Arbeitsbelastung - Lehrerinnen und Lehrer Bern LEBE

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05.11.2013 Aufrufe

dossier schulpraxis 7 zugenommen. Selektionsentscheide der Schule werden oft angefochten. Es gibt Fälle, wo Eltern eines nicht beförderten Schülers die Lehrperson mit einem Verfahren belasten. Die betroffene Lehrkraft hat möglicherweise juristische Unterstützung vom Berufsverband. Für ein mentales Coaching oder psychologische Entlastung fehlen der Schule häufig die Fachleute. Reformen und Veränderungen Viele befragte LehrerInnen klagten über die vielen Reformen, die in immer kürzeren Abständen ihren gewohnten Schulalltag verändern. «Ganz allgemein wünschen sich die Lehrpersonen eine Reduktion sowohl des Tempos als auch der Menge an Reformen» (Thurgauer Studie; Kap. 3.4.4.). Reformen sind zweifellos notwendig. Offenbar gibt es aber Bereiche, wo der Reformeifer an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei zielt. Ein Teil der Befragten gab zudem an, das Ziel vieler Reformen nicht zu verstehen. 3.1.4. Fazit Natürlich erleben alle LehrerInnen die unterschiedlichen Belastungen individuell anders. Übereinstimmend wurden aber in allen Untersuchungen folgende Faktoren genannt: • Verhalten schwieriger SchülerInnen • grosse Klassen, hohe Schülerzahlen an der Schule • Pensenumfang, Verwaltungsaufwand Dabei wurden die drei wichtigsten Belastungsquellen wie folgt differenziert: • Am stärksten fühlen sich LehrerInnen der Realschule belastet; • «ausserunterrichtliches» (Erwartungen der Eltern und Gesellschaft) belastet stärker als «innerunterrichtliches» (Erwartungen der Schüler- Innen, wachsende Stoffmenge); • grösste Belastung im Unterricht ist negatives Verhalten der SchülerInnen. Psychische und psychosoziale Beschwerden werden im Rahmen des Arbeitsschutzes noch nicht anerkannt. Rechtliche Folgen haben sie erst, wenn eine – vorübergehende oder endgültige – Krankschreibung erfolgt. 3.2. Wie sich die Belastungen auswirken Die gesundheitlichen Beschwerden und Beeinträchtigungen, die LehrerInnen aufgrund der dargestellten Belastungen beklagen, sind sehr vielfältig. Wie Uwe Schaarschmidt in seinen Untersuchungen zeigt, signalisieren die befragten rund 8000 deutsche Lehrkräfte eine ganze Fülle von Beschwerden, die zwar nicht jeden gleichermassen treffen, die aber gleichwohl nicht wenigen Lehrpersonen an die Substanz gehen. Folgende Hauptbeschwerden kristallisieren sich heraus (Schaarschmidt, 2004, S. 53): Abgespanntheit, Übermüdung; Schmerzen im Nacken, Schultern und Rücken; Vergesslichkeit, Lustlosigkeit und Überforderungserleben bis hin zu Nervosität; Konzentrationsschwäche, Stimmungsschwankungen, Grübelei; Durchschlafprobleme und Zerstreutheit; depressive Verstimmung, Depression. Interessant ist, dass die Höhe der Beschwerden bei Frauen in allen Punkten über denen der Männer liegt. Frauen haben in Schaarschmidts Studie mit den skizzierten Belastungsfaktoren offenbar besonders zu kämpfen. Alle diesem Dossier zugrunde liegenden Studien aus der Schweiz und aus Deutschland lassen den Schluss zu, dass rund 60% der deutschen und rund die Hälfte der schweizerischen Lehrkräfte mit erheblichen gesundheitlichen Problemen belastet sind. Psychische und psychosoziale Beschwerden stehen L E H R E R I N N E N U N D L E H R E R B E R N E n s e i g n a n t e s e t e n s e i g n a n t s B e r n E

dossier schulpraxis 8 Rückzug aus dem Berufsalltag, wenn die Belastungsgrenze erreicht ist. dabei im Vordergrund. Noch werden diese Symptome im Rahmen des Arbeitsschutzes nicht anerkannt. Arbeitsrechtliche Folgen haben sie erst, wenn eine – vorübergehende oder endgültige – Krankschreibung erfolgt. Hier besteht also dringender Handlungsbedarf. Zieht man die Zahlen der zitierten Studie aus Nordrhein-Westphalen heran, schieden 50% der LehrerInnen wegen solcher berufsbezogener Belastungsfaktoren vorzeitig aus dem Dienst aus. Die entsprechenden Zahlen für den Kanton Bern werden seit kurzem von der BLVK nicht mehr herausgegeben. In der Bremer Schulstudie (Berndt, 2004) wurden rund 180 LehrerInnen an fünf Bremer Schulen eine bis zwei Wochen lang in ihrem Arbeitsalltag begleitet. Die Untersuchungsergebnisse zeigen vor allem eines: Die Mehrheit der LehrerInnen leidet unter körperlichen und seelischen Belastungsfolgen und ist gesundheitlich beeinträchtigt. Auffällig ist der geringe Erholungswert von Unterrichtspausen, so dass die psychophysische Leistungsfähigkeit der LehrerInnen im Laufe des Tages erheblich abnimmt. Bei der Mehrzahl der Testpersonen treten dauernde gesundheitliche Schwierigkeiten auf, wie Ernährungsstörungen, Beschwerden im Bewegungsapparat oder Kreislaufprobleme. Hinzu kommen psychische Probleme, wie erhöhte Reizbarkeit, Schlafstörungen und verminderte Konzentrationsfähigkeit. Bei vielen Lehrkräften summieren sich diese Probleme zum Burnout-Syndrom, unter dem etliche LehrerInnen so stark leiden, dass sie vor dem Eintritt ins Rentenalter arbeitsunfähig sind. Druck und unberechtigte Kritik – auch von offizieller Seite – sind ungeeignete Mittel, die berufliche Leistung von LehrerInnen zu verbessern. Gute pädagogische Arbeit setzt gute Arbeitsbedingungen voraus, die nach den Ergebnissen der vorgestellten Studien in vielen Details verbesserungsfähig sind (z.B. die Organisation des Schultages, des Schuljahres und des Arbeitslebens, der Gesundheitsvorsorge, der Weiterbildung). Was geschieht, wenn die Belastungsgrenze erreicht ist? Kann es hingenommen werden, dass in einem für Erziehung und Bildung so zentralen Beruf die Mehrzahl der Angestellten das reguläre Pensionsalter nicht erreicht? Zwar hat jede Lehrerin und jeder Lehrer individuelle Bewältigungsstrategien. Das ändert aber nichts an den Belastungen an sich. Ausserdem kann Selbsthilfe allein nicht die Antwort auf ein gesellschaftliches Problem sein. Hier sind neben den Betroffenen selbst die organisierte Lehrerschaft sowie allen voran der Arbeitgeber gefordert. 4. Erkenntnisse, Folgerungen für die Praxis Die hier zitierten Untersuchungen münden in Folgerungen, die auf eine Verbesserung der beruflichen Situation von LehrerInnen ausgerichtet sind. Erstens, wie die Betroffenen selbst dem berufsbedingten Verschleiss entgegenwirken können. Zweitens verlangen die Studien (erneut) nach bildungspolitischen Reformen. Soweit die Ursachen für das Burnout-Syndrom jetzt besser bekannt sind, sollten sie beseitigt werden: sowohl durch die LehrerInnen bzw. das Kollegium als auch durch Massnahmen von Seiten des Arbeitgebers. Dieser ist letztlich für den Schutz seiner Angestellten vor berufstypischen Krankheiten und Unfällen zuständig. Die Folgerungen lassen sich grundsätzlich in zwei Gruppen einteilen: L E H R E R I N N E N U N D L E H R E R B E R N E n s e i g n a n t e s e t e n s e i g n a n t s B e r n E

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zugenommen. Selektionsentscheide der Schule werden oft angefochten. Es<br />

gibt Fälle, wo Eltern eines nicht beförderten Schülers die Lehrperson mit einem<br />

Verfahren belasten. Die betroffene Lehrkraft hat möglicherweise juristische<br />

Unterstützung vom Berufsverband. Für ein mentales Coaching oder psychologische<br />

Entlastung fehlen der Schule häufig die Fachleute.<br />

Reformen <strong>und</strong> Veränderungen<br />

Viele befragte <strong>Lehrer</strong>Innen klagten über die vielen Reformen, die in immer<br />

kürzeren Abständen ihren gewohnten Schulalltag verändern. «Ganz allgemein<br />

wünschen sich die Lehrpersonen eine Reduktion sowohl des Tempos als auch<br />

der Menge an Reformen» (Thurgauer Studie; Kap. 3.4.4.). Reformen sind zweifellos<br />

notwendig. Offenbar gibt es aber Bereiche, wo der Reformeifer an den<br />

Bedürfnissen der Betroffenen vorbei zielt. Ein Teil der Befragten gab zudem<br />

an, das Ziel vieler Reformen nicht zu verstehen.<br />

3.1.4. Fazit<br />

Natürlich erleben alle <strong>Lehrer</strong>Innen die unterschiedlichen Belastungen individuell<br />

anders. Übereinstimmend wurden aber in allen Untersuchungen folgende<br />

Faktoren genannt:<br />

• Verhalten schwieriger SchülerInnen<br />

• grosse Klassen, hohe Schülerzahlen an der Schule<br />

• Pensenumfang, Verwaltungsaufwand<br />

Dabei wurden die drei wichtigsten Belastungsquellen wie folgt differenziert:<br />

• Am stärksten fühlen sich <strong>Lehrer</strong>Innen der Realschule belastet;<br />

• «ausserunterrichtliches» (Erwartungen der Eltern <strong>und</strong> Gesellschaft)<br />

belastet stärker als «innerunterrichtliches» (Erwartungen der Schüler-<br />

Innen, wachsende Stoffmenge);<br />

• grösste Belastung im Unterricht ist negatives Verhalten der SchülerInnen.<br />

Psychische <strong>und</strong> psychosoziale Beschwerden<br />

werden im Rahmen des Arbeitsschutzes noch<br />

nicht anerkannt. Rechtliche Folgen haben<br />

sie erst, wenn eine – vorübergehende oder<br />

endgültige – Krankschreibung erfolgt.<br />

3.2. Wie sich die Belastungen auswirken<br />

Die ges<strong>und</strong>heitlichen Beschwerden <strong>und</strong> Beeinträchtigungen, die <strong>Lehrer</strong>Innen<br />

aufgr<strong>und</strong> der dargestellten Belastungen beklagen, sind sehr<br />

vielfältig. Wie Uwe Schaarschmidt in seinen Untersuchungen zeigt, signalisieren<br />

die befragten r<strong>und</strong> 8000 deutsche Lehrkräfte eine ganze Fülle<br />

von Beschwerden, die zwar nicht jeden gleichermassen treffen, die aber<br />

gleichwohl nicht wenigen Lehrpersonen an die Substanz gehen. Folgende<br />

Hauptbeschwerden kristallisieren sich heraus (Schaarschmidt, 2004, S.<br />

53): Abgespanntheit, Übermüdung; Schmerzen im Nacken, Schultern<br />

<strong>und</strong> Rücken; Vergesslichkeit, Lustlosigkeit <strong>und</strong> Überforderungserleben<br />

bis hin zu Nervosität; Konzentrationsschwäche, Stimmungsschwankungen,<br />

Grübelei; Durchschlafprobleme <strong>und</strong> Zerstreutheit; depressive Verstimmung,<br />

Depression. Interessant ist, dass die Höhe der Beschwerden bei Frauen in allen<br />

Punkten über denen der Männer liegt. Frauen haben in Schaarschmidts Studie<br />

mit den skizzierten Belastungsfaktoren offenbar besonders zu kämpfen.<br />

Alle diesem Dossier zugr<strong>und</strong>e liegenden Studien aus der Schweiz <strong>und</strong> aus<br />

Deutschland lassen den Schluss zu, dass r<strong>und</strong> 60% der deutschen <strong>und</strong> r<strong>und</strong><br />

die Hälfte der schweizerischen Lehrkräfte mit erheblichen ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Problemen belastet sind. Psychische <strong>und</strong> psychosoziale Beschwerden stehen<br />

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