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Aus der Tabelle kann man nun ablesen, dass sich der Grad der Öffentlichkeit stark unterscheidet.<br />
Wie lässt sich diese starke Abweichung erklären?<br />
Unsere heutige mobile Gesellschaft ist die Folge einer langen, stark Kraftfahrzeug orientierten<br />
Entwicklung. Schon im siebzehnten Jahrhundert sorgte man sich um den nicht motorisierten<br />
Verkehr und errichtete zusätzliche Bürgersteige, jedoch nicht zum Schutz vor dem<br />
Verkehr, sondern damals noch zum Schutz vor dem Schmutz der Stadt und Pferdewagen.<br />
Das Individuum hatte dennoch die Wahl, ob es den Bürgersteig oder die Fahrbahn zum Gehen<br />
benutzen möchte, es galt weiterhin das Prinzip des Mischverkehrs.<br />
Mit dem Einsetzen der industriellen Revolution zum Ende des Neunzehnten und Anfang des<br />
Zwanzigsten Jahrhunderts wurden die Kapazitätsgrenzen der damaligen Verkehrswege erreicht,<br />
und man musste sich erstmals über die Regulierung des Verkehrs Gedanken machen.<br />
Wie schon in der Einleitung erwähnt, war auch dies der Zeitpunkt, an dem Eugène HÉNARD in<br />
Paris den ersten europäischen Kreisverkehr plante. In der Wegeverordnung Westpreußens<br />
von 1905 43 waren die Fahrwege noch „...für das Gehen, Reiten, Radfahren, Fahren und Viehtreiben...“<br />
zugelassen, man beachte, Fahren stand an vorletzter Stelle.<br />
Ab 1930 entstanden dann die ersten Grundsätze für die funktionale Stadt, die dann auch<br />
1933 in der Charta von Athen, federführend war LE CORBUSIER, verabschiedet wurden. Quasi<br />
ab dieser Zeit galt die verkehrliche Segregation als vollendet. Die Nationalsozialisten legten<br />
in der Reichs-Straßenverkehrsordnung 44 von 1934 ein striktes alleiniges Nutzungsrecht der<br />
Straßen für den Kraftverkehr fest.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Möglichkeit das Verkehrsnetz von Grund auf neu zu<br />
ordnen, wurde die Priorisierung des motorisierten Verkehrs über den nicht motorisierten<br />
Verkehr deutlich wie nie zuvor. Das Schaffen eines gegliederten Verkehrsnetzes in Haupt<br />
und Nebenstraßen für den Berufs- und Wirtschaftsverkehr galt als Notwendigkeit für eine<br />
rasche wirtschaftliche Erholung, der nicht motorisierte Verkehr wurde an die Peripherie der<br />
Verkehrswege gedrängt.<br />
1960 wurde dann erstmal der Begriff der autogerechten Stadt verwendet. Dem individuellen<br />
Wohlstand folgte eine rasante Zunahme des Individualverkehrs und, der Verkehr hatte nahezu<br />
uneingeschränkten Vorrang. Der nicht motorisierte Verkehr wurde immer stärker<br />
räumlich vom motorisierten Verkehr getrennt, wie der starke Anstieg an Brücken- und Tunnelbauwerken<br />
zu dieser Zeit zeigt.<br />
Die Folgen der nahezu ungebremsten, verkehrlichen Entwicklung waren schon kurz darauf<br />
festzustellen. Wohnquartiere wurden durch den Neu- oder Ausbau von Straßen zerschnitten,<br />
das Stadtbild verarmt optisch, aufgrund eintöniger, die Straßen füllende Blechlawinen.<br />
Die Lärm-, Geruchs- und Abgasbelastung in bestimmten Räumen mindert die Lebensqualität<br />
und die Entmischung des Verkehrs hat auch nicht zu der erhofften Vermeidung von Unfällen<br />
zwischen motorisierten und nicht motorisierten Nutzern geführt.<br />
Die sozialen Folgen dieser verkehrlichen Priorisierung führten zu einem, diese Entwicklung<br />
noch beschleunigenden, Prozess. Betroffene Individuen zogen aus den unattraktiven Wohnquartieren<br />
in attraktivere Wohnlagen, meist in der Peripherie. Die vorher vielleicht mit dem<br />
43 Wegeordnung für die Provinz Westpreußen vom 27. September 1905. In: Gesetz-Sammlung für die Königlich-<br />
Preußischen Staaten, Bd. VII, 1900-1906, S. 682.<br />
44 SLUKA, B. (O.J.): Scans der Reichs-Straßenverkehrsordnung 1934 nebst Einführungsverordnung. Im Internet<br />
unter: http://bernd.sluka.de/scans/100dpi/inhalt.html. (geprüft am: 26.04.2010).<br />
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