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Leseprobe(PDF) - Philharmonie Luxembourg

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paint it black<br />

rainy days 2007<br />

<strong>Philharmonie</strong> <strong>Luxembourg</strong><br />

23.11.–09.12.2007<br />

Dans le cadre de <strong>Luxembourg</strong> et Grande-Région – Capitale européenne de la culture 2007.<br />

Sous le Haut Patronage de Leurs Altesses Royales le Grand-Duc et la Grande-Duchesse<br />

Im Rahmen von Luxemburg und Großregion – Kulturhauptstadt Europas 2007.<br />

Unter der Schirmherrschaft Ihrer Königlichen Hoheiten des Großherzogs und der Großherzogin<br />

Etablissement public Salle de Concerts<br />

Grande-Duchesse Joséphine-Charlotte


Impressum<br />

© <strong>Philharmonie</strong> <strong>Luxembourg</strong><br />

2007<br />

Établissement public Salle de<br />

concerts Grande-Duchesse<br />

Joséphine-Charlotte<br />

1, Place de l’Europe<br />

L-1499 <strong>Luxembourg</strong><br />

www.philharmonie.lu<br />

www.rainydays.lu<br />

ISBN 978-2-9599696-2-1<br />

EAN 9782959969621<br />

Für den Inhalt verantwortlich:<br />

Matthias Naske<br />

Redaktion:<br />

Bernhard Günther<br />

Dominique Escande<br />

Redaktionelle Mitarbeit:<br />

Raphaël Rippinger,<br />

Hélène Pierrakos,<br />

Dominique Hansen,<br />

Patrick Ackermann<br />

Design: Pentagram Design<br />

Limited, Berlin<br />

Satz: Bernhard Günther<br />

Druck: Victor Buck<br />

Printed in <strong>Luxembourg</strong><br />

Die Texte auf den Seiten<br />

9–18, 21–23, 39–58, 74–75,<br />

83–85, 105–107, 116–120,<br />

122, 135, 153, 162–163 sind<br />

Originalbeiträge.<br />

Umschlagillustration:<br />

Jan Fabre: White Hypnosis<br />

© Jan Fabre<br />

Nous remercions / Dank an:<br />

les musiciens, auteurs et<br />

partenaires du festival;<br />

Ircam Paris, Cdmc Paris,<br />

Bibliothèque Nationale de<br />

<strong>Luxembourg</strong>, Conservatoire<br />

de la Ville de <strong>Luxembourg</strong>,<br />

Festival International Echternach,<br />

Salzburger Festspiele,<br />

MaerzMusik Berlin, Essl<br />

Museum, David Batchelor<br />

Tous droits réservés /<br />

Alle Rechte vorbehalten /<br />

All rights reserved


Prélude<br />

Paint it black<br />

Elisabeth Bronfen: Ein dunkler Zeitraum. Zur Semantik der Nachtszene<br />

Michael Rebhahn: Shut your eyes and hear. Die musikalische Eroberung der Nacht<br />

Pierre Soulages: Le noir, la lumière, la peinture<br />

Gérard Denizeau: «Le noir est une couleur»<br />

Jacques Kober: Le noir est une couleur<br />

Joris-Karl Huysmans: À rebours<br />

Vladimir Jankélévitch: Le nocturne<br />

Dominique Escande: Le noir musical. Petit glossaire<br />

Martin Büsser: Out Of Step (With The World). Schwarz in der Popkultur<br />

Karl Schawelka: Schwarz: Die Farbe des Ausstiegs aus der Farbe<br />

Leonhard & Fatumata Oberascher: Schwarz. Bedeutung und Konnotation<br />

Theodor W. Adorno: Das Ideal des Schwarzen. Ästhetische Theorie<br />

Ludwig Wittgenstein: Bemerkungen über die Farben<br />

6<br />

9<br />

15<br />

19<br />

21<br />

25<br />

27<br />

33<br />

39<br />

45<br />

50<br />

59<br />

67<br />

68<br />

Programme<br />

23.11.2007 20:00 Ouverture du festival<br />

Bernhard Günther: Nichts Ernstes – oder doch? Charles Ives’ «Unanswered Question» und<br />

«Central Park in the Dark»<br />

Fernand Ouellette: Edgar Varèse: Offrandes<br />

Hubert Stuppner: Salvatore Sciarrinos archaisierende Sphärenklänge<br />

Morton Feldman: «Mehr Licht»<br />

Raoul Mörchen: Zwischentöne zwischen Licht und Finsternis. Zu Morton Feldmans «Coptic Light»<br />

24.11.2007 10:00–16:00 (Un temps)<br />

Les patries imaginaires: (Un temps). Un projet de Perrine Maurin associée à Lino Tonelotto<br />

30.11.2007 20:00 Claude Lenners: Odyssey Reloaded<br />

Claude Lenners: Odyssey Reloaded<br />

01.12.2007 18:00 & 20:00 «see my songs»<br />

see my songs. Zur Produktion von opera silens<br />

Axel Fussi: Raumschemen. Zu den Arbeiten von Stefanie Wilhelm<br />

02.12.2007 20:00 basel sinfonietta<br />

Anthony Beaumont: The Occult. Ferruccio Busoni: Nocturne symphonique<br />

Ferruccio Busoni: «…der vollständigste aller Naturwiderscheine». Entwurf einer neuen Ästhetik<br />

der Tonkunst<br />

«Singen möcht’ ich». Georg Friedrich Haas im Gespräch mit Bernhard Günther<br />

György Ligeti: Lontano<br />

Christian Goubault: La couleur des Nocturnes. Claude Debussy: Nocturnes<br />

07.12.2007 19:00 «In a large, open space»<br />

Dominique Escande: Leçons de Ténèbres. Entretien avec Brice Pauset<br />

07.12.2007 20:00 «…aux limites du silence»<br />

Claude Lenners: An die Grenzen des Hörbaren. Zum Konzert der Noise Watchers<br />

James Tenney: For Anne (rising)<br />

Arthur Stammet: Trombopigmalimba’s Dream<br />

Claus Spahn: Klang – in den Labyrinthen des Schweigens. Der Sizilianer Salvatore Sciarrino<br />

Klarenz Barlow: …until…<br />

Michel Redolfi: Jazz, d’après Matisse<br />

08.12.2007 19:30 & 09.12.2007 18:30 «the moon in a moonless sky.»<br />

Klaus Lang: the moon in a moonless sky. (two.)<br />

Barbara Barthelmes: Claudia Doderer – Musikspezifische Raumkunst<br />

08.12.2007 21:00 «Nocturne»<br />

Giorgio Netti: Necessità d’interrogare il cielo<br />

Georges Lentz: Ingwe = Nacht.<br />

09.12.2007 20:00 «I am a mistake»<br />

Troubleyn / Jan Fabre: I am a mistake<br />

Jan Fabre: I am a mistake. Monologue for an inveterate smoker<br />

«In den dunklen Bezirk». Wolfgang Rihm über die Nacht, die Traumlogik der Musik, Artaud und<br />

das Rauchen<br />

72<br />

74<br />

76<br />

78<br />

82<br />

83<br />

86<br />

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100<br />

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158<br />

162<br />

Service<br />

Compositeurs, interprètes & ensembles<br />

Lieux des manifestations / Veranstaltungsorte<br />

168<br />

191


Paint it black<br />

Das Bild der Schwärze steht am Anfang von allem. Doch während in der Schöpfungsgeschichte<br />

die Welt mit dem Beseitigen der Dunkelheit beginnt, ist es in der Kunst<br />

oft die vor der bunten Welt geschützte Dunkelkammer, in der das Bild der Wirklichkeit<br />

überhaupt erst möglich wird. In blendendem Alltag wird die Reduktion des<br />

strahlenden Scheins zur Bedingung der Wahrnehmung und des Erkennens. Der Ruf<br />

nach weniger Licht dient der Aufklärung. Die Farbe Schwarz wird zur inspirierend<br />

klaren Projektionsfläche.<br />

Schwarz ist der Trägerstoff der Melancholie (von Albrecht Dürer bis Anselm Kiefer)<br />

und des Lachens (von Groucho Marx’ Schnurrbart bis zum Schwarzen Humor);<br />

des Protests (Marlon Brando & Adorno), des Schwarzsehens (vom Schwarzen Freitag<br />

zum Film noir) und der Kritik (Schwarze Pädagogik, Schwarzbücher, Schwarze<br />

Listen); des Todes (Schwarze Pest und Trauerflor), des Verlangens (vom Dessous<br />

bis zum Darkroom) und der Eleganz (verkörpert durch Coco Chanels «Kleines<br />

Schwarzes», «Black tie» und den Frack des Dirigenten). Schwarz ist das metaphysische<br />

Pigment der Traumlogik, des Rauschs und nächtlicher Genüsse (Schwarztee,<br />

Schwarzer Kaffee, Black Stout, Pinot Noir, Schwarzer Krauser, Schwarzer Afghane).<br />

Schwarz ist «the other side», transzendent, das «Medium of the mind» ohne Ablenkungen<br />

und Einmischungen (Ad Reinhardt). Schwarz ist wahlweise seriös oder<br />

rebellisch, sinnlich oder machohaft, mächtig oder minimalistisch, traumhaft oder<br />

gefahrvoll, abweisend oder verführerisch. Schwarz ist die Nulllinie, der neutrale<br />

Filter, die visuelle Klaviertastatur zur Abbildung einer Welt, die erstaunlich sichtbar<br />

wird durch Clair-obscur, Grisaille, Sfumato, Holzschnitt, Schwarzweiß-Film und<br />

-Fotografie – und nicht zuletzt durch die omnipräsenten Metaphern der Schwärze,<br />

Dunkelheit und Nacht.<br />

1<br />

Elisabeth Bronfen S. 9,<br />

Joris-Karl Huysmans S. 27<br />

2<br />

Pierre Soulages S. 19,<br />

Henri Matisse / J. Kober S. 25,<br />

Karl Schawelka S. 50<br />

3<br />

Martin Büsser S. 45<br />

4<br />

Leonhard & Fatumata<br />

Oberascher S. 59<br />

5<br />

S. 68<br />

6<br />

Vladimir Jankélévitch<br />

S. 33,<br />

Dominique Escande S. 39,<br />

Wolfgang Rihm S. 162<br />

Ob in Literatur, 1 Malerei, 2 Popkultur, 3 Psychologie 4 oder eben in Musik, wie sie im<br />

Mittelpunkt des Festivals rainy days 2007 steht – die Erkundung der Dunkelheit<br />

verspricht eine Erweiterung des Horizonts. «Die Grenzenlosigkeit des Gesichtsraumes<br />

ist am klarsten, wenn wir nichts sehen, bei vollständiger Dunkelheit», mutmaßte<br />

Ludwig Wittgenstein 5 – und trifft damit ins Schwarze der Musik. Denn die Musik,<br />

die sich als «Kunst der Nacht und Halbnacht» (Friedrich Nietzsche) mit virtuoser<br />

Sicherheit im Dunklen bewegt, 6 erreicht mit dem vollständigen Verschwinden des<br />

kunterbunten Drumherum einige ihrer stärksten Momente.<br />

Das Festival paint it black – rainy days 2007 lädt Sie ein, dem auf den Grund zu<br />

gehen: Produktionen wie «In a large, open space» (07.12.) und «the moon in the<br />

moonless sky.» (08. & 09.12.) verlagern das alltägliche Verhältnis von Auge und<br />

Ohr hin zum Hörbaren. Konzerte mit Raum- und Lichtinszenierungen – bis zum<br />

vollständigen Ausblenden des Sichtbaren in «(un temps)» (24.11.) und «see my songs»<br />

(01.12.) – führen vom visuell beherrschten, leuchtenden Raum der Alltagswahrnehmung<br />

in dunkle, akustische Räume, hin zum «simultaneous interplay of all<br />

the senses» (Marshall McLuhan).<br />

Die Programme der beiden Orchesterkonzerte (23.11., 02.12.), «…aux limites du<br />

silence» (07.12.) und die Solowerke der «Nocturne» (08.12.) erkunden die Nacht-


welten der Musik von Georg Friedrich Haas, Salvatore Sciarrino, Georges Lentz,<br />

György Ligeti, Morton Feldman und anderen – subtile Schattierungen zwischen<br />

Dunkelheit und Licht, das Abtasten feiner Grenzen mit dem Ohr, über dessen Sensibilität<br />

zu staunen die rainy days 2007 vielfältige Gelegenheit geben.<br />

Wie sagt Jan Fabre über die grelle Buntheit der alltäglichen Welt? «I’m a mistake /<br />

Because I’m distrustful of sunshine» (09.12.). Nur keine Angst vor der Nachtseite;<br />

nicht in der Kunst, und nicht im Leben: «Man muss die Nacht gesehen haben,<br />

bevor man den Tag begreift» (Anne Sexton). Und wie ginge das besser als mit weit<br />

offenen Ohren?<br />

Bernhard Günther<br />

Dramaturg<br />

Matthias Naske<br />

Director General


Shut your eyes and hear<br />

Die musikalische Eroberung der Nacht<br />

Michael Rebhahn<br />

«Sogleich verwandelt sich das ganze Theater in eine Sonne», lautet die szenische<br />

Anweisung im Finale von Mozarts Humanitätsparabel Die Zauberflöte, bevor in<br />

Es-Dur, der Tonart der Erhabenheit, der Sieg von «Schönheit und Weisheit» zelebriert<br />

wird. Alles hat sich letztlich zum Guten gewendet; die Erleuchteten triumphieren,<br />

die obskuren Widersacher verbleiben im Dunkel: «Die Strahlen der Sonne<br />

vertreiben die Nacht, / Zernichten der Heuchler erschlichene Macht». Der Antagonismus<br />

von Licht und Finsternis, von jeher das wirkmächtigste Metapherngespann<br />

der Dualismen Gut und Böse, Genesis und Chaos, wirkt ungebrochen auch im<br />

Zeitalter der Aufklärung – nunmehr im Sinne von Fortschritt und Rückständigkeit<br />

säkularisiert. Kein anderes Gegensatzpaar hätte die Emanzipation des denkenden<br />

Subjekts von autoritären Bevormundungen anschaulicher zu bedeuten vermocht:<br />

Im «lumen naturale», dem Licht der Vernunft, finden sich die Dinge erhellt, aus dem<br />

Dunkel der Unmündigkeit zur Klarheit der Erkenntnis geführt. Dass schließlich<br />

die bereits Ende des 18. Jahrhunderts sich etablierende Epochenbezeichnung – ob<br />

als Aufklärung, enlightenment oder siècle des lumières – jener Lichtsymbolik Rechnung<br />

trägt, betont die Gewichtigkeit des Gestus der Abgrenzung von den Relikten des<br />

‹finsteren Mittelalters›, die mit den Prinzipien des liberalen Aufbruchs unvereinbar<br />

geworden waren. Kein Zweifel: Das «Wahre, Schöne, Gute» hat seinen Platz im<br />

Licht, wo endlich zusammenfindet, «was die Mode streng geteilt» (bei Beethoven<br />

selbstverständlich in D-Dur, der ‹strahlenden› Tonart.)<br />

Für eine Hinwendung zur Finsternis, zum Dunkel-Melancholischen schien es entschieden<br />

zu hell im Elysium der Neuen Ordnung. Die Apologeten des Nächtlichen,<br />

die begriffen hatten, dass das Licht der Aufklärung auch sein Gegenstück zu ‹erhellen›<br />

imstande ist, ließen indessen nicht lange auf sich warten. Womöglich hat man sie<br />

als Verirrung eines unbelehrbaren «Obskurantisten» abgetan, jene im Jahr 1800 in<br />

der Literaturzeitschrift Athenäum veröffentlichten Texte, in denen nichts als die Nacht<br />

Befreiung verheißt, in denen die ewige Dunkelheit gepriesen wird: «Die Nacht ist<br />

da / Entzückt ist meine Seele!» Novalis, der Verfasser der sechs Gedichte, war sich<br />

seiner Sache jedoch sicher; bereits ein Jahr vor der Publikation der Hymnen an die<br />

Nacht opponierte er gegen die Lichtverliebtheit der Aufklärungsideologen: «Das Licht<br />

war wegen seines mathematischen Gehorsams ihr Liebling geworden. Sie freuten<br />

sich, dass es sich eher zerbrechen ließ, als dass es mit Farben gespielt hätte, und so<br />

benannten sie nach ihm ihr großes Geschäft.» Das Licht schien Novalis als Ort der<br />

Erkenntnis wenig geeignet; zu bestimmt zeigen sich hier die Dinge, zu deutlich<br />

konturiert, als dass sich die schöpferische Phantasie an ihnen entzünden könnte.<br />

Den Ursprung kreativen Wirkens verortete Novalis dagegen im Dunkel, in der<br />

Sphäre der Uneindeutigkeit, die es zu enträtseln gilt mit den «unendlichen Augen,<br />

die die Nacht in uns eröffnet».<br />

Bis die Musik, als Kunst jener Rätselhaftigkeit eigentlich prädestiniert, die Nacht zu<br />

ihrem Refugium erklärte, sollte es noch einige Zeit dauern; die Vorlagen der Frühromantiker<br />

blieben zunächst noch ungenutzt. Dass es der Musik in besonderer<br />

Weise gelingen kann, den Geheimnissen der Dunkelheit nachzuspüren, antizipierte<br />

etwa Clemens Brentano, wenn er den Protagonisten seines 1801 erschienenen<br />

Romans Godwi die Nacht als die angestammte Domäne des Hörbaren ausmachen<br />

15


lässt: «Die Töne sind ein wunderbarer lebender Atem der Dunkelheit, wie alles<br />

rauscht und lebt und mit uns spricht in dem heimlichen Saale, den die Töne wie<br />

glühende Pulsschläge durchzucken. Die Töne sind das Leben und die Gestalt der<br />

Nacht, das Zeichen alles Unsichtbaren.» Im Grunde eine schlichte Erkenntnis: Im<br />

Dunkeln sieht man nicht, dem Hören tut es dagegen keinen Abbruch. Dennoch<br />

bedurfte es noch gut dreier Jahrzehnte, bevor die Musik endgültig von der Faszination<br />

der Finsternis erfasst wurde: Chopins Nocturnes oder die zahllosen Klavierlieder,<br />

die sich nächtlichen Topoi widmen, sind eindringliche Zeugnisse der romantischen<br />

Neigung zum Dunkel, das gegenüber dem Licht als das Tiefere und Wahrere<br />

erscheint. 1865 lässt Richard Wagner Tristan und Isolde die Helligkeit als Feind<br />

der Liebe ächten: «Das Licht! O dieses Licht, wie lang verlosch es nicht! O könnt<br />

ich die Leuchte, der Liebe Leiden zu rächen, dem frechen Tage verlöschen!» Die<br />

Beschwörung folgt dann im Duett: «O sink hernieder, Nacht der Liebe!» Am Ende<br />

des 19. Jahrhunderts schließlich ist das Wesen der Musik als ‹Nachtkunst› zum ästhetischen<br />

Glaubenssatz geraten; 1881 resümiert Friedrich Nietzsche in der Morgenröte:<br />

«Das Ohr, das Organ der Furcht, hat sich nur in der Nacht und in der Halbnacht<br />

dunkler Wälder und Höhlen so reich entwickeln können, wie es sich entwickelt<br />

hat, gemäß der Lebensweise des furchtsamen, das heißt des allerlängsten menschlichen<br />

Zeitalters, welches es gegeben hat: im Hellen ist das Ohr weniger nötig.<br />

Daher der Charakter der Musik, als einer Kunst der Nacht und Halbnacht.»<br />

Auch mit Beginn des 20. Jahrhunderts reißt die Faszination fürs Dunkle nicht ab.<br />

Während allerdings die Nacht der Romantik zumeist als seelenvolles Idyll, als Ort<br />

metaphysischer Erfahrungen und Einsichten typisiert wurde, kehrt nun wiederum<br />

der Aspekt des Unheimlichen, Beklemmenden ins Assoziationsfeld zurück. Anstelle<br />

von Eichendorffs mondnächtlichem «Blütenschimmer», den Schumann in seinem<br />

Liederkreis op. 39 zum Klingen brachte, sind es nun «des Mondlichts bleiche Blüten»,<br />

die in Schönbergs Pierrot Lunaire schattenhafte Gestalten zum Leben erwecken.<br />

Einen veritablen Abgesang auf die romantische Verklärung komponierte Gustav<br />

Mahler mit den «Nachtmusiken» seiner 1905 entstandenen Siebten Symphonie. Das<br />

instrumentale Kolorit der beiden Sätze, in der zweiten Nachtmusik gefärbt von<br />

Gitarre und Mandoline, erinnert an die populärste Variante nächtlicher Musik, das<br />

«Ständchen», dem der Charakter von Mahlers Komposition hingegen nachdrücklich<br />

widerspricht. Zwar haben ihm, so Alma Mahler, als programmatische Leitmotive<br />

«Eichendorffsche Visionen, plätschernde Brunnen, deutsche Romantik» vorgeschwebt,<br />

dennoch evozieren jene Stücke alles andere als idyllische Landschaften. Die beiden<br />

Nachtmusiken sowie das dazwischen stehende Scherzo sind durchwirkt von unterschwellig<br />

bedrohlichen Passagen, von sinistren Übermalungen träumerischer Szenerien.<br />

Mahlers nächtliche Umgebungen changieren unentwegt zwischen Vertrautem<br />

und Fremdem und thematisieren die Verwirrung – die Unfähigkeit, klare Grenzen<br />

zu ziehen. Jene Form der Ambiguität sollte für die Musiken der Folgezeit, in der<br />

die Dunkelheit zum Sujet wird, prägend bleiben: die Nacht als Ort des Irrationalen,<br />

als Erlebnisraum, in dem anstelle des logischen Nachvollzugs ein Sich-Überantworten<br />

ins Ungewisse eingefordert wird.<br />

Die Werke, die diesen Impuls aufgreifen, sind zahlreich, der Begriff «Nacht» und<br />

seine Varianten in den Werkverzeichnissen zeitgenössischer Komponisten Legion.<br />

Nachtmusiken als regelrechten Gattungsbegriff zeitgenössischer Musik ausmachen<br />

zu wollen, wäre dagegen ein letztlich sinnloses Unterfangen: zu heterogen sind<br />

die kompositorischen Herangehensweisen, zu vielgestaltig die Kontexte, in denen<br />

nächtliche Topoi erscheinen. Im 20. Jahrhundert sprechen die Stimmen der Nacht<br />

in unzähligen voneinander verschiedenen Vokabularien, als verstohlenes Flüstern<br />

ebenso wie als mystischer Naturlaut oder angsterfüllter Schrei. Die Chiffre Nacht<br />

steht nun für die Thematisierung der Wahrnehmung selbst: Im Dunkel entbehrt<br />

der Raum seines Maßes, Distanz und Nähe verlieren ihre Determinanten, können<br />

nicht mehr exakt eingeschätzt werden; es entsteht eine ebenso verführerische wie<br />

verunsichernde Ortlosigkeit, in der das Nicht-Sehen-Können ein Anders-Sehen-<br />

Können bewirkt. «Shut your eyes and see», lässt James Joyce im Ulysses Stephen<br />

Dedalus denken, bevor dieser die Dunkelheit als ideale Umgebung eines selbstver-<br />

16


gewissernden Sehens erkennt: «I am getting on nicely in the dark.» Dass jene «Erhellung»,<br />

die aus der Forderung nach der Liquidierung aller Ablenkung entspringt,<br />

gleichermaßen für das Hören in Anspruch genommen werden kann, stellen einige<br />

Kompositionen Neuer Musik nachhaltig unter Beweis.<br />

Um zu erkennen, dass für die Arbeit des italienischen Komponisten Salvatore<br />

Sciarrino die Nacht von wesentlicher Bedeutung ist, genügt ein Blick in den Werkkatalog:<br />

Titel wie Ai limiti della notte (An den Grenzen der Nacht), Allegoria della<br />

notte (Allegorie der Nacht), Autoritratto della notte (Selbstbildnis der Nacht), Che sai<br />

tu, guardiano, della notte? (Was weißt du, Wächter, von der Nacht?), Il paese senz’alba<br />

(Das Land ohne Sonnenaufgang), Infinito nero (Das unendliche Schwarz) oder<br />

Introduzione all’oscuro (Einführung ins Dunkel) lassen keinen Zweifel: Die Nacht<br />

gilt Sciarrino als idealer Hör-Ort, als eine Umgebung, in der «der kleinste Laut zum<br />

Phantom wird». Die nächtliche Stille ist die Folie seiner Musik, ein dimensionsloser<br />

Hintergrund, auf dem sich seine häufig an der Grenze zur Hörbarkeit gehaltenen<br />

Klänge einstellen. Als Impuls, der den flüchtigen Lauten zum Klingen verhilft,<br />

greift er den «großen Beweger» der Natur auf, den Wind, der in unterschiedlichen<br />

Intensitäten – von der schwachen Brise bis zur jähen Sturmböe – die Welt zum<br />

Klingen bringt. Entsprechend ist Sciarrinos Musik von Luftgeräuschen durchsetzt,<br />

angefangen beim genuinen menschlichen Atem über dessen «Verlängerung» durch<br />

die Aerophone bis hin zur phonetischen Übersetzung in den Flageoletts der<br />

Streichinstrumente. Daneben scheint die bewegte Natur selbst auf, transformiert<br />

in naturalistischen Klängen der Schlaginstrumente oder – ganz konkret – etwa in<br />

Form behutsam geschüttelter Pinienzweige.<br />

Bei aller Nähe zur Natur hat Sciarrinos Musik mit deren ungebrochener Nachahmung<br />

im Sinne einer Wiedergabe von Wirklichkeit nichts gemein. Seine Musik<br />

zeichnet surreale Landschaften, Traumbilder, denen, wie es der Komponist formuliert,<br />

ein «beunruhigender Realismus» zu eigen ist. Sciarrino versucht sich an einer<br />

Art psychotroper Mimesis, an der Sichtbarmachung enigmatischer Wahrnehmungsphänomene.<br />

Seine Musik hat weder nachbildenden noch erzählenden Charakter;<br />

vielmehr lässt sie Tableaus entstehen, auf denen sich vage Konturen klanglicher<br />

Gestalten abzeichnen, kurz sichtbar werden, bevor sie wieder ins Dunkel zurücktreten.<br />

«Kann sich auch das Ohr in der Zeit so hin- und herbewegen, wie das unstete<br />

Auge den Raum durchstreift?», fragt Sciarrino in seiner Schrift Le figure della musica<br />

rhetorisch. Die Entgegnung ist klar und ließe sich spekulativ weiterführen: Wozu<br />

bedarf Musik dann der Helligkeit, einer Ausleuchtung des Klangraumes? Sciarrino<br />

beweist die Entbehrlichkeit; in seinen Nachtstücken strahlt kein Licht, die Basis<br />

dieser Musik ist das Dunkel, das Gewesenes wie Kommendes ausblendet und die<br />

Konzentration einzig auf die Wahrnehmung des je gegenwärtig Erscheinenden<br />

richtet.<br />

Einen Schritt weiter geht der Österreicher Georg Friedrich Haas: Er schaltet das<br />

Licht aus. «Das gesamte Stück wird in völliger Finsternis gespielt», heißt es in der<br />

Partitur seines dritten Streichquartetts «In iij Noct.» aus dem Jahr 2001. Bevor Haas<br />

den Schritt in die völlige Dunkelheit unternahm, experimentierte er bereits in früheren<br />

Kompositionen mit dem intrinsischen Zusammenhang zwischen Lichtqualitäten<br />

und musikalischem Geschehen. In den beiden Musiktheatern Adolf Wölfli<br />

(1980 / 1981) und Nacht (1995–1998), wie auch im Ensemblestück in vain (2000)<br />

wirkt sich die Beleuchtung unmittelbar auf die Musik aus, ohne jedoch bei simplen<br />

Synästhesieeffekten stehen zu bleiben. Die Gleichberechtigung des visuellen Elements<br />

ist in der Partitur bedeutet: «Lichtstimme» heißt es dort, ein Instrument also,<br />

das nach einer genauen Notation gespielt wird. In «In iij Noct.» wird das Licht nun<br />

völlig getilgt, und dementsprechend ist die Faktur der Komposition angelegt: Die<br />

Musik folgt einer losen Verbalpartitur, deren konkrete Ausgestaltung den Interpreten<br />

überlassen bleibt. Eine Verständigung erfolgt lediglich auf akustischer Basis und die<br />

Musiker sind aufgefordert, sich gegenseitig zur Gestaltung bestimmter musikalischer<br />

Prozesse einzuladen, diese Einladungen dann entweder anzunehmen oder aber<br />

selbst wiederum die Gestaltung eines anderen Prozesses zu initiieren. Auf diese<br />

17


Weise entstehen unvorhersehbare Entwicklungen; das klangliche Resultat und die<br />

Dauer des Stücks ändern sich von Aufführung zu Aufführung. Um die Herstellung<br />

einer aleatorischen Struktur geht es Haas dabei aber weniger. (Dafür könnte das<br />

Licht auch angeschaltet bleiben.) Vielmehr soll alle Aufmerksamkeit auf die Gestaltung<br />

des Klanges gelenkt werden: Nicht die Blicke oder die Körpersprache der<br />

Mitspieler, nichts, was jenseits des Tönenden eine Dramaturgie erahnen ließe, soll<br />

vom unausgesetzten Nachdenken über die Beschaffenheit des gerade Erklingenden<br />

entbinden.<br />

In gleicher Weise wirkt jene Dunkelheit auch auf die Zuhörer. Indem die Hervorbringer<br />

der Klänge nicht mehr zu sehen sind, indem keinerlei visuelle Beigaben<br />

den Gehörsinn ablenken, wird das Publikum allein der Musik ‹ausgeliefert›. Der<br />

einigermaßen manierierte Begriff des «Auditoriums» trifft hier exakt: Nichts als das<br />

Hören ist gefordert. Lichtlos gerät der Aufführungsort einzig zum Klangraum, in<br />

dem die Demarkation des Vis-à-vis außer Kraft gesetzt ist und nur noch die Musik<br />

einen Anhaltspunkt bietet. Die Perspektive des Beobachters wird aufgegeben zugunsten<br />

eines «Umgeben-Seins», das Maurice Merleau-Ponty in seiner Phänomenologie<br />

der Wahrnehmung als ein Kernmerkmal des Nächtlichen ausmacht: «Wenn die Welt<br />

der klaren und wohlartikulierten Dinge sich auflöst, so zeichnet unser seiner Welt<br />

beraubtes wahrnehmendes Sein eine Räumlichkeit ohne Dinge vor. Nichts anderes<br />

geschieht in der Nacht. Sie ist nicht ein Gegenstand mir gegenüber, sie umhüllt<br />

mich, sie durchdringt all meine Sinne, sie erstickt meine Erinnerungen, sie löscht<br />

beinahe meine persönliche Identität aus. Ich finde mich nicht mehr auf meinem<br />

Wahrnehmungsposten zurückgezogen, von dem aus ich auf Abstand die Profile der<br />

Gegenstände vorüberziehen sehe.»<br />

Dass das unverfälschte Umgeben-Sein von Klang einem Grundbedürfnis akustischer<br />

Erfahrung Rechnung trägt, mag durch die Angewohnheit nicht weniger Musikhörer,<br />

die sich den hermetischen Hörraum durch das Verschließen der Augen selbst erzeugen,<br />

gestützt werden. Ein ebenso geistreiches wie streitbares Erklärungsmodell<br />

im Kontext der Frage nach der Motivation jener «Selbstumnachtung» liefert Peter<br />

Sloterdijk in seiner kürzlich erschienenen Schrift Der ästhetische Imperativ. Mit dem<br />

Hören in Dunkelheit werde dessen archaischste Form wiederholt, an die «dämpfende<br />

Nacht» der vorgeburtlichen Hörwelt angeknüpft. Die erste Erfahrung des Lichts<br />

wirke als Trauma, das eine lebenslange Sehnsucht zeitigt: «Mit dem Dasein in der<br />

gelichteten Welt ist eine Beraubung verbunden, der wir nie völlig auf den Grund<br />

gehen können: Von der ersten Minute an schließt das menschliche In-der-Welt-Sein<br />

die Zumutung ein, auf das Klangkontinuum der ersten Intimität zu verzichten. […]<br />

Nach dem Exodus des Ohrs in die äußere Welt dreht sich alles um die Kunst des<br />

Wiederanknüpfens an das zerrissene Band der ersten Hörigkeit.» Insofern ließe<br />

sich der Erfahrung von Musik im Dunkeln weit mehr Bedeutung als die eines bloßen<br />

Wahrnehmungsexperiments zuschreiben: Musik in der Finsternis ist «musique retrouvée»<br />

– eine Erinnerung an die ursprünglichste aller Musiken.<br />

18


Le noir musical<br />

Petit glossaire<br />

Dominique Escande<br />

L’Aigle noir<br />

Chanson interprétée par la chansonnière française Barbara sur une musique de<br />

Barbara et de Catherine Lara ayant connu un très grand succès en 1970. Les thèmes<br />

de l’évasion et de la liberté, reflet du vol de l’oiseau, roi du ciel dont on admire la<br />

majesté se déploient dans un poème onirique mêlé aux récits mythologiques ayant<br />

bercé l’enfance de Barbara.<br />

Ainsi la nuit<br />

Quatuor à cordes de Henri Dutilleux, composé entre 1971 et 1977, à la suite d’une<br />

commande de la Fondation Kousevitzky et destiné au Quatuor Juilliard. «Tout se<br />

transforme insensiblement en une sorte de vision nocturne, d’où le titre Ainsi la<br />

nuit. Cela se présente en somme comme une suite d’états avec un côté quelque peu<br />

impressionniste.»<br />

Aube<br />

Genre particulier de la chanson pratiqué par les trouveurs provençaux, français et<br />

germaniques. Le thème est celui du regret de la séparation des amants, informés<br />

par un veilleur du retour ennemi du jour. En trois parties (matin, danger, adieux)<br />

et trois personnages (les amants, le veilleur), l’aube a inspiré Shakespeare dans<br />

Roméo et Juliette et Richard Wagner dont le second acte de Tristan est conçu comme<br />

une aube de vastes dimensions.<br />

Ballet de la nuit<br />

Quelques semaines après l’entrée solennelle de Louis XIV dans Paris, le 21 octobre<br />

1652, l’intendant du duc de Nemours ordonna un spectacle gravé dans les mémoires,<br />

dont Benserade écrivit les vers et Torelli dessina les décors. La composition de la<br />

musique en est collective: Cambefort, Boësset, Lambert, Mollier, Bertpré, Mazuel<br />

en sont les compositeurs. Lully quant à lui, y exerçait ses talents de danseur et de<br />

comédien. Constitué de 45 parties et 4 entrées ou veilles, le Ballet de la nuit possède<br />

de fréquents changements de décors. L’alternance entre les atmosphères poétique<br />

et burlesque sont en grande partie à l’origine du succès du ballet.<br />

The Black Album<br />

The Black Album est le titre de plusieurs albums pop / rock, de Prince à Metallica<br />

(voir article Martin Büsser, p. 45 du présent catalogue)<br />

Black angels<br />

Œuvre de musique de chambre pour deux violons, alto et violoncelle de George<br />

Crumb (1990), juxtaposant treize images de pays sombres, citant La jeune fille et la<br />

mort de Schubert, usant de la présence symbolique du Diabolus in Musica (intervalle<br />

de triton) et du Trillo di diavolo (le trille du diable d’après Tartini).<br />

Black-Bottom<br />

Danse de la société américaine qui prend racine au XIX e siècle et se popularise dans<br />

les années 1920. Similaire au Charleston, le Black-Bottom en possède les mêmes<br />

rythmiques binaires et syncopés.<br />

39


The Black Page<br />

The Black Page (la page noire) est le titre d’une composition virtuose de Frank Zappa<br />

(1976). «He wrote it because we had done this 40-piece orchestra gig together and<br />

he was always hearing the studio musicians in LA that he was using on that talking<br />

about the fear of going into sessions some morning and being faced with ‹the black<br />

page›. So he decided to write his Black Page.» (Terry Bozzio, entretien avec le journaliste<br />

Idiot Bastard, T’Mershi Duween N° 28, 1992)<br />

Le Chat Noir<br />

Situé au pied de la butte Montmartre, le cabaret du Chat Noir fut l’un des grands<br />

lieux de rencontre du Tout-Paris et le symbole de la Bohème de la fin du XIX e<br />

siècle. On trouvait au Chat Noir, les chansonniers Aristide Bruant, Jules Jouy, Jean<br />

Goudezki, etc. Rodolphe Salis eut l’idée d’y installer un piano, ce qui était une<br />

première dans un cabaret, de sorte que la chanson de cabaret vit véritablement le<br />

jour au Chat Noir.<br />

Danse macabre<br />

Poème symphonique (Danse macabre op. 40) composé par Camille Saint-Saëns en<br />

1874 d’après une œuvre d’Henri Cazalis. La première audition en 1875, surprit<br />

par l’emploi du xylophone symbolisant le bruit des os qui claquent des squelettes<br />

dansant pendant la nuit. Minuit sonne. Alors que Satan conduit le bal, la Mort<br />

paraît et accorde son violon. La ronde s’anime, s’apaise et repart avec une rage<br />

accrue qui ne cessera qu’au chant du coq. Franz Liszt en a effectué un arrangement<br />

pour piano seul, ensuite somptueusement réarrangé par Vladimir Horowitz.<br />

Diabolus in Musica (Le Diable dans la musique)<br />

Locution qui désigne chez les théoriciens des XIV e et XV e siècles l’intervalle de<br />

triton dont l’usage était strictement limité, voire prohibé.<br />

Disque noir<br />

Support circulaire contenant un enregistrement destiné à la reproduction phonographique.<br />

Il peut aussi être appelé disque microsillon ou disque vinyle. Chaque<br />

face du disque noir est parcourue par un sillon microscopique en spirale dont le<br />

début est à l’extérieur et la fin vers le centre du disque. Le disque vinyle présenté<br />

pour la première fois par les disques Columbia aux États-Unis en 1948, est en règle<br />

générale de couleur noire, mais on trouve des disques colorés ou transparents.<br />

Le Domino noir<br />

Opéra comique en trois actes de Daniel-François-Esprit Auber sur un livret<br />

d’Eugène Scribe, créé le 2 décembre 1837 à l’Opéra-comique à Paris et dont le<br />

succès fut tel que 1207 représentations eurent lieu jusque 1909. En Espagne, la<br />

jeune novice Angèle de Olivarès profite de sa dernière liberté avant de prononcer<br />

ses vœux. Elle s’échappe du couvent avec Brigitte pour assister à un bal en l’honneur<br />

de la reine d’Espagne, prétexte à l’insertion de musiques espagnoles. Pour dissimuler<br />

son identité, elle porte un demi-masque noir: le domino…<br />

En blanc et noir<br />

Trois Caprices constituent En blanc et noir de Claude Debussy, chef-d’œuvre de la<br />

grande vague créatrice de l’été 1915. Ces pièces, nous apprend Debussy, «veulent<br />

tirer leur couleur, leur émotion du simple piano, tels les gris de Velasquez».<br />

Free Jazz, black power<br />

Célèbre ouvrage de Philippe Carles et Jean-Louis Comolli, paru à Paris en 1971,<br />

cernant les enjeux d’une révolution musicale, le free jazz et d’un mouvement, le<br />

Black power, dont l’histoire s’étend bien au-delà des années 1960.<br />

40


Gaspard de la nuit<br />

Triptyque pour piano de Maurice Ravel, composé en 1908 d’après trois poèmes<br />

d’Aloysius Bertrand, créé le 9 janvier 1909 par Ricardo Viñes au piano. Gaspard<br />

de la nuit, Fantaisies à la manière de Rembrandt et de Callo (1842) est empli de visions<br />

pittoresques et fantastiques du Moyen Âge. Ravel mit en musique trois de ces<br />

poèmes: Ondine, Le gibet (dernières impressions d’un pendu qui assiste au coucher<br />

du soleil) et Scarbo (petit gnome diabolique et facétieux, porteur de funestes présages<br />

apparaissant en songe au dormeur).<br />

Le Grand Macabre<br />

Opéra de György Ligeti, composé entre 1974 et 1977, inspiré de La Ballade du Grand<br />

Macabre (1934) de l’auteur belge Michel de Ghelderode et créé à Stockholm en 1978.<br />

La partition apparaît tel un collage de citations musicales (Monteverdi, Mozart,<br />

Verdi, etc.) et artistiques. Prenant pour thème principal le «Jugement dernier»,<br />

l’œuvre s’apparente à une farce noire aux allures de danse macabre, à la fois tragique<br />

et totalement humoristique. Selon Ligeti: «Vous prenez un morceau de foie gras,<br />

vous le laissez tomber sur un tapis et vous le piétinez jusqu’à ce qu’il disparaisse,<br />

voilà comment j’utilise l’histoire de la musique et, surtout, celle de l’opéra.»<br />

Hip-hop<br />

Un des styles les plus populaires de la «Black music». Mouvement culturel et artistique<br />

apparu aux États-Unis au début des années 1970, issu des ghettos new-yorkais<br />

et dont les racines sont la musique des griots, poètes et musiciens ambulants de<br />

l’Afrique de l’Ouest. Les quatre éléments principaux de la culture hip-hop sont le<br />

rap et plus généralement la musique hip-hop, le graffiti, le feejaying, la break dance<br />

et les autres danses hip-hop. La musique hip-hop s’inspire du soul et du funk,<br />

notamment de James Brown et Isaac Hayes.<br />

Merle Noir<br />

Partition pour flûte et piano d’Olivier Messiaen, composée à Paris en 1951 pour<br />

le concours de flûte du Conservatoire de Paris. Un bref arpège de piano introduit<br />

une première cadence de la flûte sur le chant du merle noir, puis c’est un langoureux<br />

dialogue («presque lent, tendre »), en berceuse capricieusement chaloupée,<br />

suivi d’un bref trait vif. Ces trois éléments sont repris, variés et la pièce se termine<br />

par un joyeux finale «vif» d’une éclatante virtuosité, dans un pur style ornithologique.<br />

A Midsummer Night’s dream<br />

Pièce de Shakespeare ayant inspiré de nombreux compositeurs dont l’opéra The Fairy<br />

Queen d’Henry Purcell (1692), l’opéra Le Songe d’une Nuit d’été de Benjamin Britten<br />

(1960) et la musique de scène de Felix Mendelssohn Bartholdy Ein Sommernachtstraum,<br />

ouverture op. 21 composée l’été 1826. Cette très célèbre partition consiste<br />

en une incroyable description musicale de la féérie dramatique de Shakespeare<br />

(harmonies d’instruments à vent pianissimo, tourbillons staccato des cordes aiguës,<br />

accords diminués des vents, etc.)<br />

Mondnacht (Clair de lune)<br />

Les vers d’Eichendorff ont inspiré à Schumann le célèbre Mondnacht (Liederkreis<br />

op. 39 N° 5) qui présente à lui seul tous les procédés musicaux du nocturne. La<br />

poésie très simple de trois quatrains épouse une vision romantique du monde.<br />

Dans la nuit, au clair de lune, les choses ne sont pas réellement transfigurées mais<br />

révèlent leur essence cachée.<br />

Morisque ou Moresque<br />

Danse burlesque très répandue à la Renaissance, dansée selon Thoinot Arbeau<br />

dans son Orchésographie par «un garçonnet mâchuré et noircy, des grelottières<br />

aux jambes». Avec ses déguisements, ses sauts et ses cabrioles, la morisque – ou<br />

moresque – tend vers la pantomime, la danse des bouffons.<br />

41


Nachtmusik<br />

Eine kleine Nachtmusik KV 525 de Mozart (Petite Musique de Nuit) est une sérénade<br />

pour quintette à cordes, composée par Wolfgang Amadeus Mozart en 1787. Composée<br />

à l’origine de cinq mouvements, avec un premier menuet après l’allegro, le<br />

menuet manifestement arraché à la partition initiale n’a jamais été retrouvé.<br />

Negro spiritual<br />

Chant religieux des Noirs aux Etats-Unis. Né en relation avec l’activité missionnaire<br />

exercée principalement par des sectes protestantes, il réalise une symbiose du chant<br />

européen protestant, de la musique et des traditions religieuses africaines.<br />

Nocturne<br />

Sous le terme italien de «notturno», on comprenait au XVII e siècle, des musiques de<br />

nuit instrumentales, généralement en plusieurs parties mais de nombre variable,<br />

identiques aux sérénades, aux «divertimenti», aux cassations, aux «partite» et destinées<br />

à être jouées en plein air. Le terme a également servi à désigner des pièces vocales<br />

souvent sans accompagnement ou avec accompagnement facultatif.<br />

Noir désir<br />

Groupe de rock français formé en 1980 quand Bertrand Cantat débarqué de Normandie,<br />

rencontre dans un lycée bordelais ceux qui seront ses partenaires dans<br />

l’aventure du groupe: Denis Barthe (batterie), Serge Teyssot-Gay (guitare) et Frédéric<br />

Vidalenc (basse).<br />

Noire<br />

Nom d’une figure de note issue de la semi-minime qui vaut la moitié d’une blanche<br />

et dont le silence correspondant est le soupir / Adjectif qui qualifie une période de<br />

la notation mensuraliste – la notation noire – où les formes des notes sont noircies<br />

et non évidées (jusqu’à 1430 environ).<br />

Nuit de Noël<br />

Dans l’imagination populaire, Noël est une fête liée à la nuit. Pourtant, sa célébration<br />

nocturne est bien moins ancienne que celle de Pâques. Curieusement, si la<br />

lumière est célébrée d’un bout à l’autre des offices de Noël, la nuit y est à peine<br />

mentionnée.<br />

Une Nuit sur le mont chauve<br />

Pièce symphonique écrite par Modeste Moussorgski pendant l’été 1967, inspirée par<br />

une nouvelle de Nicolas Gogol mettant en scène le sabbat des sorcières. La musique<br />

suit un programme établi par le compositeur (voix souterraines, apparitions des<br />

esprits des ténèbres puis de Satan, Adoration de Satan, Sabbat des sorcières, Sonnerie<br />

de la cloche du village et évanouissement des apparitions, Aube naissante).<br />

Nuits d’été<br />

Célèbre cycle de six mélodies (Nuits d’été op. 7) composé par Hector Berlioz (1841)<br />

sur des poèmes de Théophile Gautier (1840–1856). Le titre est un clin d’œil au<br />

Songe d’une nuit d’été de William Shakespeare.<br />

Nuits<br />

Œuvre de Iannis Xennakis (1967) pour 12 voix mixtes solistes ou chœur mixte,<br />

sur des phonèmes sumériens, assyriens, achéens et autres, créée le 7 avril 1968 au<br />

Festival de Royan.<br />

Offices des ténèbres<br />

Nom donné aux offices ayant lieu durant deux nuits de prière, le vendredi et le<br />

samedi, non pour leur dramatisme mais en raison de l’heure à laquelle ils se chantaient<br />

à la fin du Moyen Âge, soit au début de la nuit précédant le jour qu’ils célébraient.<br />

Ainsi l’office du Vendredi saint était-il célébré le jeudi, après la tombée<br />

de la nuit, et celui du Samedi saint le vendredi soir. Cette heure tardive contribua<br />

42


longtemps à une forte participation des fidèles et au caractère populaire de ces<br />

offices. Elle procurait en même temps aux voix les meilleures conditions pour le<br />

chant. Ces offices sont organisés en trois nocturnes, composés chacun de psaumes,<br />

de lectures et de répons.<br />

Paint it black («peins cela en noir»)<br />

Chanson du groupe de rock britannique The Rolling Stones sortie en mai 1966<br />

créditée à «Jagger / Richards», bien que tous les membres du groupe aient contribué<br />

à sa composition, notamment Bill Wyman et Brian Jones. Intégrée en juin 1966 à<br />

l’album Aftermath, elle est l’une des chansons les plus célèbres des Rolling Stones,<br />

narrant les impressions d’une personne déprimée qui veut que tout ce qu’elle voit<br />

devienne noir, en accord avec son humeur. Jagger a tiré du roman Ulysse de James<br />

Joyce (1922), la ligne «I turn my head until my darkness goes». Le texte joue sur<br />

les mots paint (peindre) et taint (salir, souiller). L’idée de base de la musique en<br />

était une chanson de soul classique, lente. Lors de l’enregistrement, Charlie Watts<br />

y ajouta une partie de batterie inspirée des sonorités moyen-orientales et Wyman<br />

suggéra une accélération du tempo de la chanson, l’éloignant de sa dimension soul.<br />

Pierrot lunaire<br />

Recueil de mélodies d’Arnold Schönberg composé en 1912, d’après 21 poèmes<br />

du poète belge Albert Giraud que Schönberg a lus dans la traduction allemande<br />

d’Otto Erich Hartleben (1893). Le recueil se distingue par son instrumentation<br />

singulière: voix parlée / chantée (Sprechgesang), piano, flûte, piccolo, clarinette<br />

(et clarinette basse), violon et alto, violoncelle. René Leibowitz voit dans Pierrot<br />

lunaire, une œuvre annonciatrice du dodécaphonisme par l’utilisation des 12 sons<br />

de la gamme chromatique dans un ordre beaucoup plus aléatoire.<br />

Rap<br />

Le rap est un genre musical appartenant au mouvement culturel hip-hop apparu<br />

au début des années 1970 aux Etats-Unis et le rétro-acronyme des expressions<br />

anglaises de Rhythm and Poetry ou Rock Against Police. Comme le reste de la<br />

culture hip-hop, il contient un double aspect festif et contestataire, s’inspirant de<br />

la soul, du funk et ayant pour sujet la vie quotidienne, l’amour et le sexe. Quasiment<br />

toujours à 4/4 ou 2/4, le rap «swingue» et donne souvent l’impression d’être<br />

joué comme «en retard».<br />

La Revue Nègre<br />

La première de la Revue Nègre eut lieu le 2 octobre 1925 à Paris à l’initiative d’André<br />

Daven, alors administrateur du Théâtre des Champs-Elysées, ami du peintre cubiste<br />

Fernand Léger qui venait justement de voir l’exposition d’art nègre au Musée des<br />

Arts décoratifs. C’est l’américaine Caroline Dudley qui se chargea de rassembler<br />

une troupe de comédiens à New York et la sulfureuse Joséphine Baker ainsi que<br />

Sidney Bechet. Parmi le public de la salle pleine à craquer assistant à cette première<br />

revue, étaient présents Robert Desnos, Francis Picabia et Blaise Cendrars.<br />

Reine de la Nuit<br />

Personnage (soprano colorature) de l’opéra La Flûte enchantée KV 620 de Mozart, la<br />

Reine de la Nuit fait châtier Papageno pour ses mensonges et demande à Tamino de<br />

délivrer sa fille Pamina des mains de l’horrible Sarastro qui la lui a enlevée (acte I).<br />

L’opposition jour et nuit dans l’opéra est symbolisée par l’opposition Sarastro / Reine<br />

de la nuit. Le rôle aux étonnantes coloratures aiguës évoque l’aspect fantastique du<br />

personnage, composé sur mesure pour la chanteuse Josefa Hofer.<br />

Roche noire, diamants noirs, marbre noir, lys noir…<br />

Tels sont les éléments du décor de Bacchus de Jules Massenet, sur un poème de<br />

Catulle Mendès créé à l’Opéra de Paris le 5 mai 1909: «À droite, dans un creux<br />

de roche noire, se tient assise, immobile, parmi des cyprès bas, la Parque Clotho,<br />

couronnée de diamants noirs, vêtue d’un manteau sombre et informe. De l’autre<br />

côté, au premier plan, un trône étroit et haut, de marbre noir, incrusté de pierre-<br />

43


ies pâles, opales et saphirs, où, en étroite robe mauve, apparaît Perséphone, longue,<br />

fière et fine, hiératique, levant un lys noir dans sa main gauche. Sur l’un des bras<br />

du trône, une petite urne funéraire. Quand le rideau se lève, au loin, une désolée<br />

lamentation – des plaintes d’âmes qui n’en peuvent plus – s’élève universellement;<br />

c’est l’infini de la douleur sans espoir».<br />

Sérénade<br />

Composition vocale accompagnée par un ou plusieurs instruments ou purement<br />

instrumentale, destinée à être exécutée en plein air, durant la nuit, sous les fenêtres<br />

d’une personne afin de la séduire ou de l’honorer.<br />

Sonate «Clair de lune»<br />

Sonate de Ludwig van Beethoven en ut dièse mineur op. 27 N° 2, composée en<br />

1801 et publiée en 1802 dont l’appellation n’est pas du compositeur mais du poète<br />

allemand Ludwig Rellstab en 1832 qui voyait dans le premier mouvement de la<br />

sonate l’évocation d’une «barque au clair de lune sur le Lac des quatre Cantons».<br />

Soul music<br />

Musique populaire afro-américaine née à la fin des années 1950 et dérivée du gospel<br />

et du blues. Considérée par certains comme un retour au Rhythm and Blues aux<br />

racines dont il est issu, le gospel. Le terme soul apparaît pour la première fois dans<br />

les titres de deux albums de Ray Charles en 1961.<br />

Touche noire<br />

Planchette de bois d’ébène légèrement convexe sur la partie supérieure, fixée au<br />

manche des instruments à cordes pincées ou frottées, et sur laquelle l’instrumentiste<br />

appuie les doigts de la main gauche. Sur le piano, les touches noires qui correspondent<br />

aux notes de la gamme chromatique sont noires.<br />

Le Tumulte noir<br />

Titre d’un portfolio d’affiches qui a donné son nom au mouvement de danse et<br />

musique afro-américaine que Joséphine Baker a lancé à Paris. Publié en 1929, Le<br />

Tumulte noir contient une page de titre, quatre pages de texte incluant des dédicaces<br />

de Joséphine Baker et des lithographies de Colin.<br />

Vêpres<br />

L’origine des vêpres (du latin vesperae, soirs) provient de l’usage juif de la bénédiction<br />

de la lampe au coucher du soleil. Ce n’était qu’une simple action de grâces à<br />

laquelle furent bientôt ajoutés des psaumes, un hymne et une bénédiction.<br />

Verklärte Nacht (La Nuit transfigurée)<br />

Œuvre pour sextuor à cordes (op. 4) composée par Arnold Schönberg en 1899 et<br />

créée à Vienne en 1902, basée sur un poème du recueil Weib und Welt (La Femme<br />

et le monde) de Richard Dehmel décrivant la promenade nocturne d’un couple<br />

d’amoureux, marchant heureux sous la lune de cette nuit transfigurée. Inspirée par<br />

le romantisme tardif de Wagner et Brahms, certains enchaînements harmoniques<br />

évoquent les neuvièmes sans fondamentales de Tristan alors que d’autres passages<br />

sont déjà extrêmement dissonants.<br />

44


Out Of Step (With The World)<br />

Nonkonform, wie auch immer: Schwarz in der Popkultur<br />

Martin Büsser<br />

Pop wird gemeinhin mit grellen Farben assoziiert, gilt als bunt, lebensfroh, als eine<br />

Ansammlung starker Reize, die ganz der kapitalistischen Warenlogik folgt. Je bunter,<br />

desto attraktiver, weil verschwenderischer. 1 Mitten in der Psychedelic-Ära, als die<br />

Plattencover vor Farben nur so strotzten, hatten die Beatles ihr selbst betiteltes, von<br />

Richard Hamilton gestaltetes Doppelalbum auf den Markt gebracht, das als «White<br />

Album» (1968) in die Geschichte eingehen sollte. Die komplett weiße Außenhülle<br />

stellte einen radikalen Bruch mit der Überbietungs-Ästhetik damaliger Plattencover<br />

dar, der auch die Beatles noch mit «Sgt. Peppers» (1967) gefrönt hatten. Über die<br />

Sonderstellung des «White Album» ist bereits viel geschrieben worden. Der Kunsthistoriker<br />

Walter Grasskamp bringt in diesem Zusammenhang sogar Theodor W.<br />

Adorno mit ins Spiel, der seinen Verleger überzeugt hatte, seine Gesamtausgabe<br />

ganz in Weiß zu veröffentlichen, um «jeden Anflug von Warenästhetik zu vermeiden».<br />

2 Doch die Verweigerungshaltung kann auch als kommerzielles Kalkül betrachtet<br />

werden: Zwischen all den bunten Plattencovern stach kein Album dermaßen hervor<br />

wie dieses. Durch die völlige Abwesenheit jeglicher Pop-Ikonik hat das Cover des<br />

«White Albums» selbst zur Ikone werden können.<br />

Das «White Album» nimmt allerdings auch noch in anderer Hinsicht eine Sonderstellung<br />

ein: Es ist eines der wenigen Zeugnisse der Popgeschichte, bei dem sich<br />

Künstler mittels Weiß abgegrenzt haben. Viel gängiger ist es, den eigenen Außenseiter-Status,<br />

eine allgemeine Anti-Mainstream-Haltung, die Ablehnung des Warenförmigen<br />

oder auch nur ein diffuses Image der Nonkonformität mit Schwarz auszudrücken.<br />

Sei es durch monochrom schwarze Plattencover wie im Fall von AC/DC<br />

(«Back In Black», 1980), Metallica («The Black Album», 1991) oder Prince («The Black<br />

Album», 1994), dem Auftritt in schwarzer Kleidung oder durch Bandnamen, Plattenund<br />

Songtitel, die sich auf Schwarz beziehen. Obwohl Leidenschaft und Verausgabung<br />

im Pop eine wichtige Rolle spielen, tragen nur wenige Bands das mit Eros,<br />

Blut und Revolution assoziierte Rot im Namen (z.B. Simply Red, Red Alert, The<br />

Red Crayola, Red House Painters), während sich weitaus mehr Beispiele für ‹schwarze›<br />

Bands finden lassen, darunter Black Sabbath, Big Black, Black Flag, Godspeed You<br />

Black Emperor!, Black Dice, Black Mountain, Black Eyes, Black Lipstick, Black<br />

Rebel Motorcycle Club, The Black Crowes, Black Uhuru, Black Ox Orkestar, The<br />

Black Heart Procession, Black Sheep, Black Widow, Noir Désir, Tiefschwarz u.s.w.<br />

Dasselbe gilt für Albentitel wie «Black Aria» (Glenn Danzig, 1992), «Black Babies»<br />

(Devendra Banhart, 2003), «Black Album» (The Damned, 1980; Jay-Z, 2003),<br />

«Schwarz» (Böhse Onkelz, 1993), «Black Holes In The Sand» (Gravenhurst, 2004),<br />

«Man In Black» (Johnny Cash, 1971), «Black Monk Time» (The Monks, 1966),<br />

«Black Velvet» (Alannah Myles, 1989 / 2007), «Back To Black» (Amy Winehouse, 2006)<br />

usw. Dieses Faible für Schwarz zieht sich durch alle Genres, alleine die stilistische<br />

Bandbreite der hier genannten Künstler reicht von Punk bis Heavy Metal, von<br />

Country bis Reggae, von Folk bis Indie-Pop. Insofern ist es möglich, von einer<br />

Subgeschichte des Pop zu sprechen, die sich seit den 1950er Jahren unabhängig von<br />

allen Moden und stilistischen Entwicklungen immer wieder auf Schwarz bezogen<br />

und damit ein Negativ gegenüber dem affirmativen Pop-Mainstream zum Ausdruck<br />

gebracht hat. Schwarz ist dabei mit den unterschiedlichsten Bedeutungen wie Trauer,<br />

Wut, Coolness, Bohème, Verwegenheit, Gewaltbereitschaft, Dekadenz, Anarchie,<br />

1<br />

So verwundert es nicht,<br />

dass eine im Rahmen des<br />

Neuen Funkkollegs erschienene<br />

Einführung in die Popkultur<br />

den Titel «alles so<br />

schön bunt hier» trägt. Vgl.<br />

Peter Kemper (Hrsg.): alles<br />

so schön bunt hier. Die<br />

Geschichte der Popkultur von<br />

den Fünfzigern bis heute. –<br />

Stuttgart: Philipp Reclam jun.,<br />

1999<br />

2<br />

Walter Grasskamp: Das<br />

Cover von Sgt. Pepper. –<br />

Berlin: Wagenbach, 2004,<br />

S. 68<br />

Metallica: «The Black Album»<br />

(Vertigo / Universal 1991)<br />

45


Melancholie, Todessehnsucht, Satanismus, Romantik, Nihilismus oder Protest<br />

verknüpft worden.<br />

Cover der Single-CD-Reissue<br />

(ABKCO Records 1966 / 2007)<br />

Fennesz-Remix «Paint it<br />

Black» (Moikai / Mego 1999)<br />

3<br />

Coverversionen bzw.<br />

Remixes von «Paint it<br />

Black» gibt unter anderem<br />

von R.E.M., The Doors,<br />

U2, Blondie, Duran Duran,<br />

Deep Purple, Judas Priest,<br />

Metallica, Fennesz und sogar<br />

von Karel Gott («Schwarz<br />

und Rot»).<br />

Marlon Brando in der Rolle<br />

des Johnny Strabler, in:<br />

László Benedek: The Wild<br />

One (1953) (Filmstill,<br />

Columbia Pictures)<br />

4<br />

Vgl. «Das mit dem Tod<br />

verbundene Tabu.» In:<br />

Georges Bataille: Die Erotik.<br />

– München: Matthes & Seitz,<br />

1994, S. 41 ff.<br />

Asoziale Décadence<br />

«I see a red door and I want to paint it black», heißt es in «Paint It Black» (1966)<br />

der Rolling Stones: «No colors anymore / I want them to turn black.» Während die<br />

Beatles als die netten Jungs von nebenan galten, haftete den Rolling Stones zu<br />

diesem Zeitpunkt bereits ein verwegenes Image an. Ihre Musik und ihr Auftreten<br />

galten als rau, obszön und sexualisiert. Doch «Paint It Black» meint eigentlich das<br />

Gegenteil, thematisiert das Absterben sämtlicher Leidenschaft. Der Text, im Grunde<br />

ein Blues, erzählt von einem Mann, der nach dem Tod seiner Frau die ganze Welt<br />

in Schwarz hüllen möchte. Er erträgt es nicht mehr, Farbe, Glück und Schönheit<br />

zu sehen, möchte am liebsten erblinden: «I see the girls walk by dressed in their<br />

summer clothes / I have to turn my head until my darkness goes.» Das von zahlreichen<br />

Künstlern gecoverte Stück 3 ist durch und durch anti-libidinös. Es fällt nicht<br />

schwer, aus der hier geschilderten Depression und dem Wunsch, sämtliche sinnlichen<br />

Reize auszulöschen – allen voran das glühende Rot –, einen Hinweis auf<br />

Impotenz zu lesen. Die aufpeitschende, geradezu fordernde Musik sorgt jedoch für<br />

einen Kontrast, der die ganze, für Pop typische Dialektik im Umgang mit Schwarz<br />

zu Tage treten lässt: Der mit Schwarz verbundene Rückzug, die Panzerung gegenüber<br />

Emotion, dient gleichzeitig der Luststeigerung. Im Gegensatz zu lebensfrohen<br />

Popsongs, die ganz ohne Zwischentöne sofort auf den Punkt kommen und das<br />

Liebesglück auf dem Rücksitz beim Namen nennen, entfaltet «Paint It Black» eine<br />

laszive und zugleich auch sublime Erotik, die sich aus der Abwesenheit dessen<br />

ergibt, was die treibende Musik doch gleichzeitig einfordert. Schwarz ist hier sexy<br />

und stimulierend, weil es Leidenschaft von sich weist und diese dadurch umso<br />

reizvoller werden lässt.<br />

Seit Marlon Brandos Auftritt in «The Wild One» (1953) ist die schwarze Lederjacke<br />

nicht nur zum popkulturellen Symbol für Halbstarke, Rocker und Rebellen geworden,<br />

sondern auch zum Sexsymbol. Hierbei handelt es sich um eine ähnliche Dialektik<br />

wie im Fall von «Paint It Black»: Derjenige, der dieses Kleidungsstück trägt, gibt<br />

sich als cool, schroff und abweisend zu erkennen und schöpft gerade daraus seine<br />

sexuelle Anziehungskraft. Weil das abweisende Schwarz keinerlei Intimität und<br />

Einfühlungsvermögen verspricht, also konventionellen Vorstellungen von Liebe und<br />

Beziehung entgegen läuft, hält es das sexuell aufgeladene Versprechen von Ausbruch,<br />

Zügellosigkeit und Grenzüberschreitung bereit. Schwarz verkörpert seither alle<br />

Spielarten nicht normativer Sexualität, die vom Modell der Ehe und Kleinfamilie<br />

abweichen und erhielt als subversiver Ausdruck reinen Begehrens schon früh Einzug<br />

in die schwule Lederszene.<br />

Keine Band hat diesen sexuellen Subtext von Schwarz so deutlich zum Ausdruck<br />

gebracht wie The Velvet Underground. Während die Hippies an der Westküste<br />

Marihuana rauchten, mit LSD experimentierten und voller Optimismus den Aufbruch<br />

in ein neues Zeitalter feierten, wirkten die ganz in Schwarz gekleideten, mit<br />

schwarzen Sonnenbrillen auftretenden Velvet Underground aus New York wie die<br />

Ankunft der apokalyptischen Reiter. Sie waren der Inbegriff von cool und verkörperten<br />

gleichzeitig größtmögliche Dekadenz – Fin de siècle statt «Age of Aquarius».<br />

Mit tiefer, erotischer Stimme beschwor Lou Reed sadomasochistische Praktiken<br />

(«Venus in Furs»), Straßenstrich und Heroinabhängigkeit («Waiting for the Man»),<br />

jenes Zusammenspiel von Eros und Tod, das für George Bataille den menschlichen<br />

Urquell allen tabuisierten Begehrens darstellt. 4 Schwarz ist bei The Velvet Underground<br />

unmittelbar mit der Selbststilisierung als Bohemiens verbunden, die den<br />

Exzess als Umkehrung sämtlicher gesellschaftlicher Wertvorstellungen zelebrieren<br />

und Licht bzw. Erleuchtung nur aus einem Lebensentwurf ziehen können, der alle<br />

Regeln auf den Kopf stellt: «White wine in the morning, breakfast at night / I’m<br />

beginning to see the light.» Teil dieser Umwertung aller Werte, die an jene «schwarze<br />

Religion» erinnert, welche zwei bis drei Jahrzehnte später eine zentrale Rolle in<br />

den Extremspielarten des Heavy Metal einnehmen sollte, ist das Fehlen jeglicher<br />

46


sozialen Anteilnahme. Die Sonnenbrillen und der mittels Gitarren-Feedback erzeugte<br />

Wall of noise dienten Velvet Underground als Schutzwall gegenüber dem Publikum.<br />

«Der Wunsch nach gesellschaftlichem Umgang geht während des Heroin- und Morphiumrausches<br />

gegen Null», schreibt Ulf Poschardt in seiner Analyse von «Cool».<br />

«Die Verachtung der Kiffer und ihrer warmen, sozialen Art teilen alle Junkies.» 5<br />

Musik, Texte und Auftreten von The Velvet Underground, die diese Junkie-Ästhetik<br />

wie kaum eine andere Band verkörpert haben, vermitteln größtmögliche Distanz,<br />

lassen jegliches Wir-Gefühl im Keim ersticken und propagieren rein asoziale, selbstsüchtige<br />

Lust, die signalisiert: Ich will meinen Spaß, ich will mich verzehren – lass<br />

mich allein! Jahre später findet sich eine ähnliche Haltung bei der ‹schwarzen› Punkband<br />

Black Flag wieder: «I’ve got a Six Pack and nothing to do / I’ve got a Six Pack<br />

and I don’t need you!», heißt es in deren Song «Six Pack» (1981).<br />

5<br />

Ulf Poschardt: Cool. –<br />

Hamburg: Rogner &<br />

Bernhard, 2000, S. 75<br />

Archaik und Apokalypse<br />

Man muss sich jedoch stets vor Augen halten, dass die Selbststilisierung ‹schwarzer›<br />

Bands als asozial, nihilistisch und gefährlich meist Teil einer Als-ob-Inszenierung<br />

ist, die hohes Identifikationspotential besitzt. Nahezu jeder, so die Legende, der<br />

The Velvet Underground Mitte der 1960er Jahre live gesehen hat, sollte kurz darauf<br />

selbst eine Band gründen. Die schwarze Kleidung war elitär und demokratisch<br />

zugleich. In dem Maße, in dem Schwarz eine einfache Möglichkeit darstellt, sich<br />

unabhängig von jeweiligen Moden zu kleiden, signalisieren schwarz gekleidete<br />

Musiker, dass es keines großen Aufwands bedarf, sich als Teil einer verschworenen<br />

Gemeinde zu erkennen zu geben. Mit Ausnahme des Heavy Metal, in dem musikalische<br />

Virtuosität eine wichtige Rolle spielt und Schwarz vor allem wegen seiner<br />

antichristlichen Implikationen verwendet wird, bevorzugen die meisten ‹schwarzen›<br />

Musiker eine vergleichsweise einfache Musik. Allen voran die Monks, eine Gruppe<br />

von in Deutschland stationierten GIs, die Mitte der 1960er-Jahre in schwarzen<br />

Mönchskutten auftraten und ihre auf «Black Monk Time» (1966) verewigten Stücke<br />

oft nur auf einem einzigen Akkord aufbauten. Die Musik sollte so archaisch wie<br />

die Kleidung wirken – dies gilt auch noch für Black Sabbath, eine der ersten Metal-<br />

Bands überhaupt, deren langsame, bohrende, auf Bluesstrukturen aufbauende<br />

Gitarrenriffs noch weit von der späteren Griffbrett-Akrobatik des Metal entfernt<br />

waren. Bei The Velvet Underground wie auch bei späteren Punk-, Wave- und Industrial-Bands,<br />

die Schwarz als Kleidung und Ästhetik bevorzugten, ging der Hang<br />

zum Primitivismus Hand in Hand mit einem antivirtuosen Gestus, der dafür sorgte,<br />

dass diese Musik viele Nachahmer fand.<br />

Wer Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger schwarz gekleidet war, brachte nicht<br />

zuletzt auch eine politische Haltung zum Ausdruck. Es war die Zeit, wie es der<br />

Journalist Frank Apunkt Schneider ausdrückte, «als die Welt noch unterging». 6<br />

Vor dem Hintergrund des atomaren Wettrüstens stimmten Punk, New Wave und<br />

Industrial einen Tanz auf dem Vulkan an, der den Untergang affirmierte: Wenn es<br />

schon keine Zukunft mehr für die Menschheit gibt, lautete die Devise, dann sollte<br />

das Ende wenigstens möglichst intensiv gefeiert werden. Die Rede ist nicht von Party-<br />

Hedonismus, sondern von einer subkulturellen Frechheit und Radikalität, die sich<br />

keine Gedanken mehr um die Folgen ihres Handelns machen musste. Diese Subkulturen<br />

«bezogen Angst und Kraft aus dem Untergang, da er von moralischen<br />

Übereinkünften entband […]. Die Sinnlosigkeit, die Punk und New Wave zelebrierten,<br />

kappte den Dialog mit der moralisierenden Diskussionskultur.» 7 Damals verkündete<br />

der hagere, ganz in Schwarz gekleidete Blixa Bargeld, Sänger der Einstürzenden<br />

Neubauten: «Für mich ist jetzt Untergangszeit, die Endzeit – endgültig.<br />

Das läuft noch drei oder vier Jahre, dann ist’s vorbei.» 8 In Abgrenzung zur Friedensbewegung<br />

bezogen sich die ‹schwarzen› Subkulturen geradezu hymnisch auf die<br />

moderne Industriekultur und priesen all das, was der traditionellen Linken als Ausdruck<br />

von Entfremdung galt: «Ich steh auf Viren, ich steh auf Zerfall», sangen die<br />

Einstürzenden Neubauten, «Zurück zum Beton / Hier ist der Mensch noch Mensch»,<br />

propagierten S.Y.P.H. aus Düsseldorf. Dieser so genannten Scheinaffirmation diente<br />

Schwarz nicht mehr vordergründig als Ausdruck von Rebellion – auch wenn es<br />

eindeutig gegen die Kleidung der Ökos gerichtet war –, sondern war bereits Ausdruck<br />

6<br />

Frank Apunkt Schneider: Als<br />

die Welt noch unterging. Von<br />

Punk zu NDW. – Mainz: Ventil<br />

Verlag, 2007<br />

7<br />

Frank Apunkt Schneider,<br />

a.a.O., S. 8<br />

8<br />

M.O.C. Döpfner, Thomas<br />

Grams: Neue deutsche<br />

Welle. Kunst oder Mode? –<br />

Frankfurt / Main: Ullstein,<br />

1984, S. 202<br />

47


von Trauer. Wie Gäste ihrer eigenen Beerdigung zogen die schwarzen Bohemiens<br />

der frühen Achtziger durch die Städte, bevorzugt nachts, wenn es auch draußen<br />

dunkel war: «Unsere Irrfahrten zerstören die Städte, und nächtliches Wandern<br />

macht sie dem Erdboden gleich», heißt es auf «Kollaps» (1981) der Einstürzenden<br />

Neubauten. Anleihen an die Horror-Ästhetik, an Vampire, Werwölfe und Zombies,<br />

waren beabsichtigt, sollten innerhalb der Gothic-Szene allerdings schnell zur reinen<br />

Pose erstarren und alle Dringlichkeit einbüßen.<br />

Johnny Cash (Look Magazine,<br />

29.04.1969 / Library of Congress<br />

lmc1998005787/PP)<br />

Auch Johnny Cash trug seit Beginn der Siebziger nur noch schwarze Kleidung als<br />

Ausdruck von Trauer. In seinem Song «The Man In Black» begründet er diese Entscheidung:<br />

«I wear the black for the poor and the beaten down / livin’ in the hopeless,<br />

hungry side of town.» Im Gegensatz zu den Apokalyptikern des Punk war die Trauerkleidung<br />

hier Ausdruck des sozialen Engagements, sollte also das genaue Gegenteil<br />

ausdrücken, nämlich für eine gerechtere Welt aufrufen. Doch ganz gleich, ob Schwarz<br />

gewählt wurde, um sich in den Ruinen einer als deformiert empfundenen Welt einzurichten<br />

oder gegen sie anzukämpfen – Schwarz setzt immer schon das Bewusstsein<br />

dieser Deformation voraus.<br />

Schwarze Eliten<br />

Mit der «Schwarzen Szene» – ein Begriff, der die verschiedenen Gruppierungen<br />

rund um Gothic, Dark Wave und Post-Industrial zusammenfasst – und Black Metal<br />

sind in den achtziger Jahren zwei Bewegungen entstanden, die sich unmittelbar auf<br />

Schwarz beziehen und sich auf je eigene Weise als elitäre Gemeinschaft verstehen.<br />

Die «Schwarze Szene» hat eigene auflagenstarke Zeitschriften wie Zillo und Orkus<br />

hervorgebracht, in denen regelmäßig über Bands wie Das Ich, Goethes Erben,<br />

Death In June, Lacrimosa und Christian Death berichtet wird, denen außerhalb<br />

der Szene so gut wie keine Beachtung geschenkt wird – die Musik gilt gemeinhin<br />

als manieriert und pathetisch. Es handelt sich daher um ein Paralleluniversum, das<br />

in der allgemeinen medialen Berichterstattung höchstens als soziologisches Phänomen<br />

vorkommt, nicht zuletzt, weil sich in der «Schwarzen Szene» auch rechte<br />

Tendenzen abgezeichnet haben. Ein Teil der Szene, darunter die Initiative «Grufties<br />

gegen rechts», sieht sich daher gezwungen, massive Aufklärungsarbeit gegen solche<br />

«schwarzen Schafe» zu betreiben. Bevorzugt in schwarzem Lack und Leder gekleidet,<br />

wobei weiß geschminkte Gesichter das Schwarz noch zusätzlich betonen und für<br />

den entsprechenden Nosferatu-Effekt sorgen, frönen die meisten Grufties einer<br />

morbiden, Schauerromanen entlehnten Ästhetik, die sich herkömmlichen Kategorien<br />

von ‹links› und ‹rechts› erst einmal entzieht. Vielmehr handelt es sich um einen<br />

Eskapismus, der sich an der Dichtung von Novalis und mittelalterlichen Sakralbauten<br />

erfreut und letztlich um die einfache Tatsache kreist, dass der Tod der Herr<br />

aller Dinge ist – in gewisser Hinsicht eine popkulturell zugespitzte Wiederkehr der<br />

Existenzialisten, die ebenfalls bevorzugt schwarze Kleidung getragen hatten.<br />

F.W. Murnau: Nosferatu –<br />

Eine Symphonie des Grauens<br />

(1922) (Filmstill, Friedrich<br />

Wilhelm Murnau Stiftung)<br />

9<br />

Vgl. Andreas Speit (Hrsg.):<br />

Ästhetische Mobilmachung.<br />

Dark Wave, Neofolk und<br />

Industrial im Spannungsfeld<br />

rechter Ideologien. –<br />

Hamburg / Münster:<br />

Unrast Verlag, 2002<br />

Die Szene ist zu heterogen, um sie in wenigen Sätzen charakterisieren zu können.<br />

Der Hang zum Elitären, zur Romantik und die rückwärts gewandte Idealisierung<br />

des Mittelalters sowie heidnischer Rituale erklärt allerdings, warum Teile davon<br />

für rechte Weltbilder anfällig sind. Besonders umstritten ist das Subgenre des<br />

«Apocalyptic Folk» von Bands wie Death In June, Blood Axis oder Sol Invictus,<br />

deren Untergangsstimmung dezidiert antimodernistische Züge trägt: Die westliche<br />

Zivilisation, allen voran die «imperialistische Kultur» der USA, gilt als dekadent<br />

und dem Untergang geweiht; dem gegenüber verstehen sich diese Apokalyptiker –<br />

anders als die fröhlich zynischen Nihilisten des Punk – als Bewahrer alter Rituale,<br />

fungieren als Druiden oder Schamanen auf der Suche nach kultureller «Reinheit».<br />

Als Vordenker werden unter anderem Friedrich Nietzsche, Oswald Spengler und<br />

Ernst Jünger zitiert.<br />

Während Kritiker in diesem Zusammenhang vor allem von einer «ästhetischen<br />

Mobilmachung» 9 sprechen, geriet die Black-Metal-Szene in den 1990er Jahren aufgrund<br />

handfester Gewalttaten in die Schlagzeilen. Die Extremspielart des Heavy<br />

Metal, Ende der Achtziger in Skandinavien entstanden, speist sich ideologisch aus<br />

48


einer Mischung aus Satanismus und der Vorstellung, Teil einer nordischen Herrenrasse<br />

zu sein. Black-Metal-Anhänger setzten in Norwegen Kirchen in Brand, ein<br />

Musiker der Band Emperor tötete einen Homosexuellen, der Sänger der Band<br />

Burzum ermordete einen Kollegen unter dem Vorwand, er sei Kommunist. Mit<br />

ihren für Außenstehende unleserlichen Schriftzügen auf schwarzen Plattencovern<br />

und akustisch kaum verständlichen, gekrächzten oder keifend geschrienen Songtexten,<br />

die Tod und Zerstörung als menschlichen Urtrieb feierten, stilisiert sich die<br />

Black-Metal-Szene als Inkarnation des Bösen, wofür ihr jeder tabuisierte Anknüpfungspunkt<br />

von Aleister Crowley bis Adolf Hitler nur gelegen kommt. 10 Schwarz<br />

steht hier für Satan, die Allmacht des Bösen und die anarchische Lust an der Zerstörung<br />

allen Lebens. Grotesk an dieser Kriegserklärung an christliche Moralvorstellungen<br />

ist allerdings, dass die Black-Metal-Protagonisten ihren Hass gegen genau<br />

jene Personengruppen richten, mit denen auch die Kirche hadert – Linke und Schwule.<br />

Spätestens hier hat das popkulturelle Spiel mit Schwarz seine Unschuld verloren.<br />

Die symbolisch vollzogene Grenzüberschreitung, die von Velvet Underground<br />

einmal als Freiheitserfahrung gedacht war, ist einem rigiden Regelsystem gewichen,<br />

das sich den Tabubruch nur noch in Form faschistischer Gewaltherrschaft vorstellen<br />

kann. Die demokratische Idee von Schwarz hat sich ins Totalitäre gewandt.<br />

10<br />

Auch an dieser Stelle muss<br />

vor Verallgemeinerungen<br />

gewarnt werden: Der Befund<br />

bezieht sich vor allem auf die<br />

skandinavischen Black-Metal-<br />

Vorreiter der 1990er Jahre;<br />

das Genre existiert bis heute<br />

und hat auch zahlreiche<br />

Gruppen hervorgebracht,<br />

die sich von rechten und<br />

diskriminierenden Tendenzen<br />

distanzieren.<br />

Es wäre fahrlässig, von nur einer Entwicklungslinie zu sprechen, die Schwarz innerhalb<br />

der Popgeschichte mitsamt ihren subkulturellen Verästelungen genommen hat.<br />

So viel steht fest: Schwarz markiert fast immer ein Extrem – welches, ist jedoch vom<br />

jeweiligen Kontext abhängig. Ganz gleich, ob Schwulen- oder SM-Szene, autonome<br />

Linke, Anarchisten oder rechter Elitetrupp – unterschiedlichste Interessengemeinschaften<br />

nutzen Schwarz als Ausdruck der Abgrenzung. Diese Abgrenzung muss<br />

nicht notwendig destruktive Züge tragen, wie die Hardcore-Band Minor Threath<br />

mit ihrem Album «Out Of Step» (1983) gezeigt hatte: «Don’t smoke / don’t drink /<br />

don’t fuck», heißt es in dem Song «Out Of Step (With The World)», mit dem die<br />

Band zur Enthaltsamkeit gegenüber Drogen und Sex aufruft. Sie reagierte damit<br />

auf selbstzerstörerische und hedonistische Tendenzen innerhalb der Punkszene.<br />

Auf dem Cover ist ein schwarzes Schaf zu sehen, das inmitten der weißen Schafe<br />

aus der Reihe tanzt. In diesem Fall meinte Schwarz, was nur ganz selten damit<br />

assoziiert wird – ein gesundes, bewusstes Leben zu führen.<br />

Mit Bedeutung aufgeladen ist Schwarz selbst dort, wo all jene Konnotationen vermieden<br />

werden sollten, die bislang in diesem Text angesprochen wurden. Die rein<br />

schwarzen Plattenhüllen im Techno, die keinerlei Informationen über den Künstler<br />

enthalten, streben eine ganz eigene Form der Uniformität an. Der einzelne Künstler<br />

soll nicht mehr im Mittelpunkt stehen, sondern möchte als Teil einer großen Gemeinschaft<br />

gesehen werden. Die einheitlich schwarzen Cover unterstreichen diesen<br />

Wunsch nach Anonymität. Das Schwarz der Techno-Maxis erinnert an das «White<br />

Album» der Beatles, mit dem Unterschied jedoch, dass die schwarze Maxi im Plattenladen<br />

nicht mehr als Besonderheit ins Auge sticht, sondern der ganze Laden aus<br />

solchen Hüllen besteht. Schwarz ist nicht mehr Ausdruck von Exklusivität oder<br />

Abgrenzung gegenüber dem Mainstream, sondern fester Bestandteil einer auf größtmögliche<br />

Abstraktion zielenden Musikkultur. Blickt man zurück auf die zahlreichen<br />

Bedeutungen, die Schwarz seit Beginn der Moderne zugewiesen wurden, so ist<br />

Schwarz hier wieder ‹zu sich selbst› gekommen, sagt in seiner formalen Strenge nicht<br />

mehr und nicht weniger aus als das «Schwarze Quadrat» von Malewitsch.<br />

49


Schwarz: Die Farbe des Ausstiegs aus<br />

der Farbe<br />

Karl Schawelka<br />

Abb. 1<br />

Juliette Gréco ca. um 1960<br />

(Quelle: offizielle Website)<br />

1.<br />

Bei einem internationalen Farbkongress in Oslo vor wenigen Jahren gab es ein<br />

Podium mit herausragenden Experten aus allen Ländern. Sie waren, als hätten sie<br />

sich abgesprochen, sämtlich von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, was beim<br />

Publikum zu einer gewissen Erheiterung führte: gerade von jenen wird ostentative<br />

Farbverneinung und Farbverzicht zelebriert, die ihr Leben der Erforschung der Farbe<br />

gewidmet haben und imstande sind, so beredt von ihrer segensreichen Wirkung<br />

zu berichten. Keine Frage, auch Farbforscher sind zunächst einmal Angehörige der<br />

Intelligentsia und wollen als solche gesehen und akzeptiert werden. Sie gehorchen<br />

dem Dresscode, der für ihresgleichen gilt. Inzwischen konnte ich auf diversen Fakultätsratssitzungen<br />

und Rektorenkonferenzen der Kunsthochschulen den herrschenden<br />

Gruppenzwang bei der Kleiderfarbe studieren. Erlaubt ist jede Farbe, sofern es sich<br />

um Schwarz handelt. Selbst der Farbcode für eine Trauergemeinde wird inzwischen<br />

laxer gehandhabt als der bei Auftritten Intellektueller in der Öffentlichkeit. Für Intellektuelle<br />

also, zumindest solche aus dem Kulturbereich – bei Naturwissenschaftlern<br />

verhält es sich etwas anders – ist Schwarz de rigueur. Heiner Müller, Karl Lagerfeld,<br />

Till Brönner, die Liste ist schier unerschöpflich. Kein Wunder, dass ein verbreitetes<br />

Handbuch für Kuratoren den Titel trägt: Men in Black. Gemeinhin führt<br />

man diese Mode auf die Existenzialisten der Nachkriegszeit zurück – unvergessen<br />

Juliette Greco in ihren schwarzen Pulli (Abb. 1) – die eben existenzielle Fragen in<br />

einer düsteren, schwermütigen Zeit stellten und sich bevorzugt in Kellerlokalen aufhielten.<br />

Allerdings ist die Vorliebe für Schwarz bei Intellektuellen weit älteren Ursprungs<br />

und lässt sich auf alle Fälle bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts<br />

zurückverfolgen. Das Schwarz der Dandys und das Schwarz der Kleriker, die wohl<br />

beide formativen Einfluss auf das elitäre Schwarz der Intellektuellen hatten, reichen<br />

ebenso wie die Selbstdarstellungen der Humanisten sogar noch weiter zurück. Auch<br />

dauert der Trend ungebrochen bis in die Gegenwart an, wobei natürlich Phasen wie<br />

die 1990er Jahre, wo er besonders virulent war, ausgemacht werden können. Die<br />

Hartnäckigkeit dieses Trends, an der selbst die Brillen à la Le Corbusier teilhaben,<br />

bildet das eigentlich zu Erklärende.<br />

Der Zeitgeist allein reicht zur Erklärung also nicht aus. Was hat Schwarz an sich,<br />

dass es sich anbietet, in der erwähnten Weise verwendet zu werden? Muss man aber<br />

nicht, wenn auch Rocker, Punks und Gruftis, Kleriker, Anarchisten, etablierte puritanische<br />

Bürger, Dandys, von Mussolinis Schwarzhemden und der SS zu schweigen,<br />

sich bevorzugt Schwarz kleiden oder gekleidet haben, den Schluss ziehen, dass<br />

Schwarz keine eigene Bedeutung hat, sondern jede Bedeutung je nach Kontext annimmt<br />

und man von Seiten der Farbforschung wenig Relevantes zur Analyse der<br />

Verwendung von Farbe in pragmatischen Zusammenhängen beitragen kann? Dem<br />

widerspricht aber – neben der erwähnten Nachhaltigkeit – dass gerade Schwarz<br />

und nur Schwarz als Zeichen einer radikalen Abgrenzung gegenüber der Mehrheit<br />

herangezogen wird. In den Kulturwissenschaften wird Kleidung gern – und gerade<br />

aufgrund der beschriebenen Vielfalt – als eine Art Sprache behandelt und auch<br />

die Bedeutung der Farben im Sinne linguistischer Modelle bestimmt. Mir scheint<br />

jedoch dieser Ansatz inzwischen nicht mehr sonderlich ergiebig, wenn nicht verfehlt<br />

zu sein, da er die wahrnehmungspsychologischen Gegebenheiten zu wenig berück-<br />

50

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