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Ich will (nicht) mehr! - Schulpsychologie

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Franz Sedlak<br />

<strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Seelische Krisen erkennen und hilfreich handeln.<br />

Bundesministerium für<br />

Unterricht, Kunst und Kultur


Impressum:<br />

Erweiterte Neugestaltung der Broschüre „<strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>“ (BMUKK 2001)<br />

unter Einbeziehung der Broschüre „Erkennen-Beurteilen-Handeln“ (BMUKK 2001).<br />

Autor: MinRat Mag. DDr. FRANZ SEDLAK<br />

Leiter der Abteilung <strong>Schulpsychologie</strong>-Bildungsberatung<br />

im Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK)<br />

Psychotherapeut, Gesundheits- und Klinischer Psychologe, Supervisor<br />

Medieninhaber, Herausgeber, Verleger: BMUKK, 1010 Wien<br />

ISBN: 978-3-85031-128-1<br />

Psychologische Hinweise: Mag. Dr. Karin Sedlak<br />

Korrekturlesung: Mag. Karin Waska<br />

Druck: BMUKK<br />

Gestaltung: Visus Werbeagentur | www.visus.at<br />

Alle Broschüren der <strong>Schulpsychologie</strong>-Bildungsberatung stehen als kostenloser Download<br />

unter www.schulpsychologie.at zur Verfügung.<br />

2


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

VORWORT<br />

Der Titel der vorliegenden Broschüre „<strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!“ ist <strong>nicht</strong> bloß ein Wortspiel.<br />

Wer mit dem Gedanken spielt „<strong>Ich</strong> <strong>will</strong> mir das Leben nehmen!“, meint dahinter meist: „<strong>Ich</strong> <strong>will</strong><br />

mir ein Leben nehmen, das mir <strong>mehr</strong> von dem bietet, was für mich wertvoll und erfüllend ist!“<br />

Lebensüberdruss ist daher ein Hilfeschrei nach <strong>mehr</strong> Anerkennung, <strong>mehr</strong> Kontakt, <strong>mehr</strong> Sinn.<br />

Jede/r kennt Phasen, in denen die Lebensbilanz negativ ausfällt: Wenn man Misserfolge erlitten<br />

hat; wenn man von persönlich wichtigen Menschen enttäuscht oder verletzt worden ist; wenn<br />

man vor sich eine endlose graue Straße sieht, ohne Ziel, ohne wirkliches Weiterkommen...<br />

Jede/r Unternehmensberater/in, Organisator/in, Manager/in weiß: Entscheidungen soll man<br />

<strong>nicht</strong> treffen, wenn man keinen Überblick hat.<br />

Das gilt umso <strong>mehr</strong> für Menschen, die sich in einem seelischen Tief befinden: Wer in eine<br />

Gletscherspalte gerutscht ist, kann den Gipfel <strong>nicht</strong> sehen!<br />

Manchmal kann man sich selbst aus dem Tief emporarbeiten. Manchmal aber ist es so, als<br />

ob alle unsere Kräfte zusammengebrochen wären. Dann brauchen wir andere, die uns helfen.<br />

Helfen kann <strong>nicht</strong> bedeuten, uns selbst in die Gletscherspalte ziehen zu lassen. Wenn unsere<br />

Kräfte als Helfer/innen <strong>nicht</strong> reichen, dann brauchen wir selbst zusätzliche Hilfe.<br />

Die vorliegende Broschüre richtet ihr Augenmerk vor allem auf die Grundbedürfnisse, die für<br />

seelisches Wohlbefinden wesentlich sind, und auf erste Anzeichen dafür, dass diese Bedürfnisse<br />

<strong>nicht</strong> ausreichend erfüllt sind und Gefahr droht.<br />

Wien, im September 2009<br />

Dr. Sedlak<br />

3


INHALTSVERZEICHNIS<br />

KAPITEL I: RISIKOFAKTOREN – LEBENSFAKTOREN 6<br />

Drei Grundbedürfnisse 6<br />

Bestrebungen 7<br />

Was versteht man unter Haltlosigkeit, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit? 9<br />

Risikofaktoren, protektive Faktoren, korrektive Erfahrungen 11<br />

Wie zeigen sich die drei Risikofaktoren im Verhalten? 10<br />

Verhaltensbrüche und andere massive Gefahrensignale 12<br />

Wie werden die drei Risikofaktoren in der Kommunikation erkennbar,<br />

wie äußern sich Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit? 13<br />

Wie kommt es zu negativen Gedanken und Leitsprüchen? 14<br />

Formen der Selbstschädigung 14<br />

Den Risikofaktoren stehen Lebensfaktoren gegenüber! 15<br />

Gegen Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit helfen 15<br />

Was bedeuten die Lebensfaktoren genau? 16<br />

Vernetzung, Verhaltensrepertoire 16<br />

Vision 17<br />

Präventive Überlegungen anhand der Lebensfaktoren 18<br />

Die Lebensfaktoren im Spiegel der Internet-Suizidforen 19<br />

Lebensfaktor Vernetzung 19<br />

Lebensfaktor Verhaltensrepertoire 19<br />

Lebensfaktor Vision 20<br />

KAPITEL II:<br />

ÜBERLEGUNGEN ZU MEHR ZWISCHENMENSCHLICHER SENSIBILITÄT<br />

FÜR HILFE IN SCHWIERIGEN SITUATIONEN 22<br />

Eine bewegte Diskussion in der Klasse 22<br />

Gedanken zur Diskussion 31<br />

Wie gehen Psychotherapeut/innen bei aktueller Suizidprävention vor? 33<br />

4


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

KAPITEL III: SUIZIDALITÄT AUS UNTERSCHIEDLICHEN PERSPEKTIVEN 34<br />

Im Umfeld der Suizidalität: Selbstverletzendes Verhalten 34<br />

Affekte und Suizidalität 35<br />

Depression und Suizidalität 36<br />

Depression ist <strong>nicht</strong> mit Trauer gleichzusetzen 36<br />

Wie entstehen Depressionen? 36<br />

Wie fühlen sich depressive Menschen? Was brauchen sie? 37<br />

Angst und Suizidalität 38<br />

Beziehungsängste 38<br />

Leistungsängste 38<br />

Ängste in Entwicklungskrisen - Lebenskrisen 39<br />

Schulängste, normale Angst 39<br />

Aggression und Suizidalität 40<br />

Wie entstehen Aggressionen? Welche Rolle spielen Konflikte? 40<br />

Was bedeutet Konfliktkultur? 41<br />

Traumatisierung und Suizidalität 41<br />

Welche traumatischen Ereignisse gibt es? 42<br />

Was ist wichtig im unmittelbaren Nahbereich? 42<br />

Einige wichtige Regeln für Kurzinterventionen 43<br />

Was soll durch Intervention erreicht werden? 43<br />

Wohlfühlprogramme 44<br />

Helfende Maßnahmen für Opfer von Katastrophen 45<br />

Mobbing und Suizidalität 46<br />

Sterbebegleitung und Suizidalität 47<br />

Persönlichkeitsstörungen und Suizidalität 47<br />

Wie formt sich die Persönlichkeit? 48<br />

Der Zusammenhang mit Suizidalität 48<br />

Negative Zukunftsszenarien und Suizidalität 49<br />

Selbstmord ist keine „Krankheit“ 50<br />

Literaturbeispiele für Themen im Zusammenhang mit Suizidalität 52<br />

Schlusswort 54<br />

DIE SCHULPSYCHOLOGIE IM BMUKK UND IN DEN BUNDESLÄNDERN 55<br />

HILFREICHE KONTAKTE UND HOTLINES 56<br />

5


Kapitel I<br />

RISIKOFAKTOREN – LEBENSFAKTOREN<br />

Hinter jedem „<strong>Ich</strong> <strong>will</strong> <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong>!“ steckt ein „<strong>Ich</strong> <strong>will</strong> <strong>mehr</strong>!“,<br />

denn jeder Mensch hat …<br />

… drei Grundbedürfnisse:<br />

• Menschen um sich zu haben, die man lieben kann, und auch selber geliebt zu werden,<br />

einen verlässlichen Freundeskreis zu besitzen.<br />

• Fähig zu sein, anerkannt zu werden, gebraucht zu werden, gesund und unabhängig zu<br />

sein, Probleme lösen zu können.<br />

• Sich weiter zu entwickeln, ein ausgefülltes Leben zu führen, einen Inhalt im Leben sehen<br />

zu können, inneren Frieden zu finden.<br />

Jeder Säugling braucht das Gefühl, <strong>will</strong>kommen zu sein, braucht Sicherheit, Nestwärme,<br />

Geborgenheit, den Schutz einer verlässlichen Umwelt, Aufmerksamkeit, Bewunderung - im<br />

Glanz der ihn anblickenden Augen der Mutter erkennt sich der Säugling als selbst wertvoll<br />

und wertgeschätzt. Es ist eine Welt, die stimmige Antworten auf seine Fragen gibt, passende<br />

Resonanz zeigt.<br />

Bald aber kommt ein zweites Bedürfnis dazu, vielleicht ist es schon von Anfang an da: Das<br />

Bedürfnis nach Selbstständigkeit, Selbstwirksamkeit - es selbst machen und alleine machen,<br />

das Bedürfnis nach Durchsetzungsfähigkeit, Leistungsfähigkeit, Erfolg und Effektivität. Auf dem<br />

Boden positiver Erfahrungen wächst Selbstvertrauen, mit dem Initiativen ergriffen werden.<br />

Und dann gibt es noch die Menschen, die man bewundert, die man idealisiert, die man nachahmt,<br />

jedes Kleinkind braucht auch Vorbilder, die so sind, wie sie selbst werden möchten. Das ist ein<br />

ganz wichtiger Entwicklungsmotor.<br />

Im Jugendlichenalter sind diese Bedürfnisse <strong>nicht</strong> geringer, sie zeigen sich anders: Die Geborgenheitssuche<br />

wird in der Gleichaltrigengruppe (Peers) gesucht und gefunden; gleichzeitig setzt<br />

auch eine intensive Suche nach sich selbst ein: der eigenen Besonderheit, Persönlichkeit,<br />

Individualität, Identität. Und schließlich gibt es auch Idole, denen man nacheifert, gibt es schon<br />

6


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

<strong>mehr</strong> oder minder konkrete Zukunftsvorstellungen, Pläne, was man werden möchte, wie man<br />

leben möchte.<br />

Diese Grundbedürfnisse nach Gemeinschaft, nach Eigenständigkeit und einem hoffnungsvollen<br />

Erwartungshorizont lassen sich auch in den unterschiedlichen Bedürfnissen Erwachsener<br />

aufspüren. Der Psychologe Thomae 1 beschreibt sieben Bestrebungen des Menschen, die<br />

grundsätzlich gegeben sind bzw. durch ungünstige Konstellationen behindert sein können.<br />

Bestrebungen<br />

1. nach Zukunftsplanung (finales Prinzip)<br />

2. nach Wiedererlangen des inneren Gleichgewichts (homöostatisches Prinzip)<br />

3. nach Anregung, Erlebnisfülle und Horizonterweiterung (innovatives Prinzip)<br />

4. nach Verteidigung, Schutz und Abwehr von inneren oder äußeren Störungen<br />

(defensives Prinzip)<br />

5. nach sozialer Anerkennung und Integration (sozial-integratives Prinzip)<br />

6. nach sozialer Abhebung, Dominanz, Unterscheidung (Individuations-Prinzip)<br />

7. nach Anpassung an Allgemeingültigkeit und Normentsprechung (normatives Prinzip)<br />

Wieder entdecken wir die drei Grundbedürfnisse: Das sozial-integrative Prinzip strebt nach<br />

Gemeinschaft bzw. möchte Einsamkeit und Haltlosigkeit überwinden, als ausgleichende<br />

Gegenpole stehen dabei das Streben nach Besonderheit, das Individuations-Prinzip, und<br />

andererseits nach Normanpassung, das normative Prinzip, einander gegenüber. Das homöostatische<br />

Prinzip und das defensive Prinzip werden bedeutsam, wenn es gilt, sich selbst als fähig<br />

zu erleben bzw. einen sehr labilen inneren Zustand, das Gefühl und Erleben von Hilflosigkeit<br />

zu überwinden. Das finale Prinzip wird wichtig bei der Ausrichtung auf einen Sinnhorizont bzw.<br />

bei der Überwindung von Hoffnungslosigkeit, ebenso das innovative Prinzip (das insbesondere<br />

auch die Leere, Gleichgültigkeit, Langeweile, Unerfülltheit anspricht).<br />

Die drei Grundbedürfnisse können durch pubertäre Entwicklungen verstärkt bzw. verkompliziert<br />

werden, wie dies die Psychologin Juen 2 am jugendlichen egozentrischen Denkmodus demonstriert:<br />

1 Nach Hans Thomae (1968), Das Individuum und seine Welt. Eine Persönlichkeitstheorie. Hogrefe-Verlag<br />

2 Barbara Juen, Institut f. Psychologie d. Universität Innsbruck, Website der <strong>Schulpsychologie</strong> Tirols www.krisenintervention.tsn.at<br />

7


„Jugendliche empfinden sich in ihrem Erleben oft als so einzigartig, dass<br />

daraus ein Gefühl der Entfremdung und Einsamkeit resultieren kann. Noch nie<br />

war jemand so verliebt, glücklich, unglücklich wie der/die Jugendliche. Niemand<br />

kann sein/ihr Empfinden nachvollziehen, schon gar <strong>nicht</strong> Erwachsene. Glück wird<br />

ebenso tief und absolut erlebt wie Schmerz. Im Moment wird daher oft kein<br />

Ausweg aus dem absolut gesetzten Schmerz gesehen. Das macht Jugendliche<br />

besonders anfällig für ‚Kurzschlusshandlungen’.<br />

Der Begriff des imaginären Publikums bezieht sich auf das Phänomen, dass<br />

Jugendliche oft den Eindruck haben, aller Aufmerksamkeit wäre nur auf sie<br />

gerichtet. Dies hängt mit der im Jugendalter erhöhten Selbstaufmerksamkeit<br />

zusammen. Das vorgestellte Publikum wird von Jugendlichen häufig in ihre<br />

Suizidphantasien mit aufgenommen etwa in dem Sinne, dass die Eltern, die<br />

diese oder jene Grenzen setzen, es schon noch bereuen werden, wenn sie dann<br />

am Grab des verstorbenen Jugendlichen stehen. Suizidphantasien vermischen<br />

sich oft mit als lustvoll erlebten Rachephantasien.<br />

Die persönliche Fabel schließlich bezieht sich auf die erhöhte Tendenz<br />

Jugendlicher, sich nach Vorbildern auszurichten. In der persönlichen Fabel<br />

entwerfen Jugendliche ihr Leben bzw. ihre Identität als eine Art „Film“, „Roman“,<br />

oder „Theaterstück“ oft ausgerichtet an Medienvorbildern oder Vorbildern aus<br />

ihrem Bekanntenkreis. Internetforen und andere Möglichkeiten des Austauschs<br />

von Suizidphantasien bekommen vor diesem Hintergrund erhöhte Relevanz.<br />

Besonders spektakuläre oder „publikumswirksame“ Formen des Suizids üben<br />

für Jugendliche einen ganz besonderen Reiz aus. Die Gefahr der Nachahmung<br />

von anderen Suiziden ist besonders hoch.“<br />

Die Ausführungen von Juen differenzieren das Bild der Haltsuche bzw. Haltlosigkeit. Es gibt<br />

nämlich auch eine aus dem überstarken Gefühl der Besonderheit, Einzigartigkeit resultierende<br />

„gewünschte“ Haltlosigkeit, bei der <strong>nicht</strong> so sehr die Umwelt tatsächlich in ihren Kontakt- und<br />

Vernetzungsmöglichkeiten versagt, sondern das Gefühl, als „Unikat“ prinzipiell <strong>nicht</strong> verstanden<br />

werden zu können, übermächtig ist. Ein übermächtiges Streben nach Besonderheit führt dazu,<br />

dass die Offenheit für Beziehung reduziert wird. (Mit anderen Worten: Die drei Grundbedürfnisse<br />

müssen auch in ausgewogener Balance vorhanden sein, Jedes Zuviel eines Bedürfnisses führt<br />

zu einem Zuwenig anderer).<br />

8


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Eine andere Form der Haltlosigkeit - die demonstrierte Abwendung von der Gemeinschaft - ist<br />

offensichtlich die Freude am Schmerz, den man bei den nach dem Selbstmord verbliebenen<br />

Angehörigen und Freunden verursacht. (Aus der Literatur kennen wir die genussvollen Fantasien<br />

und Beobachtungen von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, als sie sich auf einer Insel<br />

verstecken und von allen gesucht werden). Der/die Selbstmörder/in nimmt Rache an den<br />

wichtigen Bezugspersonen, denen Negatives angelastet wird. (Mit anderen Worten: Die lang<br />

entbehrte, vermisste, unzulänglich erhaltene Geborgenheit in der Gemeinschaft wird nun<br />

negiert und in eine oppositionelle Haltung verwandelt).<br />

Die dritte angeführte Eigenschaft des jugendlichen Egozentrismus ist die Orientierung an<br />

suizidalen Vorbildern. Hier gibt es im Gefolge einer inneren Haltlosigkeit eine Haltsuche bei<br />

autoaggressiven Problemlösern und ein Anhalten an destruktive Muster, wie sie in der Literatur<br />

(„Werther-Effekt“) oder in Internetforen und deren „Anleitungen“ vorgegeben werden.<br />

Da diese Bedürfnisse so grundlegend sind, verwundert es <strong>nicht</strong>, dass ihre Nichterfüllung<br />

katastrophale Folgen haben kann:<br />

In eigenen früheren Untersuchungen konnte der Autor feststellen, dass über alle Altersgruppen<br />

hinweg vor allem drei <strong>mehr</strong> oder minder laute „Hilfeschreie“ eine krisenhafte Entwicklung oder<br />

sogar eine Selbstmordgefährdung ankündigen: <strong>Ich</strong> kann mich an niemanden (an)halten, ich<br />

kann mir <strong>nicht</strong> selbst helfen, ich habe <strong>nicht</strong>s zu (er-) hoffen!<br />

Was versteht man unter Haltlosigkeit, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit?<br />

Haltlosigkeit<br />

Darunter versteht man Desintegriertheit (Erleben des Andersseins, Außenseiterseins) mit<br />

teilweiser oder gänzlicher Isolation (Risikofaktor Einsamkeit bei mangelhaften sozialen<br />

Netzen in Peergroup oder Familie);<br />

Haltlosigkeit kann auf Grund mangelnder Kontaktchancen, Kontaktfähigkeit oder Kontaktbereitschaft<br />

und auf Grund von tatsächlichen oder fälschlicherweise selbst zugeschriebenen Mängeln<br />

entstehen und führt unter Umständen zur Abkapselung, zum Kommunikationsabbruch. Dies<br />

ist besonders in Bezug auf Suizidalität oder Sucht gefährdend. Der Mangel an Aufgehobenheit<br />

in den kulturell vorhandenen sozialen Netzen kann aber auch zur Suche nach alternativen<br />

Bindungen führen und damit eine Anfälligkeit für die Gemeinschaftsangebote von bedenklichen<br />

Gruppierungen bewirken.<br />

9


Hilflosigkeit<br />

Darunter ist entweder eine tatsächlich erfahrene oder fälschlicherweise angenommene<br />

Inkompetenz, verbunden mit Misserfolgserwartung zu verstehen.<br />

Dazu gehört das Erleben der Abhängigkeit von anderen, die Unselbstständigkeit in eigenen<br />

Belangen. Chronische Hilflosigkeit führt zur Selbstaufgabe oder unkritischen Überantwortung<br />

an andere und ist besonders in Bezug auf Gruppen(leiter-)hörigkeit gefährdend. Zunehmendes<br />

Erleben der eigenen Effektivitätsverluste (psychologischer Begriff: Mangelnde Kontrollüberzeugung)<br />

kann aber auch zu Betäubung im Suchtverhalten oder zu suizidalen Kurzschlusshandlungen<br />

führen.<br />

Hoffnungslosigkeit<br />

Damit ist eine Verengung der Lebensperspektiven gemeint, die keine Sinnfindung im<br />

schulischen/beruflichen Bereich oder im persönlichen Freizeitbereich zulässt.<br />

Eine depressive bzw. resignative Grundstimmung führt insbesondere zu suizidaler Gefährdung,<br />

kann aber auch für „Verheißungen“ von Gruppierungen anfällig machen oder für die Betäubung<br />

im Suchtverhalten. Wenn man alles hat, aber keinen Sinn im Leben findet, dann bleibt man<br />

unerfüllt und innerlich leer. Reizüberflutung, Sofort-Befriedigung, Konsumdenken – all dies<br />

führt dazu, dass im Vergnügen oder im Besitz vergeblich gesucht wird, was das Leben sinnvoll<br />

macht. Die „No-future-Mentalität“ der Jugend bewirkt, dass nur unmittelbare Ziele angestrebt<br />

werden, die aber auf Dauer <strong>nicht</strong> wirklich erfüllen können.<br />

Wenn diese Grundbedüfnisse so wichtig sind bzw. ihr Fehlen so einschneidende Folgen haben<br />

kann, dann können sozialer Halt in einer Gemeinschaft, Hilfe zur Selbsthilfe und Hoffnung in<br />

Bezug auf die weitere Zukunft als die drei wahrscheinlich wichtigsten Schutzfaktoren gegenüber<br />

Krisen bezeichnet werden.<br />

Warnende Signale bei Mangel an Erfüllung dieser Grundbedürfnisse sind schon in einem<br />

Stadium gegeben, in dem es noch <strong>nicht</strong> zu massiveren Begleiterscheinungen kommt wie<br />

z.B. zu abrupten Verhaltensänderungen (sogenannten Verhaltensknicks) oder zur bekannten<br />

präsuizidalen Einengung des Denkens, Fühlens und Handelns.<br />

10


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Risikofaktoren, protektive Faktoren, korrektive Erfahrungen<br />

Lebensumstände können belastend sein, z.B. starke Bildungsdefizite in der Familie, geringer<br />

sozioökonomischer Lebensstandard, psychische Störungen oder Persönlichkeitsstörungen<br />

in der Familie. Lebensereignisse können sich traumatisch auswirken, z.B. frühe Personenverluste,<br />

Missbrauchserlebnisse, Gewalt. Liegen <strong>mehr</strong>ere Risikofaktoren vor, dann kann<br />

sich die Belastung aufschaukeln, potenzieren. Demgegenüber sind gute Beziehungen zu<br />

Familienmitgliedern, zum umgebenden Milieu, zu Jugendgruppen, gutes und sicheres<br />

Bindungsverhalten schützende Faktoren (gegen Haltlosigkeit), ebenso sind gute Intelligenz,<br />

gute Förderung, ein aktives, robustes Temperament und ein Problemlösungsrepertoire Schutzfaktoren<br />

(gegenüber Hilflosigkeit). Positive Erwartungen und Zukunftsaussichten sind ebenfalls<br />

Schutzfaktoren (gegen Hoffnungslosigkeit).<br />

Korrektive Erfahrungen z.B. in einer Psychotherapie können Fehlentwicklungen aufhalten und<br />

negative Einstellungen aufgrund des Erlebten durch positive Haltungen aufgrund der neuen<br />

Erlebnisse ersetzen helfen.<br />

Es gibt Verhaltenssignale und Kommunikationssignale für die drei wesentlichen Risikofaktoren<br />

Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit.<br />

Wie zeigen sich die drei Risikofaktoren im Verhalten?<br />

Haltlosigkeit<br />

z.B.<br />

• Sich im Zimmer einsperren und stundenlang abkapseln<br />

• Sich ins Bett zurückziehen<br />

• Nicht angesprochen werden wollen<br />

• „Einigeln“<br />

• Abwendung von alten Freunden, Familie und Interessen<br />

• Zuwendung zu subkulturellen Gruppen<br />

• Von zu Hause oder von der Schule davonlaufen<br />

• Änderung der sozialen Stellung im Klassenverband als Außenseiter oder als Versager<br />

11


Hilflosigkeit<br />

z.B.<br />

• Gänzliches Leistungsversagen<br />

• Konzentrations- und Leistungsschwankungen<br />

• Einnässen<br />

Hoffnungslosigkeit<br />

z.B.<br />

• Flucht in eine Traumwelt (z.B. Computerwelt, Internet)<br />

• Alkohol-, Drogen-, Medikamentenmissbrauch<br />

Verhaltensbrüche (plötzliche Veränderungen im Leistungs- und<br />

Kontaktverhalten) und andere massive Gefahrensignale<br />

• Plötzlich auftretende Verhaltensschwierigkeiten<br />

• Abbruch der Schule<br />

• Änderungen im Essverhalten (Appetitlosigkeit, verbunden mit Gewichtsabnahme,<br />

oder umgekehrt Unmäßigkeit beim Essen oft in Form von Attacken)<br />

• Änderung der Alltagsgewohnheiten<br />

• Gezielte oder ungezielte Selbstmorddrohungen<br />

• Gehäuftes Vorkommen von Selbstmorden oder suizidalen Handlungen in der Familie,<br />

in der näheren Umgebung bzw.<br />

• Eigene frühere suizidale Handlungen<br />

• Anzeichen für konkrete Vorstellungen darüber, wie, wann, wo und mit welchen Mitteln<br />

die suizidale Handlung durchgeführt werden soll (z.B. Abschiedsbrief)<br />

Bevor derart massive Signale auftreten, können Äußerungen vorwarnen, die im Folgenden<br />

angeführt werden. Wenn solche Sätze immer häufiger fallen, von Mitschüler(inne)n, Kolleg(inn)en<br />

und wem auch immer, dann ist rasche fachliche Hilfe wichtig, denn es liegt der Verdacht einer<br />

psychischen Krise nahe.<br />

12


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Wie werden die drei Risikofaktoren in der Kommunikation erkennbar,<br />

wie äußern sich Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit?<br />

Eindeutige Signale finden sich in negativen Leitgedanken, die irgendwann auch hörbar werden<br />

– wenn man genügend sensibel dafür ist. Solche Leitgedanken und Leitsprüche sind z.B. bei<br />

Haltlosigkeit<br />

• „<strong>Ich</strong> kann mit mir <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> zurechtkommen!“<br />

• „<strong>Ich</strong> kann mich niemandem anvertrauen!“<br />

• „<strong>Ich</strong> weiß <strong>nicht</strong>, wohin ich gehöre!“<br />

• „Niemand würde es bedauern, wenn ich <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> bin!“<br />

• „<strong>Ich</strong> weiß überhaupt <strong>nicht</strong>, was ich <strong>will</strong>!“<br />

• „<strong>Ich</strong> kann mir selbst <strong>nicht</strong> trauen!“<br />

• „Denen werde ich es zeigen!“<br />

• „Entweder tun die anderen, was ich <strong>will</strong>, oder...“<br />

Hilflosigkeit<br />

• „<strong>Ich</strong> kann <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong>!“<br />

• „<strong>Ich</strong> kann diese Umstände <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> aushalten!“<br />

• „<strong>Ich</strong> muss das tun, weil ich mich sonst <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> wehren kann!“<br />

• „<strong>Ich</strong> sehe keine andere Lösung, weil ich mir sonst <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> helfen kann!“<br />

• „<strong>Ich</strong> kann damit <strong>nicht</strong> fertig werden!“<br />

• „<strong>Ich</strong> kann über diesen Verlust, dieses Versagen... <strong>nicht</strong> hinwegkommen!“<br />

• „<strong>Ich</strong> habe versagt.“<br />

Hoffnungslosigkeit<br />

• „Es hat ohnehin alles keinen Sinn <strong>mehr</strong>!“<br />

• „Das Leben ist wertlos!“<br />

• „Auf so ein Leben pfeif´ ich!“<br />

• „<strong>Ich</strong> kann <strong>nicht</strong>s <strong>mehr</strong> ändern!“<br />

• „Das ganze Leben ist nur ein Spiel - ich lasse es darauf ankommen...!“<br />

• „Wozu das alles...?“<br />

13


Wie kommt es zu diesen negativen Gedanken und Leitsprüchen?<br />

In der Entwicklung jedes Menschen kann es zu einem Verlust des seelischen Gleichgewichts<br />

kommen: Dies bedeutet, dass er durch Situationen oder Ereignisse überfordert ist.Wenn Krisen<br />

<strong>nicht</strong> gemeistert werden können, kann sich die psychische Spannung in (Auto- und Hetero-<br />

)Aggressions- und Kurzschlusshandlungen äußern oder verschiedene Krankheiten auslösen.<br />

Es kann aber auch zum Absacken in Sucht kommen.<br />

Wichtig ist, dass jede „normale“ Entwicklung Krisen enthält, aber man muss zwischen Entwicklungskrisen<br />

und psychischen Krisen unterscheiden.<br />

Entwicklungskrisen fordern die Entscheidungsfähigkeit des Menschen auf der jeweiligen<br />

Entwicklungsstufe voll heraus und fördern die persönliche Reifung. Psychische bzw.<br />

psychosoziale Krisen hingegen sind gegeben, wenn es zu einem Zusammenbruch<br />

(Dekompensation) der eigenen Bewältigungsmöglichkeiten für eine gegebene Situation<br />

kommt. In einer derartigen Krise braucht man daher die Hilfe anderer.<br />

Formen der Selbstschädigung<br />

Wenn ein Mensch erlebt, dass seine Grundbedürfnisse <strong>nicht</strong> erfüllt werden bzw. unerfüllbar<br />

erscheinen, dann kann er oder sie zu extremen „Lösungen“ greifen: Gewalt gegen andere<br />

oder gegen sich selbst. Die Selbstschädigung ist Ausdruck tief empfundener Haltlosigkeit,<br />

Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit, sie kann verschiedene Formen annehmen.<br />

Expert/innen unterscheiden zwischen der Selbsttötung (Suizid), dem Selbstmordversuch<br />

(Parasuizid) und autoaggressiven Gedanken bzw. Handlungen ohne Selbsttötungsabsicht. Es<br />

gibt „weiche“ Methoden und Mittel und „harte“, je nachdem, wie lebensgefährlich sie einzustufen<br />

sind. Wichtig: Alles ernst nehmen! Auch „Aufmerksamkeitserreger“ können tödlich enden! Von<br />

suizidalem Verhalten spricht man, um zu kennzeichnen, dass impulsiv oft Handlungen gesetzt<br />

werden, deren lebensbedrohliches Gefahrenpotential unterschätzt wird. Als schleichenden<br />

Selbstmord bezeichnet man manchmal den Suchtmittelmissbrauch, aber auch ungesunde<br />

Lebensweisen. Als Spiel mit dem Tod und somit möglicherweise latenten Selbstmordwunsch<br />

werden lebensgefährliche Mutproben z.B. Springen von einer Brücke in einen eiskalten Bach,<br />

Klettern auf Bahnwaggons, Komatrinken) angesehen. Dieses aktive Risikoverhalten ist eher bei<br />

männlichen Jugendlichen vorherrschend. Weibliche Jugendliche zeigen manchmal ein <strong>nicht</strong><br />

weniger gefährliches, aber stilleres Risikoverhalten durch überhöhte Schlankheitsansprüche<br />

und einseitige Diäten bis hin zur Magersucht. Im Tangentialbereich des Selbstmordes liegt<br />

selbstverletzendes Verhalten (siehe auch drittes Kapitel).<br />

14


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Den Risikofaktoren stehen Lebensfaktoren gegenüber!<br />

Risikofaktoren<br />

• Haltlosigkeit (= Einsamkeit, tatsächlich bestehend oder subjektiv empfunden)<br />

• Hilflosigkeit (= Verlust der Selbststeuerungskompetenz oder des Vertrauens darin)<br />

• Hoffnungslosigkeit (= Fehlender Sinn- bzw. Erwartungshorizont)<br />

Lebensfaktoren<br />

• Vernetzung (= die Bindung an Personen und Pflichten)<br />

• Verhaltensrepertoire (= der Besitz von persönlichen Ressourcen, Strategien...)<br />

• Vision<br />

(=überlegtes Abschätzen der Zukunftschancen aufgrund der<br />

bisherigen und gegenwärtigen Erfahrungen)<br />

Gegen Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit helfen<br />

VISION:<br />

Nahe und weitere Lebensziele<br />

Drei<br />

Wege zur<br />

Psychohygiene<br />

VERNETZUNG:<br />

Ein gutes soziales Netz<br />

VERHALTENSREPERTOIRE:<br />

Hilfe zur Selbsthilfe<br />

15


Was bedeuten die Lebensfaktoren genau?<br />

Unter „Vernetzung“ ist hier gemeint, dass wir uns anderen Menschen oder bestimmten<br />

Aufgaben gegenüber verbunden und verpflichtet fühlen. Das Wissen, dass andere uns<br />

brauchen bzw. mögen, schützt uns vor Kurzschlusshandlungen.<br />

Es geht hier um Sozialkompetenz, die Fähigkeit, sich eine Nische in der Gesellschaft zu erobern,<br />

in der man geschätzt wird und positive Resonanz erfährt; Vernetzung ist kein Schicksal, sondern<br />

meint die Fähigkeit des Austausches mit anderen, Anerkennung zu erfahren, aber auch<br />

anderen die eigene Wertschätzung zeigen können; anderen Menschen wichtig sein; jemand<br />

sein, der anderen etwas „geben kann“, dessen Gemeinschaft geschätzt wird. Vernetzung ist die<br />

positive Suche nach Verbindendem. Unter Vernetzung können wir auch einordnen: auf positive<br />

Arbeitsbedingungen und ein gutes Beziehungsklima achten; Unterstützung und Hilfe durch<br />

andere erhalten; in die bestehende Gemeinschaft integriert werden (Vereinsamung kann krank<br />

machen. Wir müssen daher darauf achten, dass niemand ausgeschlossen oder isoliert wird);<br />

verfügbare Hilfe in Anspruch nehmen, die zur Aufrechterhaltung des positiven Selbstwertgefühls<br />

und der persönlichen Lebensqualität oder zu deren Wiederherstellung notwendig ist.<br />

Unter „Verhaltensrepertoire“ verstehen wir hier den Besitz an Fähigkeiten, die uns oder<br />

anderen helfen, Situationen zu bewältigen.<br />

Eine ganz wichtige Kraftquelle (Ressource) ist die Erfahrung, dass man schon in ähnlichen<br />

Situationen war und sie überwunden hat. Oft hat man <strong>mehr</strong> Kräfte, als man annimmt. Zu diesem<br />

Lebensfaktor ist auch der Besitz besonderer, individueller Begabungen und Eigenschaften<br />

zu zählen. Es geht hier um Selbstkompetenz, die Fähigkeit, für sich selbst und für andere<br />

hilfreich, kompetent zu handeln, Ziele zu erreichen, Wünsche zu realisieren. Es ist auch die<br />

Fähigkeit der Resilienz: Widerstandsfähigkeit in belastenden Situationen. Unter dem Stichwort<br />

Verhaltensrepertoire können wir auch subsumieren: als Person mit individuellen Fähigkeiten<br />

und Besonderheiten respektiert werden; zu lernen, das heißt aber auch, Fehler machen zu<br />

dürfen (wir sollten einander daher Zeit zum Entwickeln zugestehen und Mut machen, durch<br />

Erfahrungen zu lernen. Perfektionismus und Ungeduld sind Stress-Erzeuger und Krank-<br />

Macher); körperliche und seelische Gesundheit und Handlungsfähigkeit zu erhalten bzw.<br />

anzustreben; das Recht auf persönliche Überzeugungen und das Recht, seinem Gewissen<br />

entsprechend zu handeln, in Anspruch nehmen (wegen unserer Fehlbarkeit sollten wir dabei<br />

unsere Sichtweisen miteinander ausdiskutieren. Die Übereinstimmung mit anderen darf aber<br />

– auch aus psychohygienischen Gründen – niemals auf Kosten der Übereinstimmung mit sich<br />

16


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

selbst gehen); das Recht auf das Vertrauen anderer in die eigenen Problemlösungsfähigkeiten<br />

achten (wo immer möglich, sollten daher die eigenen Begabungen und Ressourcen bei uns und<br />

anderen angeregt und zum Einsatz bei Problemen herausgefordert werden).<br />

„Vision“ heißt hier: Einen Erwartungshorizont vor sich haben, Ziele abstecken, nähere und<br />

weitere. Vision ist die Hoffnung, ohne die jedes Planen sinnlos ist.<br />

Die rosarote Brille ist ebenso falsch wie die ganz dunkle, die nur alles „schwarz sieht“. Es gibt<br />

immer einen Ausweg. Nichts auf der Welt ist 100-prozentig, weder die Freude noch das Leid.<br />

Kein Zustand hält ewig, weder das Glück, noch das Unglück. Wir müssen immer wieder um<br />

unser Wohl und das der anderen kämpfen. Aber es lohnt sich! Mit Vision ist gemeint, dass man<br />

Sinnkompetenz besitzt: Darunter ist die Fähigkeit zu verstehen, sinnvolle Aufgaben zu entdecken<br />

und zu realisieren, sich für eigene oder gemeinsame Ziele zu engagieren. Unter Vision kann<br />

auch verstanden werden, sich persönlich zu entfalten und die eigenen Entwicklungsziele im<br />

Rahmen der gegebenen Möglichkeiten selbst anzupeilen und zu verwirklichen; Vision kann<br />

aber auch das Zukunftsleitbild einer Gemeinschaft sein, die gemeinsame Entwicklung betreffen<br />

(Koevolution).<br />

Die Risikofaktoren beginnen alle mit dem Buchstaben H. (Man kann sich das leicht merken:<br />

Das H symbolisiert einerseits eine Haltung, die man im Zustand der Bedrohung einnimmt,<br />

nämlich „Hände-hoch“: Haltlosigkeit, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit.)<br />

Die Lebensfaktoren 3 , die den Risikofaktoren entgegenwirken, beginnen alle mit dem Buchstaben<br />

V. (Auch das lässt sich leicht merken: Wir machen mit Mittel- und Zeigefinger ein V,<br />

wenn uns etwas gelungen ist - das „Victory-Zeichen“).<br />

Diese Lebensfaktoren sind <strong>nicht</strong> nur Gegenpole zu den angeführten Risikofaktoren, sondern<br />

wesentlich für das persönliche Wohlbefinden.<br />

Die Erklärungen enthalten viele Bezeichnungsmöglichkeiten für die drei Lebensfaktoren.<br />

Zusätzlich kann man statt „Vernetzung“ etwa sagen: Geborgenheit, Halt, Bindung, Schutz,<br />

Festigung, Vereinigung, Interaktion, Zusammenspiel, Gemeinschaft, …; anstelle von „Verhaltensrepertoire“<br />

sind folgende Begriffe möglich: Bewältigungsfähigkeit, Selbsthilfe, Zugkraft, Wissen,<br />

Kapazität, …; und anstelle von „Vision“ wären die Begriffe Hoffnung, Offenheit für Neues, positive<br />

Haltung gegenüber Wandlung, Lichtblick, Zuversicht, „Silberstreif am Horizont“ usw. denkbare<br />

Synonyme.<br />

3 Expert/innen sprechen von „protektiven“ (schützenden) Faktoren, aber auch von „Lebenskompetenzen“.<br />

Im Begriff „Lebensfaktor“ steckt beides.<br />

17


Präventive Überlegungen anhand der Lebensfaktoren<br />

Das klingt so einfach: Man nehme einen Risikofaktor und setze ihm den entsprechenden<br />

Lebensfaktor entgegen. Also der Einsamkeit die Gemeinschaft, der Hilflosigkeit die Fähigkeit,<br />

der Hoffnungslosigkeit ein sinnhaftes Ziel.<br />

So einfach ist es natürlich <strong>nicht</strong>. Vor allem <strong>nicht</strong> mitten in einer Krise. Da sind wir auf andere<br />

angewiesen. Aber warum erst auf eine Krise warten? Wenn man weiß, worauf es ankommt.<br />

Der Sinn des bisher Gesagten liegt darin, dass man rechtzeitig vorbeugt – bei sich und<br />

anderen.Wenn man weiß, dass Einsamkeit zu Haltlosigkeit führen kann – dann hilft uns<br />

rechtzeitige Sorge für einen Freundeskreis. Oder wenn wir rechtzeitig bemerken, dass<br />

jemand Außenseiter ist und darüber unglücklich ist – dann können wir rechtzeitig Kontakt<br />

anbieten und der Krise entgegensteuern.<br />

Auch die Hilflosigkeit ist kein unabwendbares Schicksal: Die Fähigkeit, Probleme zu lösen,<br />

hängt <strong>nicht</strong> allein von der Intelligenz ab, sondern vor allem davon, ob man richtige Strategien<br />

erlernt hat. Man kann Problemlösen üben und die Fähigkeit dazu entwickeln und steigern.<br />

Oder wenn man weiß, dass Hoffnungslosigkeit „lebens“gefährlich ist – dann kann man rechtzeitig<br />

für sinnvolle Zielsetzungen sorgen. Der Sinn fliegt uns <strong>nicht</strong> zu wie im Schlaraffenland die<br />

gebratenen Hühner. Wir müssen uns für etwas aufschließen, engagieren und durch unseren<br />

Einsatz, unseren Zeitaufwand wird die gewählte Sache immer wichtiger für uns.<br />

Das bedeutet: Gegen jeden Risikofaktor sollte ein Gegengewicht in Form des Lebensfaktors<br />

gesetzt werden! Gegen die Haltlosigkeit die Vernetzung, d.h. die Bindung gegenüber<br />

einer Gemeinschaft, gegen Hilflosigkeit das Vertrauen in das eigene Problemlösungs-<br />

Verhaltensrepertoire. Und gegen Hoffnungslosigkeit die Vision in Form des offenen Nachdenkens<br />

über zukünftige Chancen, Aufgabenstellungen, Sinnmöglichkeiten.<br />

Selbstverständlich könnte man noch weitere seelische Risikofaktoren und Lebensfaktoren<br />

anführen, die persönlich wichtig sind. Aber Überwindung von Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und<br />

Hoffnungslosigkeit waren in Untersuchungen des Autors in den Antworten von Kindern,<br />

Jugendlichen und Erwachsenen auf die Frage nach den wichtigsten seelischen Lebensbedürfnissen<br />

die drei am meisten erwähnten.<br />

18


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Die Lebensfaktoren im Spiegel der Internet–Suizidforen<br />

Im Internet findet man immer häufiger sogenannte Suizidforen, in denen sich jeder zur Frage<br />

Selbstmord oder Weiterleben äußern kann. Darunter finden sich viele unterschiedlich wertvolle<br />

Meinungen. Man muss Streu von Weizen sondern. Andererseits sind diese Äußerungen ein<br />

guter Spiegel für die Bedeutung der Lebensfaktoren. Im Folgenden werden die Originalzitate<br />

ausschnittsweise wiedergegeben.<br />

Lebensfaktor Vernetzung<br />

„<strong>Ich</strong> habe das Gefühl, ganz alleine auf der Welt zu sein, ganz allein mit meinen Gedanken,<br />

meinen Schmerzen und der Dunkelheit.<br />

Eine grenzenlose Einsamkeit, die mir den Atem nimmt und die ganz einfach nur weh tut. <strong>Ich</strong><br />

<strong>will</strong> am liebsten nur reden, reden, reden...“<br />

Dieses Beispiel zeigt die Wichtigkeit von Kontakt, von Mitteilungsmöglichkeiten.<br />

Anmerkung: Große statistische Untersuchungen beweisen, dass Menschen ohne sozialen Halt<br />

eher gefährdet sind, psychisch krank zu werden.<br />

„Die Verwandten sind mir eigentlich relativ egal, von ihnen habe ich <strong>nicht</strong> das bekommen, was<br />

ich mir erwünscht hatte.<br />

Aber die Frau, die ich liebe (und die mich liebt), ihr <strong>will</strong> ich <strong>nicht</strong> diesen Schmerz antun (zumal<br />

sie sich 100% die Schuld geben wird, auch wenn ich in meinem Abschiedsbrief schreiben würde,<br />

es hätte <strong>nicht</strong>s mit ihr zu tun...)“<br />

Hier zeigt sich der Lebensfaktor Vernetzung (die Bindung an Personen und Pflichten) in voller<br />

Stärke: Wer sich anderen Menschen verbunden weiß, wer Antworten von anderen erhält, der<br />

fühlt auch Verantwortung für sich und die anderen. Eine Vernetzung, die am Leben erhält.<br />

Lebensfaktor Verhaltensrepertoire<br />

„Vielleicht ist das Leben ein Spiel.<br />

Und ich werde wohl aufgeben.<br />

Dann habe ich eben verloren.<br />

Vielleicht habe ich das nächste Mal bessere Karten...“<br />

„Du kannst dich <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> davor schützen... bist machtlos... es geschieht automatisch... du<br />

hast resigniert... dich damit abgefunden...“<br />

„Sag mir doch, was ich tun kann...“<br />

19


In diesen kurzen Beispielen zeigt sich die empfundene Hilflosigkeit. Was kann man als<br />

Verhaltensrepertoire (Besitz von persönlichen Ressourcen, Strategien) dagegen setzen? Wichtig<br />

ist der Hinweis auf die vielleicht verborgenen, aber vorhandenen Kraftquellen (Ressourcen):<br />

Was hilft mir jetzt? Was kann ich einsetzen? Was hat mir bisher geholfen? Wer kann mir<br />

helfen?<br />

In schweren psychischen Krisen erleben wir uns allerdings unfähig, machtlos. Hier bedarf es<br />

der Hilfe von außen: Freund/innen, Kolleg/innen, Familienangehörige, Beratungslehrer/innen,<br />

Psycholog/innen, Psychotherapeut/innen ...<br />

Anmerkung: Besonders dramatisch wird die Hilflosigkeit während und nach traumatischen<br />

(erschütternden) Erlebnissen empfunden. Dies zeigt sich im „posttraumatischen Belastungssyndrom“.<br />

Lebensfaktor Vision<br />

„... Das Leben ist Scheiße. <strong>Ich</strong> finde keinen Sinn darin...“<br />

„Das Leben hasst mich, die Liebe hasst mich! Was macht das alles noch für einen Sinn?...“<br />

„Taucht ein in die düstere, apokalyptische Welt der menschlichen Abgründe...<br />

Weil die Suche nach dem Rätsel der Welt sich als Seifenblase entpuppt?“<br />

Ohne Hoffnung sein bewirkt erwiesenermaßen seelische Abstumpfung oder Verzweiflung.<br />

„Wieso denken, dass der Tod der einzige Ausweg ist?<br />

<strong>Ich</strong> meine, was ist, wenn der Tod noch schlimmer ist als das Leben? ...<br />

Was macht man, wenn man den Selbstmord überlebt und dann als Krüppel im Rollstuhl sitzt<br />

und dann leben muss... Bringt man sich selber um, dann verliert man...“ „ Ja, wir verneigen uns<br />

<strong>nicht</strong> vor dem Tod, wir hauen ihm eins in die Fresse und sagen – es geht weiter!“<br />

Der Lebensfaktor Vision (die angemessene Einschätzung und das richtige Abwägen von Positiva<br />

und Negativa von gegenwärtigen, vergangenen oder zukünftigen Ereignissen) hilft uns, Tiefs zu<br />

überwinden.<br />

20


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

HILF MEINEM HELFEN<br />

<strong>Ich</strong> brauche Hilfe.<br />

<strong>Ich</strong> brauche Halt.<br />

<strong>Ich</strong> brauche Hoffnung.<br />

Hilf mir, ich brauche Halt.<br />

Halt mich, ich brauche Hoffnung.<br />

Gib mir die Hoffnung, die hilft.<br />

Halt mich,<br />

damit ich den Hilflosen Hoffnung geben kann.<br />

Hilf mir,<br />

damit ich die Hoffnungslosen halten kann.<br />

Gib mir die Hoffnung,<br />

damit ich den Haltlosen helfen kann.<br />

Franz Sedlak<br />

21


KAPITEL II<br />

Überlegungen zu <strong>mehr</strong> zwischenmenschlicher Sensibilität<br />

für Hilfe in schwierigen Situationen<br />

Im Alltag gibt es viele Situationen, in denen es wichtig ist, richtig zu reagieren. Das kann in der<br />

Schule sein, in der Freizeit, auf der Straße, in einem Gebäude… Dazu ist es notwendig, dass<br />

wir aufmerksamer werden, um zu erkennen, wenn eine Situation eine besonders gefährliche<br />

ist, sei dies bei Selbstmordgefährdung oder bei anderen Gefahrensituationen. Dazu ist weiters<br />

notwendig, dass wir richtig beurteilen, was in diesem Fall das Beste ist. Und schließIich ist dazu<br />

notwendig, dass wir, wo es möglich und sinnvoll ist, auch handeln!<br />

Die Diskussion in einer Schulklasse wird hier protokolliert, weil sie viele einschlägige Fragen<br />

aufwirft, sowie Impulse und praxisorientierte Anregungen vermittelt und zur Thematisierung<br />

unter Schülerinnen und Schülern herangezogen werden kann. D.h. man könnte in einer Klasse<br />

oder Arbeitsgruppe die Diskussion mit verteilten Rollen lesen und damit lebendig werden<br />

lassen. Denn nach dem Lesen werden sicher einige Fragen zur eigenen Diskussion anregen.<br />

Man kann als Anker auch die einzelnen als Überschriften hervorgehobenen Fragen einsetzen.<br />

Um die Lebendigkeit der Diskussion <strong>nicht</strong> zu beeinträchtigen, ließ der Lehrer die assoziativ<br />

erfolgten Beiträge zu, um eine Fülle von Diskussionsmaterial zu erarbeiten. Danach war es<br />

freilich notwendig, die Ergebnisse zu strukturieren. Ein Vorschlag dazu wird am Ende des<br />

Kapitels eingebracht.<br />

Eine bewegte Diskussion in der Klasse<br />

Marvin: Erst unlängst hat man im Fernsehen gesehen, wie jemand einen Herzanfall erlitten hat<br />

und auf der Straße gelegen ist, und niemand hat ihm geholfen, alle sind vorbei marschiert! Er<br />

war komplett hilflos.<br />

Helga: <strong>Ich</strong> habe einmaI etwas Ähnliches gehört, einer jungen Frau ist schlecht geworden. Sie<br />

ist zusammengebrochen und dabei auf ihre Einkaufstasche gefallen, leider hat der gute Likör,<br />

den sie eingekauft hat, das <strong>nicht</strong> überstanden. Und wisst ihr, was passiert ist? Die Leute sind<br />

22


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

an ihr vorbei gegangen und haben geschimpft, weil so eine junge Frau nach Schnaps riechend<br />

da am Boden liegt, und das schon am frühen Morgen! Wer sich selbst in so eine Lage bringt,<br />

soll sich selbst daraus befreien.<br />

Peter: Na und! Es hätte genauso sein können, nämlich dass sie betrunken ist. Und soll man sich<br />

dann abschleppen mit ihr? <strong>Ich</strong> kenne sie ja <strong>nicht</strong>; was anders wäre es, wenn wir miteinander<br />

verwandt, befreundet oder bekannt wären.<br />

Sonja: Also, meine Freundin wohnt <strong>nicht</strong> hier. Aber sie wollte mich besuchen kommen. Und wie<br />

sie in die Straßenbahn einsteigt, die direkt zu mir herführt, sind drei, vier Jugendliche da und<br />

stänkern sie an. Sie hat einfach weggeschaut und <strong>nicht</strong>s gesagt. Auf einmal fallen die über sie<br />

her und dreschen ihr ins Gesicht.<br />

Lehrer H.: Hat ihr niemand gehoIfen, war sie alleine, hat sich niemand verantwortlich gefühlt?<br />

Sonja: Das ist ja überhaupt das Stärkste; die Straßenbahn war voll von Leuten, aber keiner hat<br />

etwas gesagt. Erst als Karin, also meine Freundin, geschrien hat, haben einige Erwachsene<br />

hergeschaut, aber die Jugendlichen sprangen bei der nächsten Haltestelle aus dem Wagon.<br />

Peter: Mir fällt auch eine solche Story ein.<br />

Sonja: Warte, das Ärgste kommt noch. Karin hat stark geblutet, ist ausgestiegen und hat sich<br />

an eine Hausmauer gelehnt - direkt neben einem Restaurant. Glaubt ihr, es hat sich jemand<br />

für sie interessiert, ihr geholfen? Fehlanzeige!<br />

Peter: Oft ist das Problem <strong>nicht</strong> so sichtbar. <strong>Ich</strong> weiß von einem Selbstmord in einer Schule.<br />

Der Schüler war erst vierzehn Jahre alt und niemand hat etwas davon gewusst, dass es ihm<br />

so schlecht geht. Er selbst hat angeblich ein paar Mal gesagt: Wozu die Schule? Das bringt ja<br />

alles doch <strong>nicht</strong>s!<br />

Hans: Vorher ging es um Hilfeleistung bei sichtbarer Gewalt. Wenn sich jemand umbringen <strong>will</strong>,<br />

ist das schwerer oder vielleicht überhaupt <strong>nicht</strong> erkennbar<br />

23


Lehrer H.: Was meint ihr, woran könnte man merken, dass es jemandem schlecht geht?<br />

Inge: <strong>Ich</strong> glaube, man erkennt es daran, wenn eine Schülerin ganz traurig dasteht, also mit<br />

gesenktem Kopf, oder mit den Augen immer wo anders, einem <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> anschaut, sondern<br />

den Blick vermeidet.<br />

Herbert: Oder, wenn die Körperhaltung eher verkrampft ist. <strong>Ich</strong> meine, wenn mein Freund ganz<br />

versteinert dasitzt, dann frage ich ihn, was mit ihm los ist.<br />

Gudrun: Was machst du, wenn sich jemand gut verstellen kann? Denke an das Beispiel von<br />

Peter, da ist ja auch niemand auf die Idee gekommen, dass sich der Vierzehnjährige umbringt.<br />

Man hat es ihm <strong>nicht</strong> angesehen.<br />

Herbert: Oder man hat <strong>nicht</strong> genau hingeschaut.<br />

Lehrer H.: Gibt es noch andere Hinweise als körperliche darauf, dass es jemandem schlecht<br />

geht? Z.B. im Verhalten im Reden ... Was fällt euch dazu ein?<br />

Sigrid: Mir ist einmal bei meinem Freund aufgefallen, dass er stiller war als sonst. <strong>Ich</strong> habe ihn<br />

dann gefragt, ob er Sorgen hat, und er hat gesagt, er <strong>will</strong> <strong>nicht</strong> darüber reden, aber es gefällt<br />

ihm, dass ich so aufmerksam war. Aber dann habe ich schon aus ihm heraus gekitzelt, dass er<br />

sich in seinem neuen Beruf ziemlich isoliert fühlt.<br />

Chiara: Meine Mutter hat sich einmal viel früher schlafen gelegt als sonst. <strong>Ich</strong> habe sie dann<br />

am nächsten Tag gefragt, was los mit ihr ist. Aber sie hat gesagt: Nichts, <strong>nicht</strong>s, alles in<br />

Ordnung, aber auf ihrem Nachtkästchen habe ich ein Buch entdeckt mit dem Titel: Ist das<br />

Leben sinnlos?<br />

Lehrer H: Welche Gründe kann es denn überhaupt dafür geben, dass es jemandem schlecht<br />

geht?<br />

Jürgen: Also mir ist da einiges eingefallen, z.B. Probleme mit der Freundin. Oder Probleme zu<br />

Hause, also Krach mit der älteren Generation. Oder wenn man in der Klasse isoliert ist. Oder<br />

Schwierigkeiten mit den Lehrern hat, oder wenn einem alles zu viel wird, zu anstrengend, zu<br />

verwirrend.<br />

24


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Ferdinand: Wie ich voriges Jahr so lange krank war, da war ich seelisch auch richtig down, ich<br />

habe geglaubt, ich schaffe <strong>nicht</strong>s <strong>mehr</strong>, die anderen sind schon so weit voraus.<br />

Lehrer H.: Es gibt also eine ganze Menge von Gründen, wann es einem schlecht gehen kann:<br />

Isolation (Haltlosigkeit), Versagen (Hilflosigkeit), Verzweiflung (Hoffnungslosigkeit). Manchmal<br />

merkt man es dem Anderen gleich an seinem Aussehen an, manchmal erkennt man es erst nach<br />

einiger Zeit daran, dass sich der andere <strong>nicht</strong> wie sonst benimmt. Was sollte man überlegen,<br />

wenn man glaubt, dass es dem anderen schlecht geht?<br />

Peter: Wenn man <strong>nicht</strong> sicher ist, sollte man den Anderen nur vorsichtig ansprechen. Z.B.<br />

„Geht es dir vielleicht <strong>nicht</strong> gut?“<br />

Jürgen: Oder noch besser: „ <strong>Ich</strong> habe das Gefühl, dass es dir <strong>nicht</strong> gut geht, stimmt das?“<br />

Petra: Was wäre mit: „ Kann ich dir helfen, brauchst du vielleicht etwas?“<br />

Hans: <strong>Ich</strong> würde vorsichtiger sein, weil manche das überhaupt <strong>nicht</strong> mögen, wenn dauernd<br />

jemand kommt und ihnen helfen <strong>will</strong>.<br />

Lehrer H.: Wie würdest du es denn machen?<br />

Hans: <strong>Ich</strong> würde sagen: „Entschuldige, ich wilI dich <strong>nicht</strong> ärgern, aber mir kommt vor, dir geht<br />

es <strong>nicht</strong> gut, kann ich etwas für dich tun?<br />

Peter: Oder noch besser: „<strong>Ich</strong> habe gemerkt, dass du in letzter Zeit auffallend still bist, hat das<br />

einen Grund, geht es dir <strong>nicht</strong> gut?“<br />

Inge: Das ist aber ganz schön umständlich!<br />

Lehrer H.: Die Idealformel gibt es <strong>nicht</strong>. Man muss es einfach versuchen. Jedenfalls ist es<br />

besser, man spricht das Gefühl aus, als einfach wegzuschauen. Und besser ist es, man teilt<br />

seine Beobachtung mit und was man daraus folgert, anstatt dem anderen gleich ein Problem<br />

„umzuhängen“. Auch wenn der oder die andere im AugenbIick <strong>nicht</strong> gut darauf reagieren, sind<br />

sie doch froh, wenn wir sie ansprechen und <strong>nicht</strong> allein lassen.<br />

25


Chiara: Wenn aber einer dauernd auf der Lauer liegt, ob es jemandem schlecht geht, dann ist<br />

das auch ganz schön nervig! Manche Leute sind auf dem Trip, dass sie permanent allen helfen<br />

wollen, auch wenn diese das absolut <strong>nicht</strong> brauchen.<br />

Lehrer H.: Du hast ganz recht, Chiara. Man soll aufmerksam sein. Aber aufmerksam sein heißt<br />

<strong>nicht</strong>, die Anderen zu belauern oder ihnen mit unseren „Diagnosen“ auf die Nerven zu gehen.<br />

Man muss den richtigen Mittelweg finden. Denn es gibt auch das Gegenteil.<br />

Sonja: Was ist das Gegenteil, dass man sich <strong>nicht</strong> kümmert?<br />

Helga: Ja, oder, dass man den anderen <strong>nicht</strong> ernst nimmt, oder ihm bzw. ihr sagt, das ist doch<br />

kein Problem, das ist doch lächerlich, das geht uns doch allen so, oder so was Ähnliches.<br />

Lehrer H.: Genügt es, den anderen einfach darauf anzusprechen, dass es ihm oder ihr<br />

schlecht geht? Oder muss man auch etwas tun? Und wann ist das notwendig?<br />

Herbert: Was soll ich denn tun? <strong>Ich</strong> bin ja kein Selbstmordverhüter!<br />

Chiara: Vielleicht genügt es, dass man zuhört, dazu muss man ja kein Profi sein.<br />

Gudrun: <strong>Ich</strong> habe jetzt schon lange <strong>nicht</strong>s gesagt. Aber was dann, wenn der oder die Angesprochene<br />

sagt, ja mir geht es schlecht, ja, ich <strong>will</strong> <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> leben – aber du darfst es<br />

niemandem sagen!! Was mach ich denn da?<br />

Herbert: Das kannst du <strong>nicht</strong> versprechen. Sonst steckst du selbst im Sumpf und niemand zieht<br />

dich heraus.<br />

Gudrun: Was meinst du damit?<br />

Herbert: Wir können nur dann helfen, wenn wir darauf achten, dass es uns selbst <strong>nicht</strong> ganz<br />

schlecht dabei geht. Wenn ich von jemandem höre, dass er oder sie sich umbringen <strong>will</strong>, aber<br />

<strong>nicht</strong>s darüber sagen darf, dann geht es mir ganz schlecht. Denn jederzeit kann ja etwas<br />

passieren. Und ich bin dann vielleicht mitschuldig.<br />

26


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Hans: <strong>Ich</strong> würde sagen: Du bist mir wichtig, ich möchte alles tun, um dir zu helfen, und dazu<br />

gehört auch, dass du dir von jemand helfen lässt, der sich mit so etwas auskennt.<br />

Sigrid: Und wen kann man um fachliche Hilfe bitten?<br />

Hans: Das kann z.B. ein Schülerberater oder Schülerberaterin sein, oder ein anderer Beratungslehrer,<br />

die Schulpsychologin, der Schularzt, die Schulsozialarbeiterin. Das sind meist keine<br />

Selbstmordverhütungs-Profis, aber sie wissen, wohin man sich dann wendet, oder leisten<br />

psychische erste Hilfe!<br />

Jürgen: Und was ist psychische erste Hilfe?<br />

Peter: <strong>Ich</strong> könnte mir vorstellen, dass man dem oder der Betroffenen sagt: „Du, ich bin da, ich<br />

höre dir zu! Warum <strong>will</strong>st du <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> leben?“<br />

Jürgen: Das ist aber ganz schön direkt! Ist das <strong>nicht</strong> gefährlich, wenn man etwas so direkt<br />

anspricht?<br />

Gudrun: Nein, glaube ich <strong>nicht</strong>. Wenn man sich umbringen <strong>will</strong> und man darauf angesprochen<br />

wird, wird man <strong>nicht</strong> erschrecken, sondern im Gegenteil, sich <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> allein fühlen.<br />

Ferdinand: <strong>Ich</strong> habe jetzt lange zugehört, aber jetzt muss ich auch etwas sagen. Einmal ging es<br />

mir so schlecht, dass ich auch mit gewissen Gedanken gespielt habe. <strong>Ich</strong> weiß noch, wie ich von<br />

meiner Schwester angesprochen wurde, warum ich mit so einem trüben Gesicht herum laufe.<br />

Als ich es ihr sagte, lachte sie nur und meinte, wegen so kleiner Problemchen könnte sich jeder<br />

umbringen. Das war irrsinnig peinlich.<br />

Helga: <strong>Ich</strong> habe jetzt auch lange <strong>nicht</strong>s gesagt. Aber mir ist etwas Ähnliches passiert: <strong>Ich</strong><br />

habe mich, wie es mir einmal ganz mies ging, meiner besten Freundin anvertraut, die hat sich<br />

dann gleich unheimlich wichtig gemacht und gesagt: „Du musst jetzt das und das und das tun!<br />

<strong>Ich</strong> werde auch dieses und jenes für dich tun!“ <strong>Ich</strong> habe überhaupt <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> zugehört und<br />

insgeheim geflucht, dass ich überhaupt etwas gesagt habe.<br />

Sigrid: Hilfe soll man aber <strong>nicht</strong> aufdrängen. Manchmal braucht der Andere Zeit, bis er oder sie<br />

bereit ist, Hilfe anzunehmen.<br />

27


Herbert: Ja, man sollte den anderen ernst nehmen und <strong>nicht</strong> gleich „entmündigen“. Aber die<br />

psychische erste Hilfe kann nur ein Übergang sein, bis fachliche Hilfe kommt. <strong>Ich</strong> glaube, dass<br />

es auch eigene Kriseninterventionsstellen gibt, in Spitälern sicher auch Hilfen wie die Kinderund<br />

Jugendpsychiatrie. Und dann gibt es noch die Kinderschutz-Zentren.<br />

Chiara: Wenn jemand ganz außer sich ist, kann man die Rettung anrufen.<br />

Sonja: Oder besser noch eigene Hilfsdienste. <strong>Ich</strong> glaube, es gibt etwas, das heißt „Psychosozialer<br />

Dienst“ oder so ähnlich. Die kommen auch, wenn es nötig ist.<br />

Marvin: Wann kann es nötig sein, Einsatzkräfte oder Krankenwagen etc. anzurufen? Wer<br />

muss informiert werden?<br />

Lehrer H.: Sicher dann, wenn jemand unansprechbar ist, verwirrt wirkt und desorientiert oder<br />

geschockt. Oder dann, wenn Gefahr im Verzug ist.<br />

Marvin: Z.B. Es steht jemand schon am Fenstersims und kann jederzeit den Schritt hinaus<br />

machen.<br />

Lehrer H.: In diesem Fall ist sicher auch notwendig, die Feuerwehr, Polizei zu verständigen.<br />

Hans: Muss man <strong>nicht</strong> auch den Klassenvorstand oder Direktor informieren?<br />

Inge: <strong>Ich</strong> finde, ihr habt die Eltern ganz schön aus dem Spiel gelassen. Also, wenn ich einmal<br />

Mutter sein sollte, möchte ich schon ganz früh erfahren, wenn mein Kind in Gefahr ist.<br />

Jürgen: Aber was ist zu tun, wenn die Eltern Schuld an der Sache sind oder Mitschuld haben?<br />

Lehrer H.: Man muss in jedem Fall einzeln überlegen, wer zu verständigen ist, was zu tun<br />

ist, ob es sich um eine akute Gefährdung handelt oder um erste suizidale Tendenzen. Ein<br />

eventuell vorhandener Krisenplan gibt nur die groben Schritte vor. <strong>Ich</strong> glaube, wir haben<br />

jetzt viel erarbeitet, z.B. dass man Hilfe anbietet, ohne den anderen gleich hilflos zu machen;<br />

dass wir der betroffenen Person anbieten, sich bei uns anzuhalten, indem wir da sind, zuhören.<br />

Freilich müssen wir darauf achten, dass wir nur soweit und solange Halt bieten können, dass<br />

wir <strong>nicht</strong> selbst untergehen und daher rechtzeitig professionelle Hilfe holen.<br />

28


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Helga: Sollen wir dem Menschen auch Hoffnung machen?<br />

Lehrer H.: <strong>Ich</strong> glaube, man darf <strong>nicht</strong>s versprechen, was man <strong>nicht</strong> halten kann. Aber es schadet<br />

sicher <strong>nicht</strong>, vorsichtig miteinander zu überlegen, wie es weiter gehen kann. Aber wenn jemand<br />

in einer Krise ist, braucht er oder sie Zeit, wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen,<br />

dann erst ist man bereit für die Überlegung, wie es weiter gehen könnte.<br />

Peter: Wir sind jetzt aber ziemlich weit von unserem Anfangsthema abgekommen.<br />

Lehrer H.: Richtig, Peter! Eigentlich sind wir ja davon ausgegangen, was man tun soll, wenn<br />

man jemanden auf der Straße liegen sieht!<br />

Chiara: Oder wenn es einem selbst schlecht geht.<br />

Lehrer H.: Fangen wir mit der Ietzten Frage an.<br />

Was sollte man tun, wenn man sich unwohl fühlt, oder wenn man in einer Notlage ist?<br />

HeIga: Das Wichtigste ist, dass man sagt, dass es einem schlecht geht - wenn man es kann!<br />

Lehrer H.: Richtig! Das heißt aber auch, dass man den Mut hat, sich einzugestehen, dass man<br />

Hilfe braucht. Was ist noch notwendig?<br />

Gudrun: Dass man einen bestimmten Menschen anspricht. <strong>Ich</strong> meine, wenn man nur irgendwie<br />

nach Hilfe ruft, denkt sich jeder, warum soll ich helfen, das kann ja auch ein anderer!<br />

Herbert: Wenn man dazu in der Lage ist, sollte man auch genau sagen, was los ist. Sonst denken<br />

sich die anderen höchstens, dass man betrunken ist oder vielleicht nur einen seltsamen Spaß<br />

macht.<br />

Lehrer H.: Und was macht man, wenn man z.B. einen Menschen auf den Boden liegen sieht?<br />

Marvin: <strong>Ich</strong> meine, man kann ja sagen: „Ist Ihnen schlecht? Brauchen Sie Hilfe?“<br />

Sonja: Aber ich habe Angst, wenn ich z.B. helfen soll. Vielleicht ist das nur ein Trick. Manche<br />

Menschen sind schon überfallen worden, weil sie hilfsbereit waren.<br />

29


Lehrer H.: Selbstverständlich muss man auch auf die eigene Sicherheit achten! Wie kann<br />

man das?<br />

Gudrun: Wenn ich Angst habe, muss ich meine Angst ernst nehmen. <strong>Ich</strong> kann ja jemand anderen<br />

um Mithilfe bitten.<br />

Herbert: Oder man verständigt die Polizei oder Rettung!<br />

Peter: Das muss man sich aber schon überlegen, weil wenn die dann kommen und es war im<br />

Grunde genommen <strong>nicht</strong> notwendig?<br />

Chiara: Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig kümmern!<br />

Ferdinand: Ein Freund hat mir von seiner Schule erzählt, dass ein älterer Schüler <strong>mehr</strong>ere<br />

Schüler bedroht hat. Der Direktor war ganz außer sich. Er wusste <strong>nicht</strong>, was er tun sollte, ob er<br />

die Rettung, Feuerwehr oder Polizei verständigen sollte.<br />

Marvin: Das ist auch <strong>nicht</strong> so einfach. <strong>Ich</strong> weiß, dass es in vielen Schulen daher Krisenpläne<br />

gibt. Das heißt, wer muss was wann tun, damit eine gefährliche Situation rasch entschärft<br />

werden kann. Mein Cousin geht in eine Schule, da wird tatsächlich der Ernstfall geprobt.<br />

Inge: Wie ein Feueralarm?<br />

Marvin: Ja!<br />

Lehrer H.: Es gibt keine Faustregel für alle Situationen, außer: die Gefahr erkennen, beurteilen,<br />

was nun am besten zu tun ist- und dementsprechend handeln! Aber Krisenpläne sind auf<br />

jeden Fall sinnvoll, die Schulpsychologen haben so etwas auch ausgearbeitet. In den Schulen<br />

liegen sie großteils schon auf. Da steht genau, was man in welcher Reihenfolge zu tun hat,<br />

wer verständigt werden muss usw. Wichtig ist, dass wir <strong>nicht</strong>, dass wir <strong>nicht</strong> den anderen die<br />

Verantwortung zuschieben, wenn wir selbst handeln könnten. Es geht oft nur darum, dass wir<br />

da sind, bis professionelle Hilfe kommt. Dass wir eine Überbrückung leisten.<br />

Achte auch auf leise Signale!<br />

Kombiniere richtig!<br />

Überschätze deine Kräfte <strong>nicht</strong>!<br />

30


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Gedanken zur Diskussion<br />

• ERKENNEN: Aufmerksam sein, richtig beobachten, sich bemerkbar machen, wenn man<br />

Hilfe braucht… Aus dem Verhalten, der Mimik und Gestik, der Körperhaltung können, aus<br />

Veränderungen im Kontakt (z.B. Vielredner werden schweigsam und umgekehrt) kann man<br />

vermuten, dass ein Problem vorliegt. Wenn man selbst in einer Notlage ist, sollte man sich<br />

bemerkbar machen und jemanden konkret um Hilfe ansprechen.<br />

• BEURTEILEN: Dazu gehört Erfahrungs- und Meinungsaustausch mit anderen; die richtige<br />

Einschätzung einer Gefahrensituation kann man <strong>nicht</strong> sofort vollziehen, man muss sich damit<br />

schon vorher beschäftigen und darüber Gedanken machen, was gefährlich sein kann und was<br />

<strong>nicht</strong>; was sofortige Hilfe erfordert und was <strong>nicht</strong>. Man sollte die Beobachtung nur vorsichtig<br />

ansprechen, als Vermutung und <strong>nicht</strong> als Gewissheit. Wenn wir <strong>nicht</strong> sicher sind, ob sich jemand<br />

in einer Notlage befindet (z.B. gestürzt ist oder betrunken), dann können wir die Person direkt<br />

ansprechen.<br />

• HANDELN bedeutet <strong>nicht</strong> nur, dass man etwas tut, sondern wie man es tut. Wichtig ist bei<br />

jeder Hilfe, dass man auch auf die eigene Sicherheit achtet (es gibt Menschen, die einen Unfall<br />

vortäuschen), z.B. indem man andere Personen um Mithilfe ersucht oder Polizei bzw. Rettung<br />

verständigt. Hilfe sollte man <strong>nicht</strong> aufdrängen, man muss dem/der anderen Zeit lassen, damit<br />

er/sie bereit ist, Hilfe anzunehmen. Wichtig ist zu zeigen, dass man da ist für den anderen.<br />

Hilfe darf niemals <strong>mehr</strong> Schaden – bei sich oder bei anderen – hervorrufen, als sie Nutzen<br />

bringt. Beim Helfen muss man darauf achten, dass das Ärgste verhindert wird, z.B. bei einem<br />

Verkehrsunfall die nachfolgenden Autofahrer durch ein entsprechendes Hinweiszeichen<br />

vorwarnen. Oder: Man darf jemanden, der auf dem Boden liegt, <strong>nicht</strong> ohne weiteres bewegen,<br />

weil manche Verletzungen dadurch noch schlimmer werden. Man sollte sich dabei gut in Erster<br />

Hilfe auskennen. Oder: Wenn jemand in seelischer Not ist, dann ist Handeln wertvoll, aber nur,<br />

wenn wir den anderen dadurch <strong>nicht</strong> zum Hilflosen abstempeln usw. Handeln muss immer so<br />

vor sich gehen, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit möglichst groß ist und dass der dadurch<br />

erreichte Zustand besser ist als der zuvor. Deswegen ist es auch wichtig, professionelle Hilfe<br />

einzuschalten, wenn eine Selbstgefährdung gegeben ist, die die Akutsituation entschärft, den<br />

Ursachen auf den Grund geht und mit dem/der Betroffenen unter Einbeziehung des Umfeldes<br />

lösungsorientiert arbeitet.<br />

31


Hier nochmals ohne Anspruch auf Vollständigkeit eine Zusammenfassung, die sich auf die Suizidgefährdung<br />

konzentriert (die anderen Themen der Diskussion müssten extra besprochen werden):<br />

Woran kann man merken, dass es jemandem schlecht geht?<br />

Wissen um negative Erlebnisse oder Lebensumstände des/der Betroffenen (z.B: Mobbing).<br />

Eingeschränkte oder übertriebene Mimik, Gestik, schlaffe oder verkrampfte Körperhaltung,<br />

Äußerungen über Einsamkeit, sich <strong>nicht</strong> zu helfen wissen, keine Zukunft haben (siehe auch<br />

die Ausführungen zu den Signalen im Verhalten und Reden im ersten Kapitel: Haltlosigkeit,<br />

Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Verhaltensauffälligkeiten und Verhaltensänderungen).<br />

Was sollte man tun, wenn man glaubt, dass es dem anderen schlecht geht?<br />

Vorsichtig ansprechen, keine vorschnellen „Diagnosen“, sondern von Beobachtung ausgehen<br />

und vom persönlichen Eindruck, <strong>nicht</strong> behaupten, dass es dem anderen schlecht<br />

geht; sondern nach ev. Problem fragen. Nicht die Hilfe aufdrängen oder für den anderen die<br />

Problemlösung übernehmen. Problem ernst nehmen, <strong>nicht</strong> lächerlich machen. Auch auf<br />

bloße „Gerüchte“ verantwortungsbewusst und sensibel reagieren, im Fall, dass man das<br />

Gefühl hat, dass eine Selbstmordgefährdung vorliegt, dieses Gefühl auch mitteilen. Keine<br />

„Analysen“ und „Tiefbohrungen“, erst muss der Boden unter den Füßen wieder fest werden.<br />

Zuhören, da sein, aber <strong>nicht</strong>s versprechen, was man <strong>nicht</strong> halten kann. Auch <strong>nicht</strong> zusagen,<br />

dass man darüber schweigen wird. Im Gegenteil: sich um fachliche Hilfe kümmern: Schülerberater/in,<br />

Beratungslehrer/in, Schulpsycholog/in, Arzt/Ärztin, Schulsozialarbeiter/in,…<br />

Wie geht man am besten vor?<br />

Psychische Erste Hilfe leisten: Kontakt herstellen, ruhig miteinander reden, anbieten, darüber<br />

zu reden, oder etwas zu zeichnen, was mit dem Problem zu tun hat. Fragen, wie man<br />

helfen kann oder was gut tun würde. Vor allem, was der/die Betroffene selbst für sich tun<br />

kann. Bis zum im Akutfall notwendigen Eintreffen von Expert/innen ist die Schulleitung<br />

die oberste Koordinationsstelle. Sie entscheidet das Vorgehen Schritt für Schritt, die Verständigung<br />

von Einsatzkräften, die Information der Familienangehörigen usw. Die Krise als<br />

Lebensphänomen und ihre Bewältigung auch allgemein in geeigneter Form in den Schulklassen<br />

thematisieren.<br />

Ein eventuell vorhandener Krisenplan gibt nur die groben Schritte vor; man muss in jedem<br />

Fall einzeln überlegen, was zu tun ist, wer zu verständigen ist, ob es sich um eine akute<br />

Gefährdung handelt oder um erste suizidale Tendenzen.<br />

Die Liste erhebt <strong>nicht</strong> den Anspruch darauf, alles anzuführen, was wichtig sein kann. Sie<br />

soll aber zu diesen persönlichen Ergänzungen anregen.<br />

32


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Wie gehen Psychotherapeut/innen bei aktueller Suizidprävention vor? 4<br />

„Die Erfahrung zeigt, dass es für Menschen, die an Selbstmord denken, oft sehr<br />

schwierig ist, sich helfen zu lassen. Die Gefährdung kommt häufig nur in Andeutungen<br />

zu Tage. <strong>Ich</strong> habe es mir daher zum Prinzip gemacht, direkt danach zu fragen, wenn<br />

ich das Gefühl habe, mein Gegenüber könnte mit Suizidgedanken beschäftigt sein.<br />

Das ermöglicht dann auch ein Gespräch darüber, wie konkret solche Gedanken sind:<br />

Handelt es sich um detaillierte Planungen, wurden schon Medikamente gesammelt,<br />

eine Waffe besorgt etc? Dabei ist es für beide Seiten auch wichtig, sich klar zu<br />

machen, was im Allgemeinen <strong>nicht</strong> hilfreich ist: Vorschnelle Tröstung, Ermahnung,<br />

Bagatellisierung des Problems, vorschnelle Aktivitäten, Ausfragen und Analysieren,<br />

argumentierendes Diskutieren, Verallgemeinerung, Ratschläge, Belehrungen<br />

und Ähnliches <strong>mehr</strong>. Ziel eines solchen Gespräches ist es, zu einer gemeinsamen<br />

Einschätzung der Gefährdung zu kommen bzw. wenn dies <strong>nicht</strong> möglich ist, den<br />

eigenen Eindruck taktvoll, aber in aller Deutlichkeit mitzuteilen. Taktvoll, weil man im<br />

Zustand akuter Selbstmordgefährdung sehr leicht kränkbar ist.<br />

Man sollte auch ganz konkret den Tagesablauf und die möglichen hilfreichen sozialen<br />

Kontakte für die folgenden Tage und Wochen durchbesprechen. Wenn sich dabei<br />

herausstellt, dass jemand <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> in der Lage ist glaubhaft anzugeben, was er in<br />

den nächsten Stunden macht, geht es <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> anders, als ihn persönlich zu einer<br />

psychiatrischen Aufnahmestation zu begleiten. Auch sonst können Helfer/innen und<br />

Betroffene mit dem Thema schnell überfordert sein. Man sollte sich daher in dieser<br />

Situation unbedingt an Fachleute wenden. Für Schüler/innen und Studierende sind<br />

die <strong>Schulpsychologie</strong> bzw. die Psychologische Studentenberatung naheliegende<br />

Anlaufstellen. In allen größeren Städten gibt es auch Krisenstellen und Notdienste, in<br />

denen das Fachpersonal für Suizidprävention spezialisiert ist.“<br />

Zusätzlich zu den hier angesprochenen Faktoren Hilflosigkeit (bzw. Verhaltensrepertoire) und<br />

Haltlosigkeit (bzw. Vernetzung) ist auch der Faktor Hoffnungslosigkeit (bzw. Vision) ein wichtiges<br />

Thema im Gespräch mit einem suizidalen Menschen. Je konkreter und realistischer sich ein<br />

(Sinn-)Horizont entdecken lässt, desto positiver kann sich die momentane Problemsituation<br />

entwickeln. Wenn hingegen ein „no future–Gefühl“ dominiert, ist das als Gefahrenzeichen<br />

zu werten. Ganz wichtig ist auch zu ergänzen, dass Struktur Halt gibt. Daher bemühen<br />

sich professionelle Helfer, den Tagesablauf gemeinsam mit dem suizidalen Menschen zu<br />

strukturieren, aber auch eine hilfreiche Struktur für das Verhalten in der Nacht, etwa bei<br />

Schlaflosigkeit, Grübeln etc. zu erarbeiten.<br />

4: Den gekürzten Einblick in die praktische Suizidprävention gibt F. Oberlehner in F. Sedlak (Hg)(2007):<br />

Psychologie in Schule und Studium. Ein praxisorientiertes Wörterbuch. Wien: Springer.<br />

33


KAPITEL III<br />

SUIZIDALITÄT AUS UNTERSCHIEDLICHEN PERSPEKTIVEN<br />

Im folgenden Abschnitt sind einige Perspektiven der Suizidalitätsthematik dargestellt, wobei<br />

es sich selbstverständlich nur um einige wichtige Beispiele handelt und keine lückenlose<br />

Darstellung beabsichtigt war.<br />

Im Umfeld der Suizidalität: Selbstverletzendes Verhalten<br />

Selbstverletzendes Verhalten ist wie Drogensucht, Alkoholismus etc. eine Form „schleichenden<br />

Selbstmordes“. Selbstverletzendes Verhalten (abgekürzt SvV) kann alles Mögliche sein:<br />

Schneiden, Brennen, sich selbst Schlagen, Wundheilung verhindern u.v.a.m.<br />

Die Bandbreite reicht von Eingriffen in den Körper bei manchen Schönheitsoperationen, von<br />

Hautverletzungen durch Tätowierung und Piercing bis hin zu absichtlich herbeigeführten<br />

Stoffwechselentgleisungen (wie dies auch bei Magersucht gegeben ist) oder gar bis zum<br />

Suizid, der Extremform des SvVs. Manchmal werden auch Selbstmanipulationen durchgeführt,<br />

um durch künstlich herbeigeführte krankheitswertige Störungen ärztliche Zuwendung zu<br />

erhalten.<br />

Zwar könnte man annehmen, dass SvV Suizid verhindert, weil es einen Ventileffekt hat und<br />

Aggression abbaut. Aber zugleich bahnt das SvV auch den schädigenden Umgang mit sich<br />

selbst, und es kann zu Handlungen mit irreversiblen Schäden bis hin zum Tod kommen.<br />

Überwiegend sind Mädchen und Frauen von SvV betroffen (vielleicht weil sie die Aggression<br />

weniger nach außen ableiten können). Die Angaben schwanken hier von doppelt bis neunmal<br />

so vielen weiblichen Betroffenen.<br />

SvV tritt zumeist zwischen der Pubertät und dem frühen Erwachsenenalter auf (also ca<br />

zwischen 16 und 26 Jahren), es kann aber auch zu früherem Auftreten kommen. Je schwerer<br />

die kindlichen psychischen Erschütterungen und Belastungen waren, je <strong>mehr</strong> es zu Angst,<br />

aufgestauter Spannung und Wut kam, desto früher und heftiger setzt das SvV ein. Sexueller<br />

Missbrauch, Gewalt und Vernachlässigung (Haltlosigkeit) bilden die Hauptursachen für SvV,<br />

daneben auch Essstörungen.<br />

34


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Unter 200 Kindern/Jugendlichen haben nach Recherchen etwa 1 bis 2 unter SvV zu leiden. Die<br />

Angaben schwanken (auch wegen der breiten Symptomatik). Allerdings besteht die Gefahr der<br />

sozialen Ansteckung durch Nachahmung (ähnlich wie Werther-Effekt).<br />

SvV „erfüllt“ für Betroffene <strong>mehr</strong>ere Zwecke: Sie erleichtern sich von ihrer Anspannung, spüren<br />

sich selbst, lenken sich ab, gewinnen Aufmerksamkeit und Kontrolle über sich und andere. Oft<br />

läuft das SvV nur „halb-bewusst“ ab. Die Betroffenen wissen, was sie tun, aber stehen wie unter<br />

einem Zwang, bzw. zeigen ein suchtähnliches Verhalten. In schweren Fällen stellt das SvV eine<br />

Wiederholung traumatischer Erlebnisse dar.<br />

Wichtig für Bezugspersonen, Erzieher/innen, Lehrer/innen ist die undramatische, beständige<br />

Begleitung, die Hilfe zum Abbau von Spannungen und Angst, die Hilfe zum Erlangen von<br />

kompetentem Umgang mit den eigenen Gefühlen zur Fähigkeit sich zu schützen u.v.a.m.<br />

(Verhaltensrepertoire).<br />

Affekte und Suizidalität<br />

Selbstmord kann als Entgleisung der Affekte angesehen werden. Affekte gehören zu den<br />

wichtigsten Fähigkeiten der Realitätsbewältigung. Die Affekte regulieren die Beziehungen<br />

zwischen Außen- und Innenwelt, sind in Art und Ausprägung individuell - daher die überwältigende<br />

Fülle menschlicher Reaktionsmöglichkeiten (Verhaltensrepertoire).<br />

Jeder Mensch strebt nach dem inneren Gleichgewicht, z.B. durch Essen bei Hunger und Trinken<br />

bei Durst. Es gibt aber <strong>nicht</strong> nur „antreibende“ Bedürfnisse, sondern auch zu bestimmten Zielen<br />

hin bewegende (Motive). Z.B. Bewältigung einer persönlichen Herausforderung (ein hoher<br />

Berg, eine schwierige Prüfung, ...). Angst, Ärger, Trauer, Freude spiegeln unsere Erfahrungen,<br />

z.B. das Ausmaß bzw. Erreichen der Bedürfnisbefriedigung oder der gesetzten Ziele. Bei<br />

psychischer Gesundheit sind alle Affekte zugängig und in angemessener Dosierung vorhanden<br />

und können stimmig ausgedrückt werden (man verfügt über eine differenzierte Mimik, die mit<br />

dem übereinstimmt, was man fühlt oder mitteilen <strong>will</strong>). Sind die Affekte unterentwickelt (z.B.<br />

weil man nie Ärger zeigen durfte), einseitig ausgeprägt oder überschießend vorhanden, fehlt<br />

die angemessene Orientierung und Anpassung des Verhaltens (Hilflosigkeit). Zur Entfaltung<br />

und zur Lebensbewältigung ist es wichtig, Affekte wahrnehmen, unterscheiden (bin ich jetzt<br />

wirklich traurig oder eher ärgerlich, wütend?), spüren und ausdrücken zu können (kann ich<br />

z.B. meine Wut angemessen sichtbar machen?). Bekannt ist, dass überschießende Affekte<br />

das Denken beeinträchtigen oder blockieren (bei sehr starken Affekten kann das Denken<br />

„überschwemmt“, eingeengt, gehemmt werden); Affekte formen und fördern aber auch unser<br />

35


Denken und Verhalten. Suizidale Menschen zeigen in ihrer Mimik manchmal recht deutlich<br />

vermeintliche Affektlosigkeit oder überbordende Affekte. Manchmal erkennt der geübte Blick<br />

schon im Gesichtsausdruck und Körperhaltung die empfundene Hilflosigkeit, Haltlosigkeit und<br />

Hoffnungslosigkeit.<br />

Depression und Suizidalität<br />

Hoffnungslosigkeit, Gefühle der inneren Leere und Niedergeschlagenheit, Schuldgefühle,<br />

Hilflosigkeit in Form von massiven Selbstzweifeln, Stress, Erschöpfung sowie Haltlosigkeit<br />

nach schwerwiegenden Verlusten, Enttäuschungen, Trennungen stehen am Beginn vieler<br />

depressiver Erkrankungen.<br />

Wenn Haltlosigkeit und Hoffnungslosigkeit bestehen, hilft eine Aktivierung als Teilüberwindung<br />

der Hilflosigkeit allein <strong>nicht</strong>. Im Gegenteil - es kann damit der letzte Schritt in den Selbstmord<br />

erleichtert werden. Professionelle Hilfe und menschliche Begegnung sind unerlässlich.<br />

Depression ist <strong>nicht</strong> mit Trauer gleichzusetzen.<br />

Trauer empfindet man durch Verlust, Trennung, Enttäuschung. Trauer ist immer möglich,<br />

wenn man etwas Wertvolles verliert. Trauer ist somit (neben Freude) ein Ausdruck dafür, dass<br />

man Werte besitzt. Traurigkeit kann entstehen, wenn unsere Fähigkeit nachlässt, wenn eine<br />

Freundschaft in Brüche gegangen ist, wenn jemand gestorben ist, mit dem wir innig verbunden<br />

waren, oder wenn etwas zu Schaden kommt, das wir lieben (z.B. auch die Umwelt, Tiere...). Wer<br />

sich gegen Trauer wappnen möchte, sich panzert gegen die Gefühle, engere Kontakte meidet<br />

(um <strong>nicht</strong> durch deren möglichen Verlust zu leiden), der verliert auch den Zugang zu positiven<br />

Gefühlen. Trauer ist <strong>nicht</strong> gleichbedeutend mit Depression, Trauer ist keine Krankheit, sondern<br />

das intensive Erleben des Verlusts von etwas uns Wichtigem. Trauern heißt dann: Abschied<br />

nehmen, die Kränkung „herauslassen“, bevor sie uns krank macht. Aber auch Trauer kennt<br />

ein richtiges Maß. Grenzenlose, <strong>nicht</strong> zu Ende kommende Trauer ist blockierend und macht<br />

krank. Bei übermäßiger Trauer ist es aber auch für die „Helfer/innen“ wichtig, sich <strong>nicht</strong> völlig<br />

zu verausgaben. Auch sie sind <strong>nicht</strong> vor Burnout etc. gefeit.<br />

Wie entstehen Depressionen?<br />

Eine Ursache ist seelische und körperliche Erschöpfung, Dauerstress, das Burnout, von dem<br />

viele sehr aktive, engagierte Menschen betroffen sind, wenn sie ihre Energien verausgaben<br />

und <strong>nicht</strong> rechtzeitig wieder „auftanken“, weitere Ursachen können sein Mobbing und Außenseitertum,<br />

Versagensängste u. v. a. m.<br />

36


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Einsamkeit und Trennungen, Verluste, Übersiedlungen (Haltlosigkeit), aber auch andere große<br />

Lebensereignisse (z.B. auch Übertritt in den Ruhestand – als Verlust eines wichtigen Halts)<br />

können zu Depressionen führen. Starke Schmerzen und chronische Krankheiten können die<br />

Lebensfreude absenken.<br />

Früherlebnisse in einer belasteten Kindheit können bewirken, dass Lebenslust <strong>nicht</strong> aufkommt.<br />

Oder die Erziehung hat zu einer „Hilflosigkeit“ bei Problemen geführt, sodass sich Wut, Ärger,<br />

Sorgen nach innen wenden und es zu depressiver „Wehrlosigkeit“ kommt.<br />

Biologische Vorgänge (hormonelle Prozesse, Mineralhaushalt, Botenstoffe im Gehirn bzw.<br />

der Stoffwechsel im Gehirn selbst) können Menschen „versteinern“ lassen. Klimatische<br />

Schwankungen, jahreszeitliche Bedingungen (z.B. das feuchte, kalte Herbstwetter), der Lichtmangel<br />

in den finsteren Wintertagen können sich in Depressionen niederschlagen. Menschen<br />

mit überhöhten Erwartungen an das Leben, an sich selbst, an andere werden regelmäßig<br />

dadurch enttäuscht, frustriert und empfinden alles als sinnlos (Hoffnungslosigkeit).<br />

Wie fühlen sich depressive Menschen? Was brauchen sie?<br />

Depressive Menschen haben andere „Gezeiten“: Viele leben in der Vergangenheit, bei anderen<br />

friert der Augenblick ein, die meisten erleben, wie die Zukunft schrumpft und verschwindet<br />

(Hoffnungslosigkeit). Depressive Menschen zieht es oft zurück in ihren Ursprung, sie möchten<br />

am liebsten verschmelzen mit der „Mutter Erde“, in ihren Schoß aufgenommen werden und in<br />

dieser warmen Geborgenheit ihren Winterschlaf der Seele überstehen (Halt-Suche). Die Welt<br />

wird kalt und leer erlebt. Depressive Menschen fühlen sich oft aber auch mit allem Sehnen<br />

und Leiden der Umwelt verbunden. Depressionen wirken sich auch auf Partnerschaften aus:<br />

Sie bewirken einen Rückzug auf beiden Seiten. Dabei brauchen wir gerade in diesen Phasen<br />

Nähe und Sicherheit. Aber plötzlich hat sich alles verändert. In depressiven Phasen fühlen<br />

wir uns von der ganzen Welt unverstanden, im Stich gelassen. Am liebsten würden wir alles<br />

vergessen. Depressionen bewirken manchmal, dass wir uns selbst fremd werden. Wir spüren<br />

die Veränderung, die wir uns <strong>nicht</strong> ganz erklären können (Hilflosigkeit). Wenn in solchen<br />

depressiven Phasen keine Aufgabe auf uns wartet, wenn wir das Gefühl haben, <strong>nicht</strong> gebraucht<br />

zu werden, dann sinkt unser Lebensmut (Hoffnungslosigkeit).<br />

Depressive Menschen sind zuwendungsbedürftig und zugleich sehr verletzlich und scheu.<br />

Sie suchen die Gemeinschaft anderer, wollen dabei aber am liebsten verborgen bleiben<br />

(Haltlosigkeit). Wer schon einige Male depressive Phasen erlebt hat, weiß, wie man aus diesen<br />

37


Untiefen der Gefühle auch wieder auftaucht. Das Wissen um die gemeisterten Krisen macht<br />

mutig und stark - und auch die Erkenntnis, dass wir niemals auf alles eine Antwort finden.<br />

Menschen, die depressive Phasen gemeistert haben, wissen auch, dass es wichtig ist, einen<br />

Anfang zu setzen; <strong>nicht</strong> abzuwarten, bis der Schwung kommt, um aktiv werden zu können,<br />

sondern aktiv werden, um in Schwung zu kommen (Verhaltensrepertoire). Depressive Menschen,<br />

die ihr Leiden in einem Zusammenhang mit dem Ersterben inniger Gefühlsbeziehungen in<br />

Verbindung bringen, wissen, dass jeder durchlebte „Tod“ ein neuer Anfang ist. So wie mit der<br />

Beziehung ist es auch mit unserem Ja oder Nein zum Leben. Es gibt Zeiten, in denen wir einen<br />

Rückzug auf uns selbst brauchen. Depressive Menschen mauern sich geradezu ein. Wir sollten<br />

aber wissen, dass sie darauf warten, dass wir anklopfen.<br />

Weiters sollte der Weg zu fachmännischer (ärztlicher, psychologischer, psychotherapeutischer)<br />

Hilfe <strong>nicht</strong> gescheut werden.<br />

Angst und Suizidalität<br />

Hinter jeder Angst steckt biologisch Existenz-Angst; auch Schuldgefühle sind Ängste vor<br />

Ver<strong>nicht</strong>ung. Psychologisch gesehen können persönliche Anlagen oder Konflikte Angst vor<br />

Veränderung, vor Stillstand, vor zu großer Nähe oder zu großer Distanz bereiten. Angst macht<br />

eng. Dadurch kann es sogar zu Lebensmüdigkeit kommen. Selbstmord kann fälschlicherweise<br />

als „Ausweg“ vor dauernden Angstzuständen betrachtet werden.<br />

Beziehungsängste (Haltlosigkeit)<br />

• Angst vor anderen in der Gruppe, Klasse, Gemeinschaft<br />

• Angst vor den Eltern, vor Lehrer/innen, Vorgesetzten<br />

• Allgemeine Angst und spezifische Furcht<br />

• Ängste ohne besonderen Anlass, (gereizte, nervöse, depressive Stimmung, Erschöpfung).<br />

• Ängste vor ganz bestimmten Situationen oder Objekten; sie nennt man Phobien.<br />

Z.B. Angst vor engen oder weiten Räumen (Klaustro-, Agoraphobie), Errötungs-Phobie,<br />

Spinnen-Phobie usw.<br />

Leistungsängste (Hilflosigkeit)<br />

• Angst, wenn man <strong>nicht</strong> genau weiß, was von einem verlangt wird (Stress durch Fremdes).<br />

• Angst, wenn man zu viel von sich oder anderen erwartet (Perfektionismus etc.).<br />

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Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Ängste in Entwicklungskrisen - Lebenskrisen (Hoffnungslosigkeit)<br />

• Ängste vor Entscheidungen (z.B. in der Schule, im Studium, im Beruf, im Privatbereich, in<br />

bestimmten Lebensabschnitten, ...) und daraus entstehende Entwicklungskrisen. Sie<br />

sind Herausforderungen an unsere persönliche Freiheit und Selbstgestaltung.<br />

• Ängste aus einer seelischen/körperlichen Verzweiflung; in unerträglich belastenden<br />

Situationen; nach Schicksalsschlägen. In diesen Lebenskrisen fühlen wir uns im Stich<br />

gelassen, ohne Hoffnung und ohne Kraft zur Veränderung. Lebenskrisen kann man<br />

meist <strong>nicht</strong> alleine lösen! Wenn uns alles zu viel wird und die „Erde unter uns schwankt“,<br />

brauchen wir jemanden, der uns stützt und begleitet, bis wir wieder „festen Boden“ unter<br />

den Füßen haben.<br />

Schulängste (Hiflosigkeit und/oder Haltlosigkeit bzw. zu starke Bindung)<br />

• Die (reale) Schulangst: bei Überforderung, bei schlechtem KlassenkIima, bei Spannungen<br />

mit Lehrer/innen, bei Außenseiterproblematik in der KIasse, beim WechseI in eine neue<br />

SchuIart oder SchulkIasse usw.<br />

• Schulverweigerung: Problem der persönlichen Haltung zur Arbeit bzw. Leistung. Diese<br />

verwöhnten oder vernachlässigten Kinder lehnen die Belastung durch die Schule ab.<br />

• Die Schulphobie: Hier wird <strong>nicht</strong> die Schule gefürchtet, sondern die Trennung von der<br />

Mutter bzw. nächsten Bezugsperson. Dahinter steckt oft tiefe Unsicherheit in Bezug<br />

auf die eigene Person, eine Angst vor der lndividualität, dem „Flüggewerden“ aus dem<br />

familiären „Nest“.<br />

Normale Angst<br />

• Angst ist ein wichtiges Gefahren-Signal und schützt vor Verletzungen! Ohne Angst würden<br />

wir Risiken eingehen ohne Warnung. Angst ist überlebenswichtig!<br />

Es ist wichtig zu erkennen, welcher Angsttyp vorliegt, um die richtigen Gegenmaßnahmen und<br />

Abhilfen bereitstellen zu können!<br />

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Aggression und Suizidalität<br />

Ärger, der hinunter geschluckt wird, kann zu einem seelischen „Totstellreflex“ führen oder<br />

krank machen; Depressionen und aktive Autoaggression bis hin zum Selbstmord, seelischer<br />

Zusammenbruch und Erschöpfung bis hin zur Absenkung der Immunschranke können die Folgen<br />

unterdrückter Wut sein, ebenso Angst und diffuses Unbehagen, aber auch explosionsartig sich<br />

entladender Zorn bei kleinsten Anlässen. Es kann aber auch zum Absacken in Drogenkonsum<br />

oder zum Medikamentenmissbrauch oder zu Essattacken kommen.<br />

Aggression ist <strong>nicht</strong> gleichzusetzen mit Selbstbehauptung, Notwehr, Durchsetzungsfähigkeit,<br />

Nein-Sagen-Können.<br />

Unter Aggression wird hier verstanden<br />

1) die Freisetzung von Energie mit Schadenswirkung, die<br />

2) sehr oft <strong>mehr</strong> oder minder beabsichtigt ist und<br />

3) gegen Gegenstände und/oder gegen sich und/oder gegen andere gerichtet ist<br />

(Selbst- und Fremdgefährdung) gehen oft ineinander über.<br />

Im extremen Fall kommt es zum Amoklauf als einem Rundumlauf der Ver<strong>nicht</strong>ung oder oft<br />

auch als erweiterten Selbstmord.<br />

Wie entstehen Aggressionen?<br />

Oft sind Aggressionen Zeichen erlernter Hilflosigkeit, man weiß sich <strong>nicht</strong> anders zu helfen<br />

als zuzuschlagen, zu zerstören. Das dichte Nebeneinander in Gruppen und Ansammlungen<br />

kann zu aggressiven Revierverteidigungen führen. Aggression entsteht bei hoher Anspannung,<br />

Überreiztheit, bei zu vielen belastenden Ereignissen (Hilflosigkeit).<br />

Sie kann aber auch tiefe Wurzeln in frühen Kindheitserlebnissen haben, die zu Misstrauen und<br />

Anspannung, Feindseligkeit und Abwehrhaltung führen, vor allem wenn das Selbstbild negativ<br />

ist: Wie soll der, der sich selbst <strong>nicht</strong> mag, andere gut behandeln können? (Haltlosigkeit).<br />

Die negative Erwartungshaltung führt in einer selbsterfüllenden Prophezeiung zu weiteren<br />

Beziehungsmisserfolgen.<br />

Welche Rolle spielen Konflikte?<br />

Konflikt bedeutet Streit, Kampf, Zusammenstoß.<br />

Konflikte können innere sein oder äußere. Innere Konflikte können Appetenz-Appetenz-Konflikte<br />

sein (man <strong>will</strong> beides, was aber <strong>nicht</strong> möglich ist, man muss wählen, was man realisiert),<br />

40


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Aversions-Aversions-Konflikte (man möchte beides vermeiden, was aber <strong>nicht</strong> möglich ist, man<br />

muss wählen, was man vermeidet). Es gibt auch gemischte Konflikte zwischen Wünschen und<br />

negativen Folgen, zwischen Wunsch und Angst. Jemand kommt also mit sich in Widerstreit,<br />

weil er oder sie etwas möchte und zugleich etwas anderes damit Unvereinbares; oder weil er<br />

oder sie etwas möchte, aber zugleich etwas fürchtet; oder weil er oder sie zwischen zwei gleich<br />

großen Unannehmlichkeiten wählen muss.<br />

Äußere Konflikte können in Gruppen, Familien, Klassen, zwischen den Geschlechtern,<br />

zwischen Jung und Alt, zwischen verschiedenen Funktionsträgern usw. entstehen durch:<br />

Unterschiedliche Sichtweisen, unterschiedlichen kulturellen Hintergrund, unterschiedliche<br />

Erfahrungen, Lebensstile, Positionen. Für Konflikte gilt dasselbe wie oben gesagt: Das<br />

Ignorieren der Spannungen in Scheinharmonie kann zu aggressiven Spannungsentladungen,<br />

aber auch zu Krankheiten führen.<br />

Was bedeutet Konfliktkultur?<br />

Konfliktkultur bedeutet: Kommunikation, Kreativität und Koevolution!<br />

Innere und äußere Spannungen und Differenzen können ohne Aggression gegen sich oder<br />

andere gelöst werden (Verhaltensrepertoire), indem wir miteinander reden und einander<br />

zuhören, indem wir <strong>nicht</strong> einen Entweder-oder-Standpunkt vertreten, sondern nach kreativen<br />

Lösungen für ein Miteinander suchen, bei dem beide Konfliktparteien berücksichtigt werden<br />

(Vernetzung). Und schließlich dadurch, dass wir überzeugt sind, dass Unterschiede wertvoll<br />

sind und wir uns nur gemeinsam weiterentwickeln können (Vision).<br />

Traumatisierung und Suizidalität<br />

Vieles im Leben kann uns verletzen, verwunden, eine Wunde (griech.: Trauma) schlagen.<br />

Ebenso vielfältig wie die Ursachen sind auch die Folgeerscheinungen und somit aber auch<br />

die Behandlungswege, die immer auf den Einzelnen individuell abgestimmt werden müssen.<br />

Die akute Belastungsstörung tritt innerhalb einiger Stunden, Tage nach dem Trauma auf, relativ<br />

bald kann aber wieder ein inneres Gleichgewicht gefunden werden.<br />

Die posttraumatische Belastungsstörung dauert länger als sechs Monate und zeichnet<br />

sich durch Übererregung, Vermeidungsverhalten, emotionale „Taubheit“ und un<strong>will</strong>kürlich<br />

auftretende belastende Erinnerungen aus. Angst, Depression, Schuldgefühle, Aggression,<br />

Drogenkonsum bzw. Medikamentenmissbrauch. Intensive Beschäftigung mit Selbstmord ist<br />

ebenfalls häufig die Folge.<br />

41


Zu unterscheiden sind menschlich verursachte Traumen und Naturkatastrophen, weiters kurz<br />

andauernde und länger andauernde Traumen. Ebenso wichtig ist auch die Unterscheidung<br />

zwischen Traumen und Mikrotraumen. Bei letzteren kommt es zu psychischen Folgen durch<br />

zeitliche oder inhaltliche Additionen. Viele kleine Verletzungen (Missachtung, Kälte in der<br />

Beziehung, Abwertung, kein Eingehen auf Grundbedürfnisse) können in der Summe schlimme<br />

traumatische Wirkungen zeigen.<br />

Welche traumatischen Ereignisse gibt es?<br />

Jedes Ereignis, das die eigene Verarbeitungsmöglichkeit übersteigt, aber auch jede innere<br />

Spannung, die zu stark ist, um bewältigt zu werden, kann als traumatisch bzw. traumatisierend<br />

angesehen werden. Dies erklärt, warum <strong>nicht</strong> nur Extremsituationen zu Traumatisierungen<br />

führen können, sondern auch die Summe von kleinen Belastungen, chronische Mikrotraumen<br />

traumatisch wirken können. Extremsituationen sind z.B. direkte Lebensbedrohung, Verletzung<br />

mit großem Ausmaß körperlicher Schmerzen, Zeuge sein von Gewalttätigkeiten<br />

gegenüber anderen, von ungewöhnlichen bzw. plötzlichen Sterbefällen insbesondere von<br />

Familienmitgliedern oder Freunden. Auch das eigene Begehen gewalttätiger Handlungen gegen<br />

andere kann traumatisieren (z.B. durch das Gefühl, die Kontrolle über sich verloren zu haben).<br />

Auch Hilflosigkeit kann traumatisieren. Je näher man der Bedrohung ist, je unerwarteter sie<br />

ist, je länger sie dauert, je <strong>mehr</strong> Beziehung man zu Opfern bzw. Tätern hat, umso größer ist das<br />

Ausmaß der Belastung.<br />

Was ist wichtig, wenn im unmittelbaren Nahbereich jemand von einer Traumatisierung<br />

betroffen ist?<br />

Alles, was hilft, die innere Stabilität nach der Erschütterung wieder zu gewinnen, ist wertvoll.<br />

Das kann durch Informationen geschehen oder dadurch, dass man der traumatisierten Person<br />

hilft, Gefühle zu äußern. Wichtig ist weiterhin, dass das traumatische Ereignis auch wieder<br />

„verlassen“ werden kann, dass man Anschluss findet an die Person, die man vor dem Ereignis<br />

war. Und dass man auch wieder Halt in einer sicheren Gemeinschaft findet und positive<br />

Erfahrungen machen kann.<br />

42


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Einige wichtige Regeln für Kurzinterventionen<br />

• Ein durch Fürsorge geprägtes Verhalten verringert das Gefühl der Isolation sowie die Erfahrung<br />

einer feindseligen Umwelt, der die Traumatisierten ausgesetzt waren (Vernetzung).<br />

• Indem man die Traumatisierten um Erlaubnis fragt, mit ihnen etwas tun zu dürfen, gibt<br />

man ihnen wieder ein gewisses Gefühl der Kontrolle (Verhaltensrepertoire).<br />

• Hilfe beim Aufbau eines Bewältigungsplans für die Gegenwart und die Zukunft führt zur<br />

Verringerung von Hilflosigkeits- und Hoffnungslosigkeitsgefühlen (Vision).<br />

• Wichtig ist auch: Nicht dominant zu wirken, sondern eben die Dominanz beim Traumatisierten<br />

zu belassen.<br />

Was soll durch Intervention erreicht werden?<br />

Der eingetretene Schock kann ohne Hilfe verfestigt werden, zu einer Einschränkung der<br />

Wahrnehmung(sbereitschaft) oder zu einem dauernden Übererregungszustand führen oder zu<br />

einem Absacken in Apathie. Biologisch handelt es sich um gesteigerte noradrenerge Aktivitäten,<br />

Dysregulation der endogenen Schmerzbewältigung (Endorphine etc.) u.v.a.m. Das sogenannte<br />

Kindling-Phänomen bezeichnet eine Senkung der Erregungsschwelle des autonomen Nervensystems<br />

(Hilflosigkeit).<br />

Man unterscheidet Ereignisfaktoren (Traumaschwere, Unerwartetheit, Unkontrollierbarkeit),<br />

Risikofaktoren (Alter, Vorerfahrungen etc.), posttraumatische Prozesse, Folgen und Schutzfaktoren.<br />

Zu letzteren zählen der Kohärenzsinn, d.h. Fähigkeit zur geistigen Einordnung des<br />

Geschehenen in einen Sinnzusammenhang (Vision), und soziale Unterstützung (Vernetzung).<br />

Ohne Hilfe können die Selbsthilfeversuche des Traumatisierten auch entgleisen (<strong>nicht</strong><br />

ausreichendes Verhaltensrepertoire) und zu unpassenden Versuchen führen, die Umgebung<br />

zu kontrollieren (destruktive Vernetzung) oder sich mit Willensanstrengung über die Probleme<br />

hinweg zu zwingen (unechte Vision). Oder es kann auch verspätet zum Ausbruch von<br />

Selbstvorwürfen und Verzweiflung kommen. Ziel muss daher die Wiederherstellung der intakten<br />

Persönlichkeit sein, die das Vorgefallene <strong>nicht</strong> leugnen muss; die das Ereignis aber auch richtig<br />

interpretiert und <strong>nicht</strong> durch eventuelle Selbstanklagen verzerrt und die schließlich einen<br />

geeigneten Abstand vom Geschehen und damit die Chance einer Neuorientierung erhält.<br />

43


Die Erhöhung der Kontrollüberzeugung ist eine ganz wichtige Dimension der Traumatherapie.<br />

Bei Untersuchungen mit Suizidalen wurde immer wieder die empfundene „Hilflosigkeit“ als<br />

ein entscheidender Faktor gefunden. Darunter ist hier die tatsächliche Inkompetenz der<br />

Situationsveränderung, verbunden mit Misserfolgserwartung, zu verstehen. Dazu gehört<br />

das Erleben der Abhängigkeit von anderen, die Unselbstständigkeit in eigenen Belangen.<br />

Chronische Hilflosigkeit führt zur Selbstaufgabe oder unkritischen Überantwortung an andere<br />

und ist besonders in Bezug auf die persönliche Identität gefährdend. Zunehmendes Erleben der<br />

eigenen Effektivitätsverluste (psychologischer Begriff: Mangelnde Kontrollüberzeugung) kann<br />

zu Betäubung im Suchtverhalten oder zu suizidalen Kurzschlusshandlungen führen.<br />

Treten gemeinsam mit der Belastungsstörung Depressionen, Sucht, somatoforme Störungen<br />

(körperliche Probleme ohne entsprechenden Befund) auf, dann ist Vorsicht vor Konfrontationstechniken<br />

geboten, sie können zu belastend sein. Wichtig ist auch: Distanzgewinnung statt<br />

verfrühter Einsichtsgewinnung. Bedrängendes muss auf Distanz gehalten werden können.<br />

Abwehr ist als coping (Bewältigungsstrategie) zu sehen. Wichtig ist es aber auch, die Krise als<br />

Gefahr und Chance zu sehen und die positiven Auswirkungen der erlittenen Erschütterung zu<br />

überlegen.<br />

Lerntheoretisch kommt es zu einer Konditionierung und Heranbildung einer Furchtstruktur<br />

mit dysfunktionalen Kognitionen. Diese gilt es, bewusst zu machen und aufzulkösen.<br />

Wohlfühlprogramme<br />

Sedlak hat ein Programm entwickelt, um wieder Ressourcen aufzubauen oder aufzuspüren. Er<br />

beschreibt sechs Stufen der Psychohygiene: Körperbewusstsein, Erlebniskultivierung, bewusste<br />

Aktivität, Strategie und Kreativität als Problemlösung, Selbstbestimmung und Sinnorientierung,<br />

soziales Engagement und Transpersonalität.<br />

Zunächst geht es um die Befriedigung der Grundbedürfnisse wie Erholung, Schlaf, Ruhe,<br />

Essen... Dann wird die Erlebnisdimension fokussiert wie etwa Naturbetrachtung, ansprechende<br />

Musik usw. Die körperliche Fitness betont die positive Beziehungsaufnahme zum Körper<br />

selbst, die geistige Fitness die spielerische Rückgewinnung des Vertrauens in die eigenen<br />

Regulationsfähigkeiten, das Existenzbewusstsein peilt die Frage nach der persönlichen<br />

Sinnsetzung – über die eigene Person hinausgehend - an und das soziale (transpersonale)<br />

Engagement hilft zur Öffnung auf die personale Objektwelt (die möglicherweise auch traumatisch<br />

bedingt vom Rückzugsverhalten betroffen war).<br />

44


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Eine weitere Technik hat Sedlak als „Was wäre wenn..?“-Übung in <strong>mehr</strong>eren Veröffentlichungen<br />

beschrieben. Dabei werden die möglichen Folgen unerwarteter Situationen und die möglichen<br />

Bewältigungsstrategien besprochen. Diese Übung eignet sich besonders als Stress-Prophylaxe<br />

und Kompetenztraining bei Kindern und Jugendlichen. Es werden verschiedene belastende<br />

Situationen bearbeitet, z.B. was wäre, wenn dir jemand folgt und du bist ganz allein? Die<br />

verschiedenen Handlungsmöglichkeiten werden gemeinsam erörtert und pro- und contra-<br />

Beurteilungen abgegeben. Manches lässt sich dann spielerisch oder imaginativ vertiefen.<br />

Helfende Maßnahmen für Opfer von Katastrophen<br />

Wichtig ist der Aufbau eines Helfersystems für kurzfristige Hilfestellungen (medizinische<br />

und psychologische erste Hilfe, Gruppenangebote für Einsatzpersonal - dem Helfersystem<br />

muss ebenfalls geholfen werden - Organisation von Trauerformalitäten…), mittelfristige<br />

Hilfestellungen (finanzielle Hilfen, Gruppenangebote für Betroffene) und langfristige Hilfestellungen<br />

(Therapien).<br />

Weitere wichtige Schritte<br />

• Eigene Ressourcen stärken (Entspannungstraining, system. Desensibilisierung...)<br />

• Dem Ereignis einen neuen Sinn verleihen (reframing, kognitive Umstrukturierung)<br />

• Debriefing-Gruppen (d.h. Gruppen, die Nachbesprechungen nach der Katastrophe vollziehen,<br />

Auswertungen nach der Ablauf-Struktur: Was sind die Fakten? – Wie sind die<br />

Gefühle? – Welche Symptome machen zu schaffen? – Wie ist alles zu bewerten?).<br />

Eine ähnliche Struktur beschreibt Sedlak: Beobachten – Beschreiben – Bewerten – Befolgen.<br />

D.h.: Was wurde beobachtet, wie kann man es in Worte fassen, wie soll man dazu stehen,<br />

was folgt daraus an Konsequenzen? Zunächst werden also die Beobachtungen an anderen<br />

und an einem selbst verglichen. Dabei wird gemeinsam nach einer verständlichen Form des<br />

Ausdrucks gesucht, weil vieles, was traumatisch belastet, nur schwer in Worte fassbar ist.<br />

Schließlich werden diese Erlebnisse beurteilt bzw. auf ihre Konsequenzen befragt.<br />

Bei dieser Abfolge wird noch berücksichtigt, dass vor den Fakten die Beobachtung kommt,<br />

d.h. was hat jeder tatsächlich beobachtet? Weiters wird berücksichtigt, dass das „Sprechen<br />

darüber“ oft <strong>nicht</strong> gleich gelingt, sondern erst „Worte gefunden werden müssen“. Schließlich<br />

bleibt es auch <strong>nicht</strong> bei der Bewertung, sondern es werden praktische Handlungskonsequenzen<br />

erarbeitet. Konfrontationen können in sensu (Imaginationsebene) und in vivo (tatsächliches<br />

Aufsuchen der Orte) erfolgen.<br />

45


Symbolische Verarbeitung (etwa durch Gedenkstätten) hilft beim Loslassen. Interessant sind in<br />

diesem Zusammenhang „Rituale des Abschieds“, womit hier therapeutische Symbolhandlungen<br />

zum Ablösen von belastenden Erinnerungen gemeint sind.<br />

Mobbing und Suizidalität<br />

Inhaltlich hätte das Thema Mobbing (der gezielte Psychoterror gegen eine Person durch<br />

eine Einzelperson oder Gruppe) sowohl im Kapitel Aggression und Suizidalität sowie im<br />

Kapitel Trauma und Suizidalität Platz finden können. Denn Mobbing ist eine aggressive,<br />

wenn auch oft schleichende, latente, „subkutane“ Haltung und Verhaltensweise gegenüber<br />

dem Opfer; aber Mobbing ist auch eine potentiell traumatisierende Erfahrung.<br />

Gerade die lang schwelenden Handlungen mit dem Ziel, eine Person in Isolation, Haltlosigkeit<br />

(Beschädigung des sozialen Netzes, Gefährdung sozialer Ressourcen), Hilflosigkeit<br />

(Untergrabung des Selbstwerterlebens, der Selbstachtung) und Hoffnungslosigkeit (Mutlosigkeit,<br />

Unentrinnbarkeit) zu versetzen, können ein kumulatives Trauma bewirken. Dass Mobbing<br />

zu schweren psychosomatischen Erkrankungen (Magen-Darmstörungen, Schlafstörungen<br />

etc.), zu stressbedingter Dekompensation, zu Antriebslosigkeit, Depressionen, aggressiven<br />

Durchbrüchen, allgemeiner Gereiztheit und Überempfindlichkeit, Verstrickung in Grübeleien und<br />

exzessiver Beschäftigung mit dem Mobbing und schließlich auch zu Selbstmord(handlungen)<br />

führen kann, ist kaum bestreitbar. Auf fünf bis zehn Selbstmorde kommt Einschätzungen<br />

zufolge ein durch Mobbing bedingter Suizid.<br />

Wichtig ist, dem Mobbing so bald wie möglich entgegen zu wirken, wobei als Ansatzpunkt die<br />

bekannte Trias von Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit praktikabel ist. Indem<br />

positive Kontakte aufgesucht werden - außerhalb des Mobbingbereichs - und in diesen<br />

Beziehungen zum Familien- bzw. Freundeskreis eine Bestätigung für die eigene Perspektive<br />

erfahren wird, kann man ein Gegengewicht zum Eindruck „ein Geisterfahrer“ (Veränderung<br />

des kommunikativen Realitätssinns) zu sein, herstellen. Durch Zukunftsszenarien kann der<br />

Hoffnungslosigkeit entgegen gewirkt werden, z.B. durch Wechsel des Arbeitsfeldes. Durch<br />

Aufgreifen bzw. Bewusstmachen der Verhaltensmöglichkeit wird der quälende Eindruck<br />

hilflosen Ausgeliefertseins aufgehoben. Mobbingfolgen können aber so tiefgreifend sein, dass<br />

psychotherapeutische oder klinisch-psychologische Hilfen unerlässlich sind.<br />

46


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Sterbebegleitung und Suizidalität<br />

Gegenüber der Traumatherapie als Hilfe nach außerordentlichen selischen Erschütterungen,<br />

gegenüber der Notfallspsychologie als Unterstützung in Ausnahmesituationen, gegenüber<br />

Krisenintervention als Stützung bei seelischem Zusammenbruch betont die Sterbebegleitung<br />

die Bemühungen, dem sterbenden Menschen ein würdiges Erleben seiner letzten Lebensphase<br />

zu ermöglichen.<br />

Die Sterbebegleitung ist selten ein ruhiges Hinausbegleiten des Lebensbootes ins offene<br />

Meer. Nicht nur wegen der möglicherweise recht hohen Wogen des Schmerzes und Leides.<br />

Das Faktum des nahenden Lebensendes an sich wird verdrängt, geleugnet, bekämpft. In<br />

resignativen Phasen ist das „<strong>Ich</strong> <strong>will</strong> <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong>!“ sehr oft zu hören und die Suizidneigung sehr<br />

hoch, oft nur gebremst durch die Hilflosigkeit und Unfähigkeit, selbst an sich Hand anzulegen.<br />

Deshalb bedeutet die Sterbebegleitung eine sehr starke Herausforderung an die Begleiter,<br />

ihren eigenen Standpunkt zu Leben und Tod zu reflektieren.<br />

Ebenso ist es für Ärztinnen und Ärzte eine kritische Aufgabe zu entscheiden, ob eine verlängerte<br />

medizinisch-apparative Lebenserhaltung ethisch aufrecht haltbar ist oder ob weitere Hilfestellung<br />

wegen der Verlängerung des Leides unterbleibt. Die Berührung zwischen Suizidalität und<br />

Sterbebegleitung ist deutlich gegeben bei Tötung auf Verlangen, hier spricht man auch <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong><br />

von Sterbebegleitung, sondern von direkter oder indirekter Sterbehilfe. Die Patientenverfügung<br />

ist die Vorsorge für den Fall, dass man krankheitsbedingt den persönlichen Willen <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong><br />

selbst zum Ausdruck bringen kann. Mit der Patientenverfügung wird u.a. dargelegt, welche<br />

Maßnahmen man zur Lebenserhaltung, Lebensverlängerung und Schmerzlinderung ablehnt.<br />

Persönlichkeitsstörungen und Suizidalität<br />

Es gibt Unterschiede zwischen momentanen Zuständen (z.B. Gereiztheit, wenn jemand unpünktlich<br />

ist), Persönlichkeitseigenschaften (manche Menschen regen sich etwas leichter auf als<br />

andere), Persönlichkeitsstilen (z.B. jemand sein, bei dem ein hitziges Temperament wesentlich<br />

dazu gehört) und Persönlichkeitsstörungen (z.B. eine aggressive Persönlichkeitsstörung haben).<br />

Persönlichkeitsstörungen kommen in ca 5% - 8% der Bevölkerung vor und bedeuten, dass<br />

man mit seinem Verhaltensmuster bei anderen aneckt und auch selbst darunter leidet. Der<br />

für therapeutische Veränderungen notwendige Leidensdruck entsteht weniger in Bezug auf<br />

bestimmte Symptome, sondern eher in Bezug auf die Folgen, nämlich die (für den persönlichkeitsgestörten<br />

Menschen meist unverständlichen) Reaktionen der Umwelt auf das eigene Verhalten,<br />

das zumeist als völlig mit sich selbst übereinstimmend (ich-synton) empfunden wird.<br />

47


Wie formt sich die Persönlichkeit?<br />

Während sich die Persönlichkeit jedes Menschen aus dem Zusammenspiel der angeborenen,<br />

biologisch-genetischen Disposition (Temperament) und der erworbenen Konstellation von<br />

Verhaltens-, Denk- und Gefühlsmustern (Charakter) und somit aus einer Kombination von<br />

eigener betonter oder <strong>nicht</strong> betonter Aktivität und hemmender oder aktivierender<br />

Umwelt nachvollziehbar ergibt, zeigen Menschen mit Persönlichkeitsstörungen starke<br />

Unausgeglichenheiten, ein vom allgemeinem Verständnis abweichendes Gefühls- und Verhaltensmuster:<br />

Sie können von ihren Mitmenschen als sonderlich, exzentrisch empfunden<br />

werden, als schwer zugänglich und unsozial; oder man erlebt sie als launisch und<br />

dramatisch mit einem sehr lebhaften, überschwänglichen Gefühlsausdruck und großen<br />

Selbstwertproblemen; oder sie verhalten sich gehemmt, passiv-aggressiv, sehr zwanghaft und<br />

selbstschädigend. Bei allen Persönlichkeitsstörungen ist das Selbsterleben gestört, ebenso<br />

gibt es Schwierigkeiten mit zwischenmenschlichen Beziehungen, mit der Leistungsfähigkeit,<br />

mit der Realitätswahrnehmung, mit den Gefühlen und der Impulskontrolle. Das Verhalten<br />

ähnelt z.T. den Gewalt“lösungen“ im Videobereich, in Computerspielen sowie im Film und<br />

Fernsehen.<br />

Diese Störungen können sich bereits im Kindesstadium andeuten, sind aber mit Sicherheit<br />

erst in der Adoleszenz diagnostizierbar. Man spricht im Kindesalter eher von Persönlichkeitsentwicklungsstörungen,<br />

d.h. einer Risikokonstellation für das Auftreten einer Persönlichkeitsstörung<br />

im Erwachsenenalter.<br />

Der Zusammenhang mit Suizidalität<br />

ergibt sich aus der starren, unangepassten Affektivität (z.B. starke aggressive Tendenzen), der<br />

mangelnden Realitätswahrnehmung (man merkt z.B. <strong>nicht</strong>, welche Reaktionen man auslöst),<br />

und aus der unzureichenden Impulskontrolle. Bei narzisstischen (den Selbstwert betreffenden)<br />

Persönlichkeitsstörungen etwa kommt es durch Frustrationen oder Verlusterlebnisse zu<br />

einem totalen Kippen von vorher erlebter Großartigkeit in Minderwertigkeitsgefühle und<br />

Selbstentwertung, zu Gefühlen tiefer Hilflosigkeit und Haltlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, woraus<br />

eine Selbstmordhandlung resultieren kann. Oft wird der eigene Körper ohnehin als fremd und<br />

<strong>nicht</strong> zugehörig erlebt. Persönlichkeitsstörungen erfordern langwierige und intensive therapeutische<br />

Arbeit.<br />

48


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Negative Zukunftsszenarien und Suizidalität<br />

Prognosen über die Entwicklung unserer Lebensqualität in einer sich gänzlich wandelnden<br />

Gesellschaft zeichnen ein düsteres Bild: Zusammen mit einem beruflichen Nomadentum,<br />

einem ständigen Entstehen und Auflösen von Organisationen und Firmen, dem Ende der<br />

Nationalitäten, einem Leben in Unsicherheit und Angst (Hoffnungslosigkeit) wird es zu einem<br />

Nebeneinanderleben kommen, jeder ist einsam (Haltlosigkeit) und versucht, sich durch<br />

Augenblickskonzentration und Unterhaltungs-Konsum abzulenken, dies führt zu einem Verlust<br />

der Identität in einer permanent sich häutenden Welt; kriegerische Auseinandersetzungen um<br />

Religionsstreitigkeiten, Energiereserven, Territorien, Beutezüge von Piraten werden ein Ausmaß<br />

annehmen, dem man hilflos gegenüber steht. Ob dies zu einer Zunahme von Suizidalität führt,<br />

ist ungewiss: Einerseits sprechen die negativen Erwartungen dafür, andererseits gibt es das<br />

seltsame Phänomen, dass gerade in Zeiten hoher Belastung eine Fähigkeit des Menschen<br />

hervortreten kann: Die Resilienz. Darunter versteht man die Widerstandskraft, negative<br />

Situationen gesund zu überstehen und das Beste daraus zu machen.<br />

Abgesehen davon weiß man, dass das Leben oft dann besonders geschätzt wird, wenn es<br />

bedroht ist (z.B. bei Krieg, Hungersnot, Seuchen), dass es als Leben an sich wertvoll ist und<br />

<strong>nicht</strong> etwas Zusätzliches (Geld, Ruhm, Macht, Unterhaltung, ...) braucht, damit es sich lohnt;<br />

während hingegen in Zeiten des Überflusses und der sorglosen Langeweile oft mit dem Leben<br />

gespielt wird oder nach „Zutaten“ verlangt wird, die das Leben lebenswert machen.<br />

Den negativen Prognosen muss man das Bemühen um <strong>mehr</strong> Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit<br />

entgegen stellen. Dies ist unsere Chance gegenüber Krieg, Vertechnifizierung,<br />

Entpersönlichung, Entfremdung, vor allem aber gegen Einsamkeit und Haltlosigkeit, gegen<br />

Untergangs-Erwartungen und Hoffnungslosigkeit und gegen Ohnmacht und Ausgeliefertsein,<br />

Hilflosigkeit.<br />

49


Selbstmord ist keine „Krankheit“ 5<br />

... aber oft Abschluss einer krankhaften Entwicklung, die man an folgenden drei<br />

Phasen erkennt: In der ersten Phase der Erwägung wird der Selbstmord als mögliche<br />

Problemlösung in Betracht gezogen. Äußere Vorbilder wie z.B. Suizide in der Familie,<br />

der Umgebung, bei literarischen Figuren (man denke z.B. an Goethe’s Werther),<br />

etc. spielen dabei oft eine wichtige Rolle. Innerlich gibt es darüber hinaus tief in der<br />

Persönlichkeit verankerte Ursachen wie Aggressionen, die <strong>nicht</strong> nach außen abgeführt<br />

werden können und sich so gegen die eigene Person wenden.<br />

Darauf folgt eine Phase der Ambivalenz: Der Suizidalität liegt eine Ambivalenz<br />

zwischen Leben und Tod zugrunde. Ist der Gedanke an Selbstmord einmal ernsthaft<br />

in Erwägung gezogen kommt es zu einem Kampf zwischen selbsterhaltenden und<br />

selbstzerstörenden Kräften. In diesem Stadium gibt der mit sich Kämpfende Appelle<br />

und Notrufe von sich, die man unbedingt wahr und ernst nehmen sollte. Die Fähigkeit<br />

zu dieser Wahrnehmung ist in der Umgebung oft durch eigene Angst und Ambivalenz<br />

blockiert. Dabei braucht der Gefährdete in diesem Zeitraum die volle Aufmerksamkeit<br />

einer Bezugsperson.<br />

Eine dritte Phase beginnt mit dem Entschluss: Ist ein Entschluss gefallen, tritt oft eine<br />

Beruhigung ein, die von der Umwelt gerne falsch interpretiert wird. In Wirklichkeit<br />

kann man nie wissen, in welche Richtung die Entscheidung gefallen ist! Immerhin kann<br />

Nachfragen hilfreich sein, und wer sich tatsächlich für ein Weiterleben entschieden<br />

hat, kann in der Regel auch klare Gründe dafür angeben. Fehlt auf Nachfragen eine<br />

positive Antwort, so ist dies eher als Alarmzeichen zu werten.<br />

Insgesamt ist die Entwicklung zum Suizid durch eine zunehmende Einengung<br />

gekennzeichnet: Werden die Selbstmordfantasien erst intendiert, so drängen sie<br />

sich später auf. Die sozialen Kontakte werden zunehmend eingeschränkt. Das Gefühl<br />

der Einengung, keinen Ausweg außer dem Tod zu haben, umfasst zunehmend alle<br />

Lebensbereiche. So wird auch das Gefühlsleben immer enger, man spürt keine<br />

affektive Resonanz bei den Betroffenen. Das kann wie innere Ruhe wirken, zeigt<br />

jedoch, wie bereits erwähnt, eher einen Entschluss an.<br />

5: Die Ausführungen (gekürzt) stammen von F. Oberlehner in F. Sedlak (Hg)(2007): Psychologie in Schule und Studium.<br />

Ein praxisorientiertes Wörterbuch. Wien: Springer. Sie zeigen die über die Anfangssignale der Haltlosigkeit, Hilflosigkeit und<br />

Hoffnungslosigkeit hinausgehende krankhafte Entwicklung und bringen weiterführende hilfreiche Impulse.<br />

50


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Bezüglich des Warum eines Selbstmordes ist es sinnvoll, zwischen Anlass und<br />

Ursache zu unterscheiden: Anlässe bzw. Auslöser sind oft Ereignisse, die unmittelbar<br />

vor der Suizidhandlung passieren und den Betreffenden in eine Krise stürzen:<br />

Versagenserlebnisse in Studium oder Beruf, Liebeskummer, Enttäuschung in einer<br />

Freundschaft und Ähnliches. Es wäre aber zu kurz gedacht, sich mit einem Anlass als<br />

Erklärung zu begnügen oder sich mit dem Motiv, das der Betroffene nennt, zufrieden<br />

zu geben. Ursachen reichen in der Regel weit in die persönliche Lebensgeschichte<br />

zurück, sie können in sozialer Isolation, körperlicher Krankheit oder psychischer<br />

Beeinträchtigung liegen. Sie sind dem Betroffenen vielleicht gar <strong>nicht</strong> bewusst und<br />

können oft nur mit Hilfe von Fachleuten erfahrbar werden.<br />

Subjektiv erleben die Gefährdeten, dass sie keine Freude <strong>mehr</strong> am Leben haben,<br />

anderen <strong>nicht</strong> länger zur Last fallen wollen, sich vereinsamt oder überflüssig fühlen,<br />

sich aus einem unerträglichen Schuldgefühl selbst bestrafen wollen. Gleichzeitig<br />

kommt im Wunsch nach dem Tod eine Sehnsucht nach Ruhe und Geborgenheit, nach<br />

dem Ende aller Anstrengungen, Schmerzen und Leiden zum Ausdruck. Nicht zuletzt<br />

setzen diese Menschen damit einen Appell, der vom verzweifelten Hilferuf bis zum<br />

Denkzettel, den man verpassen <strong>will</strong>, gehen kann…<br />

Wenn die Hoffnung schrumpft; wenn der Halt gebende Boden unter unseren Füßen schwindet,<br />

wenn uns Hilflosigkeit lähmt, dann ist in dieser Einengung die Entwicklung zum Suizid möglich.<br />

Erste Anzeichen sind für Hilflosigkeit „Appelle und Notrufe .., die man unbedingt wahr und<br />

ernst nehmen sollte“. In seiner Haltlosigkeit „braucht der Gefährdete in diesem Zeitraum die<br />

volle Aufmerksamkeit einer Bezugsperson“. Darüber hinaus gilt: „und wer sich tatsächlich für<br />

ein Weiterleben entschieden hat, kann in der Regel auch klare Gründe dafür angeben. Fehlt<br />

auf Nachfragen eine positive Antwort, so ist dies eher als Alarmzeichen zu werten.“ Ein klarer<br />

Hinweis auf die Gefahr der Hoffnungslosigkeit.<br />

51


Literaturbeispiele für Themen im Zusammenhang mit Suizidalität<br />

Zum Suizid gibt es umfangreiche Literatur, die leicht auffindbar ist. Die folgenden drei Literaturangaben<br />

sind <strong>nicht</strong> direkt auf das Selbstmord-Thema ausgerichtet, sondern dienen als Beispiele<br />

dafür, in welchen größeren Zusammenhang man Suizidalität stellen kann: die psychiatrische<br />

und psychotherapeutische Behandlung von Störungen im Kindes- und Jugendalter, den<br />

Umgang mit Krisenmanagement; die frühen biologischen und psychischen Wurzeln von<br />

Bindungsstörungen, selbstverletzendem Verhalten oder Selbstmord.<br />

C.Eggers, J.M.Fegert, F.Resch (Hrsg.) (2004):<br />

Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters.<br />

Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag<br />

Auf 999 Seiten findet sich eine Fülle von interessanten, wichtigen, verständlichen und<br />

praktisch verwertbaren Informationen. Über 20 Autor/inn/en informieren über Grundlagen,<br />

spezielle Störungsbilder und spezifische Problemfelder im Bereich der Kinder- und<br />

Jugendpsychotherapie. Im rund 300 Seiten umfassenden allgemeinen Teil werden die<br />

Verständnisgrundlagen geliefert, z.B. in Bezug auf Erfahrungswerte für die körperliche, seelische,<br />

geistige Entwicklung und ihre unterschiedlichen Normvarianten und -abweichungen. Weiters<br />

grundlegende Ausführungen z.B. zur Diagnostik, zur Therapie oder zur Qualitätssicherung<br />

und Begutachtung. Zum Kapitel 6 (Grundzüge der Therapie) ist anzumerken, dass es sich um<br />

einen sehr weit gespannten Überblick handelt, der keine relevante Fragestellung auslässt.<br />

Im speziellen Teil werden Störungsbilder beschrieben, seien dies Psychosen, Traumafolgen,<br />

Suizidalität, Autismus, Persönlichkeitsstörungen u.v.a.m. Die einzelnen Kapitel enthalten<br />

Ergebnisse der Ursachenforschung, seien dies Befunde, Hypothesen oder psychologische,<br />

therapeutische Ursachenmodelle. Ebenso übersichtlich gehalten sind Symptomatologie,<br />

Differenzialdiagnose und Komorbidität, diagnostische und therapeutische Hinweise und<br />

einschlägige Literaturangaben. Ein sehr informatives und anregendes Lehrbuch.<br />

52


Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

G.S.Everly, J.T.Mitchell (2002):<br />

CISM Stressmanagement nach kritischen Ereignissen.<br />

Wien: Facultas.<br />

Wie geht man nach einer Katastrophe mit traumatisierten Menschen psychologisch richtig um?<br />

Das Buch über CISM („Critical Incident Stress Management“) bringt in prägnant-kurzer Form<br />

die wichtigsten Themen zur Sprache: Wie schätzt man eine akute Krise richtig ein? Wie muss<br />

man in Krisen mit den Betroffenen kommunizieren? Welche Regeln gibt es für eine effektive<br />

Hilfe in Krisen? Wie läuft eine Krisenintervention nach dem CISM-Muster ab? Was wirkt<br />

dabei? Das Buch enthält darüber hinaus auch Effektivitätsstudien zur CISM und internationale<br />

Versorgungsrichtlinien. Der Anhang ist in <strong>mehr</strong>ere Bereiche gegliedert: Eine Kurzdarstellung<br />

über allegemeine Richtlinien beim Aufbau eines CISM–Teams, eine Aufschlüsselung häufiger<br />

Krisenereignisse nach den Fragen wer? (braucht Hilfe), wann? (beginnt der CISM-Einsatz),<br />

was? (ist interventionsmäßig zu tun) mit zahlreichen konkreten Beispielen; zwei Aufstellungen<br />

führen die frei erhältlichen beruhigenden bzw. anregenden Substanzen an; eine kurze Liste<br />

führt Faktoren an, die das Suizidrisiko erhöhen.<br />

Rygaard N P (2006)<br />

Schwerwiegende Bindungsstörung in der Kindheit. Eine Anleitung zur praxisnahen Therapie.<br />

Springer Wien New York<br />

Über Bindung und Bindungsstörungen hat man doch schon viel gelesen – meint man, bis man<br />

dieses Buch in die Hand bekommt und damit einen faszinierenden Zugang zu befremdenden,<br />

verstörenden Verhaltens- und Reaktionsweisen von Kindern und Jugendlichen (und<br />

Erwachsenen). Das Buch schlägt zwei Brücken: Einerseits zwischen neuronalen, sensorischen<br />

und psychosozialen Faktoren (es wird gezeigt, wie antisoziale oder Borderline-Störungen,<br />

selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität von Jugendlichen ihre Wurzeln in physiologisch<br />

bedingten Störungen der Informationsverarbeitung von Säuglingen, aber auch in labilen<br />

psychischen Versorgungsbedingungen haben können) – damit ist aber auch ein Frühzugang<br />

zur Behandlung sonst oft zu spät wahrgenommener Deviationen möglich. Andererseits wird<br />

auch eine Brücke zwischen individueller Disposition und gesellschaftlicher Situation hergestellt<br />

(z.B. wenn abrupte Veränderungen im sozialen Zusammenleben Adaptationsschwierigkeiten<br />

erzeugen, die sich dann als Unsicherheit im Umgang mit dem auf Konstanz und Sicherheit<br />

angewiesenen Individuum ausdrücken).<br />

53


SCHLUSSWORT<br />

Lebenskrisen sind Herausforderungen an uns alle<br />

Leider gibt es eine über die Jahre und Jahrzehnte hinweg relativ gleichbleibende Zahl von<br />

Menschen, die einen Weg aus der seelischen Krise <strong>nicht</strong> <strong>mehr</strong> sehen (wollen) und ihrem Leben<br />

gewaltsam ein Ende bereiten. Wir können auf vielfache Weise helfen: Jeder kann sich für sich<br />

selbst und für andere um die schützenden und stützenden Faktoren, um die hier sogenannten<br />

Lebensfaktoren kümmern. In schwierigen Situationen hilft eine von erfahrenen Fachleuten<br />

geleitete Krisenintervention (d.h. eine kurzfristige Soforthilfe in Krisensituationen mit dem Ziel<br />

der Überwindung der akuten Notsituation und der Verhinderung einer Eskalation). Manchmal ist<br />

nach der Krisenintervention auch eine gründliche Aufarbeitung aller maßgeblichen Umstände<br />

und Probleme notwendig. Zu Lebenskrisen können traumatische Erlebnisse führen oder viele<br />

kleine belastende Ereignisse über eine längere Zeit hinweg. Eine gewisse Zeit hindurch ist es<br />

möglich, die Probleme „wegzustecken“, aber dann kann es bei einem geringfügigen Anlass zu<br />

einem Zusammenbruch (Dekompensation) kommen. Wir können <strong>nicht</strong> alles erkennen oder alle<br />

Probleme verhindern bzw. lösen. Wir sollten aber wachsam sein, wenn Entwicklungen „schief<br />

laufen“ und – so weit es möglich ist – für positive Wendungen sorgen! 6<br />

Die <strong>Schulpsychologie</strong> - Seele im System?<br />

Rund 150 Schulpsycholog/innen in Österreich helfen bei Lernproblemen, bei Schullaufbahn-<br />

Fragen, bei Fragen das Studium betreffend, bei Fragen der Schulentwicklung; aber auch bei<br />

Prüfungsangst, seelischen Krisen u.v.a.m. Sie alle haben einen Universitätsabschluss im<br />

Hauptfach Psychologie und verfügen über ein Expertenwissen in allen Bereichen, wo die Psyche<br />

im Bereich der Schule gefragt ist. Die <strong>Schulpsychologie</strong>-Bildungsberatung gibt es in ganz<br />

Österreich in über 70 Beratungsstellen. Alles, was man über psychologische Hilfemöglichkeiten<br />

– auch in Krisen – wissen möchte, erfährt man über www.schulpsychologie.at.<br />

6: Z.B. auf den entsprechenden Seiten der Website der <strong>Schulpsychologie</strong> Tirols www.krisenintervention.tsn.at<br />

finden sich viele Hinweise wie man Schritt für Schritt mit möglicher oder akuter Selbstmordgefährdung umgehen kann.<br />

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Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

SCHULPSYCHOLOGIE<br />

Die Ansprechpartner/innen im Bundesministerium für Unterricht und in den Bundesländern<br />

Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur<br />

Abteilung I/15 (ehem. V/4), Freyung 1, 1014 Wien,<br />

01/53120-2583, 2584, schulpsychologie@bmukk.gv.at<br />

MR DDR. Franz Sedlak, franz.sedlak@bmukk.gv.at<br />

MR Dr. Gerhard Krötzl, gerhard.kroetzl@bmukk.gv.at<br />

MR Dr. Harald Aigner, harald.aigner@bmukk.gv.at<br />

MR Dr. Beatrix Haller, beatrix.haller@bmukk.gv.at<br />

Landesschulrat für Burgenland, Hofrat Dr. Werner Braun (ab 12/2009 i.R.)<br />

7001 EISENSTADT, Kernausteig 3, 02682/710/131<br />

Landesschulrat für Kärnten<br />

9020 KLAGENFURT, Kaufmanngasse 8, 0463/56 6 59, Hofrat Dr. Gert Lach<br />

Landesschulrat für Niederöstereich<br />

3109 St. Pölten, Rennbahnstraße 29, 02742/280-4700, Hofrätin DDr. Andrea Richter<br />

Landesschulrat für Oberösterreich<br />

4041 LINZ Postfach 107, Sonnensteinstraße 20, 0732/7071-2321, Hofrätin Dr. Agnes Lang<br />

Landesschulrat für Salzburg<br />

5026 SALZBURG, Aignerstraße 8, 0662/8083-4221, Mag. Helene Mainoni-Humer<br />

Landesschulrat für Steiermark<br />

8015 GRAZ, Körblergasse 23, 0316/345/199, Hofrat Dr. Josef Zollneritsch<br />

Landesschulrat für Tirol<br />

6020 INNSBRUCK, Müllerstraße 7, 0512/57 65 61, Hofrat Dr. Hans Henzinger<br />

Landesschulrat für Vorarlberg<br />

6900 BREGENZ, Bahnhofstraße 12, 05574/4960-211, Hofrätin Dr. Maria Helbock<br />

Stadtschulrat für Wien<br />

1010 WIEN, Wipplingerstraße 28, 01/52-525/77505, Hofrätin Dr. Mathilde Zeman<br />

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HILFREICHE KONTAKTE UND HOTLINES<br />

Z.B.<br />

Notfallpsychologischer Dienst Österreich<br />

www.notfallpsychologie.at, Tel.: 0699/188 55 400<br />

Sozialpsychiatrischer Notdienst und Psychosoziale Information<br />

www.psd-wien.at, Tel.: 01/313 30<br />

Sozialinfo Wien<br />

http://hilfe.wien.gv.at, Tel. Sozialruf Wien: 01/533 77 77<br />

Telefonseelsorge<br />

www.telefonseelsorge.at, Tel.: 142<br />

Rat auf Draht<br />

www.rataufdraht.at, Tel.: 147<br />

Elterntelefon Rat auf Draht: 01/71 47 147<br />

Ö3 Kummernummer<br />

www.roteskreuz.at, Tel.: 0800 600 607<br />

Kriseninterventionszentrum Wien<br />

www.kriseninterventionszentrum.at<br />

Tel.: 01/406 95 95<br />

Station für Krisenintervention und Psychotherapie im Jugendalter<br />

Wilhelminenspital Wien, Pav. 15., Tel:: 01/491 50 – 2940<br />

Krisenintervention des Roten Kreuzes<br />

www.roteskreuz.at/service/kontakt/pflege-und-betreuung/krisenintervention<br />

Kindernotruf<br />

www.kindernotruf.at, Tel.: 0800 567 567<br />

Österreichischer Bundesverband für Psychotherapie<br />

www.psychotherapie.at, Tel.: 01/512 70 90<br />

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Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

BROSCHÜREN ZUM DOWNLOAD auf www.schulpsychlogie.at<br />

UND DENNOCH UNBEZWINGBAR!<br />

Wie wir Lebensprobleme bewältigen<br />

Franz Sedlak<br />

Und dennoch unbezwingbar!<br />

Wenn Schule und Studium auf das Leben vorbereiten, dann muss diese<br />

Vorbereitung auch den Umgang mit besonderen Lebensumständen<br />

enthalten wie traumatische Situationen, Leid, Krankheit, Verlust und<br />

Tod. Vor allem bedarf es einer offenen gesellschaftlichen Einstellung<br />

zu diesen Themen. Trotz vieler möglicher Assoziationen in Bezug auf<br />

verwandte Ideen, Ansätze und Konzepte konzentriert sich die Broschüre<br />

auf exemplarische Fallgeschichten aus der Psychotherapie.<br />

DDr. Franz Sedlak


Franz Sedlak<br />

Einladung zur<br />

Psychohygiene<br />

Schule zum<br />

Lebensraum gestalten<br />

Einladung zur Psychohygiene<br />

Zielgruppe: Lehrerinnen und Lehrer<br />

Der Inhalt dieses Buches umfasst Bereiche wie: Körperbewusstsein,<br />

Erlebniskultivierung, bewusste Aktivität, Strategie und Kreativität als<br />

Problemlösung. Selbstbestimmung und Sinnorientierung, Soziales Engagement<br />

und Transpersonalität, Psychohygiene-Check, Habens-Modus<br />

und Sein-Defizit – Determinierung und Entkernung – Problematische<br />

Zeitgeistentwicklungen.<br />

Worin besteht der Psychohygiene-Check, um nur ein Beispiel herauszuheben?<br />

Es sind Fragen wie: Bin ich erholt, regeneriert, entspannt? Wie<br />

intensiv kann ich Erlebnisse gestalten, genießen, wie aufnahmefähig bin<br />

ich? Bewege ich mich „richtig“ oder bin ich angespannt, bewegungsarm,<br />

hektisch ...? Bin ich effektiv? Werde ich derzeit mit Problemen belastet,<br />

die mich überfordern? Bräuchte ich Methoden oder Ideen, wie ich besser<br />

zurechtkomme? Befinde ich mich derzeit in einer Sinnkrise?Erscheint<br />

mir alles frustrierend, grau, leer? Bin ich mir über mich überhaupt <strong>nicht</strong><br />

im Klaren? Bin ich isoliert? Wäre es wünschenswert, <strong>mehr</strong> Kontakte oder<br />

zumindest eine hilfreiche Beziehung zu haben? Mache ich mir auch Gedanken<br />

über Zusammenhänge, die über meine Person und meine Gegenwart<br />

hinausreichen?<br />

Franz Sedlak<br />

DAS LEBEN IST<br />

WERT-VOLL !<br />

Wertbewusst sein – engagiert handeln !<br />

Das Leben ist wert-voll!<br />

Zielgruppe: Kinder, Jugendliche und Erwachsene<br />

Aus dem Inhalt:<br />

Die drei Hauptstraßen der Sinnfindung<br />

Etwas Schaffen<br />

Etwas bewusst erleben<br />

In einer schwierigen Situation standhalten<br />

Der Aktionsradius<br />

Sich um sich selbst kümmern<br />

Sich um andere sorgen<br />

Sich für die Umwelt engagieren<br />

Werte in der Persönlichkeitsentwicklung<br />

Vertrauen schaffen<br />

Selbstständigkeit gewinnen<br />

Initiative entwickeln<br />

Die eigenen Fähigkeiten entwickeln<br />

Identität gewinnen<br />

Den persönlich passenden Lebensstil finden<br />

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Franz Sedlak: <strong>Ich</strong> <strong>will</strong> (<strong>nicht</strong>) <strong>mehr</strong>!<br />

Franz Sedlak<br />

POSITIVE<br />

LEITMOTIVE<br />

10 Stichworte für die Gemeinschaftsbildung<br />

in Schule, Arbeit und Freizeit<br />

Positive Leitmotive<br />

Zielgruppe: Kinder, Jugendliche und Erwachsene<br />

In einer Zeit, in der die virtuelle Welt immer <strong>mehr</strong> an Attraktionen<br />

zu bieten hat, ist es wichtig, sich auf die Vorteile einer lebendigen,<br />

echten, <strong>nicht</strong> elektronisch vermittelten Gemeinschaft zu besinnen.<br />

Klassengemeinschaften in Schule und anderen Ausbildungsstätten,<br />

Arbeitsteams im Berufsfeld, Freizeitgruppen – all dies ermöglicht ein<br />

lebendiges Lernen aneinander, miteinander und füreinander.<br />

Schule z.B. ist <strong>nicht</strong> nur ein Ort der Wissensweitergabe, sondern auch<br />

ein Ort der Wertvermittlung und der mitmenschlichen Begegnung.Damit<br />

diese Begegnung konstruktiv verläuft, sind gewisse Grundbedingungen<br />

wichtig.<br />

Die Broschüre versucht, einige dieser Grundbedingungen als positive<br />

Leitmotive für die Gemeinschaft zu formulieren. Als Anregung für die<br />

positive Gestaltung der Gemeinschaft und als Impuls für die eigene<br />

Weiterentwicklung dieser Gedanken!<br />

PSYCHOLOGISCHE<br />

GESUNDHEITSFÖRDERUNG<br />

im Lebensbereich Schule<br />

Franz Sedlak<br />

Psychische Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern<br />

Studien zeigen, dass der Lehrberuf mit einem hohen Maß an psychischen<br />

Belastungen verbunden ist, denn er erfordert einerseits umfangreiches<br />

Fachwissen, große Flexibilität und Engagement. Anderseits sind Lehrerinnen<br />

und Lehrer mit steigenden Anforderungen und Belastungen konfrontiert,<br />

wie z.B. die veränderten Rollen in Bezug auf den Erziehungsauftrag,<br />

hohen Erwartungen von Seiten der Eltern und häufig auch mit<br />

belastendem Schüler/innenverhalten.<br />

Moderne Ansätze der psychologischen Gesundheitsförderung vereinbaren<br />

personenzentrierte Maßnahmen – die an den „objektiv“ vorhandenen<br />

Stressbedingungen <strong>nicht</strong>s ändern – und stressreduzierende Veränderungen<br />

der Organisation, dabei steht die gesundheitsfördernde Gestaltung<br />

der Arbeitsbedingungen und der Arbeit im Mittelpunkt. Durch partizipative<br />

Veränderungsstrategien - „Betroffene zu Beteiligten zu machen“<br />

- sollen Organisationen geschaffen werden, die sowohl den darin arbeiteten<br />

Lehrerinnen und Lehrern gerechter werden als auch die Schulqualität<br />

langfristig sichern sollen.<br />

Die <strong>Schulpsychologie</strong> und Bildungsberatung leistet mit dem ExpertInnenworkshop<br />

einen wichtigen Präventionsbeitrag.<br />

59


Der dynamische Sog der Krise wurde gestoppt.<br />

Neue Perspektiven sind möglich.<br />

Zukunftsoffene innere Bilder entstehen.<br />

Foto: Dipl.-Ing. Richard Sedlak

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