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You must believe in Spring

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1<br />

<strong>You</strong> <strong>must</strong> <strong>believe</strong> <strong>in</strong> Spr<strong>in</strong>g<br />

RSO Classix after Work Liederhalle Beethovensaal “Jazz <strong>in</strong> Paris” Fr. 16. 3.12 18.30 h 1<br />

Michel Legrand/ Libor Sima „<strong>You</strong> <strong>must</strong> <strong>believe</strong> <strong>in</strong> Spr<strong>in</strong>g“ für Klaviertrio, Tenor-Saxophon<br />

und Orchester ( Obi Jenne d, M<strong>in</strong>i Schulz eb, Olaf Polziehn p, Libor Sima ts)<br />

RSO Stuttgart Ltg: Stéphane Denève<br />

Bild: Michael Kienzler<br />

Als Mozart mit dem überschwenglich (sic) schönen Sextett geschlossen hatte und nach und<br />

nach e<strong>in</strong> Gespräch aufkam, schien er vornehmlich e<strong>in</strong>zelne Bemerkungen des Barons mit<br />

Interesse und Wohlgefallen aufzunehmen. Es wurde vom Schlusse der Oper die Rede sowie<br />

von der vorläufig auf Anfang Novembers anberaumten Aufführung, und da jemand me<strong>in</strong>te,<br />

gewisse Teile des F<strong>in</strong>ale möchten noch e<strong>in</strong>e Riesenaufgabe se<strong>in</strong>, so lächelte der Meister mit<br />

e<strong>in</strong>iger Zurückhaltung; Konstanze aber sagte zu der Gräf<strong>in</strong> h<strong>in</strong>, dass er es hören musste: „Er<br />

hat noch was <strong>in</strong> petto, womit er geheim tut, auch vor mir.“<br />

(Mörike, Mozart auf der Reise nach Prag)<br />

1 Vorkonzert <strong>in</strong> kammermusikalischer Version mit dem Streichquartett Villa Berg (SWR Stuttgart)<br />

und den vier Solisten am Dienstag, dem 13.3.12 um 20.30 Uhr, <strong>in</strong> Stuttgart im Jazzclub „Bix“.


2<br />

Das mit der Partitur kann ich leider noch nicht absehen – melde mich bei Ihnen, wenn sie<br />

versendebereit ist.<br />

(Libor Sima <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Mail vom 12.1.12).<br />

E<strong>in</strong>ige M<strong>in</strong>uten noch, b<strong>in</strong> fast fertig…<br />

(Libor Sima am 14.2.12 um 11 Uhr)<br />

Hier ist sie…<br />

(Libor Sima am 14.2.12 um 12.51 Uhr)<br />

Inhalt<br />

1.Der Komponist S. 2<br />

2.Die weiteren Solisten S. 3<br />

3.Das Interview S. 3<br />

4.Melodisches und harmonisches Material S. 6<br />

5.Symphonischer Jazz und Jazz-Improvisation S. 9<br />

6.Blick <strong>in</strong> die Partitur S. 9<br />

7.Nachweise S. 16<br />

8.Nachweis des Titelbilds S. 16<br />

1. Der Komponist<br />

Libor Sima wurde 1967 <strong>in</strong> Aussig/ Elbe geboren und erhielt ersten Klavier-, Klar<strong>in</strong>ettenund<br />

Saxophon-Unterricht bei se<strong>in</strong>em Vater Jiri Šima. Darauf folgte e<strong>in</strong> Fagott-Studium bei<br />

Hermann Herder.<br />

Er ist mehrfacher Preisträger bei „Jugend musiziert“, auch Bundessieger. Nach<br />

Aushilfstätigkeiten <strong>in</strong> diversen Orchestern (S<strong>in</strong>fonieorchester des Hessischen Rundfunks,<br />

Israel Philharmonic Orchestra, Internationale Bach-Akademie, Stuttgarter Philharmoniker)<br />

trat er 1987 <strong>in</strong> das Radios<strong>in</strong>fonieorchester des SWR e<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem er 2001 zum Solofagottisten<br />

aufrückte.


3<br />

2. Die weiteren Solisten<br />

Obi Jenne, Schlagzeug; geboren 1970 <strong>in</strong> Heidelberg, Studium an der Musikhochschule Tross<strong>in</strong>gen,<br />

Diplom mit Auszeichnung, Akademist der Berl<strong>in</strong>er Philharmoniker, <strong>in</strong>itiiert 2009 das Stuttgart Jazz<br />

Orchestra, das aus der „Band <strong>in</strong> the Bix“ hervorgeht, als Drummer fester Bestandteil von Helen<br />

Schneiders Band.<br />

M<strong>in</strong>i Schulz, Kontrabass, hier E-Bass, geboren 1966 <strong>in</strong> Stuttgart, Professor an der Staatlichen<br />

Hochschule für Musik <strong>in</strong> Stuttgart, ebenfalls Mitglied von Helen Schneiders Band.<br />

Olaf Polziehn, Klavier, geboren 1970 <strong>in</strong> Ludwigsburg, Vertreter des Modern Jazz, Professor an der<br />

Universität für Musik und darstellende Kunst <strong>in</strong> Graz .<br />

3. Das Interview mit Libor Šima 2<br />

Ferenc Fricsay - <strong>in</strong> dem legendären Moldau-Film mit dem Radios<strong>in</strong>fonie-Orchester<br />

Stuttgart - erklärt, wie man die Bauernhochzeit spielen muss: „Lassen Sie etwas von dem<br />

Ur-Musikantentum jener östlichen Länder spüren! Ich kenne das, ich komme ja daher.“ Sie<br />

ja auch?<br />

Ich b<strong>in</strong> tatsächlich <strong>in</strong> Tschechien geboren, allerd<strong>in</strong>gs fühle ich mich <strong>in</strong> Deutschland zuhause. Me<strong>in</strong>e<br />

Eltern mussten 1969 aus politischen Gründen die damalige Tschechoslowakei verlassen, und so lebe<br />

ich seit me<strong>in</strong>em zweiten Lebensjahr <strong>in</strong> Deutschland. Ob ich etwas von dem tschechischen „Ur-<br />

Musikantentum“ mitbekommen habe, kann ich nicht beurteilen. Wohl aber glaube ich, dass ich den<br />

Großteil me<strong>in</strong>er musikalischen Neigungen me<strong>in</strong>em Vater zu verdanken habe. Er ist nämlich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en<br />

Augen der Prototyp e<strong>in</strong>es „Ur-Musikanten“.<br />

In e<strong>in</strong>em Interview mit Frau Gebel (SWR II Kerst<strong>in</strong> Gebel mit Libor Šima und Mart<strong>in</strong> Mühleis<br />

v. 20.10.2011) antworten Sie auf die Frage nach Ihrem musikalischen Werdegang, dass Ihr<br />

Klavierunterricht „erst mal gründlich <strong>in</strong> die Hose gegangen“ sei. Woran lag das?<br />

E<strong>in</strong> ernsthafteres Interesse an Musik kam bei mir erst relativ spät, so im Alter von 13 Jahren. Mit 9<br />

hatte ich allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e (kurze) Phase, <strong>in</strong> der ich unbed<strong>in</strong>gt Klavier lernen wollte. So etwas kommt ja<br />

vor bei K<strong>in</strong>dern. Me<strong>in</strong> Vater gab also nach, besorgte mir e<strong>in</strong> Klavier und begann mich <strong>in</strong><br />

Klavierspielen zu unterrichten. Dummerweise legte sich me<strong>in</strong>e Begeisterung für das Klavier recht<br />

schnell, und bald war mir das Mäusefangen mit me<strong>in</strong>en Kumpels wieder wesentlich wichtiger. Das<br />

war dann auch das jähe und tränenreiche Ende me<strong>in</strong>er Laufbahn als Pianist.<br />

Instrumentalunterricht von den Eltern zu erhalten, muss nicht immer von Vorteil se<strong>in</strong>. Es werden da<br />

unterbewusst viele D<strong>in</strong>ge mite<strong>in</strong>ander verknüpft, die im Grunde nichts mite<strong>in</strong>ander zu tun haben<br />

2 Interview vom 8. Januar 2012. Die Fragen stellte P.D.


4<br />

sollten. Man delegiert ja auch den größten Teil der Bildung se<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>der mit guten Gründen an die<br />

Schule und überlässt diese wichtige Aufgabe neutralen Personen. Ich sehe dies noch klarer, seitdem<br />

ich selber K<strong>in</strong>der habe, die auch alle e<strong>in</strong> Instrument erlernen. Das Musizieren mit den eigenen<br />

K<strong>in</strong>dern gehört allerd<strong>in</strong>gs zu den schönsten D<strong>in</strong>gen, die ich mir vorstellen kann!<br />

Sie s<strong>in</strong>d Solo-Fagottist des RSO und spielen aber den Solopart Ihres Konzerts, nämlich<br />

Tenorsaxophon. Ich habe me<strong>in</strong>en Schülern immer erzählt, dass Doppelrohrblatt-Spiel<br />

(Fagott) und E<strong>in</strong>fachrohrblatt-Blasen (Saxophon) zwei verschiedene Paar Stiefel seien. War<br />

das e<strong>in</strong> Irrtum?<br />

Konzert ist wohl etwas übertrieben. Es ist e<strong>in</strong> Arrangement e<strong>in</strong>es Jazzstandards von Michel Legrand,<br />

bei dem nicht nur ich solistisch <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung trete, sondern auch die drei Mitstreiter des<br />

Klaviertrios. Wir s<strong>in</strong>d gewissermaßen e<strong>in</strong> Solo-Quartett.<br />

Die Tatsache, dass E<strong>in</strong>fachrohr-Blas<strong>in</strong>strumente und Doppelrohr-Blas<strong>in</strong>strumente wirklich zwei Paar<br />

Stiefel s<strong>in</strong>d, ist für mich eher hilfreich als h<strong>in</strong>derlich. Die Gefahr, dass ich ansatztechnisch D<strong>in</strong>ge<br />

mite<strong>in</strong>ander vermische, ist ungleich ger<strong>in</strong>ger, als dies bei enger verwandten Instrumenten der Fall<br />

wäre. Bei klassischer Klar<strong>in</strong>ette und Jazz-Saxophon sieht das schon etwas anders aus. Aber auch hier<br />

gibt es prom<strong>in</strong>ente Beispiele, welche das Gegenteil beweisen, so ist z. B. Eddie Daniels 3 sowohl e<strong>in</strong><br />

wunderbarer Klar<strong>in</strong>ettist als auch e<strong>in</strong> grandioser Saxophonist. Im Übrigen ist die richtige<br />

Atemtechnik entscheidend, und die ist bei allen Blas<strong>in</strong>strumenten mehr oder weniger gleich.<br />

Sie s<strong>in</strong>d ja auch e<strong>in</strong> bekannter Jazz-Musiker. Spielen Sie Saxophon sowohl <strong>in</strong> Jazz-Manier<br />

als auch <strong>in</strong> klassisch akademischer Weise?<br />

1983 wurde ich beim Wettbewerb „Jugend Musiziert“ Bundessieger im „klassischen“ Saxophon.<br />

Insofern ist mir diese Art des Saxophon-Spiels durchaus geläufig. Das „klassische“ und das „Jazz“-<br />

Saxophon muss man als zwei selbstständige Instrumente betrachten. Zu verschieden s<strong>in</strong>d D<strong>in</strong>ge wie<br />

Tongebung, Klang und, Phrasierung. Mittlerweile bewege ich mich mit dem Saxophon fast<br />

ausschließlich im Jazz-Bereich. Allerd<strong>in</strong>gs gönne ich mir ab und zu das Vergnügen, bei uns im RSO<br />

das e<strong>in</strong> oder andere Werk am Saxophon zu spielen.<br />

Frau Gebel haben Sie erzählt, dass Sie als Dreizehnjähriger „stöße-weise“ Kompositionen<br />

verfertigt hätten. Je professioneller Sie wurden, desto seltener taugt wohl der Begriff<br />

Komposition für Ihre Werke, häufiger sprechen Sie von Arrangements. Ich habe herrliche<br />

Lied-CD’s im Ohr, die Sie für Ihre K<strong>in</strong>der arrangiert haben und dann von ihnen s<strong>in</strong>gen<br />

ließen. Wie steht es mit den Musiken für Fagottett oder gar mit den Vertonungen zu Erich<br />

Kästners „Als ich e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Junge war“?<br />

Als Arrangeur ordnet man sich dem fremden musikalischen Material unter und versucht dem Werk<br />

e<strong>in</strong>en persönlichen Stempel aufzudrücken. Im Idealfall entsteht daraus etwas Eigenständiges. Der<br />

Komponist h<strong>in</strong>gegen bestimmt das musikalische Material gänzlich selber. Ich praktiziere beides,<br />

wobei ich auch beim Komponieren natürlich ständig von Musik bee<strong>in</strong>flusst werde, die ich schätze.<br />

Dies wiederum wird <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Stücken hörbar, und somit gehen Arrangieren und Komponieren<br />

letztlich doch immer Hand <strong>in</strong> Hand. Komponisten s<strong>in</strong>d auch Arrangeure und umgekehrt.<br />

3 Eddie Daniels, geboren 1941 <strong>in</strong> New York City, Klar<strong>in</strong>ettist, klassisch ausgebildet an der Juilliard School of<br />

Music, 1. Preis 1966 beim Wettbewerb für Modern Jazz <strong>in</strong> Wien im Fach Jazz-Saxophon, lebt derzeit <strong>in</strong> New<br />

Haven CT.


5<br />

Beim Stuttgarter Musikfest bot das RSO mit Ihrem „Ahab“ e<strong>in</strong>en glänzenden Auftritt. Der<br />

Erfolg hatte viele Väter – die Textvorlage von Mart<strong>in</strong> Mühleis nach Herman Melville, der<br />

Sprecher Dom<strong>in</strong>ik Horwitz, das exzellente Orchester. Aber vor allem Ihre Umsetzung <strong>in</strong><br />

Musik, wobei vordergründig fasz<strong>in</strong>ierte, wie Sie <strong>in</strong>strumentengerecht Ihre Partitur angelegt<br />

haben. Hatten Sie den „Grand Traité d’Instrumentation et d’Orchestration“ von Hector<br />

Berlioz ver<strong>in</strong>nerlicht? Wie muss man sich das vorstellen?<br />

Als Komponist b<strong>in</strong> ich Autodidakt. Zwar habe ich mir über die Jahre e<strong>in</strong>en Stapel<br />

Instrumentationslehrbücher und viele Partituren zugelegt, doch letztlich entscheiden immer me<strong>in</strong> Ohr<br />

und me<strong>in</strong>e Intuition. E<strong>in</strong> wichtiges Kriterium beim Komponieren ist für mich die Perspektive des<br />

ausführenden Musikers. Me<strong>in</strong>e Musik soll mit berechenbarem Aufwand ausführbar bleiben. Neue<br />

Spieltechniken wie z.B. Mehrklänge, Klappen- und Blasgeräusche, Vierteltöne etc. <strong>in</strong>teressieren mich<br />

nicht, zumal ja auch die nicht mehr neu s<strong>in</strong>d ... Überhaupt: dieses ständige Reden darüber, ob e<strong>in</strong>e<br />

Musik „neu“ ist oder nicht. Das <strong>in</strong>teressiert doch bestenfalls Musikkritiker und andere wichtige Leute<br />

des Feuilletons. „Neu“ ist <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Augen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong>e Eigenschaft und nicht zw<strong>in</strong>gend e<strong>in</strong>e<br />

Qualität. Und: jede Musik, die heute erfunden wird, ist zwangsläufig zeitgenössisch, d.h. „neu“. Das<br />

Wichtigste <strong>in</strong> der Musik ist für mich, dass sie die Menschen berührt, dass sie handwerklich gut<br />

gemacht ist und auf hohem Niveau ausgeführt wird. Wenn e<strong>in</strong> „klassischer“ Komponist heutzutage<br />

„neue“ Musik im Stile der Wiener Klassik schreiben will ... warum nicht? Ich kann ja immer noch<br />

entscheiden, ob ich sie mir anhöre oder nicht. Solange er authentisch dabei bleibt, ist das für mich <strong>in</strong><br />

Ordnung.<br />

Im Melodram „Ahab“ 4 nach dem Roman „Moby Dick“ konnten Sie am Text entlang<br />

komponieren. Dabei ließen sich unterschiedliche Verfahren beobachten: e<strong>in</strong>mal vertonten<br />

Sie assoziativ nach Stichworten – die See türmte sich auf wie <strong>in</strong> Wagners Holländer, oder<br />

es klangen die Glocken des untergegangenen V<strong>in</strong>eta, dann aber gaben Sie den direkten<br />

Bezug auf und hoben das Geschehen auf e<strong>in</strong>e völlig andere Ebene und setzten z.B.<br />

Gregorianik e<strong>in</strong>.<br />

Wenn Sie nun aber e<strong>in</strong> (wie soll ich es nennen?) re<strong>in</strong>es Instrumental-Werk (Konzert darf ich<br />

nicht sagen, s.o.!) liefern - welche Struktur wird es haben?<br />

Es ist e<strong>in</strong>e Art von symphonischer Jazz-Rhapsodie. Das Orchester übernimmt hierbei den<br />

symphonischen, das Quartett den Jazz Part.<br />

In der Vorschau werden zwei Komponisten genannt – Michel Legrand und Libor Sima. Michel<br />

Legrand ist trotz se<strong>in</strong>es französischen Namens auch „östlicher Herkunft“, nämlich<br />

Armenier. Die Überschrift lautet: „<strong>You</strong> <strong>must</strong> <strong>believe</strong> <strong>in</strong> Spr<strong>in</strong>g“, soviel ich weiß, e<strong>in</strong> Song<br />

aus dem Film „Les demoiselles de Rochefort“ 5 .<br />

Wenn Legrand noch lebt, wird er im Februar 90. Spielt das e<strong>in</strong>e Rolle als äußerer Anlass<br />

zum<strong>in</strong>dest?<br />

Zu diesem Zeitpunkt kenne ich Ihre Partitur noch nicht. Liefert Legrand das Material zum<br />

Variieren oder Improvisieren?<br />

4 Am 27.8.2011 mit dem RSO Stuttgart unter Sebastian Weigle mit Dom<strong>in</strong>ique Horwitz als Sprecher <strong>in</strong> der<br />

Liederhalle ( Musikfest Stuttgart 2011 „Wasser“ als Eröffnung) Sendung SWR II Abendkonzert 21.10.2011<br />

5 Französisches Filmmusical aus dem Jahr 1967 von Jacques Demy (Musik Michel Legrand)


6<br />

Zunächst: Dass Michel Legrand dieses Jahr 90 Jahre alt wird, hat bei der Realisierung des Projektes<br />

für mich ke<strong>in</strong>e Rolle gespielt.<br />

Dann muss ich sagen, dass natürlich er der Komponist ist und ich der Bearbeiter b<strong>in</strong>. Dies muss auch<br />

schon re<strong>in</strong> rechtlich betont werden! Se<strong>in</strong>e Filmmusik ist mir schon vor längerer Zeit ans Herz<br />

gewachsen, und, als der Orchester-Manager Felix Fischer mich letztes Jahr fragte, ob ich mir<br />

vorstellen könnte, im Rahmen e<strong>in</strong>es „RSO Classix Afterwork“-Konzertes e<strong>in</strong> Werk zum Thema „Jazz<br />

<strong>in</strong> Paris“ beizusteuern, dachte ich sofort an „<strong>You</strong> <strong>must</strong> <strong>believe</strong> <strong>in</strong> Spr<strong>in</strong>g“. Legrand liefert das<br />

thematische und harmonische Material, Sima richtet lediglich den neuen Blick darauf. So könnte<br />

man das <strong>in</strong> aller Kürze beschreiben. Das Jazzquartett hat e<strong>in</strong>erseits auskomponierte Teile, und<br />

andererseits improvisiert es nach melodischen und harmonischen Spielregeln. Das Orchester<br />

<strong>in</strong>terpretiert e<strong>in</strong>en ausnotierten Part.<br />

Muss man den Film gesehen haben, um Ihre Musik zu verstehen?<br />

Ne<strong>in</strong>.<br />

4. Melodisches und harmonisches Material 6 .<br />

Nachstehendes Leadsheet soll als Grundlage für das improvisatorische Spiel dienen. Unter<br />

„Leadsheet“ versteht der Jazzmusiker e<strong>in</strong>e vere<strong>in</strong>fachte Notationsweise, die nur aus Melodie, Text und<br />

Harmonien <strong>in</strong> Akkord-Symbolschrift besteht.<br />

Dieser Darstellungsform bedient sich zum Beispiel das berühmte Vocalbook. Der „Ballade“ genannte<br />

Song weist drei Teile auf. Herausragendes Merkmal s<strong>in</strong>d die zahlreichen Sequenzen, wie man sie<br />

übrigens auch <strong>in</strong> den anderen Titeln von „Les demoiselles de Rochefort“ antrifft.<br />

Die Akkordsymbole habe ich ohne Rücksicht auf klassische Stimmführung <strong>in</strong> dem unteren System<br />

umgesetzt. Der amerikanische Jazzpianist Bill Evans hat <strong>in</strong> derselben mir vorliegenden Quelle noch<br />

e<strong>in</strong>e komplizierte Version <strong>in</strong> Paranthese vorgeschlagen, die ich hier aber nicht berücksichtigt habe.<br />

(s.u.). In den Teilen B und C habe ich auf e<strong>in</strong>e harmonische Aussetzung verzichtet.<br />

Zunächst der Text, wobei jede Strophe dem jeweiligen Melodie-Teil A, B oder C entspricht:<br />

When lonely feel<strong>in</strong>g chill the meadows of your m<strong>in</strong>d,<br />

Just th<strong>in</strong>k when w<strong>in</strong>ter comes, can spr<strong>in</strong>g be far beh<strong>in</strong>d?<br />

Beneath the deapest snows, the secret of a rose<br />

Is merely that it knows you <strong>must</strong> <strong>believe</strong> <strong>in</strong> spr<strong>in</strong>g.<br />

Just as a tree is sure its leaves will reappear;<br />

It knows its empt<strong>in</strong>ess is just a time of year.<br />

The frozen mounta<strong>in</strong> dreams of April’s melt<strong>in</strong>g streams.<br />

How crystal clear it seems, you <strong>must</strong> <strong>believe</strong> <strong>in</strong> spr<strong>in</strong>g.<br />

6 Lyric: Alan & Marilyn Bergman Music: Michel Legrand © 1967/68/71 Productions Michel Legrand<br />

etc. s. Nachweise.


7<br />

<strong>You</strong> <strong>must</strong> <strong>believe</strong> <strong>in</strong> love and trust it’s on its way,<br />

Just as the sleep<strong>in</strong>g rose awaits the kiss of May.<br />

So <strong>in</strong> a world of snow, of th<strong>in</strong>gs that come and go,<br />

Where what you th<strong>in</strong>k you know, you can’t be certa<strong>in</strong> of,<br />

<strong>You</strong> <strong>must</strong> <strong>believe</strong> <strong>in</strong> spr<strong>in</strong>g and love.<br />

Notenbsp.1


8<br />

Notenbsp.2<br />

Notenbsp.3


9<br />

5. Symphonischer Jazz und Jazz-Improvisation<br />

Laut Sima haben wir <strong>in</strong> dem „Instrumentalwerk“ e<strong>in</strong>e Mischung aus präzise notiertem symphonischen<br />

Jazz und e<strong>in</strong>er freien Improvisation mit Kadenzen für Saxophon und E-Bass. Den symphonischen Part<br />

übernimmt naturgemäß das Orchester, wobei die Blechbläser – allerd<strong>in</strong>gs weniger die Hörner – von<br />

ihren spielerischen Möglichkeiten her am ehesten e<strong>in</strong>e Brücke zu dem re<strong>in</strong>en Jazz-Charakter des<br />

Quartetts bilden. Die Blechbläser hätten so e<strong>in</strong>e „Zwitterrolle“, ganz anders die Streicher, von denen<br />

Sammy Nestico 7 behauptet: „Zw<strong>in</strong>ge nie e<strong>in</strong>en Streicher zum Sw<strong>in</strong>gen!“<br />

Für Sima ist Leonard Bernste<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Vorbild, weniger George Gershw<strong>in</strong>, wenn auch letzterer als<br />

beispielhaft für die Verb<strong>in</strong>dung von Jazz und Symphonik <strong>in</strong> der Musikgeschichte gilt. Im Gegensatz<br />

zu Aufnahmen mit Miles Davis und Ella Fitzgerald, die <strong>in</strong> den fünfziger Jahren des vergangenen<br />

Jahrhunderts mit Symphonieorchestern auftraten, genüge laut Sima für die Wiedergabe von Gershw<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong> eher klassisch orientierter Stil.<br />

Nur wenige E<strong>in</strong>spielungen von Bernste<strong>in</strong>s „Symphonischen Tänzen“ (aus Westside-Story) f<strong>in</strong>den<br />

Simas Zustimmung: Ausgesprochen authentisch sei das Spiel des „Orchestra S<strong>in</strong>fonica Simón<br />

Bolivar“, des venezolanischen Jugendorchesters, unter Gustavo Dudamel.<br />

6. Blick <strong>in</strong> die Partitur<br />

Endlich, am 14. Februar, ist die Partitur fertig geworden. Da ist Gelegenheit, schnell noch e<strong>in</strong>en Blick<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> zu werfen.<br />

Die Besetzung verzeichnet den kompletten Holzbläsersatz mit Englischhorn. Das Blech ist ebenfalls<br />

vollständig, allerd<strong>in</strong>gs ohne Tuba. Im Schlagzeug – unabhängig vom Drumset des Quartetts f<strong>in</strong>den wir<br />

Gr.Trommel, hängende Metallstäbe, Triangel, Glockenspiel, Xylo- und Vibrahon. Dazu gibt es das<br />

chorisch besetzte Streichqu<strong>in</strong>tett. Alles <strong>in</strong> allem die romantische s<strong>in</strong>fonische Besetzung. Während zum<br />

Beispiel Berg, Prokoffieff und viele Komponisten der Gegenwart <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Partituren auch die<br />

transponierenden Instrumente <strong>in</strong> C schreiben, hält sich Sima an die Tradition und notiert Klar<strong>in</strong>etten<br />

und Trompeten <strong>in</strong> B, Hörner <strong>in</strong> F usw. Bei der Taktzählung bleiben Wiederholungen unberücksichtigt.<br />

Notenbsp. 4<br />

7 Sammy Nestico, geboren 1924 <strong>in</strong> Pittsburgh (Pennsylvania), Komponist z. B. des Count Basie Orchestra


10<br />

Die Ouvertüre der Verkauften Braut habe ich – ehrlich gesagt – nicht im Kopf … eher „Daphnis“<br />

oder „L’après-midi“ 8 (Libor Sima zu me<strong>in</strong>er Frage zu Notenbsp.4 und 5).<br />

Vielleicht aber ist es gestattet, strukturelle Übere<strong>in</strong>stimmungen, so das auf-taktige Rufen, die<br />

verkürzte Wiederholung des Anfangsmotivs mit zunehmender Verdichtung und das Precipitando des<br />

Abgangs zu vergleichen. Nennen wir es „Frühl<strong>in</strong>gsrufen“, um es im weiteren Verlauf zu verfolgen. (s.<br />

Notenbsp. 4 und 5).<br />

Dazu tritt im 4. Takt das Englischhorn mit den Anfangstönen der Ballade: dreifacher Sekundaufgang<br />

<strong>in</strong> kurzen Notenwerten und Sexte (hier kle<strong>in</strong>) abwärts. (vgl. Notenbsp. 1)<br />

Notenbsp. 5<br />

Bei Buchstabe A nach e<strong>in</strong>em Halt mit Solo-Kadenz für Tenorsaxophon setzt e<strong>in</strong> starker Kontrast e<strong>in</strong>,<br />

statt der hohen jetzt die tiefe Lage. Schon beg<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong> ständiges Spiel mit dem Anfangsmotiv von<br />

8 Maurice Ravel (Daphnis et Chloé), Claude Debussy (Prélude à l’après-midi d’un faune)


11<br />

Legrand, e<strong>in</strong> Variieren, das sich zunächst auf den Sextensprung bezieht. Dieser wird im Kontrabass<br />

und nache<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> Bratsche und erster Geige aufwärts geführt (s. Notenbsp. 6):<br />

Notenbsp. 6<br />

Nach den Frühl<strong>in</strong>gsrufen <strong>in</strong> den Trompeten (T. 24) gibt es e<strong>in</strong>en zweiten Halt vor der Ziffer C mit<br />

e<strong>in</strong>er Solo-Kadenz für den E-Bass:.<br />

Notenbsp. 7


12<br />

Um die Übersicht über den Verlauf zu erleichtern, wird die unten stehende Hörleiste empfohlen<br />

(Fortsetzung der Erläuterungen weiter unten):


13<br />

In T. 29 im Ts erkl<strong>in</strong>gt zum ersten Mal e<strong>in</strong> längerer Abschnitt von „<strong>You</strong> <strong>must</strong> <strong>believe</strong> <strong>in</strong><br />

spr<strong>in</strong>g“:<br />

Notenbsp. 8<br />

Die Abschnitt C der Ballade (Chorus) ist ab E streckenweise ohne Begleitung im Quartett :<br />

Notenbsp. 9


14<br />

Von F bis Schluss bleibt das Quartett- mal improvisisierend, mal festgelegt – immer dabei. Ebenfalls<br />

ab F gilt die Anweisung:<br />

Hohes Holz und Vibraphon br<strong>in</strong>gen die Rufe <strong>in</strong> der Umkehrung (T. 64):<br />

Notenbsp. 10<br />

T. 148 er<strong>in</strong>nern die Trompeten an Legrand, nachdem die Posaunen fanfarenartig darauf h<strong>in</strong>gewiesen<br />

haben. Sonst spielt nur das Quartett:<br />

Notenbsp. 11<br />

Notenbsp. 12


15<br />

Für T. 192 ff. passt m. E. die Bezeichnung „grandioso“. Die Bläser akzentuieren mit dem Klavier im ff<br />

Die Themensequenz, während die Außenstimmen legato bleiben (s. obiges Notenbsp. 12).<br />

Notenbsp. 13


16<br />

Noch e<strong>in</strong>mal zitieren Fagotte und Klar<strong>in</strong>etten <strong>in</strong> Oktaven Legrand, und zwar „straight“ = exakt<br />

punktiert. Dann baut sich von unten her der Schlussakkord als Mixtur aus g-moll und D-Dur auf<br />

(s. obiges Notenbsp. 13).<br />

7. Nachweise<br />

Kerst<strong>in</strong> Gebel, SWR II Kerst<strong>in</strong> Gebel mit Libor Sima und Mart<strong>in</strong> Mühleis, Sendung v. 20.10.2011<br />

Eduard Mörike, Gedichte, Dramatisches Erzählendes, Sämtliche Werke Bd.I, Stuttgart 1961<br />

Notenbeispiele<br />

Partitur von „<strong>You</strong> <strong>must</strong> <strong>believe</strong> <strong>in</strong> Spr<strong>in</strong>g“ für Jazz-Quartett & Orchester<br />

© by Libor Sima – All Rights reserved..<br />

„<strong>You</strong> <strong>must</strong> <strong>believe</strong> <strong>in</strong> spr<strong>in</strong>g“ © 1967, 1968,1971 Productions Michel Legrand & Productions Francis<br />

LeMarque & N.S. Beaujolais Music Inc. c/o EMI Music Publish<strong>in</strong>g, Used by Permission of<br />

CPP/Belw<strong>in</strong>, Inc., Miami, FL. All Rights reserved.<br />

Titelbild<br />

Bergstadtsommer St.Georgen im Schwarzwald 2011 mit Libor Sima von Michael Kienzler, Triberg<br />

Me<strong>in</strong> Dank gilt sowohl Frau Gebel als auch Libor Sima, der trotz vielfachem Term<strong>in</strong>drucks me<strong>in</strong>e<br />

zahlreichen Fragen bereitwillig beantwortet hat.<br />

St.Georgen, den 15.2.2012<br />

Peter Dönneweg

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