem<br />
Boden positiver Erfahrungen wächst Selbstvertrauen, mit dem Initiativen ergriffen werden.<br />
Und dann gibt es noch die Menschen, die man bewundert, die man idealisiert, die man nachahmt,<br />
jedes Kleinkind braucht auch Vorbilder, die so sind, wie sie selbst werden möchten. Das ist ein<br />
ganz wichtiger Entwicklungsmotor.<br />
Im Jugendlichenalter sind diese Bedürfnisse <strong>nicht</strong> geringer, sie zeigen sich anders: Die Geborgenheitssuche<br />
wird in der Gleichaltrigengruppe (Peers) gesucht und gefunden; gleichzeitig setzt<br />
auch eine intensive Suche nach sich selbst ein: der eigenen Besonderheit, Persönlichkeit,<br />
Individualität, Identität. Und schließlich gibt es auch Idole, denen man nacheifert, gibt es schon<br />
6
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
<strong>mehr</strong> oder minder konkrete Zukunftsvorstellungen, Pläne, was man werden möchte, wie man<br />
leben möchte.<br />
Diese Grundbedürfnisse nach Gemeinschaft, nach Eigenständigkeit und einem hoffnungsvollen<br />
Erwartungshorizont lassen sich auch in den unterschiedlichen Bedürfnissen Erwachsener<br />
aufspüren. Der Psychologe Thomae 1 beschreibt sieben Bestrebungen des Menschen, die<br />
grundsätzlich gegeben sind bzw. durch ungünstige Konstellationen behindert sein können.<br />
Bestrebungen<br />
1. nach Zukunftsplanung (finales Prinzip)<br />
2. nach Wiedererlangen des inneren Gleichgewichts (homöostatisches Prinzip)<br />
3. nach Anregung, Erlebnisfülle und Horizonterweiterung (innovatives Prinzip)<br />
4. nach Verteidigung, Schutz und Abwehr von inneren oder äußeren Störungen<br />
(defensives Prinzip)<br />
5. nach sozialer Anerkennung und Integration (sozial-integratives Prinzip)<br />
6. nach sozialer Abhebung, Dominanz, Unterscheidung (Individuations-Prinzip)<br />
7. nach Anpassung an Allgemeingültigkeit und Normentsprechung (normatives Prinzip)<br />
Wieder entdecken wir die drei Grundbedürfnisse: Das sozial-integrative Prinzip strebt nach<br />
Gemeinschaft bzw. möchte Einsamkeit und Haltlosigkeit überwinden, als ausgleichende<br />
Gegenpole stehen dabei das Streben nach Besonderheit, das Individuations-Prinzip, und<br />
andererseits nach Normanpassung, das normative Prinzip, einander gegenüber. Das homöostatische<br />
Prinzip und das defensive Prinzip werden bedeutsam, wenn es gilt, sich selbst als fähig<br />
zu erleben bzw. einen sehr labilen inneren Zustand, das Gefühl und Erleben von Hilflosigkeit<br />
zu überwinden. Das finale Prinzip wird wichtig bei der Ausrichtung auf einen Sinnhorizont bzw.<br />
bei der Überwindung von Hoffnungslosigkeit, ebenso das innovative Prinzip (das insbesondere<br />
auch die Leere, Gleichgültigkeit, Langeweile, Unerfülltheit anspricht).<br />
Die drei Grundbedürfnisse können durch pubertäre Entwicklungen verstärkt bzw. verkompliziert<br />
werden, wie dies die Psychologin Juen 2 am jugendlichen egozentrischen Denkmodus demonstriert:<br />
1 Nach Hans Thomae (1968), Das Individuum und seine Welt. Eine Persönlichkeitstheorie. Hogrefe-Verlag<br />
2 Barbara Juen, Institut f. Psychologie d. Universität Innsbruck, Website der <strong>Schulpsychologie</strong> Tirols www.krisenintervention.tsn.at<br />
7
„Jugendliche empfinden sich in ihrem Erleben oft als so einzigartig, dass<br />
daraus ein Gefühl der Entfremdung und Einsamkeit resultieren kann. Noch nie<br />
war jemand so verliebt, glücklich, unglücklich wie der/die Jugendliche. Niemand<br />
kann sein/ihr Empfinden nachvollziehen, schon gar <strong>nicht</strong> Erwachsene. Glück wird<br />
ebenso tief und absolut erlebt wie Schmerz. Im Moment wird daher oft kein<br />
Ausweg aus dem absolut gesetzten Schmerz gesehen. Das macht Jugendliche<br />
besonders anfällig für ‚Kurzschlusshandlungen’.<br />
Der Begriff des imaginären Publikums bezieht sich auf das Phänomen, dass<br />
Jugendliche oft den Eindruck haben, aller Aufmerksamkeit wäre nur auf sie<br />
gerichtet. Dies hängt mit der im Jugendalter erhöhten Selbstaufmerksamkeit<br />
zusammen. Das vorgestellte Publikum wird von Jugendlichen häufig in ihre<br />
Suizidphantasien mit aufgenommen etwa in dem Sinne, dass die Eltern, die<br />
diese oder jene Grenzen setzen, es schon noch bereuen werden, wenn sie dann<br />
am Grab des verstorbenen Jugendlichen stehen. Suizidphantasien vermischen<br />
sich oft mit als lustvoll erlebten Rachephantasien.<br />
Die persönliche Fabel schließlich bezieht sich auf die erhöhte Tendenz<br />
Jugendlicher, sich nach Vorbildern auszurichten. In der persönlichen Fabel<br />
entwerfen Jugendliche ihr Leben bzw. ihre Identität als eine Art „Film“, „Roman“,<br />
oder „Theaterstück“ oft ausgerichtet an Medienvorbildern oder Vorbildern aus<br />
ihrem Bekanntenkreis. Internetforen und andere Möglichkeiten des Austauschs<br />
von Suizidphantasien bekommen vor diesem Hintergrund erhöhte Relevanz.<br />
Besonders spektakuläre oder „publikumswirksame“ Formen des Suizids üben<br />
für Jugendliche einen ganz besonderen Reiz aus. Die Gefahr der Nachahmung<br />
von anderen Suiziden ist besonders hoch.“<br />
Die Ausführungen von Juen differenzieren das Bild der Haltsuche bzw. Haltlosigkeit. Es gibt<br />
nämlich auch eine aus dem überstarken Gefühl der Besonderheit, Einzigartigkeit resultierende<br />
„gewünschte“ Haltlosigkeit, bei der <strong>nicht</strong> so sehr die Umwelt tatsächlich in ihren Kontakt- und<br />
Vernetzungsmöglichkeiten versagt, sondern das Gefühl, als „Unikat“ prinzipiell <strong>nicht</strong> verstanden<br />
werden zu können, übermächtig ist. Ein übermächtiges Streben nach Besonderheit führt dazu,<br />
dass die Offenheit für Beziehung reduziert wird. (Mit anderen Worten: Die drei Grundbedürfnisse<br />
müssen auch in ausgewogener Balance vorhanden sein, Jedes Zuviel eines Bedürfnisses führt<br />
zu einem Zuwenig anderer).<br />
8
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Eine andere Form der Haltlosigkeit - die demonstrierte Abwendung von der Gemeinschaft - ist<br />
offensichtlich die Freude am Schmerz, den man bei den nach dem Selbstmord verbliebenen<br />
Angehörigen und Freunden verursacht. (Aus der Literatur kennen wir die genussvollen Fantasien<br />
und Beobachtungen von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, als sie sich auf einer Insel<br />
verstecken und von allen gesucht werden). Der/die Selbstmörder/in nimmt Rache an den<br />
wichtigen Bezugspersonen, denen Negatives angelastet wird. (Mit anderen Worten: Die lang<br />
entbehrte, vermisste, unzulänglich erhaltene Geborgenheit in der Gemeinschaft wird nun<br />
negiert und in eine oppositionelle Haltung verwandelt).<br />
Die dritte angeführte Eigenschaft des jugendlichen Egozentrismus ist die Orientierung an<br />
suizidalen Vorbildern. Hier gibt es im Gefolge einer inneren Haltlosigkeit eine Haltsuche bei<br />
autoaggressiven Problemlösern und ein Anhalten an destruktive Muster, wie sie in der Literatur<br />
(„Werther-Effekt“) oder in Internetforen und deren „Anleitungen“ vorgegeben werden.<br />
Da diese Bedürfnisse so grundlegend sind, verwundert es <strong>nicht</strong>, dass ihre Nichterfüllung<br />
katastrophale Folgen haben kann:<br />
In eigenen früheren Untersuchungen konnte der Autor feststellen, dass über alle Altersgruppen<br />
hinweg vor allem drei <strong>mehr</strong> oder minder laute „Hilfeschreie“ eine krisenhafte Entwicklung oder<br />
sogar eine Selbstmordgefährdung ankündigen: <strong>Ich</strong> kann mich an niemanden (an)halten, ich<br />
kann mir <strong>nicht</strong> selbst helfen, ich habe <strong>nicht</strong>s zu (er-) hoffen!<br />
Was versteht man unter Haltlosigkeit, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit?<br />
Haltlosigkeit<br />
Darunter versteht man Desintegriertheit (Erleben des Andersseins, Außenseiterseins) mit<br />
teilweiser oder gänzlicher Isolation (Risikofaktor Einsamkeit bei mangelhaften sozialen<br />
Netzen in Peergroup oder Familie);<br />
Haltlosigkeit kann auf Grund mangelnder Kontaktchancen, Kontaktfähigkeit oder Kontaktbereitschaft<br />
und auf Grund von tatsächlichen oder fälschlicherweise selbst zugeschriebenen Mängeln<br />
entstehen und führt unter Umständen zur Abkapselung, zum Kommunikationsabbruch. Dies<br />
ist besonders in Bezug auf Suizidalität oder Sucht gefährdend. Der Mangel an Aufgehobenheit<br />
in den kulturell vorhandenen sozialen Netzen kann aber auch zur Suche nach alternativen<br />
Bindungen führen und damit eine Anfälligkeit für die Gemeinschaftsangebote von bedenklichen<br />
Gruppierungen bewirken.<br />
9
Hilflosigkeit<br />
Darunter ist entweder eine tatsächlich erfahrene oder fälschlicherweise angenommene<br />
Inkompetenz, verbunden mit Misserfolgserwartung zu verstehen.<br />
Dazu gehört das Erleben der Abhängigkeit von anderen, die Unselbstständigkeit in eigenen<br />
Belangen. Chronische Hilflosigkeit führt zur Selbstaufgabe oder unkritischen Überantwortung<br />
an andere und ist besonders in Bezug auf Gruppen(leiter-)hörigkeit gefährdend. Zunehmendes<br />
Erleben der eigenen Effektivitätsverluste (psychologischer Begriff: Mangelnde Kontrollüberzeugung)<br />
kann aber auch zu Betäubung im Suchtverhalten oder zu suizidalen Kurzschlusshandlungen<br />
führen.<br />
Hoffnungslosigkeit<br />
Damit ist eine Verengung der Lebensperspektiven gemeint, die keine Sinnfindung im<br />
schulischen/beruflichen Bereich oder im persönlichen Freizeitbereich zulässt.<br />
Eine depressive bzw. resignative Grundstimmung führt insbesondere zu suizidaler Gefährdung,<br />
kann aber auch für „Verheißungen“ von Gruppierungen anfällig machen oder für die Betäubung<br />
im Suchtverhalten. Wenn man alles hat, aber keinen Sinn im Leben findet, dann bleibt man<br />
unerfüllt und innerlich leer. Reizüberflutung, Sofort-Befriedigung, Konsumdenken – all dies<br />
führt dazu, dass im Vergnügen oder im Besitz vergeblich gesucht wird, was das Leben sinnvoll<br />
macht. Die „No-future-Mentalität“ der Jugend bewirkt, dass nur unmittelbare Ziele angestrebt<br />
werden, die aber auf Dauer <strong>nicht</strong> wirklich erfüllen können.<br />
Wenn diese Grundbedüfnisse so wichtig sind bzw. ihr Fehlen so einschneidende Folgen haben<br />
kann, dann können sozialer Halt in einer Gemeinschaft, Hilfe zur Selbsthilfe und Hoffnung in<br />
Bezug auf die weitere Zukunft als die drei wahrscheinlich wichtigsten Schutzfaktoren gegenüber<br />
Krisen bezeichnet werden.<br />
Warnende Signale bei Mangel an Erfüllung dieser Grundbedürfnisse sind schon in einem<br />
Stadium gegeben, in dem es noch <strong>nicht</strong> zu massiveren Begleiterscheinungen kommt wie<br />
z.B. zu abrupten Verhaltensänderungen (sogenannten Verhaltensknicks) oder zur bekannten<br />
präsuizidalen Einengung des Denkens, Fühlens und Handelns.<br />
10
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Risikofaktoren, protektive Faktoren, korrektive Erfahrungen<br />
Lebensumstände können belastend sein, z.B. starke Bildungsdefizite in der Familie, geringer<br />
sozioökonomischer Lebensstandard, psychische Störungen oder Persönlichkeitsstörungen<br />
in der Familie. Lebensereignisse können sich traumatisch auswirken, z.B. frühe Personenverluste,<br />
Missbrauchserlebnisse, Gewalt. Liegen <strong>mehr</strong>ere Risikofaktoren vor, dann kann<br />
sich die Belastung aufschaukeln, potenzieren. Demgegenüber sind gute Beziehungen zu<br />
Familienmitgliedern, zum umgebenden Milieu, zu Jugendgruppen, gutes und sicheres<br />
Bindungsverhalten schützende Faktoren (gegen Haltlosigkeit), ebenso sind gute Intelligenz,<br />
gute Förderung, ein aktives, robustes Temperament und ein Problemlösungsrepertoire Schutzfaktoren<br />
(gegenüber Hilflosigkeit). Positive Erwartungen und Zukunftsaussichten sind ebenfalls<br />
Schutzfaktoren (gegen Hoffnungslosigkeit).<br />
Korrektive Erfahrungen z.B. in einer Psychotherapie können Fehlentwicklungen aufhalten und<br />
negative Einstellungen aufgrund des Erlebten durch positive Haltungen aufgrund der neuen<br />
Erlebnisse ersetzen helfen.<br />
Es gibt Verhaltenssignale und Kommunikationssignale für die drei wesentlichen Risikofaktoren<br />
Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit.<br />
Wie zeigen sich die drei Risikofaktoren im Verhalten?<br />
Haltlosigkeit<br />
z.B.<br />
• Sich im Zimmer einsperren und stundenlang abkapseln<br />
• Sich ins Bett zurückziehen<br />
• Nicht angesprochen werden wollen<br />
• „Einigeln“<br />
• Abwendung von alten Freunden, Familie und Interessen<br />
• Zuwendung zu subkulturellen Gruppen<br />
• Von zu Hause oder von der Schule davonlaufen<br />
• Änderung der sozialen Stellung im Klassenverband als Außenseiter oder als Versager<br />
11
Hilflosigkeit<br />
z.B.<br />
• Gänzliches Leistungsversagen<br />
• Konzentrations- und Leistungsschwankungen<br />
• Einnässen<br />
Hoffnungslosigkeit<br />
z.B.<br />
• Flucht in eine Traumwelt (z.B. Computerwelt, Internet)<br />
• Alkohol-, Drogen-, Medikamentenmissbrauch<br />
Verhaltensbrüche (plötzliche Veränderungen im Leistungs- und<br />
Kontaktverhalten) und andere massive Gefahrensignale<br />
• Plötzlich auftretende Verhaltensschwierigkeiten<br />
• Abbruch der Schule<br />
• Änderungen im Essverhalten (Appetitlosigkeit, verbunden mit Gewichtsabnahme,<br />
oder umgekehrt Unmäßigkeit beim Essen oft in Form von Attacken)<br />
• Änderung der Alltagsgewohnheiten<br />
• Gezielte oder ungezielte Selbstmorddrohungen<br />
• Gehäuftes Vorkommen von Selbstmorden oder suizidalen Handlungen in der Familie,<br />
in der näheren Umgebung bzw.<br />
• Eigene frühere suizidale Handlungen<br />
• Anzeichen für konkrete Vorstellungen darüber, wie, wann, wo und mit welchen Mitteln<br />
die suizidale Handlung durchgeführt werden soll (z.B. Abschiedsbrief)<br />
Bevor derart massive Signale auftreten, können Äußerungen vorwarnen, die im Folgenden<br />
angeführt werden. Wenn solche Sätze immer häufiger fallen, von Mitschüler(inne)n, Kolleg(inn)en<br />
und wem auch immer, dann ist rasche fachliche Hilfe wichtig, denn es liegt der Verdacht einer<br />
psychischen Krise nahe.<br />
12
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Wie werden die drei Risikofaktoren in der Kommunikation erkennbar,<br />
wie äußern sich Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit?<br />
Eindeutige Signale finden sich in negativen Leitgedanken, die irgendwann auch hörbar werden<br />
– wenn man genügend sensibel dafür ist. Solche Leitgedanken und Leitsprüche sind z.B. bei<br />
Haltlosigkeit<br />
• „<strong>Ich</strong> kann mit mir <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> zurechtkommen!“<br />
• „<strong>Ich</strong> kann mich niemandem anvertrauen!“<br />
• „<strong>Ich</strong> weiß <strong>nicht</strong>, wohin ich gehöre!“<br />
• „Niemand würde es bedauern, wenn ich <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> bin!“<br />
• „<strong>Ich</strong> weiß überhaupt <strong>nicht</strong>, was ich <strong>will</strong>!“<br />
• „<strong>Ich</strong> kann mir selbst <strong>nicht</strong> trauen!“<br />
• „Denen werde ich es zeigen!“<br />
• „Entweder tun die anderen, was ich <strong>will</strong>, oder...“<br />
Hilflosigkeit<br />
• „<strong>Ich</strong> kann <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong>!“<br />
• „<strong>Ich</strong> kann diese Umstände <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> aushalten!“<br />
• „<strong>Ich</strong> muss das tun, weil ich mich sonst <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> wehren kann!“<br />
• „<strong>Ich</strong> sehe keine andere Lösung, weil ich mir sonst <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> helfen kann!“<br />
• „<strong>Ich</strong> kann damit <strong>nicht</strong> fertig werden!“<br />
• „<strong>Ich</strong> kann über diesen Verlust, dieses Versagen... <strong>nicht</strong> hinwegkommen!“<br />
• „<strong>Ich</strong> habe versagt.“<br />
Hoffnungslosigkeit<br />
• „Es hat ohnehin alles keinen Sinn <strong>mehr</strong>!“<br />
• „Das Leben ist wertlos!“<br />
• „Auf so ein Leben pfeif´ ich!“<br />
• „<strong>Ich</strong> kann <strong>nicht</strong>s <strong>mehr</strong> ändern!“<br />
• „Das ganze Leben ist nur ein Spiel - ich lasse es darauf ankommen...!“<br />
• „Wozu das alles...?“<br />
13
Wie kommt es zu diesen negativen Gedanken und Leitsprüchen?<br />
In der Entwicklung jedes Menschen kann es zu einem Verlust des seelischen Gleichgewichts<br />
kommen: Dies bedeutet, dass er durch Situationen oder Ereignisse überfordert ist.Wenn Krisen<br />
<strong>nicht</strong> gemeistert werden können, kann sich die psychische Spannung in (Auto- und Hetero-<br />
)Aggressions- und Kurzschlusshandlungen äußern oder verschiedene Krankheiten auslösen.<br />
Es kann aber auch zum Absacken in Sucht kommen.<br />
Wichtig ist, dass jede „normale“ Entwicklung Krisen enthält, aber man muss zwischen Entwicklungskrisen<br />
und psychischen Krisen unterscheiden.<br />
Entwicklungskrisen fordern die Entscheidungsfähigkeit des Menschen auf der jeweiligen<br />
Entwicklungsstufe voll heraus und fördern die persönliche Reifung. Psychische bzw.<br />
psychosoziale Krisen hingegen sind gegeben, wenn es zu einem Zusammenbruch<br />
(Dekompensation) der eigenen Bewältigungsmöglichkeiten für eine gegebene Situation<br />
kommt. In einer derartigen Krise braucht man daher die Hilfe anderer.<br />
Formen der Selbstschädigung<br />
Wenn ein Mensch erlebt, dass seine Grundbedürfnisse <strong>nicht</strong> erfüllt werden bzw. unerfüllbar<br />
erscheinen, dann kann er oder sie zu extremen „Lösungen“ greifen: Gewalt gegen andere<br />
oder gegen sich selbst. Die Selbstschädigung ist Ausdruck tief empfundener Haltlosigkeit,<br />
Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit, sie kann verschiedene Formen annehmen.<br />
Expert/innen unterscheiden zwischen der Selbsttötung (Suizid), dem Selbstmordversuch<br />
(Parasuizid) und autoaggressiven Gedanken bzw. Handlungen ohne Selbsttötungsabsicht. Es<br />
gibt „weiche“ Methoden und Mittel und „harte“, je nachdem, wie lebensgefährlich sie einzustufen<br />
sind. Wichtig: Alles ernst nehmen! Auch „Aufmerksamkeitserreger“ können tödlich enden! Von<br />
suizidalem Verhalten spricht man, um zu kennzeichnen, dass impulsiv oft Handlungen gesetzt<br />
werden, deren lebensbedrohliches Gefahrenpotential unterschätzt wird. Als schleichenden<br />
Selbstmord bezeichnet man manchmal den Suchtmittelmissbrauch, aber auch ungesunde<br />
Lebensweisen. Als Spiel mit dem Tod und somit möglicherweise latenten Selbstmordwunsch<br />
werden lebensgefährliche Mutproben z.B. Springen von einer Brücke in einen eiskalten Bach,<br />
Klettern auf Bahnwaggons, Komatrinken) angesehen. Dieses aktive Risikoverhalten ist eher bei<br />
männlichen Jugendlichen vorherrschend. Weibliche Jugendliche zeigen manchmal ein <strong>nicht</strong><br />
weniger gefährliches, aber stilleres Risikoverhalten durch überhöhte Schlankheitsansprüche<br />
und einseitige Diäten bis hin zur Magersucht. Im Tangentialbereich des Selbstmordes liegt<br />
selbstverletzendes Verhalten (siehe auch drittes Kapitel).<br />
14
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Den Risikofaktoren stehen Lebensfaktoren gegenüber!<br />
Risikofaktoren<br />
• Haltlosigkeit (= Einsamkeit, tatsächlich bestehend oder subjektiv empfunden)<br />
• Hilflosigkeit (= Verlust der Selbststeuerungskompetenz oder des Vertrauens darin)<br />
• Hoffnungslosigkeit (= Fehlender Sinn- bzw. Erwartungshorizont)<br />
Lebensfaktoren<br />
• Vernetzung (= die Bindung an Personen und Pflichten)<br />
• Verhaltensrepertoire (= der Besitz von persönlichen Ressourcen, Strategien...)<br />
• Vision<br />
(=überlegtes Abschätzen der Zukunftschancen aufgrund der<br />
bisherigen und gegenwärtigen Erfahrungen)<br />
Gegen Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit helfen<br />
VISION:<br />
Nahe und weitere Lebensziele<br />
Drei<br />
Wege zur<br />
Psychohygiene<br />
VERNETZUNG:<br />
Ein gutes soziales Netz<br />
VERHALTENSREPERTOIRE:<br />
Hilfe zur Selbsthilfe<br />
15
Was bedeuten die Lebensfaktoren genau?<br />
Unter „Vernetzung“ ist hier gemeint, dass wir uns anderen Menschen oder bestimmten<br />
Aufgaben gegenüber verbunden und verpflichtet fühlen. Das Wissen, dass andere uns<br />
brauchen bzw. mögen, schützt uns vor Kurzschlusshandlungen.<br />
Es geht hier um Sozialkompetenz, die Fähigkeit, sich eine Nische in der Gesellschaft zu erobern,<br />
in der man geschätzt wird und positive Resonanz erfährt; Vernetzung ist kein Schicksal, sondern<br />
meint die Fähigkeit des Austausches mit anderen, Anerkennung zu erfahren, aber auch<br />
anderen die eigene Wertschätzung zeigen können; anderen Menschen wichtig sein; jemand<br />
sein, der anderen etwas „geben kann“, dessen Gemeinschaft geschätzt wird. Vernetzung ist die<br />
positive Suche nach Verbindendem. Unter Vernetzung können wir auch einordnen: auf positive<br />
Arbeitsbedingungen und ein gutes Beziehungsklima achten; Unterstützung und Hilfe durch<br />
andere erhalten; in die bestehende Gemeinschaft integriert werden (Vereinsamung kann krank<br />
machen. Wir müssen daher darauf achten, dass niemand ausgeschlossen oder isoliert wird);<br />
verfügbare Hilfe in Anspruch nehmen, die zur Aufrechterhaltung des positiven Selbstwertgefühls<br />
und der persönlichen Lebensqualität oder zu deren Wiederherstellung notwendig ist.<br />
Unter „Verhaltensrepertoire“ verstehen wir hier den Besitz an Fähigkeiten, die uns oder<br />
anderen helfen, Situationen zu bewältigen.<br />
Eine ganz wichtige Kraftquelle (Ressource) ist die Erfahrung, dass man schon in ähnlichen<br />
Situationen war und sie überwunden hat. Oft hat man <strong>mehr</strong> Kräfte, als man annimmt. Zu diesem<br />
Lebensfaktor ist auch der Besitz besonderer, individueller Begabungen und Eigenschaften<br />
zu zählen. Es geht hier um Selbstkompetenz, die Fähigkeit, für sich selbst und für andere<br />
hilfreich, kompetent zu handeln, Ziele zu erreichen, Wünsche zu realisieren. Es ist auch die<br />
Fähigkeit der Resilienz: Widerstandsfähigkeit in belastenden Situationen. Unter dem Stichwort<br />
Verhaltensrepertoire können wir auch subsumieren: als Person mit individuellen Fähigkeiten<br />
und Besonderheiten respektiert werden; zu lernen, das heißt aber auch, Fehler machen zu<br />
dürfen (wir sollten einander daher Zeit zum Entwickeln zugestehen und Mut machen, durch<br />
Erfahrungen zu lernen. Perfektionismus und Ungeduld sind Stress-Erzeuger und Krank-<br />
Macher); körperliche und seelische Gesundheit und Handlungsfähigkeit zu erhalten bzw.<br />
anzustreben; das Recht auf persönliche Überzeugungen und das Recht, seinem Gewissen<br />
entsprechend zu handeln, in Anspruch nehmen (wegen unserer Fehlbarkeit sollten wir dabei<br />
unsere Sichtweisen miteinander ausdiskutieren. Die Übereinstimmung mit anderen darf aber<br />
– auch aus psychohygienischen Gründen – niemals auf Kosten der Übereinstimmung mit sich<br />
16
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
selbst gehen); das Recht auf das Vertrauen anderer in die eigenen Problemlösungsfähigkeiten<br />
achten (wo immer möglich, sollten daher die eigenen Begabungen und Ressourcen bei uns und<br />
anderen angeregt und zum Einsatz bei Problemen herausgefordert werden).<br />
„Vision“ heißt hier: Einen Erwartungshorizont vor sich haben, Ziele abstecken, nähere und<br />
weitere. Vision ist die Hoffnung, ohne die jedes Planen sinnlos ist.<br />
Die rosarote Brille ist ebenso falsch wie die ganz dunkle, die nur alles „schwarz sieht“. Es gibt<br />
immer einen Ausweg. Nichts auf der Welt ist 100-prozentig, weder die Freude noch das Leid.<br />
Kein Zustand hält ewig, weder das Glück, noch das Unglück. Wir müssen immer wieder um<br />
unser Wohl und das der anderen kämpfen. Aber es lohnt sich! Mit Vision ist gemeint, dass man<br />
Sinnkompetenz besitzt: Darunter ist die Fähigkeit zu verstehen, sinnvolle Aufgaben zu entdecken<br />
und zu realisieren, sich für eigene oder gemeinsame Ziele zu engagieren. Unter Vision kann<br />
auch verstanden werden, sich persönlich zu entfalten und die eigenen Entwicklungsziele im<br />
Rahmen der gegebenen Möglichkeiten selbst anzupeilen und zu verwirklichen; Vision kann<br />
aber auch das Zukunftsleitbild einer Gemeinschaft sein, die gemeinsame Entwicklung betreffen<br />
(Koevolution).<br />
Die Risikofaktoren beginnen alle mit dem Buchstaben H. (Man kann sich das leicht merken:<br />
Das H symbolisiert einerseits eine Haltung, die man im Zustand der Bedrohung einnimmt,<br />
nämlich „Hände-hoch“: Haltlosigkeit, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit.)<br />
Die Lebensfaktoren 3 , die den Risikofaktoren entgegenwirken, beginnen alle mit dem Buchstaben<br />
V. (Auch das lässt sich leicht merken: Wir machen mit Mittel- und Zeigefinger ein V,<br />
wenn uns etwas gelungen ist - das „Victory-Zeichen“).<br />
Diese Lebensfaktoren sind <strong>nicht</strong> nur Gegenpole zu den angeführten Risikofaktoren, sondern<br />
wesentlich für das persönliche Wohlbefinden.<br />
Die Erklärungen enthalten viele Bezeichnungsmöglichkeiten für die drei Lebensfaktoren.<br />
Zusätzlich kann man statt „Vernetzung“ etwa sagen: Geborgenheit, Halt, Bindung, Schutz,<br />
Festigung, Vereinigung, Interaktion, Zusammenspiel, Gemeinschaft, …; anstelle von „Verhaltensrepertoire“<br />
sind folgende Begriffe möglich: Bewältigungsfähigkeit, Selbsthilfe, Zugkraft, Wissen,<br />
Kapazität, …; und anstelle von „Vision“ wären die Begriffe Hoffnung, Offenheit für Neues, positive<br />
Haltung gegenüber Wandlung, Lichtblick, Zuversicht, „Silberstreif am Horizont“ usw. denkbare<br />
Synonyme.<br />
3 Expert/innen sprechen von „protektiven“ (schützenden) Faktoren, aber auch von „Lebenskompetenzen“.<br />
Im Begriff „Lebensfaktor“ steckt beides.<br />
17
Präventive Überlegungen anhand der Lebensfaktoren<br />
Das klingt so einfach: Man nehme einen Risikofaktor und setze ihm den entsprechenden<br />
Lebensfaktor entgegen. Also der Einsamkeit die Gemeinschaft, der Hilflosigkeit die Fähigkeit,<br />
der Hoffnungslosigkeit ein sinnhaftes Ziel.<br />
So einfach ist es natürlich <strong>nicht</strong>. Vor allem <strong>nicht</strong> mitten in einer Krise. Da sind wir auf andere<br />
angewiesen. Aber warum erst auf eine Krise warten? Wenn man weiß, worauf es ankommt.<br />
Der Sinn des bisher Gesagten liegt darin, dass man rechtzeitig vorbeugt – bei sich und<br />
anderen.Wenn man weiß, dass Einsamkeit zu Haltlosigkeit führen kann – dann hilft uns<br />
rechtzeitige Sorge für einen Freundeskreis. Oder wenn wir rechtzeitig bemerken, dass<br />
jemand Außenseiter ist und darüber unglücklich ist – dann können wir rechtzeitig Kontakt<br />
anbieten und der Krise entgegensteuern.<br />
Auch die Hilflosigkeit ist kein unabwendbares Schicksal: Die Fähigkeit, Probleme zu lösen,<br />
hängt <strong>nicht</strong> allein von der Intelligenz ab, sondern vor allem davon, ob man richtige Strategien<br />
erlernt hat. Man kann Problemlösen üben und die Fähigkeit dazu entwickeln und steigern.<br />
Oder wenn man weiß, dass Hoffnungslosigkeit „lebens“gefährlich ist – dann kann man rechtzeitig<br />
für sinnvolle Zielsetzungen sorgen. Der Sinn fliegt uns <strong>nicht</strong> zu wie im Schlaraffenland die<br />
gebratenen Hühner. Wir müssen uns für etwas aufschließen, engagieren und durch unseren<br />
Einsatz, unseren Zeitaufwand wird die gewählte Sache immer wichtiger für uns.<br />
Das bedeutet: Gegen jeden Risikofaktor sollte ein Gegengewicht in Form des Lebensfaktors<br />
gesetzt werden! Gegen die Haltlosigkeit die Vernetzung, d.h. die Bindung gegenüber<br />
einer Gemeinschaft, gegen Hilflosigkeit das Vertrauen in das eigene Problemlösungs-<br />
Verhaltensrepertoire. Und gegen Hoffnungslosigkeit die Vision in Form des offenen Nachdenkens<br />
über zukünftige Chancen, Aufgabenstellungen, Sinnmöglichkeiten.<br />
Selbstverständlich könnte man noch weitere seelische Risikofaktoren und Lebensfaktoren<br />
anführen, die persönlich wichtig sind. Aber Überwindung von Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und<br />
Hoffnungslosigkeit waren in Untersuchungen des Autors in den Antworten von Kindern,<br />
Jugendlichen und Erwachsenen auf die Frage nach den wichtigsten seelischen Lebensbedürfnissen<br />
die drei am meisten erwähnten.<br />
18
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Die Lebensfaktoren im Spiegel der Internet–Suizidforen<br />
Im Internet findet man immer häufiger sogenannte Suizidforen, in denen sich jeder zur Frage<br />
Selbstmord oder Weiterleben äußern kann. Darunter finden sich viele unterschiedlich wertvolle<br />
Meinungen. Man muss Streu von Weizen sondern. Andererseits sind diese Äußerungen ein<br />
guter Spiegel für die Bedeutung der Lebensfaktoren. Im Folgenden werden die Originalzitate<br />
ausschnittsweise wiedergegeben.<br />
Lebensfaktor Vernetzung<br />
„<strong>Ich</strong> habe das Gefühl, ganz alleine auf der Welt zu sein, ganz allein mit meinen Gedanken,<br />
meinen Schmerzen und der Dunkelheit.<br />
Eine grenzenlose Einsamkeit, die mir den Atem nimmt und die ganz einfach nur weh tut. <strong>Ich</strong><br />
<strong>will</strong> am liebsten nur reden, reden, reden...“<br />
Dieses Beispiel zeigt die Wichtigkeit von Kontakt, von Mitteilungsmöglichkeiten.<br />
Anmerkung: Große statistische Untersuchungen beweisen, dass Menschen ohne sozialen Halt<br />
eher gefährdet sind, psychisch krank zu werden.<br />
„Die Verwandten sind mir eigentlich relativ egal, von ihnen habe ich <strong>nicht</strong> das bekommen, was<br />
ich mir erwünscht hatte.<br />
Aber die Frau, die ich liebe (und die mich liebt), ihr <strong>will</strong> ich <strong>nicht</strong> diesen Schmerz antun (zumal<br />
sie sich 100% die Schuld geben wird, auch wenn ich in meinem Abschiedsbrief schreiben würde,<br />
es hätte <strong>nicht</strong>s mit ihr zu tun...)“<br />
Hier zeigt sich der Lebensfaktor Vernetzung (die Bindung an Personen und Pflichten) in voller<br />
Stärke: Wer sich anderen Menschen verbunden weiß, wer Antworten von anderen erhält, der<br />
fühlt auch Verantwortung für sich und die anderen. Eine Vernetzung, die am Leben erhält.<br />
Lebensfaktor Verhaltensrepertoire<br />
„Vielleicht ist das Leben ein Spiel.<br />
Und ich werde wohl aufgeben.<br />
Dann habe ich eben verloren.<br />
Vielleicht habe ich das nächste Mal bessere Karten...“<br />
„Du kannst dich <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> davor schützen... bist machtlos... es geschieht automatisch... du<br />
hast resigniert... dich damit abgefunden...“<br />
„Sag mir doch, was ich tun kann...“<br />
19
In diesen kurzen Beispielen zeigt sich die empfundene Hilflosigkeit. Was kann man als<br />
Verhaltensrepertoire (Besitz von persönlichen Ressourcen, Strategien) dagegen setzen? Wichtig<br />
ist der Hinweis auf die vielleicht verborgenen, aber vorhandenen Kraftquellen (Ressourcen):<br />
Was hilft mir jetzt? Was kann ich einsetzen? Was hat mir bisher geholfen? Wer kann mir<br />
helfen?<br />
In schweren psychischen Krisen erleben wir uns allerdings unfähig, machtlos. Hier bedarf es<br />
der Hilfe von außen: Freund/innen, Kolleg/innen, Familienangehörige, Beratungslehrer/innen,<br />
Psycholog/innen, Psychotherapeut/innen ...<br />
Anmerkung: Besonders dramatisch wird die Hilflosigkeit während und nach traumatischen<br />
(erschütternden) Erlebnissen empfunden. Dies zeigt sich im „posttraumatischen Belastungssyndrom“.<br />
Lebensfaktor Vision<br />
„... Das Leben ist Scheiße. <strong>Ich</strong> finde keinen Sinn darin...“<br />
„Das Leben hasst mich, die Liebe hasst mich! Was macht das alles noch für einen Sinn?...“<br />
„Taucht ein in die düstere, apokalyptische Welt der menschlichen Abgründe...<br />
Weil die Suche nach dem Rätsel der Welt sich als Seifenblase entpuppt?“<br />
Ohne Hoffnung sein bewirkt erwiesenermaßen seelische Abstumpfung oder Verzweiflung.<br />
„Wieso denken, dass der Tod der einzige Ausweg ist?<br />
<strong>Ich</strong> meine, was ist, wenn der Tod noch schlimmer ist als das Leben? ...<br />
Was macht man, wenn man den Selbstmord überlebt und dann als Krüppel im Rollstuhl sitzt<br />
und dann leben muss... Bringt man sich selber um, dann verliert man...“ „ Ja, wir verneigen uns<br />
<strong>nicht</strong> vor dem Tod, wir hauen ihm eins in die Fresse und sagen – es geht weiter!“<br />
Der Lebensfaktor Vision (die angemessene Einschätzung und das richtige Abwägen von Positiva<br />
und Negativa von gegenwärtigen, vergangenen oder zukünftigen Ereignissen) hilft uns, Tiefs zu<br />
überwinden.<br />
20
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
HILF MEINEM HELFEN<br />
<strong>Ich</strong> brauche Hilfe.<br />
<strong>Ich</strong> brauche Halt.<br />
<strong>Ich</strong> brauche Hoffnung.<br />
Hilf mir, ich brauche Halt.<br />
Halt mich, ich brauche Hoffnung.<br />
Gib mir die Hoffnung, die hilft.<br />
Halt mich,<br />
damit ich den Hilflosen Hoffnung geben kann.<br />
Hilf mir,<br />
damit ich die Hoffnungslosen halten kann.<br />
Gib mir die Hoffnung,<br />
damit ich den Haltlosen helfen kann.<br />
Franz Sedlak<br />
21
KAPITEL II<br />
Überlegungen zu <strong>mehr</strong> zwischenmenschlicher Sensibilität<br />
für Hilfe in schwierigen Situationen<br />
Im Alltag gibt es viele Situationen, in denen es wichtig ist, richtig zu reagieren. Das kann in der<br />
Schule sein, in der Freizeit, auf der Straße, in einem Gebäude… Dazu ist es notwendig, dass<br />
wir aufmerksamer werden, um zu erkennen, wenn eine Situation eine besonders gefährliche<br />
ist, sei dies bei Selbstmordgefährdung oder bei anderen Gefahrensituationen. Dazu ist weiters<br />
notwendig, dass wir richtig beurteilen, was in diesem Fall das Beste ist. Und schließIich ist dazu<br />
notwendig, dass wir, wo es möglich und sinnvoll ist, auch handeln!<br />
Die Diskussion in einer Schulklasse wird hier protokolliert, weil sie viele einschlägige Fragen<br />
aufwirft, sowie Impulse und praxisorientierte Anregungen vermittelt und zur Thematisierung<br />
unter Schülerinnen und Schülern herangezogen werden kann. D.h. man könnte in einer Klasse<br />
oder Arbeitsgruppe die Diskussion mit verteilten Rollen lesen und damit lebendig werden<br />
lassen. Denn nach dem Lesen werden sicher einige Fragen zur eigenen Diskussion anregen.<br />
Man kann als Anker auch die einzelnen als Überschriften hervorgehobenen Fragen einsetzen.<br />
Um die Lebendigkeit der Diskussion <strong>nicht</strong> zu beeinträchtigen, ließ der Lehrer die assoziativ<br />
erfolgten Beiträge zu, um eine Fülle von Diskussionsmaterial zu erarbeiten. Danach war es<br />
freilich notwendig, die Ergebnisse zu strukturieren. Ein Vorschlag dazu wird am Ende des<br />
Kapitels eingebracht.<br />
Eine bewegte Diskussion in der Klasse<br />
Marvin: Erst unlängst hat man im Fernsehen gesehen, wie jemand einen Herzanfall erlitten hat<br />
und auf der Straße gelegen ist, und niemand hat ihm geholfen, alle sind vorbei marschiert! Er<br />
war komplett hilflos.<br />
Helga: <strong>Ich</strong> habe einmaI etwas Ähnliches gehört, einer jungen Frau ist schlecht geworden. Sie<br />
ist zusammengebrochen und dabei auf ihre Einkaufstasche gefallen, leider hat der gute Likör,<br />
den sie eingekauft hat, das <strong>nicht</strong> überstanden. Und wisst ihr, was passiert ist? Die Leute sind<br />
22
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
an ihr vorbei gegangen und haben geschimpft, weil so eine junge Frau nach Schnaps riechend<br />
da am Boden liegt, und das schon am frühen Morgen! Wer sich selbst in so eine Lage bringt,<br />
soll sich selbst daraus befreien.<br />
Peter: Na und! Es hätte genauso sein können, nämlich dass sie betrunken ist. Und soll man sich<br />
dann abschleppen mit ihr? <strong>Ich</strong> kenne sie ja <strong>nicht</strong>; was anders wäre es, wenn wir miteinander<br />
verwandt, befreundet oder bekannt wären.<br />
Sonja: Also, meine Freundin wohnt <strong>nicht</strong> hier. Aber sie wollte mich besuchen kommen. Und wie<br />
sie in die Straßenbahn einsteigt, die direkt zu mir herführt, sind drei, vier Jugendliche da und<br />
stänkern sie an. Sie hat einfach weggeschaut und <strong>nicht</strong>s gesagt. Auf einmal fallen die über sie<br />
her und dreschen ihr ins Gesicht.<br />
Lehrer H.: Hat ihr niemand gehoIfen, war sie alleine, hat sich niemand verantwortlich gefühlt?<br />
Sonja: Das ist ja überhaupt das Stärkste; die Straßenbahn war voll von Leuten, aber keiner hat<br />
etwas gesagt. Erst als Karin, also meine Freundin, geschrien hat, haben einige Erwachsene<br />
hergeschaut, aber die Jugendlichen sprangen bei der nächsten Haltestelle aus dem Wagon.<br />
Peter: Mir fällt auch eine solche Story ein.<br />
Sonja: Warte, das Ärgste kommt noch. Karin hat stark geblutet, ist ausgestiegen und hat sich<br />
an eine Hausmauer gelehnt - direkt neben einem Restaurant. Glaubt ihr, es hat sich jemand<br />
für sie interessiert, ihr geholfen? Fehlanzeige!<br />
Peter: Oft ist das Problem <strong>nicht</strong> so sichtbar. <strong>Ich</strong> weiß von einem Selbstmord in einer Schule.<br />
Der Schüler war erst vierzehn Jahre alt und niemand hat etwas davon gewusst, dass es ihm<br />
so schlecht geht. Er selbst hat angeblich ein paar Mal gesagt: Wozu die Schule? Das bringt ja<br />
alles doch <strong>nicht</strong>s!<br />
Hans: Vorher ging es um Hilfeleistung bei sichtbarer Gewalt. Wenn sich jemand umbringen <strong>will</strong>,<br />
ist das schwerer oder vielleicht überhaupt <strong>nicht</strong> erkennbar<br />
23
Lehrer H.: Was meint ihr, woran könnte man merken, dass es jemandem schlecht geht?<br />
Inge: <strong>Ich</strong> glaube, man erkennt es daran, wenn eine Schülerin ganz traurig dasteht, also mit<br />
gesenktem Kopf, oder mit den Augen immer wo anders, einem <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> anschaut, sondern<br />
den Blick vermeidet.<br />
Herbert: Oder, wenn die Körperhaltung eher verkrampft ist. <strong>Ich</strong> meine, wenn mein Freund ganz<br />
versteinert dasitzt, dann frage ich ihn, was mit ihm los ist.<br />
Gudrun: Was machst du, wenn sich jemand gut verstellen kann? Denke an das Beispiel von<br />
Peter, da ist ja auch niemand auf die Idee gekommen, dass sich der Vierzehnjährige umbringt.<br />
Man hat es ihm <strong>nicht</strong> angesehen.<br />
Herbert: Oder man hat <strong>nicht</strong> genau hingeschaut.<br />
Lehrer H.: Gibt es noch andere Hinweise als körperliche darauf, dass es jemandem schlecht<br />
geht? Z.B. im Verhalten im Reden ... Was fällt euch dazu ein?<br />
Sigrid: Mir ist einmal bei meinem Freund aufgefallen, dass er stiller war als sonst. <strong>Ich</strong> habe ihn<br />
dann gefragt, ob er Sorgen hat, und er hat gesagt, er <strong>will</strong> <strong>nicht</strong> darüber reden, aber es gefällt<br />
ihm, dass ich so aufmerksam war. Aber dann habe ich schon aus ihm heraus gekitzelt, dass er<br />
sich in seinem neuen Beruf ziemlich isoliert fühlt.<br />
Chiara: Meine Mutter hat sich einmal viel früher schlafen gelegt als sonst. <strong>Ich</strong> habe sie dann<br />
am nächsten Tag gefragt, was los mit ihr ist. Aber sie hat gesagt: Nichts, <strong>nicht</strong>s, alles in<br />
Ordnung, aber auf ihrem Nachtkästchen habe ich ein Buch entdeckt mit dem Titel: Ist das<br />
Leben sinnlos?<br />
Lehrer H: Welche Gründe kann es denn überhaupt dafür geben, dass es jemandem schlecht<br />
geht?<br />
Jürgen: Also mir ist da einiges eingefallen, z.B. Probleme mit der Freundin. Oder Probleme zu<br />
Hause, also Krach mit der älteren Generation. Oder wenn man in der Klasse isoliert ist. Oder<br />
Schwierigkeiten mit den Lehrern hat, oder wenn einem alles zu viel wird, zu anstrengend, zu<br />
verwirrend.<br />
24
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Ferdinand: Wie ich voriges Jahr so lange krank war, da war ich seelisch auch richtig down, ich<br />
habe geglaubt, ich schaffe <strong>nicht</strong>s <strong>mehr</strong>, die anderen sind schon so weit voraus.<br />
Lehrer H.: Es gibt also eine ganze Menge von Gründen, wann es einem schlecht gehen kann:<br />
Isolation (Haltlosigkeit), Versagen (Hilflosigkeit), Verzweiflung (Hoffnungslosigkeit). Manchmal<br />
merkt man es dem Anderen gleich an seinem Aussehen an, manchmal erkennt man es erst nach<br />
einiger Zeit daran, dass sich der andere <strong>nicht</strong> wie sonst benimmt. Was sollte man überlegen,<br />
wenn man glaubt, dass es dem anderen schlecht geht?<br />
Peter: Wenn man <strong>nicht</strong> sicher ist, sollte man den Anderen nur vorsichtig ansprechen. Z.B.<br />
„Geht es dir vielleicht <strong>nicht</strong> gut?“<br />
Jürgen: Oder noch besser: „ <strong>Ich</strong> habe das Gefühl, dass es dir <strong>nicht</strong> gut geht, stimmt das?“<br />
Petra: Was wäre mit: „ Kann ich dir helfen, brauchst du vielleicht etwas?“<br />
Hans: <strong>Ich</strong> würde vorsichtiger sein, weil manche das überhaupt <strong>nicht</strong> mögen, wenn dauernd<br />
jemand kommt und ihnen helfen <strong>will</strong>.<br />
Lehrer H.: Wie würdest du es denn machen?<br />
Hans: <strong>Ich</strong> würde sagen: „Entschuldige, ich wilI dich <strong>nicht</strong> ärgern, aber mir kommt vor, dir geht<br />
es <strong>nicht</strong> gut, kann ich etwas für dich tun?<br />
Peter: Oder noch besser: „<strong>Ich</strong> habe gemerkt, dass du in letzter Zeit auffallend still bist, hat das<br />
einen Grund, geht es dir <strong>nicht</strong> gut?“<br />
Inge: Das ist aber ganz schön umständlich!<br />
Lehrer H.: Die Idealformel gibt es <strong>nicht</strong>. Man muss es einfach versuchen. Jedenfalls ist es<br />
besser, man spricht das Gefühl aus, als einfach wegzuschauen. Und besser ist es, man teilt<br />
seine Beobachtung mit und was man daraus folgert, anstatt dem anderen gleich ein Problem<br />
„umzuhängen“. Auch wenn der oder die andere im AugenbIick <strong>nicht</strong> gut darauf reagieren, sind<br />
sie doch froh, wenn wir sie ansprechen und <strong>nicht</strong> allein lassen.<br />
25
Chiara: Wenn aber einer dauernd auf der Lauer liegt, ob es jemandem schlecht geht, dann ist<br />
das auch ganz schön nervig! Manche Leute sind auf dem Trip, dass sie permanent allen helfen<br />
wollen, auch wenn diese das absolut <strong>nicht</strong> brauchen.<br />
Lehrer H.: Du hast ganz recht, Chiara. Man soll aufmerksam sein. Aber aufmerksam sein heißt<br />
<strong>nicht</strong>, die Anderen zu belauern oder ihnen mit unseren „Diagnosen“ auf die Nerven zu gehen.<br />
Man muss den richtigen Mittelweg finden. Denn es gibt auch das Gegenteil.<br />
Sonja: Was ist das Gegenteil, dass man sich <strong>nicht</strong> kümmert?<br />
Helga: Ja, oder, dass man den anderen <strong>nicht</strong> ernst nimmt, oder ihm bzw. ihr sagt, das ist doch<br />
kein Problem, das ist doch lächerlich, das geht uns doch allen so, oder so was Ähnliches.<br />
Lehrer H.: Genügt es, den anderen einfach darauf anzusprechen, dass es ihm oder ihr<br />
schlecht geht? Oder muss man auch etwas tun? Und wann ist das notwendig?<br />
Herbert: Was soll ich denn tun? <strong>Ich</strong> bin ja kein Selbstmordverhüter!<br />
Chiara: Vielleicht genügt es, dass man zuhört, dazu muss man ja kein Profi sein.<br />
Gudrun: <strong>Ich</strong> habe jetzt schon lange <strong>nicht</strong>s gesagt. Aber was dann, wenn der oder die Angesprochene<br />
sagt, ja mir geht es schlecht, ja, ich <strong>will</strong> <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> leben – aber du darfst es<br />
niemandem sagen!! Was mach ich denn da?<br />
Herbert: Das kannst du <strong>nicht</strong> versprechen. Sonst steckst du selbst im Sumpf und niemand zieht<br />
dich heraus.<br />
Gudrun: Was meinst du damit?<br />
Herbert: Wir können nur dann helfen, wenn wir darauf achten, dass es uns selbst <strong>nicht</strong> ganz<br />
schlecht dabei geht. Wenn ich von jemandem höre, dass er oder sie sich umbringen <strong>will</strong>, aber<br />
<strong>nicht</strong>s darüber sagen darf, dann geht es mir ganz schlecht. Denn jederzeit kann ja etwas<br />
passieren. Und ich bin dann vielleicht mitschuldig.<br />
26
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Hans: <strong>Ich</strong> würde sagen: Du bist mir wichtig, ich möchte alles tun, um dir zu helfen, und dazu<br />
gehört auch, dass du dir von jemand helfen lässt, der sich mit so etwas auskennt.<br />
Sigrid: Und wen kann man um fachliche Hilfe bitten?<br />
Hans: Das kann z.B. ein Schülerberater oder Schülerberaterin sein, oder ein anderer Beratungslehrer,<br />
die Schulpsychologin, der Schularzt, die Schulsozialarbeiterin. Das sind meist keine<br />
Selbstmordverhütungs-Profis, aber sie wissen, wohin man sich dann wendet, oder leisten<br />
psychische erste Hilfe!<br />
Jürgen: Und was ist psychische erste Hilfe?<br />
Peter: <strong>Ich</strong> könnte mir vorstellen, dass man dem oder der Betroffenen sagt: „Du, ich bin da, ich<br />
höre dir zu! Warum <strong>will</strong>st du <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> leben?“<br />
Jürgen: Das ist aber ganz schön direkt! Ist das <strong>nicht</strong> gefährlich, wenn man etwas so direkt<br />
anspricht?<br />
Gudrun: Nein, glaube ich <strong>nicht</strong>. Wenn man sich umbringen <strong>will</strong> und man darauf angesprochen<br />
wird, wird man <strong>nicht</strong> erschrecken, sondern im Gegenteil, sich <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> allein fühlen.<br />
Ferdinand: <strong>Ich</strong> habe jetzt lange zugehört, aber jetzt muss ich auch etwas sagen. Einmal ging es<br />
mir so schlecht, dass ich auch mit gewissen Gedanken gespielt habe. <strong>Ich</strong> weiß noch, wie ich von<br />
meiner Schwester angesprochen wurde, warum ich mit so einem trüben Gesicht herum laufe.<br />
Als ich es ihr sagte, lachte sie nur und meinte, wegen so kleiner Problemchen könnte sich jeder<br />
umbringen. Das war irrsinnig peinlich.<br />
Helga: <strong>Ich</strong> habe jetzt auch lange <strong>nicht</strong>s gesagt. Aber mir ist etwas Ähnliches passiert: <strong>Ich</strong><br />
habe mich, wie es mir einmal ganz mies ging, meiner besten Freundin anvertraut, die hat sich<br />
dann gleich unheimlich wichtig gemacht und gesagt: „Du musst jetzt das und das und das tun!<br />
<strong>Ich</strong> werde auch dieses und jenes für dich tun!“ <strong>Ich</strong> habe überhaupt <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> zugehört und<br />
insgeheim geflucht, dass ich überhaupt etwas gesagt habe.<br />
Sigrid: Hilfe soll man aber <strong>nicht</strong> aufdrängen. Manchmal braucht der Andere Zeit, bis er oder sie<br />
bereit ist, Hilfe anzunehmen.<br />
27
Herbert: Ja, man sollte den anderen ernst nehmen und <strong>nicht</strong> gleich „entmündigen“. Aber die<br />
psychische erste Hilfe kann nur ein Übergang sein, bis fachliche Hilfe kommt. <strong>Ich</strong> glaube, dass<br />
es auch eigene Kriseninterventionsstellen gibt, in Spitälern sicher auch Hilfen wie die Kinderund<br />
Jugendpsychiatrie. Und dann gibt es noch die Kinderschutz-Zentren.<br />
Chiara: Wenn jemand ganz außer sich ist, kann man die Rettung anrufen.<br />
Sonja: Oder besser noch eigene Hilfsdienste. <strong>Ich</strong> glaube, es gibt etwas, das heißt „Psychosozialer<br />
Dienst“ oder so ähnlich. Die kommen auch, wenn es nötig ist.<br />
Marvin: Wann kann es nötig sein, Einsatzkräfte oder Krankenwagen etc. anzurufen? Wer<br />
muss informiert werden?<br />
Lehrer H.: Sicher dann, wenn jemand unansprechbar ist, verwirrt wirkt und desorientiert oder<br />
geschockt. Oder dann, wenn Gefahr im Verzug ist.<br />
Marvin: Z.B. Es steht jemand schon am Fenstersims und kann jederzeit den Schritt hinaus<br />
machen.<br />
Lehrer H.: In diesem Fall ist sicher auch notwendig, die Feuerwehr, Polizei zu verständigen.<br />
Hans: Muss man <strong>nicht</strong> auch den Klassenvorstand oder Direktor informieren?<br />
Inge: <strong>Ich</strong> finde, ihr habt die Eltern ganz schön aus dem Spiel gelassen. Also, wenn ich einmal<br />
Mutter sein sollte, möchte ich schon ganz früh erfahren, wenn mein Kind in Gefahr ist.<br />
Jürgen: Aber was ist zu tun, wenn die Eltern Schuld an der Sache sind oder Mitschuld haben?<br />
Lehrer H.: Man muss in jedem Fall einzeln überlegen, wer zu verständigen ist, was zu tun<br />
ist, ob es sich um eine akute Gefährdung handelt oder um erste suizidale Tendenzen. Ein<br />
eventuell vorhandener Krisenplan gibt nur die groben Schritte vor. <strong>Ich</strong> glaube, wir haben<br />
jetzt viel erarbeitet, z.B. dass man Hilfe anbietet, ohne den anderen gleich hilflos zu machen;<br />
dass wir der betroffenen Person anbieten, sich bei uns anzuhalten, indem wir da sind, zuhören.<br />
Freilich müssen wir darauf achten, dass wir nur soweit und solange Halt bieten können, dass<br />
wir <strong>nicht</strong> selbst untergehen und daher rechtzeitig professionelle Hilfe holen.<br />
28
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Helga: Sollen wir dem Menschen auch Hoffnung machen?<br />
Lehrer H.: <strong>Ich</strong> glaube, man darf <strong>nicht</strong>s versprechen, was man <strong>nicht</strong> halten kann. Aber es schadet<br />
sicher <strong>nicht</strong>, vorsichtig miteinander zu überlegen, wie es weiter gehen kann. Aber wenn jemand<br />
in einer Krise ist, braucht er oder sie Zeit, wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen,<br />
dann erst ist man bereit für die Überlegung, wie es weiter gehen könnte.<br />
Peter: Wir sind jetzt aber ziemlich weit von unserem Anfangsthema abgekommen.<br />
Lehrer H.: Richtig, Peter! Eigentlich sind wir ja davon ausgegangen, was man tun soll, wenn<br />
man jemanden auf der Straße liegen sieht!<br />
Chiara: Oder wenn es einem selbst schlecht geht.<br />
Lehrer H.: Fangen wir mit der Ietzten Frage an.<br />
Was sollte man tun, wenn man sich unwohl fühlt, oder wenn man in einer Notlage ist?<br />
HeIga: Das Wichtigste ist, dass man sagt, dass es einem schlecht geht - wenn man es kann!<br />
Lehrer H.: Richtig! Das heißt aber auch, dass man den Mut hat, sich einzugestehen, dass man<br />
Hilfe braucht. Was ist noch notwendig?<br />
Gudrun: Dass man einen bestimmten Menschen anspricht. <strong>Ich</strong> meine, wenn man nur irgendwie<br />
nach Hilfe ruft, denkt sich jeder, warum soll ich helfen, das kann ja auch ein anderer!<br />
Herbert: Wenn man dazu in der Lage ist, sollte man auch genau sagen, was los ist. Sonst denken<br />
sich die anderen höchstens, dass man betrunken ist oder vielleicht nur einen seltsamen Spaß<br />
macht.<br />
Lehrer H.: Und was macht man, wenn man z.B. einen Menschen auf den Boden liegen sieht?<br />
Marvin: <strong>Ich</strong> meine, man kann ja sagen: „Ist Ihnen schlecht? Brauchen Sie Hilfe?“<br />
Sonja: Aber ich habe Angst, wenn ich z.B. helfen soll. Vielleicht ist das nur ein Trick. Manche<br />
Menschen sind schon überfallen worden, weil sie hilfsbereit waren.<br />
29
Lehrer H.: Selbstverständlich muss man auch auf die eigene Sicherheit achten! Wie kann<br />
man das?<br />
Gudrun: Wenn ich Angst habe, muss ich meine Angst ernst nehmen. <strong>Ich</strong> kann ja jemand anderen<br />
um Mithilfe bitten.<br />
Herbert: Oder man verständigt die Polizei oder Rettung!<br />
Peter: Das muss man sich aber schon überlegen, weil wenn die dann kommen und es war im<br />
Grunde genommen <strong>nicht</strong> notwendig?<br />
Chiara: Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig kümmern!<br />
Ferdinand: Ein Freund hat mir von seiner Schule erzählt, dass ein älterer Schüler <strong>mehr</strong>ere<br />
Schüler bedroht hat. Der Direktor war ganz außer sich. Er wusste <strong>nicht</strong>, was er tun sollte, ob er<br />
die Rettung, Feuerwehr oder Polizei verständigen sollte.<br />
Marvin: Das ist auch <strong>nicht</strong> so einfach. <strong>Ich</strong> weiß, dass es in vielen Schulen daher Krisenpläne<br />
gibt. Das heißt, wer muss was wann tun, damit eine gefährliche Situation rasch entschärft<br />
werden kann. Mein Cousin geht in eine Schule, da wird tatsächlich der Ernstfall geprobt.<br />
Inge: Wie ein Feueralarm?<br />
Marvin: Ja!<br />
Lehrer H.: Es gibt keine Faustregel für alle Situationen, außer: die Gefahr erkennen, beurteilen,<br />
was nun am besten zu tun ist- und dementsprechend handeln! Aber Krisenpläne sind auf<br />
jeden Fall sinnvoll, die Schulpsychologen haben so etwas auch ausgearbeitet. In den Schulen<br />
liegen sie großteils schon auf. Da steht genau, was man in welcher Reihenfolge zu tun hat,<br />
wer verständigt werden muss usw. Wichtig ist, dass wir <strong>nicht</strong>, dass wir <strong>nicht</strong> den anderen die<br />
Verantwortung zuschieben, wenn wir selbst handeln könnten. Es geht oft nur darum, dass wir<br />
da sind, bis professionelle Hilfe kommt. Dass wir eine Überbrückung leisten.<br />
Achte auch auf leise Signale!<br />
Kombiniere richtig!<br />
Überschätze deine Kräfte <strong>nicht</strong>!<br />
30
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Gedanken zur Diskussion<br />
• ERKENNEN: Aufmerksam sein, richtig beobachten, sich bemerkbar machen, wenn man<br />
Hilfe braucht… Aus dem Verhalten, der Mimik und Gestik, der Körperhaltung können, aus<br />
Veränderungen im Kontakt (z.B. Vielredner werden schweigsam und umgekehrt) kann man<br />
vermuten, dass ein Problem vorliegt. Wenn man selbst in einer Notlage ist, sollte man sich<br />
bemerkbar machen und jemanden konkret um Hilfe ansprechen.<br />
• BEURTEILEN: Dazu gehört Erfahrungs- und Meinungsaustausch mit anderen; die richtige<br />
Einschätzung einer Gefahrensituation kann man <strong>nicht</strong> sofort vollziehen, man muss sich damit<br />
schon vorher beschäftigen und darüber Gedanken machen, was gefährlich sein kann und was<br />
<strong>nicht</strong>; was sofortige Hilfe erfordert und was <strong>nicht</strong>. Man sollte die Beobachtung nur vorsichtig<br />
ansprechen, als Vermutung und <strong>nicht</strong> als Gewissheit. Wenn wir <strong>nicht</strong> sicher sind, ob sich jemand<br />
in einer Notlage befindet (z.B. gestürzt ist oder betrunken), dann können wir die Person direkt<br />
ansprechen.<br />
• HANDELN bedeutet <strong>nicht</strong> nur, dass man etwas tut, sondern wie man es tut. Wichtig ist bei<br />
jeder Hilfe, dass man auch auf die eigene Sicherheit achtet (es gibt Menschen, die einen Unfall<br />
vortäuschen), z.B. indem man andere Personen um Mithilfe ersucht oder Polizei bzw. Rettung<br />
verständigt. Hilfe sollte man <strong>nicht</strong> aufdrängen, man muss dem/der anderen Zeit lassen, damit<br />
er/sie bereit ist, Hilfe anzunehmen. Wichtig ist zu zeigen, dass man da ist für den anderen.<br />
Hilfe darf niemals <strong>mehr</strong> Schaden – bei sich oder bei anderen – hervorrufen, als sie Nutzen<br />
bringt. Beim Helfen muss man darauf achten, dass das Ärgste verhindert wird, z.B. bei einem<br />
Verkehrsunfall die nachfolgenden Autofahrer durch ein entsprechendes Hinweiszeichen<br />
vorwarnen. Oder: Man darf jemanden, der auf dem Boden liegt, <strong>nicht</strong> ohne weiteres bewegen,<br />
weil manche Verletzungen dadurch noch schlimmer werden. Man sollte sich dabei gut in Erster<br />
Hilfe auskennen. Oder: Wenn jemand in seelischer Not ist, dann ist Handeln wertvoll, aber nur,<br />
wenn wir den anderen dadurch <strong>nicht</strong> zum Hilflosen abstempeln usw. Handeln muss immer so<br />
vor sich gehen, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit möglichst groß ist und dass der dadurch<br />
erreichte Zustand besser ist als der zuvor. Deswegen ist es auch wichtig, professionelle Hilfe<br />
einzuschalten, wenn eine Selbstgefährdung gegeben ist, die die Akutsituation entschärft, den<br />
Ursachen auf den Grund geht und mit dem/der Betroffenen unter Einbeziehung des Umfeldes<br />
lösungsorientiert arbeitet.<br />
31
Hier nochmals ohne Anspruch auf Vollständigkeit eine Zusammenfassung, die sich auf die Suizidgefährdung<br />
konzentriert (die anderen Themen der Diskussion müssten extra besprochen werden):<br />
Woran kann man merken, dass es jemandem schlecht geht?<br />
Wissen um negative Erlebnisse oder Lebensumstände des/der Betroffenen (z.B: Mobbing).<br />
Eingeschränkte oder übertriebene Mimik, Gestik, schlaffe oder verkrampfte Körperhaltung,<br />
Äußerungen über Einsamkeit, sich <strong>nicht</strong> zu helfen wissen, keine Zukunft haben (siehe auch<br />
die Ausführungen zu den Signalen im Verhalten und Reden im ersten Kapitel: Haltlosigkeit,<br />
Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Verhaltensauffälligkeiten und Verhaltensänderungen).<br />
Was sollte man tun, wenn man glaubt, dass es dem anderen schlecht geht?<br />
Vorsichtig ansprechen, keine vorschnellen „Diagnosen“, sondern von Beobachtung ausgehen<br />
und vom persönlichen Eindruck, <strong>nicht</strong> behaupten, dass es dem anderen schlecht<br />
geht; sondern nach ev. Problem fragen. Nicht die Hilfe aufdrängen oder für den anderen die<br />
Problemlösung übernehmen. Problem ernst nehmen, <strong>nicht</strong> lächerlich machen. Auch auf<br />
bloße „Gerüchte“ verantwortungsbewusst und sensibel reagieren, im Fall, dass man das<br />
Gefühl hat, dass eine Selbstmordgefährdung vorliegt, dieses Gefühl auch mitteilen. Keine<br />
„Analysen“ und „Tiefbohrungen“, erst muss der Boden unter den Füßen wieder fest werden.<br />
Zuhören, da sein, aber <strong>nicht</strong>s versprechen, was man <strong>nicht</strong> halten kann. Auch <strong>nicht</strong> zusagen,<br />
dass man darüber schweigen wird. Im Gegenteil: sich um fachliche Hilfe kümmern: Schülerberater/in,<br />
Beratungslehrer/in, Schulpsycholog/in, Arzt/Ärztin, Schulsozialarbeiter/in,…<br />
Wie geht man am besten vor?<br />
Psychische Erste Hilfe leisten: Kontakt herstellen, ruhig miteinander reden, anbieten, darüber<br />
zu reden, oder etwas zu zeichnen, was mit dem Problem zu tun hat. Fragen, wie man<br />
helfen kann oder was gut tun würde. Vor allem, was der/die Betroffene selbst für sich tun<br />
kann. Bis zum im Akutfall notwendigen Eintreffen von Expert/innen ist die Schulleitung<br />
die oberste Koordinationsstelle. Sie entscheidet das Vorgehen Schritt für Schritt, die Verständigung<br />
von Einsatzkräften, die Information der Familienangehörigen usw. Die Krise als<br />
Lebensphänomen und ihre Bewältigung auch allgemein in geeigneter Form in den Schulklassen<br />
thematisieren.<br />
Ein eventuell vorhandener Krisenplan gibt nur die groben Schritte vor; man muss in jedem<br />
Fall einzeln überlegen, was zu tun ist, wer zu verständigen ist, ob es sich um eine akute<br />
Gefährdung handelt oder um erste suizidale Tendenzen.<br />
Die Liste erhebt <strong>nicht</strong> den Anspruch darauf, alles anzuführen, was wichtig sein kann. Sie<br />
soll aber zu diesen persönlichen Ergänzungen anregen.<br />
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Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Wie gehen Psychotherapeut/innen bei aktueller Suizidprävention vor? 4<br />
„Die Erfahrung zeigt, dass es für Menschen, die an Selbstmord denken, oft sehr<br />
schwierig ist, sich helfen zu lassen. Die Gefährdung kommt häufig nur in Andeutungen<br />
zu Tage. <strong>Ich</strong> habe es mir daher zum Prinzip gemacht, direkt danach zu fragen, wenn<br />
ich das Gefühl habe, mein Gegenüber könnte mit Suizidgedanken beschäftigt sein.<br />
Das ermöglicht dann auch ein Gespräch darüber, wie konkret solche Gedanken sind:<br />
Handelt es sich um detaillierte Planungen, wurden schon Medikamente gesammelt,<br />
eine Waffe besorgt etc? Dabei ist es für beide Seiten auch wichtig, sich klar zu<br />
machen, was im Allgemeinen <strong>nicht</strong> hilfreich ist: Vorschnelle Tröstung, Ermahnung,<br />
Bagatellisierung des Problems, vorschnelle Aktivitäten, Ausfragen und Analysieren,<br />
argumentierendes Diskutieren, Verallgemeinerung, Ratschläge, Belehrungen<br />
und Ähnliches <strong>mehr</strong>. Ziel eines solchen Gespräches ist es, zu einer gemeinsamen<br />
Einschätzung der Gefährdung zu kommen bzw. wenn dies <strong>nicht</strong> möglich ist, den<br />
eigenen Eindruck taktvoll, aber in aller Deutlichkeit mitzuteilen. Taktvoll, weil man im<br />
Zustand akuter Selbstmordgefährdung sehr leicht kränkbar ist.<br />
Man sollte auch ganz konkret den Tagesablauf und die möglichen hilfreichen sozialen<br />
Kontakte für die folgenden Tage und Wochen durchbesprechen. Wenn sich dabei<br />
herausstellt, dass jemand <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> in der Lage ist glaubhaft anzugeben, was er in<br />
den nächsten Stunden macht, geht es <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> anders, als ihn persönlich zu einer<br />
psychiatrischen Aufnahmestation zu begleiten. Auch sonst können Helfer/innen und<br />
Betroffene mit dem Thema schnell überfordert sein. Man sollte sich daher in dieser<br />
Situation unbedingt an Fachleute wenden. Für Schüler/innen und Studierende sind<br />
die <strong>Schulpsychologie</strong> bzw. die Psychologische Studentenberatung naheliegende<br />
Anlaufstellen. In allen größeren Städten gibt es auch Krisenstellen und Notdienste, in<br />
denen das Fachpersonal für Suizidprävention spezialisiert ist.“<br />
Zusätzlich zu den hier angesprochenen Faktoren Hilflosigkeit (bzw. Verhaltensrepertoire) und<br />
Haltlosigkeit (bzw. Vernetzung) ist auch der Faktor Hoffnungslosigkeit (bzw. Vision) ein wichtiges<br />
Thema im Gespräch mit einem suizidalen Menschen. Je konkreter und realistischer sich ein<br />
(Sinn-)Horizont entdecken lässt, desto positiver kann sich die momentane Problemsituation<br />
entwickeln. Wenn hingegen ein „no future–Gefühl“ dominiert, ist das als Gefahrenzeichen<br />
zu werten. Ganz wichtig ist auch zu ergänzen, dass Struktur Halt gibt. Daher bemühen<br />
sich professionelle Helfer, den Tagesablauf gemeinsam mit dem suizidalen Menschen zu<br />
strukturieren, aber auch eine hilfreiche Struktur für das Verhalten in der Nacht, etwa bei<br />
Schlaflosigkeit, Grübeln etc. zu erarbeiten.<br />
4: Den gekürzten Einblick in die praktische Suizidprävention gibt F. Oberlehner in F. Sedlak (Hg)(2007):<br />
Psychologie in Schule und Studium. Ein praxisorientiertes Wörterbuch. Wien: Springer.<br />
33
KAPITEL III<br />
SUIZIDALITÄT AUS UNTERSCHIEDLICHEN PERSPEKTIVEN<br />
Im folgenden Abschnitt sind einige Perspektiven der Suizidalitätsthematik dargestellt, wobei<br />
es sich selbstverständlich nur um einige wichtige Beispiele handelt und keine lückenlose<br />
Darstellung beabsichtigt war.<br />
Im Umfeld der Suizidalität: Selbstverletzendes Verhalten<br />
Selbstverletzendes Verhalten ist wie Drogensucht, Alkoholismus etc. eine Form „schleichenden<br />
Selbstmordes“. Selbstverletzendes Verhalten (abgekürzt SvV) kann alles Mögliche sein:<br />
Schneiden, Brennen, sich selbst Schlagen, Wundheilung verhindern u.v.a.m.<br />
Die Bandbreite reicht von Eingriffen in den Körper bei manchen Schönheitsoperationen, von<br />
Hautverletzungen durch Tätowierung und Piercing bis hin zu absichtlich herbeigeführten<br />
Stoffwechselentgleisungen (wie dies auch bei Magersucht gegeben ist) oder gar bis zum<br />
Suizid, der Extremform des SvVs. Manchmal werden auch Selbstmanipulationen durchgeführt,<br />
um durch künstlich herbeigeführte krankheitswertige Störungen ärztliche Zuwendung zu<br />
erhalten.<br />
Zwar könnte man annehmen, dass SvV Suizid verhindert, weil es einen Ventileffekt hat und<br />
Aggression abbaut. Aber zugleich bahnt das SvV auch den schädigenden Umgang mit sich<br />
selbst, und es kann zu Handlungen mit irreversiblen Schäden bis hin zum Tod kommen.<br />
Überwiegend sind Mädchen und Frauen von SvV betroffen (vielleicht weil sie die Aggression<br />
weniger nach außen ableiten können). Die Angaben schwanken hier von doppelt bis neunmal<br />
so vielen weiblichen Betroffenen.<br />
SvV tritt zumeist zwischen der Pubertät und dem frühen Erwachsenenalter auf (also ca<br />
zwischen 16 und 26 Jahren), es kann aber auch zu früherem Auftreten kommen. Je schwerer<br />
die kindlichen psychischen Erschütterungen und Belastungen waren, je <strong>mehr</strong> es zu Angst,<br />
aufgestauter Spannung und Wut kam, desto früher und heftiger setzt das SvV ein. Sexueller<br />
Missbrauch, Gewalt und Vernachlässigung (Haltlosigkeit) bilden die Hauptursachen für SvV,<br />
daneben auch Essstörungen.<br />
34
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Unter 200 Kindern/Jugendlichen haben nach Recherchen etwa 1 bis 2 unter SvV zu leiden. Die<br />
Angaben schwanken (auch wegen der breiten Symptomatik). Allerdings besteht die Gefahr der<br />
sozialen Ansteckung durch Nachahmung (ähnlich wie Werther-Effekt).<br />
SvV „erfüllt“ für Betroffene <strong>mehr</strong>ere Zwecke: Sie erleichtern sich von ihrer Anspannung, spüren<br />
sich selbst, lenken sich ab, gewinnen Aufmerksamkeit und Kontrolle über sich und andere. Oft<br />
läuft das SvV nur „halb-bewusst“ ab. Die Betroffenen wissen, was sie tun, aber stehen wie unter<br />
einem Zwang, bzw. zeigen ein suchtähnliches Verhalten. In schweren Fällen stellt das SvV eine<br />
Wiederholung traumatischer Erlebnisse dar.<br />
Wichtig für Bezugspersonen, Erzieher/innen, Lehrer/innen ist die undramatische, beständige<br />
Begleitung, die Hilfe zum Abbau von Spannungen und Angst, die Hilfe zum Erlangen von<br />
kompetentem Umgang mit den eigenen Gefühlen zur Fähigkeit sich zu schützen u.v.a.m.<br />
(Verhaltensrepertoire).<br />
Affekte und Suizidalität<br />
Selbstmord kann als Entgleisung der Affekte angesehen werden. Affekte gehören zu den<br />
wichtigsten Fähigkeiten der Realitätsbewältigung. Die Affekte regulieren die Beziehungen<br />
zwischen Außen- und Innenwelt, sind in Art und Ausprägung individuell - daher die überwältigende<br />
Fülle menschlicher Reaktionsmöglichkeiten (Verhaltensrepertoire).<br />
Jeder Mensch strebt nach dem inneren Gleichgewicht, z.B. durch Essen bei Hunger und Trinken<br />
bei Durst. Es gibt aber <strong>nicht</strong> nur „antreibende“ Bedürfnisse, sondern auch zu bestimmten Zielen<br />
hin bewegende (Motive). Z.B. Bewältigung einer persönlichen Herausforderung (ein hoher<br />
Berg, eine schwierige Prüfung, ...). Angst, Ärger, Trauer, Freude spiegeln unsere Erfahrungen,<br />
z.B. das Ausmaß bzw. Erreichen der Bedürfnisbefriedigung oder der gesetzten Ziele. Bei<br />
psychischer Gesundheit sind alle Affekte zugängig und in angemessener Dosierung vorhanden<br />
und können stimmig ausgedrückt werden (man verfügt über eine differenzierte Mimik, die mit<br />
dem übereinstimmt, was man fühlt oder mitteilen <strong>will</strong>). Sind die Affekte unterentwickelt (z.B.<br />
weil man nie Ärger zeigen durfte), einseitig ausgeprägt oder überschießend vorhanden, fehlt<br />
die angemessene Orientierung und Anpassung des Verhaltens (Hilflosigkeit). Zur Entfaltung<br />
und zur Lebensbewältigung ist es wichtig, Affekte wahrnehmen, unterscheiden (bin ich jetzt<br />
wirklich traurig oder eher ärgerlich, wütend?), spüren und ausdrücken zu können (kann ich<br />
z.B. meine Wut angemessen sichtbar machen?). Bekannt ist, dass überschießende Affekte<br />
das Denken beeinträchtigen oder blockieren (bei sehr starken Affekten kann das Denken<br />
„überschwemmt“, eingeengt, gehemmt werden); Affekte formen und fördern aber auch unser<br />
35
Denken und Verhalten. Suizidale Menschen zeigen in ihrer Mimik manchmal recht deutlich<br />
vermeintliche Affektlosigkeit oder überbordende Affekte. Manchmal erkennt der geübte Blick<br />
schon im Gesichtsausdruck und Körperhaltung die empfundene Hilflosigkeit, Haltlosigkeit und<br />
Hoffnungslosigkeit.<br />
Depression und Suizidalität<br />
Hoffnungslosigkeit, Gefühle der inneren Leere und Niedergeschlagenheit, Schuldgefühle,<br />
Hilflosigkeit in Form von massiven Selbstzweifeln, Stress, Erschöpfung sowie Haltlosigkeit<br />
nach schwerwiegenden Verlusten, Enttäuschungen, Trennungen stehen am Beginn vieler<br />
depressiver Erkrankungen.<br />
Wenn Haltlosigkeit und Hoffnungslosigkeit bestehen, hilft eine Aktivierung als Teilüberwindung<br />
der Hilflosigkeit allein <strong>nicht</strong>. Im Gegenteil - es kann damit der letzte Schritt in den Selbstmord<br />
erleichtert werden. Professionelle Hilfe und menschliche Begegnung sind unerlässlich.<br />
Depression ist <strong>nicht</strong> mit Trauer gleichzusetzen.<br />
Trauer empfindet man durch Verlust, Trennung, Enttäuschung. Trauer ist immer möglich,<br />
wenn man etwas Wertvolles verliert. Trauer ist somit (neben Freude) ein Ausdruck dafür, dass<br />
man Werte besitzt. Traurigkeit kann entstehen, wenn unsere Fähigkeit nachlässt, wenn eine<br />
Freundschaft in Brüche gegangen ist, wenn jemand gestorben ist, mit dem wir innig verbunden<br />
waren, oder wenn etwas zu Schaden kommt, das wir lieben (z.B. auch die Umwelt, Tiere...). Wer<br />
sich gegen Trauer wappnen möchte, sich panzert gegen die Gefühle, engere Kontakte meidet<br />
(um <strong>nicht</strong> durch deren möglichen Verlust zu leiden), der verliert auch den Zugang zu positiven<br />
Gefühlen. Trauer ist <strong>nicht</strong> gleichbedeutend mit Depression, Trauer ist keine Krankheit, sondern<br />
das intensive Erleben des Verlusts von etwas uns Wichtigem. Trauern heißt dann: Abschied<br />
nehmen, die Kränkung „herauslassen“, bevor sie uns krank macht. Aber auch Trauer kennt<br />
ein richtiges Maß. Grenzenlose, <strong>nicht</strong> zu Ende kommende Trauer ist blockierend und macht<br />
krank. Bei übermäßiger Trauer ist es aber auch für die „Helfer/innen“ wichtig, sich <strong>nicht</strong> völlig<br />
zu verausgaben. Auch sie sind <strong>nicht</strong> vor Burnout etc. gefeit.<br />
Wie entstehen Depressionen?<br />
Eine Ursache ist seelische und körperliche Erschöpfung, Dauerstress, das Burnout, von dem<br />
viele sehr aktive, engagierte Menschen betroffen sind, wenn sie ihre Energien verausgaben<br />
und <strong>nicht</strong> rechtzeitig wieder „auftanken“, weitere Ursachen können sein Mobbing und Außenseitertum,<br />
Versagensängste u. v. a. m.<br />
36
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Einsamkeit und Trennungen, Verluste, Übersiedlungen (Haltlosigkeit), aber auch andere große<br />
Lebensereignisse (z.B. auch Übertritt in den Ruhestand – als Verlust eines wichtigen Halts)<br />
können zu Depressionen führen. Starke Schmerzen und chronische Krankheiten können die<br />
Lebensfreude absenken.<br />
Früherlebnisse in einer belasteten Kindheit können bewirken, dass Lebenslust <strong>nicht</strong> aufkommt.<br />
Oder die Erziehung hat zu einer „Hilflosigkeit“ bei Problemen geführt, sodass sich Wut, Ärger,<br />
Sorgen nach innen wenden und es zu depressiver „Wehrlosigkeit“ kommt.<br />
Biologische Vorgänge (hormonelle Prozesse, Mineralhaushalt, Botenstoffe im Gehirn bzw.<br />
der Stoffwechsel im Gehirn selbst) können Menschen „versteinern“ lassen. Klimatische<br />
Schwankungen, jahreszeitliche Bedingungen (z.B. das feuchte, kalte Herbstwetter), der Lichtmangel<br />
in den finsteren Wintertagen können sich in Depressionen niederschlagen. Menschen<br />
mit überhöhten Erwartungen an das Leben, an sich selbst, an andere werden regelmäßig<br />
dadurch enttäuscht, frustriert und empfinden alles als sinnlos (Hoffnungslosigkeit).<br />
Wie fühlen sich depressive Menschen? Was brauchen sie?<br />
Depressive Menschen haben andere „Gezeiten“: Viele leben in der Vergangenheit, bei anderen<br />
friert der Augenblick ein, die meisten erleben, wie die Zukunft schrumpft und verschwindet<br />
(Hoffnungslosigkeit). Depressive Menschen zieht es oft zurück in ihren Ursprung, sie möchten<br />
am liebsten verschmelzen mit der „Mutter Erde“, in ihren Schoß aufgenommen werden und in<br />
dieser warmen Geborgenheit ihren Winterschlaf der Seele überstehen (Halt-Suche). Die Welt<br />
wird kalt und leer erlebt. Depressive Menschen fühlen sich oft aber auch mit allem Sehnen<br />
und Leiden der Umwelt verbunden. Depressionen wirken sich auch auf Partnerschaften aus:<br />
Sie bewirken einen Rückzug auf beiden Seiten. Dabei brauchen wir gerade in diesen Phasen<br />
Nähe und Sicherheit. Aber plötzlich hat sich alles verändert. In depressiven Phasen fühlen<br />
wir uns von der ganzen Welt unverstanden, im Stich gelassen. Am liebsten würden wir alles<br />
vergessen. Depressionen bewirken manchmal, dass wir uns selbst fremd werden. Wir spüren<br />
die Veränderung, die wir uns <strong>nicht</strong> ganz erklären können (Hilflosigkeit). Wenn in solchen<br />
depressiven Phasen keine Aufgabe auf uns wartet, wenn wir das Gefühl haben, <strong>nicht</strong> gebraucht<br />
zu werden, dann sinkt unser Lebensmut (Hoffnungslosigkeit).<br />
Depressive Menschen sind zuwendungsbedürftig und zugleich sehr verletzlich und scheu.<br />
Sie suchen die Gemeinschaft anderer, wollen dabei aber am liebsten verborgen bleiben<br />
(Haltlosigkeit). Wer schon einige Male depressive Phasen erlebt hat, weiß, wie man aus diesen<br />
37
Untiefen der Gefühle auch wieder auftaucht. Das Wissen um die gemeisterten Krisen macht<br />
mutig und stark - und auch die Erkenntnis, dass wir niemals auf alles eine Antwort finden.<br />
Menschen, die depressive Phasen gemeistert haben, wissen auch, dass es wichtig ist, einen<br />
Anfang zu setzen; <strong>nicht</strong> abzuwarten, bis der Schwung kommt, um aktiv werden zu können,<br />
sondern aktiv werden, um in Schwung zu kommen (Verhaltensrepertoire). Depressive Menschen,<br />
die ihr Leiden in einem Zusammenhang mit dem Ersterben inniger Gefühlsbeziehungen in<br />
Verbindung bringen, wissen, dass jeder durchlebte „Tod“ ein neuer Anfang ist. So wie mit der<br />
Beziehung ist es auch mit unserem Ja oder Nein zum Leben. Es gibt Zeiten, in denen wir einen<br />
Rückzug auf uns selbst brauchen. Depressive Menschen mauern sich geradezu ein. Wir sollten<br />
aber wissen, dass sie darauf warten, dass wir anklopfen.<br />
Weiters sollte der Weg zu fachmännischer (ärztlicher, psychologischer, psychotherapeutischer)<br />
Hilfe <strong>nicht</strong> gescheut werden.<br />
Angst und Suizidalität<br />
Hinter jeder Angst steckt biologisch Existenz-Angst; auch Schuldgefühle sind Ängste vor<br />
Ver<strong>nicht</strong>ung. Psychologisch gesehen können persönliche Anlagen oder Konflikte Angst vor<br />
Veränderung, vor Stillstand, vor zu großer Nähe oder zu großer Distanz bereiten. Angst macht<br />
eng. Dadurch kann es sogar zu Lebensmüdigkeit kommen. Selbstmord kann fälschlicherweise<br />
als „Ausweg“ vor dauernden Angstzuständen betrachtet werden.<br />
Beziehungsängste (Haltlosigkeit)<br />
• Angst vor anderen in der Gruppe, Klasse, Gemeinschaft<br />
• Angst vor den Eltern, vor Lehrer/innen, Vorgesetzten<br />
• Allgemeine Angst und spezifische Furcht<br />
• Ängste ohne besonderen Anlass, (gereizte, nervöse, depressive Stimmung, Erschöpfung).<br />
• Ängste vor ganz bestimmten Situationen oder Objekten; sie nennt man Phobien.<br />
Z.B. Angst vor engen oder weiten Räumen (Klaustro-, Agoraphobie), Errötungs-Phobie,<br />
Spinnen-Phobie usw.<br />
Leistungsängste (Hilflosigkeit)<br />
• Angst, wenn man <strong>nicht</strong> genau weiß, was von einem verlangt wird (Stress durch Fremdes).<br />
• Angst, wenn man zu viel von sich oder anderen erwartet (Perfektionismus etc.).<br />
38
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Ängste in Entwicklungskrisen - Lebenskrisen (Hoffnungslosigkeit)<br />
• Ängste vor Entscheidungen (z.B. in der Schule, im Studium, im Beruf, im Privatbereich, in<br />
bestimmten Lebensabschnitten, ...) und daraus entstehende Entwicklungskrisen. Sie<br />
sind Herausforderungen an unsere persönliche Freiheit und Selbstgestaltung.<br />
• Ängste aus einer seelischen/körperlichen Verzweiflung; in unerträglich belastenden<br />
Situationen; nach Schicksalsschlägen. In diesen Lebenskrisen fühlen wir uns im Stich<br />
gelassen, ohne Hoffnung und ohne Kraft zur Veränderung. Lebenskrisen kann man<br />
meist <strong>nicht</strong> alleine lösen! Wenn uns alles zu viel wird und die „Erde unter uns schwankt“,<br />
brauchen wir jemanden, der uns stützt und begleitet, bis wir wieder „festen Boden“ unter<br />
den Füßen haben.<br />
Schulängste (Hiflosigkeit und/oder Haltlosigkeit bzw. zu starke Bindung)<br />
• Die (reale) Schulangst: bei Überforderung, bei schlechtem KlassenkIima, bei Spannungen<br />
mit Lehrer/innen, bei Außenseiterproblematik in der KIasse, beim WechseI in eine neue<br />
SchuIart oder SchulkIasse usw.<br />
• Schulverweigerung: Problem der persönlichen Haltung zur Arbeit bzw. Leistung. Diese<br />
verwöhnten oder vernachlässigten Kinder lehnen die Belastung durch die Schule ab.<br />
• Die Schulphobie: Hier wird <strong>nicht</strong> die Schule gefürchtet, sondern die Trennung von der<br />
Mutter bzw. nächsten Bezugsperson. Dahinter steckt oft tiefe Unsicherheit in Bezug<br />
auf die eigene Person, eine Angst vor der lndividualität, dem „Flüggewerden“ aus dem<br />
familiären „Nest“.<br />
Normale Angst<br />
• Angst ist ein wichtiges Gefahren-Signal und schützt vor Verletzungen! Ohne Angst würden<br />
wir Risiken eingehen ohne Warnung. Angst ist überlebenswichtig!<br />
Es ist wichtig zu erkennen, welcher Angsttyp vorliegt, um die richtigen Gegenmaßnahmen und<br />
Abhilfen bereitstellen zu können!<br />
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Aggression und Suizidalität<br />
Ärger, der hinunter geschluckt wird, kann zu einem seelischen „Totstellreflex“ führen oder<br />
krank machen; Depressionen und aktive Autoaggression bis hin zum Selbstmord, seelischer<br />
Zusammenbruch und Erschöpfung bis hin zur Absenkung der Immunschranke können die Folgen<br />
unterdrückter Wut sein, ebenso Angst und diffuses Unbehagen, aber auch explosionsartig sich<br />
entladender Zorn bei kleinsten Anlässen. Es kann aber auch zum Absacken in Drogenkonsum<br />
oder zum Medikamentenmissbrauch oder zu Essattacken kommen.<br />
Aggression ist <strong>nicht</strong> gleichzusetzen mit Selbstbehauptung, Notwehr, Durchsetzungsfähigkeit,<br />
Nein-Sagen-Können.<br />
Unter Aggression wird hier verstanden<br />
1) die Freisetzung von Energie mit Schadenswirkung, die<br />
2) sehr oft <strong>mehr</strong> oder minder beabsichtigt ist und<br />
3) gegen Gegenstände und/oder gegen sich und/oder gegen andere gerichtet ist<br />
(Selbst- und Fremdgefährdung) gehen oft ineinander über.<br />
Im extremen Fall kommt es zum Amoklauf als einem Rundumlauf der Ver<strong>nicht</strong>ung oder oft<br />
auch als erweiterten Selbstmord.<br />
Wie entstehen Aggressionen?<br />
Oft sind Aggressionen Zeichen erlernter Hilflosigkeit, man weiß sich <strong>nicht</strong> anders zu helfen<br />
als zuzuschlagen, zu zerstören. Das dichte Nebeneinander in Gruppen und Ansammlungen<br />
kann zu aggressiven Revierverteidigungen führen. Aggression entsteht bei hoher Anspannung,<br />
Überreiztheit, bei zu vielen belastenden Ereignissen (Hilflosigkeit).<br />
Sie kann aber auch tiefe Wurzeln in frühen Kindheitserlebnissen haben, die zu Misstrauen und<br />
Anspannung, Feindseligkeit und Abwehrhaltung führen, vor allem wenn das Selbstbild negativ<br />
ist: Wie soll der, der sich selbst <strong>nicht</strong> mag, andere gut behandeln können? (Haltlosigkeit).<br />
Die negative Erwartungshaltung führt in einer selbsterfüllenden Prophezeiung zu weiteren<br />
Beziehungsmisserfolgen.<br />
Welche Rolle spielen Konflikte?<br />
Konflikt bedeutet Streit, Kampf, Zusammenstoß.<br />
Konflikte können innere sein oder äußere. Innere Konflikte können Appetenz-Appetenz-Konflikte<br />
sein (man <strong>will</strong> beides, was aber <strong>nicht</strong> möglich ist, man muss wählen, was man realisiert),<br />
40
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Aversions-Aversions-Konflikte (man möchte beides vermeiden, was aber <strong>nicht</strong> möglich ist, man<br />
muss wählen, was man vermeidet). Es gibt auch gemischte Konflikte zwischen Wünschen und<br />
negativen Folgen, zwischen Wunsch und Angst. Jemand kommt also mit sich in Widerstreit,<br />
weil er oder sie etwas möchte und zugleich etwas anderes damit Unvereinbares; oder weil er<br />
oder sie etwas möchte, aber zugleich etwas fürchtet; oder weil er oder sie zwischen zwei gleich<br />
großen Unannehmlichkeiten wählen muss.<br />
Äußere Konflikte können in Gruppen, Familien, Klassen, zwischen den Geschlechtern,<br />
zwischen Jung und Alt, zwischen verschiedenen Funktionsträgern usw. entstehen durch:<br />
Unterschiedliche Sichtweisen, unterschiedlichen kulturellen Hintergrund, unterschiedliche<br />
Erfahrungen, Lebensstile, Positionen. Für Konflikte gilt dasselbe wie oben gesagt: Das<br />
Ignorieren der Spannungen in Scheinharmonie kann zu aggressiven Spannungsentladungen,<br />
aber auch zu Krankheiten führen.<br />
Was bedeutet Konfliktkultur?<br />
Konfliktkultur bedeutet: Kommunikation, Kreativität und Koevolution!<br />
Innere und äußere Spannungen und Differenzen können ohne Aggression gegen sich oder<br />
andere gelöst werden (Verhaltensrepertoire), indem wir miteinander reden und einander<br />
zuhören, indem wir <strong>nicht</strong> einen Entweder-oder-Standpunkt vertreten, sondern nach kreativen<br />
Lösungen für ein Miteinander suchen, bei dem beide Konfliktparteien berücksichtigt werden<br />
(Vernetzung). Und schließlich dadurch, dass wir überzeugt sind, dass Unterschiede wertvoll<br />
sind und wir uns nur gemeinsam weiterentwickeln können (Vision).<br />
Traumatisierung und Suizidalität<br />
Vieles im Leben kann uns verletzen, verwunden, eine Wunde (griech.: Trauma) schlagen.<br />
Ebenso vielfältig wie die Ursachen sind auch die Folgeerscheinungen und somit aber auch<br />
die Behandlungswege, die immer auf den Einzelnen individuell abgestimmt werden müssen.<br />
Die akute Belastungsstörung tritt innerhalb einiger Stunden, Tage nach dem Trauma auf, relativ<br />
bald kann aber wieder ein inneres Gleichgewicht gefunden werden.<br />
Die posttraumatische Belastungsstörung dauert länger als sechs Monate und zeichnet<br />
sich durch Übererregung, Vermeidungsverhalten, emotionale „Taubheit“ und un<strong>will</strong>kürlich<br />
auftretende belastende Erinnerungen aus. Angst, Depression, Schuldgefühle, Aggression,<br />
Drogenkonsum bzw. Medikamentenmissbrauch. Intensive Beschäftigung mit Selbstmord ist<br />
ebenfalls häufig die Folge.<br />
41
Zu unterscheiden sind menschlich verursachte Traumen und Naturkatastrophen, weiters kurz<br />
andauernde und länger andauernde Traumen. Ebenso wichtig ist auch die Unterscheidung<br />
zwischen Traumen und Mikrotraumen. Bei letzteren kommt es zu psychischen Folgen durch<br />
zeitliche oder inhaltliche Additionen. Viele kleine Verletzungen (Missachtung, Kälte in der<br />
Beziehung, Abwertung, kein Eingehen auf Grundbedürfnisse) können in der Summe schlimme<br />
traumatische Wirkungen zeigen.<br />
Welche traumatischen Ereignisse gibt es?<br />
Jedes Ereignis, das die eigene Verarbeitungsmöglichkeit übersteigt, aber auch jede innere<br />
Spannung, die zu stark ist, um bewältigt zu werden, kann als traumatisch bzw. traumatisierend<br />
angesehen werden. Dies erklärt, warum <strong>nicht</strong> nur Extremsituationen zu Traumatisierungen<br />
führen können, sondern auch die Summe von kleinen Belastungen, chronische Mikrotraumen<br />
traumatisch wirken können. Extremsituationen sind z.B. direkte Lebensbedrohung, Verletzung<br />
mit großem Ausmaß körperlicher Schmerzen, Zeuge sein von Gewalttätigkeiten<br />
gegenüber anderen, von ungewöhnlichen bzw. plötzlichen Sterbefällen insbesondere von<br />
Familienmitgliedern oder Freunden. Auch das eigene Begehen gewalttätiger Handlungen gegen<br />
andere kann traumatisieren (z.B. durch das Gefühl, die Kontrolle über sich verloren zu haben).<br />
Auch Hilflosigkeit kann traumatisieren. Je näher man der Bedrohung ist, je unerwarteter sie<br />
ist, je länger sie dauert, je <strong>mehr</strong> Beziehung man zu Opfern bzw. Tätern hat, umso größer ist das<br />
Ausmaß der Belastung.<br />
Was ist wichtig, wenn im unmittelbaren Nahbereich jemand von einer Traumatisierung<br />
betroffen ist?<br />
Alles, was hilft, die innere Stabilität nach der Erschütterung wieder zu gewinnen, ist wertvoll.<br />
Das kann durch Informationen geschehen oder dadurch, dass man der traumatisierten Person<br />
hilft, Gefühle zu äußern. Wichtig ist weiterhin, dass das traumatische Ereignis auch wieder<br />
„verlassen“ werden kann, dass man Anschluss findet an die Person, die man vor dem Ereignis<br />
war. Und dass man auch wieder Halt in einer sicheren Gemeinschaft findet und positive<br />
Erfahrungen machen kann.<br />
42
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Einige wichtige Regeln für Kurzinterventionen<br />
• Ein durch Fürsorge geprägtes Verhalten verringert das Gefühl der Isolation sowie die Erfahrung<br />
einer feindseligen Umwelt, der die Traumatisierten ausgesetzt waren (Vernetzung).<br />
• Indem man die Traumatisierten um Erlaubnis fragt, mit ihnen etwas tun zu dürfen, gibt<br />
man ihnen wieder ein gewisses Gefühl der Kontrolle (Verhaltensrepertoire).<br />
• Hilfe beim Aufbau eines Bewältigungsplans für die Gegenwart und die Zukunft führt zur<br />
Verringerung von Hilflosigkeits- und Hoffnungslosigkeitsgefühlen (Vision).<br />
• Wichtig ist auch: Nicht dominant zu wirken, sondern eben die Dominanz beim Traumatisierten<br />
zu belassen.<br />
Was soll durch Intervention erreicht werden?<br />
Der eingetretene Schock kann ohne Hilfe verfestigt werden, zu einer Einschränkung der<br />
Wahrnehmung(sbereitschaft) oder zu einem dauernden Übererregungszustand führen oder zu<br />
einem Absacken in Apathie. Biologisch handelt es sich um gesteigerte noradrenerge Aktivitäten,<br />
Dysregulation der endogenen Schmerzbewältigung (Endorphine etc.) u.v.a.m. Das sogenannte<br />
Kindling-Phänomen bezeichnet eine Senkung der Erregungsschwelle des autonomen Nervensystems<br />
(Hilflosigkeit).<br />
Man unterscheidet Ereignisfaktoren (Traumaschwere, Unerwartetheit, Unkontrollierbarkeit),<br />
Risikofaktoren (Alter, Vorerfahrungen etc.), posttraumatische Prozesse, Folgen und Schutzfaktoren.<br />
Zu letzteren zählen der Kohärenzsinn, d.h. Fähigkeit zur geistigen Einordnung des<br />
Geschehenen in einen Sinnzusammenhang (Vision), und soziale Unterstützung (Vernetzung).<br />
Ohne Hilfe können die Selbsthilfeversuche des Traumatisierten auch entgleisen (<strong>nicht</strong><br />
ausreichendes Verhaltensrepertoire) und zu unpassenden Versuchen führen, die Umgebung<br />
zu kontrollieren (destruktive Vernetzung) oder sich mit Willensanstrengung über die Probleme<br />
hinweg zu zwingen (unechte Vision). Oder es kann auch verspätet zum Ausbruch von<br />
Selbstvorwürfen und Verzweiflung kommen. Ziel muss daher die Wiederherstellung der intakten<br />
Persönlichkeit sein, die das Vorgefallene <strong>nicht</strong> leugnen muss; die das Ereignis aber auch richtig<br />
interpretiert und <strong>nicht</strong> durch eventuelle Selbstanklagen verzerrt und die schließlich einen<br />
geeigneten Abstand vom Geschehen und damit die Chance einer Neuorientierung erhält.<br />
43
Die Erhöhung der Kontrollüberzeugung ist eine ganz wichtige Dimension der Traumatherapie.<br />
Bei Untersuchungen mit Suizidalen wurde immer wieder die empfundene „Hilflosigkeit“ als<br />
ein entscheidender Faktor gefunden. Darunter ist hier die tatsächliche Inkompetenz der<br />
Situationsveränderung, verbunden mit Misserfolgserwartung, zu verstehen. Dazu gehört<br />
das Erleben der Abhängigkeit von anderen, die Unselbstständigkeit in eigenen Belangen.<br />
Chronische Hilflosigkeit führt zur Selbstaufgabe oder unkritischen Überantwortung an andere<br />
und ist besonders in Bezug auf die persönliche Identität gefährdend. Zunehmendes Erleben der<br />
eigenen Effektivitätsverluste (psychologischer Begriff: Mangelnde Kontrollüberzeugung) kann<br />
zu Betäubung im Suchtverhalten oder zu suizidalen Kurzschlusshandlungen führen.<br />
Treten gemeinsam mit der Belastungsstörung Depressionen, Sucht, somatoforme Störungen<br />
(körperliche Probleme ohne entsprechenden Befund) auf, dann ist Vorsicht vor Konfrontationstechniken<br />
geboten, sie können zu belastend sein. Wichtig ist auch: Distanzgewinnung statt<br />
verfrühter Einsichtsgewinnung. Bedrängendes muss auf Distanz gehalten werden können.<br />
Abwehr ist als coping (Bewältigungsstrategie) zu sehen. Wichtig ist es aber auch, die Krise als<br />
Gefahr und Chance zu sehen und die positiven Auswirkungen der erlittenen Erschütterung zu<br />
überlegen.<br />
Lerntheoretisch kommt es zu einer Konditionierung und Heranbildung einer Furchtstruktur<br />
mit dysfunktionalen Kognitionen. Diese gilt es, bewusst zu machen und aufzulkösen.<br />
Wohlfühlprogramme<br />
Sedlak hat ein Programm entwickelt, um wieder Ressourcen aufzubauen oder aufzuspüren. Er<br />
beschreibt sechs Stufen der Psychohygiene: Körperbewusstsein, Erlebniskultivierung, bewusste<br />
Aktivität, Strategie und Kreativität als Problemlösung, Selbstbestimmung und Sinnorientierung,<br />
soziales Engagement und Transpersonalität.<br />
Zunächst geht es um die Befriedigung der Grundbedürfnisse wie Erholung, Schlaf, Ruhe,<br />
Essen... Dann wird die Erlebnisdimension fokussiert wie etwa Naturbetrachtung, ansprechende<br />
Musik usw. Die körperliche Fitness betont die positive Beziehungsaufnahme zum Körper<br />
selbst, die geistige Fitness die spielerische Rückgewinnung des Vertrauens in die eigenen<br />
Regulationsfähigkeiten, das Existenzbewusstsein peilt die Frage nach der persönlichen<br />
Sinnsetzung – über die eigene Person hinausgehend - an und das soziale (transpersonale)<br />
Engagement hilft zur Öffnung auf die personale Objektwelt (die möglicherweise auch traumatisch<br />
bedingt vom Rückzugsverhalten betroffen war).<br />
44
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Eine weitere Technik hat Sedlak als „Was wäre wenn..?“-Übung in <strong>mehr</strong>eren Veröffentlichungen<br />
beschrieben. Dabei werden die möglichen Folgen unerwarteter Situationen und die möglichen<br />
Bewältigungsstrategien besprochen. Diese Übung eignet sich besonders als Stress-Prophylaxe<br />
und Kompetenztraining bei Kindern und Jugendlichen. Es werden verschiedene belastende<br />
Situationen bearbeitet, z.B. was wäre, wenn dir jemand folgt und du bist ganz allein? Die<br />
verschiedenen Handlungsmöglichkeiten werden gemeinsam erörtert und pro- und contra-<br />
Beurteilungen abgegeben. Manches lässt sich dann spielerisch oder imaginativ vertiefen.<br />
Helfende Maßnahmen für Opfer von Katastrophen<br />
Wichtig ist der Aufbau eines Helfersystems für kurzfristige Hilfestellungen (medizinische<br />
und psychologische erste Hilfe, Gruppenangebote für Einsatzpersonal - dem Helfersystem<br />
muss ebenfalls geholfen werden - Organisation von Trauerformalitäten…), mittelfristige<br />
Hilfestellungen (finanzielle Hilfen, Gruppenangebote für Betroffene) und langfristige Hilfestellungen<br />
(Therapien).<br />
Weitere wichtige Schritte<br />
• Eigene Ressourcen stärken (Entspannungstraining, system. Desensibilisierung...)<br />
• Dem Ereignis einen neuen Sinn verleihen (reframing, kognitive Umstrukturierung)<br />
• Debriefing-Gruppen (d.h. Gruppen, die Nachbesprechungen nach der Katastrophe vollziehen,<br />
Auswertungen nach der Ablauf-Struktur: Was sind die Fakten? – Wie sind die<br />
Gefühle? – Welche Symptome machen zu schaffen? – Wie ist alles zu bewerten?).<br />
Eine ähnliche Struktur beschreibt Sedlak: Beobachten – Beschreiben – Bewerten – Befolgen.<br />
D.h.: Was wurde beobachtet, wie kann man es in Worte fassen, wie soll man dazu stehen,<br />
was folgt daraus an Konsequenzen? Zunächst werden also die Beobachtungen an anderen<br />
und an einem selbst verglichen. Dabei wird gemeinsam nach einer verständlichen Form des<br />
Ausdrucks gesucht, weil vieles, was traumatisch belastet, nur schwer in Worte fassbar ist.<br />
Schließlich werden diese Erlebnisse beurteilt bzw. auf ihre Konsequenzen befragt.<br />
Bei dieser Abfolge wird noch berücksichtigt, dass vor den Fakten die Beobachtung kommt,<br />
d.h. was hat jeder tatsächlich beobachtet? Weiters wird berücksichtigt, dass das „Sprechen<br />
darüber“ oft <strong>nicht</strong> gleich gelingt, sondern erst „Worte gefunden werden müssen“. Schließlich<br />
bleibt es auch <strong>nicht</strong> bei der Bewertung, sondern es werden praktische Handlungskonsequenzen<br />
erarbeitet. Konfrontationen können in sensu (Imaginationsebene) und in vivo (tatsächliches<br />
Aufsuchen der Orte) erfolgen.<br />
45
Symbolische Verarbeitung (etwa durch Gedenkstätten) hilft beim Loslassen. Interessant sind in<br />
diesem Zusammenhang „Rituale des Abschieds“, womit hier therapeutische Symbolhandlungen<br />
zum Ablösen von belastenden Erinnerungen gemeint sind.<br />
Mobbing und Suizidalität<br />
Inhaltlich hätte das Thema Mobbing (der gezielte Psychoterror gegen eine Person durch<br />
eine Einzelperson oder Gruppe) sowohl im Kapitel Aggression und Suizidalität sowie im<br />
Kapitel Trauma und Suizidalität Platz finden können. Denn Mobbing ist eine aggressive,<br />
wenn auch oft schleichende, latente, „subkutane“ Haltung und Verhaltensweise gegenüber<br />
dem Opfer; aber Mobbing ist auch eine potentiell traumatisierende Erfahrung.<br />
Gerade die lang schwelenden Handlungen mit dem Ziel, eine Person in Isolation, Haltlosigkeit<br />
(Beschädigung des sozialen Netzes, Gefährdung sozialer Ressourcen), Hilflosigkeit<br />
(Untergrabung des Selbstwerterlebens, der Selbstachtung) und Hoffnungslosigkeit (Mutlosigkeit,<br />
Unentrinnbarkeit) zu versetzen, können ein kumulatives Trauma bewirken. Dass Mobbing<br />
zu schweren psychosomatischen Erkrankungen (Magen-Darmstörungen, Schlafstörungen<br />
etc.), zu stressbedingter Dekompensation, zu Antriebslosigkeit, Depressionen, aggressiven<br />
Durchbrüchen, allgemeiner Gereiztheit und Überempfindlichkeit, Verstrickung in Grübeleien und<br />
exzessiver Beschäftigung mit dem Mobbing und schließlich auch zu Selbstmord(handlungen)<br />
führen kann, ist kaum bestreitbar. Auf fünf bis zehn Selbstmorde kommt Einschätzungen<br />
zufolge ein durch Mobbing bedingter Suizid.<br />
Wichtig ist, dem Mobbing so bald wie möglich entgegen zu wirken, wobei als Ansatzpunkt die<br />
bekannte Trias von Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit praktikabel ist. Indem<br />
positive Kontakte aufgesucht werden - außerhalb des Mobbingbereichs - und in diesen<br />
Beziehungen zum Familien- bzw. Freundeskreis eine Bestätigung für die eigene Perspektive<br />
erfahren wird, kann man ein Gegengewicht zum Eindruck „ein Geisterfahrer“ (Veränderung<br />
des kommunikativen Realitätssinns) zu sein, herstellen. Durch Zukunftsszenarien kann der<br />
Hoffnungslosigkeit entgegen gewirkt werden, z.B. durch Wechsel des Arbeitsfeldes. Durch<br />
Aufgreifen bzw. Bewusstmachen der Verhaltensmöglichkeit wird der quälende Eindruck<br />
hilflosen Ausgeliefertseins aufgehoben. Mobbingfolgen können aber so tiefgreifend sein, dass<br />
psychotherapeutische oder klinisch-psychologische Hilfen unerlässlich sind.<br />
46
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Sterbebegleitung und Suizidalität<br />
Gegenüber der Traumatherapie als Hilfe nach außerordentlichen selischen Erschütterungen,<br />
gegenüber der Notfallspsychologie als Unterstützung in Ausnahmesituationen, gegenüber<br />
Krisenintervention als Stützung bei seelischem Zusammenbruch betont die Sterbebegleitung<br />
die Bemühungen, dem sterbenden Menschen ein würdiges Erleben seiner letzten Lebensphase<br />
zu ermöglichen.<br />
Die Sterbebegleitung ist selten ein ruhiges Hinausbegleiten des Lebensbootes ins offene<br />
Meer. Nicht nur wegen der möglicherweise recht hohen Wogen des Schmerzes und Leides.<br />
Das Faktum des nahenden Lebensendes an sich wird verdrängt, geleugnet, bekämpft. In<br />
resignativen Phasen ist das „<strong>Ich</strong> <strong>will</strong> <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong>!“ sehr oft zu hören und die Suizidneigung sehr<br />
hoch, oft nur gebremst durch die Hilflosigkeit und Unfähigkeit, selbst an sich Hand anzulegen.<br />
Deshalb bedeutet die Sterbebegleitung eine sehr starke Herausforderung an die Begleiter,<br />
ihren eigenen Standpunkt zu Leben und Tod zu reflektieren.<br />
Ebenso ist es für Ärztinnen und Ärzte eine kritische Aufgabe zu entscheiden, ob eine verlängerte<br />
medizinisch-apparative Lebenserhaltung ethisch aufrecht haltbar ist oder ob weitere Hilfestellung<br />
wegen der Verlängerung des Leides unterbleibt. Die Berührung zwischen Suizidalität und<br />
Sterbebegleitung ist deutlich gegeben bei Tötung auf Verlangen, hier spricht man auch <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong><br />
von Sterbebegleitung, sondern von direkter oder indirekter Sterbehilfe. Die Patientenverfügung<br />
ist die Vorsorge für den Fall, dass man krankheitsbedingt den persönlichen Willen <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong><br />
selbst zum Ausdruck bringen kann. Mit der Patientenverfügung wird u.a. dargelegt, welche<br />
Maßnahmen man zur Lebenserhaltung, Lebensverlängerung und Schmerzlinderung ablehnt.<br />
Persönlichkeitsstörungen und Suizidalität<br />
Es gibt Unterschiede zwischen momentanen Zuständen (z.B. Gereiztheit, wenn jemand unpünktlich<br />
ist), Persönlichkeitseigenschaften (manche Menschen regen sich etwas leichter auf als<br />
andere), Persönlichkeitsstilen (z.B. jemand sein, bei dem ein hitziges Temperament wesentlich<br />
dazu gehört) und Persönlichkeitsstörungen (z.B. eine aggressive Persönlichkeitsstörung haben).<br />
Persönlichkeitsstörungen kommen in ca 5% - 8% der Bevölkerung vor und bedeuten, dass<br />
man mit seinem Verhaltensmuster bei anderen aneckt und auch selbst darunter leidet. Der<br />
für therapeutische Veränderungen notwendige Leidensdruck entsteht weniger in Bezug auf<br />
bestimmte Symptome, sondern eher in Bezug auf die Folgen, nämlich die (für den persönlichkeitsgestörten<br />
Menschen meist unverständlichen) Reaktionen der Umwelt auf das eigene Verhalten,<br />
das zumeist als völlig mit sich selbst übereinstimmend (ich-synton) empfunden wird.<br />
47
Wie formt sich die Persönlichkeit?<br />
Während sich die Persönlichkeit jedes Menschen aus dem Zusammenspiel der angeborenen,<br />
biologisch-genetischen Disposition (Temperament) und der erworbenen Konstellation von<br />
Verhaltens-, Denk- und Gefühlsmustern (Charakter) und somit aus einer Kombination von<br />
eigener betonter oder <strong>nicht</strong> betonter Aktivität und hemmender oder aktivierender<br />
Umwelt nachvollziehbar ergibt, zeigen Menschen mit Persönlichkeitsstörungen starke<br />
Unausgeglichenheiten, ein vom allgemeinem Verständnis abweichendes Gefühls- und Verhaltensmuster:<br />
Sie können von ihren Mitmenschen als sonderlich, exzentrisch empfunden<br />
werden, als schwer zugänglich und unsozial; oder man erlebt sie als launisch und<br />
dramatisch mit einem sehr lebhaften, überschwänglichen Gefühlsausdruck und großen<br />
Selbstwertproblemen; oder sie verhalten sich gehemmt, passiv-aggressiv, sehr zwanghaft und<br />
selbstschädigend. Bei allen Persönlichkeitsstörungen ist das Selbsterleben gestört, ebenso<br />
gibt es Schwierigkeiten mit zwischenmenschlichen Beziehungen, mit der Leistungsfähigkeit,<br />
mit der Realitätswahrnehmung, mit den Gefühlen und der Impulskontrolle. Das Verhalten<br />
ähnelt z.T. den Gewalt“lösungen“ im Videobereich, in Computerspielen sowie im Film und<br />
Fernsehen.<br />
Diese Störungen können sich bereits im Kindesstadium andeuten, sind aber mit Sicherheit<br />
erst in der Adoleszenz diagnostizierbar. Man spricht im Kindesalter eher von Persönlichkeitsentwicklungsstörungen,<br />
d.h. einer Risikokonstellation für das Auftreten einer Persönlichkeitsstörung<br />
im Erwachsenenalter.<br />
Der Zusammenhang mit Suizidalität<br />
ergibt sich aus der starren, unangepassten Affektivität (z.B. starke aggressive Tendenzen), der<br />
mangelnden Realitätswahrnehmung (man merkt z.B. <strong>nicht</strong>, welche Reaktionen man auslöst),<br />
und aus der unzureichenden Impulskontrolle. Bei narzisstischen (den Selbstwert betreffenden)<br />
Persönlichkeitsstörungen etwa kommt es durch Frustrationen oder Verlusterlebnisse zu<br />
einem totalen Kippen von vorher erlebter Großartigkeit in Minderwertigkeitsgefühle und<br />
Selbstentwertung, zu Gefühlen tiefer Hilflosigkeit und Haltlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, woraus<br />
eine Selbstmordhandlung resultieren kann. Oft wird der eigene Körper ohnehin als fremd und<br />
<strong>nicht</strong> zugehörig erlebt. Persönlichkeitsstörungen erfordern langwierige und intensive therapeutische<br />
Arbeit.<br />
48
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Negative Zukunftsszenarien und Suizidalität<br />
Prognosen über die Entwicklung unserer Lebensqualität in einer sich gänzlich wandelnden<br />
Gesellschaft zeichnen ein düsteres Bild: Zusammen mit einem beruflichen Nomadentum,<br />
einem ständigen Entstehen und Auflösen von Organisationen und Firmen, dem Ende der<br />
Nationalitäten, einem Leben in Unsicherheit und Angst (Hoffnungslosigkeit) wird es zu einem<br />
Nebeneinanderleben kommen, jeder ist einsam (Haltlosigkeit) und versucht, sich durch<br />
Augenblickskonzentration und Unterhaltungs-Konsum abzulenken, dies führt zu einem Verlust<br />
der Identität in einer permanent sich häutenden Welt; kriegerische Auseinandersetzungen um<br />
Religionsstreitigkeiten, Energiereserven, Territorien, Beutezüge von Piraten werden ein Ausmaß<br />
annehmen, dem man hilflos gegenüber steht. Ob dies zu einer Zunahme von Suizidalität führt,<br />
ist ungewiss: Einerseits sprechen die negativen Erwartungen dafür, andererseits gibt es das<br />
seltsame Phänomen, dass gerade in Zeiten hoher Belastung eine Fähigkeit des Menschen<br />
hervortreten kann: Die Resilienz. Darunter versteht man die Widerstandskraft, negative<br />
Situationen gesund zu überstehen und das Beste daraus zu machen.<br />
Abgesehen davon weiß man, dass das Leben oft dann besonders geschätzt wird, wenn es<br />
bedroht ist (z.B. bei Krieg, Hungersnot, Seuchen), dass es als Leben an sich wertvoll ist und<br />
<strong>nicht</strong> etwas Zusätzliches (Geld, Ruhm, Macht, Unterhaltung, ...) braucht, damit es sich lohnt;<br />
während hingegen in Zeiten des Überflusses und der sorglosen Langeweile oft mit dem Leben<br />
gespielt wird oder nach „Zutaten“ verlangt wird, die das Leben lebenswert machen.<br />
Den negativen Prognosen muss man das Bemühen um <strong>mehr</strong> Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit<br />
entgegen stellen. Dies ist unsere Chance gegenüber Krieg, Vertechnifizierung,<br />
Entpersönlichung, Entfremdung, vor allem aber gegen Einsamkeit und Haltlosigkeit, gegen<br />
Untergangs-Erwartungen und Hoffnungslosigkeit und gegen Ohnmacht und Ausgeliefertsein,<br />
Hilflosigkeit.<br />
49
Selbstmord ist keine „Krankheit“ 5<br />
... aber oft Abschluss einer krankhaften Entwicklung, die man an folgenden drei<br />
Phasen erkennt: In der ersten Phase der Erwägung wird der Selbstmord als mögliche<br />
Problemlösung in Betracht gezogen. Äußere Vorbilder wie z.B. Suizide in der Familie,<br />
der Umgebung, bei literarischen Figuren (man denke z.B. an Goethe’s Werther),<br />
etc. spielen dabei oft eine wichtige Rolle. Innerlich gibt es darüber hinaus tief in der<br />
Persönlichkeit verankerte Ursachen wie Aggressionen, die <strong>nicht</strong> nach außen abgeführt<br />
werden können und sich so gegen die eigene Person wenden.<br />
Darauf folgt eine Phase der Ambivalenz: Der Suizidalität liegt eine Ambivalenz<br />
zwischen Leben und Tod zugrunde. Ist der Gedanke an Selbstmord einmal ernsthaft<br />
in Erwägung gezogen kommt es zu einem Kampf zwischen selbsterhaltenden und<br />
selbstzerstörenden Kräften. In diesem Stadium gibt der mit sich Kämpfende Appelle<br />
und Notrufe von sich, die man unbedingt wahr und ernst nehmen sollte. Die Fähigkeit<br />
zu dieser Wahrnehmung ist in der Umgebung oft durch eigene Angst und Ambivalenz<br />
blockiert. Dabei braucht der Gefährdete in diesem Zeitraum die volle Aufmerksamkeit<br />
einer Bezugsperson.<br />
Eine dritte Phase beginnt mit dem Entschluss: Ist ein Entschluss gefallen, tritt oft eine<br />
Beruhigung ein, die von der Umwelt gerne falsch interpretiert wird. In Wirklichkeit<br />
kann man nie wissen, in welche Richtung die Entscheidung gefallen ist! Immerhin kann<br />
Nachfragen hilfreich sein, und wer sich tatsächlich für ein Weiterleben entschieden<br />
hat, kann in der Regel auch klare Gründe dafür angeben. Fehlt auf Nachfragen eine<br />
positive Antwort, so ist dies eher als Alarmzeichen zu werten.<br />
Insgesamt ist die Entwicklung zum Suizid durch eine zunehmende Einengung<br />
gekennzeichnet: Werden die Selbstmordfantasien erst intendiert, so drängen sie<br />
sich später auf. Die sozialen Kontakte werden zunehmend eingeschränkt. Das Gefühl<br />
der Einengung, keinen Ausweg außer dem Tod zu haben, umfasst zunehmend alle<br />
Lebensbereiche. So wird auch das Gefühlsleben immer enger, man spürt keine<br />
affektive Resonanz bei den Betroffenen. Das kann wie innere Ruhe wirken, zeigt<br />
jedoch, wie bereits erwähnt, eher einen Entschluss an.<br />
5: Die Ausführungen (gekürzt) stammen von F. Oberlehner in F. Sedlak (Hg)(2007): Psychologie in Schule und Studium.<br />
Ein praxisorientiertes Wörterbuch. Wien: Springer. Sie zeigen die über die Anfangssignale der Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und<br />
Hoffnungslosigkeit hinausgehende krankhafte Entwicklung und bringen weiterführende hilfreiche Impulse.<br />
50
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Bezüglich des Warum eines Selbstmordes ist es sinnvoll, zwischen Anlass und<br />
Ursache zu unterscheiden: Anlässe bzw. Auslöser sind oft Ereignisse, die unmittelbar<br />
vor der Suizidhandlung passieren und den Betreffenden in eine Krise stürzen:<br />
Versagenserlebnisse in Studium oder Beruf, Liebeskummer, Enttäuschung in einer<br />
Freundschaft und Ähnliches. Es wäre aber zu kurz gedacht, sich mit einem Anlass als<br />
Erklärung zu begnügen oder sich mit dem Motiv, das der Betroffene nennt, zufrieden<br />
zu geben. Ursachen reichen in der Regel weit in die persönliche Lebensgeschichte<br />
zurück, sie können in sozialer Isolation, körperlicher Krankheit oder psychischer<br />
Beeinträchtigung liegen. Sie sind dem Betroffenen vielleicht gar <strong>nicht</strong> bewusst und<br />
können oft nur mit Hilfe von Fachleuten erfahrbar werden.<br />
Subjektiv erleben die Gefährdeten, dass sie keine Freude <strong>mehr</strong> am Leben haben,<br />
anderen <strong>nicht</strong> länger zur Last fallen wollen, sich vereinsamt oder überflüssig fühlen,<br />
sich aus einem unerträglichen Schuldgefühl selbst bestrafen wollen. Gleichzeitig<br />
kommt im Wunsch nach dem Tod eine Sehnsucht nach Ruhe und Geborgenheit, nach<br />
dem Ende aller Anstrengungen, Schmerzen und Leiden zum Ausdruck. Nicht zuletzt<br />
setzen diese Menschen damit einen Appell, der vom verzweifelten Hilferuf bis zum<br />
Denkzettel, den man verpassen <strong>will</strong>, gehen kann…<br />
Wenn die Hoffnung schrumpft; wenn der Halt gebende Boden unter unseren Füßen schwindet,<br />
wenn uns Hilflosigkeit lähmt, dann ist in dieser Einengung die Entwicklung zum Suizid möglich.<br />
Erste Anzeichen sind für Hilflosigkeit „Appelle und Notrufe .., die man unbedingt wahr und<br />
ernst nehmen sollte“. In seiner Haltlosigkeit „braucht der Gefährdete in diesem Zeitraum die<br />
volle Aufmerksamkeit einer Bezugsperson“. Darüber hinaus gilt: „und wer sich tatsächlich für<br />
ein Weiterleben entschieden hat, kann in der Regel auch klare Gründe dafür angeben. Fehlt<br />
auf Nachfragen eine positive Antwort, so ist dies eher als Alarmzeichen zu werten.“ Ein klarer<br />
Hinweis auf die Gefahr der Hoffnungslosigkeit.<br />
51
Literaturbeispiele für Themen im Zusammenhang mit Suizidalität<br />
Zum Suizid gibt es umfangreiche Literatur, die leicht auffindbar ist. Die folgenden drei Literaturangaben<br />
sind <strong>nicht</strong> direkt auf das Selbstmord-Thema ausgerichtet, sondern dienen als Beispiele<br />
dafür, in welchen größeren Zusammenhang man Suizidalität stellen kann: die psychiatrische<br />
und psychotherapeutische Behandlung von Störungen im Kindes- und Jugendalter, den<br />
Umgang mit Krisenmanagement; die frühen biologischen und psychischen Wurzeln von<br />
Bindungsstörungen, selbstverletzendem Verhalten oder Selbstmord.<br />
C.Eggers, J.M.Fegert, F.Resch (Hrsg.) (2004):<br />
Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters.<br />
Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag<br />
Auf 999 Seiten findet sich eine Fülle von interessanten, wichtigen, verständlichen und<br />
praktisch verwertbaren Informationen. Über 20 Autor/inn/en informieren über Grundlagen,<br />
spezielle Störungsbilder und spezifische Problemfelder im Bereich der Kinder- und<br />
Jugendpsychotherapie. Im rund 300 Seiten umfassenden allgemeinen Teil werden die<br />
Verständnisgrundlagen geliefert, z.B. in Bezug auf Erfahrungswerte für die körperliche, seelische,<br />
geistige Entwicklung und ihre unterschiedlichen Normvarianten und -abweichungen. Weiters<br />
grundlegende Ausführungen z.B. zur Diagnostik, zur Therapie oder zur Qualitätssicherung<br />
und Begutachtung. Zum Kapitel 6 (Grundzüge der Therapie) ist anzumerken, dass es sich um<br />
einen sehr weit gespannten Überblick handelt, der keine relevante Fragestellung auslässt.<br />
Im speziellen Teil werden Störungsbilder beschrieben, seien dies Psychosen, Traumafolgen,<br />
Suizidalität, Autismus, Persönlichkeitsstörungen u.v.a.m. Die einzelnen Kapitel enthalten<br />
Ergebnisse der Ursachenforschung, seien dies Befunde, Hypothesen oder psychologische,<br />
therapeutische Ursachenmodelle. Ebenso übersichtlich gehalten sind Symptomatologie,<br />
Differenzialdiagnose und Komorbidität, diagnostische und therapeutische Hinweise und<br />
einschlägige Literaturangaben. Ein sehr informatives und anregendes Lehrbuch.<br />
52
Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
G.S.Everly, J.T.Mitchell (2002):<br />
CISM Stressmanagement nach kritischen Ereignissen.<br />
Wien: Facultas.<br />
Wie geht man nach einer Katastrophe mit traumatisierten Menschen psychologisch richtig um?<br />
Das Buch über CISM („Critical Incident Stress Management“) bringt in prägnant-kurzer Form<br />
die wichtigsten Themen zur Sprache: Wie schätzt man eine akute Krise richtig ein? Wie muss<br />
man in Krisen mit den Betroffenen kommunizieren? Welche Regeln gibt es für eine effektive<br />
Hilfe in Krisen? Wie läuft eine Krisenintervention nach dem CISM-Muster ab? Was wirkt<br />
dabei? Das Buch enthält darüber hinaus auch Effektivitätsstudien zur CISM und internationale<br />
Versorgungsrichtlinien. Der Anhang ist in <strong>mehr</strong>ere Bereiche gegliedert: Eine Kurzdarstellung<br />
über allegemeine Richtlinien beim Aufbau eines CISM–Teams, eine Aufschlüsselung häufiger<br />
Krisenereignisse nach den Fragen wer? (braucht Hilfe), wann? (beginnt der CISM-Einsatz),<br />
was? (ist interventionsmäßig zu tun) mit zahlreichen konkreten Beispielen; zwei Aufstellungen<br />
führen die frei erhältlichen beruhigenden bzw. anregenden Substanzen an; eine kurze Liste<br />
führt Faktoren an, die das Suizidrisiko erhöhen.<br />
Rygaard N P (2006)<br />
Schwerwiegende Bindungsstörung in der Kindheit. Eine Anleitung zur praxisnahen Therapie.<br />
Springer Wien New York<br />
Über Bindung und Bindungsstörungen hat man doch schon viel gelesen – meint man, bis man<br />
dieses Buch in die Hand bekommt und damit einen faszinierenden Zugang zu befremdenden,<br />
verstörenden Verhaltens- und Reaktionsweisen von Kindern und Jugendlichen (und<br />
Erwachsenen). Das Buch schlägt zwei Brücken: Einerseits zwischen neuronalen, sensorischen<br />
und psychosozialen Faktoren (es wird gezeigt, wie antisoziale oder Borderline-Störungen,<br />
selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität von Jugendlichen ihre Wurzeln in physiologisch<br />
bedingten Störungen der Informationsverarbeitung von Säuglingen, aber auch in labilen<br />
psychischen Versorgungsbedingungen haben können) – damit ist aber auch ein Frühzugang<br />
zur Behandlung sonst oft zu spät wahrgenommener Deviationen möglich. Andererseits wird<br />
auch eine Brücke zwischen individueller Disposition und gesellschaftlicher Situation hergestellt<br />
(z.B. wenn abrupte Veränderungen im sozialen Zusammenleben Adaptationsschwierigkeiten<br />
erzeugen, die sich dann als Unsicherheit im Umgang mit dem auf Konstanz und Sicherheit<br />
angewiesenen Individuum ausdrücken).<br />
53
SCHLUSSWORT<br />
Lebenskrisen sind Herausforderungen an uns alle<br />
Leider gibt es eine über die Jahre und Jahrzehnte hinweg relativ gleichbleibende Zahl von<br />
Menschen, die einen Weg aus der seelischen Krise <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> sehen (wollen) und ihrem Leben<br />
gewaltsam ein Ende bereiten. Wir können auf vielfache Weise helfen: Jeder kann sich für sich<br />
selbst und für andere um die schützenden und stützenden Faktoren, um die hier sogenannten<br />
Lebensfaktoren kümmern. In schwierigen Situationen hilft eine von erfahrenen Fachleuten<br />
geleitete Krisenintervention (d.h. eine kurzfristige Soforthilfe in Krisensituationen mit dem Ziel<br />
der Überwindung der akuten Notsituation und der Verhinderung einer Eskalation). Manchmal ist<br />
nach der Krisenintervention auch eine gründliche Aufarbeitung aller maßgeblichen Umstände<br />
und Probleme notwendig. Zu Lebenskrisen können traumatische Erlebnisse führen oder viele<br />
kleine belastende Ereignisse über eine längere Zeit hinweg. Eine gewisse Zeit hindurch ist es<br />
möglich, die Probleme „wegzustecken“, aber dann kann es bei einem geringfügigen Anlass zu<br />
einem Zusammenbruch (Dekompensation) kommen. Wir können <strong>nicht</strong> alles erkennen oder alle<br />
Probleme verhindern bzw. lösen. Wir sollten aber wachsam sein, wenn Entwicklungen „schief<br />
laufen“ und – so weit es möglich ist – für positive Wendungen sorgen! 6<br />
Die <strong>Schulpsychologie</strong> - Seele im System?<br />
Rund 150 Schulpsycholog/innen in Österreich helfen bei Lernproblemen, bei Schullaufbahn-<br />
Fragen, bei Fragen das Studium betreffend, bei Fragen der Schulentwicklung; aber auch bei<br />
Prüfungsangst, seelischen Krisen u.v.a.m. Sie alle haben einen Universitätsabschluss im<br />
Hauptfach Psychologie und verfügen über ein Expertenwissen in allen Bereichen, wo die Psyche<br />
im Bereich der Schule gefragt ist. Die <strong>Schulpsychologie</strong>-Bildungsberatung gibt es in ganz<br />
Österreich in über 70 Beratungsstellen. Alles, was man über psychologische Hilfemöglichkeiten<br />
– auch in Krisen – wissen möchte, erfährt man über www.schulpsychologie.at.<br />
6: Z.B. auf den entsprechenden Seiten der Website der <strong>Schulpsychologie</strong> Tirols www.krisenintervention.tsn.at<br />
finden sich viele Hinweise wie man Schritt für Schritt mit möglicher oder akuter Selbstmordgefährdung umgehen kann.<br />
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Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
SCHULPSYCHOLOGIE<br />
Die Ansprechpartner/innen im Bundesministerium für Unterricht und in den Bundesländern<br />
Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur<br />
Abteilung I/15 (ehem. V/4), Freyung 1, 1014 Wien,<br />
01/53120-2583, 2584, schulpsychologie@bmukk.gv.at<br />
MR DDR. Franz Sedlak, franz.sedlak@bmukk.gv.at<br />
MR Dr. Gerhard Krötzl, gerhard.kroetzl@bmukk.gv.at<br />
MR Dr. Harald Aigner, harald.aigner@bmukk.gv.at<br />
MR Dr. Beatrix Haller, beatrix.haller@bmukk.gv.at<br />
Landesschulrat für Burgenland, Hofrat Dr. Werner Braun (ab 12/2009 i.R.)<br />
7001 EISENSTADT, Kernausteig 3, 02682/710/131<br />
Landesschulrat für Kärnten<br />
9020 KLAGENFURT, Kaufmanngasse 8, 0463/56 6 59, Hofrat Dr. Gert Lach<br />
Landesschulrat für Niederöstereich<br />
3109 St. Pölten, Rennbahnstraße 29, 02742/280-4700, Hofrätin DDr. Andrea Richter<br />
Landesschulrat für Oberösterreich<br />
4041 LINZ Postfach 107, Sonnensteinstraße 20, 0732/7071-2321, Hofrätin Dr. Agnes Lang<br />
Landesschulrat für Salzburg<br />
5026 SALZBURG, Aignerstraße 8, 0662/8083-4221, Mag. Helene Mainoni-Humer<br />
Landesschulrat für Steiermark<br />
8015 GRAZ, Körblergasse 23, 0316/345/199, Hofrat Dr. Josef Zollneritsch<br />
Landesschulrat für Tirol<br />
6020 INNSBRUCK, Müllerstraße 7, 0512/57 65 61, Hofrat Dr. Hans Henzinger<br />
Landesschulrat für Vorarlberg<br />
6900 BREGENZ, Bahnhofstraße 12, 05574/4960-211, Hofrätin Dr. Maria Helbock<br />
Stadtschulrat für Wien<br />
1010 WIEN, Wipplingerstraße 28, 01/52-525/77505, Hofrätin Dr. Mathilde Zeman<br />
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HILFREICHE KONTAKTE UND HOTLINES<br />
Z.B.<br />
Notfallpsychologischer Dienst Österreich<br />
www.notfallpsychologie.at, Tel.: 0699/188 55 400<br />
Sozialpsychiatrischer Notdienst und Psychosoziale Information<br />
www.psd-wien.at, Tel.: 01/313 30<br />
Sozialinfo Wien<br />
http://hilfe.wien.gv.at, Tel. Sozialruf Wien: 01/533 77 77<br />
Telefonseelsorge<br />
www.telefonseelsorge.at, Tel.: 142<br />
Rat auf Draht<br />
www.rataufdraht.at, Tel.: 147<br />
Elterntelefon Rat auf Draht: 01/71 47 147<br />
Ö3 Kummernummer<br />
www.roteskreuz.at, Tel.: 0800 600 607<br />
Kriseninterventionszentrum Wien<br />
www.kriseninterventionszentrum.at<br />
Tel.: 01/406 95 95<br />
Station für Krisenintervention und Psychotherapie im Jugendalter<br />
Wilhelminenspital Wien, Pav. 15., Tel:: 01/491 50 – 2940<br />
Krisenintervention des Roten Kreuzes<br />
www.roteskreuz.at/service/kontakt/pflege-und-betreuung/krisenintervention<br />
Kindernotruf<br />
www.kindernotruf.at, Tel.: 0800 567 567<br />
Österreichischer Bundesverband für Psychotherapie<br />
www.psychotherapie.at, Tel.: 01/512 70 90<br />
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Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
BROSCHÜREN ZUM DOWNLOAD auf www.schulpsychlogie.at<br />
UND DENNOCH UNBEZWINGBAR!<br />
Wie wir Lebensprobleme bewältigen<br />
Franz Sedlak<br />
Und dennoch unbezwingbar!<br />
Wenn Schule und Studium auf das Leben vorbereiten, dann muss diese<br />
Vorbereitung auch den Umgang mit besonderen Lebensumständen<br />
enthalten wie traumatische Situationen, Leid, Krankheit, Verlust und<br />
Tod. Vor allem bedarf es einer offenen gesellschaftlichen Einstellung<br />
zu diesen Themen. Trotz vieler möglicher Assoziationen in Bezug auf<br />
verwandte Ideen, Ansätze und Konzepte konzentriert sich die Broschüre<br />
auf exemplarische Fallgeschichten aus der Psychotherapie.<br />
DDr. Franz Sedlak
Franz Sedlak<br />
Einladung zur<br />
Psychohygiene<br />
Schule zum<br />
Lebensraum gestalten<br />
Einladung zur Psychohygiene<br />
Zielgruppe: Lehrerinnen und Lehrer<br />
Der Inhalt dieses Buches umfasst Bereiche wie: Körperbewusstsein,<br />
Erlebniskultivierung, bewusste Aktivität, Strategie und Kreativität als<br />
Problemlösung. Selbstbestimmung und Sinnorientierung, Soziales Engagement<br />
und Transpersonalität, Psychohygiene-Check, Habens-Modus<br />
und Sein-Defizit – Determinierung und Entkernung – Problematische<br />
Zeitgeistentwicklungen.<br />
Worin besteht der Psychohygiene-Check, um nur ein Beispiel herauszuheben?<br />
Es sind Fragen wie: Bin ich erholt, regeneriert, entspannt? Wie<br />
intensiv kann ich Erlebnisse gestalten, genießen, wie aufnahmefähig bin<br />
ich? Bewege ich mich „richtig“ oder bin ich angespannt, bewegungsarm,<br />
hektisch ...? Bin ich effektiv? Werde ich derzeit mit Problemen belastet,<br />
die mich überfordern? Bräuchte ich Methoden oder Ideen, wie ich besser<br />
zurechtkomme? Befinde ich mich derzeit in einer Sinnkrise?Erscheint<br />
mir alles frustrierend, grau, leer? Bin ich mir über mich überhaupt <strong>nicht</strong><br />
im Klaren? Bin ich isoliert? Wäre es wünschenswert, <strong>mehr</strong> Kontakte oder<br />
zumindest eine hilfreiche Beziehung zu haben? Mache ich mir auch Gedanken<br />
über Zusammenhänge, die über meine Person und meine Gegenwart<br />
hinausreichen?<br />
Franz Sedlak<br />
DAS LEBEN IST<br />
WERT-VOLL !<br />
Wertbewusst sein – engagiert handeln !<br />
Das Leben ist wert-voll!<br />
Zielgruppe: Kinder, Jugendliche und Erwachsene<br />
Aus dem Inhalt:<br />
Die drei Hauptstraßen der Sinnfindung<br />
Etwas Schaffen<br />
Etwas bewusst erleben<br />
In einer schwierigen Situation standhalten<br />
Der Aktionsradius<br />
Sich um sich selbst kümmern<br />
Sich um andere sorgen<br />
Sich für die Umwelt engagieren<br />
Werte in der Persönlichkeitsentwicklung<br />
Vertrauen schaffen<br />
Selbstständigkeit gewinnen<br />
Initiative entwickeln<br />
Die eigenen Fähigkeiten entwickeln<br />
Identität gewinnen<br />
Den persönlich passenden Lebensstil finden<br />
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Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />
Franz Sedlak<br />
POSITIVE<br />
LEITMOTIVE<br />
10 Stichworte für die Gemeinschaftsbildung<br />
in Schule, Arbeit und Freizeit<br />
Positive Leitmotive<br />
Zielgruppe: Kinder, Jugendliche und Erwachsene<br />
In einer Zeit, in der die virtuelle Welt immer <strong>mehr</strong> an Attraktionen<br />
zu bieten hat, ist es wichtig, sich auf die Vorteile einer lebendigen,<br />
echten, <strong>nicht</strong> elektronisch vermittelten Gemeinschaft zu besinnen.<br />
Klassengemeinschaften in Schule und anderen Ausbildungsstätten,<br />
Arbeitsteams im Berufsfeld, Freizeitgruppen – all dies ermöglicht ein<br />
lebendiges Lernen aneinander, miteinander und füreinander.<br />
Schule z.B. ist <strong>nicht</strong> nur ein Ort der Wissensweitergabe, sondern auch<br />
ein Ort der Wertvermittlung und der mitmenschlichen Begegnung.Damit<br />
diese Begegnung konstruktiv verläuft, sind gewisse Grundbedingungen<br />
wichtig.<br />
Die Broschüre versucht, einige dieser Grundbedingungen als positive<br />
Leitmotive für die Gemeinschaft zu formulieren. Als Anregung für die<br />
positive Gestaltung der Gemeinschaft und als Impuls für die eigene<br />
Weiterentwicklung dieser Gedanken!<br />
PSYCHOLOGISCHE<br />
GESUNDHEITSFÖRDERUNG<br />
im Lebensbereich Schule<br />
Franz Sedlak<br />
Psychische Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern<br />
Studien zeigen, dass der Lehrberuf mit einem hohen Maß an psychischen<br />
Belastungen verbunden ist, denn er erfordert einerseits umfangreiches<br />
Fachwissen, große Flexibilität und Engagement. Anderseits sind Lehrerinnen<br />
und Lehrer mit steigenden Anforderungen und Belastungen konfrontiert,<br />
wie z.B. die veränderten Rollen in Bezug auf den Erziehungsauftrag,<br />
hohen Erwartungen von Seiten der Eltern und häufig auch mit<br />
belastendem Schüler/innenverhalten.<br />
Moderne Ansätze der psychologischen Gesundheitsförderung vereinbaren<br />
personenzentrierte Maßnahmen – die an den „objektiv“ vorhandenen<br />
Stressbedingungen <strong>nicht</strong>s ändern – und stressreduzierende Veränderungen<br />
der Organisation, dabei steht die gesundheitsfördernde Gestaltung<br />
der Arbeitsbedingungen und der Arbeit im Mittelpunkt. Durch partizipative<br />
Veränderungsstrategien - „Betroffene zu Beteiligten zu machen“<br />
- sollen Organisationen geschaffen werden, die sowohl den darin arbeiteten<br />
Lehrerinnen und Lehrern gerechter werden als auch die Schulqualität<br />
langfristig sichern sollen.<br />
Die <strong>Schulpsychologie</strong> und Bildungsberatung leistet mit dem ExpertInnenworkshop<br />
einen wichtigen Präventionsbeitrag.<br />
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Der dynamische Sog der Krise wurde gestoppt.<br />
Neue Perspektiven sind möglich.<br />
Zukunftsoffene innere Bilder entstehen.<br />
Foto: Dipl.-Ing. Richard Sedlak